381 so hat diese Einbildung das ganze französische Volk wie ein wahrer Zauber ergriffen und hält es immer noch fest, nachdem die Fremden großen- theils von dem frühern Wahne erlöst sind. Paris ist darum auch ein Mittelpunkt französischer Eitelkeit*), welche allerdings berechtigt ist, sich auf ihr Volk etwas einzubilden, aber leider diese Einbildung nicht immer auf die edleren Eigenschaften legt. Denn auch die Herrschaft der fran¬ zösischen Sprache ist nicht blos etwas Zufälliges, etwa allein durch das Uebergewicht geworden, welches die Franzosen seit der Mitte des 17. Jahr¬ hunderts über die andern europäischen Völker bekamen: sondern die Leich¬ tigkeit, Lebendigkeit, Witzigkeit des Volkes, seine Klarheit und Feinheit, sein leicht greifender Verstand der äußern Dinge, und das Talent, alles Geschaute, Empfundene, Gedachte leicht und bequem in klarer, netter Sprache auszudrücken, die gleich glatten Kieseln durch unaufhörlichen Ge¬ brauch geschliffen, leicht über die Zunge hinweggleitet und fortlispelt, der im Ganzen leichte, streng gesetzmäßig geordnete Bau machen sie wirklich zu einer Weltsprache sehr geeignet. Merkwürdig, die Franzosen sind ihrem Wesen nach auf den Verstand angewiesen, sind durchaus ein feines, klares, verständiges Volk — aber so mächtig ist bei ihnen dieEitelkeit, daß diese sie alle Augenblicke von dem geraden, hellen Wege des Verstandes abbringt. Denn blind wird, wer in den Spiegel der Eitelkeit schaut, und sie halten sich diesen Spiegel immer selbst vor und zürnen, wenn ein wahrhaftiger Mann ihnen densel¬ ben wegnehmen will. Man vergleiche nur die Redner in den französischen und englischen Kammern. Der Engländer haut den geraden Schwerthieb des Wortes und der Gründe, worauf sein Wort ruht; er spricht frisch und gerade aus der Sache und Person heraus, um was es sich eben han¬ delt. Der Franzose muß bei den meisten Sachen Quer- und Scheinhiebe *) Unser A. M. v. Thümmet (Neise in's mittägige Frankreich — sämmtliche Werke 1. Th eil) bemerkt treffend: ,,Die Eigenliebe dieser glücklichen Nation ist doch in der That nicht von gewöhnlichem Schlage. Sie belebt, bewegt und verbindet, gleich einer allgemeinen Eroberungssucht, jedes einzelne Mitglied des Staats zu dem gemein¬ schaftlichen Endzwecke, den Beifall und die Bewunderung aller Völker der Erde zu erbeuten. Sie ziehen öffentlich zu Felde und thun geheime Ausfälle darnach und halten sich — wodurch sie eigentlich unüberwindlich werden — niemals für geschlagen. Wenn der Erste, dem du auf der Straße begegnest, auch noch so bettelarm ist, daß er dir weder tndne des fermes aus einer verschabten Dose anbieten, oder dir unter einem zerrissenen Kittel wenigstens ein Paar Manschetten zur Schau geben kann: so ist doch zu wetten, ihr seid noch keine Viertelstunde mit einander fortgeschlendert, so glaubt er dir das Geständniß abgenöthigt zu haben, daß kein Volk so mächtig, so reich, so witzig, so artig, so erhaben sei als das seinige; und sollte sein Antheil an diesem Nationalvermögen auch noch so gering sein, so ist er doch gewiß mit seinem Loose zufriedener, als du mit dem deinigen. Die guten Leute wissen jede Einwendung, die wir dagegen merken lassen, so geschwind zu entkräften — glauben, daß jedes mensch¬ liche Auge so geformt sei wie das ihrige, und können nicht begreifen, wie ein Fremder unter ihren bunten Kleidern Armuth, eine verdorbene Haut unter ihrer Schminke, und Elend und Verzweiflung in den Labyrinthen ihrer Hoffahrt entdecken könne."