Fürst Adolf zu Schaumburg-Lippe.
Heimalkunde
des
Fürstentums Schaumburg-Lippe
Aür Schule und Haus
bebtet ^ Zx,^k-sjZ^-znL!s Le'iulduL^ssrsetmiG
W. Äiegmann. vz-L^nsc^v/EZg
Mit 3 Holzschnitten im Text, einem Bilderanhange und 1 farbigen Trachtenbilde.
Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage.
Stadthagen.
Verlag von Heinrich Heine.
1912.
Interna^-1®5 S»lH'Jb'Jchmst"rtut
J inventarisiert unter
BibliH'nek - 1SBI-SBJBM-
Druck der Grimmeschen Hofbuchdruckerei iu Bückeburg.
Heinrich ©ttmme.
III
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage.
Die im Jahre 1869 von Dr. Fuchs versatzte Heimatkunde
des Fürstentums Schaumburg-Lippe war bisher die einzige schnlge-
mäße Bearbeitung dieses Gegenstandes. Bei der grotzen Bedeutung
der Heimatkunde im gesamten Unterrichte muß jedoch heute eine
gründlichere Ausarbeitung des Stoffes gefordert werden, als sie
dort gegeben ist.
Das vorliegende Buch sucht dieser Forderung gerecht zu wer-
den, indem es den geographischen und geschichtlichen Stoff der Hei-
mat in ausführlichen Einzelbildern bringt. Zunächst will es eine
Handreichung für die Schule sein. Darum befleißigt sich die
Darstellung einfacher, kurzer Sätze. Aber auch fürs Haus möchte
das Buch Wert haben. Daher sind die wirtschaftlichen Verhältnisse
unseres Landes besonders eingehend berücksichtigt worden.
Bei der Auswahl des Stoffes wurde die sogen, engere Hei-
matknnde ausgeschieden, um den Umfang des Buches nicht unnötig
auszudehnen. Die Anordnung des Stoffes ist so gewählt worden,
daß das Buch in jeder Schule unseres Landes gebraucht werden kann.
Damit die geographischen Verhältnisse unserer Heimat denkend
betrachtet und allseitig erfaßt werden, ist das gesamte Gebiet in
natürliche Landschaften zerlegt worden. Die unterrichtliche
Behandlung geht felbstverständlich stets vom Schulorte aus und
verbreitet sich dann über die nähere und fernere Umgebung.
Wegen des Einflusses der geologischen Verhältnisse auf Gestalt
und Beschaffenheit des Bodens, auf Bewässerung, Tier- und Pflan-
zenleben, Beschäftigung der Bewohner usw. ist auch die Geologie
unserer Heimat und Umgebung in gemeinverständlicher Darstellung
kurz behandelt worden. Die Kenntnis dieses Gegenstandes ist sür
den Geographieunterricht im modernen Sinne eine notwendige Vor-
aussetzuug.
Der Artikel „Kunstgeschichtliches" will nur ganz allgemein
in das Verständnis der verschiedenen Bauweisen einführen.
Nienstädt im Januar 1905.
Der Verfasser.
IV
Vorwort zur zweiten Auflage.
Mit der vorliegenden zweiten Auflage erscheint meine Heimat-
künde in wesentlich stärkerem Umfange, weil der Stoff übersichtlicher
gegliedert wurde, einige Abschnitte neu hinzugekommen sind und der
Bilderanhang sehr vermehrt ist. Die Herstellungskosten sind dadurch
bedeutend größer geworden, so daß notwendigerweise auch der Preis
des Luches erhöht werden mußte.
An Einzelbildern sind neu oder in erweiterter Form anfge-
nommen: Unsere Pflanzen und Tiere, Mein Heimatland, Borge-
schichtliches, Die alten Germanen, Germanen und Römer, Die
Sachsen, Staatenbildung, Das Herzogtum Sachsen, Die Grafschaft
Schaumburg, Ansiedelungsgeschichte und Ortsnamen, Aus der Ge-
schichte unserer Dörfer und endlich Staatsbürgerkunde. Manche
dieser Abschnitte sind recht ausführlich behandelt worden, um die
Beziehungen der Gegenwart zur Vergangenheit deutlicher hervor-
treten zu lassen. Je klarer die heimatlichen Verhältnisse in ihrem
Werdegange erkannt werden, desto mehr wird auch die Neiguug
wachsen, an den mancherlei Aufgaben in Gemeinde, Staat und Reich
tatkräftig mitzuwirken. Diesem Zwecke will der letzte Abschnitt
„Staatsbürgerkunde" noch besonders dienen, indem er allgemein in
das öffentliche Leben der Gegenwart einführt.
Bei der Ausarbeitung der neu dargebotenen geschichtlichen
lichen Stoffe haben mir n. a. Deutsche Rechtsgeschichte vou Dr.
Richard Schröder, Deutsche Verfassungsgeschichte von Andreas Hensler
und Gau, Grafschaft und Herrschaft in Sachsen ?c. von Rudolf
Werneburg vortreffliche Dienste geleistet.
Für freundliche Förderung meiner Arbeit danke ich auch au
dieser Stelle zunächst den Behörden unseres Landes, ferner den
Herren Professor Dr. Müller, Professor Ballerstedt, Gymnasiallehrer
Beißner, Landgerichtsdirektor Höcker, Landrichter Dr. Zwitzers, Ober-
bürgermeister Dr. Külz, Schriftsteller Herin. Löns und allen, die
mich durch Mitteilungen unterstützt haben. Die Abbildungen der
verschiedenen fürstlichen Persönlichkeiten sind nach Originalgemälden
in den hiesigen Schlössern hergestellt und mir durch Se. Exz. Herrn
Oberhofmarfchall a. D. Frhru. v. Ulmenstein gütigst vermittelt
worden, wofür auch hier besonders gedankt sei.
Möge mein Heimatbuch auch in seinem neuen Gewände eine
srenndliche Aufnahme in Schule uud Haus siudeu und weiterhin
mithelfen an der Pflege eines echten Heimatsinnes und einer wahren
Heimat- und Vaterlandsliebe.
Nienstädt im November 1911.
Der Verfasser.
V
Inhaltsverzeichnis.
Geographischer Teil.
«eite.
I. Allgemeine Übersicht über unser Heimatland u. Nachbargebiet. 1—35
1 Unsere Heimat im Kartenbilde................1
2. Lage und Ausdehnung unseres Fürstentums . . 3
3. Oberflächengestalt, Bewässerung und Klima unseres
Landes ..............................6
4. Die Erdschichten unserer Heimat und Umgebung 16
5. Unsere Pflanzen- und Tierwelt................27
II. Ginzclbilder aus Schaumburg-Eippe und dem Hachbarlande 36—152
Die Niederung im Norden............36—65
1. Die Rehburger Berge.........• 36
2. Das Steiuhuder Meer....................45
3. Steinhude und Hagenburg................55
Das Kohlengebiet im Osten.........66—106
1. Der Bückeberg..........................66
2. Das Vorland des Bückeberges..............85
3. Stadthagen..............................94
Das Berg- und Flachland im Süden und
Westen...............107—135
1. Der Harrl..............................107
2. Bückeburger Aue und Gehle................111
3. Bückeburg..............................119
4. Der Schaumburger Wald..................131
Im Nachbarlande.............136—152
1. Deister und Süntel......................136
2. Die Weserbergkette........................140
3. Das Lippische Weserbergland..............146
4. Weser und Leine........................148
III. Gesamtbild unserer fieimat.............153—169
J. Die Bewohner..............................153
Die Besiedelung unseres Landes (<S. 153). Einwohner-
zahl, Erwerbsquellen und Beschäftigung (S. 154).
2. Ans nnserm Volkstum......................162
Volkstrachten (S. 162). Sprache, Sitten und Gebräuche
(S. 164). Eigenart (S. 167).
3. Mein Heimatland..........................168
VI
Geschichtlicher Teil.
I. £andesgefd)id)te
170—284.
I. Vorgeschichtliches (S. 170). 2. Die alten Germanen
(S. 171). 3. Germanen und Römer (S. 183). 4. Die
Sachsen (S. 191). 5. Das Christentum im Bukkigau
(©. 204). 6. Staatenbildung (©. 206). 7. Das Herzog-
tum Sachsen (S. 207). 8. Die Grafschaft Schaumburg
(S. 212). 9. Die Grafen zu Holstein und Schaumburg
bis zur Landesteilung (S. 216). 10. Landesteilung (©. 223).
II. Das Haus Schaumburg in: Mittelalter (S. 225).
12. Unsere Heimat am Ende des Mittelalters (S. 230).
13. Die Reformation in der Grafschaft Schaumburg (©.237).
14. Der 30 jährige Krieg (S. 245). 15. Teilung der
Grafschaft Schaumburg (S. 254). 16. Die Grafschaft
Schaumburg-Lippe bis 1777 (©. 256). 17. Der 7 jährige
Krieg (©. 263). 18. Schaumburg-Lippe am Ausgange
des 18. Jahrhunderts (©. 269). 19. Das Fürstentum
Schaumburg - Lippe im 19. Jahrhundert (©. 272).
20. Unser Fürst (S. 283).
II. JMiedelungsgefcbicbte und Ortsnamen........ 285—294.
Ortsgründungen (©. 285). Zur Namenkunde (S. 288).
Unsere Ortsnamen (S. 289). Wüstungen (©. 293).
III. Jfus der 6eld)id)te unlerer Dörfer......... 295—325.
Allgemeines. Meierrecht (©. 295). Höfeklassen (S. 296).
Grundherren (©. 299). Höfeschutz (©. 300). Aus alten
Verordnungen (S. 302). Bäuerliche Lasten (S. 310).
Rechtsverhältnisse seit 1600 (©.312). Dienste (S. 317).
Aus Erb- und Besaatregistern (©. 321). Befreiung des
Bauernstandes (©. 323).
IV. 5agen und Erzählungen aus der Fjeimat und Umgegend. 326—339
1. Hus Aren (S. 326). 2. Die Schaumburger Riesen
(S. 329). 3. Der Schneiderstein (S. 330). 4. Nu ri'e,
Rüken (S. 332). 5. Lat battern, wat battern well!
(S. 333). 6. Jsern Hinrik (S. 333). 7. Die Burglinde
vor der Schaumburg (S. 334). 8. Der Denkstein an der
Kirche zu Heuerßen (S. 335). 9. Die eisernen Männer
(S. 336). 10. Das Meisterstück (©. 338).
V. Kunitgeld)id)tlid)es
340—342.
Staatsbürgerkunde...............
1 Unsere Gemeinden (<&. 343). 2. Unser Staatswesen
(S. 352). 3. Das Deutsche Reich (S. 370).
343—380.
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VIII
Ernst 242.
Erntegebräuche 166.
Etzerfeld 292.
Evesen 116. 289.
Familiennamen 322.
Fasanenhof 115. 289.
Faust 130.
Feldgemeinschaft 175.
Festlichkeiten 308.
Feuerordnung 302.
Findlinge 23.
Fischer. Dr. W. 130.
Fulde 12.
Fürstengruft (Stadth.) 98.
Flasche, Herstellung 80.
Flurzwang 175.
Fluß 8. 9.
Frankenburg 141.
Frankenreich, Zerfall 199.
Freibrief 311.
Friedrich Christian 257.
Frielinge 193.
Frille il4. 116.
Frondienste 319.
Fronen 317.
Gallhof 88. 290.
Gasanstalt (Stadth.) 103.
(Bückeb.) 128.
Gau 176. 193. 194.
Gauverfassung, Aufhebung
196.
Gebäude 309.
Gebräuche 164.
Geest 25.
Geflügel 312.
Geflügelzucht 157.
Gehle 10. 112. 113.
Gemeinden 343.
Geologisches 16/26.
Georg Wilhelm 273.
Georg 280.
Georg-Mar.-Kriegerstistung
128.
Georgschacht 74.
Gerichtsbehörden 363.
Germanen 171 ff.
Germanikus 187.
Gesamt - Steinkohlenberg-
werk 73.
Gesinde 307.
Gesteinsgruppen 18.
Gewaltstreich, Der hessische
269.
Gewässer 9.
Gewerbe 306.
Gilden 231.
Glasbereitung 79.
Gogerichte 179.
Grabdenkmäler (Schaumb.
Wald) 135.
Grafenamt 209. 210.
Grafengericht 179.
Graffch. Schaumburg, Ent-
stehung 213.
Grassch. Schaumburg, Tei-
lung 254.
Große Karl 67.
Großenheidorn 60. 290.
Grundherren 299.
Grundherrschaften 212.
Grundzins 310.
Grünlandmoore 53.
Gustav Adolf 248.
Güterverkehr 101.
Gutsbezirke 351.
Gymnasium Adolfinum 126.
Habichhorst 89. 290.
Habrihausen 81. 290.
Hochmeister 301.
Hackshorst 117.
Hagenburg 61 ff.
Hcigendörfer 90 ff. 286.
Handel 39. 159. 306.
Handkarte 2.
Handwerk 159. 306.
Harrl 107 ff. 290.
Hart 67.
Hastenbeck 264.
Hausinschriften Stadth.
104.
Hausrichtungen 166.
Hauungsplan 132.
Heer 377.
Heerbann 177.
Heeßen 83. 290.
Heide 25. 51.
Heimatland, Mein 168.
Heinrich der Eiserne 224.
„ „ Löwe 220.
Heisterberg 67.
Heisterburg 136.
Helpsen 83. 88. 290.
Herder 130.
Heringsfänger 158.
Hermannsdenkmal 189.
Hermine 280.
Herminenstift 103.
Herzogsamt 207.
Hespe 88. 290.
Hess. Oldendorf, Schlacht
bei 248.
Heuerßen 81. 290.
Hevesen 115. 290.
Hiddensen 88. 290.
Hiddenserborn 88. 290.
Hirschkuppe 141.
Hobbensen 88. 290.
Hochzeitsfeiern 165.
Höckersau 116. 290.
Höfeschutz 300.
Hofgericht 302.
Höhe, abs. u. rel. 13. 37.
Hohenhausen 147.
Hohenholz 64. 290.
Hohenstein 138.
Holpe 10. 86.
Holtinge 233.
Holzordnung 234.
Hörkamp 94. 288.
Horsthöfe 88. 290.
Hufe 193.
Hülse 10.
Hülshagen 89. 290.
Hundertschaft 176.
Hünenburg 67.
Jagd 158.
Jagdfolge 319.
Jakobsberg 142.
Ida 277.
Jdaturm 109.
Jdistavisus 139. 150. 188.
Jetenburg 119. 290.
Jls 10. 38. 113.
Immunität 209.
Industrie 159.
Jobst Hermann 245.
Johannishof 99.
Juliane 135. 270.
Jura 20.
Justizkanzlei 301.
Justus I. 237.
Kaas, v. 135.
Kaiser 374.
Kaiserdenkmal 143.
Kapitularien 196.
Karpfenzucht 134.
Kelten 170.
Kinderschule 126.
Kirchenvisitation 240.
Kirchhorsten 82.
Kirchliche Verwaltung 366.
Kirchspiel 205.
Kleinbremen 145.
Kleinheidorn 60.
Klima 12.
Klippmühlen 313.
Klöster 204.
Klus (Petzen) 291.
Knatensen 108. 145. 290.
Kniepers 292.
Knüppeldämme 184.
Kobbensen 90. 290.
Kohle 22.
Kolonien (Bei Bückbg.) 120.
288.
Kolonien (bei Hagen bg.) 64.
288.
König, Frhr. v. 100.
Kontribution 311.
Krebshagen 94. 290.
Kreide 21.
Krieg, 30jähr. 245 ff.
„ 7 „ 263 ff.
Kriegerdenkmal 127.
Kruse 130.
Kuckshagen 88. 290.
Landesfarben 354.
Landesgesetze 369.
Landeshoheit 211.
Landesmuseum 129.
Landesteilung 223.
Landesverwaltung 235.
Landfolge 319.
Landgemeinden 347.
Landratsämter 356.
Landstraßen 232. 308.
Landtag 275. 354.
Landwehr 88. 231. 290.
Landwirtschaft 306.
Langenbruch 82. 288.
Lange Wand 141.
Lasten 310.
Laten 193.
Lauenhagen 89. 290.
Lazarett 129.
Lehnswesen 200.
Leibeigenschaft, Aufhebung
323.
Leine 86. 136. 151.
Lenchtenburg 291.
Levesen 83. 290.
Leveste, Treffen bei 220.
Liet 80.
Lietstollen 73.
Lindhorst 90. 290.
Lipp. Weserbergland 146.
Loccum 42. 43.
Loccumer Berg 37.
Lohhof 81. 226.
Lößlehm 24.
Lüdersfeld 90. 290.
Luhden 145. 291.
Luhdener Klippe 141.
Luth. Waisenhaus 103.
Malschweine 315.
Malstatt 177.
Mandelsloh 227.
Marie Anna 281. 282.
Markgenossenschast 174.
233.
Markwaldungen 234.
Marschland 26.
Martinslied 164.
Maschvorwerk 120. 291.
Materialkosten (Bergwerl)
78.
Matteschlößchen 40.
Mattkopp 313.
Medizinalwesen 359.
Meerbach 12. 48.
Meerbeck 88. 291.
Meierbries 296.
Meierding 202.
Meiereien 300.
Meiergntsversassuug 201.
Meierrecht 295.
Meinefeld 82. 291.
Meinsen 115.
Mente 96.
Messingsberg 141.
Militär 368.
Minden 151.
Bistum 204.
Schlacht bei 265.
Ministerium 355.
Mittelalter, Ende des 230.
Mittelbrink 89.
Molkerei 62.
Moor 51.
Moor, Das Tote 12.
Moorkultur 53.
Mühlen 40. 312.
Müsingen 115. 291.
Namenkunde 288.
Natenhöhe 89.
Nebenbahn Stadth.-Rint.
102.
Nenndorf, Bad 137.
Nefselberg 141. 142.
Neuhütte 79.
Neumühlen 115. 291.
Neuseggebruch 115. 289.
Neustadt a. Rbg. 151.
Niedernholz 90. 294.
Niedernwöhren 88. 291.
Niederschläge 13. 14.
Nienbrügge 89. 291.
IX
Nienhagen 61.
Nienstädt 82. 291.
Nordholz 116. 287.
Normalhöhenpnnkt 13.
Nothold 105.
Nutzholz 133.
Obentraut 246.
Oberukirchen 82. 83.
Obernk. Sandsteinbrüche 70
Obernwöhren 81. 291.
Obstbau 157. 306.
Oldesloer Bertrag 228.
Ortsgründungen 285 ff.
Ortsnamen 289 ff.
Osten 309.
Osterb rink 108.
Osterholz 76.
Osterteu 87.
Osper 144.
Otto l., II., III. 22«! ff.
„ IV. 238.
„ V. 250.
Pageskamp 291.
Papenbrink 141.
Papiermühle, ArenSb. 117.
Paschenburg 141.
Paß 67.
„ Arensburger 142.
Kleinbremer 142.
Personenverkehr 101.
Petzen 115. 291.
Pflanzen 27/31.
Pflanzkämpe 132.
Philipp 256.
Philipp Ernst 269.
Polizeibehörden 357.
Polizeiordnung 302.
Pollhagen 88. 291.
Porta 143.
Probsthagen 89. 289.
Produkte 38.
(huäbesse 53.
!»athaus (Stadth.) 99.
(Bückeb.) 125.
Rauchhnhn 202.
Rechtspflege 235.
Reeke 10.
Reformation, Eins. 239.
Reform. Waisenhaus 127.
Kirche (Stadth.) 98.
Rehburg, Bad 41.
Rehburger Berge 36.
Reich, Das Deutsche 370 ff.
X
Reinsen 81. 291.
Remeringhausen 81. 291.
Rennriehekanal 112.
Rheinbund 272.
Rinteln 151.
Röcke 116. 291.
Röcker Berg 110.
Römer 183.
Rösehöfe 83. 291.
Rote 113.
Rote Klippe 141.
„ Scheune 291.
Rotwild 68.
Rnndenfelde 291.
Runen 139. 182.
Rusbend 115. 291.
Kaatkämpe 132.
Sachsen 191 ff.
Sachsenhagen 41.
Sachsenkriege 195.
Sandfurt 110.
Sandstein 22.
Sanverbach 112.
Sattel 67.
Schauenstein 79.
Schaumburg 141. 142.
Teilung der
Grafschaft 254.
Schaumburg-Lippe, Größe
und Lage 3.
Schaumburger Wald 131 ff.
Schatzgefälle 310.
Scheidungswindmühle 291.
Scheie 120. 291.
Schermbeck 145. 292.
Schermbeeke 9.
Schichtgesteine 17.
Schieferton 22.
Schierbach, Hütte 79. 292.
Muß 86. 292.
Schierneichen 115. 292
Schlagbäume 309.
Schlingmühle 117.
Schloß (Stadth.) 96.
„ (Bückeb.) 122. 123.
Schmalenbruch 41. 292.
Schnatbeziehen 96.
Schokoladenfabrik 59.
Schriften, Sächsische 203.
Schwarze Berge 12.
Schwarzwild 69.
Schweinemast 316.
Schwimmende Wiesen 53.
Seeprovinz 64.
Selliendorf 145. 292.
Seminar 126.
Sippe 176.
Sitten 164.
Soltauer Heide 229.
Sonderrecht, Das bäuer-
liche 348 ff.
Spangenberg 72.
Sparkasse 62.
Spießingshol 39. 292.
Sprache 164.
St. Annen 292.
Staatenbildung 206.
Staatsbürgerkunde 343 ff.
Staatswappen 354.
Staatsweseu, Unser 352.
Städtegründungen 286.
Stadtgemeinden 345.
Stadthagen 94 ff.
Stadtkasse (Stadth.) 100.
„ (Bückeb.) 123.
Stadtkirche (Stadth.) 97.
„ (Bückeb.) 123.
Stadtrechte 230.
Stammtafel 242. 256.
Steinbergen 117. 292.
Steinbruch 70.
Steinhude 55 ff.
Steinhuder Meer, Größe
11.
Steinhuder Meer, Beschrei-
bung 45 ff.
Steinhuder Meerbahn 44.
Steinzeit 25.
Stemmen 83. 292.
Sternberg 226.
Steuern 102. 345.
Strafen 320
Strafpfähle 308.
Strauß u. Torney, v. 130.
Strohdächer 309.
Südhorsten 83. 292.
Sülbeck 81. 82. 292.
Süntel 137.
Süntelturm 138.
Tallensen 83. 292.
Taufformel 196.
Taxordnung 307.
Teutob. Wald. Schlacht
186.
Telegraphenverkehr 101.
Thamesbeutel 308.
Tiberius 185.
Tiere 31/35.
Torf 52.
Torfmoore 26.
Totental 139.
Trias 19.
Nnterrichtswefen 365.
Urkunde 315.
Varenholz 147.
Varus 185.
Vehlen 114. 292.
Behler Wieh 129.
Verkehr 160. 306.
Verkehrswesen 368.
Verkoppeluug 325.
Verordnungen. Aus alten
302.
Versteinerungen 17.
Viehzucht 156.
Villikation 202.
Vogtei 210.
Völkerschaften, Germ. 182.
Volksdorf 88. 289. 292.
Volkstrachten 162 ff.
Vornamen 322.
Vornhagen 89 292.
Vorwerke 300.
Wackerfeld 82. 292.
Wahrgeld 234. 315.
Waldberechtigungen 316.
Waldwirtschaft 158.
Walleustein 247.
Wandkarte 2.
Warber 115. 292.
Wasserscheide 7.
Wasserwerk (Bückeb.) 128.
Wealden 21.
Wege 232.
Weinberg 110.
Weinkauf 315.
Weiße Berg 12.
Wendthagen 82. 292.
Wendthöhe 79. 82. 292.
Wergeld 196.
Weser 148.
Weserbergkette 140 ff.
Westfäl. Friede 252.
Wetterscheide 7.
Widdensen 115. 292.
Widukind 197.
Wiedenbrügge 41. 292.
Wiedenbrügge Berg 37.
Wild 133.
Wilhelm 259.
Wilhelmstein, Größe 12.
Beschreibung
49 ff.
Wilhelmsturm 40.
Windhorn 41.
Windmüller 313.
Winzlar 41.
XI
Wirtshäuser 314.
Wittekindsberg 143.
Wittekindskapelle 144.
Wölpinghausen 39. 292.
Wulfhagen 88. 292.
Wunstorf 60.
Wüstungen 293.
Dehnte 312.
Zementmühle 117.
Zeven 264.
Ziegelei-71.
Ziegenbach 11.
Zoll 313.
Zollamt (Stadth.) 102.
(Bückeb.) 127.
Zünfte 231. 306.
Zweifelderwirtschaft 175.
Geographischer £eil.
I. Allgemeine Übersicht
über unser Heimatland und Nachbargebiet.
1. Unsere Heimat im kartenbilde.
Nur ein geringer Teil der Heimat wird unseren Schülern aus
eigener Anschauung bekannt. Damit sie aber das gesamte Heimat-
land kennen lernen, müssen Wort, Bild und Karte aushelfen. Von
ganz besonderer Wichtigkeit ist die Karte. Ihre Farben und
Zeichen bieten ein deutliches Gesamtbild. Manches kann ohne
weitere Belehrung abgelesen werden. So zeigt uns ein rotes Band
aus unserer Heimatkarte, wie die Grenze unseres Fürstentums Der-
laust. Die vielen schwarzen Ringe und Flecken, welche in ver-
schiedener Größe bunt durcheinander über das Kartenbild oerteilt
sind, bezeichnen die Wohnplätze der Menschen. Die wie ein Netz
oereinigten Striche lassen erkennen, ob Wege oder Bahnen oon
einem Orte zum andern sichren. Die blauen Bänder deuten die
Flußläufe an. Als größten Fluß erkennen wir die Weser. Sie
beschreibt ein großes Knie nm unsere Heimat herum. In der Nord-
ostecke der Karte ist ein kurzes Stück eines anderen größeren Flusses
dargestellt, das die Leine bezeichnet. Man sieht deutlich, daß unser
Heimatland nicht bis an diese beiden Flüsse heranreicht, daß es
aber ein großes Gewässer vollständig einschließt, nämlich das Stein-
huder Meer. Diese Wasserfläche ist 0ou den meisten Orten unseres
Landes aus nicht zu sehen, da die Rehburger Berge den Blick
dorthin begrenzen. Die Lage der Rehburger Berge ist durch braune
Farbe bezeichnet, woran wir auch das übrige Bergland unserer
1
Gegend erkennen. Je dunkler das Braun erscheint, desto höher
haben wir uns die Berge zu denken. Die hellen Flächen sollen
dagegen flaches oder ebenes Land bedeuten, das wir uns bewaldet
vorstellen müssen, wenn sich dort grüne Farbe findet. Der Bergwald
kann nicht durch Grün angedeutet werden, da das Braun schon
vorhanden ist. Noch viele andere Zeichen hat die Karte, deren
Bedeutung man nach und nach leicht kennen lernt.
Legen wir unsere Schul Wandkarte ausgebreitet auf deu
Fußboden und gehen darüber hin, dann können wir mit einem
Schritte von Bückeburg uach Steinhude kommen. In Wirklichkeit
ist der Weg aber 40 000 mal so lang. Das sagt uns eine Zahlen-
angabe am unteren Rande der Karte. Dort lesen wir: Maßstab
1 zu 40 000. Wir würden also 40 000 Schritte auf dem genannten
Wege machen müssen. Wenn wir in 1 Min. 100 Schritte machten,
würden wir zu dieser Strecke 400 Min. oder fast 7 Stunden
gebrauchen. Das Steiuhuder Meer hat aus derselben Karte rund
10 cm Breite, in Wirklichkeit aber 40 OOOutctl 10 cm oder 400 000 cm
= 4 000 m == 4 km. Um das bequemer zu finden, können wir
uns eineir Maßstab von Holz oder Papier machen, der ebenso ein-
geteilt ist wie der auf der Karte angegebene Maßstab. Wenn wir
nämlich damit auf der Karte messen, brauchen wir nicht erst zu
rechnen, sondern können all die Entfernungen gleich davon ablesen.
— Die Hand karte ist sehr viel kleiner als die Wandkarte; sie hat
den Maßstab 1:150 000.
Au fg.: Niederschrift einzelner Sätze und Namen.— Übung im Zeichnen
der Kartenzeichen: Weg, Straße, Bahn; Dorf unter 250, von
250—500 Einw. usw., Kirchdorf, Stadt. — Erkläre kurz die
Darstellung der Berge ! — Zeichne Schulort und Nachbarorte,
Windrose ! — Fertige ein Maß auf Papier mit der auf der Karte
angegebenen Einteilung an ! — Bestimme einige Entfernungen !
— 3 —
2. Lage und Ausdehnung unseres Fürstentums.
Kage. Das Fürstentum Schaumburg-Lippe liegt zwischen
mittlerer Weser und Leine und dehnt sich hier von SW nach NO
aus, ohne jedoch diese Flüsse zu berühren. Es füllt einen großen
Teil des Weserkuies (Hameln, Vlotho, Stolzenau) zwischen dem
Deister und der Porta aus. Im 3 lehnt sich unser Land an die
Weserbergkette, im N wird es von deu Rehburger Bergen durchzogen.
Seine geographische Lage ist zwischen 8°58' bis 9°26' östlicher Länge von
Greenwich und 52°12' bis 52°30' nördlicher Breite. Es dehnt sich demnach
28 Minuten von V/ nach O und 18 Minuten von S nach N aus. Wv.
km sind ba§ ? (Auf dem Breitenrande der Karte ist 1 Min. etwa =
1 km, auf dem Längenrande sind 3 Min. = 5% km.)
Gestalt nnd Größe. Unser Land ist sehr unregelmäßig
gestaltet. Es hat Ähnlichkeit mit einem kurzen Beil, aus dem ein
Stück herausgesprungen ist. Zeig Griff, Beil und das sehlende
Stück! Seine größte Ausdehnung hat es von 3 nach N (Länge);
die Ausdehnung von W nach O (Breite) ist sehr verschieden. Zeig
und miß einzelne Breiten! Wäre unser Land überall gleich breit,
so könnten wir seine Größe oder seinen Flächeninhalt leicht bestimmen.
Wie fanden wir doch den Flächeninhalt unserer Schulstube? Was
werden wir hier also zunächst suchen? Was dauu? Wir stellen
als ungefähre Längenausdehnung 34 km sest und als mittlere
Breite (Erklärung!) 10 km. Diese Maßzahlen nehmen wir mitein-
ander mal. Was finden wir? Das ist die Größe. (Genaue Größe
340,299373 qkm. Lies diese Zahl als qkm, ha, a und qm!)
Grenzen. Wir umkreisen die Grenzen unseres Landes! Im
N wird das ganze Steinhnder Meer von der Grenzlinie umzogen.
Im O nähert sich die Grenze der Stadt Wunstorf, wendet sich von
1*
— 4 —
hier nach den Rehbnrger Bergen, umgeht Sachsenhagen in weitem
Bogen uud erreicht den Bückeberg; bei Obernkirchen zieht sie sich
ins Tal der Bückeburger Aue hinab. Im 3 springt die Grenze
über die Weserbergkette, kommt dann wieder zurück uud folgt der
Schermbeeke. Im V/ bilden Aue und Schaumburger Wald die
Grenze. Stellenweise sind Berge und Gewässer die Grenze. Zeigen!
Natürliche und künstliche Grenzen! — Beachte jetzt die verschie-
denen, äußeren Grenzsarben! Im N wird unser Land von der
Provinz Hannover begrenzt, im 0 und 3 vom Kreise Grafschaft
Schaumburg, der zur Provinz Hefsen-Nassan gehört, und im XV
von der Provinz Westfalen. Die hannoversche Grenze beginnt bei
dem Flecken Wiedensahl und zieht sich um das Steiuhuder Meer
herum bis Mesmerode. Die hessische Greuze läuft von Düding-
Hausen bis Schermbeck. Von hier ab zieht sich bis Raderhorst die
westfälische Grenze hin. Alle umgrenzenden Gebiete gehören zum
Königreich Preußen, von dem also unsere Heimat vollständig um-
schlössen wird. Der nördlichste und zugleich östlichste Ort unseres
Landes ist Großenheidorn, der südlichste Steinbergen uud der West-
lichste Frille. — Wollte Jemand aus der Grenzlinie unser Laud
umgehen uud alle Biegungen beachten, so müßte er etwa 4 Tage
unterwegs bleiben, wenn er täglich 40 km zurücklegte; denn der
Umfang beträgt etwa 160 km. (Ein Erwachsener legt 1 km in
12 Min. zurück, alfo 5 km in 1 Std.; wv. Stunden würde er
täglich marschieren müssen, um 40 km zurückzulegen?)
Uame. Einst bildete unser Fürstentum mit dem Kreise Graf-
schast Schaumburg und mit anderen kleineren Gebietsteilen zwischen
Deister und Steiuhuder Meer die Grafschaft Schaumburg.
Diesen Namen erhielt das Gebiet nach der Schaumburg, dem alten
Stammschloß der ersten Landesherren. Im Jahre 1640 starb das
Geschlecht der Schaumburger Grafen mit Otto V. aus. Als dessen
Mutter Elisabeth die Regierung übernahm, wurden von verschiedenen
Seiten Ansprüche auf Teile ihres Laudes erhoben. Die durch die
Schrecken des 30jährigen Krieges schwer geprüfte Gräfin übertrug
nun ihre Rechte auf das Land ihrem Bruder, den! Grafen Philipp
von der Lippe. (Die Edelherren zur Lippe hatten ihre ältesten
Besitzungen au dem Flusse Lippe, nach dein sie sich benennen.)
Philipp schloß mit Hessen, das bedeutende Ansprüche erhoben hatte,
einen Vertrag, nach welchem die Grafschaft zwischen Hessen und
— 5 —
Lippe geteilt wurde (1647). Er selbst behielt die eine Hälfte, unsere
jetzige Hemmt, während Hessen die andere Hälfte bekam, den heu-
tigeu Kreis Grafschaft Schaumburg; kleinere Teile fielen an Braun-
schweig-Lünebnrg (jetzt Hannover). Dieser Teilungsvertrag wurde
eiu Jahr später im westfälischen Frieden bestätigt. Für den Anteil
des Grafen Philipp wurde in der Folgezeit nach seinem Stifter
der Doppelname Schaumbnrg-Lippe gebräuchlich zur Uuterschei-
dung von dem an Hessen gefallenen Teil, der den alten Namen
Graffchaft Schaumburg behielt.
Aufg.: Beschreib die Lage unseres Landes nach Flüssen, Bergen, um-
grenzenden Ländern! — Erkläre natürl., künstliche Grenzen! —
Zeichne mit einfacher Linie das Weserknie von Hameln, Vlotho
bis Stolzenau und den Umriß unseres Landes!
— 6 —
3. Oberflächengestatt, Bewässerung und Klima
unseres Landes.
Ebene, Seeg, Tal. Unsere Heimat ist vorwiegend Flach-
land oder Ebene. Sie bildet den Anfang der großen norddeutschen
Niederung oder Tiesebene, aus welcher sich im N unseres Landes
als äußerster Vorposten des mitteldeutschen Berglandes die Reh-
burger Berge erheben. (Zur Wiederh.: Der auf die Ebene stoßende
Teil eines Berges heißt Fuß, der höchste Punkt Gipfel oder Kamm,
der Teil zwischen Fuß und Gipfel Abhang oder Böschung!) Kleinere
Erhebungen im N sind der Tienberg zwischen Bokeloh, Mesmerode
und Altenhagen, der feine Bodenwellen bis nach Steinhude wirft,
und der Wiedenbrügger Berg. Den 3 unseres Landes füllen sast
ganz zwei deu Weserbergen vorgeschobene Berggruppen aus, der
Bückeberg bei Stadthagen und der Harrl bei Bückeburg. Reh-
burger Berge, Bückeberg und Harrl bilden natürliche Grenzwälle
für den größten Teil unseres Fürstentums; sie schließen es gleichsam
wie die Ränder eines Beckens ab. (Zeichne mit einfacher Linie ein
Becken und benenne Mitte und Ränder!) Dieses abgegrenzte Gebiet
erscheint dem Auge als gleichmäßige Ebene. Dennoch finden sich
hier einige niedrige Bodenerhebungen (Bodenschwellen). Von Einfluß
auf den Lauf der Gewässer sind eine flache Bodenerhebung bei
Stemmen und eine andere, die von Sülbeck über Meerbeck nach
Wiedensahl verläuft. Letztere bildet, wie aus der Richtung der
Bäche zu erkennen ist, eine natürliche Scheidewand zwischen den
Ebenen von Bückeburg und Stadthageu. Sowohl im N als auch
im 3 werden jene Naturmauern von nnserm Heimatlande über-
schritten. Dort breitet sich um den größten Teil des Steinhnder
Meeres eine weite Tiefebene aus, hier greift eine kleine Fläche mit
den: Kirchdorfe Steinbergen über die Weserbergkette hinaus. — Das
Gebiet zwischen der Weserbergkette und dem Bückeberge nebst Harrl
bildet das Tal der Bückeburger Aue (Auetal). Es folgt den be-
gleitenden Bergen der Länge nach und wird darum Längental
genannt. Dieses Längental geht nach der Porta zu unmerklich in
das Flachland über. Mit demselben parallel läuft jenseits der
Weserbergkette das schöne Wesertal, das von dem südlichen Zipfel
unseres Landes berührt wird.
Die benachbarten öerge. Ganz int S unseres Landes zieht sich
wie eine hohe Mauer die Weserbergkette hm, welche jenseits
des Weserdurchbruchs Wieheugebirge heißt. Man nennt diese
Erhebung Bergkette (Kettengebirge), weil sie ans einer zusammen-
hängenden Reihe von Bergen besteht. (Die einzelnen Berge sind
die Glieder dieser Kette.) Ihre östliche Fortsetzung wird Süntel
genannt. Weserbergkette, Bückeberg und Süntel gleichen einer
Gabel, deren Stiel westwärts gerichtet ist, während ihre beiden
Zinken, Bückeberg und Süntel, nach N bezw. S hin weit um-
gebogen sind. Der offenen Gabel gegenüber breitet sich jenseits
des Rodenberger Auetals der Deister aus in der Richtung von
SO nach NW. (Vergleich mit einen: Dreieck: Weserbergkette
mit Süntel eine Dreiecksseite, Bückeberg und Deister die beiden
anderen.) Den südlichen Rand unserer Heimatkarte füllt das
Lippische Weserbergland aus. Es wird von der Weserberg-
kette und dem Süntel durch die Weser geschieden.
Die Berge als lüetter- und lüaiSerlcheiden. Reh bürg er Berge,
Bückeberg, Harrt nnd Weserberge halten die von 3 und W
kommenden Wetter (Regen, Nebel, Schnee) fest und zerteilen oder
scheiden sie. Häufig kann man beobachten, daß sich die Nieder-
schlüge zeitweilig nur auf deu Höhen niederlassen, während Ebene
und Tal verschont bleiben. Steigen die Wetter vom Berge herab,
so ist ihnen ihre verheerende Wirkung schou etwas genommen.
Die Berge bilden demnach eine Wetterscheide. — Wir haben
schon gesehen, daß unsere Bäche vorherrschend nördliche Richtung
haben und teils der Weser, teils der Leine zueilen. Wie kommt
das? Die Himmelsrichtung eines Baches oder Flusses wird von
der Bodenneigung bestimmt, auch vou der geringsten. Diese Ab-
hängigkeit des Wasfers von der Bodengestalt bemerken wir schon
bei jedem starken Regen auf der Höhe einer Straße in unserem
Orte. Das niederströmende Waffer läuft uach entgegengesetzten
Seiten (z. B. w in den Mühlengraben, ö aber in den Haupt-
bach des Ortes). Die Höhe der Straße scheidet demnach die
abfließenden Wasser nach verschiedenen Richtungen, wird zur
Wasserscheide. So ist es auch mit jener mitten durch unser
Land streichenden Meerbecker Bodenschwelle. Ihr westlicher Abhang
drängt die abfließenden Wasser zur Weser, ihr östlicher dagegen
zur Leine. Die Meerbecker Bodenschwelle ist demnach eine Wasser-
scheide zwischen Weser und Leine. Da aber die Leine später auch
— 8 —
der Weser zufließt, so gehört unser Land ganz zum Stromgebiet
der Weser. (Aufsuchen anderer Wasserscheiden!)
Die Berge als ßeburtsitätten der flüiie. Ohne Berge würde es
keine Flüsse geben. Die Berge sind die Geburtsstätten der Flüsse,
des „Stromes Mutterhaus". (Gedicht: „Der Hirtenknabe" von
Uhland.) Sie sammeln Wasser, sparen es aus und verschicken es
in die Täler und Ebenen. Wie kommt das? In unserer Gegend
herrscht der SW-Witri) vor. Er bringt uns von einem großen
Meere, dem Atlantischen Ozean, in den Wolken viel Feuchtigkeit
mit (Regen, Schnee). Diese Feuchtigkeit senkt sich au den Bergen.
Warum? Uber hochgelegenen, bewaldeten Stellen ist die Lust
immer kühler als über den Feldern und Wiesen der Ebene.
Dnrch die Kälte wird die feuchte Luft zu Nebel und Regen ver-
dichtet. Beim Ubersteigen der Berge werden daher die Wolken
abgekühlt, die unzähligen Wasserbläschen vereinigen sich nun in
ihnen zu zahlreichen Tropfen. Diese fallen wegen ihrer Schwere
nieder; es regnet. Die Waldbäume fangen den Regen auf. Vou
Ast zu Ast, von Blatt zu Blatt, vou Nadel zu Nadel tröpfelt
er auf deu laub- und moosbedeckten Boden nieder. Dieser saugt
wie ein Schwamm das niederfallende Wasser auf und läßt es
ganz langsam in das Innere des Berges hinabsickern. So bleibt
selbst in der trockensten Jahreszeit der Berg mit Wasser versorgt.
In Tausenden von Adern und Äderchen gleitet es abwärts in die
Tiefe. Sobald es undurchlässigen Untergrund gefunden hat, eilt
es daraus weiter. In der dunklen Erde mag es jedoch nicht
bleiben; es sucht das Tageslicht. Das gelingt ihm auch. An
zahlreichen Stellen des Berges bricht es hervor. Eine solche
Stelle, wo das Wasser aus der Erde fließt oder quillt, nennt
man Quelle. Jetzt gräbt es sich aus eigener Kraft (natürlicher
Wafferlauf) eine Rinne, einen tiefen Graben. Das ist sein Bett.
Darin fließt es als Bach hurtig weiter. Die beiden Seiten
oder Ränder des Bettes nennt man Ufer. Sehen wir der Rich-
tnng des abfließenden Wassers nach, so haben wir rechts das
rechte, links das linke Ufer. Mehrere Bäche vereinigen sich zu
einem Fluß; dieser wächst durch Aufnahme von Seitengewässern
oder Nebenflüssen zum Strom heran und ergießt sich ins
Meer. Die Stelle, wo der Fluß iu einen andern einläuft oder
der Strom sich ins Meer ergießt, nennt man Mündung (Beifp.
aufsuchen!). Aus dem Wege von der Quelle bis zur Mündung
senkt sich allmählich das Flußbett. Diesen Weg des fließenden
Gewässers nennen wir seinen Lauf. Der Lauf ändert oft feine
Richtung (s. Karte!). Anfangs bestimmt noch das „Mutterhaus",
der heimatliche Berg, die einzuschlagende Richtung; dann aber
drängen sich andere Berge, Hügel oder geringe Bodenschwellen
an ihn heran und nötigen ihn, die gerade Linie aufzugeben und
— 9 —
bald links, bald rechts auszuweichen (Krümmungen, Windungen).
Wie läuft das Wasser nahe der Quelle (oben), wie aber uahe
der Mündung (unten)? Warum? Dieses schnellere oder langsamere
Fließen (fließen — fallen) nennt man das Gefälle eines Flusses.
Das Gefälle hängt ganz von der Bodenbeschaffenheit ab. Am
stärksten ist es vom Gipfel oder Kamme bis zun: Fuße. Flüsse,
welche in dieser Richtung ein Gebirge einschnitten, mußten die
Gesteine desselben quer durchsägen. Man nennt solche Täler
Quertäler. (Bad Eilsen, Porta, die rechtwinklig vom Gebirgs-
scheitel zur Ebene laufenden Quertäler der Seitenbäche der Roden-
berger Aue u. a.!) Zu dieser Arbeit gebraucht ein Fluß viel
Zeit und Kraft. Nur felteu gelingt es dem Waffer, ein Gebirge
quer zu durchsägen; meist muß es sich begnügen, die Gesteine
desselben auszuhöhlen und die losgebrochenen Schuttmassen sort-
zuschwemmen. Durch diese beständige, aushöhlende Arbeit gräbt
es Vertiefungen in das Gestein, die man Schluchten nennt.
Gewaster. Ein größerer Fluß sehlt unserer Heimat. Die
Bewässerung besorgen mehrere nicht unbedeutende Bäche. Die bei-
den größten, Bückeburger Aue uud Gehle, durchfließen die West-
liche Hälfte unseres Landes; den östlichen Teil bewässern Reeke,
Holpe, Hülse und Ziegenbach. Die größte Wasseransammlung
im N des Landes ist das Steinhnder Meer.
Die Bückeburger Aue hat Ansang und Ende, Quelle und
Mündung, außerhalb unseres Landes. Sie entspringt am Süntel
und mündet gegenüber Petershagen in die Weser. Kurz vor Buch-
holz tritt sie in unser Land ein, bei Frille verläßt sie es. Ihre
längste Strecke liegt in der Bückeburger Ebene. Woher also ihr
Beiname? Von der Quelle bis Buchholz hat sie vorherrschend West-
liche Richtung. Aus dieser Strecke fließt sie sehr schnell. Warum?
