435 unter den rauchenden Trümmern der stolzen Burgen, in Strömen des Blutes vergraben. Aber noch ist dem Volke, wie in seinem äußeren Erscheinen die edlere Form, die freie Haltung, so in seinem Munde die Sprache der Väter geblieben. Sie begegnet uns hier in Lyon bereits vielfach und um- giebt uns bis über Narbonne, wo bereits im französischen Roussillon die spanische Sprache herrscht. Noch walten und bewegen sich hier in einzelnen Städten und in ganzen Theilen der Landbevölkerung an dem südwestlichen Abhange der Sevennen die religiösen Grundsätze, die seit 700 Jahren schon sich thätig gezeigt; neben dem Eifer für evangelische Einfachheit und Strenge, für calvinistische, strenge Kirchenform oder auch mystische, formlose Er¬ bauung ist um so schärfer katholischer Eifer gestellt, angeschlossen an die hier wunderbar gedrängten Stätten von Märtyrern und Heiligen der ältesten Kirche. Man kann nicht läugnen, hier, wo so viel Blut geflossen zwischen den Bewohnern derselben Städte, zwischen dem vielfach protestantischen Adel, der so gewaltsam bekehrt oder aus den Grenzen des Landes ver¬ trieben ist, sind die Wunden, welche dem materiellen Wohlstand und der Freudigkeit des Volkslebens geschlagen wurden, noch nicht vernarbt; sie brechen unter andern Bezeichnungen oft wieder los: allen politischen und socialen Kämpfen hier im Süden war auch in jüngster Zeit ein religiöses Element beigemischt. Aber dennoch ist das von Nordfrankreich aus begrün¬ dete Nationalgefühl des Franzosen, als eine Gemeinsamkeit feiner Cultur und einer unabhängigen, einflußreichen Stellung dem Auslande gegenüber lange durchgedrungen; bildet doch ein Besuch von Paris, ein längerer Aufenthalt daselbst eine Art Ideal auch für den kleinsten Bürger einer südlichen Stadt, und trägt die Elaste der Proprietaires, die meist in Paris oder sonst an einem größeren Platze sich ein mäßiges Vermögen erworben und in ihren besten Jahren sich auf einen Landbesitz — das Ziel eigentlich eines jeden Franzosen — in ihre erste Heimath oder auch sonst in Frankreich zurückziehen, um hier oft in sehr sparsamer Weise mit einer Familie zu leben, zur Verbreitung dieser von provinzieller Besonderheit losgelösten Cultur bei. Und endlich ist die Bedeutung der südfranzösischen Küste seit der Eroberung Algeriens bedeutend gestiegen. Afrika bildet schon einen sehr bedeutenden Zielpunkt des französischen, besonders Pariser Verkehrslebens, und für dieses werden die Häfen von Südfrankreich deren nothwendige Ausgangspunkte; es werden so ganze, verödete, vernachlässigte Landstriche im Süden neu beachtet, und der nordfranzösische Verstand, das unmittelbare Gefühl für Maß und Ordnung, das Capital, wenden sich hier größeren Culturunternehmungen zu. 28*