235 jetzt wohnen auch andere Familien darin, denn in Folge der fort und fort gesteigerten Lohnforderungen der Schiffszimmerleute ist der Schiff- bau immer mehr zurück gegangen, und es sind auf diesem Werft, wo an 6—8 Schiffen zu gleicher Zeit gebaut werden könnte, nur eins oder zwei in Arbeit. Und dabei ist auch noch weniger der Gedanke an Gewinn maßgebend (Rickmers ist zugleich ein bedeutender Rheder), als vielmehr die Absicht, den alten treu gebliebenen Arbeitern Beschäftigung zu geben. Wie das hämmert und klopft! Es muß aber auch oft genug Säge, Beil und Hammer gerührt werden, bis ein Seeschiff fertig ist. Fragen wir einmal nach. Freundlichst wird uns die Antwort ertheilt: An einem Schiff von 221 Fuß Kiellänge und 991 Lasten (ä 4000 Pfund) Tragfähigkeit haben etwa 50 Mann 4 — 5 Monate lang gearbeitet (genau 25,714 Arbeitstage). Dabei ist selbstverständlich die Arbeit der Schiffstechniker, welche die Zeichnung entwerfen und von jedem Stück Holz vorher Größe und Form genau angeben, nicht mitgerechnet. Einen herlichen Anblick gewährt es, wenn so ein stolzes Schiff dem Wasser übergeben wird, und obgleich in Bremerhaven ein solches Schau- spiel nicht gerade selten ist, zieht es doch meistens einige Hundert Zu- schauer heran. Der Kiel des Schiffes liegt auf einer schrägen Unter- läge von Holz, dem Helgen, welcher zur Zeit, wenn das Schiff ablaufen soll, mit Fett und Seife dick belegt ist. Wenn die Stützen entfernt sind, hält nur noch ein langer Hebelarm, das sogenannte Schloß, das Schiff fest. Hat der Meistersknecht (Aufseher der Zimmerleute) sich durch einen Rundgang überzeugt, daß Alles in Ordnung ist, so giebt nach einem kurzen Gebet der Baas dem Meistersknecht einen Wink, und dieser schlägt mit einer scharfen Axt das Seil, welches das Schloß hält, durch. Lang- sam beginnt der gewaltige Bau zu gleiten, ein Hurrah erschallt, aber schneller wird die Bewegung, die Flaggen an den Masten werden zum ersten Mal entrollt, sie flattern, das Schiff hat sein Element erreicht. Hoch auf zischt und schäumt das Wasser. Noch einige Male schwankt das Schiff langsam hin und her, gehalten von den Ankerketten, dann liegt es ruhig auf dem Wasser, auf welchem es, so Gott will, 30 Jahre oder noch länger dem Handel der Nationen dienen soll. Mit scharfen Blicken wird es jetzt gemustert, besonders von dem Baumeister und den anwesen- den Capitänen, denn nun erst zeigt es sich, ob das Schiff gut zu Wasser liegt. Geestemünde ist mit Bremerhaven durch eine eiserne Brücke über die Geeste verbunden, welche mit leichter Mühe auf einem in der Mitte des Flusses erbauten Pfeiler so gedreht werden kann, daß die Schiffe, auch die größten, passiren können. Geestemünde hat viel zu thun gehabt, neben Bremerhaven einige Bedeutung zu gewinnen. Der Hasen daselbst und die dazu gehörenden Anlagen und Einrich- tungen sind freilich eben so gut und theilweise besser als in Bremerhaven — es stehen z. B. an der Kaimauer hin eine Reihe hydraulischer Krähne, durch welche die Schiffe mit außerordentlicher Geschwindigkeit beladen