Wir ueuueu diese Strecke ihren Oberlaus. Von Buchholz bis
Petzen (Richtung!) beschreibt sie einen großen Bogen über Meinsen.
Ihr Laus ist hier weniger schnell. Warum? Das ist ihr Mittel-
laus. Von nun ab hat sie bis zur Mündung nördliche Richtung.
Sie fließt hier ziemlich langsam oder träge. Das ist ihr Unter-
laus. Vor Petzen nimmt sie von links die Schermbeeke (kl. Aue)
auf. Diese hat ihre Quellen an der Weserbergkette bei Schermbeck
und Kleinbremen und fließt durch Bückeburg. Die Niederung in
dem Auedreieck Meinsen—Petzen—Cammer wird durch künstlich
(von Menschenhand) angelegte Wasserläuse oder Kanäle entwässert.
Die Kanaluser, häufig auch die Bachuser, sind durch Erdhügel oder
— 10 —
Dämme erhöht. Diese sollen bei anhaltendem Regen oder Plötz-
lichem Tauwetter das Land zu beiden Seiten vor Überschwemmungen
schützen. (Wiederhole: Die Bückeburger Aue hat einen Ober-, Mittel-
und Unterlans! Bäche und Kanäle sind fließende Gewässer!)
Die Gehle entsteht aus den Grubengewässern der Schaum-
burger Gesamt-Steinkohlenbergwerke am Nordwestabhange des Bücke-
berges. Sie tritt bei dem Kunstschachte in Südhorsten zn Tage
und mündet bei Ilvese unweit Schlüsselburg iu die Weser. Früher
hatte sie ihre Quelle am Bückeberge und floß durch Gelldorf (— Dorf
an der Gehle). Ihr Lauf ist dem der Bückeburger Aue sehr ähu-
lich (Nachweis!). Sie nimmt erst nördliche Richtung an, macht
dann aber am Nordostrande der Stemmer Bodenwelle über Volks-
dors einen großen Bogen. Jenseits des Schaumburger Waldes
schlägt sie wieder nördliche Richtung ein. Bei Bierde nimmt sie
von rechts den bedeutendsten Zufluß auf, die Jls, deren Quellen
an den Rehbnrger Bergen liegen. — Die Bückeb. Aue empfängt
ihren größten Zufluß von links, die Gehle dagegen von rechts.
Grund: Dort liuks die Weserberge, hier rechts die Rehburger Berge.
— Den Ober-, Mittel- und Unterlauf der Gehle bezeichnen etwa
Volksdorf und Bierde. Gib diese Strecken an!
Die Reeke entsteht in der Nähe der Domäne Brandenburg.
Sie nimmt bei Pollhagen von links her einige kurze Zuflüsse aus
dem Schaumburger Walde auf und wendet sich dann östlich.
Die Holpe hat ihre Quellen am Bückeberge' oberhalb Nien-
städt. Im Oberlaufe wird sie Schierb ach genannt, zwischen Enzen
und Nordsehl heißt sie Kalter Bach, wahrscheinlich wegen des
hinzutretenden kalteu Grubenwassers. Sie fließt kurz vor Nieu-
brügge mit der Reeke zusammen. Ihre Vereinigung wird Aue genannt.
Die Hülse entspringt ebenfalls am Bückeberge. Ihre Haupt-
sächlichsten Quellflüsse sind der Krebshäger Mühlenbach und die
durch Obernwöhren fließende Borimu.*) Beide Quellflüsse ver-
einige!: sich kurz vor Stadthageu und umfließen die Stadt. Bis
Lauenhagen ist die Bezeichnung Lauenhäger Bach üblich, von da ab
tritt der Name Hülse auf (Hülshagen!). Sie fließt in die aus
Reeke und Holpe entstandene Aue jenseits Nienbrügge. Die Aue
*) Auf dem Meßtischblatt Stadthagen ist ein Umslntgraben nach Probsthagen, der die
Staatsstraße bei der sogen. Julianenbrücke schneidet, irrtümlich als Vornan bezeichnet.
— 11 —
tritt kurz nach bor Aufnahme der Hülse über die Landesgrenze und
fließt in östlicher Richtung auf Sachsenhagen zu.
Der Ziegenbach kommt vom Bückeberge zwischen Reinsen
und Obernwöhren. Er heißt im Oberlauf Vornhäger Bach.
Dieser Quellbach nimmt in Probsthagen nördlich der Bahn einen
Umflntgraben der Bornau auf. Von hier ab hat der Ziegenbach
nordöstliche Richtung. Er mündet bei Sachsenhagen in die Aue,
die nun den Namen Sachsenhäger Aue sührt.
Auf ihrem weiteren Laufe nimmt die Sachsenhäger Aue
südlich von Hagenburg die Rodenberger Aue auf, die aus dem
Tale zwischen Deister und Süntel kommt. Der vereinigte Flußlauf
heißt nun Westaue. Die Westaue bildet eine kurze Strecke die
Landesgrenze, tritt dauu auf hannoversches Gebiet, durchfließt
Wunstorf, wo sie noch durch die Südaue verstärkt wird, und
ergießt sich bei Bordenau in die Leine.
Zn den Gewässern gehören nicht nur die fließenden, sondern
auch die stehenden. (Nenne das nächste stehende Gewässer!) Das
bedeutendste Gewässer dieser Art ist das große Wasserbecken im N
unseres Landes. Wie heißt es?
Das Steinhnder Meer ist ein Land- oder Binnensee und
gehört ganz unserer Heimat au. Seineu Namen hat es nach dem
Flecken Steinhude, dem einzigen Orte, der dicht an seinem Ufer
liegt und sich in der ebenen Oberfläche des Wassers spiegelt.
(Wasserspiegel eben, aber während des Windes wellenförmig —
Kartenzeichen wellenartig; der Untergrund uneben — verschiedene
Tiefe.) An den tiefsten Stellen, den fogen. „Deipen", liegt der
Boden bis zu 3 m unter dem Wasserspiegel; die mittlere Tiefe be-
trägt jedoch nur 11/2 m. Das Meer hat eine ovale, d. i. länglich
runde oder fast eiförmige Gestalt. Die größte Ausdehnung hat
die Wasserfläche in der Längenrichtuug von SW nach NO. Zeichnen
wir die beiden Längen- und Breitenseiten mit geraden Linien, so
entsteht ein Rechteck. Miß Länge und Breite desselben und be-
stimme den Flächeninhalt! Wir finden: Die Länge beträgt rund
/, die durchschnittliche Breite 4 km, sein Flächeninhalt demnach
etwa 28 qkm (genau 29,463171 qkm. Lies diese Zahl als qkm,
ha, a u. qm! Wv. Morgen?). In 4^ Stunden können wir den
Landsee umgehen, da er etwa 22 km im Umfange hat. (Vergleich
mit einer bekannten Strecke!) Das Nordufer (den Nordstrand) be-
— 12 —
gleitet von der Mitte ab eine nach 0 hin sanft ansteigende Dünen-
kette (Sandhügel). Der westliche Teil dieser Sanddünen erhebt
sich aus schwarzem, moorigem Boden, der mit verstreuten, dunklen
Nadelbäumen bestanden ist; er wird deshalb von den Anwohnern
der schwarze Berg genannt. Der östlichste und höchste Ausläufer,
iu genau nördlicher Richtung von Steinhude, leuchtet mit seinem
Weißen Saude weithin über die Wasserfläche; er heißt daher der
weiße Berg. An der Ostseite des Sees breitet sich nach Neustadt
zu eiue große, öde Moorfläche aus, das Tote Moor genannt.
Wellen und Eisschollen bilden hier allmählich starke Buchten (Wind-
richtung!). Den Süd- und Westrand umsäumt Wiesen- und Bruch-
laud. Nach Rehburg zu dehnt sich eine breite Niederung aus, die
fast wagerecht ist. Diese wird von dem Meerbach, dem einzigen
Abfluß des Wasserbeckens, und der von Loccum kommenden Fulde
durchflössen. Der Meerbach spaltet sich in viele Arme. Grund!
Der Abfluß ist also gering. —- In der westlichen Hälfte des Meeres
ragt mitten aus dem Wasser ein Stück Land (Insel) hervor. Das
ist der Wilbelmsteiu (1,4072 ha groß). Diese Insel ist nach dein
Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe benannt, der unser Land
von 1748—1777 regierte. Derselbe hat sie künstlich herstellen lassen
durch Ausschütten von großen Stein-, Sand- und Erdmassen. Auf
der Insel legte dann der Graf eine Festung und eine Artillerie-
schule an. Die Festung konnte 400 bis 600 Soldaten aufnehmen.
In der Militärschule wurden Viele tüchtige Offiziere ausgebildet.
Aus dieser Schule ist auch der berühmte preußische General
Scharnhorst hervorgegangen. Heute ist der Wilhelmstein mit
seinen schönen Anlagen und mancherlei Sehenswürdigkeiten ein be-
liebter Ausflugsort. Tausende von Fremden besuchen alljährlich
den lieblichen See und seine freundliche, denkwürdige Insel.
Klima. Der in einer Gegend das Jahr über vorherrschende
durchschnittliche Luftzustand nach Wärme, Feuchtigkeit und Bewegung
wird das Klima genannt. Das Klima eines Landes hängt von
seiner Lage, Bodengestalt und Bewässerung ab und kann heiß,
warm, gemäßigt, kalt, mild, rauh, trocken, feucht, gesund, ungesund
sein. Ein kaltes Klima haben hochgelegene und weit nach N sich
erstreckende Länder, ein feuchtes Küstenländer, ein trockenes und
heißes weite Sandebenen (Wüsten). Unser Land hat ein gemäßigtes
und gesundes Klima. Die Sommer find nicht so heiß und die
— 13 —
Winter nicht so kalt wie im östlichen und südlichen Teile unseres
deutschen Vaterlandes. Der heißeste Monat (Juli) hat eine mittlere
Wärme von 18° C., der kälteste Monat (Januar) von 0° C.( so
daß die durchschnittliche Jahreswärme etwa 9 0 C. beträgt. Von
großem Einfluß aus das Klima sind unsere Waldungen. Sie
mäßigen im Sommer die Wärme, im Winter die Kälte. Außerdem
begünstigen Wald- und Bergluft die Gesundheit unseres Klimas.
Die Wärme der einzelnen Orte ist jedoch verschieden; sie richtet sich
nach der Höhenlage. Den Ausgangspunkt sür eine einheitliche
Höhenmessung bildet der Meeresspiegel: Normal-Nnll oder ab-
solnte Höhe; die Höhe des Schulhauses, des Kirchtumes ic. vom
Fußpunkte gemessen heißt relative Höhe.
Normalhöhenpunkt. Der Abstand über dem in Ruhe gedachten und
unter dem Festlande verlängerten Meeresspiegel wird „Meereshöhe" oder „See-
höhe" und der Abstand unter dem Meeresspiegel „Tiefe" genannt (positive —
negative Höhe). Eine zur Meeresfläche parallel eingeführte Fläche (Nullfläche^
gibt die „relative" Höhe an zur Unterscheidung von der als „absolute" Höhe
bezeichneten Meereshöhe, die am Pegel (Wasserhöhenmesser) zu Amsterdam,
Swinemünde zc. ermittelt ist. In Preußen hat man, um die Unsicherheit
(Störung des Meeresspiegels!) in den Höhenangaben zu beseitigen, an Stelle
der durch Pegelpunkte bestimmten Flächen eine Normal nullfläche eingeführt
Diese Fläche fällt im allgemeinen mit dem mittleren Höhenstande (Niveau) der
norddeutschen Meere zusammen und ist dadurch bestimmt, daß an einem Pfeiler
des Passageinstrnmentes der Sternwarte in Berlin ein kleiner lotrechter Maßstab
angebracht wurde, dessen Mittelstrich die Höhe von 37 m hat. Die Normalnull-
fläche (N. N.) liegt demnach 37 m unter diesem Maßstabstrich und gibt uns den
Normalhöhenpunkt au, der für sämtliche amtliche Höhenangaben in Deutsch-
land gilt. Alle auf N. N. bezogenen „relativen" Höhen sind also gleichzeitig
„Meereshöhen" oder „absolute" Höhen. — Beachte die Höhenmarken an den
Bahnhofsgebäuden der Staatsbahn!
Die an den Bergen, namentlich an deren Nordseite gelegenen
Ortschaften haben ein kälteres Klima als die in der Ebene gelegenen.
(Beobachtung: An den Bergen liegt im Frühjahr häufig uoch Schnee,
wenn Tal und Ebene längst davon frei sind.) So liegen Buchholz,
Heeßen und besonders Eilsen (Talkessel) bedeutend wärmer, weil
sie gegen die rauhen N= und NO*äÖinbe geschützt sind. Diese
kommen aus kalten Gegenden und über weite Länderstrecken und
bringen uns kalte, trockene Lust. Die wärmste Lage hat Steinbergen,
da es an der Süd- oder Sonnenseite der Weserbergkette liegt.
Solche Verschiedenheiten finden wir auch bei den Nieder-
schlügen. Sie werden uns hauptsächlich von den SW =Winden ge-
bracht. Nur ein geringer Teil der Niederschläge gelangt ohne
weiteres in die Bäche und Flüsse. Der größte Teil wird von den
Waldungen und Moosdecken der Berge wie von einem Riesen-
— 14 —
schwamm aufgesogen und dann langsam verteilt (S. 8). Während
die Berge bedeutende Wassermengen ausnehmen, sind in der Ebene
die Niederschläge wesentlich geringer und ziemlich gleichmäßig ver-
teilt. Wenn im Jahre alle Niederschläge an Regen, Schnee,
Hagel usw. aus den: Boden stehen blieben, so würden sie bei uns
in der Ebene eine durchschnittliche Höhe von etwa 50—00 cm, an
den Bergen aber von 70 cm und mehr erreichen. Auf gutem Acker-
bodeu reichen diese Regenmengen aus, den Gewächsen die nötige
Feuchtigkeit zu geben, weniger aber auf dem leichten Sandboden,
Z. B. bei Steinhude.
niederldilagsmeUungen. Die Kenntnis der Regenverhältnisse eines
Ortes hat die größte Bedeutung für den Landwirt, welcher da-
durch in den Stand gesetzt ist, die Bewirtschaftung seiner Felder
Praktisch zu regeln. Um nun die Menge der Niederschläge genau
zu erfahren, sind überall im Reiche Beobachtungsstellen (Regen-
stationen) eingerichtet. Für Preußen und die angrenzenden
Kleinstaaten beträgt die Zahl der Regenstationen jetzt fast 2700,
die dem Kgl. Preuß. Meteorologischen Institut (der wetterkund-
lichen Anstalt) in Berlin unterstellt sind. Das Königreich Sachsen
und die süddeutschen Staaten sind der Berliner Wetterwarte nicht
angegliedert, haben aber eigene Beobachtungsnetze. Bei uns finden
sich solche Beobachtungsstellen auf Glashütte Wendthöhe am
Bückeberge seit Juli 1892, in Bückeburg und auf dem Wilhelm-
stein feit Febr. 1899 und in Berghol feit Juni 1903. Aus
Berghol (-f- 120 m) wurden fchon vorher von Dr. F. Hartmann
in den Jahren 1895—1902 gemessen 776, 725.9, 004.0, 790.5,
588.5, 658.5, 850.4 und 738.7 mm oder im Durchschnitt 717 mm
(1 mm Regenhöhe — 1 1 auf die Fläche eines Quadratmeters).
Aus dem Kreise Grafschaft Schaumburg sind für uns noch die
Beobachtungsstellen zu Rinteln, Rodenberg, Schauenstein b. Obern-
kirchen und Hess. Oldendorf bemerkenswert. Man nimmt an, daß
eine 10jährige Beobachtungszeit nahezu richtige Werte liefert.
Nach lOjähriger Beobachtungszeit (Berghol 12 Jahre) beträgt die Nieder-
ffchlagsmenge für
N.N. mm
Berghol............... 105 ... 707
Bückeburg.............. 67 ... 717
Wendthöhe............. 188 ... 042
Wilhelmstein........... 38 ... 606
N.N. mm
Rinteln................ 56 ... 663
Rodenberg............. 68 ... 689
Schauenstein........... 180 ... 793
Hess. Oldendorf........ 65 ... —
Monatliche Niederschlagsmenge für Bückeburg (1899—1908):
Jan.
Febr.
März
mm
59
48
48
155
Apr.
Mai
Juni
mm
50
69
66
185
Juli
Aug.
Sept.
mm
92
67
54
213
Okt.
Nov.
Dez.
mm
61
53
50
164
— 15 —
Von der Bodenbeschaffenheit (schwerer oder leichter Boden,
Untergrund), Wärme und Regenmenge hängen Saat und Ernte ab.
An der sogenannten Bergkette werden die Felder srüher als in der
Ebene bestellt, und doch tritt die Ernte später ein. (Schwerer
Boden und kältere Lage verzögern das Wachstum). Frühe Ernten
haben die Gegeudeu Don Frille, Cammer, Steinhude und Hagen-
bürg' (leichter Boden). Die Obstbäume tragen an der Nordseite der
Berge sast regelmäßig gute Ernten, da ihre Blütenansätze gewöhn-
lich spät zur Entwicklung kommen und Nachtfröste dann selten
eintreten. An der Südseite haben die Obstblüten durch Nachtfröste
häufig zu leiden, die Früchte aber durch die vorherrschende Wind-
richtnng. In alten Zeiten wird unser Land viel von Hagelwettern
heimgesucht sein, da sich noch in manchen Orten kirchliche Hagel-
feiern erhalten haben (alt: Hagalfyren — an Stelle heidnischer
Feiern eingetretene Bittgottesdienste gegen Hagelschlag).
Aufg.: Schreib die Namen der nächsten Berge und Gewässer nieder! —
Erkläre: Ebene, Berg, Tal, (Längen- und Quertal), Wetter- und
Wasserscheide, Quelle, Mündung, Flußbett, rechtes und linkes
Ufer, Lauf, Ober-, Mittel- u. Unterlauf, fließende und stehende,
natürliche und künstliche Gewässer, Insel, Halbinsel, Bucht,
Klima, absolute und relative Höhe! — Der Einfluß der Boden-
gestalt auf die Richtung der Gewässer ist nachzuweisen! —
Welche Bäche haben Quelle und Mündung oder nur Teilstrecken
in unserm Lande?
16 —
4. Die Erdschichten unserer Heimat und Umgebung.
Entstehung nnd Faltung der Erdrinde. Die Ober-
flächengestalt unserer Erde war und bleibt einer steten Veränderung
unterworfen. Das Ergebnis dieses fortlaufenden Werdeganges ist
ihr jetziger Zustand. Die Wissenschaft, welche uns mit dem Werde-
gange und dem Bau der Erde bekannt macht, ist die Geologie (Erd-
lehre); die Vertreter dieser Wissenschaft werden Geologen genannt.
Nach der Annahme der Geologen war unsere Erde einst ein
Teil der Sonne (Hypothese von Kant-Laplace). Sie löste sich als
eine gasförmige oder feurig-flüssige Masse vom Sonnenball los
und beschrieb fortan ihre eigenen Bahnen. Allmählich kühlte sie sich
int kalten Weltenranme, dessen Temperatur um — 273° C. herum
liegt, immer mehr ab. Zuerst bildete sich eine feste Erdkruste, auf
der sich uach uud nach auch das Wasser, welches bislang in Form
von Wasserdampf iu der Atmosphäre vorhanden war, niederschlug
und sich iu deu Vertiefungen der Erdoberfläche zu Seen und
Ozeanen ansammelte. Die mit der allmählichen Abkühlung des
Erdinnern verbundene Verringerung des Ranmumsanges hatte nun
zur Folge, daß die bereits erstarrte Erdkruste für den Kern zu
weit wurde uud sich iu Falteu legte. So entstanden alle die
großen Faltengebirge der Erde. (Es ist das ein Vorgang, der sich
mit dem Zusammenschrumpfen eines erkaltenden Bratapfels ver-
gleichen läßt).
Gesteinsbildnng ans fenrigfinsftgem Material. Dabei
zerbricht jedoch die spröde Erdrinde in viele Schollen. Einzelne
sinken, begleitet von gewaltigen Erdbeben, in die Tiefe, und aus
den entstandenen Spalten dringt oft die glutflüssige* Masse (das
Magma) des Erdinnern an die Oberfläche oder bis in die Nähe
derselben und erstarrt dort. Es entstehen so aus dem seurigslüssigen
Magma vielerlei Gesteine, z. B. die Basalte und Granite, auch die
Laven unserer heute uoch tätigen Vulkane.
17 —
Schichtgesteine. Das Wasser arbeitet nun den gebirgs-
bildenden Kräften entgegen; es trägt die entstandenen Gebirge und
Unebenheiten der Erdoberfläche allmählich wieder ab und hat das
Bestreben, alles wieder einzuebnen. Es dringt im Gebirge in die
Risse der Felsen ein, gefriert dort, nimmt als Eis mehr Raum ein
und zersprengt nach und uach die Gesteiue in kleine Stücke, welche
dann die Bäche und Flüsse täglich in großer Menge forttragen und
unterwegs oder an ihrer Mündung im Meere als Saud und Schlamin
absetzen. So entstanden nacheinander die geschichteten Gesteine,
welche sich wie ein Stapel Bücher übereinander lagern. Zu dieser
Gruppe gehören sämtliche Gesteinsschichten unseres Gebietes.
Den Vorgang, daß Wasser Schlamm-, Sand- und Kiesmassen
in Schichten absetzt, können wir täglich an geeigneten Stellen unserer
Bäche uud Teiche, uach starken Regengüssen auch iu allen Rinnen,
in denen Wasser geflossen, beobachten. Wir bemerken dann, daß
sich die Schichten immer annähernd wagerecht abgesetzt haben. Das-
selbe gilt für alle vom Meere abgelagerten Gesteine. Wenn wir
daher in unserer Umgebung, z. B. in dem Bahneinschnitt des Weser-
gebirges am Jakobsberge (Porta) oder in den Rehbnrger Bergen,
die Gesteinsschichten heute in stark geneigter Stellung vorfinden, so
sind wir gezwungen anzunehmen, daß erst nach dem Absatz dieser
Gesteine durch gebirgsbildeude Kräfte, durch Senkung oder Hebung
einzelner Schollen, die steile Lagerung zustande kam. Darauf konnte
dann das Wasser iu den stark zerrütteten und zerbrochenen Erd-
schollen seine ausnagende und zerfressende Tätigkeit beginnen und
tiefe Schluchten und Täler besonders da auswaschen, wo es auf
wenig widerstandsfähige Gesteine traf. Darauf ist die Tatfache
zurückzuführen, daß auch in unserem Gebiete die Kämme vmb Steil-
kanten der Berge allemal von den festeren und widerstandsfähigeren
Gesteinen gebildet werden, während in den Tälern weichere Gesteine,
meist Tone und Mergel, anzutreffen sind.
Alter der Schichtgesteine. Versteinerungen. Die ge-
schichteten Gesteine folgen in der Weise übereinander, daß in der
Regel die zu unterst liegenden die älteren, die oberen die jüngeren
sind. Man bestimmt nuu das Alter der Schichten nach den sich
in ihnen findenden versteinerten Lebewesen. Es gilt hier im allge-
meinen die Regel, daß die ältesten Schichten einfachere und niedrig
18 —
stehende Lebewesen enthalten, die jüngsten dagegen vollkommenere
und höher entwickelte Formen.
Finden wir nun z. B. in einem Gestein eine Anzahl ver-
steinerter Tiere oder Pflanzen, welche bereits an anderen Orten ge-
funden wurden, so sagen wir, die Schichten der beiden Gegenden
sind gleichalterig, weil sie dieselben Tierarten oder deren nächste
Verwandte enthalten.
Die Versteinerungen (auch Fossilien oder Petresakten ge-
nannt) können mehr oder weniger gut erhalten sein. Am besten
eigneten sich zur Erhaltung solche Tiere, welche eine feste Kalk-
schale besaßen. Es sind dies besonders die Muscheln und Schnecken
des Meeres.
Gesteittsgrnppen. Im allgemeinen ist die Ablagerung der
Gesteine eiue stetige, ununterbrochen vor sich gehende. Dennoch
kann man in großen Zeiträumen abgesetzte Schichtenfolgen zu größereu
Gruppen (sogen. Formationssystemen) zusammenfassen, deren Lebe-
Welt ein für diese Zeit charakteristisches Gepräge aufweist. Man
fpricht daher, ähnlich wie in der Geschichte, tum der Urzeit, dem
Altertum, dem Mittelalter und der Neuzeit der Erde. Innerhalb
dieser großen Gruppeu unterscheidet man wieder kleinere Ab-
teilungen, deren jede eine Anzahl, nur sie kennzeichnende Ver-
steinernngen enthält. Man nennt solche Versteinerungen Leitsossi-
lien; sie leiten zur Wiedererkennung gleichalteriger Schichten in
oft recht weil voneinander entfernten Gegenden an.
Aus der gewaltigen Mächtigkeit (Dicke) der bislang im Meere
abgesetzten Schichten dürfen wir schließen, daß viele Jahrmillionen
zn ihrer Entstehung nötig waren.
In unserem Gebiete finden sich keine aus dem feurigflüssigen
Schmelzfluß erstarrte Gesteine. Granitblöcke, welche hier und da
in der Ebene umherliegen und gemeinhin Findlinge genannt werden,
sind in ziemlich junger Zeit durch Gletscher hierher getragen;
vgl. Diluvium*).
Von den Schichtgesteinen sind bei uns nur solche vertreten, die
aus dem Mittelalter und der Neuzeit der Erde stammen.
Die ältesten Schichten, welche wir in Schaumburg-Lippe kennen,
gehören dem Mittelalter der Erde an: Trias, Jura, Kreide.
*) Diluvium uitö AIluviuin - älteres und jüngstes Schwemmland (lat. diluere - zer-
spülen, alliiere - anspülen).
— 19 —
Die Neuzeit, die mit der Tertiär- oder Braunkohlenzeit beginnt, ist
bei uns durch das Diluvium und Alluvium vertreten.
1. Trias.
Den Namen Trias hat diese Gruppe von ihren drei Gliedern
erhalten, den: bunten Sandstein, Muschelkalk uud Keuper. Zu
uuterst lagerte sich Sand ab, der sich allmählich durch tonige oder
kieselige Bindemittel zu Sandstein verhärtete und oft durch Metall-
salze, meist Eisensalze, eine verschiedene Färbung (rote, gefleckte,
auch grünliche) bekam, weshalb er den Namen Buntsandstein
sührt. (Er ist iu Deutschland weit verbreitet im Schwarzwald,
Odenwald, Spessart, in den Vogesen, in der Haardt, int Solling
und Thüringer Wald.) Der Buntsandstein liefert einen sandigen
Verwitterungsboden, die obere tonige Abteilung desselben einen
fruchtbaren, rötlichen, lehmigen Ackerboden. Der Sandboden ist sür
Waldungen mehr geeignet als für den Ackerbau; man findet ihn
daher meist mit Buchenwaldungen bestanden. — Dem Buntsandstein
folgte die Ablagerung des Muschelkalks, einer Schichtenfolge
von Kalkbänken, Mergeln und Gipsstöcken. In manchen Schichten
finden sich viele Versteinerungen, namentlich Muscheln und Schnecken
des Meeres. Der Muschelkalk liefert bei der Verwitteruug einen
trockenen, steinreichen Kalkboden. — Die nächste Schichtengruppe
trägt den Gesamtnamen Keuper. Au Versteinerungen ist sie
arm; häufiger sind stellenweise Pflanzenreste. Der Keuper setzt sich
aus Mergeln, Tonen und Sandsteinen zusammen. Er bildet flach-
wellige Höhenrücken, die oft mit üppigen Waldungen bewachsen
sind. Die tonigen Mergel des mittleren sogen. Gipskenpers liefern
im allgemeinen einen guten, schweren Ackerboden.
Der Buntsandstein tritt nur in vereinzelten Gebietsteilen
unserer Heimat aus. Er bildet z. B. die Schichten des Tienberges
bei Bokeloh, wo beim Abtensen eines Schachtes („Kaliwerke Sig-
muudshall") Ende Oktober 1903 in einer Tiese von 388 rn ein
Steinsalzlager mit den sür die Landwirtschaft wichtigen Kalisalzen
angetroffen wurde. Der Muschelkalk nimmt größere Flächen unseres
Gebietes ein; er tritt zu Tage bei Rafeld, bei Laugenholzhausen,
iu der Hügelgruppe n von Hameln, serner bei Detmold, Pyrmont,
Bodenwerder und Hannover. Sehr verbreitet ist der Keuper im
ganzen Fürstentum Lippe-Detmold und im Wesertal von Hameln
bis Vlotho.
2*
— 20 —
Über dem Keuper folgt
2. Jura.
Diese Schichtengruppe hat ihren Namen von dem Juragebirge,
in welchem sie zuerst genauer untersucht wurde und weit verbreitet
ist. Ihre Ablagerungen bestehen aus Kalk, Sandsteinen, Mergeln
und Schiesertonen. Der Jura ist reich au Versteinerungen. Be-
zeichnend für ihn ist das häufige Vorkommen von Ammonshörnern
und Donnerkeilen, riesigen Reptilien, Seeschwämmen, Korallen, See-
igeln und Seesternen, Muscheln und Schnecken aller Art, sowie zahl-
reichen Krebsen und Fischeu. Aus ihm stammt die älteste bekannte
Vogelart. Mau unterschied in Schwaben nach der Färbung drei
Glieder, deu Weißen, braunen und schwarzen Jura, und hat diese
Bezeichnung auch in anderen Gegenden für den oberen, mitt-
leren und unteren Jura beibehalten. (Die in geol. Werken
gebräuchlichen englischen Bezeichnungen hierfür sind von oben
nach unten Malm, Dogger und Lias.) Alle drei Glieder finden
sich in der Wesergebirgskette und sind auch hier reich an Versteinernn-
gen. Der Jura liefert uns Sandsteine, Eisenerze und Kalk. Der
Kalkstein wird gebrannt und zur Darstellung des Mörtels und
Zementes für unsere Bauten gebraucht. Auch Mergel zum Düngen
der Felder findet sich häufig in großer Mächtigkeit, z. B. bei Buchholz.
In der Nähe von Hannover bei Limmer gewinnt man aus
schwarz gefärbten Kalken des weißen Jura Asphalt, eiu Erdpech,
das bei Anlage von Fußwegen, Straßen 2c. Verwendung findet.
Gesteine desselben Alters liefern bei Solenhosen an der Altmühl
in Bayern die berühmten lithographischen Steine. Der Lithographie-
stein wird geglättet und in Steindruckereien zum Druck von Land-
karten, Bildern und Noten benutzt.
Die Eisensteine werden zur Gewinnung und weiteren Verarbeitung nach
den Eisenhütten geschafft (z. B. Essen, Hamm, Bochum, Dortmund). In großen
zylindrisch geformten Ofen, den sogen. Hochöfen, werden die Eisenerze bei einer
Temperatur von etwa 10000 geschmolzen. Die flüssige Eisenmasse leitet man in
Sandformen und läßt sie dort erstarren. Aus dem so gewonnenen Gußeisen stellt
man Ofen, Denkmäler usw. her. Eiu Teil des Roheisens wird zu Schmiedeeisen
verarbeitet, ein anderer Teil zu dcu verschiedenen Stahlsorten, aus denen man die
notwendigen Werkzeuge und Gegenstände für das Handwerk und den Hausbedarf
herstellt, die vielerlei Maschinen und Geräte für die Industrie und endlich das-
zahlreiche Verkehrs- und Kriegsmaterial.
— 21 —
Uber dem Jura lagern Kreideschichten.
3. Kreide.
Diese Gruppe hat ihren Namen bekommen von den Kreide-
gesteinen, welche hier und da iu dieser Formation größere Mächtig-
keit erreichen, z. B. auf Rügen, bei Lüneburg, iu England und
Frankreich. Kreideähnliche Kalksteine setzen den Stemmer Berg bei
Lemförde in unserer Nähe zusammen.
Die Kreide ist eiu Absatzgestein der Tiefsee. Das Material
dazu lieferten unzählige Kalkgehäuse winzig kleiner, meist einzelliger
Tiere (Urtierchen).
In nnserm Gebiete besteht die Kreideformation aus einer
Schichtenfolge von Schiefertonen, Sandsteinen und Eisensteinen.
Sie bildet eine untere und obere Abteilung. Davon besitzt die
untere Abteilung in Schanmburg-Lippe eine sehr weite Verbreitung.
Mau unterscheidet in der unteren Stufe wieder die zu unterst
liegenden sogen. Wäldertonschichten von den darüber folgenden Hils-
oder Reokomablagernngen^).
Die Wealden- oder Wäldertonformation legt sich gleich-
mäßig auf die oberen Jnrafchichten auf. Sie wurde zuerst im süd-
lichen England nachgewiesen und nach dem Walde der Grafschaft
Sussex „Weald" (fpr. Wield) benannt. Später erkannte man die-
felben Schichten im nordwestlichen Deutschland, besonders in unserer
Heimat, und übernahm jene Bezeichnung. Der Wealden bildet die
Vorberge der Weserbergkette, den Bückeberg mit Harrl und Röcker
Berg, die Rehburger Berge und den Deister. Die Gesteine dieser
Berge bestehen vorzugsweise aus Sandsteinen und Tonschiefern^).
Die beiden wichtigsten Glieder sür den Bergbau find der untere
Wealdenfchiefer und der Wealdeusaudsteiu, der wegen seiner
mächtigen Entwicklung am Deister auch Deistersandstein genannt
wird. In diesen beiden Schichten, hauptsächlich aber im Sandstein,
treten Steinkohlenlager oder Kohlenflöze aus. Die einzelneu
Schichten enthalten stellenweise viele Versteinerungen; namentlich
*) Hils (Name von dem Gebirge auf dem rechten Weserufer), Reoko m (von I^eocomum.
Neufchatel).
**) Die Schichten folge des Wealdeu ist vou uuteu uach oben folgende:
Uuterer Wealdeuschiefer (eine mächtige Gruppe von Tonschiefern),
Wealden oder D eist er fand st ein und ,
Oberer Wealdenschiefer (200 m mächtig, vorzugsweise aus schwarzen, stark
bituminösen, d. i, Kohlenwasserstoffe enthaltenden, meist bröckeligen Schiefer-
tonen bestehend).
Darüber folgt der Hils ton.
versteinerte Muscheln und Schnecken können oft geradezu gesteinsbil-
dend austreten. In den Sandstein- und Kohlenschichten findet man
besonders Land- und Sumpfpflanzen, die oft gut erhalten sind.
Cm reichhaltigsten an Versteinerungen, ist der über dem Kohlenflöz
lagernde schwarze, sehr feine, bituminöse (Kohlenwasserstoffe enthal-
tende) Schieferton. Hierin, namentlich in der unmittelbar über
dem Hauptkohlenflöz lagernden Schicht, der sogen. Dachplatte,
finden sich Zähne, Rückenwirbel und andere Knochen von Reptilien,
Panzer vou Schildkröten, Schuppen und Stacheln von Fischen, ja,
Abdrücke von ganzen Fischen, Nadelhölzern, Farnkräutern und
anderen Pflauzenresten.
Wahrscheinlich ist der Wealden als Ablagerung einer Snmps-
landschaft oder als Deltabildung eines großen Flusses anzusehen.
Am Schluß der Jurazeit tauchte unser Gebiet aus dem Meere her-
vor. Auf dem neu entstandenen Festlande entwickelte sich eine üppige
Vegetation, welche das Material zu den Steinkohlenflözen lieferte.
Alle Ablagerungen dieser Schichtengruppe, die Sandsteine, Schiefer-
tone uud Kohlenflöze, sind in mehr oder weniger ausgesüßtem
Wasser abgesetzt; denn die in ihnen vorkommenden versteinerten
Tiere und Pflanzen vermögen im salzigen Meereswasser nicht zu
leben. Die in so großer Anzahl im Wealden vorkommenden Muscheln
uud Schnecken sind Formen, deren Verwandte heute im schwach-
salzigen (brackischen) Wasser leben. Kohlenflöze und Toneisensteine
sind vielfach in Bergwerken, Steinbrüchen und Tongruben auf-
geschlossen. Von großer Bedeutung für die Industrie unserer Gegend
sind Sandsteine, Schieferton und Kohle.
Der Sandstein wird am Bückeberge in mehreren Steinbrüchen gewonnen.
Am bekanntesten sind die sogen. Obernkirchen er Sandsteinbrüche ans dem
Kamme des Bückeberges. Aus ihnen gewinnt man ein vorzügliches Baumaterial,
das wegen seiner Dauerhaftigkeit und Festigkeit sehr geschätzt ist. Das Gestein
steht in Bänken bis zu 1 m Mächtigkeit an. Es ist ein lichtgelber, feinkörniger, sehr
harter und wetterbeständiger Sandstein. Dieser dient vorzugsweise als Baustein
zu Hochbauten, Wasserbauten, Verkleidungen, Ornamenten, Bildhauerwerken 2c
und findet im In- und Auslande große Verwendung.
Der Schieferton tritt sowohl an den Abhängen des Bückeberges uud
Harrls als auch in der Ebene in bedeutender Mächtigkeit auf. Man verwendet
ihn in der Ziegelindustrie.
Die Kohle lagert zwischen anderen Gesteinsarten in verhältnismäßig dün-
nen Schichten oder Flözen. In der Regel treten mehrere Flöze auf, welche durch
Sandstein- oder Schiefertonschichten getrennt sind. Diese über und unter dem
Flöz lagernden Schichten (der Bergmann nennt sie „das Hangende" und „das
Liegende") enthalten außer Überresten einstiger Meeresbewohner auffallend viele
Pflanzenreste. Diese Erscheinung gibt uns einen Anhaltspunkt, wie unsere Koh-
— 23 —
len entstanden sind. Durch Faltung der Erdrinde wurde das Meer, das einst
unsere Gegend bedeckte, zurückgedrängt. Es bildete sich, ähnlich wie bei einem
Torfmoore, eine Sumpflandschaft, die von trügen Flußläufen durchzogen wurde.
Im Schlamm und Wasser vermoderten die unteren Pflanzenteile. Neues Leben
entwickelte sich auf der entstandenen Decke. Einbrechendes Meerwasser häufte
Sand- und Schlammschichten darüber. Abermals wuchs ein Sumpfwald heran.
Dieser Vorgang wiederholte sich oft. Unter hohem Druck und Luftabschluß
verwandelte sich der Pflanzenmoder in Kohlenlager. So folgten allmählich
mehrere Kohlenflöze übereinander. Dazwischen lagerten sich Schiefer und Sand-
steine ab. — Ein Teil der gewonnenen Kohlen wird in Kokereien durch Erhitzen,
wobei Wasser, Kohlenwasserstoffe und Teer ausgeschieden werden, in Koks ver-
wandelt. Der Koks fiudet wegen seines höheren Heizwertes besonders in Hütten-
werken Verwendung. Die Kohlenwasserstoffe dienen als Leuchtgas. Aus dem
Teer stellt man Benzol und viele Farbstoffe (Anilinfarben) her.
Mit der Kreidezeit war das Mittelalter der Erde zu Ende;
es beginnt die Neuzeit. Auf die obere Kreide legen sich die Ab-
lagerungen des Diluviums.
4. Diluvium.
In unserer Gegend werden die diluvialen Ablagerungen von
Kies-, Sand- und Lehmmassen gebildet. Eine Unterscheidung von
dem jüngsten Schwemmlande, dem Alluvium, ist bei uus dadurch
erleichtert, das im Diluvium überall sogen. Kieserlinge lagern,
welche auf unseren Feldern oft in großen Mengen ausgestreut lieget!.
Dieselben können nur aus den: Norden zu uus gekommen sein, wo das
betreffende Gestein heute noch ein Glied der festen Erdrinde bildet
oder „ansteht". Sie gehören einer älteren Formation an (zum
Teil z. B. der Kreide, welche heute auf Rügen ansteht), wurden
aber bei uns zur Diluvialzeit als Schutt abgelagert, deu die Eis-
massen der Gletscher dieser Zeit mit sich führten. Es sind dies
hauptsächlich die sogen. Feuersteine. Bemerkenswert sind auch die
in vielen Lehmlagern ausgefundenen und bei der Bearbeitung des
Feldes herausgeschafften großen Felsblöcke, die man Findlinge,
auch erratische Blöcke (d. i. verirrte, von eri^re — irren) oder
Wanderblöcke nennt. Sie kommen in unserer Gegend häufig vor
und liegen vereinzelt an Feld- und Grabenrändern, von den Ackern
durch die Landleute abgelesen, oder als Prellsteine an den Dorf-
straßen und Feldwegen. Viele hat man im Laufe der Zeit zer-
sprengt und beim Wegebau benutzt. So sind noch im Jahre 1902
bei dem Bau der ueueu Amtsstraße Nienstädt-Enzen-Meerbeck-
Niedernwöhren große Mengen von Findlingen verbraucht worden.
In älterer Zeit haben sie viel Verwendung bei Kirchenbauten,
Mauerwerken usw. gefunden. Ihre Beschaffenheit (z. B. Granit)
— 24 —
Weicht von dem Gestein unserer Berge gänzlich ab. Diese Fremd-
linge unter unseren heimischen Gesteinen sind in grauer Vorzeit
aus weiter Ferne zu uns gekommen. Sie wurden während der
Eiszeit als Moränenbildungen (von Gletschern zermalmte Erd-
und Felstrümmermassen, Schotter) durch die von Norwegen kom-
Menden Eisströme oder Gletscher (glitschen, gleiten) hierher ge-
sührt. Die ganze norddeutsche Tiefebene war zu dieser Zeit mit
Inlandeis bedeckt, ähnlich wie heute Grönland. Gewaltige Glet-
scher schoben zu wiederholten Malen (beim Vordringen und
Zurückweichen) von Norwegen und Schweden her in sächer-
förmiger Ausbreitung große Trümmermassen mit sich fort und
lagerten an ihrem Grunde das mitgeführte Material als bedeutende
Lehm-, Sand- und Schnttmassen ab (Grundmoränen). Diese Massen
führten regellos eingebettete Gesteinstrümmer mit sich, unsere Find-
linge, deren eckige Kanten bei der Fortschaffung abgerundet, ja
förmlich glatt abgeschliffen wurden. (Beobachte Steine aus dem
Flußbett!) Wo die Gletscher zum Abschmelzen kamen, setzten sie
alles mitgeführte Gestein ab, und das abfließende Wasser grub sich
seiu Bett in diese Ablagerungen. Später wurden oft über die vom
Gletscher abgelagerten Massen durch Seen und Flüsse Decken von
Lößlehm abgelagert. Er ist kalkhaltig und sehr fruchtbar und
eignet sich gut zum Rübenbau.
Lößlehm nennt man ein bald geschichtetes, bald ungeschichtetes, sehr fein-
körniges und lockeres Gemenge von eckigen Sandkörnchen mit wenig tonigen Sub-
stanzen und oft bis 30% Kalkgehalt, von gelblich-bräunlicher Farbe (Löß — auf-
geriebenes Gestein).
Der Tätigkeit der Diluvialzeit verdankt die norddeutsche Tief-
ebene auf große Strecken ihren Ackerboden. Das von den diln-
vialen Lehm- und Sandablagerungen bedeckte Gebiet wird ge-
wohnlich als Geest bezeichnet. Die Moränenbildungen (Geschiebe-
mergel) gaben bei der Verwitterung dem Boden ihren reicheren
Gehalt au kohlensaurem Kalk, Phosphorsäure uud anderen Pflanzen-
Nährstoffen. Der durch die Aufschüttung von Sand- und Lehm-
massen geschaffene Boden des Flachlandes dient vorzugsweise den:
Ackerbau, der nur dort wenig lohnt, wo weite lehmarme Sand-
flächen vorherrschen. Den kalkarmen Sandboden verbessert man
durch Lehmbeimischung aus der Tiefe oder durch Mergeldüngung.
(Diluvialgebiete fiud: Das Flachland n des Wesergebirges, die Seune
zwischen Gütersloh uud Lippspringe, die Lüneburger Heide, Prov.
— 25
Brandenburg, Pommern, Posen, Preußen, überhaupt die ganze
norddeutsche Tiesebene.)
In manchen Ablagerungen der Eiszeit werden riesige Tiere gesnn-
den, die heute zum Teil ausgestorben sind. Dahin gehören das Mam-
mut, ein dicht behaarter Riesenelesant mit langen, gebogenen Stoß-
zahnen und großer Mähne (schön erhaltene Knochen und Zähne dieses
Tieres sind in den Mergelgruben der Zementfabrik Wunstorf, iu der
Eilser Gemarkung und im Wesertal gefunden worden), der Riesen-
Hirsch, Bären, Löwen, Hyänen und andere Tiere, von denen sich
Reste besonders in Höhlen finden. Auch hat man Grund anzunehmen,
daß der Mensch bereits zur Diluvialzeit gelebt hat, da man in diln-
vialen Ablagerungen von ihm gefertigte Waffen, Gerätschaften und
Werkzeuge gefunden hat. Dahin gehören Messer, Pseil- und Lanzen-
spitzen aus Stein und aus Tierknochen, aus Stein gefertigte Beile,
Hämmer, Äxte usw. Die Gegenstände aus Stein sind oft schön ge-
schliffen, die aus Horn kunstreich bearbeitet. Man nennt jene Zeit
auch Steinzeit und unterscheidet eine ältere und eine jüngere Stein-
zeit. In der neueren hatte der Mensch bereits gelernt, durchbohrte
Beile und dergl. herzustellen, die Werkzeuge der älteren Steinzeit
sind nur roh zurecht gehauen. Solche Funde hat man auch iu
uuserm Lande an vielen Orten gemacht. Sie werden von dem Verein
für Geschichte, Altertümer und Landeskunde zu Bückeburg gesammelt
und dort in einem Museum aufbewahrt. Aus diesen Funden ergibt
sich, daß unsere Gegend schon seit uralter Zeit bewohnt gewesen ist.
