476 seinen Händen, um damit seinen Erwerbfleiß zu schützen, fast die einzige Art von Industrie, die das schönste Land der Erde aufzuweisen hat. Er führt die Wolle Aragoniens und Castiliens französischen Städten zu, um sie in Kurzem, wenn sie in jenen Werkstätten zu kostbaren Stoffen sich umgestaltet hat, über dieselbe Grenze wieder zurückzubringen. Das goldene Zeitalter hätte in diesen schönen Gegenden sich fort¬ pflanzen sollen, doch Neid, Haß und Groll stehen von Dorf zu Dorf auf der Grenze der beiden Reiche gleichsam Schildwache. Die spanischen und französischen Basken stehen sich nicht blos als Fremde, sondern sogar als Feinde gegenüber. Dieser innere Zwiespalt macht den schmalen Strom, der die Scheidelinie zwischen dem Reiche Ludwigs XIV. und der Monarchie Karls V. bildet, zu einer breiten Grenzscheide. Wie klein und strafwürdig erscheinen doch die Leidenschaften der Menschen unter diesen Naturscenen, wo der Weltgeist seiner glanzvollen Schöpfung das Gepräge ewiger Ruhe aufgedrückt hat. Eine halb verfallene Brücke stellt sich jetzt deinem Blicke dar. Dein Pferd geht dreist, vielleicht muthiger als du selbst, über den wankenden Brückenbogen hin. Glücklich bist du hinüber, aber du wirfst immer noch einen Blick voll Unruhe um dich her, und hältst an, uni ein kleines stei¬ nernes Kreuz zu betrachten, welches die Zeit mit Moos und Flechten be¬ deckt hat, aber nicht wie die Ruinenbrücke zu verfallen droht. Das ist das Grenzmal zwischen dem katholischsten und allerchristlichsten Reiche, und das bescheidene Monument erinnert dich, daß du jetzt auf spanischem Boden wandelst. Der Augenblick des Uebertritts von einem großen Reiche in ein anderes hat immer etwas Ergreifendes. Man glaubt die geistige Verschiedenheit der Völker auch an dem Lande zu schauen, und es ist, als ob über dem Haupt ein anderer Himmel sich wölbte. Der Wanderer bleibt sinnend stehen und blickt auf beide geschiedene Theile hin, um gewiß zu sein, daß er die Scheidelinie überschritten habe. So verweile auch du, lieber Leser, noch eine kleine Weile bei mir und erklettere mit mir auf diesem von Nu߬ bäumen überschatteten Wege jene Bergspitze, die hoch vor allen andern in das reine Himmelsblau emporragt. Hier überschauen wir links die Berge von Navarra, und rechts breiten sich die Gefilde von Frankreich aus mit ihren Städten, die man bis auf fünfzig Stunden weit erkennen kann; zu deinen Füßen aber, dort wo die Pyrenäen zur Ebene hinabsteigen, im An¬ gesicht von Bayonne und der Steppenflache des Landes, zieht sich der fran¬ zösischen Küste entlang der blauglänzende Ocean in seiner Unermeßlichkeit hin. Lange streifte ich in diesem Theile des Gebirges von Zucaramundi umher, bis mich endlich die sengenden Strahlen der fast senkrecht über meinem Haupte stehenden Sonne daran erinnerten, nach der Landstraße wieder einzulenken. Die Zeit ward mir etwas lang, bis ich ein kleines Dörfchen erreicht, das zu meinen Füßen in einer tiefen Bergschlucht ein¬ geklemmt lag — der erste navarrefische Flecken, welcher dem Reisenden