380 bis an das Mitlelmeer und die Pyrenäen spielt etwas zum Süden hin^ und doch ist es noch nicht ganz Südland, wie der größte Theil Italiens und Spaniens. Frankreich macht also ganz eigentlich die Mitte zwischen dem Norden und Süden Europa's, es macht gleichsam einen Uebergang. Frankreich hat auch zwei verschiedene Seelen in sich, eine nördliche und eine südliche Seele, die sich bis auf den heutigen Tag in mancherlei Hader und Zwietracht bekämpfen und das unruhige, wankelmüthige, wechselvolle, wunderliche Treiben bilden, welches wir das französische Leben und Wesew nennen, und welches wie ein siedender Topf nach unserer deutschen Seite hin, wo der Rand am niedrigsten und hin und wieder abgebrochen ist, immer überschäumen und es mit seinem siedenden Brodem übersprühen und versengen will. Dieses im Ganzen fruchtbare und schöne Land mit zwei großen Meeren, dem Atlantischen und Mittelländischen, und dem unruhigen, sturm¬ und kriegvollen Kanal, und mit vortrefflichen Häfen an seinen Küsten, hat freilich nicht die hochgestaltige und vielgestaltige Mannigfaltigkeit Deutsch¬ lands, Italiens und Spaniens, aber es ist reich an Wein, Getreide, Obstbau, Viehzucht und zieht im Süden schon den Oelbaum und einzelne Südfrüchte und den Maulbeerbaum mit dem Seidenwurme, ist auch durch Handel, Schifffahrt, Gewerbfleiß und Colonien ein gesegnetes und mäch¬ tiges Reich. Werfen wir einige Blicke auf den Charakter des Volkes. Am auf¬ fallendsten und merkwürdigsten in dem französischen Nationalcharakter ist das Gepräge, das ihm die Hauptstadt des Landes aufgedrückt hat und fort¬ während aufdrückt. Ganz Frankreich würde ein anderes Frankreich sein, wenn für Paris irgend eine Stadt an der Rhone, Loire oder unmittelbar am Ocean seine Hauptstadt geworden wäre. Mit Paris sind alle Fran¬ zosen zu sehr in das gallische Element eingetaucht und untergetaucht worden. Dieses Element mußte auf die Eingewanderten auf jeden Fall den größten Einfluß haben, aber sicher würde dieser Einfluß nicht so groß gewesen sein, wenn die große Hauptstadt nicht recht in dem gallischen Kern gelegen hätte. Es läßt sich ziemlich klar und genau Nachweisen, wie die nachbarliche normännische Windigkeit und Abenteuerlichkeit und die gallische Leichtfertigkeit und Luftigkeit zusammen dem Ganzen die Gestalt gegeben haben, die es jetzt hat. Von Paris aus, welches im Mittelalter ein all¬ gemeiner Herd war, an welchem schon damals Kunst und Wissenschaft stch wärmte, ist alles klebrige des Reichs mehr oder weniger gemacht worden. Paris ist Frankreichs Hauptstadt wie keine andere Hauptstadt irgend eines europäischen Landes, und weil sie durch das Glück, daß ihre Sprache eine Weltsprache geworden, daß Alles, was Feinheit, Schönheit, Anmuch und Bildung ini Sinne der jüngsten Vergangenheit suchte, daß wenigstens alles Freiherrliche und Fürstliche einige Jahre nach Paris gehen mußte, um stch dort den Firniß feiner Sitten überstreichen zu lassen, die stolze Einbildung gefaßt hatte, sie sei wirklich die Hauptstadt aller Bildung und Wissenschaft;