Geest wird alles niedere und hügelige Land genannt, das nicht Marsch
oder Moor ist. In der Geest gibt es in bnnter Abwechselung fruchtbare Acker,
saftige Wiesen, waldreiche Gebiete, Städte und Dörfer neben wenig ergiebigen
und schwach besiedelten Sandgegenden. Letztere nennt man nach dem dort üppig
wuchernden Heidekraut Heide. Die Heide ist das schlechteste Stück der Geest.
Sie tritt bei uns strichweise am Steinhuder Meer aus. Unser Land bildet im
allgemeinen den besten Teil der Geest, nämlich äußerst fruchtbaren Ackerboden,
üppige Weiden und herrlich gedeihende Wälder. (Geest = güst = unfruchtbar.)
Die jüngsten in unserm Gebiete auftretenden Schichten bilden
Ablagerungen des Alluviums.
5. Alluvium.
Der Name bedeutet das Angeschwemmte. Hierher rechnet man
alle die Ablagerungen, welche seit Beginn der geschichtlichen Zeit
bis heute entstanden sind. Während der Alluvialzeit hat sich die
Oberflächengestalt der Erde nur wenig verändert. Wirksam sind bei
der Neubildung von Gesteinen die sogen. Atmosphärilien, d. s.
— 26 —
Wasser, Frost, Hitze, Wind, Verwitterung. Das Wasser dringt in
die feinsten Felsspalten, zersprengt allmählich die härtesten Blöcke
beim Gefrieren (Ausdehnung!) und schwemmt die zersetzten Stücke
nach und nach weg (S. 17).
Zu den alluvialen Gebilden gehören demnach die Absätze von
Sand, Kies und Schlamm in den Überschwemmungsgebieten der Fluß-
lause, der gewöhnlich fruchtbare Marschboden der Niederung, die Ab-
lagernngeu an den Flußmündungen, Kalktuffe oder Mergel, Straud-
und Dünenbildungen, Torsmoore, Humusboden, Dammerde 2C.
Das Alluvium ist auf der Oberfläche der Erde weit verbreitet.
Marschland nennen wir fetten Schlammboden. Derselbe ist bei den
Überschwemmungen der Flüsse und besonders an den Mündungen derselben dnrch
Ablagerung lehmiger und toniger Bestandteile entstanden. Er dient als Acker-
und Weideland. Der meist äußerst fruchtbare Ackerboden gibt reiche Erträge an
Weizen. Auf den üppigen Weiden hält man in Einfriedigungen zahlreiche Pferde,
Kühe und Ochsen. (Marsch = Meerland.)
Die Torfmoore sind eine besondere Ausbildungsform des Alluviums.
Am Steinhnder Meer und besonders im Nordwesten von uns, jenseits der Weser
nehmen sie große Flächen ein. Man hat gefunden, daß der Untergrund des Moores
aus einer meist undurchlässigen Schicht besteht. Ein derartiger Untergrund läßt
das sich ansammelnde Wasser nicht abziehen, so daß mit der Zeit ein sumpfiger,
schlammiger Boden darüber entsteht, auf welchem Moose, Gräser und kleine
Sträucher üppig gedeihen. Während die oberen Teile dieser Pflanzen fortgrünen,
sterben die unteren allmählich ab, verwesen aber nicht, sondern vermodern nur,
da sie durch den Schlamm von der Luft abgeschlossen sind. Dieses Vermodern
der auf dem Moore gedeihenden Pflanzen schreitet ständig fort. Nach und nach
bildet sich auf diese Weise der Torf. Er ist ein wertvolles Brennmaterial, das
besonders im N unseres Landes viel verwandt wird.
Nach der äußeren Form uud Entstehungsweise unterscheidet man Flach-,
Zwischen- und Hochmoore. Die Flachmoore (Niedermoore) bilden sich in
offenen ^seen und namentlich an Stellen mit mangelndem Wasserabfluß. Die
Bertorsung beginnt hier mit der Ansiedelung von solchen Sumpf- und Wasser-
pflanzen, die ein an mineralischen Nährstoffen (namentlich Ealnumkarbonat) reiches
Wasser lieben. Auf dem Grunde vieler Seen bildet sich aus den zu Boden
sinkenden Pflanzenresten und sonstigen Stoffen ein breiiger bis gallertartiger
Schlamin (Faulschwamm), der den Nährboden abgibt für das Röhricht und die
im Wasser lebenden Pflanzen. Häufig schiebt sich vom Ufer aus eine schwimmende
Pflanzendecke gegen das offene Wasser vor, wie z. B. am Steinhuder Meer. In
diesem Zustande bezeichnet man das Flachmoor als Sumpsinoor. Es gibt bei
weiterer Verbindung einen geeigneten Standort für die Erle ab (Erlenbrnch).
Wird die obere Schicht trockener, so finden sich auch einige Waldbäume ein (Birke,
Kiefer, Eiche, Fichte). Es entstehen Flachmoormischwälder, die einen Übergang
zu den Hochmooren bilden und daher als Zwischenmoore bezeichnet werden.
Erhöht sich in einem solchen Bruchwalde die Torfdecke mehr und mehr, so fehlt
den Wurzeln der Bäume allmählich das erforderliche Grundwasser. Die Bäume
kränkeln und sterben ab. Es siedeln sich Moose an, die schließlich alles über-
wuchern und den Bruchwald zum völligen Absterben bringen. So entstehen nach
und nach Hochmoore. Ihr Name soll andeuten, daß sie über der Oberfläche des
Grundwassers emporwachsen. Sie bilden oft einige Meter hohe Erhebungen.
Eigentümlich ist ihnen die sogen. Krüppelkiefer. Hochmoore finden sich in den
Küstengebieten von Ostpreußen und Pommern, besonders aber im Nordwest-
deutschen Flachlande. Dazu gehört z. B. das Tote Moor am Steinhuder Meer.
— 27
5. Unsere pflanzen- und Tierwelt.
Manzen. Das Bild der Pflanzenwelt unserer Heimat ist
Vielsachen Veränderungen unterworfen gewesen, die teils von der
Veränderung des Klimas herrührten, teils durch den Menschen her-
vorgebracht wurden. Wie uns die in manchen Gesteinsarten über-
lieferten Abdrücke und Versteinerungen lehren, waren es zunächst
blütenlose Pflanzen, wie Farne und Schachtelhalme, teilweise von
riesiger Größe, die unser Land bedeckten. Zu Beginn der Neuzeit der
Erde, der sogen. Tertiärzeit (S. 19), in der aus der gauzeu Erde eiu
Klima herrschte wie heute iu Brasilien, Mittelafrika und Indien, sah
es bei uns so aus wie in den tropischen Ländern. Gewaltige Bäume,
durch Schlingpflanzen verbunden, von buntblühenden oder unheimlich
aussehenden Schmarotzergewächsen bedeckt und von Affen, Papageien,
prachtvollen Schmetterlingen, schimmernden Käsern und glänzenden
Schlangen belebt, bildeten Urwälder, wie sie sich heute nur uoch in
den heißesten Gegenden der Erde finden.
Diese wunderbare Pflanzenwelt samt ihren Tieren verschwand
dann in der nachfolgenden Eiszeit, die Deutschland im Lause vieler
Jahrtausende mit ungeheuren Eisfeldern bedeckte (S. 24). Das
Klima erfuhr eine immer stärkere Abkühlung, wodurch nach und
nach eine vollkommene Umänderung der Pflanzen- und Tierwelt
hervorgebracht wurde. Unsere Heimat mag damals ungefähr so
ausgesehen haben wie heute Nordsibirien. Das Heidekraut bedeckte
weite Flächen. Dazwischen erhoben sich Zwerg- und Moorbirken,
unter denen die Bick-, Krons-, Moor- und Moosbeeren wucherten,
während im Sommer das Wollgras weite Flächen weiß färbte.
Renntier, Vielfraß, Polarwolf, Eisfuchs, Schneehase, Lemming,
Moschusochse uud Eisbär lebten damals hierzulande und dienten
hin- und herschweifenden Jägervölkern, verwandt mit den Eskimos
und den Tnngnsen, zur Nahrung.
Auch diese Zeit ging vorüber. Die Gletscher traten langsam
zurück, die Sommer wurden länger, und neben der Kiefer, der
Fichte und der Birke drang auch die Erle und die Pappel bei uns
ein, und allerlei Pflanzen siedelten sich an, die teils im Osten, in
den Steppen Jnnerasiens und Rußlands, teils an den Gestaden des
Atlantischen Ozeans wuchsen. Deutschlands Steppenzeit begann,
eine trockene, heiße, regenarme Zeit. Die Polarpflanzen der-
schwanden, und mit ihnen wich die nordische Tierwelt; hohe Disteln
und riesige Doldengewächse bedeckten das Land, und allerlei Steppen-
tiere, wie Springmäuse, Murmeltiere, mehrere Hamsterarten, die
Saigaantilope, Wildpferde, Wildesel, Ziesel, Steppenhühner und
Trappen lebten bei uns, wie heute in der asiatischen Steppe. Auch
sie verschwanden, als das Klima feuchter wurde, uud nun breiteten
sich Kiefer, Fichte, Erle, Birke und mehrere Weidenarten aus, dichte
Wälder bedeckten das Land, hier und da zu Sümpfen, Heiden und
Mooren sich öffnend, Jäger- und Fischervölkern Obdach bietend.
Da aber rückten aus der skandinavischen Halbinsel die blonden
Männer herein; sie trieben die schwarzhaarigen, gelbhäutigen Jäger
und Fischer teils dem Norden, teils dem Süden zu, besetzten das
Land uud formten es in zäher Arbeit nach ihrem Gefallen um.
Sie waren Weidebauern, die blonden Leute, die hauptsächlich von
der Viehzucht lebten. Das Nadelholz hatte wenig Wert für sie.
Sie rodeten es aus oder brannten es ab und pflanzten die Eiche
an, die Mast für ihre Schweine und besseres Bauholz brachte.
Späterhin trieben sie auch Ackerbau, erst wenig, dann immer mehr,
und so entstanden hier und da von Feldern, Weideplätzen und
Eichenhainen umgebene Höfe. Je stärker die Bevölkerung zunahm,
uni so mehr verschwand die ursprüngliche Pflanzenwelt, und nur
dort, wo der Feldbau unlohnend war, auf dem Sumpfland und
den nassen Mooren am Steinhnder Meer, auf dem dürren Sand
bei Großenheidorn und auf den felsigen Kuppen der Berge blieb
die wilde Pflanzenwelt bestehen.
Da nun der größte Teil des Schaumburg-Lipper Landes
fruchtbaren Boden hat, besiedelte es sich sehr rasch. Die Wälder
und Büsche verschwanden in der Ebene immer mehr und machten
Feldern und Wiesen Platz, und heute ist der größte Teil des Laudes
unter deni Pfluge. Aus diesem Grunde gibt es hierzulande weniger
wilde Blumen als in vielen anderen Gegenden Deutschlands, und
— 29 —
nur ba, wo heute noch der Ackerbau nicht oder nur wenig vordrang,
in den Sumpf-, Moor- und Sandgebieten der Seeprovinz sowie
auf Felsboden, hat sich eine reichere wilde Pflanzenwelt erhalten,
doch mußte sie vielfach der Aufforstung mit Kiefern, Fichten, Eichen
und Buchen weichen. Mit dem Ackerbau drangen als Unkräuter
oder Begleitpflanzen allerlei asiatische Gewächse bei uns ein, wie
die Kornblume, die Kornrade, der Feldmohn, der Taumellolch, die
Trespe und noch eine Menge von Kräutern, die teils unter der
Frucht, teils an den Wegen, an den Gräben, auf Schuttplätzen und
an den Zäunen vorkommen, Wolfsmilcharten, Hundskamillen,
Melden, schirlingartige Gewächse, Brennesseln, Kletten, Wegerich,
Bienensaug, Rainfarn, Kettenblume. Neuerdings erhielten wir durch
den Verkehr auch amerikanische Gewächse, wie das kanadische Beruf-
kraut und das Franzosenkraut, und auch ein böser Gast, die Pracht-
voll dottergelb blühende Wucherblume versucht sich bei uus heimisch
zu macheu.
Da Schaumburg-Lippe auf der Grenze der norddeutschen Tief-
ebene und des mitteldeutschen Berglandes gelegen ist, ist seine
Pflanzenwelt nicht einheitlicher Art, sondern setzt sich aus solchen
Gewächsen zusammen, die in der Ebene wie auf Bergen vorkommen.
Eine strenge Scheidung zwischen diesen beiden Gebieten findet nicht
statt, da nicht nur die geographische, sondern ebensosehr die geologische
Beschaffenheit des Bodens bei der Verbreitung der Gewächse mit-
spricht, ja, man kann sogar sagen, die geologische Beschaffenheit ist
dabei ausschlaggebend, weil unsere Berge nicht so hoch sind, als daß
sie eigentliche Gebirgspflanzen beherbergen.
Die größte Rolle von allen Erdarten bildet bei der Ver-
fchiedenheit der Pflanzenwelt der größere oder geringere Reichtum
an Kalk. Je ärmer an Kalk der Boden ist, um so mehr treten die
Heide- und Moorpflanzen auf, ganz gleich, ob es sich um Gebirge
oder um die Ebene handelt. Die kalkärmste Bodenart unseres
Landes ist der Sand, der in großer Ausdehnung in der See-
Provinz auftritt und dort ein Pflanzenbild hervorbringt, das dem
der Lüneburger Heide sehr nahe kommt und sich bald als Heide,
bald als Moor darstellt. Die Kieser ist dort der vorherrschende
Baum, neben der die Birke noch einigermaßen hervortritt, doch
kommt dort, wo der Boden frischer nnd tiefgründiger wird, die
Eiche noch gut fort. Der Untergrund der jüngeren Bestände ist
30 —
meist kahl, in den älteren finden sich Krons- und Bickbeeren, der
hohe Adlerfarn und verschiedene Gräser und Moose. Die kahlen
Flächen beherrscht die Sandheide, hier und da mit Wacholdern
bestanden. Zwischen der Heide wuchert eine graue Flechte, das so-
genannte Renntiermoos, dasselbe, von dem im hohen Norden die
Renntiere leben, und auf den kahlen Sandstächen der bläuliche, in
Büscheln wachsende Schafschwingel. Wo der Sand das Wasser nicht
durchläßt und Moore sich bilden, treten Moorbirke und Glocken-
Heide auf, Wollgräser schmücken im Frühling und Sommer die
Flächen mit ihrer silbernen Fruchtwolle, und die reizende Rosmarin-
Heide erhebt dort im Mai ihre rosenroten Glöckchen. Hier wächst
auch auf abgeplaggten Stellen der zierliche Sonnentau. Die Tors-
ftiche füllen sich allmählich wieder mit Torfmoos, das von Jahr zu
Jahr dichter wird und, indem es unten abstirbt und oben weiter-
wächst, allmählich wieder Torf bildet. Wo der Boden, wie bei
Hagenburg, sumpfig ist, herrscht das Wiesen- oder Grünlandsmoor
vor, dem die Torfmoose und die Heidekrautarten fehlen, das aber
reich an guten Gräsern und anderen Pflanzen ist. Schilf, Rohr
uud Rohrkolben, Schwertlilie, Riesenampfer, hier und da auch die
Kalla und der Fieberklee wuchern dort, Wasserschierling, Pfeilkraut
und noch eine ganze Anzahl ansehnlicher Kräuter. Im Steinhuder
Meere herrschen die Laichkräuter vor uud stellenweise der Wasser-
Hahnenfuß.
Die Pflanzenwelt der Berge bietet wenig Besonderes; am
reichsten ist sie noch bei der Arensburg, wo im Frühling der Wald-
boden bunt von Lerchensporn und Windröschen ist; manch andere
und jetzt dort viel verbreitete Blume ist angepflanzt, z. B. das zier-
liche Zimbelkraut, das die Mauern der Burgböfchuugeu berankt.
In der Hauptsache ist das Bergland zu dicht aufgeforstet, als daß
Platz für eine reiche Flora wäre, auch bedingt der Kalkmangel des
Gesteins eiue gewisse Pflanzenarmut. Besonders auffallende Ge-
wüchse sind der Wnrin- und der Tüpfelfarn, der Fingerhut, der
ebenso wie das Weidenröschen hier und da ganze Flächen rot
färbt, das Rührmichnichtan, ferner Windröschen, Feigwnrz, Sauer-
klee und einige Knabenkräuter. Au gewissen Stellen hat der Wind
im Laufe der Jahrhunderte große Mengen von Gesteinsstaub ab-
gelagert, die dort eine gelbe, bald dünnere, bald dickere Schicht auf
den Bergen bilden, die sich von dem Lehm dadurch unterscheidet,
— 31 —
daß sie wenig oder garnicht bindet. Diese Erdart, Löß genannt
(S. 24), findet sich im Harrl besonders stark entwickelt und trägt
sast dieselbe Pflanzenwelt wie der Sand, also Kiefer, Sandheide,
Bickbeere und Adlerfarn.
Am ärmsten an wilden Pflanzen ist der bebaute Lehm, und
nur öa, wo sich wie im Scheier Bruche, vor uud hinter dem
Schanmbnrger Walde und in den Uberschwemmnngszonen der Bäche
etwas Urland gehalten hat, oder wo wie bei den Hagendörfern die
alten Hecken erhalten blieben, findet sich reicherer Blumenschmuck.
Da blühen Sumpfdotter- und Schlüsselblume, Schwertlilie und
Blumenbinse, wilde Minze und Pestwurz; gelbe Platterbsen und
blaue Wicken ranken sich durch die Hecken, während Schaumkraut,
Sauerampfer, Hahnenfuß und Lichtnelke je nach der Jahreszeit die
Wiesen weiß, gelb, bräunlich oder rosenrot färben.
Von besonders bemerkenswerten Bäumen seien genannt die
beiden alteu Eibenbäume vor dem Forsthause Heinemeyer im Harrl
und eine eigenartige Buche am Anfange des Harrlsüdweges, bereit
Rinde infolge einer krankhaften Korkbildung die Mitte zwischen
Eichen- und Erlenrinde hält. Ahnlich gebildete Buchen, von den
Förstern Steinbuchen genannt, finden sich auch hier und da im
Bückeberge. Ein Prachtbaum ist die uralte Eiche zwischen Röcke
und der Klus, und stattliche Exemplare ihrer Art sind die alten
Eichen bei der Arensburg und in Rösehöse.
Ein Hauptmerkmal des Schaumburg-Lipper Landes ist schließ-
lich die Mistel, der eigenartige Schmarotzerstrauch, der auf Pappeln
und Apfelbäumen dicke, gelbgrüne, wie große Nester aussehende
Büsche bildet.
Tiere. Allgemeines. Die Tierwelt des Fürstentums ist nicht
besonders artenreich, da die Bodenoeränderung, die die dichte Be-
siedelnng der fruchtbaren Teile des Landes mit sich brachte, durch
die Beseitigung der Büsche, die Austrocknung der Sümpfe und die
Auffüllung 0ou Tümpeln viele Tiere, besonders manche Vögel, 0er-
trieb. So verschwanden aus dem Scheier Bruche nach Vornahme
der Verkoppelnng die Rohrdommel und die Bekassine und aus dem
Schanmbnrger Walde uach Ablösung des Huderechtes der Wiedehops,
der, um bequem leben zu können, die Nähe von Weidevieh nötig
hat, weil er sich aus dem Dung allerlei Gewürm sucht. Anderer-
seits gefiel die Bebauung manchen Tieren, die das offene Getreide-
land lieben, wieder sehr, und so vermehrten sich solche Arten stark,
wie Hase, Hamster, Feldhuhn, Ringeltaube, Dohle, Feldlerche und
Grauammer.
Da manche Tiere schweren, andere leichten Boden lieben und
Schaumburg-Lippe letzteren hauptsächlich iu der Seeprovinz besitzt,
so kommen dort einige Tiere vor, die auf Lehm-, Ton- und Fels-
boden fehlen. So lebt auf den Wiesenmooren bei Großenheidorn,
Steinhude und Hagenburg der Moorfrosch, eiu kleiner brauner
Frosch, der nie auf Lehm und Ton und in den Bergen vorkommt,
ferner der seltsame Ziegenmelker, auch Nachtschwalbe genannt, die
Heidlerche, die allerdings auch aus dem Bückeberge vorkommt, weil
ihr der mit Heidkraut bewachsene Lößboden zusagt, ferner ein dritter
Vogel, der Ortolan, dem Goldammer ähnlich, sodann noch die
Kreuzkröte. Nur auf dein schweren Boden kommt dagegen der
Hamster vor, desgleichen die hübsche, oben rote, mit schwarzem
Aalstrich versehene Brandmaus, der Grauammer, der Bergmolch,
der Leistenmolch, die Bergunke uud der Laubfrosch, während der
Feuersalamander bei uns lediglich auf quelligem Felsboden lebt.
Auch ziehen einige Tiere bestimmte Baumarten vor. So bevor-
zngt der Schwarzspecht die Kiefer und ist deshalb vorzugsweise
auf dem Bückeberge und bei Großenheidorn zu finden, wird aber
seit einigen Jahren auch im Harrl beobachtet. Auch die Hauben-
meise wählt Kiefernbeftände, während die Tannenmeise, der
Dompfaff, die Turteltaube Fichten liebt, wogegen die Hohltaube
Eichen vorzieht, weswegen sie im Schaumburger Walde vorkommt.
Manche Tiere brauchen Moor, um zu gedeihen, so das Birkhuhn,
das sich bei Großenheidorn und zwischen Hagenburg und Winzlar
findet, wie auch der Wiesenpieper, die Bekassine, die Krick- und
Knäkente, die Mooreule, der Brachvogel, andere offenes Wasser,
wie der Haubensteißsnß, der auf dem Steinhnder Meere brütet,
andere wieder Rohrdickichte, fo der Drosselrohrsänger, die Wasser-
alle, das Teichhuhn, das Wasserhuhn, der Zwergtaucher, die kleine
Rohrdommel, die Rohrweihe; sie finden sich ebenfalls am Stein-
huder Meere, aber auch int Scheier Bruche. Noch andere wollen
Bäche, wie der Eisvogel, die Wasseramsel und die Bergbachstelze
diese finden sich darum au der Aue.
Eine ganze Menge von Tieren sind erst bei uns eingewandert,
als der Mensch den Wald rodete und Viehzucht und Ackerbau
— 33 —
trieb; sie finden sich nur in Ortschaften, auf Landstraßen, in
Gärten, Parks, Kirchhöfen, Feldern und Wiesen. Solche sind von
den Säugetieren mehrere Fledermäuse, zwei Spitzmäuse, der Haus-
marder, das kleine Wiesel, der Hamster, die Wanderratte und die
Hausmaus; von Vögeln: das Hausrotschwänzchen, das erst vor
hundert Jahren von Südeuropa bei uns einwanderte, der Garten-
spottvogel, die Feldlerche, die Haubenlerche, die weiße Bachstelze,
die gelbe Wiesenbachstelze, der Grauammer, der Ortolau, der Girlitz,
der in Bückeburg und Stadthagen häufig ist, aber erst seit süuszig
Jahren vom Süden nach Deutschlaud kam, der Feldsperling, der
Haussperling, die Elster, der Star, die Dohle, die Saatkrähe, die
Rauch- und die Steiuschwalbe, die Turmschwalbe, die Schleiereule,
der Steinkauz, das Rebhuhn, die Wachtel, der Storch.
Dagegen sind andere Tiere, die hier ehemals lebten, von den
Menschen nach und nach ausgerottet, oder sie verschwanden, als
die Bebauung zunahm. Solche siud von den Säugetieren: Urochs,
Wisent, Elch, Hirsch, dieser wenigstens in Schaumburg-Lippe in
freier Wildbahn, desgleichen das wilde Schwein, der Biber, ferner
der Bär, der Luchs, die Wildkatze und der Wolf; andere, wie Dachs,
Fuchs, Fischotter wurden selten, weil ihnen znviel nachgestellt
wurde. Ausgerottet sind ferner der Steinadler, der Schreiadler,
der Wanderfalke, die Gabelweihe, der Uhu uud der Kolkrabe,
während der schwarze Storch, der Kranich und die Blauracke ver-
schwanden, als die Bebauung zu dicht wurde.
Einige wilde Tiere werden der Jagd wegen gehegt, zum Teil
hinter dem Gatter, damit sie keinen Flurschaden verursachen können,
wie der Hirsch und das Wildschwein, andere in freier Wildbahn,
wie das Reh, der Hase, das Feldhuhn und die Wildente. Der
Fasan ist eigens der Jagd wegen eingeführt und hat sich von den
Fasanengärten über das ganze Land, soweit es ihm gefällt, aus-
gebreitet, was bei den: Kaninchen, das bei Großenheidorn aus-
gesetzt war, zum Glück nicht der Fall ist, denn es ist sehr schädlich.
Im Steinhnder Meere ist ein guter Speisefisch, der Zander, aus-
gesetzt, der sich stark vermehrt hat. Noch andere Tiere siedeln sich
von selber in der Nähe des Menschen an, weil sie entweder, wie
der Star, unter den Dächern oder in den Nistkästen gute Brut-
gelegeuheiten finden oder, wie die Amsel und die Ringeltaube,
merken, daß der Mensch sie vor Raubtieren schützt.
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34
Em eigenartiges Wild ist das schwarze Reh, eine Abart des
gewöhnlichen Rehes, das in allen Wäldern des Fürstentums vor-
kommt. Es entstand vor ungefähr 200 Jahren in der Haster
Gegend und breitete sich, da es geschont wurde, immer weiter aus.
Es Paart sich mit dem gewöhnlichen Reh, so das; man rote Ricken
mit schwarzen Kitzchen und schwarze Ricken mit roten Kitzchen, sowie
auch Ricken antrifft, die ein schwarzes und ein rotes Kitz bei sich haben.
Arten. I. Zgugetiere. Dadon sind für Schanmburg-Lippe folgende Arten
festgestellt: Fledermünfe: Kleine Hufeisennase, langöhrige Fledermaus, breit-
öhrige Fl., frühfliegende Fl., spätfliegende Fl., zweifarbige Fl., geineine Fl.,
großöhrige Fl., Bart-, Wasser- und Teichfledermaus. Insektenfresser: Igel,
Maulwurf, Wasser-, Wald-, Feld- und Hausspitzmaus. Raubtiere: Fuchs,
Dachs, Baum- und Steinmarder, Iltis, großes nnd kleines Wiesel, Fischotter.
Nagetiere: Haselmans, Siebenschläfer, Hamster, Wander- und Hausratte,
Haus-, Brand-, Wald-, Zwerg-, Waldwühl-, Moll-, Feld- und Erdmaus, Hase,
Kaninchen. Schweine: Wildschweine. Hirsche: Edelhirsch, Reh.
II. Vögel. Viele Vögel berühren unser Land nur auf dem Zuge oder
halten sich über Winter bei uns auf. Solche Arten find in der folgenden Auf-
zählung mit * bezeichnet, während die Brutvögel so aufgeführt sind. Nachtigall,
Rotkehlchen, "weißfterniges Blankehlchen, Hausrotschwanz, Gartenrotschwanz,
Gartengrasmücke, Dorngrasmücke, Mönch, Zaungrasmücke, Müllerchen, Garten-
fpottvogel, Waldlaubsänger, Fitis,Weidenlaubsänger, Fichtengoldhähnchen, ^Kiefern-
goldhähnchen, Zaunkönig, Drosselrohrsänger, Teichrohrs., Sumpfrohrs., Schilf-
rohrf., Heuschreckenrohrs., Braunelle, Brannkehlchen, *Schwarzkehlchen, Stein-
schmätzer, Misteldrossel, Singdr., "Wacholderdr., *Rotdr., "Ringdr., Schwarzdr.,
Kohlmeise, Tannenm., Haubenm., Sumpsm., "Weidenm,, Blanm., Schwanzm.,
Spechtm., Baumläufer, grauer Fliegenschnäpper, Trauerfliegenfchn., "Halsband-
sliegenschn., Ranchschwalbe, Steinschw., Uferfchw., Tnrmfchw., Nachtfchw., großer
Würger, rotrückiger Würger, "Seidenschwanz, Pfingstvogel, Star, Wasseramsel,
weiße Bachstelze, Bergbachst., gelbe Bachst., Wiesenpieper, Baump., *Brachp.,
"Wasserp., Feldlerche, Heidl., Haubenl., Grauammer, Goldammer, Ortolan, Rohr-
ammer, Bnchsink, "Bergfink, Haussperling, Feldsperling, Hänfling, "Zeisig,
"Birkenzeisig, Girlitz, Stieglitz, Dompfaff, "nordischer Dompfaff, Kernbeißer,
*Fichtenkreuzschnabel, Grünfink, Schwarzspecht, großer, mittlerer, kleiner Bunt-
specht, Grünspecht, Grauspecht, Wendehals, Kuckuck, "Wiedehopf, Eisvogel, *Nuß-
Häher, Eichelhäher, Elster, Rabenkrähe, "Nebelkrähe, Saatkrähe, Dohle, "Kolk-
rabe, "Schreiadler, "Fischadler, "Seeadler, Mäusebussard, Wespenbussard, "Rauch -
sußbussard, "Gabelweihe, Hühnerhabicht, Sperber, "Wanderfalk, Baumsalk,
"Zwergfalk, Turmfalk, Rohrweihe, Kornweihe, Wiesenweihe, "Steppenweihe,
Waldohreule, Sumpfohreule, Waldkauz, Steinkauz, Schleiereule, Ringeltaube,
Hohltaube, Turteltaube, "Flußseeschwalbe, "Trauerseeschwalbe, "Lachmöwe,
"Sturmmöwe, "Silbermöwe, "Mantelmöwe, "dreizehige Mölve, "Kormoran,
"Singschwan, "Saatgans, "Ringelgans, Stockente, "Spießente, Knäkente, Krick-
— 35 —
ente, "Pfeifente, "Löffelente, "Schellente, "Samtente, "Zwergsäger, "Gänsesüger,
"mittlerer Säger, Haubensteißsuß, Zwergsteißsuß, Wasserhuhn, Teichhuhn,
Tüpfelsumpfhuhn, Wasserralle, Wachtelkönig, "Triel, "Flußregenpfeifer, "Gold-
regenpfeifer, Kiebitz, "Alpenstrandläufer, "Flußuferläufer, "Kampfläufer, "Rot-
fchenkel, "Waldwasserläufer, Bruchwasserläufer, "heller Wasserläufer, "Ufer-
schnepfe, großer Brachvogel, "kleine Sumpfschnepfe, "große Sumpffchnepfe,
Bekassine, Waldschnepfe, weißer Storch, "schwarzer Storch, "Fischreiher, kleine
Rohrdommel, "große Rohrdommel, "Kranich, Birkhuhn, Fasan, Feldhuhn,
Wachtel, große Trappe.
III. Kriechtiere: Waldeidechse, Zauneidechse, Blindschleiche (die Kreuzotter
fehlt), Ringelnatter, glatte Natter.
IV. Lurche: Laubfrosch, Wassersr., Moorfr., Grasfr., Knoblauchkröte, Berg-
unke, Kreuzkröte, Erdkröle, Kammolch, Bergmolch, Leistenmolch, Streifenmolch,
Feuersalamander.
V. fjzche: Zander (künstlich eingeführt), Kaulbarsch, Flußbarsch, Groppe
(in der Aue), dreistachliger Stichliug, zehnstachliger Stichling, Quappe, Karpfen,
Karausche (die rote Form als Goldfisch in Teichen gehalten), Gründling, Schleie,
Plötze, Rotfeder, Güster (in Steinhude Dünche genannt), der Blei, Ukelei, Aland
(nur als Goldorfe in Teichen gehalten), Schlammbeißer, Schmerle, Steinbeißer,
Hecht, Bachforelle, Regenbogenforelle (nur als Teichfisch), Aal.
VI. Rundmäuler: Bachneunauge, Flußneunauge.
Die niedrige Tierwelt, also die Schnecken, Muscheln, Würmer, Kerbtiere
usw., bietet nichts Auffallendes. Auf dem Sande bei Steinhude kommt ein
reizender Laufkäfer vor, carabus intens. Auch zeigt sich bei uns ein schöner
Schmetterling, das kleine Nachtpfanenange. Bei den Schnecken ist zu bemerken,
daß die große Wegeschnecke auf Saudboden schwarz, auf Kalkboden wie bei
der Arensburg feuerrot aussieht.
3*
36 —
II. Einzelbilder
aus Schaumburg-Lippe und dem Nachbarlande.
Überblick.
Schaumburg-Lippe besteht aus drei natürlichen Landschaften.
Im N des Fürstentums liegt die Niederung des Steinhnder
Meeres, die s von den Rehburger Bergen begrenzt wird.
Den O bildet die dem Bückeberge vorgelagerte Ebene von Stadt-
Hagen, die von mehreren zur Leine fließenden Bächen durchzogen
wird und reiche Kohlenschätze birgt. Im 3 uud W dehut sich
zwischen Weserbergkette und Schaumburger Wald das Gebiet der
Bückeburger Aue und der Gehle aus. Nur ein kleiner Zipfel unseres
Landes, iu dem das Kirchdorf Steinbergen liegt, greift über die
Weserbergkette hinaus ius Wesertal. Das benachbarte Gebiet besteht
hauptsächlich aus den Landschaften des Deisters, des Süntels, der
Weserbergkette und des Lippischen Weserberglandes, sowie aus den
Tallandschaften der Weser und Leine.
Die Niederung im Morden.
I. Die Rehburger Berge.
Aufg.: Bestimme Lage und Entfernung von unserm Wohnorte aus!
Bezeichne den Weg! (Diese Aufgaben sind bei entspr. Kap.
zu wiederh.)
Die Wealdenschichten der Rehbnrger Berge bilden einen Sattel,
dessen nö Flügel steil zum Steiuhuder Meere hiu ab-
fällt, während sich der sw allmählich zur fchaumb.-lipp.
Kreidemnlde hin senkt (S. 21). Die einzelnen Gesteinsschichten
treten an der Nordseite des Höhenzuges zu Tage. An Schätzen
werden hier Sandsteine und Kohlen gefunden. Den 6—7 m
mächtigen Sandstein gewiuut mau iu mehreren Steinbrüchen, die
meist minderwertige Kohle in einem Privatbergwerk bei Münche-
Hägen. Der untere Wealdenschiefer ist reich an Schwefelkies und
enthält vermutlich durch dessen Zersetzuug Schwefelquellen, denen
— 37 —
Bad Rehburg seine heilkräftigen Wasser verdankt. Das Tal
zwischen Bergkirchen und Schmalenbruch wird von Mergeln des
oberen Jura ausgefüllt.
Kobbensen + 90 m Berqkirchen +100 m
Wiedenbrügge +(f7m
Lindhorst + 60m Sachs en h aq en.+'jso'm~_
1. Diluvium. 2. Hilstou. 3. Oberer Schieferton. 4. Sandstein. 5. Unterer Schieferton. 6. Mergel.
Querschnitt äurch die Rebburger Berge.
Uame, Kage und Gestalt. Die Rehburger Berge werden
nach dem gleichnamigen Badeorte benannt und liegen im N unseres
Landes zwischen den kleinen Städten Rehburg und Sachsenhagen.
Sie bilden die äußersten Erhebungen des mitteldeutschen Berglandes
nach der norddeutschen Tiesebene zu. Ihr schmaler, etwa 10 Km
langer Höhenrücken dehnt sich von Düdinghausen nach
Loccum in nw Richtung aus. Der w Teil wird Loccumer B.
(118 m), der ö Düdinghänser B. (121 m) genannt. Letzterer
bildet mit dem an der Landesgrenze bei Düdinghausen sich erhebenden
Atgeberge (101 m) einen nach NW offenen Bogen, in welchem
die kleine Ortschaft Windhorn liegt. Als Fortsetzung des Atge-
berges ist der unbewaldete Wiedenbrügge B. anzusehen, der in
geringer Erhebung (70 m) mit der Hauptkette parallel läuft. Der
gesamte Höhenzug zeigt wenige Senkungen oder Einschnitte, hat
daher geringe Gliederung. Unmittelbar nw von Bad Rehburg
erreicht der Kamm im Brunnenberge seinen höchsten Punkt, indem
er sich hier bis zu 161 m über den Meeresspiegel erhebt (absolute
Höhe, S. 13). Von der Nordseite her gewährt die Bergkette einen
stattlichen Anblick, denn sie überragt die am Steinhnder Meer be-
ginnende Niederung um mehr als 100 m (relative Höhe). Der
Abhang ist nach dieser Seite hin recht steil.
Kewalduug und Bewässerung. Gipsel und obere Ge-
hänge tragen dichte Laub- und Nadelholzwaldungen. Nenne Laub-
und Nadelhölzer! Am höchsten im Wert steht die Eiche; dann
38 —
folgen Lärche, Fichte, Kiefer, Esche, Buche, Erle, Hainbuche, Birke.
(Näheres über Waldnutzung in dem Einzelbilde: „Der Schauin-
burger Wald".) Die Rehburger Berge sind die Grenzposten des
Laubwaldes gegeu die Kiefernwaldungen des nach N sich aus-
breitenden Flachlandes, die allerdings uoch mehrfach von Buchen-,
Birken-, Erlen- und Eichenbeständen unterbrochen werden. Auch
begrenzt dieser Höhenzug eine Gegend, welche sich von dem übrigen
Gebiete durch größere Fruchtbarkeit und stärkere Besiedelung unter-
scheidet. Welchen Einfluß haben die Waldungen auf Wetter und
Niederschläge (S. 7, 8 u. 14)? — Der Abfluß ist hier sehr geriug.
Nach N fließt der Greuzbach zum Steinhuder Meer, nach 3 die
Jls zur Gehle.
Demohner. Die Bewohner beschäftigen sich vorzugsweise
mit Ackerbau, der hier bei der hängenden Lage der Gärten und
Feldländereien wie bei dem oft steinigen und durchweg schweren
Boden recht mühsam ist, mit Viehzucht und Weberei; einige finden
als Waldarbeiter Beschäftigung, andere arbeiten in Ziegeleien, Stein-
brüchen oder in der Kohlengrube bei Münchehagen. Manche gehen
auch auf den Fischfang in der Nordsee. (Uber Ziegelei, Steinbruch
und Bergbau lies in dem Kap. „Der Bückeberg"!) Im Sommer
werden die waldigen Teile dieses Höhenzuges viel uach Heidel- oder
Bickbeeren abgesucht, die entweder für den Hausbedarf oder für deu
Verkauf gesammelt werden. Diese Frucht hat in jeder Form
hohen gesundheitlichen Wert. Viele Kinder verdienen auf diese
Weise ihren Eltern manche Mark. Fruchthändler aus Hannover
kaufen seit mehreren Jahren die Bickbeeren im großen bei uns auf.
Welcher Nachteil erwächst daraus für die hiesige Gegend? Erzähle
von der Verwendung der Bickbeeren, Himbeeren, Erdbeeren und
des Waldmeisters!
Produkte, fiandel und verkehr. Lehm, Steine, Holz, Flachs, Feld-
früchte usw. sind Naturgüter. Wir nennen sie auch Rohstoffe
(Rohprodukte). Was wird aus diesen Rohstoffen gefertigt?
Weil diefe Dinge durch den Kunstsinn und die Geschicklichkeit der
Menschen hergestellt werden, heißen sie Kunsterzeugnisse (Kuust-
Produkte). Die Beschäftigung der Menschen bei der Herstellung
von Kunstprodukten nennt man GeWerbetätigkeit oder Industrie.
— Viele Erzeugnisse der Landwirtschaft werden in den Städten
zum Verkauf gebracht (Vieh, Milch, Butter, Käse, Stroh, Heu
usw.). Audere Güter, namentlich auch die in der Industrie
— 39 —
erzeugten Waren, werden von den Landleuten wieder eingekauft
(Zeugstoffe, Geräte, Maschinen usw.). Dieser Umtausch der Güter
zwischen Stadt und Land heißt Handel (Händler, Kanslente).
Der Handel kann Groß- und Kleinhandel sein. Die Großhändler
(Fabrikanten) verkaufen Roh- und Kunstprodukte in großen Mengen.
Manche Produkte werden innerhalb des eigenen Landes umgefetzt
(Binnenhandel), andere nach Nachbarstaaten (Außenhandel) oder
auch nach überseeischen Ländern (Welthandel). Einfuhr- und Aus-
fuhrartikel! — Wie werden die Produkte befördert? Nenne Ver-
kehrswege! Zähle Verkehrsmittel zu Wasser und zu Lande aus!
Flüsse, Ströme, Meere sind natürliche, dagegen Landstraßen,
Kanäle, Eisenbahnen, Fernschreib- und Fernsprechanlagen (Tele-
graph und Telephon) künstliche Verkehrswege!
Ortschaften. Aus dem unbewaldeten, stellenweise mit Heide-
kraut bewachsenen Teile dieses steinigen Höhenrückens, auf dem einst
eine heidnische Kultusstätte gewesen sein wird, liegt das alte Kirch-
dors Bergkirchen. Der Ort dehnt sich seiner ganzen Länge nach
auf der Höhe aus und ist deshalb weithin sichtbar. In seinem
schmucken Kirchlein versammeln sich hessische, hannoversche und hiesige
Staatsangehörige zu gemeinsamer Andacht.
öergkirchen wird 1174 in einer Urkunde des Bischofs Auuo
von Minden erwähnt, in der bestätigt wird, daß der Edelherr
Basilius vom See (Wiedensahl) mit Einwilligung Herzogs Heinrich
des Löwen dem Kloster Loccum 9 Hufen (je 30 Morgen) in
„Berkerken" geschenkt hat (zwischen 1163 uud 1170). Es hat
eine Kirche, deren Anlage gleich vielen anderen unserer Gegend
ins 11. oder 12. Jahrhundert zurückreicht, in die sogen, romanische
Bauzeit (s. Kunstgeschichtliches). In späterer Zeit hat sie viele
Bauveränderungen erfahren (Schiff romanisch, Choranbau gotisch,
Turm Spätrenaissance). Die Lindhorster Chronik des Pastors
Markus Antonius Notholdus vom Jahre 1625 berichtet, daß der
Ort während des 30jährigen Krieges zweimal rein ausgeplündert
sei und wüste und unbewohnt stehe.
Eingepfarrt find die Schulorte Bergkircheu, Wölpinghausen
und Wiedenbrügge; Schmalenbruch, Buschmauus Landwehr, Berg-
hol, Spießingshol und Windhorn-, das hannoversche Dorf Winz-
lar, das eine eigene Kapelle hat, deren Geistlicher der Pastor
von Bergk. ist, und die beiden hessischen Dörfer Auhagen und
Düdinghausen.
Westlich von Bergkirchen liegt die Dorffchaft Wölpinghausen,
nur 1^/2 km entfernt. Dieses Dorf breitet sich größtenteils am
8 AbHange des Höhenrückens aus, liegt daher versteckter.
— 40 —
Genau in der Mitte zwischen beiden Orten drehen zwei meilenweit
sichtbare Mühlen ihre Flügel, denen niemals der Wind abgefangen
werden kann. Lange Jahre glichen sich diese Mühlen, sogen. Bock-
mühleu, vollständig; im Winter 1892/93 brannte jedoch die eine nieder,
an deren Stelle dann eine holländische Windmühle errichtet wurde.
Je nach der Kraft, von welcher eine Mühle getrieben wird, unterscheidet
man Wind-, Wasser- und Dampfmühlen. Die meisten Mühlen dienen zum
Mahlen unseres Getreides. In Sägemühlen wird Bau- oder Nutzholz (ganze
Stämme) zu Balken, Bohlen und Brettern geschnitten. Das zugerichtete Holz
dient dann zum Bau unserer Häuser und zu Böttcher- und Tischlerarbeiten.
Was für Mühlen sind in unserm Orte oder in der Nachbarschaft?
In Wölpinghausen erhebt sich am Rande des Waldes auf
herrlicher Matte das sogen. Matteschlößchen, von dem früheren
Bad Reh bürg er Spezialarzte für Lungenkranke Dr. Lehrecke i. I.
1898 erbaut. Dieses stattliche Gebäude (spätgotisch) war anfänglich
nur als Erholungsstätte für Rehbnrger Kurgäste bestimmt, ist aber
heute eiu beliebter Ausflugsort für Naturfreunde von nah und fern.
Dem Auge bietet sich hier eiu herrlicher Rundblick nach dem Stein-
huder Meere, dem Deister und Süutel, dem Bückeberge und der
Weserbergkette mit dem Kaiserdenkmal.
Eine andere herrliche Aussicht gewährt eine Viertelstunde
weiter w der Wilhelmsturm. Dieser Turm ist auf der Höhe
des Kammes (135 in), dem dicht an der Landesgrenze gelegenen
Forsthaufe Berghol gegenüber errichtet. Er wurde an derselben
Stelle aufgeführt, au welcher Graf Wilhelm fem Waldhäuschen
Bergleben erbaut hatte, in dem er im Jahre 1777 starb. (Das
Haus Bergleben ist zum Abbruch verkauft worden und hat zum
Aufbau der Apotheke in Nenndorf Verwendung gefunden.) Der
Turm ist nicht nur eine Erinnerungsstätte, sondern auch eiu Denkmal
edler Menschenliebe, denn er wurde in dem Hungerjahre 1846/47
gleichzeitig mit dem Jdaturm auf dem Harrl vou der Fürstin Ida
errichtet, um deu Arbeitern in jener trüben Zeit Beschäftigung zu
gebeu. Im Jahre 1846 war nämlich in fast ganz Europa die Ernte
mißraten. Der Himteu Kartoffeln kostete bei uns 3,50 M., der
Himten Roggeu 10 M. (heute etwa 1,25 bezw. 3,50 M.). Die
Not war damals so groß, daß die Landesherrschaft im ganzen
Lande vom Frühjahr 1847 ab bis zur Ernte Brot und Suppe an
die Armen austeilen ließ. Der Sommer 1847 brachte eine sehr
gute Ernte und machte der Not ein Ende.
