— 246 — ihnen stürzen rauschende Bäche hinab in den See. Unser Schiffer zieht das Ruder ein. Er ergreift ein Gewehr, das neben ihm auf dem Boden liegt, und schießt es ab. Die Felsenwände geben den Knall hundertfach wieder. Wie lang anhaltender Donner klingt das Echo an unser Ohr. Weiter geht die Fahrt: über uns der blaue Himmel, unter uns die grün- blaue Flut, um uns die himmelanstrebenden grauweißen Felsen. Nach einiger Zeit nähern wir uns dem oberen Ende (Südende) des Sees. Hier verlassen wir den Kahn. Vor uns breitet sich ein weites Trümmer- seld aus. Gewaltige Steinblöcke, die einst auch iu luftiger Höhe thronten, find herniedergestürzt und zerschellt. Zwischen dem efeuumsponnenen Block- werk, niederem Krummholz und Alpenrosen schreiten wir auf schmalem Fußweg dahin und stehen schon nach zehn Minuten vor einem zweiten See, der ebenfalls umschlossen ist von himmelhohen Felsen, von denen Wasserfälle mit einförmigem Rauschen ihre Gewässer niedersenden. •— Wir fetzen uns auf einen Steinblock nieder und betrachten sinnend den einsamen See: die finsterblaue Farbe des Wasserspiegels, die bewaldeten Berghänge, die starrenden Felswände. Alles ist still. Nur das eiu- förmige Rauschen der Wasserfälle und zuweilen das Geschrei eines Vogels, der über den See dahinfliegt, tönt an unser Ohr. Nachdem wir uns satt gesehen haben, treten wir den Rückweg zur Landungsstelle an. Auf dem Rückwege ruht unser Blick bewundernd auf dem gewaltigen Gipfel, der über die Felswände emporragt, die den Königssee umfassen. Er spaltet sich in zwei Hörner, die durch eine schmale, mit ewigem Schnee bedeckte Wand (Grat) verbunden sind. (Zeichnen!) Ein versteinerter König ist's mit seinem Weibe. So meldet die Sage. Watzmann ist sein Name. Vor uralter Zeit herrschte er über das Alpenland. Sein Schloß stand in der Nähe des Königssees und blickte freundlich mit seinen hohen Türmen hinaus in das Land. Er war aber grausam und hart gegen alle seine Untertanen und quälte Menschen und Tiere. Einst überritt er auf einer Jagd ein altes Mütterlein, welches mit seinem Enkelkinde vor einer kleinen Hütte ruhte, so daß das Kiud mit seiner Wärterin einen entsetzlichen Tod fand. Als auf das Wehgeschrei der Sterbenden die Eltern entsetzt aus der Hütte eilten und laut jammerten, hetzte er auf sie seine wilden Hunde und ließ sie zerreißen. Da hob das Mütterlein noch einmal seine blutende Hand gen Himmel und flehte um Strafe für den Wüterich. Und Gott erhörte sie. Der König und seine Gemahlin, die kalt zugesehen hatten, wurden in riesige Felsen verwandelt zum war- uenden Beispiel für herzlose und grausame Menschen. Früher standen Obersee und Königssee in Verbindung. Erst durch die herabstürzenden Blöcke ist der breite Damm entstanden, der jetzt die beiden Seen trennt. Freilich hat es Jahrhunderte gedauert, ehe dieser Damm so breit und fest wurde, wie er jetzt ist. Wir kennen nun die Schönheiten des Königssees. Gib sie an! (Wasser. — Uferwände. — Echo. — Sturzbäche.)