118 B. Zur Länderkunde. 13. Die Weltlage des Kiautschougebietes. Von Georg Wegener. (Aus Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich. II. Band, Leipzig und Wien 1910, Bibliographisches Institut.) Mehr als für irgendeine andere deutsche Kolonie ist für das Kiautschougebiet ein Hinausschauen über die politischen Grenzen auf die Umgebung zum Verständnis der Bedeutung seines Besitzes für Deutschland erforderlich. Das Kiautschougebiet hat mit den Schutzgebieten unserer deutschen Südsee- Inseln gemeinsam, daß es im Bereich des Stillen Ozeans gelegen ist, den man nach seiner Ausdehnung geradezu als die Wasserhalbkugel des Globus der Landhalbkugel gegenüberstellen kauu. Von dem Zentrum der Halbkugel überwiegenden Landes, von Europa, aus hat sich nach allen Seiten, mit Ausnahme der unzugänglichen Polar- gegenden, gewissermaßen konzentrisch fortwachsend, die heute herrschende und den Erdball immer inniger umspannende Weltkultur der weißen Rasse ausgebreitet. Ganz den Raumverhältnissen entsprechend, hat sie dabei am spätesten die Außen- ränder dieser Landhalbkugel, eben die Ufer des Pacific, erreicht und sich zu unter- Wersen begonnen, gleichzeitig von Osten und von Westen her. Erst in den letzten Jahrhunderten sind die Männer der weißen Rasse überhaupt dort erschienen, erst in den letzten Menschenaltern haben sie begonneil, an diesen Ufern bedeutsame Kultur- gebilde ihrer Wesensart zu schaffen. In diesen: Sinne ist der Stille Ozean das jugendlichste unter den drei großen, für die Entwicklung der Menschheit in Betracht kommenden Weltmeeren. Mit dieser Tatsache der Jugendlichkeit sind auch die inneren Charakterzeichen einer Jugend verbunden: ein Kranz junger politischer Gebilde umgibt dies Meer, deren kommende Entwicklung die größte Aufmerksamkeit iu Anspruch nehmen darf: im Nordosten Kanada uud die gewaltige Nordamerikanische Union; im Südosten einer der tüchtigsten der Staaten Südamerikas, Chile; im Südwesten die immer selbständiger werdenden englischen Kolonien von Neuseeland und Australien; im Nord¬ westen so kraftvolle Strahlungspunkte von Leben wie Singapore, Hongkong, Schanghai; und endlich auch die pazifischen Besitzungen Rußlands, das zwar augenblicklich schwer daniederliegt, aber zweifellos wieder erstarken uud sich au dem Ringen, friedlicher und kriegerischer Art, nnt den Stillen Ozean auch fernerhin mit beteiligen wird. Unter dem mächtigen Anhauch der Energie der weißen Rasse sind auch die einzigen nicht unter ihrer politischen Herrschast stehenden Gebiete der pazifischen Küsten, die noch unabhängigen Reiche Ostasiens, aus ihrem Kulturschlummer erwacht uud begiuueu mit in jenes Ringen einzutreten. So kommt es, daß der Politiker, der Kaufmann, der Weltwirtschaftler, der Kulturhistoriker u. a. m. heute mit immer wachsendem Interesse auf diesen Ozean blicken müssen, den man mit der Übertragung eiues be¬ kannten Wortes als „das Meer der unbegrenzten Möglichkeiten" bezeichnen möchte. Gegenüber den anderen pazisischen Besitzungen Teutschlands hat das Kiautschou- gebiet den unschätzbaren Vorteil voraus, daß es uicht wie die meisten von ihnen in verkehrsfernen Meeresteilen verloren liegt, entweder ganz ohne nennenswertes Hinter- land oder, wie Dentsch-Neuguiuea, doch nur mit einem solchen von verhältnismäßig begrenztem Wert. Es liegt vielmehr uumittelbar in der Gegend des Stillen Ozeans, die ohne Frage für dessen oben angedeutete Entwicklung die bedeutsamste ist, am Ostrande von Asien, mitten zwischen den gewaltigen Produktions- und Konsumtious- gebieten der japanischen und der chinesischen Welt und den bedeutendsten Ansatz-