— 41 —
In dem muldenförmigen, etwa 2 km breiten Talkessel zwischen
den Rehbnrger Bergen und den: Wiedenbrügger Berge liegen die
Dörfer Wiedenbrügge und Schmalenbruch und weiter ö das
schon erwähnte Windhorn. — Der Niederung des Steiuhuder
Meeres gehört das hannoversche Dorf Winzlar an. Auf hessischem
Gebiete treffen wir am östlichsten Punkte der Rehburger Bergkette
das Dorf Düdinghausen und am Fuße des Höhenzuges in der
Aueniederung das Dorf Auhagen und das Städtchen Sachsen-
Hägen. Aus dem w an unser Land stoßenden hannoverschen Ge-
bietsteile sind noch Bad Reh bürg und Kloster Loccum bemer-
kenswert.
Winzlar war früher eine selbständige Kirchengemeinde. Es hatte noch im
14. Jahrhundert eine eigene Kirche und Pfarre, trotzdem das unmittelbar daran
gelegene, jetzt wüste Monekehusen ebenfalls Kirche uud Pfarre hatte. Von diesen:
eingegangenen Orte, welcher auf dein nahen Haarberge lag, nennt sich das weit-
verzweigte Geschlecht der Herren von Münchhausen. Nach einem zweiten ebenso
benannten wüsten Orte im Wnldeckischen nennt sich eine zweite Linie. (Der Name
stammt von einem urgermanischen Eigennamen Moniko aus Maniko, Koseform
für Mani, Mane — Führer, Leiter eines Trupps.) — Düdinghausen und
Auhagen wurden unter dem jüngsten Bruder Napoleons, Jürüme (Hieronymus),
der im Jahre 1806 dem neu errichteten Königreiche Westfalen auch das Kur-
sürstentnm Hessen einverleibt hatte, im Jahre 1811 nach Sachsenhagen ein-
gepsarrt. Beide Dörfer kamen aber auf ihren Wuusch und auf Betreiben des
damaligen Pastors Wollbrecht zu Bergk. i. I. 1815 wieder zu ihrer alten
Kirchengemeinde, an der sie bis heute treu festhalten. In früheren Zeiten ge-
hörte auch das nahe Städtchen Sachsen Hägen nach Bergkirchen. Nach anderen
Nachrichten gehörte S. zu Lindhorst. Beides wird richtig sein, denn das be-
festigte Schloß Sachs. s der Aue lag im Bukkigau (also zu Lindhorst), die spätere
Stadt S. dagegen im Marsteingan (daher zu Bergkirchen). Auch Rähden, ein
älterer Dorfteil von Auhagen, lag im Bukkigau und gehörte deshalb einst zu
Lindhorst. — Zwischen Spießingshol und Münchehagen vermutet man den ein-
gegangenen Ort Huxholl (Hukeshol).
S a ch s e n h a g e n, die kleinste und nördlichste Stadt im Kreise Grafschaft Schanm-
bürg liegt auf einer Insel der Aue, in die hier der Ziegenbach mündet. Zwischen
beiden Bächen liegen die Ruinen eines Schlosses und eine frühere Domäne.
Seit 1839 ist das nördlich angrenzende Dorf Kuhlen mit der Stadt vereinigt.
Die Bewohner finden ihre Hauptbeschäftigung in der Ackerwirtschaft, Weberei,
Lohgerberei und einer Dampfziegelei. Früher war S. eine Besitzung der Her-
zöge von Sachsen (daher der Name), die es an die Grafen von Schaumburg
abtraten. Das schon 1253 erwähnte Schloß (nach Dassel 1248 erbaut), von dem
jetzt nur ein verfallener Turm vorhanden ist, wurde vom Grafen Ernst neu her-
gestellt und bis 1601 von ihm bewohnt. Der in der Mitte des 18. Jahr-
Hunderts um das Schloß entstandene Flecken wurde 1650 von der Landgräfin
Amalie Elisabeth von Hessen zur Stadt erhoben. Eine Kirche hat der im 30jähr.
Kriege hart mitgenommene Ort erst seit 1656. Im Jahre 1902 ist vom Düding-
Häuser Berge her eine Wasserleitung angelegt. Die Stadt zählt heute rund
900 Einwohner.
Bad Rehburg wird auf drei Seiten durch den Bergrücken und außerdem
durch dichte Laub- und Nadelwaldungen vor den rauhen N- uud O-Winden ge-
schützt (mildes Klima). Dieser vorteilhaften Lage und der feuchten, warmen Luft,
welche die Ausdünstung der nahen Meeresfläche erzeugt, verdankt der Badeort
— 42 —
feine große gesundheitliche Wirkung für Brustkranke. Seine Heilquelle, der Sage
nach von einem Schäfer entdeckt, wird urkundlich erst 1690 erwähnt. Noch 1750
wohnten die Besucher des „Brunnens" in Laubhütten, da Wohnhäuser fehlten.
Einige Jahre später wurden Bretterbaracken erbaut. Ilm Kolonisten heran-
zuziehen, stellte die Regierung den Umwohnern Befreiung von mancherlei Lasten
in Aussicht. Bald ließen sich einige Ansiedler nieder. So entstand allmählich
der Ort. Seit 1841 ist eine Ziegenmolkenanstalt eingerichtet, die sich eines
großen Rufes erfreut. Das Rehburger Quellwasser, anfänglich zum kurmäßigen
Trinken benutzt, wird heute nur zu Bädern verwandt. In den für die Unter-
suchung und Behandlung der Kranken errichteten Gebäuden sind alle Mittel der
neueren Wissenschaft in reicher Ausstattung vorhanden. Für unbemittelte Lungen-
kranke aus dem Bremer Staatsgebiete hat der Bremer Heilstättenverein mehrere
freundlich eingerichtete Wohnungen erbaut. Andere Heil- und Wohltätigkeits-
anstellten sind das Sanatorium Michaelis, die Kgl. Kloster-Heilaustalt sin erster
Linie fite hannoversche Geistliche, Lehrer, Staats- und Kommuualbeainte und
deren Angehörige), das Genesungsheim der Laudesversicheruugsanstalt Hannover
und das Barackenhaus für unbemittelte Kranke. Die Umgebung dieses stillen
Badeortes hat viele herrliche Spazierwege und schöne Ausfichtspuukte auf-
zuweisen.
Kloster Loccum liegt in der Niederung w von den Rehbnrger Bergen.
Es ist ein großes Dorf. Früher war es ein Kloster. Das ist ein Gebäude,
welches Männer oder Frauen Mönche oder Nonnen) ausnimmt, die sich von der
Welt abschließen und ein gottseliges Leben führen wollen. Sie müssen bei ihrer
Ausnahme das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ablegen.
(Nach der Ordnung oder Regel, welche hervorragende Grituder von Klöstern auf-
stellten, unterscheidet man verschiedene Mönchsvereine oder Orden. Die Orden
führen meist den Namen ihres Stifters. So gründete u. a. Benedikt von Nursia
im Jahre 529 den Benediktiner- und Franz von Assisi i. I. 1225 den Franzis-
kanerorden.)
Loccum war ein Mönchskloster. Die Mönche gliedern sich in Geistliche
(Patres oder Väter) und dienende Brüder (Laien). Ihr Vorsteher heißt Abt,
Prior oder Propst. Die Vorsteherin der Nonnen wird Äbtissin oder Priorin
genannt.
In den ältesten Zeiten waren die Klöster die ersten Ausgangspunkte und
Pflegestätten des Christentums; auch die Gewinnung und Bewirtschaftung des
Bodens ging von ihnen aus. Ganz besonders waren ihre Bewohner Förderer
von^Kunst, Wissenschaft und Erziehung. Viele wichtige Geschichtsquellen sind aus
den Klöstern hervorgegangen (Chroniken).
Dorf und Kloster Loccum haben ihren Namen nach einer alten Burg er-
halten, der Luccaburg, dem Wohnsitz der Grasen von Lncca (Lockern). Noch
heute wird in einem an das Kloster grenzenden herrlichen Eichen- und Buchen-
Walde, dem Sündern, ein erhöhter Platz gezeigt, wo jene Bnrg einst gestanden
hat. Der letzte Gras Bnrchard von Lncca soll von dem Grasen Hermann von
Wintzenburg (bei Hildesheim) erstochen sein. Er hinterlieh eine Tochter Beatrix.
Diese war mit dem Grafen Wullbraud dem Alten von Hallermund vermählt.
Beide erschienen im März 1163 mit ihren drei Söhnen vor dem Bischof Werner
in Minden. Sie stifteten in der Domkirche daselbst in Gegenwart einer großen
Versammlung von Rittern und Geistlichen der heiligen Maria nnd dem heiligen
Georg den Ort Loccum und drei Dörser zur Gründung eines Klosters, um für
ihr eigenes und des verstorbenen Grasen Burchard Seelenheil zu sorgen. Die
Bnrg zerfiel, aber neues Lebeu regte sich bei dem Dorfe Loccum.
Aus Volkerode bei Mühlhausen in Thüringen kamen _ Klosterbrüder
(Cisterciensermönche), welche in stiller, harter Arbeit die gestiftete Besitzung
urbar machten und den Bau des Klosters L. ausführten. (Die Cister-
ciensermönche werden nach dem Orden des Robert von Citanx — Cistercium
•— benannt. Der berühmte Förderer desselben war Bernhard von Clairvaur.
Der Orden breitete seine Kolonien über ganz Deutschland aus.) Durch
— 43 —
Schenkungen des Papstes, der Bischöfe von Minden, Heinrichs des Löwen, der
Grafen von Hoya und der Edelingsgeschlechter derer von Münchhausen, Holle,
Mandelsloh, Klencke und Landsberg gelangte das Kloster, dessen erster Abt
Eckart hieß, bald zu großem Reichtum. Es erwarb Ländereien, Waldungen,
Güter und ganze Dörfer. Verliehene Berechtigungen sicherten ihm Macht und
Ansehen. Aus vielen Orten mußten Abgaben entrichtet werden: Geld, Korn,
Geflügel, Eier usw. Noch heute besitzt L. den i. I. 1224 erworbenen Loccumer
Hos an der Osterstraße in Hannover. Auch in Stadthagen hatte das Kloster
bis in die neueste Zeit Besitzuugeu, uämlich die Loccumer Gärten (Loccumer-
straße daselbst I).
In den Jahren 1240—1277 wurde die Klosterkirche erbaut (Übergangsstil,
s. Kunstgesch.!). Sie bildet ein langes Kreuz und ist in ihrer ersten Anlage bis
heute erhalteu geblieben. Ihr Inneres wurde um die Mitte des vorigen Jahr-
Hunderts (von 1848—1852 unter Leitung des Baurats Professor Hase in Han-
nover) künstlerisch erneuert. Das ehrwürdige Gotteshaus bietet viel Sehens-
wertes. Wir finden in demselben aus^alter Zeit Heiligenbilder, Holzschnitzereien,
zahlreiche Grabsteine, welche den Äbten und mehreren berühmten hannoverschen
Familien gewidmet sind, kunstvolle Maler- und Bildhauerarbeiten usw. Der
Altarbau und die neue Kanzel sind aus Obernkirchener Sandstein hergestellt.
Von großartig ernster Wirkung ist namentlich das Altarbild (von Oesterley), den
Erlöser am Kreuze zeigend. Sehr wertvoll ist die Bücherei (Bibliothek), die
etwa 25 000 Bände und zahlreiche Handschriften enthält.
Bis gegen den Beginn der Reformation war das Kloster nur von Adeligen
bewohnt. Die Wahl des bürgerlichen Abtes Ernst aus Petershagen uiu 1458
und die häufige Brandschatzung des Klosters veranlaßten die adeligen Kloster-
und Laienbrüder, Loccum zu verlassen. Ernst nahm darauf 70 Laienbrüder von
geringem Stande auf. Nuumehr wurde beschlossen, daß künftig nie wieder ein
Adeliger Aufnahme finden solle.
Als das Mittelalter zu Ende ging und Luthers Lehre sich ausbreitete,
setzte ihr das Kloster lange Widerstand entgegen. Die Anhänger Luthers stieß
man aus dem Kloster, so 1543 den Mönch Antonius Eorvinus (Rabe), den
späteren Reformator Kalenbergs. Erst 1591 trat das Kloster zur lutherischen
Lehre über, die in der Umgegend bereits überall Eingang gefunden hatte. All-
mählich bildete sich das evangelische Kloster zu einem Predigerseminar aus.
Heute ist hier gewöhnlich eine Anzahl von 10 bis 12 jungen Männern
(Hospites) beisammen, welche sich nach beendigten Universitätsjahren auf das
geistliche Amt vorbereiten. Seit Ende der 1880 er Jahre dient ihnen für die
Wintermonate als Lehr- oder Kollegsaal ein Raum, den der durch seine biblischen
Darstellungen bekannte Maler Eduard von Gebhardt in den Jahren 1884 bis
1892 mit sieben herrlichen Wandgemälden aus dem Leben Jesu geschmückt hat.
Dargestellt sind: Johannes der Täufer, Bergpredigt, Kreuzigung, Tempel-
reinigung, Hochzeit zu Kana, Heiluug des Gichtbrüchigen, Christus und die Ehe-
brecherin. Unter jedem dieser Wandgemälde, die auch als Illustrationen zum
Vaterunser angesehen werden können, findet sich eine der sieben Bitten. Die
Darstellungen gehören nicht nur zu den vorzüglichsten Leistungen des Düssel-
dorfer Meisters, sondern der kirchlichen Malerei überhaupt und sind anregende
Vorbilder für die spätere Wirksamkeit der hier sich ausbildenden Geistlichen.
Möge auch unter der Leitung des jetzigen Abtes Dr. Hartwig ein reicher Segen
von dieser altehrwürdigen Klosterstätte ausgehen! — Eintrittszeit zur Be-
sichtigung der Sehenswürdigkeiten 191/2—12 und 4—5V2, an Sonntagen 11—12
und 3—6.
Verkehrswege. Auf dem schmalen Rücken der Rehburger
Berge läuft von O nach W eine Landstraße (Chaussee) hin, die
anfänglich genau den Kamm verfolgt, dann aber nicht weit von der
Försterei Berghol allmählich die Höhe verläßt und sich mehr an
— 44 —
der s Abdachung hält. Sie führt an zahlreichen Steinbrüchen
vorbei und bringt uns auf steiler Seitenstraße nach Bad Rehburg,
sowie nach Münchehagen und Loccum. Von Bergkirchen führt n
eine Landstraße nach dem Flecken Hagenburg (5 Km). Auch
die Dörfer Schmalenbruch, Wiedenbrügge und Winzlar sind mit
Bergkirchen durch eiue chaussierte Straße verbunden. Nach S führt
von der Höhe eine Chaussee über Sachsenhagen (2 Km) durch das
Dühlholz nach dem Bahnhofe Lindhorst (von Sachsenhagen nach
Bhf. L. sast 5 km). In Wölpinghausen zweigt eine Chaussee nach der
Oberförsterei Spießingshol ab (2 km), wo der Schaumburger Wald
seinen nördlichsten Punkt erreicht. Sobald diese Straße den Wald
verläßt, teilt sie sich iu zwei nach Stadthagen führende Strecken,
von denen die längere die langgestreckten Dörfer Pollhagen und
Nordsehl, die etwas kürzere (10 km) Lauenhagen berührt. Seit
Mai 1898 sind die Ortschaften im N unseres Landes dem Verkehr
durch die Steinhnder Meerbahn angeschlossen. Woher ihr Name?
Um die einzelnen Orte zu berühren und den Bodenschwierigkeiten
auszuweichen, macht sie viele Windungen (Talweg zwischen Reh-
burger Bergen und Wiedenbrügge! Berg).
Die Steinhuder Meerbahn ist eine nebenbahnähnliche Kleinbahn ( Im
Spurweite), welche von der Staatsbahn in Wnnstorf über Steinhude, Hagenburg,
Rehburg und Stolzenau nach Uchte führt. (Von der rund 52 Km langen Bahn
entfallen 39 km auf preuß. und 13 km auf fchaumb.-lipp. Gebiet.) In Ver-
bindung damit steht die 6,5 km lange vollspurige Zweigbahn Wunstors-
Mesmerode. Den Bau förderten die beteiligten Kreise, Gemeinden und einzelne
Personen durch Zeichnung von Geldsummen, worüber denselben Anteilscheine
(Aktien) ausgestellt wurden. Die Unternehmer bilden eine Genossenschast
(Aktien-Gesellschaft). Sie tragen die Unterhaltung der Bahn uud teilen sich
in den Verdienst. Ein von sämtlichen Mitgliedern gewählter Vorstand versieht
die Verwaltung.
Aufg.: Nenne nach der Karte die von der Steinhuder Meerbahn be-
rührten Ortschaften und schreibe diese Namen nieder I —
Welche Rohstoffe dienen zum Bau unserer Häuser, zu unserer
Kleidung und Nahrung ? — Wer beschäftigt sich mit der Ver-
arbeitung dieser Naturgüter ? — Welche Güter werden in
unserer Gegend erzeugt, aus anderen Gegenden eingeführt ? —
Erkläre Binnen-, Außen- und Welthandel!
— 45 —
2. Das Steinhuder Meer.
Aufg.: Wiederhole S. 11 und 12!
Das Meer. Das Steinhude! Meer, der größte und bekann-
teste Binnensee der nordwestdeutschen Ebene, nimmt sast den 12.
Teil der Gesamtfläche unserer Heimat ein (S. 2 u. 11). Im Ver-
gleich zu seiner Größe ist es ein überaus flaches Gewässer, immer-
hiu aber so tief, daß mau es mit kleinen Schiffen, Booten und
Kähnen, befahren kann.*)
Die seichten Stellen in der Nahe des Users sind zum Teil
dicht mit Schils und Teichbinsen bewachsen, während im Meere
selbst an manchen Stellen verschiedene Laichkrautarten so dicht
wuchern, daß Schiffe kaum hiudurchsahreu können. Die am
häufigsten vorkommenden Arten sind das spiegelnde, das krause und
das kleine Laichkraut. Sie werden zusammen mit dem ebenfalls
häufigen, an feinen fein zerteilten Blättern leicht kenntlichen Taufend-
blatt von den Anwohnern „Kolk" genannt.
Alle Rechte an und auf dem Wasser, die seit alten Zeiten
der Landesherrschast zusteheu, werden durch die Fürstliche
Hofkammer in Bückeburg vertreten. Das Fürstliche Hofmarschall-
amt unterhält auf dem See eine Anzahl stattlicher Segel-
boote, die von Matrosen oder Schiffern bedient werden (Segel,
Ruder). Die Matrosen sind sürstliche Beamte und haben ihren
Wohnsitz auf dem Wilhelmstein, in Steinhude und in Hagenburg.
Eiuer Anzahl von Schiffern, die eigene, schnellsegelnde Boote besitzen,
ist die Erlaubnis erteilt worden, am Wilhelmstein zu landen. Seit
Pfingsten 1908 unterhält außerdem ein Motorboot einen regelmäßi-
gen Verkehr zwischen der Insel und dem Straudhotel (S. 56).
*) H. Keller gibt in Band II „Quell- und Nebenflüsse der Weser" an. daß die Tiefe des
Steinh. Meeres durchsch, 4 m und nirgends über 7 m betrage. — Nach dem Seeusorscher Dr. Halb-
saß in Neuhaldensleben hat der See eine größte Länge von 7,9 km, eine größte Breite von
4,8 km, eine größte Tiefe von 3 m, eine mittlere Tiefe von 1J m und 48 Millionen Kubikmeter
Inhalt (Volumen). Bei hohem Wasserstande erhöht sich wohl die Tiefe um \ rn, gewöhnlich wird
sie ungemein überschätzt. Im Kalenberger Urknndenbnche wird der See 1228 als „Maar" be-
zeichnet. Eine Untersuchung von Bodenproben hat ergeben, daß die Sande umlagertes Diluvium
sind, das teilweise aus nordischen Gesteinen sich zusammensetzt (S. 24). Aus nordisches Gestein
deuteu Feuersteiusplittercheu.
— 46 —
Infolge dieser Einrichtungen sind die früheren Klagen der Fremden
über mangelhafte Verkehrsgelegenheit zum Wilhelmstein heute ver-
stummt. Die Zahl der Vergnügungsboote, die wohlhabenden Privat-
leuteu gehören, hat sich in letzter Zeit bedeutend vermehrt, und der
Segelsport auf dem Meere scheint recht iu Aufnahme zu kommen.
Die Fahrzeuge der Steinhnder Fischer sind schwere, eichene Kähne
ohne Kiel, die meist durch Stakeu fortbewegt werden. Ihre Bauart
eriuuert an einen Einbaum, d. i. ein durch Aushöhlen eines Baum-
stammes hergestelltes Boot (s. Abbildung auf der sämtlichen hiesigen
Schulen zugestellten Karte des Norddeutscheu Lloyd, der großen
Schiffahrtsgesellschaft in Bremen). Ein solcher Einbaum ist vor
mehreren Jahren im Steinhuder Meer gefunden und noch jetzt auf
dem Wilhelmstein zu sehen. Die Kähne haben den Vorteil, daß
man mit ihnen ohne Mühe die meist flache Küste erreichen kann,
während der Kiel der Vergnügungsboote die Laudung oft erschwert.
Mit diesen Kähnen holt man von den Uferwiesen und den begren-
zeuden Mooren Hen, Schilf, Heidestren und Torf herüber. Am
meisten werden sie jedoch zum Fischfang benutzt. An Fischen ist
das Meer sehr reich. Besonders gerühmt werden die Steinhuder
Aale und Barsche. Außer diesen finden sich Weißfische („Dünche"),
Karpfen, Hechte, Rotfederchen und Brassen. Ausgesetzt sind in neuerer
Zeit Schleie, Zander, Goldbrassen ltitb andere Arten. Der Karpfen
wird aus der Bückeburger Brutanstalt entnommen, der Zander, der
sich für das Steinhuder Meer als ganz besonders geeignet erwiesen
hat, aus den Fischteichen bei Hagenburg. Die Steinhuder Fische
laicheu bereits bei eiuer Größe, bei der sie iu anderen Gewässern
noch nicht laichreis sind; sie müssen hier deshalb in der Entwicklung
zurückbleiben. Dieses langsamere Wachstum wird daraus zurück-
geführt, daß das Wasser sehr kalkarm ist. Die Fische werden nach
Hannover oder in den Städten und Dörfern der Umgegend verkauft.
Bisher betrieben mehrere Steinhuder Fischerfamilien den Fischfang
selbständig, feit einigen Jahren aber ist die Fischereiberechtigung ver-
pachtet. Der auswärtige Pächter läßt durch einen in Steinhude
wohnhaften Fischmeister die Fischerei betreiben und überwachen.
Die Ausübung der Fischerei und Schiffahrt auf dem gau-
zeu Wasserbecken galt von jeher als ein Vorrecht der Steinhuder.
Dieses wurde ihnen jedoch von der Ortschaft Mardorf am Nordnfer
des Sees wiederholt streitig gemacht, indem nian dort dieselben
— 47 —
Anrechte wie Steinhude beanspruchte. Wahrscheinlich leiteten die
Mardorfer ihre Ansprüche aus der alteu Lage ihres Ortes her.
Mardorf soll nämlich früher hart am Wasser aus jenen Sandhügeln
(S. 12) gelegen haben, die hier von der Mitte des Nordstrandes
ab nach 0 streichen. In den Kriegszeiten vor 300 bis 400 Jahren
soll es zerstört und dann 1/2 Stunde vom Ufer entfernt neu auf-
gebaut worden sein. Es ist aber fraglich, ob dort jemals Fischerei
und Schiffahrt ausgeübt ist, denn nirgends zeigt der Mardorfer
Strand eine hafenartige Anlage, wie sie Steinhude mehrfach aufzu-
weisen hat. Aus deu Zwistigkeiteu der beideu Ortschaften entstand
allmählich ein ernster Grenzstreit zwischen den beiden Uferstaaten.
Die hannoversche Regierung unterstützte nm die Mitte des vorigen
Jahrhunderts die Mardorfer Ansprüche uud nahm die Nordhälfte
des Meeres in Besitz, indem sie durch Soldaten in der Nacht des
21. Novembers 1860, des Todestages des Fürsten Georg Wilhelm
zu Schaumburg-Lippe, mitten durchs Meer Grenzpfähle schlagen
ließ. (Auf älteren Karten geht daher die Grenzlinie mitten durchs
Meer). Diefe wurden aber am folgenden Tage mit Hülfe der Stein-
huder Fifcher durch 50 Jäger des Bückeburger Bataillons unter den:
Befehle des Leutnants von Ulmenstein wieder entfernt. Der Streit
wurde fpäter durch Vermittlung des deutschen Bundestages zu
Frankfurt a. M. beigelegt und nach dem Verlust der Selbständigkeit
Hannovers endgültig durch Preußen zugunsten unseres Landes ge-
regelt. Es gehört also das ganze Meer, „soweit das Wasser reicht",
zu Schaumburg-Lippe. — Ein anderer Streit über Rechte an und
auf dem Meere ist in den letzten Jahren zu Ende geführt worden.
Die Fürstliche Hofkammer hatte 6 Steinhnder Einwohner verklagt,
weil sie Schiffe auf dem Meere hielten, ohne Fifcher zu fein. Diese
Klage wurde bis zum Reichsgericht durchgefochten und überall zu-
Ungunsten der Steinhnder entschieden. Heute darf niemand ohne
Genehmigung der Fürstlichen Hofkammer ein Schiff auf dem Meere
halten; auch ist verboten, ohne Erlaubnis auszudeicheu (dem See
Land abzugewinnen) und Schlamm oder Eis vom Meere zu holen.
Unentschieden ist die Frage geblieben, ob die Steinhnder berechtigt
sind, Laas (Schilf zum Futteru) zu holen; jedoch bestimmt ein
Vertrag hierüber, daß die Hofkammer an Steinhude 10 000 M
Ersatz zu zahlen sich verpflichtet, wenn das Laasholen verboten
wird. Diefe fogen. Meerklage begann 1886 und wurde 1900
— 48 —
beendet; sie hat rund 14 000 M Kosten verursacht, wovon die Hof-
kammer etwa 4 000 M übernommen hat.
Zu- und Abfluß. Größere Zuflüsse fehlen gänzlich. Von
einiger Bedeutung ist nur der Rehburger Brunnenbach (Grenzbach),
der von den im 3 vorgelagerten Rehburger Bergen kommt und
das hier gesammelte Wasser dem Meere zuführt. Diese Wasserzu-
suhr ist jedoch im Vergleich zu der Größe des Wasserbeckens sehr
gering. Sie wird auch nicht durch die Niederschläge wesentlich ver-
mehrt, da diese uicht einmal die regelmäßige Verdunstung aus-
gleichen können. Da aber der Wasserbestand immer wieder ergänzt
wird, so muß das Meer auf dem Grunde unsichtbare Zuflüsse habeu.
Das ist denn auch der Fall. Aus dem Meeresgrunde sind zahl-
reiche Quellen vorhanden, die den See regelmäßig speisen. Diesen
verborgenen Quellen hauptsächlich verdaukt das Meer seinen Wasser-
Vorrat.
Auch die Wasserableitung ist unbedeutend. Deu einzigen Ab-
flnß bildet der Meerbach, den eine etwa 2—3 km breite Bruch-
niedernng begleitet. Eine Schleuse oberhalb der Stadt Rehburg
(— Burg am Riehe, Ried) regelt die Wasserzufuhr aus dem See. Der
Meerbach hat in dem sumpfigen Wiesenlande ein geringes Gefälle,
so daß sein Lauf recht träge ist. Die zur bessereu Entwässerung
der Meerbachniederung ausgeführten Anlagen sind seit 1900 fertig
gestellt. Die Meerbachniederung hat anfänglich w Richtung, biegt
aber unterhalb Rehburg bei der Düffelburg*) uach N um und
läuft bei Nieuburg in das Wesertal ans. Eine Vereinigung mit
dem Wesertal wird dnrch einen kleinen sandigen Landrücken ver-
hindert, der zwischen Schlüsselburg und Nienburg parallel mit
der Meerbachniederung läuft, uur wenige Meter höher und etwa
3 km breit ist. Man vermutet, daß durch diese breite Bruch-
uiederuug einst die Leine ihren Weg nach der Weser genommen
*) Die Trümmer der Düsseiburg weisen auf einen altgermanischen Ringwall Hill, da
eine 4 m dicke Maner aus uicht mit Mörtel gefugten Steinen hinter einem Graben den Be-
feftiguugsplatz umgibt. Dieser alte Mittelpunkt eiues Bezirkes mit Allodialeigentniii der Braun-
schweig-Lüueburger, das sie nur als Erbeu der Billunger haben erhalten können, wird wegen des
Alters der Bnrg einst Volksbesitz gewesen sein. Es ist nicht unmöglich, daß die D. ein Teil der
als Angrivarier Wall bon den Römern erwähnten Befestigung war. Der ältere Name Dusleburg
deutet wie der heutige ans das alte Diusle für Diuslo und bedeutet „Burg am Götterhain". Bei
alten Volksburgeu war stets eiu Heiligtum. (Die Ortsnamen mit Oius, wozu auch der Deister,
Duisburg. Düsseldorf u. a, gehöreu, werden entweder auf Tiu oder auf den allgemeinen Ansdrnck
für Gottheit mit dem Wortstamm Dio zurückgeführt.)
— 49 —
habe, da ihr Tal bis in die Nähe des Meeres annähernd dieselbe
Richtung verfolgt, die jene Niederung im Anfange einschlägt. Auch
die entgegengesetzte Meinung wird vertreten, daß nämlich in Vor-
zeiten das Weserhochwasser durch das Steinhnder Meer in das
Leinetal und von dort zur Aller abgeflossen sei. (Das Steinh. M.
füllt eiue flache Mulde aus, deren Ränder der Wiedenbrügger B.
und eine die Leine bei Neustadt a. R. durchsetzeude Felsbauk siud-,
vergl. Leine! Die tiefste Senkung dieser dem Auge verdeckten Mulde
bezeichnen die sog. „Deipen".)
Der Wilhelmstein. Einen besonderen Reiz verleiht dem
Meere die aus seinen Fluten auftauchende Jnfel und einstige Festung
Wilhelmstein (S. 12). Sie ist das Werk unseres berühmten
Grafen Wilhelm, des Zeit- und Bundesgenossen Friedrichs des
Großen von Preußen. Die Anlage der künstlich hergestellten Insel
fällt zeitlich gegen das Ende des 7jährigen Krieges, in die Jahre 1761
-1765. Die Festung wurde 1767 vollendet. Die Insel mit dem Fort
Wilhelmstein erhielt die Gestalt einer Sternschanze, deren Spitzen
durch 16 Außenwerke gedeckt wurden. Die Außenwerke lagen auf
kleineren Juselu, welche die Hauptinsel mit der bombensicheren
Festung (Zitadelle) nmgaben und später mit ihr vereinigt wurden.
In der hier errichteten Kriegsschule erhielt unter anderen der be-
rühmte preußische General Scharnhorst seine grundlegende militärische
Erziehung und wohl auch die Anregung sür die später von ihm in
Preußen ins Leben gerufene allgemeine Wehrpflicht, durch die
Preußen erstarkte und dreimal (1812—1815, 1866 und 1870/71)
Retter unseres deutschen Vaterlandes wurde. Heute hat der Wilhelm-
stein als Festung jede Bedeutung verloren. In der damaligen
Zeit aber bildete die Jnselsestnng einen wichtigen Stützpunkt für
die Landesverteidigung. Wirklichen Verteidigungszwecken hat sie
gedient, als nach dem Tode des Nachfolgers des Grafen Wilhelm,
des Grafen Philipp Ernst, im Jahre 1787 die Hessen das ganze
Land besetzten, um es mit Gewalt au sich zu reißen. Der mutige
Kommandant Rottmann verteidigte mit wenigen Soldaten die Insel,
auf welcher der Staatsschatz und das Archiv geborgen war, und
verweigerte standhaft die Ubergabe, bis der Feind durch eine Ent-
scheidnng des Reichsgerichts gezwungen wurde, das Laad zu räumen.
Der Wilhelmstein behielt eine militärische Besatzung und diente bis
4
— 50 —
zum Jahre 1867 als Gefängnis. Die Insel steht unter der Aufsicht
eines dort wohnenden Verwalters.
Das merkwürdige Eilaud mit seinen freundlichen und Wohl-
gepflegten Anlagen birgt eine Menge Sehenswürdigkeiten. Im
Freien trifft der Besucher am Rande der Insel eine Anzahl Kanonen,
die unter kleinen Holzdächern aufgestellt und auf das Meer gerichtet
sind. Au den Mauern des Festungsgebäudes liegen zahlreiche
Kanonenrohre, Bombenmörser und Kugelhaufeu. Sehr wertvoll
sind die in einen: besonderen Gebäude aufbewahrten Sammlungen.
Hier sieht man Modelle von Geschützen und Geschützteilen, von
Festungen und Brücken, von Schiffen und Maschinen. Früher
zeigte man hier 6 kleine goldene Kanonen, die dem Grafen Wilhelm
vom Könige von Portugal neben anderen Ehrengaben für erfolg-
reiche Kriegsdienste zum Geschenk gemacht waren.*) Jedes Rohr
wog 7 Pfund und hatte einen Wert von etwa 25 000 Mark. Die
gegenwärtig iu dem Museum aufbewahrten Geschützrohre sind stark
vergoldete Nachbildungen aus Brouze, während ihre aus schwarzem
Ebenholz gefertigten silberverzierten Gestelle (Lafetten) die nrsprüng-
lichen sind. Gezeigt werden noch die Futterale der kleinen Geschütze
und der große lederne Koffer, worin das wertvolle Geschenk verpackt
war. Ferner bemerkt man das Pferdegeschirr des Grasen Wilhelm
und ein Bild sowie eine Handzeichnung vom General Scharnhorst;
bemerkenswert sind noch zwei bildliche Darstellungen der Schlacht
bei Minden am 1. August 1759, in welcher der Graf die gesamte
Artillerie der Verbündeten gegen die Franzosen befehligte. Zahl-
reiche Waffen und Kriegsausrüstungen, unter denen einige Säbel
auffallen, deren Griff mit einer Pistole versehen ist, erinnern an
des Grafen berühmte Truppe, die sich im 7 jährigen Kriege durch
musterhafte Ordnung, tapferes Verhalten und pflichttreue Ausdauer
eiueu herrlichen Waffenruhm erworben hat.
*) Im Jahre 1761 wurde Portugals Freiheit und Uuabhäugigkeit auf Anstiften Frankreichs von
Spanien bedroht, so daß der König das befreundete England um Hülfe anrufen mußte. England
rüstete sogleich ein bedeutendes Hülfsheer ans. Auf Verwendung des Königs von England kamen
die vereinigten portugiesischen und englischen Trnppen unter deu Oberbefehl des Grafen Wilhelm,
dessen Feldherrntalent sich im 7 jähr. Kriege bereits glänzend erwiesen hatte. In einem sieg- nnd
ruhmreichen Feldzuge (1762) sicherte Graf Wilhelm die Selbständigkeit Portugals, mich verbesserte
er das Heerwesen sowie die Landesverteidigung daselbst. So legte er ans einem felsigen Berge bei
Elvas das nach ihm benannte Fort de la Lippe an, das einer der bestbesestigten Plätze Europas
sein soll. Im Jahre 1767 begab sich Graf W. noch einmal nach Portugal, um seine dortigen Ein-
richtungen zu besichtigen, und 1776 schickte er 16 seiner Offiziere nach Lissabon, die das dortige
Artilleriewesen in neuen Stand setzen mutzten.
— 51 —
In dem unteren Teile des eigentlichen Festungsgebäudes, zu
dem eine Zugbrücke führt, liegen die Kasematten (bombenfeste Ge-
wölbe) mit den Schießscharten. Oben befinden sich die Herrschaft-
liehen Zimmer. In dem Hauptgemache hängen an den Wänden die
Gemälde des Grafen und seiner Gemahlin. In einem anderen
Zimmer sieht man die Bilder von Offizieren der kleinen Armee des
Grafen Wilhelm. (Die Namen diefer Offiziere sind: o. Monckewitz,
Obristleutnant, Chef des Karabinierkorps, Riepen, Oberst, V. Kessel,
Hauptmann, Storch, Oberleutnant der Art., 0. Rüxlen, Kapit.,
V. Berck, Kapit.). Uber den Wohnungen befindet sich der Boden-
räum, vor dessen Schießscharten Kanonen stehen. Ein Rundturm
mit plattem Dache überragt das Gebäude, ein kleiner Glockenturm
bringt es vollkommen zum Abschluß. Die Plattform gewährt eine
herrliche Rundsicht aus die weite Wasserfläche und die Uferlandfchaft.
Die Uferlaudschaft. Das überall flache und niedrige Ufer
wird von verschiedenen Bodenarten umsäumt. Festes Land tritt
nur in der Mitte der Nord- und der Südseite an den See heran.
Es ist sandiger Boden, der jedoch hart am Süduser soweit mit
Lehm vermengt ist, daß er fruchtbares Garten- und Ackerland ab-
gibt. Stellenweise ist dieser sandige Boden so wenig mit Erde
gemischt, daß nur Föhren oder Kiefern, Fichten, Birken, Wachholder-
Mische, Brombeersträucher und Heidekraut daraus gedeihen. Solchen
Boden nennen wir Heide. Häufig findet sich in der Heide, z. B.
bei Großenheidorn, ein herrlicher Föhrenkamp. Auf dem fammet-
weichen Moosboden einer solchen Nadelwaldung gedeihen in großer
Menge wohlschmeckende Pilze. Wo zusammenhängende Kiefern-
bestände in der Heide fehlen, überzieht das Heidekraut den Boden.
Eine Heidegegend ist gewöhnlich recht eintönig. In der Blütezeit
aber gewährt die Heide einen herrlichen Anblick. Dann werden die
rötlichen Heideblüten von unzähligen Bienen besucht, die hier emsig
Honig sammeln. — Die große Fläche nö vom Meere ist ein sumpfi-
ger, schwankender, schwarzer Boden, das Moor genannt. (Die
einzelnen Moorflächen werden gewöhnlich nach den nächsten Ort-
schaften benannt.) Hier fehlt ein eigentlicher Baumwuchs gänzlich;
nur verkrüppelte Kiefern, Weiden und Birken unterbrechen verein-
zelt die weite Einöde. Den größten Teil der Fläche bedecken in
dichten, schwammigen Polstern die bleichgrünen Torfmoose, deren
Stengel allmählich absterben und braun werden, während sie oben
4*
— 52 —
weiter wachsen. Dazwischen steht in dichten Büschen das bläulich-
grüne Pfeifengras, dessen harte, feste Halme unten nur einen Knoten
haben, wodurch es leicht von den übrigen Gräsern zu unterscheiden
ist. An den seuchteren Stellen wuchert das Sumpf-Schlangenkraut.
Es erinnert durch seine Weiße tntensörmige Blütenscheide an seine
Verwandte, die iu Töpfen gezogene Kalla. In der Tiefe findet
man vielfach Baumstämme und Wurzelstücke. Daher geht die Sage,
daß sich hier eiust eiu großer Wald ausgedehnt habe, der durch eine
Überflutung vernichtet worden sei. Die obere Moordecke besteht aus
einem dichten Geflecht halb vermoderter Pflanzenteile und liefert uns
ein wertvolles Brennmaterial, den Torf (S. 26).
Um den leicht brennbaren Torf zu gewinnen, durchziehen die
Anwohner das Moor mit Dämmen und vielen Längs- und Quer-
gräben. Die niedrigen Dämme sind die einzigen gang- und fahr-
baren Wege im Torfmoore, die Gräben dienen zum Ableiten des
dunklen Moorwassers. Dann folgt der Abstich des Moores, die
Torsgewinnung. Die Torfstücke werden etwa in der Form und
Größe der Backsteine mit einem schaufelartigen Messer gestochen
und alsdann in Haufen so aufgeschichtet, daß Wind und Sonne
sie gehörig austrocknen können. Der Torf wird etwa 1,25 m tief
abgenommen, da ein tieferer Stich zu beschwerlich wäre. Iu
ungefähr 30 Jahren erneuert sich die Torfdecke. Nou besonderer
Güte ist der harte, schwarze Backtorf, der fast die Kohle ersetzt.
Man gewinnt ihn aus der schlammigen Torfmasse, die in einen
vierkantigen Rahmen mit 10 Fächern gefüllt wird. Nachdem die
Masse eben gestrichen ist, wird die Form hochgezogen. Die ein-
zelnen Stücke läßt man an der Luft trocknen. Die Abfuhr erfolgt
bei guter Witterung. Alle Torfbrinke sind hannoversches Staats-
eigentnm; die Brinkbesitzer haben nur die Nutzung. Die Arbeit
des Torfgräbers ist sehr mühevoll und anstrengend. Torfstecher
für Fabriken verdienen im Durchschnitt täglich 3 bis 4 M. Frauen,
die das Ausschichten, Unistellen usw. des Torfes besorgen, erhalten
täglich bis 3 M.
Stellenweise wird dem Moore eine Fläche abgewonnen, trocken
gelegt und zu Wiesen- uud Ackerland umgewandelt (Kolonie Moor-
dors bei Neustadt a. Rbg.). Die zum Brennen nicht geeigneten
oberen losen Schichten des Torfmoores hackt man im Sommer
durch und läßt sie an der Luft trocknen, um sie später als Streu
zu verwerten. In einigen Fabriken zu Neustadt und Wunstorf
wird Torfstreu und Torsmull (der feine, pulverförmige Ab-
fall) mit Maschinen hergestellt und in versandfähige Ballen zu-
sammengepreßt. Die Torsstreu besitzt eine sehr große Aufsauge-
fähigkeit und bewirkt völlige Gernchlosigkeit (vorzügliches Desinfek-
53
tionsmittel). Sie wird darum viel als Streu benutzt und dann
mit großem Nutzen als Dünger verwertet.
Moorkultur. In den großen Moorgebieten nw von uns (an der Ems)
gewinnt man große Strecken für den Ackerbau. Man hackt den Moorboden
etwa handbreit tief los und läßt ihn den Winter über so liegen. Im Frühling
steckt man die ganze Fläche an. Dadurch entstehen dann dicke Rauchwolken, die
vom Winde fortgetrieben werden. Sie sind unter dem Namen Höhenrauch
bekannt. An schönen Frühlingstagen verpesten sie oft die Luft. In die Asche
streut der Moorbauer Buchweizen. Später liefert der so gewonnene Ackerboden
auch Hafer und Roggen. — Mehr noch wird das Moor durch die sogen. Fehn-
kultur ertragfähig gemacht. Man nimmt an den Seiten eines angelegten Kanals
die Torffchichten bis auf den sandigen Untergrund ab und breitet dann den
oberen Torf unter Beimischung vou Dünger auf dem Sandboden aus. All-
mählich entsteht ein sehr fruchtbarer Ackerboden. In jüngster Zeit wendet man
die auch bei uns übliche Moordammkultur au. Das Moor wird durch breite
Gräben in Dämme geteilt. Die Moordammflächen überschüttet man mit starken
Sandschichten unter Beimischung meist künstlicher Düngemittel (Kaimt). Die
Moorpflanzen ersticken nach und nach, die Saat aber gedeiht.
Während auf der Ostseite weite Moorflächen den Wanderer
verhindern, sich dem Meere zu nähern, halten ihn um die Westseite
herum ausgedehnte, sumpfige Wiesenflächen zurück. Diese sind wei-
ter ab vom Ufer mit vereinzeltem Buschwerk, Erlen und Weiden,
bewachsen und werden Bruch genannt (S. 26). Näher dem Wasser
zu bilden sie dünne, schwankende Grasflächen, die auf dem Wasser
schwimmen. Das sind die Grünlandmoore (Fledderwiesen) oder
schwimmenden Wiesen (plattdeutsch auch als Quast oder Quä-
besse bezeichnet). Riedgräser, Binsen, Torfmoose und andere moor-
bildende Pflanzen beteiligen sich an ihrer Entstehung. Sie über-
wuchern im Sommer die Wasserfläche, von der sie im Winter
überflutet werden, um dauu zu vermodern und dadurch neuen
Nährboden zu bilden. Ihre trügerische Decke ist sür den unkundigen
Wanderer sehr gefährlich, da sie leicht nachgibt und ihn versinken
läßt (s. Sage 4!). Am unwegsamsten ist das User vom Hageuburger
Kanal nach der Meerbachniederung zu. Wie wenig diese Flächen
hier gefestigt sind, geht daraus hervor, daß bei starkem NW-Wiud
manchmal große Wiesenstücke losgerissen und an das entgegengesetzte
Ufer getrieben werden. Die Eigentümer holen sich diese Ausreißer
nicht selten in Booten mit Eggen und Stricken zurück und psählen
sie dann sorgfältig fest.
Im Sommer zeigen sich die Uferwiesen in ihrer schönsten
Pracht. Dann sind sie mit üppig blühenden Pflanzen überzogen.
