16 Einleitung. Mittlern, nördlichen und westlichen Europa zu neuen, größeren, aber heiligeren Wanderungen; Byzanz öffnet ihnen die goldenen Thore, und vor den stau- nenden Blicken steigt die glanzvolle Welt des Morgenlandes auf, mit sich weiter und weiter in zauberische Fernen zu vertiefen. Mit jugendlicher Begier wird da jede neue Kunde vernommen. Die Wunder der antiken Erdbeschrei bnng gewiuuen frische Bedeutung: Homers Cyclopeu und Pygmäen, Hero dots Arimaspen mischen sich mit den byzantinischen Erzählungen vom Magnet berge und vom Lebermeer; eine ganze Märchengeographie entspinnt sich, und doch wird man selbst in dieser krausen Lust des Fabulirens den lebendigen Kern eines Interesses an Ländern und Völkern nicht verkennen dürfen, aus dem in geklärteren Zeiten ein ernster forschender Trieb sich zu entwickeln .vermochte. — Zwar minder glänzend, aber nicht minder wichtig war was seit Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ein Seitenzweig der Kreuzzüge an der fernen Ostsee geschaffen. Denn hier begründet der deutsche Ritter, gefolgt vom deutschen Ackerbauer, in neuen Staaten eine neue Cultur. Mit ihnen verbindet sich das stolz aufstrebende Bürgerthum der Hansa, und während beide die Welt des litthanischen Volks und der russischen Slaven erschließen, sind die italienischen Seestädte in ausgedehnten Handelszügen und Colonisationen unermüdlich beflissen, die Kenntniß des Orients für Süd- europa festzuhalten und zu erweitern. Venedig und Genua, Pisa und Amalfi stehen allen voran. Aus Venedig aber geht Marco Polo hervor, der „Herodot des Mittelalters," der in viernndzwanzigjähriger Wanderung (1271 bis 1395) das ferne Ostasien durchzieht und die Länder der Mongolen, Indien, China, selbst Japan zuerst dem Abendlande nahe bringt. Im Kerker dietirt er als Kriegsgefangener seine Erinnerungen einen: Genossen, und rasch verbreitet sich das merkwürdige Buch über ganz Europa. Aber ebenso rasch folgen den Schritten des vielbegabten Mannes Wanderer aller Art und aller Natioueu: Häudler, Mönche, Jäger, irrende Ritter; unter ihnen der Franzis- kaner Oderieo von Pordenone (Oderich von Portenau), der Engländer John Manndeville (Johannes von Montevilla), dessen phantastischer Reisebericht Jahrhunderte hindurch gelesen worden, der päpstliche Legat Johannes Mari- gnola, endlich schon nahe dem absinkenden Mittelalter der Tiroler Oswald von Wolkenstein. Als zehnjähriger Knabe läuft derselbe in die Welt, „drey Pfennig in dem pewtel und ain stucklin prvt," dann mit fünfundzwanzig Jahren kehrt er zurück, grau, einäugig und sonnverbrannt, um nach kurzer Rast abermals den bacchantischen Taumelzug zu beginnen, der ihn durch gauz Europa und große Strecken Asiens und Afrikas führt (f1445). Inzwischen können die wenigsten von all den Nachzüglern Marco Polos diesem selber irgendwie verglichen werden. Sie sind Charaktergestalten ihrer Zeit, einer chaotisch gährenden, fast nur im Reiz des Abenteuers befriedigten Zeit, wäh-