— 289 — wenig wie dort von den trägen Bewohnern gründlich ausgebeutet wird. In der Nähe des Hauptstromes, der Weichsel, ist vorherrschend Marschland mit weiten grasreichen Wiesen und vortrefflich gedeihendem Getreide; auf dem Gebirge werden hauptsächlich Kartoffeln gebaut, die da auch die Hauptnahrung sind, weshalb bei ihrem Mißrathen große Noth entsteht. Bedeutender als der Ackerbau ist die Viehzucht, aus Hornvieh, Pferde, Schafe und besonders Schweine, deren viele ausgeführt werden. Die Rinder sind weißblau, haben kurze Hörner, gestreckten Körperbau und munteres Wesen; die Pferde sind nicht groß, aber kräftig und ausdauernd. Dem Handel fehlen die Straßen, der Industrie der innere Trieb im Volke. Die Armuth ist groß und sast all- gemein; auf allen Wegen begegnen einem bleiche, zerlumpte Bettlergestalten. An landschaftlichen Schönheiten fehlt es nicht, aber das Land ist sehr dünn bevölkert; die Dörfer, öde, staubig, still, liegen weit von einander. Die Be- wohner sind in der großen Mehrzahl Slaven (Polen und Ruthenen, jene römisch, diese griechisch katholisch), dazwischen Deutsche und sehr viele Juden. Die Deutschen, die meist die Wohlhabenderen sind, werden von den Polen gehaßt. Die Juden treiben und vermitteln fast allen Handel und Verkehr, und besonders die ländliche Bevölkerung ist fast ganz in ihren Händen. Aber auf den adligen Gütern spielen sie eine traurige Rolle und müssen sich zu Allem brauchen lassen. Den Fremden fallen die struppigen, schmutzigen Gestalten mit dem zudringlichen Anbieten ihrer Waaren sehr lästig. a. Ostgalizien wird dem größeren Theile nach von Ruthenen be- wohnt. Haliez (Halitsch), wovon das ganz^Land später den Namen erhielt, war in alter Zeit ein berühmtes russisches Großfürstenthum mit einer Haupt- stadt gleichen Namens am Dnjestr, dann als unabhängiges Königreich blühend und mächtig, und wurde im 14. Jahrhundert von den Polen erobert. Noch jetzt rühmt sich manche adlige Familie, von den alten Großfürsten von Haliez abzustammen. Die Ruthenen oder Rusniaken, Rusnaken, Ruffinen (Klein- Russen) sind ein russischer Stamm. Der Adel ist fast ganz polonisirt. Der Bauer aber, wie die Geistlichkeit — sie bekennen sich zur griechischen Kirche, neuerdings mit der römisch-katholischen unirt — halten noch bis heute in Kleidung, Sprache, Sitten streng an dem Ruthenischen fest, gehen auch keine Verbindungen mit den benachbarten Völkerstämmen ein, am wenigsten mit den Polen, die sie, wie alle Russen, glühend hassen. Der ruthenische Bauer ver- fertigt sich seine sämmtlichen Gerätschaften selbst, er ist sein eigner Tischler, Schuhmacher, Schneider, Wagenbauer, Baumeister. Besonders geschickt sind sie als Fuhrleute, von Kindheit an werden sie zum Reiten und Fahren ange- lernt, und es ist gar lustig anzusehen, wie so ein kleiner 5jähriger Flachskopf (denn die Ruthenen haben sast alle, Männer und Weiber, weißes Haar) keck auf hohem Pserde sitzt oder sicher den Wagen lenkt. Die Gebirgsbauern sühren (vgl. D.) ein patriarchalisches Leben. Es bleiben Vater und Mutter und Söhne und Töchter und Enkel so lange als möglich unter ein und dem- selben Dache vereinigt, der alte Vater ist das gebietende Oberhaupt, er über- wacht Sittlichkeit und Ordnung, er verwaltet das Hausvermögen, er bestimmt die Beschäftigungen der Frauen und die Arbeiten der Söhne und Enkel. Da muß ein Sohn den Viehhandel treiben, ein zweiter als Fuhrmann in ferne Gegenden ziehen, ein dritter vielleicht mit Eisenwaaren handeln oder den Kriebitzsch, Geographie. II.