Neben verschiedenen Knabenkrautarten finden wir hier den schönen
tiefblauen Enzian, das niedliche Sumpfherzblatt und das Purpur-
54 —
braune Blutauge. In den Graben fallen die ansehnlichen Blüten
des großen Hahnenfußes auf, ferner der Froschlöffel mit seiner ver-
zweigten hoheu Blütenrispe, die Sumpfprimel, das an feinen
Blättern leicht kenntliche Pfeilkraut und der in der Heilkunde ge-
brauchte Bitterklee; aber hier steht auch die giftigste aller Dolden-
pflanzen, der Wasserschierling, der an seinem innen querfächerigen
Wurzelstock leicht vou ähnlichen Pflanzen zu unterscheiden ist. Die
Oberfläche der Gräben ist meistens mit den braunen Blättern des
schwimmenden Laichkrautes oder den rundlichen Blättern des weiß
blühenden Froschbisses bedeckt. In großen Mengen kommt hier
auch au Grabenrändern und auf den Wiesen der Sumpfnierenfarn
vor, der au einigen Stellen fast das Gras verdrängt. Auf dem
Moore wuchern Moor-, Moos- und Kronsbeeren, deren erfrischende
Früchte im Herbste eingesammelt werden. Dazwischen steht die
niedliche Glocken- oder Moorheide und der zierliche Sonnentau, der
mit seinen drüsenhaarig bewimperten Blättern kleine Fliegen zur
Mahlzeit einsängt. Unter den Gräsern machen sich verschiedene
Wollgrasarten durch ihre im Winde flatternden Wollfähnchen be-
merkbar. Wo der Boden fandiger ist, wächst der einer kleinen
Weide ähnliche Gagel oder Porßen. Der Strauch ist ganz mit
kleinen glänzenden Drüsen besetzt, die ihm einen eigentümlich
harzigen Geruch verleihen. Vereinzelt trifft man im Moore auch
den stattlichen Königssarn an. Das Userschilf dient zahlreichen
Enten als Brutstätte und langbeinigen Reihern als Standort für
die Jagd auf Fifche. Auch Störche stellen sich ein und holen von
hier ihr Lieblingsgericht. Scharen von Möwen, von den An-
wohnern Meerkrähen genannt, fliegen ständig über dein Meere
und tauchen kreischend ihre Flügel in die dunklen Fluten. Außer
verschiedeneu Wasservögeln gehören namentlich Birkhühner zu den
ständigen Bewohnern der Uferlandfchaft. Im Herbst machen hier
oft wilde Gänse (keilförmiger Flug!), auch wilde Schwäne (der
sogen. Siugschwau) und andere Vögel aus ihrer Wanderung kurze
Rast. So bietet das Steinhuder Meer mit seiner Uferlandschaft
für den Naturfreund und den Jäger mancherlei Abwechselung.
Aufg.: Welche Bedeutung hat das Steinhuder Meer für die anliegenden
Ortschaften ? — Erzähle vom Wilhelmstein ! — Erkläre Heide,
Moor I — Welchen Nutzen gewährt das Torfmoor ?
— 55
3. Steinhude und Hagenburg.
a. Steinhude.
Ortskunde. Der Flecken Steinhude ist ein uralter Fischer-
ort (vielleicht wendischen Ursprungs) dicht am sö Ufer des Stein-
huder Meeres. Auf eine Ansiedelung in den ältesten Zeiten deuten
steinerne Werkzeuge hin, die man in der Feldflur vielfach ausgegra-
beu hat. Der Platz war als Niederlassung sehr geeignet. Das
Meer gab den Ansiedlern seine Fische, die Wiesen dienten ihren
Schafen, Rindern und Pferden als Weiden, das Mvor gewährte
sichere Zufluchtsstätten. Für den Bau der Wohnhäuser sand sich
gutes Baumaterial iu der mit Findlingen reich gesäten Feldflur.
Wir befinden uns hier auf der Endmoräne des Riesengletschers, der einst
von Schweden und Norwegen aus das Becken der Ostsee anfüllend sich über
Dänemark, Pommern, Mecklenburg, Schleswig-Holstein und die nordwestdeutsche
Ebene bis nach Belgien und auf Ostengland vorgeschoben und diese Gesteins-
trümmer hergeschleppt hat (S. 24). Manche alte Zeugen dieser Art sind noch
anzutreffen; einige dienen als Ufereinfassung zum Schutze gegen den Wellenschlag,
andere sind als Findlinge in der Umgegend zerstreut.
Bis gegen das Ende des 16. Jahrhunderts hatte der Ort
geringe Ausdehnung. Er reichte vom Meere bis zur Pfarre. Ein
breiter Graben, der vom Meere auslief und dort wieder einmündete,
umspannte ihu halbkreisförmig. Diese alte Umgrenzung ist noch
jetzt zu erkennen. Heute hat der Flecken eine ansehnliche Größe.
Sein Gemeindebezirk umfaßt 607 ha. Mehrere gepflasterte Straßen,
denen meist einstöckige, schlichte Häuser ihre holzverschalten Giebel-
seiten zukehren, durchziehen den Ort.
Die Kirche ist ein einfacher Sandsteinbau. Ihr Bau begann
im Herbst 1804, wurde aber erst 1808 foweit vollendet, daß am
4. Dez. zum ersten Male Gottesdienst darin gehalten wurde.
Die Einweihung erfolgte erst im Jahre 1854. An der Westwand
find 3 in Stein gemeißelte Wappen bemerkenswert, die wahr-
scheinlich aus der alten Kirche stammen und der Form der Schilde
nach auf die Zeit um 1500 zurückweisen. Das Bild des einen
— 56 —
ist das bekannte Nesselblatt; das zweite, welches als Wahrzeichen
des Ortes angesehen wird, zeigt uns einen Fisch; auf dem dritten
sehen wir einen ausrechten Zweig mit 7 fächerartig geordneten
Blättern bezw. Blüten. Nach der Volksmeinung stellen die
beiden letzten Wappenbilder den hauptsächlichsten Erwerb der Ein-
wohner dar, Fischerei und Weberei, da der Zweig einem Flachs-
stengel gleicht.
Steinhude ist eiue Haltestelle der Steiuhuder Meerbahn (S. -44),
hat ein Postamt III, eine mehrklassige Volksschule, eiue höhere
Privatschule, eiue Darlehuskasse, Bierbrauerei, Lohgerberei, Färberei,
Seilerei, Schokoladenfabrik und drei mechanische Webereien.
Außer der eigentlichen Badeanstalt besteht seit dem Jahre 1908
am User des Meeres ein geräumiges Licht- und Luftbad. Ein
ueues Schlammbad, in dem auch alle medizinischen Bäder verab-
reicht werdeu solleu, wird im Frühjahr 1910 dem Betriebe
übergeben werden.
Bahnhof. Die Bahnhöfe (Haltestellen oder Stationen) sind die Verkehrs-
punkte an der Eisenbahn. Mehrere Eisenbahnwagen bilden einen Zng, Der
Zug fährt auf Schienenwegen oder Gleisen. Die eisernen Schienenstränge liegen
ans Querhölzern oder Eisenbahnschwellen, Zwei Schienenstränge bilden ein
Bahngleis. Eine durch Dampf getriebene Lokomotive setzt den Zug in Bewegung.
Der Zug befördert außer Postsachen Personen und Güter (Personen-, Güter- und
gemischte Züge.) Die Personenzüge haben,nur Personenwagen und einen Post-
wagen, die Güterzüge nur Güterwagen, die gemischten Züge dagegen Personen-
und Güterwagen. Welche Personen sind auf dem Bahnhof, im Zuge beschäftigt?
Besprechung über Bahnhofsräume, Fahrkartenausgabe, Fahrplan (Zeitangabe,
auf größeren Bahnen: Schnell- (Eil-), Durchgangs- und Luxuszüge, erstere init
fetten Ziffern, letztere mit D bezw.^ bezeichnet), Klein- und Staatsbahn (uer-
schiedene Spurweite) usw. Nutzen der Verstaatlichung unserer Bahnen!
Post. Alle unsere Postanstalten sind Reichsverkehrsanstalten (Kaiserlich!)
mit einheitlicher Verwaltung. Man unterscheidet Postämter I.. II. und III. Klasse,
Postagenturen und Posthülssstellen. Die Leiter der ersteren drei Anstalten heißen
Postdirektor, Postmeister oder Postverwalter. Außer diesen sind noch zahlreiche
Beamte als Sekretäre (Postamt I), Assistenten (Postamt I und II), Postgehülfen.
Schaffner, Stadt- und Landbriefträger, Leitungsaufseher usw. tätig. Telegraph
und Telephon! Schilderung des Postverkehrs, Belehrung über Porto, besondere
Bezeichnungen 2C.! — Vergl. bei dem Einzelbilde Stadthagen die Tabelle
über Post- und Güterverkehr im Jahre 1908!
Das^im Sept. 1899 eröffnete Strand Hotel bildet einen An-
ziehnngspnnkt für viele Ausflügler. Es liegt am Südende des
Fleckens auf herrlichem Wiesenplan. Der schwankende Untergrund
der hier beginnenden Moorwiesen mußte künstlich gefestigt werden.
Das Gebäude ist auf erhöhter Fläche iu Form einer niedersächsischen
Burg aufgebaut. Zum Bau wurde der Düdinghäuser und Rehburger
Sandstein verwandt. Gebäude und Anlagen wurdeu vou hanno-
verschen Architekten in künstlerischer Weise hergestellt. Vom Turme
— 57 —
und vom oberen Saale genießt der Besucher einen herrlichen Rund-
blick. Eine geräumige Terrasse mit Veranden springt ins Meer vor;
eine Treppe führt zu den hier anlegenden Booten, mit denen man
Lustfahrten auf dem Meere und nach dem Wilhelmstein macht.
Der Ortsname wird schon früh erwähnt. In einem für den
Bischof zu Minden zwischen 1290 und 1300 aufgestellten Ver-
zeichnis wird Stenhnthe genannt; aus deni I. 1379 findet sich
die Bezeichnung Stenhnde. Die Bewohner des Fischerdorfes
waren sämtlich Hörige des Stiftes Wunstorf; Höfe gab es nicht.
Der jetzige Ort liegt etwas weiter südlich als die erste Siedeluug,
welche Stelle noch das „ole Dörp" genannt wird; von dort
führt der Olendörper Weg zur Kirche. Verschiedeue alte Ur-
künden, die sich auf deni Rathause in Verwahrung befinden,
geben uns Nachricht von den nach und nach verliehenen Rechten
an die Gemeinde Steinhude. In der ältesten vom 21. Okt. 1-177
verleiht Graf Erich feinen „lewen getrnwen und uudersateu,
den van der Steuhude" einen freien Ratskeller. Graf Anton
schenkte 1504 den Orten Steinh. und Heidorn das Osterbruch
(die sogen. Ostenmeerwiesen) als Gemeindeweide. Am 25. Okt.
1592 wurden durch eiue Feuersbruust 48 Hausstellen einge-
äschert. Aus diesem Anlaß verordnete Graf Adolf XI. am
3. Dez. 1593 nach einer Besichtigung des Ortes durch den Land-
drosten Herm. von Mengersen, künftig die Häuser weiter ausein-
ander zu bauen, den Ort überhaupt zu erweitern. Unterm 23.
Sept. 1605 bestätigte Graf Ernst die früher verliehenen Rechte,
da die alten Briefe bei jenem Brande abhanden gekommen waren.
Die Einwohner müssen nach dieser Urkunde 4 Tage in Hagenburg
arbeiten, Karrenfuhren bis 3 Meilen Weges tun und an 4 Tagen
bestimmte Abgaben entrichten. Dagegen haben sie einen sreien
Keller, das Hainholz, genannt Ellernholz, müssen aber von jeder
Kufe Bier einen Schilling entrichten (1 Kufe, d. i. ein großer
Bottich, in Preußen = 4 Tonnen - 4% hl), haben ferner Weich-
bildgerechtigkeit (Gemarkungsrecht), Recht am Meerbruch, Mast
in der Schier und freie Hude in Heidorn. Der Ort wird 1040
als Flecken bezeichnet. Im Jahre 1055 erteilte Graf Philipp
die Erlaubnis zu einer neuen Erweiterung des Fleckens; es durfte
eine Straße zur Kirche und eine ins Feld unter Freilassung eines
Marktplatzes angelegt werden. Auch wurden zwei freie Jahr-
märkte am Montag vor „Fastelabend" und am Montag vor
Matthäi bewilligt. Am 22. April 1670 wurde die Anlage einer
Windmühle genehmigt, wofür der Flecken jährlich 18 Taler an
das Amt in Hagenburg zu entrichten hatte. Graf Friedrich Chri-
stian befreite unterm 28. Febr. 1091 die Steiuhuder vou den
oben genannten 4 Diensttagen zu Hageuburg gegen Zahlung vou
— 58 —
1000 Talern und erließ die 18 Taler für die Windmühle. Diese
Vorrechte (Privilegien) wurden später von den Nachfolqern be-
stätigt.
Der Flecken hat durch zahlreiche Brände gelitten. Von 1592
bis 1756 fauden 10 große Brände statt, deren Geschichte alljährlich
am Brandtage (früher Freitag nach Martini, jetzt Bußtag nach-
mittags) in der Kirche verlesen wird. Auch ist der Ort häufig
von Hagel und Unwetter henngesucht worden, woran die kirch-
lichen Hagelfeiern erinnern (früher 6, jetzt 2). — Sehr arg ist
St. im 30 jähr. Kriege durch Tilly heinigesucht worden. Nach
dem Kirchhofe zn sollen in jener Zeit Schanzen angelegt sein;
noch heute wird eine Straße „die Schanze" genannt. Im Jahre
1041 Freitags nach Martini plünderten und raubten die Wei-
marschen Kriegsvölker deu ganzen Ort aus und steckten ihn in
Brand, wobei 42 Wohnhäuser samt der Pfarre in Flammen auf-
gingen, nachdem erst 8 Tage vorher 30 Scheunen abgebrannt
waren. Bei diesem Brande sind sämtliche Kirchenbücher vernichtet
worden, so daß die vorhandenen mit 1042 beginnen. Der Wohl-
stand des Ortes ging sehr zurück. Viele Ländereien wurden für
einen Spottpreis verkauft. Die Einwohnerzahl war gering. In
den letzten Jahren dieses Krieges wurden iu Steiuhude-Großeu-
Heidorn jährlich 2—6 Paare getraut, 10—20 Kinder getauft, wäh-
rend heute etwa 21 Paare getraut und 100 Kinder getauft werden.
Einige benachbarte Orte sollen in jenen Kriegszeiten ganz ver-
schwunden seiu, z. B. Heinmendorf („Hemmendorfer Weg") zwischen
Wunstorf und Steinhude (uach anderen zwischen Bokeloh und
Gut Düendorf). Eine Stelle dicht am Meere wird Steenewark
genannt; irgend welche Spuren sind jedoch nicht vorhanden. Linden-
Hof heißt eine Stelle im Meere, wo früher das gleichnamige Dorf
gestanden haben foll. Die Einwohner desselben sollen der Sage nach
von den ihnen verfeindeten Steinhndern eines Nachts überfallen und
besiegt, ihr Dorf aber abgetragen und ius Meer versenkt worden
sein. Eine andere Stelle im Meere, nw vom Strandhotel, wird
„die Burg" genannt; es ist ein Pfahlbau, der mit einem Graben
umgeben ist. Nach der Volksmeinung hat in früherer Zeit der
Ort bis dahin gereicht, doch kann diese Anlage auch neueren
Ursprungs seiu.
Dewohner. Der Fleckeu hat gegen 1800 Einwohner, die
neben Ackerbau besonders Weberei treiben. Die Fischerei ist ziem-
lich eingeschränkt worden (S. 47). Eine eigenartige Industrie wurde
durch den Grafen Wilhelm begründet. Derselbe veranlasste nämlich
nach seiner Rückkehr aus Portugal (S. 50) zwei Portugiesen, die
— 59 —
gute Beziehungen zu den Kakaokolonien unterhielten, in St. eine
Schokoladenfabrik anzulegen. Diese um das Jahr 1765 gegrün-
dete Fabrik soll die erste in Deutschland gewesen sein. Den Portu-
gieseu folgten später deutsche Fabrikanten. Die Steinhnder Schoko-
lade wird als vorzügliche Ware gerühmt.*)
Der Hauptindustriezweig ist die Weberei. Das Garn wird
von auswärtigen Spinnereien bezogen. Die Herstellung der Gewebe
erfolgt auf dem Webstuhl (Schilderung!). Mau hat Webstühle für
Hand- und Fußbetrieb und solche, die durch Maschinenkraft getrieben
werden (mechanische Webstühle). Hergestellt werden Leinen- (Tisch-
decken, Servietten, Handtücher), Drell- (meist einfache Muster, Sterne,
Kreuze 2c.), Damast- (sein gemustert, sehr haltbar) und Jacquard-
waren (bunte Muster, unter Benutzung eiues besonderen Maschinen-
betriebes). Die Webstofse werden für den Verkauf noch besonders
sorgfältig hergerichtet (Bleicherei, Mangel).
Die Steinhnder Webereierzengnifse erfreuen sich eines großen
Ruses. In den 1870er Jahren stand der Steinhnder Leinenhandel
in höchster Blüte. Schlechte Verkehrsverhältnisse waren dem wei-
teren Aufblühen hinderlich. (Der Hauptfabrikort der Leinenindustrie
wurde das günstig gelegene Bielefeld). Im Jahre 1891 wurde
von den Gebrüdern Bretthauer eiue mechanische Weberei gegründet
(Inhaber Stürzet und Bühring). Diese Fabrik beschäftigt etwa 175
Arbeiter. (In einer Fabrik ist der Grundsatz der Arbeitsteilung
durchgeführt. Nachweis!) Eiue zweite, kleinere Fabrik ist im Jahre
1909 eröffnet, während eine dritte im Bau begriffen ist. Diese
letzten beiden erhalten die Betriebskraft von der Lederfabrik W. D.
Seegers, die auch Kraft abgibt an die „Elektrizitäts-Genoffenschaft
Steinhude", zu der Brauerei, Schmiede, einige Tischlereien usw.
gehören. Die Handweberei geht allmählich zurück, da sie wenig loh-
nend ist. Die Weber werden von mehreren Fabrikanten beschäftigt
und arbeiten gewöhnlich im Hause (Hausindustrie), in einigen Fällen
*) Der bis zu 8 m hohe Kakaobaum gedeiht in heißen Länderu (den Tropen). In seinen
goldgelben, gurkenähnlichen Früchten befinden sich Bohuen, die herausgeschält und getrocknet werden.
Die besteu und teuersten Bohnen, die nur zu der feinsten Schokolade Verwenduug finden, kommen
aus Südamerika (Puerto Cabello, Caracas und Maracaibo in Venezuela). Die Bohnen werden
gemahlen. Die Masse wird als Kakao und auch als Schokolade weiter verarbeitet. Zur Her-
stellnng der Schokolade wird die Kakaomasse mit Zucker und Gewürzen gemischt (Vanille, Zimt,
Nelken, Muskat usw.). Kakao uud Schokolade haben hohen Nährwert. Ihre Fabrikation bildet
heute in Deutschland, Frankreich und der Schweiz eine blühende Industrie.
60 —
auch in besonderen Fabrikräumen. Der durchschnittliche Tagesverdienst
beträgt etwa 2 Mark. Einzelne Vorarbeiten, z. B. das Spulen, Der-
richten Frauen und Kiuder. Der Arbeitsraum dient gewöhnlich auch
als Wohnstube. Die Gesundheit der Arbeiterfamilie wird dadurch
sehr geschädigt.
Die Steiuhuder Webereiindustrie beschäftigt auch viele Arbeiter
in der Umgegend, z. B. in Großenheidorn, Hagenburg, Bergkirchen,
Sachsenhagen, Nienbrügge, Niedernholz und Hülshagen. In nian-
chen dieser Orte wird aber die Weberei vielfach nur als Winter-
beschäftiguug betrieben.
Etwa 2 km ö von Steinhude liegt Großenheidorn, das
größte Dorf unseres Landes (682 ha). Die alten Höfe ziehen sich
(wie in Altenhagen) an einer Hauptstraße hin, durch Wiesen vom Meere
getrennt. Diese Anlage gleicht den neueren Siedelungen (den Hagen-
dörsern) in der Umgegend von Stadthagen. Trotzdem ist der Ort
uralt, da sich in der gleich hinter jenen Höfen hinziehenden, jetzt
fast ganz abgetragenen Dünenkette Urnen mit Leichenbrandinhalt
gefunden haben. Großenh. wird urkundlich zuerst 1247 genannt
(1645 wie Hagenburg und Steinhude als „Flecken" Heyndore).
Die Kapelle trägt die Jahreszahl 1691, doch sollen einige Bauteile
ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Das Dors war bisher nach
Steinhude eiugepsarrt. Heute ist es eiue selbständige Kirchengemeinde,
in der bereits seit Ende April 1899 ein Pastor wirkt. — Abge-
zweigt ist nach der nahen Stadt Wunstorf das Dorf Kl.-Heidorn
(hannov.), das einst mit zum Kchsp. Steinhude gehört habeu muß,
da seine Bewohner wie die • vom Gut Liethe uoch Anteil an der
Kapelle in Großenheidorn haben (bei den Hagelfeiern).
Wunstorf (4100 Einw.) wird als eine der ältesten Kulturstätten Nieder-
sachsens schon in einer von Ludwig dem Deutschen am 10. Okt. 871 ausgestellten
Urkunde für das dortige Nonnenkloster erwähnt und besitzt seit 1261 Stadtrechte.
Die Stiftskirche ist ein Rest jener Klostergründung. Daneben besteht die Markt-
kirche. Auch hat die Stadt eine katholische Kapelle uud eiue Synagoge (jüdisches
Gotteshaus). In W. laufen die Eisenbahnen Köln-Hannover, Bremen-Hannover
und die Steinender Meerbahn zusammen (Eisenbahnknotenpunkt). Außer^ der
Volksschule und den Bildungsanstalten für Lehrer (Präparandenanftalt und Semi-
mir) sind eine höhere Knaben- und Mädchenschule vorhaudeu. Der Wohlfahrt dient
die Landarmenanstalt. Mehrere Fabriken bringen Verkehr und Erwerb. (Wun-
herestorpe = Siedelnng eines Wunher — Flurbezeichuuug für Weideland, nach
anderer Erklärung Wodans des Herrn Dorf.)
— 61 —
b. Hagenburg.
Grtskttnde. Der Flecken Hagenburg liegt am Südufer
des Steinhuder Meeres, 11/2 km davon entfernt. Sein Gemeinde-
bezirk umfaßt 991 ha. In alten Urkunden (Dokumenten) wird
Hagenburg stets vor Steinhude genannt. Man will daraus schließen,
daß H. alter sei. Gewiß ist, daß Steinhude als Kirchort später
vou diesem Kirchspiel abgezweigt wurde. Der Ort wird sich iu
der Nahe einer alten Burg entwickelt haben, die hier am Nordrande
einer ausgedehnten Waldung wahrscheinlich von einen: Schaum-
burger Grafen gegründet wurde. In alten Zeiten breitete sich näm-
lich in der weiten Ebene zwischen Weser, Steinhuder Meer und
Bückeberg ein großer Wald aus, der Dulwald, von dein u. a.
der Schaumburger Wald, die Schier bei Hagenburg und das Dühl-
holz zwischen Lindhorst und Sachsenhagen noch vorhanden sind.
(Der alte Name Dul, Diule, Duel hat sich erhalten in der Bezeich-
nung Dühlholz und bedeutet Sumpfwald). In dem östlichen Teile
dieses Waldgebietes entstanden im 12. und 13. Jahrhundert Roduu-
gen. Die Namen vieler Ansiedelungen aus jener Zeit fallen uns
durch die Endung Hagen auf. Sie wurden als Hagenfiedelungen
bezeichnet, weil sie vou der nachbarlichen Flur bei der Anlage
durch einen aus einem kleinen Erdwall stehenden Hagen (eine Hecke)
abgegrenzt waren. (Alte Hagen finden sich immer an Wäldern
und wurden zum Wildschutz mit Umhegung Verseheu). In der Nähe
jener Burg ließen sich Burgleute uieder. Diese Ansiedelung erhielt
den Namen Nienhagen im Gegensatz zu dem weiter ö schon
vorhandenen Dorse Altenhagen (Oldenhagen). Obgleich letzterer
Ort in seiner Anlage (Höfe in einer Reihe!) den jüngeren Hagen-
dörsern unseres Landes entspricht, so muß er doch viel früher eut-
standen fein, da hier schon das Kloster Corvey Besitz hatte. An
Stelle der alten Burg, die zuerst 1369 als Haghenborch vorkommt,
wird später das heutige Schloß aufgebaut fein. Hagenburg und
Altenhagen stehen heute iu enger Verbindung und erstreckeu sich iu
säst 3 km langer Ausdehnung.
Das jetzige, von einem Graben nmzogene Schloß, dessen
Bauart äußerst einfach ist, wurde 1686 erbaut uud 1728 erwei-
tert.^ Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde es vou der Grä-
fiu Juliaue fast gänzlich umgebaut uud im verflossenen Jahr-
— 62 —
hundert in den Jahren 1871/73 wesentlich erneuert. Die beim
Ratskeller von der Hauptstraße nach dein Schlosse abzweigende
Nebenstraße wird Burg- oder Schloßstraße genannt. Die Häuser
nahe vor dem Schlosse sollen in alten Zeiten die Vorburg
geheißen haben und mit einem Graben umzogen gewesen sein.
Vom Schlosse führt ein Kanal durch üppige Moorwiesen (S. 53)
zum Meere. Das Schloß ist mit herrlichen Anlagen umgeben.
Es dient der Fürstlichen Familie häufig als Sommerausenthalt.
Auch von Fremden wird Hagenburg viel besucht. Selbst der
berühmte Preußenkönig Friedrich der Große weilte hier im Jahre
1768 als Gast des ihm befreundeten Grafen Wilhelm. Ein be-
sonderer Vorzug des Ortes ist die Nähe eines herrlichen Laub-
Waldes, der sogen. Schier.
Die Kirche (gotisch) ist 1871 von dem Baurat Professor Hase
in Hannover erbaut. Sie ist eine der schönsten Landkirchen
unserer Heimat. Die Kirchenakten reichen leider nur bis Anfang
des 18. Jahrh. zurück. Kirche und Schule lagen früher im ö
Teile Altenhagens. Die erhöhte Stelle, auf welcher die alte
Kirche stand (1483—1485 erbaut), ist jetzt von der Kirchengemeinde
in einen Obstgarten verwandelt. Die alte Schule lag in der
Nähe. Der jetzige Kircheuplatz gehörte früher zu einem Freihof.
Als der Besitzer, ein Postverwalter Engelken, 1866 nach Amerika
auswanderte, wurde dieser Hof mit Gebäuden, Garten, Wiese
und etwa 12 Morgen Ackerland für 20100 Mk. von der Kirchen-
gemeinde angekauft.
Hagenburg ist Station der Steinhnder Meerbahn. Bis 1. Okt.
1879 war es Sitz eines Amtes. Es hat ein Postamt III (S. 56)
eine höhere Privatschule, Synagoge, Apotheke und Kreissparkasse.
Kirche, Post und mehrklassige Volksschule liegen in Altenhagen, das
außerdem eine große Genossenschaftsmolkerei besitzt. Auch sind
in Hgb. und Altenh. Branntweinbrennereien (s. Lanenhagen).
Die Sparkassen nehmen ersparte Gelder an und zahlen dafür Zinsen.
Der Einzahler erhält ein Sparkassenbuch, in welchem jede eingezahlte Summe
vermerkt tüird. Am Jahresschluß werden auch die Zinsen eingeschrieben. Die
Hgb. Sparkasse wird Kreissparkasse genannt, weil sie Eigentum des Kreises
Stadthagen ist. Der Kreis Stadthagem der noch eine zweite Kreissparkasse zu
Nordsehl hat, führt die Aufsicht und haftet für die Sicherheit der Einlagen. Durch
Verleihen von größeren und kleineren Summen machen diese Kassen Geschäfte.
Die erzielten Überschüsse kommen dem ganzen Kreise zugute. Außer den Kreis-
sparkassen gibt es noch städtische Sparkassen.
Die Molkerei ist eine Butterfabrik, verbunden init Milchhandel. Die
Unternehmer derselben bilden eine Genossenschaft. Die erforderliche Milch wird
von den Hofbesitzern der Umgegend geliefert. Der Preis der gelieferten Milch
richtet sich nach ihrem Fettgehalt. Die entfettete Milch, Magermilch genannt,
wird an die Lieferanten zurückgegeben oder verkauft. Die nicht zur Butter-
bereituug verwandte Milch (Vollmilch) kommt in den Handel. Die Butter wird
mit der Bahn weithin verschickt. Manche Molkereien stellen auch Käse her.
Welche Vorteile hat eine Molkerei für die Landwirte?
— 63 —
Menbagen-fiagenburg, Altenh. wird schon im 13., Hagb. und
das Schloß daselbst im 14. Jahrhundert erwähnt. Der mitten
im Flecken gelegene Ratskeller gehörte beiden Orten gemeinsam,
bis Altenh. nach dem Vergleich V. 7. Aug. 1661 gegen eine jähr-
lich von Hagb. zu zahlende Entschädigung oon 30 Talern zurück-
trat. Der Ratskeller ist mit Bewilligung des Grasen Adolf X.,
des späteren Erzbischoss zu Köln, erbaut worden. Sein Bruder
Otto IV. gab 1555 dem Flecken darüber eiue schriftliche Bestäti-
guug, die 0ou seinen Nachfolgern erneuert wurde. Die Urschriften
(Originale) diefer und anderer Bestätigungen werden in der Bür-
gerlade aufbewahrt.
Beide Orte haben im 30 jähr. Kriege viel ausstehen müssen.
Einige Höse, deren Bewohner ausgestorben waren, blieben nnbe-
baut liegen. Auf deru nahen Tienberge soll man während dieser
Kriegszeit eine Wache gehalten haben. Hier war als Signal eine
Stange nnt einem Strohwisch aufgestellt. Solange diefes Zeichen
gesehen wurde, verrichtete jeder seine Arbeit zu Hause oder auf
dem Felde, sobald es aber entfernt war, wußte man, daß Kriegs-
völker oder streifende Parteien im Anmärsche waren. Dann suchte
jeder mit seinen: Vieh eine Zufluchtsstätte. Zu dem Zwecke
fallen die Altenhäger einen Damm nach dem Torfmoore errichtet
haben. Noch heute erinnern der „Seel-Woord" genannte Weg
und der „Alte Damm" an diese Anlage. Dieser Zufluchtsweg
führte etwa von der Mitte Altenhagens ab in weitem Bogen
nach der Mitte des Kanals zu. Im 30 jähr. Kriege foll auch
eiu Einwohner von Hagenburg namens Ruft einen oder zwei
Grafen vou Schaumburg vor den anrückenden Feinden nach dem
Meerbruch in Sicherheit gebracht haben. Er soll dasür außer
sonstigen Wohltaten einen sreien Platz vor dem Schlosse erhalten
haben („Freimanns Hans").
In Hagb. war 1688 eine Station der kgl. großbrit.-hannov.
fahrenden Post angelegt. Wegen feiner Lage an einer gro-
ßen Poststraße, die von Minden über Bückeburg und Hagb. nach
Hannover führte, hatte es in Kriegszeiten viele Durchmärsche und
Einquartierungen fremder Truppen zu ertragen. Das war nament-
lich im 7jähr. Kriege der Fall: Preußische, hauuoversche, hessische
und viel französische Truppen nahmen damals häufig ihren Weg
durch Hagenburg. Nach der Ubergabe vou Minden am 14.
März 1758, dessen Belagerung Graf Wilhelm geleitet hatte,
kamen 1400 kriegsgefangene Franzofen auf das Schloß und
Vorwerk Hagenburg zu liegen. In den fpäteren Jahren nach
diesem Kriege waren Hagenb. und Alteuh. (auch Steinhude uud
Großenheidorn) häufiger Garuisonen für die Truppen des Grafeu
Wilhelm. Dieselben hielten hier und bei Steinhude ost Manöver
und übten sich im Anlegen von Schanzen und Minen.
— 64 —
Eine Erweiterung des Ortes Hagb. erfolgte unter dein Grafen
Albrecht Wolfgang, mit dessen Bewilligung in den Jahren 1740
und 1741 auf dem sogeu. Bohnenkamp 11 Häuser erbaut wurden.
Von 1773 ab ließ Gras Wilhelm eitlen Teil des Torfmoores zwi-
scheu Meer, Hageub. uud Hainholz urbar machen und in Gärten
verwandeln. Dieses Torfmoor bekam den Namen Wilhelmsteiner-
seld. Auch ließ der Gras hier Festungswerke anlegen und Häuser
für Militärpersonen erbanen. In jenem Jahre wurde im
Hagenbnrger Holze eiue Kolonie gegründet; jeder Kolonist erhielt
2 Morgen Land geschenkt. Damals waren 4 Häuser vou Kolo-
nisten bewohnt.
Als in den Jahren 1774—76 von dem Grafen Wilhelm Prä-
mien für Fleiß und besondere Leistungen auf dem Gebiete der
Laudwirtfchaft und der Industrie ausgeteilt wurdeu, siud die Ha-
genburg er Schulknaben die ersten gewesen, die für ihre Erfolge
im Spinneu ausgezeichnet wurden. In Hagb. soll das Spinnen
unter den Mannspersonen zuerst recht eingeführt sein.
Bewohner. Hagenburg zählt rund 1000, Altenhagen rund
400 Einwohner. Diese treiben Ackerbau und Weberei, doch über-
wiegt in H. die Weberei, in A. der Ackerbau. Auch sind in H.
zahlreiche Handwerker ansässig. In neuerer Zeit habeu viele Arbei-
ter als Bergleute Beschäftigung gefunden. Diese arbeiten auf dem
Kalischacht Sigmundshall am Tienberge bei Bokeloh (S. 19).
Die Seeprouinz. Steinhude uud Hagenburg sind die beiden
einzigen Flecken unseres Landes und die beiden wichtigsten Orte im
nördlichen Teile desselben. Dieses Gebiet n der Rehburger
Berge in der Niederuug des Steiuhuder Meeres wird im Volks-
munde gewöhnlich die Seeproviuz genannt. Der Boden ist
hier sehr verschieden; man findet Lehm-, Ton-, Sand- und Moor-
boden, aber üppige Wieseu. An Waldungen sind zu nennen
der Forstbezirk Berghol aus dem Rehbnrger Höhenzuge, die Schier
bei Hagenburg, das Hoheholz bei Steinhude und der Föhrenkamp
bei Großenheidorn. Sie gehören zur Oberförsterei Spießingshol.
Neben Buche und Eiche sind hier besonders Fichte und Kiefer
verbreitet. — Die wichtigsten Erwerbsquellen der Bewohner sind
Ackerwirtschaft, Viehzucht, Weberei (Kunstweberei), Fischerei und
Handel. Vou den übrigen Bewohnern unseres Landes unterscheiden
sich die Seeprovinzler durch Kleiduug und Sprache. Sie tragen
— 65 —
keine Nationaltracht, sondern meist einfache, bürgerliche Kleidung
(bei den Frauen in Wölpinghausen finden sich noch vereinzelt
eigenartig gestickte Mützen). Statt des landesüblichen Maike heißt
es hier Dirn, statt mi und di aber meck und deck. Diese
Eigentümlichkeit wird damit erklärt, daß die Bewohner der Meer-
Niederung in alter Zeit einem anderen germanischen Volksstamme
und Gau angehörten. Die Frauen haben vielfach strohgelbes Haar.
Sie müssen gewöhnlich tüchtig mitarbeiten. Durch das übliche
Kiepentragen bildet sich bei ihnen nicht selten eine schlechte Körper-
Haltung aus. An männlichen Vornamen sind gebräuchlich : Dietrich,
Konrad, August, Heinrich, Wilhelm, an weiblichen: Doris (Dora),
Sophie, Marie, Minna, Emma.
Die Seeprovinz ist dem Verkehr durch eine Kleinbahn ange-
schlössen, die Steinhnder Meerbahn (S. 44). Mit der Kreisstadt
Stadthagen ist die Verbindung durch eine Chaussee hergestellt. Diese
läuft von Hagb. durch die Schier uach Auhagen, trennt sich im Dühl-
holz von der Straße Sachsenhagen-Lindhorst und geht über das
sogen. Bellersche Feld au Lüdersfeld und Probsthagen entlang aus
Stadthagen zu. Vou Stadthagen ist Steinhude ruud 20, Hagenburg
rund 16 km entfernt. Nach der Stadt Wunstorf führt von Stein-
Hude eiue Chaussee über Großenheidorn, eine andere über Altenhagen.
Aufg. Welche Rohstoffe werden in der Weberei verarbeitet? —
Welche Kunstprodukte stellt man aus ihnen her ? — Welche
Beschäftigungen hängen mit der Webereiindustrie zusammen ?
— Welche Rohstoffe werden in der Brauerei, Brennerei, Loh-
gerberei usw. verarbeitet ? — Wert der Arbeitsteilung! —
Vor- und Nachteile der Hausarbeit! — Gesamtbild: Stelle
die Berge, Gewässer und Ortschaften der Niederung im N un-
seres Landes zusammen ! — Zeichne dieses Gebiet!
5
— 60 —
Das Kohlen gebiet i m Osten.
1. Der Vückeberg.
Der Bückeberg nebst seiner w Fortsetzung, dem Harrl, bildet
den s Flügel der Schaumburger Wealdenmulde. Der Steilhang
des Höhenzuges findet sich an der Südseite, wo die Schichten
gegen den Berg einfallen und die Schieferköpfe zu Tage treten.
Der Nordabhang ist flach geneigt und geht ganz allmählich in
die Ebene über. Hier fallen die Schichten mit dem Berge ein
(parallel der Oberfläche). Den Kamm des Berges bildet ein
feinkörniger, heller und meist fester Sandstein, der eines der
besten Baumaterialien von Deutschland liefert. Auf manchen
Schichtflächen hat man sowohl hier als auch iu deu Rehburger
Bergen dreizehige Tierfährten gefunden, die wahrscheinlich von
einer gewaltige Größe erreichenden Reptilart (Iguanodon) her-
rühren. (Eine derartige Steinplatte ist am Gyrnuasialgebäude iu
Bückeburg aufgestellt.) Die Mächtigkeit des Sandsteins beträgt
hier 12—15 m (am Osterwalds 200 m, am Deister 150 m) und
nimmt nach XV hin allmählich ab. Der die Sandsteine überlagernde
obere Schieferton nimmt in derselben Richtung au Mächtigkeit
Nier\städt+ 100 rrt Borstel 125 m
n.t in u.
Kreide
CJura
Kalkschiefer und Plattenkalk. 2. Mergel. 3. Serpulit. 4. Unterer Schieferton. 5. Sandstein.
6. Oberer Schieferton. 7. Hilston. 8. Diluvium.
Querschnitt durd) den Bücheberg.
— 67 —
zu (am Osterwalds nur wenige Meter, am Deister^ bereits
30—80 m, am Bückeberge aber 200 m mächtig). Im Sandstein und
unteren Schieserton treten 3—4 Kohlenflöze auf. Diese sind meist
nur wenige dem mächtig. Das Hauptflöz, das bis 5 dem
mächtig ist, wird in den Bergwerken abgebaut. Am Südfuße des
Bückeberges liegen Mergel und Kalke des oberen Jura. Hieriu
sind Salzlager eingeschlossen, aus deueu die Solquellen bei Sool-
dorf und anderen Orten hervorbrechen.
Uame, Kage und Gestalt. Der Bückeberg liegt mitten in
einem Gebiet, das oor mehr als 1000 Jahren der Bnkkigan genannt
wurde. Sein ursprünglicher Name war Hart, die jetzige Bezeich-
nnng ist erst später üblich geworden und bedeutet Berg im Bnkki
(silva Bukiburg, Collis Buceburg.) Er dehut sich s von Stadt-
hagen zwischen Beckedorf und Bad Eilsen in einer Länge von rund
20 km oder 4 Std. aus. Sein langgestreckter, ziemlich geradliniger
Kamm (in Std. von Stadth. zu erreichen) hat die Haupt-
richtung von NO nach SW und beschreibt einen stumpfen Winkel.
Bei dem Winkelpunkte oberhalb Altenhagen verläßt der Berg die
bisherige, fast s Richtung und wendet sich mehr nach XV um, indem
er etwa 1 Std. lang wagerecht verläuft und eine bedeutende Breite
annimmt (Hochebene). Hier erreicht er eine mittlere Höhe von
360 in. (Der höchste Punkt ist die sogen. „Diebische Ecke", 367 rn.)
Nach N verflacht sich der Bückeberg ganz allmählich in die Ebene,
nach S aber sällt er steil ab. Da der Kamm uur unbedeutende
Einsenknngen (geringe Gliederung) hat, so heben sich wenige Gipfel
oder Kuppeu hervor. Bemerkenswert ist der Große Karl bei
Nemsdorf (rund 300 m).
Sattel. Paß. Zwei Einsenknngen sind für den Verkehr
von Bedentung geworden. Eine fanfte Einsenknng quer durch den
Höhenrücken des Berges (Sattel oder Joch) flndet sich bei Reinsen,
ein recht tiefer Einschnitt (Paß) bei Bad Eilsen. Sattel und Paß
dienen als Verkehrswege durch das Gebirge: Stadthagen—Roden-
berg, Stadthagen—Rinteln. Ö vom Reinser Sattel (148 rn)
erhebt sich als Vorberg der Heisterberg mit mehreren schön bewal-
deten Kuppen, deren höchste (185 rn) nahe der Einsenknng liegt.
Der Heisterberg biegt bei Beckedorf (Ruinen einer Hünenburg,
einer altsächsischen Befestigungsanlage!) scharf nach SO um auf Roden-
berg zu. Bei letzterem Orte bildet er zwei unbewaldete Hügel (150 rn).
5*
— 68 —
Der Eilser Paß (80 m) führt an der Westseite des Bückeberges
entlang. Jenseits dieses Passes bildet der Harrl eine Fortsetzung
des Bückeberges.
Pflanzen nnd Tiere. Unter seinem reichen Laubholzbestande
überwiegt die Buche; dann folgen in reinen Beständen Fichte, Eiche,
Lärche, Kiefer, während Erle, Birke, Hainbuche und Esche nur
einzeln (eingesprengt) auftreten. Wegen langsamen Wachstums und
deshalb bedeutend längerer Umtriebszeit, d. i. späterer AbHolzung
(vgl. Schanmbnrger Wald!), bewährt sich die Eiche nicht. Auch die
Buche bringt im Vergleich mit Nadelholz durchweg weniger ein.
Darum wird seit Jahren in erster Linie auf allen größeren Blößen
im Walde die Fichte angepflanzt. Auch in dem zur Oberförsterei
Obernkirchen gehörigen Teile des Bückeberges haben seit einer Reihe
von Jahren Fichte und Kiefer große Verbreitung gefunden (Schutz-
ringe gegen den Kiefernspinner!). Zur bequemen Abfuhr des Holzes
sind in neuerer Zeit besteiute Forstwege hergestellt. Das Material
zu den Wegebauten wurde meist in der Nähe aus den sogen. Find-
lingen gewouueu. Der Waldbodeu ist besonders an lichten Stellen
des Hochwaldes reich mit Heidelbeersträucheru bewachsen; auch findet
man außer Erd-, Him- und Brombeeren viel Kronsbeeren (Ver-
Wendung!). Der wohlriechende Waldmeister wird wenig angetroffen.
Sehr verbreitet ist der rotleuchtende, giftige Fingerhut und das
üppig wuchernde Farnkraut. In großer Menge findet sich ein
kleines Blümchen, das nach seinen sieben weißen Blütenblättern
Siebenstern genannt wird. Infolge der feuchten Bodenwärme
gedeihen verschiedene eßbare Pilze (Pfifferlinge, Steinpilze, Mor-
cheln, Champignons n. a.); daneben zeigt sich auch der giftige
Fliegenpilz, ein ziemlich großer, roter Pilz.
Der mittlere Teil des Bergzuges, etwa jenes Viereck, das
durch die vou Brandshof (Jagdschloß) und Obernwöhren nach dem
Kamme laufende Landesgrenze beschrieben wird, ist als Wildpark
unseres Fürsten größtenteils eingefriedigt (eingegattert). Dieses
Waldgebiet ist unter dein Namen „Häger Berg" bekannt und bildet
die Oberförsterei Braudshof. (Von den 4 Schutzbezirken des
Brandshofer Reviers liegt der von Reinsdorf im Kr. Grafschaft
Schaumburg am östlichsten. Dieser Schutzbezirk wurde vor Jahren
vom Fürsten Adolf Georg angekauft). In dem Wildgehege von
Brandshof äsen stattliche Hirsche (Rotwild) und zahlreiche Wildschweine
— 69 —
(Schwarzwild). Für das Rotwild werden Bohnen im Stroh auf-
gekauft; das Schwarzwild erhalt an besonderen Futterplätzen („Kör-
nungen") nur Körnerfutter: Bohnen und Mais, im Sommer auch
grünen Klee mit Roggenschrot angemengt (vgl. Schanmb. Wald!). Die
Hirsche des Bückeberges sind im allgemeinen stärker gebaut als die
im Schaumburger Walde. Das erlegte Schwarzwild wird vor dem
Verkauf tierärztlich untersucht. An den großen Jagden hier wie
int Schaumb. Walde hat auch wiederholt Kaiser Wilhelm II. als
Gast unseres Fürsten teilgenommen.
