496 Bilder aus Amerika. nur die Wirkung langer Zeit und Arbeit sein kann. In dieser Be— ziehung bieten wenigstens die älteren Teile der Vereinigten Staaten Bilder, die einen größeren, freieren Zug in sich haben als die meisten in der alten Welt. Man muß allerdings gestehen, daß ein großer Reiz fast ganz fehlt. Wir denken an die Küste. Die amerikanischeKüste ist fast aus— nahmslos niedrig, einförmig, zahm. Es fehlen ihr die alpinen Felswände, die kühnen Vorgebirge, die Höhen, die aus dem Binnenlande herüber— schauen, und alle jene herrlichen Dinge, welche die Mittelmeerküste zu einem Weltwunder machen. Der Anerikaner spricht gern von der Größe seiner Baien und Flüsse, aber Dinge dieser Art bedürfen einer gewissen Erhebung in der Landumgebung. So wunderbar die Bai von New-York für den Handel geeignet ist, so untergeordnet ist ihr Platz neben anderen großen Häfen in landschaftlicher Beziehung. Der oft gehörte Vergleich mit Neapel ist besonders unpassend denn es möchie schwer sein, zwei Meerbusen zu finden, die in Wirklichkeit einander weniger gleichen. Auch in der Farbe hat das Meer an den nord— amerikanischen Küsten weniger Anspruch auf Schönheit als im allge— meinen die europäischen. Meistens ist das Wasser grün, das sichere Zeichen seichter Ufer, während im Mittelmeer das Blau der Tiefe bis an die Felsen des Ufers reicht. — Gerade die Küste erinnert uns daran, um wieviel die Zeit, die Kultur, die Arbeit den natürlichen Reiz einer Landschaft erhöhen können. Die See hat an der holländischen Küste dasselbe Grün, und die Ufer sind dort flacher, aber man er— blickt nie diese Wiesen, Dörfer, Kirchen und alle anderen mensch— lichen Werke, die sogar unter dem Spiegel des Meeres liegen, ohne eine Art von Ehrfurcht vor der menschlichen Arbeit zu empfinden. Es ist kaum möglich, eine holländische Landschaft zu betrachten, ohne daß man glaubt, zu gleicher Zeit ganze Seiten der Geschichte des Volkes zu lesen. — In der alten Welt zeigt Deutschland in manchen Beziehungen am meisten Ahnlichkeit des landschaftlichen Eindrucks mit Nordamerika. Zerstreute Waldparzellen fehlen ihm weniger als dem südlich und östlich von ihm gelegenen Ländern, und sein Anblick ist weniger nackt als der Frankreichs. Vereinzelte Häuser sind ebenfalls in Deutschland häufiger als in Frankreich. Die Gewohnheit des Beisammenwohnens der ländlichen Bevölkerung in Dörfern giebt jeder, besonders aber der deutschen Landschaft, einen Anklang von Parkcharakter, aber natürlich ohne künstliche Verschönerungen, wie sie diesem eigen sind. In Nord— amerika ist dieser Charakter bei der Masse zerstreuter Wälder und Waldseeen und durch die natürliche Grazie der Natur oft noch deut— licher ausgesprochen. Besonders an trüben Tagen bringt mancher Fernblick in Nordamerika ein parkartiges Bild vor Augen, weil dann wohl das Schöne in dieser Scenerie empfunden, die Mängel im einzelnen aber verdeckt werden. Seeen und Wasserfälle sind in Nordamerika weit verbreitet und tragen sehr viel zur Belebung der einförmigen Landschaften bei— Manche Seeen sind sehr lieblich, aber keiner kann mit den schönsten