630 das Bein, so läuft das Pferd davon, und der Unglückliche bleibt oft, dem Hungertode preisgegeben, im hohen Grase liegen, die Adler, welche auf jedes gefallene Wesen losstürzen, von sich abwehrend, so lange er es vermag. Da seine Nahrung einzig aus Ochsenfleisch und Wasser besteht, so be¬ sitzt der Gaucho eine ausnehmend starke Leibesbeschaffenheit, welche ihn in den Stand setzt, die größten Strapazen auszudauern und unglaublich weite Entfernungen ohne Unterbrechung zu Pferde zurückzulegen. Die Hütten der Gauchos mit ihren aus Weiden geflochtenen und mit Lehm überzogenen Wänden sind nicht viel besser als die Wigwams der Indianer, mit denen sie auch die viereckige Form gemein haben. Einige Holzklötze oder die Skelette von Pferdeköpfen dienen als Sessel; ein kleiner Tisch, anderthalb Fuß über dem Boden, zum Kartenspielen, und ein Cruzifix oder ein heiliger Anto¬ nius , der an der Wand hängt, zum Schmucke der Stube. Schaffelle, worauf Weiber und Kinder schlafen, und ein kleines Feuer auf dem Herde sind der einzige Luxus. Ist der Gaucho daheim, so schläft oder spielt er, und an deni Spiele sieht man hier und da selbst einen Klosterbruder Theil nehmen Bei Regenwetter versammelt sich die ganze Familie mit Gästen, Hunden, Schweinen und Geflügel in anmuthiger Mischung in der Hütte, und wenn der Rauch des nassen Holzes die Hälfte des Gemaches anfüllt, so können einem Europäer diese Nebelgestalten in der trüben Atmosphäre wie Spukgeister erscheinen. Einige wenige Obstbäume umgeben in der Regel die Hütte. Die Weiber beschäftigen sich mit dem Anbaue des wenigen indianischen Kornes, woraus sie ihr Brod backen; auch pflanzen sie Wassermelonen und Zwie¬ beln. Sie tragen Hemden von Baumwolle und Röcke von Boy oder blauem Tuche; Arme und Nacken sind bloß. Wenn sie ausreiten (sie gelten in der Reitkunst für eben so geschickt, als die Männer), tragen sie Schärpen oder Shawls von glänzendfarbigem Boy und haben Strohhüte auf. Der Ge¬ brauch des Tabaks ist beiden Geschlechtern gemein; sie rauchen ihn in Form von Cigarren, indem sie die Blätter in ein Maisblatt wickeln. 12 Vergleichende Ansicht der Steppen *) Am Fuße des hohen Granitrückens, welcher im Jugendalter unseres Planeten bei Bildung des Antillischen Meerbusens dem Einbruch der Wasser getrotzt hat, beginnt eine weite, unabsehbare Ebene. Wenn man dieBergthäler von Caracas und den inselreichen SeeTacarigua, in dem die nahen Pisang- stämme sich spiegeln; wenn man die Fluren, welche mit dem zarten und lichten Grün des tahitischen Zuckerschilfes prangen, oder den ersten Schatten der *) Nach Alex, von Humboldt: „Ansichten der Natur", Theil I.