Wasserreichtum. Die großen Waldungen des Bückeberges
sammeln riesige Wassermengen auf. Diefe entspringen ihm wieder
in zahlreichen Quellen. Dauernd fließende Bäche finden sich in
großer Zahl an der Nordfeite (fanfte Abdachung). Der steile Süd-
abhang hat sehr gefällreiche Wasserläufe. Diese sind jedoch meist
nur bei starkem Regen und während der Schneeschmelze gefüllt.
Die einzelnen Gewässer vereinigen sich später zu Hauptbächen. Zeige
und nenne die wichtigsten! Gib ihre Mündung an! Wetter- und
Wasserscheide! — Das Bergquellwasser ist ein wohlschmeckendes und
gesuudes Trinkwasser (Wasserleitungen nach Obernkirchen, Gelldorf,
Sülbeck, Nienstädt, Stadthagen und Kobbensen). Weil es sehr kühl
ist, muß mau beim Trinken recht vorsichtig sein. Wenn im Früh-
ling längst der Schnee in der Ebene verschwunden ist, zeigt sich der
Bückeberg noch in: Winterkleid. Erkläre diese Erscheinung!
Industrie. Nicht nur durch seinen Wasserreichtum, sondern
auch durch seine Bodenschätze ist der Bückeberg für einen großen
Teil des Kreises Stadthagen (auch Graffch. Schaumburg) vou hoher
Bedeutung. Er liefert vorzügliche Saudsteine, ergiebigen Ton, große
Kohlenmengen und viel Nutz- und Brennholz. Die Gewinnung und
weitere Verarbeitung dieser Bodenschätze beschäftigt zahlreiche Menschen
in verschiedenen Fabrikbetrieben, unter denen bei uns Bergbau und
Glashütten die wichtigsten sind. Bei der Zufuhr der Rohprodukte und
bei der Abfuhr der Kunstprodukte (S. 38) finden viele Fuhrleute
und Arbeiter, namentlich auch im Winter, regelmäßigen Verdienst.
Auf dem Kamme des Berges treffen wir bedeutende Stein-
brüche, von denen einer unserer Landesherrschaft gehört. Die
meisten waren srüher Eigentum einiger Obernkirchener Steinhaner-
meister. Seit 1872 sind diese Brüche im Besitz der „Deutschen
— 70
Nationalbank in Bremen" und unter dein Namen Obernkirchener
Sandsteinbrüche bekannt (S. 22). Die hier gewonnenen Sand-
steine werden zu großartigen Bauten im In- und Auslande verschickt
und oerarbeitet. Sie sind in sehr vielen Städten Deutschlands zum
Bau von Kirchen, Schlössern, Denkmälern, zu öffentlichen und privaten
Werkeu und Gebäuden, zu Brücken- und Wasserbauten verwandt.
Bemerkenswert sind darunter die Siegessäule iu Berlin, das 300
Jahre alte Rathaus in Bremen, der Bahnhof (Sockel, Aussatz und
Unterführungen) in Hannover, der Justizpalast, die Börse und die
Fronten des neuen Rathauses iu Hamburg, die Domtürme in Köln
(1863—1881 allein 36 748 cbm), Schloß, Rathaus und Marstall iu
Bückeburg u. a. Vom Auslande sind als Abnehmer besonders her-
vorznheben Dänemark (allein 7 kgl. Schlösser), Holland (neuerdings
Köuigiu-Kirche in Rotterdam und Friedenspalast im Haag), Nor-
wegen, Rußland, Schweiz und selbst die Vereinigten Staaten von
Nordamerika (Kathedrale, d. i. bischöfliche Hauptkirche, iu Baltimore).
Die sämtlichen Steinbrüche und ihre Nebenbetriebe beschäftigen ins-
gesamt etwa 300 Arbeiter.
Sichere Nachrichten über einen geregelten Bruchbetrieb liegen
erst seit dem 17. Jahrhundert vor*). Wahrscheinlich hat der Bücke-
berg aber schon vor vielen hundert Jahren zu den ältesten Bauten
in uuserer Gegeud seiu dauerhaftes Steinmaterial geliefert. Einzelne
Steinbrüche befinden sich auch am Fuße des Berges; sie liefern
Material zu Haus- und Straßenbanten. Als Material für Straßen-
Pflaster haben die Sülbecker Steine einen guten Ruf.
Im Steinbruch.
Um die großen Steinquader zu erreichen, müssen erst die bedeckenden Erd-
schichten weggeräumt werden. Diese Arbeit, das „Abkummern", geschieht in der
Regel im Winter. (Die abgeräumten Erdmassen werden über eine Brücke zum
Schutthausen geschafft.) Ist der Felsen freigelegt, so werden die schichtweise, in
Stärke von 10 cm bis 1 m übereinander lagernden Steinplatten losgebrochen.
Man gebraucht dabei eiserne Keile und Brechstangen. Zunächst kommt die obere
Platte an die Reihe. In ihrer ganzen Größe kann man sie nicht zum Arbeits-
platz bringen. Der Borarbeiter teilt sie deshalb nach gewünschten Maßen ein,
die er durch schwarze Striche audeutet. Ein Arbeiter macht nun mit dein Bickel
(Zweispitz) die Löcher, in welche die eisernen Keile gesetzt werden. Mit einem
eisernen Schlegel wird alsdann solange auf die Keile geschlagen, bis das be-
zeichnete Stück von der ganzen Platte abspringt. Die Bruchsläche fällt dabei so
*) Die älteste uns erhaltene Urkunde über die Ste,inhauerzunst in Obernkirchen
stammt aus dem Jahre 1597. Nach einem auf der Bürgermeisterei in Obernk. aufbewahrten
Zunftbriefe vom Jahre 1761 wird das 1680 erteilte und 1752 bestätigte Jnnungsrecht erneuert.
gleichmäßig aus, als ob der Stein mit einer Säge durchschnitten Ware. Jetzt
wird die abgestoßene Steinplatte zur Arbeitsstelle geschafft. Man hebt die Platte
mit Brechstangen etwas in die Höhe und legt eine Walze unter. Einige Arbeiter
ziehen nun den Stein vor, andere schieben nach. Damit diese Arbeit gleichmäßig
geschieht, singt man u. a. dabei:
Wisse mal — sau I
Gaiht hei gaut — leih!
He — sau!
Aus das letzte Wort wird gezogen und geschoben, bis der Stein an die Kante
des Felsens gebracht ist. Hier läßt man ihn in den Bruch hinabgleiten, wo er
dann an der Arbeitsstätte nach Maß zugerichtet wird. Liegt der Steinbruch
tiefer als die Bearbeitungsstelle, so müssen die losgelösten Steinblöcke mittels
starker eiserner Ketten durch Winden nach oben gebracht werden. Sind mehrere
Rohblöcke hergerichtet, so werden sie auf Wagen geladen und nach den Stein-
Hauereien oder auch sofort nach den Bahnhöfen befördert. Ein solches Stein-
fuhrwerk wird gewöhnlich mit einer Fracht bis zu 150 Ztr. — 7500 kg belastet
(1 cbm Sandstein hat etwa 50 Ztr. Gewicht). Man bearbeitet auch Blöcke, die
bis zu 10 000 kg schwer sind. Große Platten werden in einer Dampffägerei in
beliebige Stücke zerschnitten. Man benutzt dazu dünne Drahtseile und lineal-
förmige Sägen. Die durch Reibung entstehende Schnittstelle wird unausgesetzt
mit Kies und Wasser versehen. — In der Nähe der Brüche und am Fuße des
Berges, z. B. aus dem Osterholzplatze in Nienstädt, in Stadthagen usw., sind
Stein- nnd Bildhauereien, in denen die Steine weiter verarbeitet werden. Die
Steinhauer, unter denen sich im Sommer wegen Mangels an einheimischen
Arbeitern viele Italiener befinden, gebrauchen Hacke, Meißel und Schlegel. Sie
verfertigen Treppenstufen, Tür- uud Fenstereinfassungen, Torpfeiler, Schleis- und
Mühlensteine, Tröge, Bildwerke und mancherlei andere Gegenstände. Ihre Be-
schäftigung ist keine gesunde, da sie bei der Arbeit viel kalkhaltigen Sandstaub
einatmen müssen, welcher der Lunge sehr schädlich wird. Daher erreichen sie
selten ein hohes Alter.
Die reichen Lehm- und Tonlager an den Abhängen des Bücke--
berges und in der anschließenden Ebene sind durch zahlreiche
Ziegeleien aufgeschlossen. Früher wurde die Mehrzahl der Ziegel-
steine mittels Handbetrieb hergestellt und in sogen. Feldösen ge-
brannt. Mit der Backsteinbrennerei in freier Luft soll bei uns auf
Veranlassung des betriebsamen Grafen Wilhelm zuerst 1765 auf dem
Paskamp bei Steinhude und 1768 an 5 anderen Orten der Anfang
gemacht worden sein. Seit Erfindung der Dampfmaschinen hat der
Maschinenbetrieb den Handbetrieb allmählich fast verdrängt. Heute
gibt es in unserem Lande 16 Ziegeleien mit Dampf- und 4 mit
Handbetrieb. Im Jahre 1900 stellten unsere einheimischen Ziegeleien
etwa 25 Millionen Mauersteine, Dachziegel und Röhren (Ent-
Wässerung) her.
Auf der Ziegelei.
Der größte Teil der Ziegelsteine wird im Sommer hergestellt. Nur wenige
Ziegeleien sind das ganze Jahr hindurch im Betriebe. In den Wintermonaten
trifft man die ersten Vorbereitungen. Dann wird der im nächsten Sommer zu
verarbeitende Ton gegraben. Unter dem Einfluß der Witterung (Frost, Regen,
Dürre) zersetzt er sich. Dadurch wird er für die Verarbeitung geeigneter. Man
schafft ihn in Kippwagen von dem Fundorte (der Gewinnungsstelle) nach der
— 72 —
Ziegelpresse, Nach gehöriger Befeuchtung gelangt er in einen Trichter oberhalb
der Presse, Hier wird der Einwurf durch Walzen zu einer breiigen Masse zer-
kleinert. Diese Masse wird durch einen Zylinder aus den Abschneidetisch gepreßt
und mit Formen in Ziegeln zerschnitten. Die rohen Ziegel bringt man auf
Karren nach dem Trockenschuppen, wo sie auf Gestellen zum Trocknen hochkantig
ausgestellt werden. Die trockenen Steine kommen in einen Ringofen zum Bren-
nen. Die Größe der Ringöfen ist sehr verschieden. Sie haben 14—20 und mehr
Kammern, die zusammen einen Ring bilden und gegenseitig abgeschlossen werden
können. Die Steine werden in den Kammern mit geringein Abstand hochkantig
aufgeschichtet. Das Feuer wird (bei größeren Ringöfen) nur an einer Stelle
unterhalten und durchströmt allmählich das ganze Innere des Ofens. Nach und
nach werden die Steine in den ersten Kammern weißglühend. Daran erkennt
man, daß sie gut gebrannt sind. Nun leitet man das Bollfeuer in die anschlie-
ßenden, schon besetzten Kammern. Nach einigen Tagen haben sich jene fertigen
Steine etwas abgekühlt. Sie werden nun herausgeholt und auf dem Lagerplatze
aufgestapelt. Die leeren Kammern werden wieder besetzt. Dieser Vorgang
wiederholt sich. Fuhrleute fahren die fertigen Waren ab. — Wieviel Backsteine
lädt gewöhnlich ein zweispänniges Fuhrwerk? Was kosten durchschnittlich 1000
Backsteine auf dem Lagerplatze?
Am Nordabhauge des Bückeberges bis weit in die Ebene
hinein bemerken wir zahlreiche hohe Erdhaufen, die wie große
Maulwurfshügel erscheinen. Sie machen uns auf die wichtigste
Industrie unserer Gegend aufmerksam, auf die Gewinnung der
Steinkohlen (S. 21 u. f.). Mit den Steinkohlen sind aus dem
Juuern der Erde große Schuttmasseu („Berge") heraufgebracht, die
allmählich zu jenen Hügeln („Halden") aufgetürmt wurden.
Der hiesige Steinkohlenbergbau gehört zu deu ältesteu Deutsch-
lauds. Nach sichereu Nachrichten hat ein geordneter Betrieb seit
1520 bestanden. — Nach der Chronik des Cyriacns Spangenberg,
welcher am Ende des 16. Jahrhunderts in Stadthagen lebte, ist
der hiesige Bergbau bereits seit Ende des 14. Jahrhunderts betrie-
beu*). — In der alten Grafschaft Schaumburg war die Gewinnung
*) Die Chronik Spangenbergs (Stadthagen 1614) berichtet: „Anno Domini 1386,
27. Oktober, sein drey Menner, alß Johann Meyer, Clawes Falthnr und Henrich Möller, in der
Grafschaft wohnhaftig, des Abends späte, auch zimblich und wohl bezecht, auß Obernkirchen ge-
gangen, sich verirret und auch verlohreu, also daß Niemaudt gewußt noch erfahren mögen, wo
diese Menner mögen hinkommen sein. Man hat sie allenthalben in Holtz, Feld und an den
Wasserzuflüsseu gesucht, auch sousten an mannichem Orte in und außer der Grafschaft Nachforschung
gethan. Aber davon Nichts vernehmen können. . . . Im vierten Jahre darnach Anno Christi 1390
hat man daselbst zu Obernkircheu im Steinkohlbergwerk eine alte Grubeu anfreumen, In welcher
man dreh todte Körper mit Erde befallen gefunden uudt an denselben so viel erkundt und wahr-
zeichen gesehen undt vermerkt, daß es die vor vier Jahren verlohrenen Menner sein müßten.
Diesen Bericht habe ich Anno Christi 1580 auß einem alten Memorieubuch abgeschrieben." Dar-
nach wäre der Bergbau bei Obernkirchen mehr als 200 Jahre alt. Wenn das Memorieubuch,
auf welches der Chronist sich beruft, zwar nicht als eine urkundliche Quelle genommen werden
kann, so kann die Geschichte doch unmöglich erfüllen sein. Die derzeitigen Kirchenbücher, aus
welchen man vielleicht eine Bestätignng erhalten hätte, sind leider bei späteren Bränden der Stadt
umgekommen. („Über den Steinkohleirbergban im norddeutschen Wealden" von Berginspektor
Richert. Berg- und Hüttenmännische Wochenschrift, Sonderabdruck aus Nr. 69 1895.)
— 73 —
von Steinkohlen ausschließlich Recht des Landesherrn. Nach der
Teilung zwischen Lippe und Hessen (1647) blieb der Bergbau unter
gemeinsamer Verwaltung der beiden Landesherrschasten. Heute sind
die Bergbauberechtigten der preußische Staat uud unser Fürstenhaus.
Der Sitz dieses Gesamt-Steinkohlenbergwerkes ist Obernkirchen.
Zu Bergleuten werden nur in hiesiger Gegend seßhafte Arbeiter
angenommen, durchweg wieder Söhne von Bergleuten. (Tüchtige
Arbeiterschaft, Einfluß auf Sprache, Sitten und Gebräuche!) Das
Werk beschäftigte im Jahre 1908 etwa 2690 Bergleute und 64 Be-
amte (nebst Fahrhäuern) und zahlte au Arbeitslohn mehr als 274
Millionen Mark. Es wurden rund 400 000 t Kohlen gefördert
und 84 000 t Koks hergestellt, außerdem 2 200 t Teer, 2 000 t Am-
moniak und 40 000 t Briketts. (Ein Eisenbahnwagen, Doppel-
Waggon, faßt 10 t. Wv. Züge ä 20 Wagen sind erforderlich, um
1000 t, 300 000 t fortzuschaffen? Ein solcher Zug soll eine Länge
von etwa 160 m haben. Wv. m würden dann sämtliche Züge
einnehmen? Wv. km sind das? Die Bahnstrecke von Hannover bis
Oeynhausen beträgt 80 km. Vergleiche hiermit jene Gesamtstrecke!)
Am Berge liegen die Kohlen der Tagesoberfläche ziemlich nahe.
Man erreicht sie daher durch einfache, fast wagerecht in den Berg
getriebene Strecken oder Gänge, die man Stollen nennt. Von
dem Stollengange führen Seitenstrecken nach den Lagerstätten der
Kohle. Die Stollen sind durch Zimmerung, oft auch durch
Mauerung gegen das Einstürzen des Gesteins gesichert. Das
Wasser fließt selbsttätig ab (Mundloch). Stollen finden sich bei
Beckedorf und Obernkirchen. Der wichtigste ist der Lietstollen
bei letztgenanntem Orte. Der Lietstollen ist bis jetzt 1850 m
lang aufgefahren. Die Umgestaltung der Beckedorfer Stollen-
anlage zu einem Tiefbaubetriebe steht für die nächsten Jahre bevor.
Nach der Ebene zu liegen die Kohlen in bedeutender Tiefe.
Hier hat man daher senkrecht in die Erde führende, brunnenartige
Vertiefungen hergestellt (abgeteuft), die Schächte genannt wer-
den. Je nach ihrer Verwendung heißen sie Förder- (Fahr-),
Wetter- und Kunstschächte (Wasserhaltungsschächte). Die obere
Öffnung eines Schachtes wird Hängebank, seine tiefste Stelle
Sumpf genannt. Vom Schacht aus werden ö und w in das
Nebengestein nach den Lagerstätten der Kohle Gänge oder Sohlen-
strecken getrieben, von denen in unbestimmten Abständen wieder
andere Strecken in s Richtung ausgehen. So teilt man den
Gebirgskörper mit den auftretenden Kohlenlagern in mehrere
Hauptabschnitte, die Abbaufelder genannt werden. Wenn die
— 74 —
obere Sohle sich dem Abbau zuneigt, wird die nächst untere durch
Neuanlage eines Schachtes für den späteren Abbau wieder vor-
gerichtet. Am hiesigen Werke sind bisher ausgeschlossen durch
Kunstschacht I zu Osterholz die A= und K-Sohle, durch Kunst-
schacht II zu Südhorsten die C- und D-Sohle, durch Kunstschacht III
im Stockfelde bei Stadthagen die E- und F-Sohle. Jetzt ist die
O-Sohle durch Anlage des Georgschachtes vorgerichtet.
Zur Zeit sind fünf Tiefbauförderschächte im Betriebe, nämlich
Schacht WD 3 bei Gelldorf, Schacht WE 1 bei Südhorsten,
Schacht OD 4 bei Ehlen, Schacht F° und Georgschacht in der
Gemarkung Stadthagen, an der Nebenbahn Rinteln-Stadthagen.
Ein ueuer Förderschacht WF 2 wird in der Nähe von Tallensen
hergestellt und voraussichtlich im Jahre 1910 betriebsfähig werden.
Die Kohle ist hier bei einer Tiefe von 155 m erreicht worden.
Hier wird die erste elektrisch betriebene Fördermaschine in Tätig-
keit treten, der die nötige Kraft vom Elektrizitätswerke Georg-
schacht zugeführt wird.
Während die Grubenwasser bei den Stollenbetrieben selbsttätig
abfließen, müssen die der Tiefbaubetriebe durch Pumpwerke ge-
hoben werden. Die ersten Wasserhaltungen befanden sich aus den
Kunstschächten I, II, III und dem Schachte 13° bei Südhorsten.
Heute sind diese veralteten Pumpen durch zwei moderne, elektrisch
betriebene Wasserhaltungen auf Schacht Ol) 3 bei Wackerfeld und
Georgschacht ersetzt. Erstere hebt mit drei Turbopumpen von
1500 Umdrehungen in eiuer Minute zusammen 11 cbm in jeder
Minute etwa 90 m hoch zu Tage. Die Jahresleistung betrug
bei der Anlage OD 3 insgesamt 805 000 cbm und bei der auf
Georgschacht 223 000 cbm.
Zur Versorgung der Grubenbaue mit frischem Wetter sind drei
Ventilatoren (Lufterneuerer) auf Schacht OD 5 bei Ehlen, Kunst-
schacht III und Schacht WD 1 bei Südhorsten vorhanden, von
denen die beiden letzteren elektrisch angetrieben werden.
Ein weiterer Hauptbetriebspunkt ist die im Jahre 1906 errich-
tete Brikettsabrik bei dem Lietstolleu, die zusammen mit der
dazu gehörigen Ausbereitung und Wäsche für die Lietftolleukohle
elektrisch betrieben wird.
6eorgsche>cht. Der Georgschacht wurde am 8. Dez. 1902 in
Gegenwart unseres Fürsten, dessen Namen er trägt, eingeweiht.
Dieses ueue Werk umfaßt eine Fläche von 60 Morgen und ent-
hält Schacht, Dampffördermaschine, Separation, Kohlenwäsche,
Kokerei mit Anlage zur Gewiuuuug vou Nebenprodukten, Koks-
brechwerk, zwei Kesselanlagen, Elektrizitätswerk, Wasserturm mit
elektrischer Pumpenanlage, Werkstätten, Zechenhaus mit modern
eingerichteter Badehalle und Beamtenwohnungen. Die Kohlen
75
gelangen ans dem 244 m tiefen Schacht) mittels des Förderkorbes
zur Hängebank. Sie kommen dann zur Separation, wo sie teils
als Rohkohlen direkt auf die Bahn gelangen, teils mittels eines
27 m hohen Becherwerks zur Wäsche abgeführt werden. Die
zur Verkokung bestimmten Kohlen werden von der Wäsche über
eine Brücke nach der Kokerei befördert. Die Kokerei enthält 60
geschlossene Ofen (System Dr. Brunck) mit Nebenprodukten-
gewinnung. Die in die Oseu geschafften Kohlen werden zur Eut-
züuduug gebracht und verkokt. Die Verkokung dauert etwa 36
Stunden. Die dabei sich bildenden Gase werden zu Teer uud
zu ammouiakhaltigem Wasser verdichtet. Der aus den Gasen
abgeschiedene Teer und das Ammoniakwasser sammeln sich in
Tiefbehältern und werden vermöge ihres spezifischen Gewichtes
getrennt. Der Teer gelangt als fertiges Produkt sofort zum
Versand, während das Ammoniakwasser zu schwefelig-faureu Am-
moniaksalzen, die für die Düngemittelfabrikation großen Wert
haben, weiter verarbeitet wird (Ammoniakfabrik). Der verblei-
bende Rest an Gas dient zusammen mit erhitzter Luft als Brenn-
stoff für die Kokerei und Kesselanlage I. Die Verbrennnngs-
Produkte entweichen durch einen 60 m hohen Schornstein mit
2,25 m lichter Mündungsweite-, ein anderer ist auf Georgschacht
für die Kesselanlage II errichtet worden. Der fertige Koks wird
ausgedrückt und abgelöfcht. Ein großer Teil kommt als Stückkoks
sofort zum Verkauf, während ein geringer Teil auf einem Brech-
werk zerkleinert wird. (Wert der Kokerei und Brikettfabrik:
Geregelter, gleichmäßiger Gang des gesamten Grubenbetriebes ■—
Regulator des Werkes, Herstellung eines lagernngssähigeren Pro-
dnktes von höherem Heizwert und größerer Reinheit usw.).
Das wichtigste Glied der Georgschachtaulage ist das Elek-
trizitätswerk. Die durch zwei Kolbenmafchineu vou je 500
Pferdekräften (PS) und eine Dampfturbodynamomaschine vou
1000 PS entwickelte Kraft wird als elektrischer Strom von 500
Volt Spannung nach den einzelnen Betriebspunkten des Georg-
schachtes uud als hochgespannter Strom von 6000 Volt durch
ein Hochspannungskabelnetz nach den entfernteren Betrieben bei
Obernkirchen und der neuen Schachtanlage WF 2 verteilt und
dient zum Antrieb der Elektromotore nnd zur Beleuchtung. Ein
Wasserturm von 26 m Höhe sammelt das für den Werksbetrieb
nötige Wasser in einem Behälter, der 250 cbm oder 250 000 I
saßt. (Wv. Eimer ä 10 1 sind das? Vergleich mit dem Raum-
*) Schichtenprofil des Georgschachtes:
Dammerde und Lehm...... 1,00 m Sandstein....................2 00 m
Kies und Gerölle........ 0,60 „ Kleines Kohlenflöz.......0,20 .,
Blauer und gelber Ton...... 0,90 Sandstein ... 8 45
u,ou „ Hauptkohlenflöz . .
0,15 „ Liegender Tonschiefer
243,90 in
0,50 „
2,00 „
-— 76 —
iuhalt der Schulstube!) Der Bau des gesamten Werkes hat
3 Jahre gewährt und 3 bis 4 Millionen Mark gekostet.
Auf der früheren Koksanstalt Osterholz in Nienstädt wurden
die Kohlen in langen, offenen Ofen abgeschwefelt und zu Koks
gebrannt. Die Gase entwichen frei und unausgenützt in die Luft
uud richteten auf Feldern und in Gärten vielen Schaden an, der
aber deu Eigentümern ersetzt wurde. Die weithin leuchtendeu
Flammen der Koksöfen verbreiteten bei Nacht einen unheimlichen
Feuerschein. Heute ist diese riesige Nachtlaterne erloschen, die seit
1840 unaufhörlich gebrannt hat. Dagegen leuchtet das ueue
Kokswerk, der Georgschacht, mit seinen strahlenden elektrischen
Flammen in feenhafter Schönheit weit in die Lande. So kann
man z. B. vom Rehbnrger Berge aus jeden Abend das Flammen-
meer beobachten.
Ln kettle» brik beim Lietitollen. Ilm die Magerfeinkohle aus deu
Stollenbetrieben besser verwerten zu können, wird dieselbe wie
die Kokskohle gewaschen, mit einem Teil gewaschener, seinkörniger
Fettkohle 'und Pech gemischt, in Ofen erwärmt und abgetrocknet
uud dann mit geeigneten Preßmaschinen zu Würfeln, sogen. Briketts,
geformt. Diese Briketts werden in Stücken zn 3 oder 1V4 kg
und in Würfeln von etwa 5 cm hergestellt. Zn jedes Brikett ist
als Zeichen des Ursprungs das Nesselblattwappen eingepreßt.
Ahnlich wie der Koks bilden die Briketts ein Fabrikat, das sich
neben handlicher Aufbewahrungsform besonders durch saubereu und
vorteilhaften Brand auszeichnet.
Der Bergmann.
Wenn der Bergmann zur Grube (Kuhle) geht, d. h. eine Schicht (8 Std.) Ver-
fahren will, führt er einen Stock (Kuhlenknüpvel), ein tüchtiges Frühstück und eiue
Flasche mit schwarzem Kaffee bei sich. Seine Kleiduug ist einfach und'schlicht:
feste Schuhe, kräftige Hose, schwarzer Kittel und Bergmannskappe. In der Berg-
schmiede nimmt er sein neu geschärftes Werkzeug (Gezähe) in Empfang. Vor der
Lampenbude erhält er mit den übrigen Kameraden, die er mit einem fröhlichen
„Glück auf!" begrüßt, feine Sicherheitslampe. Dann tritt er an die Schachtöffnuug
(Hängebank). Von der Hängebank wird er mittels einer Förderschale, die an
langen Drahtseilen befestigt ist und ans- und abbewegt wird, in die Grube besör-
dert (Füllort). Um nach seinem Arbeitspunkte (vor Ort) zu gelangen, hat er dann
noch einen längeren oder kürzeren Weg zurückzulegen. (Noch zn Ansang des
vorigen Jahrhunderts hielten die Bergleute vor ihrer Einfahrt in die Grube
eine kurze Andacht. An diesen Brauch erinnert heute in einzelnen Orten die
Bezeichnuug Zechenhäuser. — In einer Vorschrift des Bergamtes Obernkirchen
vom 4. Juli 1811 wird von dem Bergmann besonders gefordert, daß er sich „zn
gehöriger Tageszeit auf dem Zechenhause des Reviers in dem Gebet einfinden soll".)
Die auf einem Schachte beschäftigten Bergleute bilden die Belegschaft des-
selben. Die Aufsicht führen Obersteiger, Steiger und Fahrhäuer. Die Beleg-
schaft wird in Drittel eingeteilt. Die Drittel zerfallen wieder nach ihrer^Beschäf-
tigung |in Häuer, Füller, Förderleute und Bergeversetzer. Die Häuer scheiden
sich in Kohlen- und Gesteinshäuer; jene hauen Kohlen, diese verrichten Gesteins-
arbeit. (Arbeitsteilung!)
— 77 —
Das Gezähe, welches der Häuer beim Loshaueu der Kohlen gebraucht, ist
der Kolben mit Einsatzspitze (Pickel). Da das Kohlenflöz nur 40—50 cm mächtig
(dick) ist, so muß der Bergmann liegend die Kohlen hauen, was sehr beschwerlich
und anstrengend ist, daher ist die Arbeitszeit auch eine kurze. Zur leichteren Be-
sörderung der Kohlen nach dem Schachte werden im Nebengestein in Zwischenräu-
men von je 18 m Strecken von 2 m Höhe und 1 m Breite getrieben. Den
Zwischenraum nennt man Streb. Die Strecken werden von den Gesteinshauern
(Senkern) hergestellt und zwar durch Sprengarbeit. Die Senker brauchen Fäu-
fiel (Schlegel), Bohrer, Krätzer oder Wischer und Keilhaue (Senkehacke), in neuerer
Zeit auch besondere Bohrmaschinen. Die bei der Sprengarbeit in den Strecken
gewonnenen Berge werden von den Bergeversetzern in die Kohlenstreben (in
die von Kohlen freigelegten Flächen) versetzt. Die von den Häuern losgehauenen
Kohlen werden von den Eiusüllern mit einer Strebkratze („Krasse") in die Strecken
gezogen und dann mit einer Kratze und einem Fülltroge („Backfisch") in die
auf Gleisen lauseuden Förderwagen gestürzt. Die Förderwagen werden von den
Grnbenförderern nach dem Schachte bezw. Füllorte geschafft, um zu Tage geför-
dert zu werden.
Die Arbeit des Bergmanns ist mühsam und gefahrvoll. Gegen das Herein-
brechen des Hangenden (S. 22) schützt er sich, indem er zwischen Liegendes
und Hangendes des Flözes Stempel (Fanghölzer) schlägt, welche ganz genau der
Höhe des Flözes augepaßt sind. Die Strecken werden gegen das Hereinbrecheil
des Hangenden geschützt, indem man dicke Balken in Zwischenräumen von 2 m
quer über die Strecken legt. Eine andere Gefahr bilden die aus den sehr gas-
reichen Kohlen ausströmenden Dünste (die bösen Wetter), die sich leicht entzünden
nnd den Bergmann ersticken (Schlagwetter). Ein durch Entzündung der Gase
entstehender Grubenbrand dehnt sich mitunter auch auf die Kohlen aus. Zur
Verhütung solcher Ereignisse wird reine, frische Lust zugeführt und verdorbene,
schlechte Luft abgeleitet (Bewetterung). Diese Bewetteruug wird vou Ventilatoren
besorgt. Auch läßt die Sicherheitslampe bei sorgfältiger Beobachtung schon ganz
geringe Mengen von Schlagwetter erkennen.
Die Bergleute gehören der Schaumburger Knappschafts-
Kraukenkasse zu Obernkirchen au, welche Krankennntersti'chnng und
Sterbegeld gewährt. Auch siud sie Mitglieder des Hauptknappschafts-
Vereins zu Klaustal im Harz und der Norddeutschen Knappschafts-
Pensionskasse zu Halle an der Saale. Als Vertrauensmänner der
Versicherten wirken die Knappschaftsältesten, von denen drei dem
Vorstande angehören. Dieser besteht noch aus dem Werksdirektor
und zwei vom Königl. Oberberganit und der Fürstl. Hofkammer
ernannten Mitgliedern.
Wohlsahrtseinrichtnngen. Seitens der Bergwerksver-
waltung ist sür die Wohlfahrt der Beamten und Bergleute in jeder
Weise gesorgt. Den Bergleuten ist bei Weiterzahlung der Löhnung
ein achttägiger Feriennrlanb gewährt. Invalide und ältere, zur
Werksarbeit nicht mehr taugliche Bergleute erhalten an Unter-
stütznngen und Peusioueu insgesamt jährlich etwa 300 000 M. Die
den Bergleuten gewährten Freikohlen haben einen Verkansswert
voll jährlich 30 000 M. Um den Bergleuten auf den Schacht-
— 78 —
anlagen Gelegenheit zu geben, sich nach vollbrachter Schicht vom
Kohlenstaub und Schmutz reinigen zu können, ist man in neuester
Zeit bemüht, überall Waschgelegenheit zu bieten. Mnstergiltig hier-
für ist die Waschkaue auf Georgschacht, neben der die Einrichtung
einer Kaffeekochgelegenheit und eines großen Verbandzimmers für
Verletzte besondere Erwähnung verdient. Im Zechenhause auf
Georgschacht sind zu Rettungszwecken Sauerstoffapparate in stets ge-
brauchsfertigem Zustande vorhanden. Eine Rettungsmannschaft ist
zun: Gebrauch derselben ausgebildet. Ein moderner Krankenwagen
zum Transport Verletzter und Kranker vervollständigt die Aus-
rüstuug. — Um jungen Bergleuten Gelegenheit zn geben, sich theo-
retisch und praktisch zu Beamten ausbilden zu können, besteht in
Obernkirchen eine an die Hauptbergschule zu Klaustal angegliederte
Bergvorschule. Der Lehrgang derselben ist von einjähriger Dauer.
Der Unterricht wird kostenlos erteilt, zur Bestreitung der Unkosten
werden seitens der Werksverwaltung nicht unerhebliche Beiträge an
den Klaustaler Bergschulverein bezahlt. In neuester Zeit ist auch
für die Fortbildung der Bergmannstöchter gesorgt. Unter Leitung
der Frauenschule zu Oberukircheu werden für die jungen Mädchen
Haushaltungskurse abgehalten.
Die Unterhaltung des Werkes erfordert bedeutende laufende Material-
kosten. Diese betrugen i. I. 1908 söhne Berücksichtigung der Neubauten) mehr
als 765 000 M (darunter z. B. für Holzinat. 230 000 M, Eisen 110 000 M,
Maschinen 100 000 Jt, Geräte und Utensilien 58 000 ^ usw.) Außerdem wurden
zur Unterhaltung der maschinellen Anlagen, der Wege uud Gebäude fast
37 000 M ausgegeben. Die Holzmaterialien, sämtlich aus den hiesigen Forsten,
zerfallen in 4 900 im Buchenholz, 1 700 im Tannenholz uud 1 900 im Eichenholz;
dazu kommen noch 357 im Dielen, 7 000 Stangen usw. Auch wurden im Jahre
1908 bedeutende Summen für die erforderlichen Neubauten ausgegeben.
Im Jahre 1908 waren auf sämtlichen Anlagen im Betriebe: 30 Kessel
mit 2133 qm Heizfläche und mit 6 und 10 Atin. Betriebsdruck, 42 Dampf-
Maschinen mit 2 395 PS, 43 Elektromotore mit 1 677 PS und 6 Benzinmotors
mit 59 PS. Ferner wurden an elektrischer Energie 133 PS für Beleuchtung der
Werksbetriebe verbraucht und 172 PS an Private abgegeben.
Die Nähe der Kohleu (billige Anfuhr!) hat die Anlage vieler
Fabriken gefördert, unter denen sich besonders die Glashütten
entwickelt haben. Dicht bei Obernkirchen liegen die beiden großen
Glasfabriken Schauen st ein und Neu Hütte, iu Nienstädt die
Glashütte Schierbach und in Wendthagen die Glashütte Mendt-
höhe. Auch iu Stadthagen sind bedeutende Glasfabriken vor-
Händen.
— 79 —
Schauenstein wurde i. I. 1800 von Joh, Konrad Storin gegründet und
kam 1822 in den Besitz von Fr. Aug. Becker auf Wendthöhe. Am 1. Febr. 1824
wurde der Ältermann Herm. Heye aus Bremen Mitbesitzer der Fabrik. Die
jetzige Firma „H. Heye Glasfabrik" besteht nach dem Ausscheiden Beckers seit
dem 9. Dez. 1842. Besitzer ist der Geh. Kommerzienrat Heye. Das Werk ist
Ende der 1890er Jahre bedeutend erweitert worden. Es beschäftigt etwa 750
Glasmacher, Korbmacher und andere Arbeiter. — Neuhütte wurde von
A. Becker 1844 gegründet. Von 1831 an hieß die Firma „Gebrüder Stoevesandt
u. Becker" und seit 1861 „Gebrüder Stoevesandt". Die Fabrik besteht heute unter
dieser Firma als Aktiengesellschaft (S. 44) und beschäftigt etwa 500 Mann. —
Schi erb ach ist i. I. 1840 von Thiemann, Rump u. Bensemann gegründet
worden. Mit der Herstellung von Flaschen konnte die Fabrik erst seit 1848 be-
ginnen. Bis dahin hatte die Glashütte Wendthöhe für Schaumburg-Lippe allein
das Recht zur Herstellung von Flaschen. Im Jahre 1860 wurde zu Schierbach
eine zweite Glashütte errichtet. Zur Beschaffung der nötigen Arbeiter-
Wohnungen wurde das Kolonat Nr. 12 in Nienstädt erworben. Die alte Hütte
dient heute als Gemengehaus. Die jetzige Firma Rump u. Riensch beschäftigt
etwa 100 Mann. — Wendthöhe wurde 1817 von Fr. Aug. Becker und dem
Leutnant Severin erbaut. Der Bauplatz auf dem „Höltjebrink" wurde den
Gründern von dem damaligen Fürsten Georg Wilhelm, der sein Land der In-
dustrie erschließen wollte, unter weitgehenden Vergünstigungen überlassen. Die
Fabrik ging 1822 auf F. W. Koch über, 1856 auf Herm. Heye und ist heute
Eigentum des Besitzers vou Schauenstein. Sie beschäftigt etwa 100 Arbeiter.
— In Stadthagen besitzt die Firma Rump und Riensch eine Glashütte, die
an Umfang der zu Schierbach gleichkommt. Eine andere, heute die Oldenburgische
Glashütte "(Aktien-Gesellschaft), ist i. I. 1871 vou A. Lagershausen gegründet
worden. Letztere beschäftigt etwa 400 Arbeiter.
Zur Glasbereitung gebraucht man verschiedene Rohma-
terialien. Ihre Zusammenstellung richtet sich nach der Festigkeit
und Farbe, welche das Glas erhalten soll. Zu halbweißem Glas
gebraucht man Sand aus Lemgo, Kalk aus Kleinbremen, Kreide-
Niehl, mehrere Erze aus dem Kaukasus, Salz aus Hannover
(Egestorfer Salzwerke) u. a. Zu gelbem Glas verwendet man
noch Sand aus der Nähe vou Minden und gelben Mergel aus
Emmertal bei Pyrmont. Zur Herstellung des schwarzen und des
übrigen farbigen Glases dienen besondere Farbstoffe. Die Roh-
Materialien werden zerkleinert und sorgfältig gemischt (Gemenge,
Gemengemacher). Das Gemenge kommt nebst eingesammelten
Glasscherben in den Schmelzofen (die Wanne); hier bringt es der
Schürer durch starke Hitze zuiu Schmelzest. Bei den neueren Ein-
richtuugeu fließt das geschmolzene Glas aus dem Schmelzofen in
die Arbeitswanne, aus der es dann znr Verarbeitung entnommen
wird. Beim Schmelzen scheiden sich erdige Teile als Schaum
(Glasgalle) aus, der abgefüllt wird. Durch sehr hohe Temperatur
wird die Masse dünnflüssig. Darauf läßt man sie etwas abkühlen.
Nun solgt die Verarbeitung zu den verschiedensten Glaswaren.
In deu hiesigen Glashütten werden hauptsächlich Flaschen herge-
stellt (Medizin-, Bier-, Weinflaschen und Säureballons), die groß-
tenteils nach Amerika abgesetzt werden. Ein Teil der Flaschen
wird in Schauenstein, Neuhütte und Wendthöhe mit Weiden um-
— 80 —
flochten. Diese Glashütten beschäftigen daher nicht nur Glas-
mach er, sondern auch viele Korbflechter. Letztere kommen meist
aus dem Aue- uud Wesertal. Auch gebraucht man beim Versand
bedeutende Mengen Stroh zum Verpacken der Glaswaren.
Die Herstellung einer Flasche.
Jeder Glasbläser besitzt etwa 4 bis 6 je ll/2 m lange eiserne Röhren
(Pfeifen). Diese taucht er durch eine im Ofen angebrachte Öffnung in die feurig-
flüssige Masse. Durch eine schnelle und geschickte Bewegung bringt er den an-
hängenden Glasklumpen in eiserne Blöcke (Klötze). Hier erhält die Glasmasse
durch Hin- und Herrollen in Aushöhlungen zunächst Kugelgestalt. Inzwischen
hat sich das Glas etwas abgekühlt. Es wird nochmals im Ofen erwärmt.
Darauf gelangt es in eine besondere Form, in der das Glas auseinander-
geblasen wird. Der Glasbläser öffnet alsdann die Form, trennt mit
einem schmalen Eisen die entstandene Flasche von der Röhre und steckt sie in
eine eiserne Hülse. Nun legt er noch um die obere Kante des Flaschenhalses
einen schmalen Glasstreifen. Indem er dann den Hals zwischen den zwei
Rollen einer Schere hin- uud hergleiten läßt, erhält die Flasche die erwünschte
Öffnung (Mundstück). Die fertige Flasche legt er nun auf eine Wage, um ihr
festgesetztes Gewicht zu prüfen. Entspricht sie nicht den Anforderungen, so ge-
langt sie wieder in den Schmelzofen. Geringe Schwankungen (30 bis 50 g) sind
jedoch zulässig. Wenn mehrere Glasbläser dieselben Flaschen machen, gibt jeder
seinen fertigen Flaschen ein besonderes Kreidezeichen (Ring, Strich, Kreuz usw.),
an dem er sie wiedererkennen kann. Von der Wage nehmen Lehrlinge (Ein-
träger) die Flaschen weg und bringen sie in den Kühlofen. Hier werden sie von
dem sogen. Pfleger mittels einer Gabel schichtweise aufeinander gepackt. Nach
völligem Abkühlen schafft man sie in den Sortierraum. Hier werden alle
Flaschen mit demselben Zeichen gesammelt, die fehlerhaften aber ausgeschieden.
Nach der Anzahl der brauchbaren Flaschen richtet sich nun der Lohn des Glas-
bläsers. Die Anzahl wird nach sogen. Hüttenhundert bestimmt. Als Hütten-
hundert rechnet man je nach Größe der Flaschen 30 bis 35 Stück. Ein Glas-
macher fertigt täglich 6 bis 10 Hüttenhundert. Geschickte Glasmacher verdienen
monatlich 100 bis 130 M, weniger tüchtige 80 bis 100 M. Die tägliche
Arbeitszeit beträgt etwa 10 Stunden. In neuerer Zeit versucht man auch, die
Flaschen mit Maschinen herzustellen.
Ans den großen Waldungen gewinnt man Nutz- uud Breuu-
holz. Das Nutzholz kommt in ganzen Stämmen nach den Säge-
mühlen, wo es für den Gebrauch besonders zugerichtet wird
(S. 40). Viele arme Leute erhalten die Erlaubnis zum Holz-
sammeln. Früher hatten die anliegenden Gemeinden Holz-, Streu-
und Weideuutzuugsrechte im Berge. Diese Rechte sind seit den
1870er Jahren durch Abtretung oon Waldflächen abgelöst. (So er-
hielt die Stadtgemeinde Obernkirchen als Abfindung die „Liet",
während die berechtigten Bürger andere Waldteile bekamen.) Die
überladenen Flächen, im Forstrevier Obernkirchen z. B. 6,8 qkm
Hnteflächen, sind größtenteils in Ackerland umgewandelt worden.
Zahlreiche schmucke Häuser sind seitdem dicht am Waldrande ent-
standen, z. B. in Liekwegen.
— 81 —
Ortschaften. Eine blühende Industrie beschäftigt zahlreiche
Arbeitskräfte. Der Bückeberg mit seinen: n Vorlande ist daher dicht
bevölkert. (Niederschrift einiger Ortsnamen nach der Karte!) Be-
merkenswert sind am n AbHange die Kirchdörfer Heuerßen und
Sülbeck und am nw Abhänge die Stadt Obernkirchen.
Die Bewohner des Kirchspiels Heuerßen sind vorwiegend
Landwirte, zum Teil auch Bergleute. Tracht und Sprache sind
der Lindhorster gleich (s. S. 87 n. III, 1 Volkstrachten!). Die
Bewohner des Kirchspiels Sülbeck sind Landwirte, Bergleute,
Glasmacher und Handwerker. Die Tracht der Frauen ist die
üppige Bückeburger Nationaltracht. Die Mundart fallt durch
schlechte Aussprache der Selbstlaute auf. Man spricht vielsach
a wie ö^a, i wie e^i, unterscheidet schwer o und n und spricht
au, u, e recht breit aus.
Heuerßen besitzt eine im 11. oder 12. Jahrhundert entstandene
Kirche (romanisch), die später bedeutende Umbauten erfahren hat.
l'lber dem Portale an der Westseite steht die Jahreszahl 1565.
An der Südseite liegt eine Grabkapelle. Darin sind viele Särge
derer von Münchhausen beigesetzt. Ein Steinbild daselbst (s.Sage 8!)
stellt den Junker Christian von Münchhausen dar, der 1643 von
seinen Leuten im Lindhorster Felde erschlagen wurde.
Zum Kirchspiel gehören die Schulorte Heuerßen und Obern-
Wöhren, ferner Bückeb.-Reinsen, Blyinghausen, Habrihausen, Meierei
Lohhof (herrschaftlich, verpachtet), Gut Remeringhausen (v. Münch-
Hausen) und die preußischen Orte Heidbrink, Hess.-Reinsen (mit
dem Dorsteil Reinebult) und Hof Eichenbruch.
Obernwöhren (alt Ouerenworde) ist eine Hagenkolonie nach Holländer
Art (vgl. Seite 61 u. 90!). Die Höfe liegen in langer Reihe an einem geraden
Wege und lehnen sich an einen Bach an, hier die Vornan; vor und hinter den
Hösen breitet sich das zugehörige Ackerland aus. Der alte Name beweist zu-
sammen mit dem von Niedernwöhren, daß hier Kolonisten von der unteren Weser
oder Elbe sich angesiedelt haben, denn nur dort findet sich die Bezeichnung
worde, ward, wurt'h für ganze Siedelungen.
Sülbeck ist das größte ländliche Kirchspiel im Fürstentum. Es
hatte bereits um die Mitte des 12. Jahrh. eine Kirche, da hier
zwischen 1153 bis 1170 ein Priester Meinhard genannt wird.
Die Kirche wird zuerst 1188 erwähnt. In diesem Jahre verkaufte
Ludolf von Dassel, um Geld sür eiue Reise nach Jerusalem zu
gewinnen, Güter in Zulbike und sein Patronatsrecht über die
Kirche daselbst dem Kloster Obernkirchen. Er wird als Teil-
nehmer des Kreuzzuges unter Barbarossa 1190 genannt. Das
jetzige Gotteshaus wurde an Stelle des von 1427 her bestandenen
Gebäudes 1860 erbaut. Seit Weihnachten 1908 bildet das einzige
Zierstück der Kirche eine lebensgroße, wahrscheinlich aus dem
12. Jahrhundert stammende Christusfigur. Das alte, lange Zeit
6
unbeachtete Kunstwerk ist schön erneuert worden und schmückt nun-
mehr aus einem schlicht gehaltenen Kreuz aus Eichenholz den Altar.
Eingepsarrt sind die Schulorte Sülbeck, Kirchhorsten, Nienstädt
mit der Glasfabrik Schierbach, Wendthagen mit der Glasfabrik
Wendthöhe und Liekwegen (Kr. Grafschaft Schaumburg), ferner
Wackerfeld, Gut Meinefeld so. Oheimb), Langenbruch und Meierei
Bruchhof mit Brandshof.
Sülbeck. Bähnbof der Nebenbahn Stadthagen-Rinteln; Steinbrüche. —
Kirch horsten, Station an der Staatsbahn Hannover-Minden; einst Kirchdorf.
Die Kirche wird zuerst 1179 genannt und tag auf dein Kolonat Nr. 5. Hier
heißt noch heute eine Stelle „aus dem Kirchhofe". Das alte Kirchspiel Horsten
(Kerkhorsten, Horsten, Horstin, Hurst) wurde zur Zeit der Reformation zwischen
Sülbeck und Obernkirchen geteilt. Nahe dem Bhf. liegt eine Strohhülsenfabrik.
Der Güterverkehr aus dem Bhf. ist bedeutend zurückgegangen, seitdem der Ver-
sand von Flaschen und Kohlen durch die Nebenbahn Stadth.-Rinteln erfolgt (seit
1900). — Nienstädt, Bahnhof, ist durch die alte Koksanstalt Osterholz bekannt.
— Die Meierei Bruchhof ist herrschaftlich und Sitz des Forstmeisters für den
Oberförstereibezirk Brandshof. Um 1120 befand sich hier eine Kapelle. Der
Bruchhof, ursprünglich dem Kchsp. Meerbeck zugeteilt, war früher ein alter
Edelingsfitz eines ausgestorbenen, zu den Grafen von Wölpe gehörigen Ge-
fchlechts. Der letzte im Mannesstamm, der Ritter Broke der Wunderbare
(Mirabilis), war Herr etwa über das Gebiet, das später als Amt Stadthagen
und Amt Arensburg bezeichnet wird. Broke schenkte 1167 seine Güter dem
Mindener Bischof. Dieser überließ die Schenkung der Domkirche und (besonders
den Bruchhof) dem Moritzkloster zu Minden.
Die Stadt Obernkirchen am nw Abhänge des Bückeberges
gehört zum Kreise Grafschaft Schaumburg. Hier wurde um 815 eiue
Missionsstation gegründet, die bald zu einem Nonnenkloster erweitert
wurde und die Gründung vieler umliegenden Kirchen förderte. Das
Kloster wurde bei einem Einfall der Ungarn zerstört (wahrscheinlich im
Jahre 924 zugleich mit Herford) und erst nach 1100 wieder auf-
gebaut. („Zur ältesten Gesch. d. Klost. Obernk." von Dr. Otto
Zaretzky.) — Der Ort hat durch häufige Brände und namentlich
durch zahlreiche Plünderungen während des 30jähr. Krieges gelitten.
Er liegt auf einer natürlichen Bodenwelle, die durch Abgrabungen
verstärkte Böschungen zeigt. Dieser Umstand hat die Vermutung
aufkommen lassen, daß hier einst die uns unbekannte „Volksburg"
des Bukkigaus, das älteste Bückeburg, gelegen haben könnte*.)
*) Die nahe „Alte Bücke bürg", das csstrum Luckebur^, war in alter ZSit ein
Edelingsfitz und bestand aus einer Burg mit einer Kapelle. Während die Burg schou um 1180
verschwunden war, bestaud die Kapelle uoch einige Jahre länger. In dem erwähnten Jahre kam
die Bückeburg mit den zugehörigen Ländereien und sonstigem Eigentum durch Schenkung an das
Kloster Obernkirchen. Seitens des Klosters wnrde der Besitz, der „Hodelkamp geheten de olde
Bnckeborch", durch den Probst Kostgen und die Priorin von Ohem am 3. April 1364 an Wilhelm
Ledeburs in Obernkirchen veräußert. Bald darauf wurdeu die Schanmbnrger Eigentümer, bis
Fürst Emst 1616 den Platz wieder verkaufte. Heute ist die etwa 10j ha umfassende Stätte eine
Gastwirtschaft.
— 83 —
Diesen Namen würde die Stelle vor der Einführung des Christen-
tnms durch Karl den Großen geführt haben und seitdem die heutige
Bezeichnung (alt Ouerenkerken). Ob das jetzige Wort deu Sinn
von der oberen Kirche („zu der oberen Kirche") der Lage nach hat
oder deswegen, weil diese Kirche bald als Mutterkirche 10 Tochter-
kapelleu (später -kircheu) unter sich hatte, ist eine Streitfrage.
Dem Kloster O. mußten einst viele Dörfer der Umgegend ihre
Zehnten und Gefälle liefern. Seine ursprüngliche Bestimmung
hat sich nur wenig verändert. Es ist heute ein freiweltliches
Stift für die Damen des hessischen und schaumburgischeu Adels
und wird die älteste kirchliche Stiftung dieser Art iu gauz Deutsch-
land sein. Zum Stift gehören augenblicklich 11 Damen, deren
oberste Äbtissin genannt wird. Seit dem 1. Okt. 1901 hat der
„Verein für wirtschaftliche Frauenschulen" iu den Stiftsräumen
eine landwirtschaftliche Frauenschule eröffnet, verbunden mit einer
Haushaltungsschule. Etwa 35 junge Mädchen können hier in
allen land- und hauswirtschaftlichen Arbeiten unterwiesen werden.
Die Schule erfreut sich des Schutzes (Protektorats) der Fürstin
zu Schanmbnrg-Lippe.
Obernkirdjen mit rund 4000 Einwohnern ist Station der Neben-
bahn Stadth.-Rinteln. Es hat außer dem genannten Stift, der
Stadtkirche und einer neuen katholischen Kirche ein Bergamt,
Amtsgericht, Postamt III, eine Apotheke, mehrklassige Bürgerschule,
katholische und jüdische Schule sowie eiue Synagoge. Verkehr
und Erwerb bringen namentlich die Glasfabriken Schauen stein
und Neuhütte.
Zum Kirchspiel gehören außer der Stadt und den 3 hessischen
Dörfern Rolfshagen, Krainhagen und Röhrkasten noch einige
bückebnrgische Ortschaften*), nämlich die Schulorte Beeke, Heeßen,
Gelldorf, Südhorsten und Bergschule-Helpsen (Nro. 2, 6, 8—14,
16, 17, 19, 24, 25 u. 28), serner Eilsen, Rösehöfe, Tallensen,
Echtorf (Nro. 1, 2, 4, 5, 7 u. 9), Altseggebruch, Stemmen und
Levesen.
Sehenswert ist das Stift mit seinen altertümlichen Gebäuden und Ein-
richtungen und die 1892/93 erneuerte evangelische Stadtkirche mit ihrem
Doppelturm. Die Turmhalle der Kirche ist der älteste Teil (romanisch); der
anstoßende höhere Teil ist aus Bruchsteinen, der ö aus Behaltenen Steinen
gebaut (gotisch). In der Kirche sind an Holzschnitzereien bemerkenswert der
Altar, ein Reliquienschrein, zwei Heiligenbilder auf dem Stiftschor und die
*) Vehlen, Ahnsen-Neumühlen, Schierneichen und Buchholz, die früher teilweise uach
Oberukircheu gehörten, sind in deu letzten Jahren ansgepfarrt. Iu der Folgezeit werden wegeu
der neu zu begründeudeu Kirchengemeiude Bergschule uoch weitere Veränderungen eintreten.
6*
— 84 —
alte Kanzel. Die drei Chorfenster zeigen in Glasmalerei die drei hohen christ-
liehen Feste; das vom Kaiser Wilhelm II. geschenkte Fenster auf dem Stiftschor
stellt Petrus auf dem Meere wandelnd dar. Die neue Orgel ist ein Geschenk
des Geh. Kommerzienrats Heye, des Besitzers von Schauenstein, der auch den
Monumentalbrunnen ans dem Marktplatze gestiftet hat. Außen am Turm sind
einige alte Grabsteine aufgestellt. Darunter befindet sich die Deckplatte von dein
ehemaligen sargsörmigen Grabmal (Sarkophag) des Grafen Johann II. von
Schanmbnrg (f 1527), der wie sein Bruder Anton (f 1526) in der Stiftskirche
beigesetzt worden ist. Bei Johanns Beisetzung hat die katholische Geistlich-
keit noch einmal alle kirchliche Pracht entfaltet, indem der Bischof von Minden
nnd der Abt von Loccum mit 335 Priestern nnd Mönchen die üblichen Gebräuche
verrichteten. An längst vergangene Zeiten erinnern noch u. a. die alte Grenz-
linde vor dem Vehler Tor, zwei steinerne Wappen aus diesem Tor in der Hos-
mauer des Böttchers Daseking und Reste der früheren Stadtmauer am Gelldorfer
Tor und am Kuhtor.
Uerkehrsmege. Die Abhänge des Bückeberges tragen Acker,
Wiesen und Gärten (Feld- und Gartenbau!) und fiud namentlich
an der Nordseite dicht bevölkert. (Warum?) Von Nienstädt aus
läuft eine Straße am Berge entlang, die eine Reihe von Ortschaften
der sog. Bergkette berührt und einen herrlichen Rundblick gewährt
(„Reiuser Bult"). Man überschaut die Ebene vom Steinhnder
Meer im O bis zum Wiehengebirge im W. Diese Bergstraße
endet beim Reinser Sattel, den die Straße von Stadthagen nach
Rodenberg benutzt. Im verkehrsarmen Tal der Bückeburger Aue
(Bahnmangel!) zieht sich die Straße von Rinteln nach Rodenberg
hin, während der Eilser Paß eine bequeme Durchgangsstelle für
Straße und Kleinbahn von Stadthagen nach Rinteln bildet. Von
Obernkirchen führt s eine Straße die Landesgrenze entlang nach
Bad Eilfen und eine andere über den Berg nach der Arensburg
auf Rinteln zu; etwa auf der Mitte des letzteren Weges zweigt
eine Straße nach den Steinbrüchen auf dem Kamme des Berges ab.
Den Nordabhang bei Beckedorf überschreitet die große Verkehrsstraße
von Minden über Bückeburg, Stadthagen, Nenndorf nach Hannover.
Aufg.: Stelle die wichtigsten Gewässer, Ortschaften und Verkehrs-
wege am Bückeberge zusammen ! — Erzähle von den dortigen
Industriezweigen I — Nenne verschiedene Kunstprodukte dieser
Werke und gib an, durch wen und aus welchen Rohstoffen
sie gefertigt worden sind I — Vergleiche nach der Karte
Rehburger Berge und Bückeberg I — Erkläre Hochebene,
Sattel (Joch), Paß, Stollen, Schacht, Industrie!
— 85 —
2. Das Vorland des Bückeberges.
Die Kundschaft. Das Vorland im Norden des Bückeberges
umfaßt den mittleren Teil unserer Heimat. Es bildet eine
weite Ebene, die sich vom Bückeberge im 3 bis zu den Rehburger
Bergen im N ausdehnt. Die bewaldeten Randhöhen bieten einen
herrlichen Uberblick. Zahlreiche rote Ziegeldächer und viele größere
und kleinere Waldbestände geben der Landschaft ein freundliches
Aussehen. Die Holzungen des Vorlandes gehören hauptsächlich zu
den sürstlichen Oberförstereien Banm-Landwehr und Spießingshol,
zu den preußischen Obersörstereien Haste und Rehburg uud zum
Kloster Loccum; einige sind Genossenschafts- oder auch Privat-
eigeittttm*). Der Boden ist mit reichen Lehmschichten bedeckt. Der
Lehm ist bald mehr, bald weniger mit Sand vermengt. Am
L Fuße der Rehburger Berge überwiegt ziemlich schwerer Lehm.
Stellenweise finden sich reiche Tonlager, die ein vorzügliches Material
sür zahlreiche Ziegeleien liefern. Im allgemeinen ist das Gebiet
recht fruchtbar. Sehr ergiebiges Ackerland haben die ö von Stadt-
hagen gelegenen Ortschaften. Ackerwirtschaft und Viehzucht sind stark
entwickelt. Ein beträchtlicher Teil des gewonnenen Getreides wird
ausgeführt, ein Teil aber in Branntweinbrennereien verbraucht
(Lauenhagen); auch kommen große Mengen Vieh, namentlich
Schweine, zum Versand. Ein recht blühender Erwerbszweig ist die
Industrie (Bergbau, Glashütten, Sägereien usw.; s. v. Kap.!). Andere
Erwerbsquellen sind Heringsfang (Hochfeefifcherei) und Hausweberei.
*) Zur Oberförsterei Haste gehört das Dühlholz zwischen Lindhorst nnd Sachsenhagen
(S, 61). Hier trifft man als Unterholz viel den Faulbaum an. Die getrocknete Rinde dieses
Strauches fiudet als Arzneimittel Verwendung, während das Holz in etwa meterlangen Stöcken
nach Pulvermühlen verschickt wird. Die Walduug ist auch als Staudort vieler schwarzer Rehe bekannt.
— 86 —
Die Bienenzucht wird hier sorgfältig gepflegt (s. Gesamtbild: Die
Bewohner!).
Die Landschaft wird von mehreren Bächen bewässert, welche
vom Bückeberge kommen. Nenne die wichtigsten Bäche und gib
deren Quelle, Lauf und Mündung an (S. 10 n. 11)! Einige sind
in ihrem Oberlaufe tief in den Talgrund eingeschnitten. Manche
malerische Schluchten sind dadurch am Berge entstanden. Das Gefälle
ist bedeutend. So hat die Holpe von der Quelle bis zu ihrer Ver-
eiuigung mit der Reeke ein Gefälle von etwa 150 m. Ihr Oberlaus, der
Schierbach genannt, ist int Jahre 1900 in der Gemeinde Nienstädt
für etwa 12000 Jl und im Herbst 1909 auch im Berge ausgemauert
worden, um den verheerenden Überflutungen daselbst vorzubeugen.
Der Wasserzufluß ist bei diesem Bache infolge vieler Stollengänge
im Berge weit erheblicher als bei den übrigen Gewässern. Alle
führen so reichliche Wassermengen, daß sie in manchen Orten Ge-
treide-, Ol- und Sägemühlen treiben (S. 40).
Die Bäche haben anfänglich n Richtung. In der Nähe von
Pollhagen, Lauenhagen und Probsthagen schlagen sie nö Richtung
ein. Nach der Vereinigung von zwei Bächen ändert sich der Name.
Die bei Sachsenhagen (S. 41) vereinigten Bäche bilden als Haupt-
bach die Sachseuhäger Aue. Diese nimmt nach kurzem Laufe die
Rodenberger Aue auf. Der von nun ab als Westaue bezeichnete
Bach beschreibt einen flachen, nach NW offenen Bogen, macht nur
wenige Krümmungen und mündet jenseits Wunstorf, wo er noch die
Südaue empfängt, bei Bordenau (Geburtsort von Scharnhorst) in
die Leine.
Das Gewässernetz der Sachsenhäger Aue, dieses Haupt-
Wasserlaufes in der Mulde zwischen Rehburger Bergen und Bücke-
berg, gehört drei gesonderten Gebieten an, nämlich dem Bückeberge,
dem Tale zwischen Deister, Süntel und Bückeberg und dem Nord-
abHange des Deisters. Die eigentlichen Quellbäche (Reeke, Holpe,
Hülse und Ziegenbach) entwässern das Gebiet nordwärts des Bücke-
berges. Die Rodenberger Aue, der bedeutendste Nebenbach, nimmt
im Talbecken von Lauenau von den umgebenden Randhöhen zahl-
reiche Seitenbäche aus (darunter den das Becken von Apelern durch-
fließenden Riesbach). Die Südaue sammelt ihr Wasser an dem
Nordabhange des Deisters. Der Zufluß kommt demnach Haupt-
sächlich vou S. Im N treten die Rehburger Berge als Wasserscheide
sehr dicht an den Hauptbach heran. Hier fehlen daher eigentliche
Bäche gänzlich.
Die Sachsenhäger Aue (Westaue, alt Kerspowe — Kaspau) bewässert
eiu fruchtbares Gelände. An ihren Ufern breiten sich Wiesenflächen von be-
trächtlichem Umfange aus. Im Frühjahr und Herbst verursacht sie häufig starke
Überschwemmungen. Dann setzt sie ziemliche Mengen fetten Schlammes ab.
Oft aber bringen ihre Überschwemmungen auch Schaden. So wird bei Plötz-
lichem Sommerhochwasser nicht selten die Heuernte vernichtet. Die von den
Grundbesitzern schon lange erhoffte Aueregelung wird diesem Notstande abhelfen.
Das Hochwasser ist mitunter so bedeutend, daß es anf den sog. Rähden, einem
Dorsteil von Auhagen, über die Chaussee tritt. Die Gegend ö und w von
Sachsenhagen gleicht alsdann einem See. Wegen des geringen Gefälles tritt
das Überschwemmungswasser nur langsam in das Flußbett zurück. Aus den Ab-
fluß wirkt die ö von Auhagen hinzutretende Rodenberger Aue wesentlich ein.
Dieser Seitenbach hat recht schnellen Lauf. Er drängt in wasserreicher Zeit das
Wasser des Hauptbaches zurück und fördert dadurch die Überschwemmung.
Stellenweise erhalten die in den Bachtälern gelegenen Wiesen durch besondere
Bewässerungseinrichtungen die ausreichende Anfeuchtung. (Anewiesen-Genossen-
schaft zn Niengraben. Statut vom 30. März 1896.) Nach Ausführung der Ver-
besserung der kleinen Wasserläufe haben auch die bäuerlichen Besitzer vielfach
Abzugsröhren gelegt (drainiert). Solche Verbesserungen der Grundstücke nennt
man mit einem Fremdwort Meliorationen.
Mohnstätten und Bevölkerung. Ein Blick auf die Karte
zeigt, daß dieses Gebiet dicht bevölkert ist. Der größte und wich-
tigste Ort ist Stadthagen. Zeige! Hier ist der Mittelpunkt für
Verkehr uud Haudel (Behörden, höhere Schulen, Arzte, Apotheke,
Bahnhöfe, Märkte usw.). Suche die Kirchdörfer der Umgegend auf,
deinen Wohn- und Schulort! Beschreibe die Lage dieser Orte zu
Stadthageu! Zu welchem Kirchspiel gehört dein Wohnort? Nenne
den nächsten Bach! Die ältesten Ansiedelungen sind hier Meerbeck
und Lindhorst. Viele Orte sind jüngeren Ursprungs.
Die Bewohner zeigen in Tracht und Sprache bemerkenswerte
Unterschiede. In den Kirchspielen Meerbeck und Pollhagen ist
die Bückeburger, in den 0 davon („im Osterten") gelegenen Kirch-
spielen Lanenhagen, Probsthagen und Lindhorst (auch in
Heuerßen, S. 81) die Liudhorster Tracht verbreitet (s. III, II). Die
Sprache zeichnet sich in den letztgenannten Bezirken durch scharfes
R aus und durch Vermengung der Selbstlaute (i^u, u^i). Auch
sind hier bestimmte Vornamen üblich. Als männliche Vornamen
werden gewählt: Fritz (Friedrich), Heinrich (genannt Hindermann),
Hans-Heinrich (gen. Zindermann, bei älteren Leuten Hans-Hinnerk,
bei Kindern Zimmann), Christoph (klein: Stöffken, groß: Stoffer),
Wilhelm (gespr. Willem), Otto (gespr. Otte, klein: Ottchen, letztere
— 88 —
Bezeichn. manchmal Schimpfname), Gottlieb, Konrad (kl.: Kunn-
rädchen, gr.: Knnnerrad), Ernst (seltener). Von weiblichen Vor-
namen sind gebräuchlich: Anna (Anne), Anna-Sophie (Annsfieken),
Marie (kl.: Emmicks od. Mariekeling, gr.: Enn-Marieken, Wohl
zusammengezogen aus Engel-Marie), Engel (gr. Engeling), Sophie
(kl.: Fiekschen, gr.: Fiekeling, auch Fieke), Karoline (Line), Dorothee
(Dnrtchen), Kathariue (Trine, gewöhnlich in der Zusammensetzung vou
Kathariue-Sophie als Triusfieken), seltener sind Christine (Stine)
und Wilhelmine (Minchen).
Meerbeck wird bereits 1013 als Meribiki erwähnt. Hier hatte
Bischof Meinwerk von Paderborn Besitzungen. Diese gingen im
12. Jahrh. an den Edlen Mirabilis über, von dem sie durch
Schenkung wieder iu geistliche Hände gelangten (S. 82). Der
Ort wurde alsdann dem Stifte Obernkirchen zugeteilt. Im Jahre
1081 wird die Kirche zu Merebeke genannt. Das Kchsp. war
früher größer als jetzt. So gehörte der Bruchhof und dessen
Umgebung dazu, auch eiu großer Teil von dem heutigen Stadt-
Hägen. Der jetzige Name tritt in der Schreibweise Merbeck seit
1632 auf. Die 1522—1525 erbaute Kirche ist 1898/99 völlig
umgebaut. Bei diesem Umbau ist die Nordwand 3*/2 m weiter
hinausgerückt, so daß der Turm jetzt zu weit nach der Süd-
seite steht.
Zum Kirchspiel gehören die Schulorte Meerbeck, Niedernwöhren,
Volksdorf, Hespe und Enzen, ferner Hobbensen, Hiddensen, Kucks-
Hägen, Wulfhagen, Helpsen (die unter Kchsp. Obernk. S. 83 nicht
aufgezählten Hofstellen), Nordsehl (nur Ober-Nords. od. „Obern-
Hägen"), Horsthöfe, die Domäne Brandenburg nebst Gallhof, die
Güter Helpsen und Euzeu, die Oberförsterei Landwehr und die
Forsthäuser Borstlerbrink und Hiddenserborn.
Die Brandenburg ist nebst dem Gallhof eine herrschaftliche Besitzung.
Beide Höfe find verpachtet. — Die beiden Güter in Helpsen und Enzen sind
im Besitze der Herren von Oheimb. — In Hiddenserborn ist seit einigen
Jahren ein kleines Schwefelbad entstanden.
Pollhagen, 1410 zuerst als Polhaghen genannt, wird wie Lauen-
Hägen, Probsthagen n. a. seine Gemarkung bereits im 13. Jahrh.
durch Roduug erhalten haben. Es bildete früher eine Kapellen-
gemeinde, die nach Meerbeck eingepfarrt war. Seit dem 1. April
1896 ist P. eine selbständige Kirchengemeinde. Es hat eine
schmucke Kirche (frühgotisch) aus Sandstein erhalten; sie ist von
dem Baurat Jebeus iu Bückeburg erbaut und am 4. Oktob. 1898
eingeweiht worden.
— 89 —
Die Kirchengemeinde umfaßt die Schulorte Pollhagen und
Nordsehl (N. nur so weit, als es zur früheren Kapellengem, ge-
hörte, „Mittel-" n. „Niedernhagen"), den Ort Mittelbrink und
die Försterei Natenhöhe.
In Pollh. ist ein großes Dampf-Sägewerk. — Nordsehl hat eine
Kreissparkasse (S. 62), eine Molkerei und eine Nagelsabrik. — Mittelbrink
ist 1768 von dem Grafen Wilhelm gegründet worden. Die ersten Kolonisten
hatten 12jährige Freiheit von Abgaben. 1783 waren 12 Kolonisten vorhanden.
Hier entstand auch die erste Töpferei in unserm Lande.
Lauenhagen wird zuerst 1247 als Lewenhaghen erwähnt. Es
hatte 1253 eine Kirche, die unter dem Patronate des Bischoss
von Miudeu stand und daher auf dem Boden der Schenkung des
Mirabilis gegründet sein wird. Der Ort ist als Kchsp. nicht sehr
alt, aber der Bauart uach eine ältere Siedelnng als die anderen
Hagen-Kolonistendörser, obgleich es mit diesen zu derselben Zeit
erscheint. Der Name wird in mittelalterlichen Urkunden Lawen-
hagen oder Lauwenhagen geschrieben und noch heute 0ou den
Bewohnern so gesprochen.
Eingepsarrt sind die Schulorte Lauenhagen, Hülshagen und
Nienbrügge.
In Lauenhagen ist eine herrschaftliche Meierei und Branntweinbrennerei.
— Der Branntwein wird aus Roggen, Gerstenmalz und etwas Weizen her-
gestellt. Das Getreide (866 bis 966 Kg für jeden der 5 Bottiche) wird gekocht,
nicht aber das Malz (gekeimtes Getreide), das nur 52 0 R. ertragen kann. Unter
genügendem Zusatz von Wasser entsteht ein Brei, Maische genannt (insgesamt
3256 1 Maischgut). Die Maische wird auf 16 ° R. abgekühlt und alsdann einer
72ftündigen Gärung (alkoholigen) überlassen. Die gegorene Maische wird nun
in einem besonderen Apparate ausgekocht. Die alkoholigen Dämpfe beginnen
schon bei 660 R. zu entweichen; sie werden ausgefangen, gekühlt und als
Spiritus gesammelt. Man gewinnt etwa 233 I reinen Alkohol. Der Rückstand
heißt Schlempe und wird an Rindvieh verfüttert. Sie ist ein gutes Futter sür
Mast- und Milchvieh. Der Branntwein unterliegt einer hohen Steuer.
Probsthagen kommt urkundlich zuerst 1312 als pmuestestiagen
vor. Die Kirche wird bald nach 1230 gestiftet sein; um dieses
Jahr wurde das nahe Kloster Bischoperode nach Rinteln verlegt
und sührte fortan den Namen St. Jakobi. Gründer ist der
Magdeburger Dompropst Bruno (Sohn Adolss III.), der 1281
als Bischof von Olmütz starb. An der äußeren Nordseite ist die
Kreuzigung Christi dargestellt. Diese Darstellung soll aus dem
Ansauge des 14. Jahrh. stammen.
Die Kirchengemeinde besteht aus dem Schnlorte Probsthagen
und den Dörfern Vornhagen und Habichhorst.
Durch Probsthagen fließt ein llmflutgraben der Bornau zum Ziegen-
bach. — In der Nähe liegt eine herrschaftliche Besitzung, der Schäferhos.
Dazu gehört das sog. Klosterfeld, dessen Name noch an das frühere Kloster
Bischoperode mit einer 1224 vorkommenden, aber bald eingegangenen Kirche
— 90 —
erinnert. Die Feldflur heißt „das große und das kleine Klosterfeld" und liegt
zu beiden Seiten der Staatsstraße nahe der Julianenbrücke. —- In Habich-
horst bestand von 1660 ab eine Schule. Sie wnrde 1829 nach Obernwöhren
verlegt, da dieser Ort mehr im Mittelpunkt der Schulgemeinde liegt.
Cindborst wird bereits im 12. Jahrhundert urkundlich ge-
nannt. Die Kirche war dein heil. Dionysius geweiht und wird
erst 1395 erwähnt. Manche Bauteile weisen jedoch auf eine altere
Entstehungszeit zurück (romanische Bauzeit). Im Innern ist eine
herrliche Altarschnitzerei bemerkenswert. Das Pfarrhaus verwahrt
die bekannte Lindhorster Chronik des Pastors M. Anton. Nothol-
dns von 1625, von der sich eine Abschrift in der Hofbibliothek
zu Bückeburg befindet.
Eingepfarrt sind die Schulorte Lindhorst und Lüdersfeld, ferner
Niedernholz, Kobbensen und Eickhöfen nebst Schöttlingen.
Lindhorst hat Arzt, Postamt III, Bahnhos der Staatsbahn Hannover-
Minden und Molkerei. — In Lüdersfeld ist eine aus Bruchsteinen errichtete
Kapelle. — Eickhöfen und Schöttlingen sind preußische Gebietsteile innerhalb
unseres Landes (airte preußische Enklave). In letzterem Orte ist eine Bräunt-
Weinbrennerei.
Unsere fiagcndörfer. Unter den Ortsnamen fallen uns viele
niit der Endung „Hägen" auf. Es sind die sogen. Hagen-
dörser (vgl. Mitteilungen des Vereins für Geschichte, Altertümer
und Landeskunde des Fürstentums Schaninb.-Lippe, 1. Hest,
Bückeburg 1904!). Zu ihnen gehören urkundlich auch einige nicht
auf „Hägen" eudigeude Orte, wie Nordsehl, Lüdersfeld und beide
Heidorn. In den Hagendörfern treffen wir manche Eigentümlich-
leiten. Die Gehöfte liegen durchweg au einer Straßenseite
entlang. Das Dorf hat dadurch eine ziemliche Ausdehnung er-
halteu. Die Rückseite der Höfe lehnt sich gewöhnlich an einen
Bach an. Jeder Hof liegt etwa in der Mitte der zugehörigen
Ländereien, die sich vor und hinter demselben ausdehnen. Das
Holzfachwerk der Häuser hat au der Giebelseite häufig einen An-
strich von auffallend bunten Farben. Uber der großen Dältür ist
meistens eine Inschrift angebracht. Man liest einen Spruch, die
Namen. des Bauherrn und seiner Frau, Jahreszahl und Haus-
uummer. Die Anlage der Stuben („Dönzen"), der Kammern,
der Küche und der an den Seiten der Däle befindlichen Viehställe
zeigt keinen Unterschied gegen die übrigen niedersächsischen Bauern-
Häuser unseres Landes. Das Dach ist mit roten Ziegeln gedeckt;
vereinzelt trifft man noch alte Gebäude mit Strohdachuugeu. Die
Giebelspitze zeigt häufig Verzierungen, doch ist der in Nieder-
sachsen übliche Pserdekopf selten.
Die Hagendörfer sind die [jüngeren Ansiedelungen in nnserm
Lande. Sie entstanden im 12. nnd 13. Jahrh. dnrch Rodnngen.
Solche Rodnngen ließen die Schanmbnrger Grasen damals in
— 91 —
dem östlichen Teile des großen Dulwaldes (S. 61) vornehmen,
nachdem der westliche Teil längst urbar gemacht und besiedelt
war. Auch die Herzöge von Sachsen beteiligten sich an der Ko-
Ionisation. Darum führten die Bauern („Kolone") aus den Ha-
gendörsern das sächsische Pferd auf deu metallenen Rockknöpfen.
Besonders war es Graf Adolf III. (1175—1225), der Gründer
Stadthagens, der die Neurodungen förderte, indem er einzelnen
Ansiedlern der Reihe nach Flächen zur Urbarmachung anwies.
(Diese Kolonisten waren jedenfalls freigelassene Liten, die in
vielen Fällen ihren bisherigen Besitz dadurch verloren, daß um
jene Zeit die Lathnfen von den Herrenhöfen od. Meiereien ge-
trennt und gleich diesen wieder den Grundherren als Pachtungen
unterstellt wurden. Neben diesen Kolonisten kamen auch von der
unteren Weser und Elbe holländische Ansiedler in unser Hagen-
gebiet.) Die heutige planmäßige Lage der Grundstücke rührt
darum aus der ersten Ansiedlnngszeit her und ist also nicht erst
durch Zusammenlegung (Verkoppeluug) geschaffen. Sowohl die
Gemarkungen der Dörfer als auch die einzelnen Höfe hatten
damals als Schutzeinfriedigung hohe Hecken oder geflochtene
Zäune (Hagen). Nach XV oder 0 führende Wegeverbiuduugeu
zwischen den eingehegten Ortschaften fehlten, wie das heute noch
der Fall ist (s. Karte!).
Für die Uberweisung der Planstücke und den zugesicherten
Schutz des Grundherrn mußten die Kolonisten gewisse Pflichten
übernehmen (Dienste, Abgaben, z. B. den Zehnten — die 10.
Garbe usw.). Später kamen manche Kolone und oft ganze Dorf-
schasten (freiwillig oder zwangsweise) noch in Abhängigkeit von
einem Edelhofe (Remeringhausen, Lohhof, Stadthagen, Branden-
bürg, Brnchhof, Apelern usw.) Daun wurden sie zu besonderen
Lieferungen oder Dienstleistungen verpflichtet. So mußte z. B.
von den Mittelnordsehler Höfen, auch von einigen in Vornhagen
(s. Ortsnamen!), beim Absterben eines Kolons das beste Pferd
und beim Tode der Hausfrau die beste Kuh (das Besthaupt) nach
Remeringhausen geliefert werden. Recht drückend waren die üb-
liehen Spann- und Handdienste, d. h. die Kolonatsbesitzer mußten
mit Gespann oder Hand an bestimmten Tagen den Edelhöfen
dienen. Heute bestehen diese Verpflichtungen nicht mehr; manche
sind erst unlängst abgelöst worden.
Die^ Bewohner der Hagendörfer hatten von alters her im
Gegensatz zu deu Leibeigenen besondere Freiheiten und Vorrechte,
die sich iu den einzelnen Orten nur wenig oder gar nicht unter-
scheiden mochteu. Sie waren als freie Bauern von einigen landes-
üblichen Abgabeu befreit, konnten verschiedene Gemeindeangelegen-
heiten selbständig verwalten und in manchen Streitfragen Recht
sprechen. Die Hägerbauern brauchten z. B. kein Zinskorn zu
— 92 —
geben, auch keine Freibriefe zu lösen, so daß sie gehen konnten,
wohin sie wollten. Solche und ähnliche Vorrechte der Häger
wurden auch von der Obrigkeit ausdrücklich anerkannt. So be-
stimmte noch eine Verordnung aus dem Jahre 1791, daß die
Häger von der Erlegung des Einkömmlingsgeldes (Abgabe bei
Verheiratung auf eigengehörige Höfe) befreit fein sollten. Dieses
hergebrachte Recht wird „der sieben freien Hagen Recht" genannt.
Unter demselben Namen ist es auch in anderen Gegenden bekannt.
Darum sind nicht etwa nur sieben Orte in der Umgegend von
Stadthagen als Hagendörfer anzusehen, sondern es ist eine größere
Zahl anzunehmen, die nicht genau bekannt ist. Bisher galten
gewöhnlich nur Pollhagen, Lauenhagen, Hülshagen, Vornhagen,
Probsthagen, Ober- und Nieder-Lüdersseld als Hagendörfer. Ge-
wiß sind auch Wendthagen, Krebshagen n. a. dahin zu rechnen.
Die Hägerbauern hüteten sorgfältig ihre alten Rechte. Zu dem
Zwecke hielten sie jährlich ein- bis viermal Zusammenkünfte ab,
die Baueruta ge genannt wurden. Mau verhandelte dort über
Hagen, Bäume, Abpflügen, Hute, der Bauerschaft Freiheiten usw.
Aus den mancherlei Bestimmungen sei nur erwähnt, daß ein Hos-
besitzer fremde Hühner sich dann aneignen durfte, wenn sie über den
drittbenachbarten Hof hinaus auf sein Grundstück gekommen waren.
Für manche Vergehen wurden Bußen angekündigt. Ganz eigenartig
wurde z. B. der Totschlag eines guten Hundes bestraft. Man hielt das
Tier mit dem Schwänze hoch, so daß die Nase auf die Erde
stieß. Der Totschläger mußte alsdann für den Besitzer soviel
Weizen aufschütten, daß der Huud vollständig bedeckt war. Die
Verhandlungen wurden aufgeschrieben und iu eiuer dazu be-
stimmten Lade aufbewahrt. (Erhalten sind das Pollhäger,
Wendthäger uud Oberlüdersselder Recht. Letzteres ist abgedruckt
iu Jak. Grimms Weistümern 3. Teil S. 3W—312.) Die alte
Bedeutung der Bauerntage ist im Jahre 1810 mit der Aufhebung
der Leibeigenschaft durch den Fürsten Georg Wilhelm beseitigt
worden. Um den früheren Unterschied zwischen freien und leib-
eigenen Bauern gänzlich aufzuheben, wurde durch eine Regierungs-
Verfügung vom Jahre 1812 die fernere Abhaltung der Bauerntage
bei Strafe verboten. Dennoch haben sie sich als Gedenkfeiern in
einigen Orten bis auf unsere Zeit erhalten. Noch heute feiern
Lauenhagen, Hülshagen, Vornhagen, Probsthagen und Lüdersfeld
diese Gedenktage, die sogen. Bauerutage.
Der heutige Bauerntag fiudet der Reihe nach bei den Hofbesitzern des
Ortes statt. Jeder beteiligte Bauer ist zur Abhaltung verpflichtet. Festleiter ist
der Bauer- oder Hagmeister. Hülshagen ist der einzige Ort, der zwei Bauern-
tage abhält. Man feiert hier einen Sommer- und einen Winterbauerntag,
ersteren vor Pfingsten, letzteren kurz vor den Fasten, Zutritt _ haben nur die
Hofbesitzer, nicht das übrige Dorf. Sobald der älteste Sohn eines Hofes ver-
heiratet ist, dars er den Bauerntag besuchen. Für seine Aufnahme in die Bauer-
— 93 —
chaft hat er 50 zu entrichten. Der in die Leibzucht eingezogene Vater bleibt
fortan der Festlichkeit fern. Die Feier ist äußerst einfach. Die Gäste erhalten
auf Kosten des Festgebers Bier und mächtige Butterbrote mit Käse, auch süße
Biersuppe (aus einfachem Bier mit Sirup, Zucker und geriebenem Brot). Der
Winterbauerntag wird nur von den Männern besucht. Auf dem Sommer-
bauerntage erscheinen auch die Frauen. Musikanten spielen alsdann zum Tanze
auf. Als Tanzsaal dient die große Diele, welche mit einem Fußboden belegt
wird. Die Gebräuche auf den Bauerntagen unterscheiden sich in den einzelnen
Gemeinden nur wenig. Stellenweise werden die jungen Eheleute, welche zum
ersten Male den Bauerntag besuchen, besonders geehrt. Sie dürfen, mit einem
um den Hals hängenden Kranz geschmückt, sich unter den Tanzenden bewegen.
In Vornhagen muß die junge Frau des neu in die Bauerschaft aufgenommenen
Kolons einen Beweis ihrer Tüchtigkeit im Holzhauen liefern. Man schafft einen
Holzklotz herbei, von dem sie mit einer stumpfen Axt etwas abhauen muß.
Gelingt ihr dies, so gilt sie als eine Frau, welche sich das nötige Kleinholz zum
Kochen herbeischaffen kann, während sie andernfalls zur Strafe eine Flasche
Wein zahlen muß. — An diesen und anderen Gebräuchen, auch an ihrer schönen
Tracht, haben unsere Hägerbauern bisher treu festgehalten. Möge es auch in
Zukunft fo bleiben I
Aufg.; Erkläre die reichliche Bewässerung in diesem Teile unserer
Heimat! — Vergleiche Sachsenh. Aue nebst Zuflüssen mit
Bückeburger Aue und Gehle! — Wie kommt es, daß die
Sachsenh. Aue auf der linken Seite keine Zuflüsse erhält ? —-
Begründe die starke Besiedelung in der Ebene von Stadthagen!
— Welche Eigentümlichkeiten zeigen hier Dorfanlage, Volkstracht
und Sprache ? -— Vgl. auch die Aufgaben S. 84 !
— 94 —
3. Stadthagen.
Ortskunde. Stadthagen liegt etwa tut Mittelpunkte unseres
Landes an der Bahn von Minden nach Hannover. Es ist die
älteste und größte Stadt unserer Heimat. Der Ort zählt etwa 800
Wohnhäuser mit rund 7000 Einwohnern. Die Gemarkung der
Stadt hat einen bedeutenden Umfang, nämlich 1502 ha. Zur Stadt
gehört eiu s Vorort St. Annen, der sich bis zum Bruchhofe
(S. 82) ausdehnt und von einer früheren Kapelle seinen Namen hat
(vgl. Ortsnamen!). Zum Kirchspiel Stadthagen gehören Krebshagen
nud Hörkamp.
Die wichtigsten Verkehrsstraßen gehen vom Marktplatze aus;
es sind Obern-, Niedern-, Kloster-, Echteru- und Bahnhofstraße mit
Bahnhofsweg. Erkläre diese Namen und gib die Richtung dieser
Straßen an! Die Loccnmerstraße erinnert daran, daß ein Teil der
Stadt einst dem Kloster Loccum gehört hat (S. 43). Diese Kloster-
Besitzungen, die sogeu. Loccumer Gärten, wurden am 1. Okt. 1874
von der Stadt für 18 000 Jt angekauft. Im Innern der Stadt
liegen zwei adelige Besitzungen, der v. Oheimbsche Hos an der
Klosterstraße und der v. Landsbergsche Hof an der Obernstraße
(jetzige Besitzerin Freisran V. Scheele). Eine Straßenbahn dient
dem Personenverkehr vom Marktplatze bis znm Bahnhofe. Markt-
platz nnd Bahnhofsweg sind mit Baumreihen geschmückt. Unter den
Straßen liegen die Rohre einer Wasser- und Gasleitung. Das
Wasser fließt aus einem in der Gemarkung Wendthagen angelegten
Sammelbecken in ein Hauptrohr, von dem sich viele Nebenleitungen
abzweigen. Außerdem führen zwei Bäche der Stadt Wasser zu,
der Krebshäger Mühleubach und die Vornan. Unterirdische
Kanäle nehmen die verschiedenen Abflußwässer auf (Kanalisation).
Wasserleitung und Kanalisation sind städtische Anlagen. Die Gas-
anstatt am Bahnhos ist dagegen Eigentum eiuer Kölner
Gesellschaft nnd wnrde 1890 angelegt.
Die jetzige Stadt ist als Hagenkolonie entstanden nnd ans
einer Bnrganlage hervorgegangen. Dnrch Ansiedelnngen in der
Nähe der Bnrg hat sich allmählich der Ort entwickelt. Als den
— 95 —
Gründer der Burg lsieht man Adolf III. von Schaumburg an
(f .8. Jan. 1225). Der Ort wird zuerst 1230 in einer lateinisch
abgefaßten Urkunde als Indago = Hagen erwähnt (überhaupt
als Indago allein wie auch als Indago comitis — Hagen des
Grafen, 60 Jahre später als Indago comitis Adolfi.) In deutschen
Urkunden des Mittelalters heißt die Stadt „tom Hagen" und zur
Unterscheidung von den Hagendörfern im Umkreise nach ihrem
Begründer Greveualveshagen (Grafen-Adolfs-Hagen). Der heutige
Name kommt zuerst 1378 vor.
Durch Verleihung des Marktrechtes (1322) entwickelte sich
bald ein lebhafter Handel und Verkehr; auch entstanden einzelne
Gewerbe. Viele Handwerker zogen vom Lande in den aufblühen-
den Flecken, der durch Wall und Graben befestigt war. Hier
fanden sie besseren Lohn und Schutz. Der Landesherr förderte
den Zuzug, indem er dem Orte besondere Schenkungen machte
und manche Rechte verlieh (das Lchpstädter Stadtrecht 1344).
Rasch blühte die Stadt empor, so daß sie 1382 bereits 314
Bürger zählte. Ihr Wohlstand lockte aber bald beutelustige
Scharen an. Im Jahre 1395 überfielen die Herzöge von Braun-
fchweig-Lüueburg die Stadt. Der Überfall wurde von der tapferen
Bürgerwehr, die mit langen Schlachtschwertern bewaffnet war, in
einem erbitterten Straßenkampfe erfolgreich abgeschlagen. Dieser
Waffenerfolg wurde alljährlich bei der Wiederkehr des ruhmreichen
Gedenktages festlich gefeiert. Daran erinnert noch heute die jähr-
liche Feier des Schützeusestes. Nach jenen: Uberfall verstärkten
die Bürger die bisherigen Stadtbesestignngen durch Türme und
Mauern. (Ahnliche Raubzüge haben sich in den unruhigen Zeiten
des Mittelalters häufig wiederholt. Nicht selten wurden sogar
ganze Ortschaften verwüstet. An Wüstungen in der Nähe von
Stadthagen eriuueru verschiedene Namen von Feldfluren, die jetzt
zur städtischen Feldmark gehören, wie Glodenhagen, Riesfeld,
Wichmannsdorf, Eckwardingehusen, Bischoperode u. a.; s. Orts-
namen!)
Die Stadtmauer erhielt Tore, durch welche man ins Freie
gelangte. Die Namen Obern-, Niedern- und Westerntor stammen
aus dieser Zeit. Außen vor den Toren führten Zugbrücken über
den die Stadt umspannenden Wallgraben, der stets mit Wasser
gefüllt war. Abends wurden die Zugbrücken hochgezogen und
die Tore geschlossen. In den Stadttürmen, von denen noch einer
am Viehmarkt erhalten ist, achteten Wächter aus Gefahren, die
der Stadt drohten. Trompetensignale oder Sturmglocken ver-
kündeten das Herannahen von Feinden. Jeder Bürger hatte
eigene Waffen und war zur Verteidigung der Stadt verpflichtet.
Die Ein- und Ausfuhr von Waren, den Zu- und Abgang von
Personen beaufsichtigten die Torschreiber. Tore und Stadtmauer
— 96 —
sind später verschwunden, da sie nach der Erfindung der Kanonen
zwecklos waren und die Erweiterung der Stadt hemmten. Manche
Reste dieser alten Befestigungsanlage aus beut Anfange des 15.
Jahrh. sind jedoch erhalten geblieben. (Aussuchen!) Viele alte
Herrlichkeiten hat Stadthagen im 30jährigen Kriege einbüßen
müssen. Die Wallanlagen mit ihren Spazierwegen, Bäumen,
Ziersträuchern und Ruhebänken sind heute ein Schmuck der Stadt.
Sie werden oon den Bürgern unterhalten, welche zur Herrichtung
und Pflege der Anlagen einen Verschönerungsverein gründeten.
Bis zum Jahre 1878 wurde aus einer gemeinschaftlichen, rings
um die Stadt sich hinziehenden Weidesläche („Mente" — All-
mende), nach der Ernte auch aus deu Stoppelfeldern, die Hute
ausgeübt. Vier Kuh- und vier Schweinehirten trieben das Vieh
auf die Weide. Dieses freie Recht stand nur deu altberechtigten
Bürgerhäusern der vier Straßenkorporationen (Straßenvereine)
zu. Mieter und Neubauer mußten eine kleine Abgabe (Grasgeld)
entrichten. Die Aufsicht wurde von den Straßenvorstehern aus-
geübt. Alljährlich fanden Versammlungen statt, unter denen be-
sonders die Frühjahrsversammlung von Bedeutung war. Mit
dieser Versammlung war das Schnatbeziehen (Grenzbegehen) ver-
buudeu. Infolge des Angerteilungsgesetzes (1878) wurde eiue
Teilung der Weide vorgenommen. An dieser Teilung nahmen
auch die an die Gemarkung der Stadt grenzenden Dorfschaften
teil, die sich durch langjährige Ausübung der Hute ein Recht
(Servitut) erworben hatten, auch verschiedene Neubauer. Die
Mieter wurden in einem längeren Streitverfahren (Prozeß) ab-
gewiesen. Die Hutegerechtsame aus den Ackerländereien wurde
bei der Zusammenlegung (Verkoppeluug) durch Landabfindung
abgelöst (etwa 7 a für jede Bürgerstelle). Durch bessere Aus-
Nutzung des Bodens hat sich seitdem der Wohlstand der Stadt
bedeutend gehoben.
An Bauwerken aus dem Mittelalter sind uns erhalten am
Oberntor das Schloß, im Innern der Stadt die ev.-lnth. Stadt-
kirche mit der Fürstengruft und die reform. Kirche, vor dem
Niederntor die Kapelle zu St. Johannishof. Dagegen sind die
damals noch vorhandenen Kapellen verschwunden. Vor dein Obern-
tor lagen die Heiligeist- und die St. Annenkapelle.
Das Schloß ist in seiner ersten Anlage älter als die Stadt. Wahrschein-
lich ist es zu Beginn des 13. Jahrh. entstanden. Spuren der ersten Burg sind
jedoch nicht mehr aufzufinden. Der jetzige Bau stammt aus der ersten Hülste
des 16. Jahrh. von dem Grafen Adolf X., dem späteren Erzbischos von Köln,
und dessen Bruder Otto IV., unter dem die Reformation in unserm Lande ein-
geführt wurde. Das Wappen Ottos und feiner ersten Gemahlin, einer Prinzessin
von Pommern, mit der Jahreszahl 1544 ist über der Einfahrt zum inneren
Schloßhofe am Westflügel zu sehen. Anch ein Springbrunnen in der Mitte des
— 97 —
Schloßhofes weist diese Wappen und die Jahreszahl 1552 auf. Bis in den An-
fang des 17. Jahrh. war das Schloß häufig Wohnsitz der Landesherren und der
gräflichen Witwen; zu Ende des 18. Jahrh. wurde es von der zweiten Gemahlin
des Grafen Albrecht Wolfgang bewohnt, die hier 1785 starb. Bald nach dem
Kriege 1870/71 ist es im Innern und Äußern bedeutend verschönert worden.
Nach diesem Ausbau bewohnte es unser jetziges Fürstenpaar bis zu seinem
Regierungsantritt im Jahre 1893 und darauf die Fürstin-Mutter Hermine
während ihres Palais-Nenbaues am Harrl. Es birgt viele Sehenswürdigkeiten:
Wappen, Steininschriften, Gemälde, Gobelins (fein gewirkte Bildertapeten), Holz-
schnitzereien usw. Im herrschaftlichen Küchengarten nahe dem Schlosse wurde
1734 eine Stahlquelle entdeckt. Es entstand ein Gesundbrunnen (Bad), der eine
gewisse Bedeutung erlangte und noch heute in einem Stahlbade fortbesteht.
Durch die Habichhorster Landstraße ist der große Schloßgarten vom Schlosse ge-
trennt. Schattige Wege, schön gepflegte Blumenbeete, große Rasenflächen und
ein Goldfischteich locken die Bürger zum Besuch des Schloßgartens.
Die Stadtkirche, ö vom Marktplatz gelegen, ist eine echt nieder-
sächsische Hallenkirche. Sie wird zuerst 1230 genannt und war nach katholischem
Brauch einem Heiligen gewidmet, dein hl. Martin (St. Martinikirche). Der
Turm und ein Teil der Südmauer neben dem Turm sind die ältesten Stücke nnd
stammen aus dem Jahre 1318. Die übrigen Teile wurden wahrscheinlich durch
Brand zerstört und sind deshalb erneuert worden. Im wesentlichen gehört die
jetzige Kirche, von den Erneuerungsarbeiten in den Jahren 1578, 1717 und 1893
abgesehen, der Zeit von 1390—1400 an. Sie ist ein herrliches Bauwerk. Viele
Erinnerungen aus der Vergangenheit sind in ihr erhalten. Bemerkenswert ist
die Turmseite mit zwei Anbauten. Der auf der Nordseite des Turmes befind-
liche Anbau (die 1544 von der Stadt erbaute St. Trinitatiskapelle) diente wahr-
scheinlich zur Totenfeier. Der um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene
Anbau an der Südseite, in dem sich der Treppenzugang für den Turm befindet,
war ein Beinhaus (Beisetzungsraum) und enthält an der Außenmauer eiue
Anzahl aus noch früherer Zeit stammender Steinplatten, welche biblische, ge-
schichtliche und sagenhafte Stoffe bildlich darstellen. (GHne Erklärung dieser
Darstellungen gibt Pfarrer Ringenberg im 2. Heft der Mitteilungen d. V. f.
Gesch., Altert, nnd Landeskunde des Fürstent. Sch.-L., Bückeburg 1907).
In dem Beinhause befindet sich heute die Kesselanlage für die Dampfheizung,
deren Herstellung sich nach dem Brande als notwendig erwies, der in der Frühe
des ersten Weihnachtstages 1908 plötzlich ausgebrochen war und die ganze Kirche
gefährdet hatte. Das Feuer war von einem überheizten Ofen an der Nordseite
ausgegangen nnd hatte bereits Schülerprieche und Orgel zerstört, auch stellen-
weise das Gebälk des Kirchenbodens ergriffen, als man es bemerkte und unter
vieler Anstrengung schnell löschte. Bei deu späteren Ansschachtungsarbeiten im
Beinhause wurden solche Mengen menschlicher Gebeine zu Tage gefördert, daß
ein Flachtenwagen zweimal beladen werden mußte, um diese Überreste nach dem
alten Kirchhofe am Bahnhofswege zu schaffen, wo sie in der Nordwestecke des-
selben wieder bestattet Warden. Die neue Orgel hat unter Verwendung alter
Teile und Schnitzereien nach Anweisung von Professor Haupt-Hannover die
frühere Form wiedererhalten, auch den ursprünglichen Platz, obgleich anfänglich
eine Verlegung uuter den Turm geplant war. Ihr Gehäuse ist 2,64 m breiter
als das alte und bedeutend größer, denn sie enthält statt früher 29 jetzt 44
klingende Register und 2824 Pfeifen. Die von der Firma Furthwengler
nnd Hammer in Hannover gelieferte Orgel kostet fast 13 000 M, mit den Kosten
für Gehäuse und Ausstellung insgesamt etwa 18 000 JH. Sie ist gegenwärtig
jedenfalls die beste des Landes. Am Reformationsfeste 1909 wurde sie nach
vorausgegangener Weihe ihrer Bestimmung übergeben. Im Innern des Gottes-
Hauses sind manche Zeugen früherer Baukunst erhalten geblieben (Gewölbe,
Pfeiler, Säulen, Bildhauerarbeiten ufw ). Eine besondere Zierde sind die Kanzel
mit dem segnenden Christus und den vier Evangelisten, das bronzene Taufbecken
auf verzierter Steinstufe und der Altar. (Das Taufbecken ist 1578 von der
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— 98 —
Familie von Landsberg gestiftet. Der Altar ist eine Stiftung des Kanzlers
Anton von Wietersheim ans dein Jahre 1585 und zeigt in meisterhaft ge-
schnitzten Gruppen das Leiden Jesu). Unter den zahlreichen Grabsteinen mit
bildlichen Darstellungen und Inschriften erregt links vom Altar hinter einem
kunstvollen Gitter das sorgfältig ausgeführte Grabmal des Grafen Otto IV. mit
seinen beiden Gemahlinnen unsere Aufmerksamkeit. Das Bildwerk ist von einem
hiesigen Meister Kölling nach einem Entwürfe von Arend Robin ausgeführt.
Das rechts vrnu Altar stehende Denkmal hat Gras Albrecht Wolfgang seiner Ge-
mahlin Margarethe (f 1726) gesetzt. Ein Bild erinnert uns an die Einführung
der evangelischen Lehre. Es ist das Bildnis des ersten lutherischen Predigers
an der Stadtkirche, Jakob Dammann, der hier in der zweiten Hälfte des
16. Jahrh. in (Segen wirkte (1558—1591) und der Reformator der Grafschaft
Schaumburg genannt wird.
Die Fürstengruft. Auf der Ostseite lehnt sich an die Stadtkirche ein
mächtiger Gewölbebau. Seine weithin sichtbare Kuppel ist mit einem grün-
schimmernden Kupferdach bedeckt und mit einer Wetterfahne versehen. Es ist das
Erbbegräbnis (Mausoleum) unserer Fürstlichen Familie. Hier ruhen in einer
dem Auge verborgenen Gruft zahlreiche Schaumburger Regenten nebst ihren
Gemahlinnen und Kindern. Über dieser Gruft erhebt sich ein siebenseitiger
Prachtbau mit herrlichen Kunstwerken. (Das Mausoleum ist nach dem Muster
der gleichzeitig entstandenen Begräbniskapelle der Medicis an der St. Lorenzi-
kirche in Florenz ausgeführt). Der Eingang liegt hinter dem Altar. Der
innere Raum ist 10 in breit uud 24 m hoch. Als Baumaterial ist der Vortreff-
liche Sandstein des Bückeberges verwandt, im Innern außerdem mehrfarbiger
italienischer Marmor, mit dein der Fußboden bedeckt ist. Seinen Hauptschatz
birgt das Mausoleum in der Mitte der Gruft. Hier steht das prachtvolle Grab-
denkmal des Fürsten Ernst, des Erbauers dieser Begräbnisstätte (vollendet von
seiner Gemahlin Hedwig). Es stellt die Auferstehung Christi dar. Auf schwarzer
Marmorstufe erhebt sich eiu länglicher Unterbau aus weißem Marmor. Die vier
Seiten find mit erhabenen Bildern (Reliefs) aus Bronze geschmückt. (Betrachte
ein Münzbild!). Das vordere Hochbild zeigt das Landeswappen, die übrigen
stellen den Ruhm, den Überfluß- nnd die Weisheit dar. Oben trägt dieser Sockel
vier bronzene Männergestalten, welche die Hüter bei des Erlösers Grabe be-
deuten sollen. Die beiden Wächter an den Langseiten sitzen niedrig; der
vordere fährt erschreckt uud geblendet in die Höhe, der auf der Rückseite scheint
zu erwachen. Die beiden anderen Hüter an den Schmalseiten sitzen erhöht und
sind schlafend dargestellt, auf Speer und Bogen gestützt. Zwischen diesen über-
lebensgroßen Gestalten befindet sich ein schwarzmarmorner Sockel mit vier kleinen
Löwen, die einen Sarkophag (S. 84) aus weißem Marmor tragen. Der Sarkophag
enthält auf der Vorderseite das herrlich ausgeführte Relief des Fürsten Ernst und aus
der Rücksseite Saturn mit Stundenglas und Sense, auf dem Himmelsbogen mit
den Zeichen der Monate sitzend. Die Krönung des großartigen Grabmals
bildet die überlebensgroße Bronzefigur des auferstehenden Christus, zu dessen
Füßen vier Engel sitzen. Die Rechte des Erlösers deutet gen Himmel, während
die Linke die Siegessahne hält. Wände und Kuppel sind mit Malereien
geschmückt, die musizierende Engel und Engelköpfchen zeigen. Lateinische Inschriften
an den Seiten weisen auf den Bauherrn, dessen Eltern und Gemahlin hin. Zwei
große Gemälde stellen die Auferstehung des Fleisches und die Auferweckung des
Lazarus dar. — Das Mausoleum wurde 1669—1627 nach Plänen des italienischen
Baumeisters Nosseni hergestellt. An die Stelle dieses Künstlers trat von 1611
ab der Baumeister nnd Kunstmaler Antonius Boten. Die Bronzearbeiten sind
Meisterwerke des berühmten Niederländers Adrian de Nries (1560 im Haag
geboren, Bildhauer und Erzgießer), von dem mich verschiedene Kunstschöpfungen
in Bückeburg erhalten sind. Das Grabmal des Fürsten Ernst wird als bedeutend-
stes Werk dieses Künstlers gerühmt.
Die reformierte Kirche ist 1486 erbaut und von einem früheren Fran-
ziskanerkloster, das Graf Otto IV. 1560 aufhob, erhalten geblieben (Klosterstraße !).
Das heutige Gebäude ist der Chor der ehemaligen Klosterkirche. Es wurde
-aus Anordnung des Grafen Albrecht Wolfgang ausgebaut und im Jahre
1732 dem gottesdienstlichen Gebrauche der reform. Gemeinde überwiesen, deren
.Kirchenvermögen schon damals aus Stiftungen, Gaben usw. 54000 M betrug.
An der Kirche wirkten ständig Prediger von 1734 bis 1806 uud dann wieder von
1894 ab. Die Orgel ist vom Fürsten Adolf Georg am Tage seines 25 jährigen
Regierungsjubiläums (21. Nov. 1885) der Gemeinde überwiesen worden; der
Stifter übernahm auch mit dem damaligen Erbprinzen die Kosten der Erneuerung
und Ausbaunng der Orgel, die bisher dem Gottesdienste in der Schloßkirche zu
Bückeburg gedient hatte.' An der Nordseite der Kirche sieht man mehrere vermau-
erte Türen. Die Südseite enthält einen schön gearbeiteten Grabstein, welcher die
Gräfin Cordula (f 1528) betend darstellt. — In dem alten Klostergebäude
-errichtete Fürst Ernst 1610 ein Gymnasium, das er später (1619—1621) zur
Universität erhob und dann nach Rinteln verlegte. An der Universität wirkte
in Stadthagen und Rinteln der Professor Josua Stegmann (f 1632 zu Rinteln),
der Dichter des Gesanges : Ach, bleib mit deiner Gnade. Bis in den Anfang
des 19. Jahrh. hat diese Hochschule zum Ruhme Niedersachsens gewirkt; sie wurde
am 10. Dez. 1809 durch JerSme (S. 41) aufgehoben. In Stadthagen ist also
die erste höhere Schule und wahrscheinlich auch die erste Volksschule uuseres
Landes entstanden.
Der St. Johannishof vor dem Niederntor ist vielleicht als Glied der
alten Klosteranlage Bischoperode bei Probsthagen anzusehen, das um 1230 nach
Rinteln verlegt wurde (S. 89). Das jetzige Gebäude ist die 1312 von Adolf V.
gegründete Johanniskapelle, die dem St. Johannis geweiht war. Hier wurden
einst die Aussätzigen (Leprosi) verpflegt. Heute dienen die neben der Kapelle
gelegenen Gebäude zur Aufnahme der Stadtarmen (Pflegehaus). Nahebei liegt
das städtische Krankenhaus.
Außerdem sind noch mehrere Gebäude bemerkenswert, welche
der Verwaltung, der Bildung, dem Verkehr usw. dieueu (öffeut-
liche Gebäude). Am Enzer Wege liegt das neue Amtsgerichts-
gebäude des Kreises Stadthageu; es ist zugleich Sitz des Land-
ratsamtes. Das Amtsgericht sorgt für die Rechtspflege im Kreise;
das Landratsamt verwaltet insbesondere die allgemeinen Kreisange-
legenheiten und übt auch die Polizeiverwaltung aus. In der Mitte
der Stadt befindet sich das Rathaus mit den Arbeitszimmern der
städtischen Verwaltuugsbeamteu. Ein Teil des Ratshauses dient
als Ratskeller zum Wirtschaftsbetriebe. Das Gebäude hat an der
Marktseite drei ausgebaute Erker. Aus den Giebeln der Erker
springen Kriegerköpfe oor. An derselben Sei.te wird eine mächtige
Walfischrippe ausbewahrt. Sie erinnert an Stadthagens Handel mit
Hamburg uud au feine Zugehörigkeit zur Hansa (Bund zum Schutze
des Handels). An der Ostseite treten zwei ungleich ausgebildete
Giebel vor, die ebenfalls vorspringende Kriegerköpfe zeigen. Dort
liest man links die Jahreszahl 1696 und die lateinisch abgefaßte
Inschrift Ps. 127, 1: Wo der Herr nicht die Stadt behütet usw.,
.während man rechts Stadtwappen und Nesfelblatt fowie die Jahres-
— 100 —
zahl 1617 erkennt. Der freie Platz vor dem Rathause heißt
Marktplatz, weil hier die Jahr- und Wochenmärkte abgehalten
werden. Für die Viehmärkte ist eiu besonderer geräumiger Platz
beim alten Wallturm vorhanden. Gib die Richtung der beiden
Marktplätze an! Stadthagen ist nach Hannover der wichtigste
Marktort unserer Gegend. (Marktplätze, Friedhöfe, Wallanlagen u. a.
sind öffentliche Plätze. Schutz!) — Bildungsanstalten sind die
höhere Knabenschule (das Realprogymnasium), die unter dem Protek-
torat (S. 83) Ihrer Hoheit der Fürstin stehende höhere Töchterschule^
die beiden Bürgerschulen für Knaben und Mädchen und die katholische
Schule. Für die Berufsbildung sorgen eine Fortbildungsschule, eine
technische und gewerbliche Fachschule und eine landwirtschaftliche
Winterschule. Zn den Gotteshäusern gehört außer der schon
genannten ev.-luth. Stadtkirche und der reform. Kirche die am
Bahnhofswege gelegene katholische Kirche (1886/87 erbaut).
Verkehrsaustalteu siud die Bahnhofsgebäude der Staatsbahu und
der Nebenbahn Stadthagen—Rinteln, das Kaiserliche Postamt am
Bahnhofswege und das Zollamt. Dem Geldverkehr dienen außer
der Post die Reichsbanknebenstelle, die städtische Sparkasse (Seite 62),
eine Wechselstube der Niedersächsischen Bank zu Bückeburg und einige
Privatbanken.
Die Ausgaben der Stadtkasse betrugen
nach der Kämmereirechnung 1850....... 6048 Tl. 5 Mgr. 5 4
1875.............. 33226,00 M
1880.............. 37699,27 „
1885.............. 39729,47 „
1890.............. 41890,02 „
1895.............. 40960,59 „
1900.............. 66615,05 „
1905.............. 89894,00 „
1908............. 108841,00 „
Bahnhof und Post. Vgl. S. 56! — Neben dem Staatsbahnhof liegt
der Bahnhof der Kleinbahn Stadthagen-Rinteln, Beide haben einen bedeutenden
Güterverkehr. — Ein Nebelstand ist, daß die Schnellzüge der Staatsbahn bislang
hier nicht halten. — Stadthagen hat ein Postaint I. — Vergleiche folgende
Verkehrstabellen!
— 101
Personen- nud Güterverkehr int Jahre 1908.
Bezeichnung: Bückeburg. Kirchhorsten Stadthagen. Lindhorst.
I. Personen-Verkehr. 128. 325
Verkaufte Fahrkarten.. Zahl 172379 41400 44479
II. Güter-Verkehr. Ernpf. Vers. Ernpf. Vers. Ernpf. Vers. Ernpf. Vers.
a. Stückgut (mit Eilgut) t 3058 1185 304 115 4379 2971 705 705
b. Wagenladungen.... 18017 4447 3057 1780 31802 34579 11609 24085
c. Dienstgut......... „ 1664 54 653 50 2362 14955 1707 138
III. Tier-Verkehr.
a. Großvieh ......... Stück 546 357 11 11 740 598 291 698
b. Kleinvieh ......... 361 3200 - — 15132 30802 353 3780
IV. Abgefertigte Fracht-
briefe .............. Zahl 36893|17835 3435 1259 45281 30676 8746 6752
Post- und Telegraphen-Verkehr im Jahre 1908.
Postort. Porto-, Telegr,- und Fern- sprech- Geb.- Ein- nähme M Eingegangene Aufgegebene
Briefe, Postt, Drucks, u. Wa- ren- proben Stück. Pakete ohne Briefe mit Pakete mit Briefe, Poftk.. Drucks, u. Wa- reu- proben Stück. Pakete ohne Briefe mit Pakete mit
Wertangabe. Wertangabe.
Stück. Stück. Stück. Stück. Stück. Stück.
Bückeburg..... 114816 967300 74722 1805 1034 968500 44063 2950 692
Stadthagen ... 65886 663700 36474 2038 1129 594700 26019 1635 518
Steinhude .... 12358 92900 6688 124 27 94100 9684 221 49
Hagenburg ... 7863 75800 5746 59 19 41900 7812 128 69
Sülbeck....... 3576 45300 2639 136 7 13800 1219 20 1
Lindhorst..... 9095 83800 4405 339 33 67400 2201 160 130
Einge- Post- Zahl Tele-
gangene anweisungen. der von
den Ver- gramme
Postort. s lags- Post-
q" ö Eingez. Ausgez. anst. ab- Ausg. Eing.
S3- ~ s Stück gesetzt.
Stück. M M Zeit.-Nr. Stück. Stück.
Bückeburg ... 12380 1203 3658813 1820776 431004 14249 13223
Stadthagen . 7753 694 2437881 1851869 32852 3434 4029
Steinhude... 1264 229 705289 428915 — 508 661
Hagenburg .. 1289 71 410488 222967 — 329 495
Sülbeck..... 1291 107 225829 163626 — 112 184
Lindhorst ... 1504 III 697143 424306 — 577 576
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205
10853
— 102 —
Die Nebenbahn Stadthagen-Rinteln ist norinalspurig (1,435 in).
Sie wurde von der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft zn Köln erbaut und am
2. März 1900 eröffnet. Ihre Länge beträgt rund 21 km (14 km ans schaunib.-
lipp. und 7 km aus preußischem Gebiete). Ein Teil der Bahn, die 4,4 km lange
Strecke Stadthagen-Ofterholz, war schon seit 1876 als Kohlenbahn im Betriebe
und wurde für l/2 Million Mark von der genannten Aktiengesellschaft angekauft.
Sie wird zur wirtschaftlichen Entwicklung des industriereichen Gebietes, das sie
dem Verkehr angeschlossen hat, viel beitragen. Noch größer würde ihre Bedeutung
werden, wenn sie nach N fortgesetzt würde. Sitz der Verwaltung ist Rinteln.
Höhenlage der Bahnhöfe über N. N.
Stadthagen.............. 06,10 m Krainhagen-Nöhrkaften.... 110,81 rrr
Nienstädt................ 84,96 „ Bad Eilsen.............. 90,70
Sülbeck.................. 96,51 „ Steinbergen.............110,75
Obernkirchen............. 134,07 „ Rinteln................. 57,39 ,r
Zollamt. Das Fürstliche Zollamt I Stadthagen erhebt bestimmte
Abgaben von verschiedenen steuerpflichtigen Gegenständen. Diese Ab-
gaben werden indirekte Stenern genannt. (Nenne direkte Steuern!),
Sie bestehen aus Zöllen, Branntwein-, Brau- und Tabaksteuer (für inländischen
Tabak). Zölle sind die Abgaben für viele vom Auslande kommende Waren:
Weizen, Roggen, Gerste, Mais, Tabak, Kaffee, Gewürze, Branntwein, Kognak,
Rum, Arrak, Südfrüchte u. a. Früher kam noch die Zolleinnahme für Petroleum
hinzu. Das für unsere Gegend bestimmte Petroleum wird seit 1901 teils in
Geestemünde, teils in Minden (Schiffsfracht!) verzollt. Es wird heute in großen
Behältern (Tanks) und nicht mehr in einzelnen Fässern geliefert (Deutsch-Amerik.
Petrol.-Gesellschaft). Infolge der Reichsfinanzreform ist der Eingangszoll für
Kaffee, Tee, Branntwein, Kognak, Rum, Arrak, Tabak und Zigarren und bei
noch anderen Waren erhöht worden. Seit dein 1. Juli und 1. Oktober 1909 ist
die erhöhte Branntweinsteuer, die Tabaksteuer für inländischen Tabak, bie
Zigarettensteuer, Brausteuer, Schaumweinsteuer, die Reichsstempelsteuer und
Reichserbschaftssteuer in Kraft getreten. Die Zündwarensteuer, Leuchtmittelsteuer'
und Scheckstempelsteuer sind seit dem 1. Oktober 1909 neu eingeführt worden. —
Das hiesige Steueramt ist seit dem 1. April 1892 eingerichtet und führt seit dem
1. April 1908 die Bezeichnung: Fürstliches Zollamt I Stadthagen. Vor
1892 gehörte der frühere Amtsbezirk Hngenburg nach Nenftadt a. Rbg. und der
Amtsbezirk Stadthagen nach Bückeburg. Das war für die Bewohner dieser
Landesteile mit vielen Umständen verknüpft (Wege, Geldkosten, Zeitverlust). In.
Stadthagen ist ein Oberzollkontrolleur für Stadthagen und Bückeburg, ein Ober-
zolleinnehmer als Amtsverwalter des Zollamts I und ein berittener Zollanffeher
für den Revisionsdienst angestellt. Die Beamten unterstehen dein Hauptzollamte
Hannover. Zu ihrem Bezirke gehören außer dem Kreise Stadthagen noch ver-
schiedene preußische Orte; die wichtigsten darunter sind Luthe, Wunstorf, Rehburg,.
Loccum, Wiedensahl, Sachsenhagen und Haste. In diesem Verwaltungsbezirke
liegen 6 Brennereien (2 in Stadth., je 1 in Lauenhagen, Hagenb., Altenhagen —
liegt still — und Schöttlingen) und 3 Brauereien (2 in Stadth. und 1 in Stein-
Hude). — Die Gesamteinnahmen betragen im Jahre fast 200000 Mk. (bie
Hälfte davon und mehr ergibt allein die Branntweinsteuer!). Nach dem Durch-
schnitt der letzten fünf Jahre stellen sich die Einzelposten wie folgt: Zölle 58000-
Mark, Branntweinsteuer 97700 Mk., Brausteuer 20200 Mf., Tabaksteuer 600 Mk.,
Salzsteuer 1500 Mk.. Reichsstempelabgabe 2900 Mk., Reichserbschaftssteuer 1500
Mark, in Summa 182400 Mk. Eine Mindereinnahme von mehr als 10000 Mk.
ist bei den Zöllen, bei der Einfuhr von Petroleum und bei der Branntweinsteuer
eutstauden. Die Einnahmen werden an die hiesige Reichsbanknebenstelle und
weiter im Girowege an die Königliche Oberzollkasse in Hannover, die seit dem
1. April 1908 errichtet ist, abgeliefert und fließen in die Reichskasse. Der in
der Reichskasse nach Abzug aller Unkosten verbleibende Überschuß kommt an die-
— 103 —
Bundesstaaten zur Verteilung. Diese Überweisungssumme wird nach der Kopf-
zahl des betr. Bundesstaates festgestellt. Sie bleibt bald mehr, bald weniger
unter derjenigen Summe, welche der Einzelstaat dem Reiche zu zahlen hat. Die
Einzelstaaten haben deshalb je nachdem größere oder kleinere Fehlsummen für
das Reich aufzubringen (Matcikularb ei träge).
Bank. Die Banken verkaufen Wertpapiere (Aktien, Pfandbriefe, Wechsel).
Das sind Schriften oder Scheine, welche den Wert eines bestimmten Kapitals
haben. Die Wertpapiere werden wie Waren der- und gekauft (Kurs — Preis).
Privat- und Geschäftsleute können auf der Bauk jederzeit Geld erhalten uud
einzahlen.
Stadthagen hat auch mehrere gemeinnützige Anstalten
und Einrichtungen, welche der Wohltätigkeits- und Gesundheits-
pflege oder der Sicherheit dieneu. Dahin gehören das Marie-Anna-
Stift, das Herminen-Stift, das frühere lutherische Waisenhaus (jetzt
die „Herberge zur Heimat"), das Landeskrankenhans (Krankenkassen
für Fabrik- und Lohnarbeiter, Einrichtung!), die Apotheke, die Bade-
anstatt, der Schloßgarten, die Wallanlagen, die Wasserleitung, die
Kanalisation uud die Gasanstalt. Stadtpolizei und Wächter ver-
walten den öffentlichen Sicherheitsdienst. Eine städtische und eine
freiwillige Feuerwehr sorgeu für das Feuerlöschwesen.
Das Marie-Auna-Stift wurde am 4. Dez. 1900 von unserer jetzigen
Fürstin als Mittel- und Ausgangspuukt der kirchlichen Liebesarbeit zur Förderung
und Pflege des christlichen Gemeindelebens begründet. Es ist die Heimstätte für
die Gemeinde-Diakoniffe und die Versammlungsstätte christlicher Vereine.
Das Herminenstift ist eine Kleinkinderbewahranstalt. Es ist im Jahre
1880 begründet uud wurde nach der Fürstin-Mutter benannt, welche dasselbe
unter ihren Schutz genommen hat. Etwa 80 Kinder unter 6 Jahren erhalten
hier tagsüber Verpflegung und Beschäftigung. Als Entschädigung zahlen die
Eltern wöchentlich 30 ^.
Das lutherische Waisenhaus wurde 1738 von der Gräfin Sophie
gestiftet, der Gemahlin des Grasen Friedrich Christian. Wie lange es als Anstalt
bestanden und wie viele Waisenkinder Ausnahme gefunden haben, läßt sich nicht
mehr ermitteln. Das Vermögen dieser Stiftung besteht heute aus zwei großen
an der Lauenhäger Chaussee gelegenen Gärten, 457 a Ackerland (verschiedene
Ländereien siud verkauft, z. B. an den Georgschacht) uud einem Kapital von
138478 M. Außerdem hat die Waisenkasse noch folgende Einnahmen: 1) Ans
Altarschaft Corpus Christi in Stadthagen jährlich 240,68 M, 2) eine Landes-
kirchen-Kollekte und 3) Überschüsse aus dem Verlage des Gesangbuches. Im
Jahre 1909 wurden aus der luth. Waisenhauskasse 7 075 M bezahlt, die an
14 Voll- und 236 Halbwaisen zur Verteilung kamen.
Die Gasanstalt steht unter der Aussicht eines Gasmeisters. Das Gas
wird durch Ausglühen von Kohlen erzeugt (S. 75). Die Kohleu werdeu unter
Abschluß der Luft zum Entzünden gebracht. Das entweichende Gas wird durch
besondere Vorrichtungen gereinigt (Teer, Ammoniak). Das gereinigte Gas strömt
in einen großen cylindersörmigen Kessel, der Gasometer genannt wird. Dieser
hebt sich beim Einströmen und fällt beim Ausströmen des Gases. Zahlreiche
Leitungen sühren das Gas in die Straßen und Häuser der Stadt. Es dient zur
Beleuchfrmg, aber auch als Heiz- und Triebkraft (Gaskocher, Gasmotore). Der
— 104 —
Verbrauch wird nach cbm berechnet. Die Zahl der verbrauchten cbm kann man
von den Gasuhren ablesen, die bei den einzelnen Abnehmern aufgestellt finb.
Für die Gasuhren muß eine monatliche Miete gezahlt werden. —' Die Eigen-
tümerin der Gasanstalt, die Aktien-Gesellschaft für Gas und Elektrizität in Köln,
hat es trotz wiederholter Anfrage abgelehnt, Angaben über die Ausdehnung und
den Geschäftsverkehr des Werkes im Jahre 1908 zu machen, tute sie in der ersten
Auslage dieses Buches für das Jahr 1902 veröffentlicht wurden.
Einzelne Privathäuser in den Straßen Stadthagens erregen
durch Alter, Bauart und Inschriften unsere Aufmerksamkeit. Dahin
gehören die sogen. Amtspforte nahe dem Schlosse (1553), als Fach-
werksgebäude mit vielen Verzierungen auffallend, die alte Schule
bei dein Mausoleum und verschiedene Giebelbauten am Markt, in
der Echtem-, Niedern- und Obernstraße. Manche Inschriften zeugen
von der Lebensweisheit unserer Väter. So steht am Marktplatz
Nro. 21 :
weiln ich kein ubels vollen bringe
achte ich bose rnenler und falsche nachrede geringe (1649).
Ein Erker des Eckhauses Markt Nro. 8 enthält an der Echternstraße
die Darstellung der Fabel vorn Wolf, dem der Kranich einen Kno-
chen aus dein Hälfe zieht; es findet sich hier n. a. die Inschrift:
O her got loi fint jo hir inen geste
nochtan bnwen wi Höge neste
mi wundert dat loi uicht mure
Dar wi ewich mugen dnren.
De wil straffen mi nnde de mitten
de se erst up sick unde de sinen
futh he beix gar kein gebreck
so käme he balde und strafe mick.
Darunter steht: Anfanck ist bedenckenswert. Anno 1575.
Kewohner. Die Bewohner des alten Stadthagen trieben
Ackerbau, Gewerbe und Hattdcl. Kaufleute und Handwerker bildeten
unter sich Vereine oder Innungen, die auch Zünfte oder Gilden ge-
nannt wurden. Solche Vereine erhielten vom Landesherrn befon-
dere Vorrechte. Mit großer Sorgfalt wachte jede Innung über ihre
Mitglieder, die Herstellung und Güte der Waren, auch über die
Zahl der Gesellet: und Lehrlinge, die ein Meister halten durfte.
Jeder Geselle mußte ein Meisterstück liefern, wenn er Meister wer-
den wollte. Später artete das Zunftwesen aus und hemmte eine
freie Entwicklung der einzelnen Berufe. Das führte zur Aufhebung
— 105 —
ber Zünfte. In unserer Zeit ist das Jnnuugsweseu zur Hebung
des Handwerks wieder eingeführt.
Der Ackerbau wird auch heute noch fleißig betrieben.
Viele Bürger besitzen Acker- oder Gartenland als Eigentum oder in
Pacht. Sie ziehen sich daher ihre notwendigsten Lebensmittel meist
selbst. Unter den Handwerken entfaltet das Bauhandwerk
eine sehr lebhaste Tätigkeit. Besonders blüht die I n d u st r i e.
Zahlreiche Fabriken geben einheimischen und auswärtigen Arbeitern
lohnende Beschäftigung. Dahin gehören Glashütten, Ziegeleien,
Holzsägereien, Steinhauereien, Bierbrauereien, Mühlen, Maschinen-,
Zigarren-, Branntwein- und Likörfabriken (Meyers „Schweizer-Al-
pen-Kräuter-Bitter" hat Weltruf), eine Kisten- und eine Strohhülsen-
fabrik, eine Lohgerberei und eine mechanische Weberei. Auch sind
zwei Bnchdrnckereien am Platze. Stadthagen ist eine bedeutende
Industriestadt. Das deuten schon von weitem die zahlreichen hohen
Schornsteine an. Nicht minder blüht der Handel (S. 38). Er
ist teils Groß-, teils Kleinhandel. Einige Großhändler betreiben den
Versand 0on Kohlen und Koks, andere oerkaufen Glaswaren, Mauer-
steine, Dachziegel, Röhren, Sandsteine, Grubenhölzer, Tischlerdielen,
Kisten, Wolle, Leder, Getreide, Bier, Likör, Mehl, Futter- und
Düngemittel, Vieh (Fettvieh nach Hannooer) n. a. Sehr groß ist
die Zahl der Kleinhändler. Sie oerkaufen Manufakturwaren (Hand-
gewerkswaren, z. B. Bnckskin, Flanell, Anzugstoffe), Kolonialwaren
(fremde Erzeugnisse, z. B. Kaffee, Reis), Eisen-, Stahl- und Kurz-
waren, Papierwaren n. a. Ein Teil der Waren ist in den Schau-
senstern ausgelegt. Schön ausgestattete Ladenfenster sind eine Zierde
der Stadt. Leider hat sich die Lage der Kleinhändler in Stadt und
Land durch die zahlreich entstandeneu Konsumvereine sehr 0er-
schlechter^ Auch die 0ou Haus zu Haus wandernden Hausierer
fügen ihnen großen Schaden zu.
Vor dem Kriege 1870/71 hatte Stadthageu einige Jahre
Militär (Garnisonstadt). Es lagen hier in Bürgerquartieren zwei
Kompagnien vom 7. Jägerbataillon. Nach dem Kriege wurde das
ganze Bataillon in der neu erbauten Kaserne zu Bückeburg unter-
gebracht.
Hervorragende Persönlichkeiten. Stadthagen ist
der Geburtsort von M. Anton. Nothold (geb. 1569), der durch
bie Liudhorster Chronik (S. 90) bekannt ist, des um die Geschichte
— 106 —
unseres Landes verdienten Superintendenten Karl Autou Doli e
(geb. 1630, „Bibliotheca historiae Schauenburgicae" und „Kurz-
gefaßte Geschichte der Grafschaft Schaumburg"), des Geographen
Anton Friedrich Büsch in g (geb. 1724, „Nene Erdbeschreibung"),
der mit Polyxene Christiane Auguste D i l t h e y vermählt war, einer
im 18. Jahrhundert sehr bekannten Dichterin, endlich des im Juli
1909 verstorbenen und auf dem Jetenbnrger Kirchhofe beigesetzten
k. k. österreichischen Generals Frhr. v. König, der vom Kaiser
von Österreich als Nachfolger des unglücklichen Kronprinzen Rudolf
zum General-Jnfanterie-Jnspektor ernannt worden war.
Aufg.: Erkläre die Entwicklung einer lebhaften Industrie in Stadthagen !
— Welche Gewerbe bearbeiten Rohstoffe aus dem Mineral-,
Pflanzen- oder Tierreiche ? — Welche Geschäfte verkaufen
Nahrungs- und Genußmitte], Bekleidungsstoffe und Schmuck-
sachen, Haus- und Küchengeräte, gewerbliche Rohstoffe, landwirt-
schaftliche Artikel ? — Nenne Verwaltungsgebäude, Bildungs-
anstalten und Gotteshäuser, Einrichtungen für den Personen-,
Waren- und Geldverkehr, für die Wohltätigkeits- und Gesundheits-
pflege und für die Sicherheit! — Wert der Eisenbahn und Post!
— Nähr-, Wehr- und Lehrstand! — Gesamtbild: Stelle
die begrenzenden Berge, die Gewässer und die wichtigsten
Ortschaften des Kohlengebietes zusammen — Zeichne dieses
Gebiet!
— 107 —
Das Kerg- und Flachland
im Süden und Westen.
1. Der Harrt.
Der Harrl ist aus Schichten der Wäldertonformation anfge-
baut. Deni unteren Schiefer entspringen anscheinend bie heil-
kräftigen Schwefelquellen des Bades Eilsen. Das Wasser dieser
Quellen enthalt reichlich Schwefelwafferstoffgas gelöst, dessen Ge-
nuß bei Gichtkrankheiten einen wohltätigen Einfluß ausüben soll.
Schwefelwasserstoff ist ein farbloses Gas, das einen üblen Geruch
nach faulen Eiern besitzt. Der Schlamm, welcher zu deu Bädern
verwandt wird, fiudet sich längs des Auebaches iu der Nähe vou
Eilsen in größeren und kleineren Nestern ziemlich nahe unter der
Oberfläche. Er besteht zum guten Teil aus halb vermoderten
Pflanzenresten, deren Zersetzung unter dem Einfluß von Schwefel-
quellen sich vollzieht. Im Spätherbst wird er gegraben und
bleibt dann in einem großen Reservoir unter stetem Zufluß von
Schwefelwaffer bis zum Gebrauch in der Badezeit stehen. Man
füllt ihn dann mit Eimern in die Badewannen. — Der Sand-
stein des Harrls nimmt in der w Hälfte des Berges an Mächtig-
keit ab und wird zuletzt schiefrig. Er wurde früher in zahlreichen
Steinbrüchen gewonnen. In ihm finden sich schön erhaltene ver-
steinerte Pslanzenreste, z. B. Farnkräuter.
Uame, Lage nnd Gestalt. Der Name (alt haruclo, hargle)
bedeutet heiliger Hain. Wahrscheinlich war der Harrl mit dem
Bückeberge in altgermanischer Zeit der in unserer Gegend gesuchte
heilige Wald des Donar (die Silva Sacra Herculis). In ihm be-
fand sich vielleicht an der Stelle des heutigen Obernkirchen eine
wichtige Heiligtumsstätte, die unter dem Schutze der hier gleichfalls
Vermuteten alten Gaufeste stand (S. 82). Der zu einer Höhe von
213 rn ansteigende Harrl ist die größte landschaftliche Zierde in dem
s Teile unserer Heimat. Als w Ausläufer des Bückeberges dehnt
er sich zwischen den Qnertälern von Bad Eilsen und Bückeburg iu
einer Läuge von 3 72 km und einer Breite Von fast 11/2 km aus
und erscheint als ein einzelner kegelförmiger Berg. (Die genannten
Quertäler bilden die Fortsetzung der Pässe des Wesergebirges an
der Arensburg und bei Kleinbremen.) Er läuft parallel mit der
— 108 —
Weserbergkette. Davon trennt ihn ein Langental, dem anfänglich
die Bnckebnrger Ane vor ihrem Eintritt in die Bückeburger Ebene
folgt. Im nnd W steigt der Berg ans der Ebene sanft an, int
S und O zeigt er aber ziemlich steile Böschung. Sein Rücken ver-
läuft gradlinig und bildet nach dem Eilfer Paß zu zwei Flügel,
deren n in der Nähe von Wilhelmshöhe recht steil abfällt
(Eilfer Klippen). Der w Abhang (jüdischer Friedhof,
Scheibenstand) ist als O st e r b rink bekannt. Hier leuchteten
einst zur Erinnernng an die Völkerschlacht bei Leipzig (18. Ok-
tober 1813) alljährlich Frendenfener.
Dcmaldung nnd Dewässcrnng. Der Harrl ist dicht be-
lvaldet nnd hat namentlich herrlichen Bnchemvald. Der Südabhang
trägt viel dichten Nadelwald, in dem das Wild ein sicheres Versteck
findet. Der Abfluß zur Aue und Schermbeeke, welche jene beiden
Quertäler im 0 bezw. XV durchfließen, ist gering. Dennoch enthält
der Berg reichliche Quellen, welche ein vorzügliches Wasser liefern.
Die Stadt Bückeburg hat daher am Nordweftabhange ein Sainmel-
becken für ihre Wasserleitung angelegt.
Dcwoljncr. Die Bewohner der anliegenden Ortschaften treiben
hauptsächlich Ackerbau und Viehzucht. Einige finden als Bergleute,
Ziegler und Waldarbeiter Beschäftigung, andere als Handwerker
und Tagelöhner. Im Sommer haben manche Leute durch Abver-
mieten au Sommerfrischler und durch Fuhrwesen guten Verdienst.
Besonders ist das in Bad Eilsen der Fall. Hier und in Ahnsen
finden sich die einzigen größeren gewerblichen Anlagen, nämlich
zwei Ziegeleien.
Ortschaften. Am Südabhauge liegen die Dörfer Knatensen
und Selliendorf, die nach dem westfälischen Kirchdorfe Kleinbremen
eingepfarrt sind. Am Nordabhange breiten sich die Dorfschaften
Widdenfen, Ahnsen-Nenmühlen und Bergdorf aus. Au der Ostseite
liegt der Badeort Eilsen, der wegen seiner starken Schwefel-
quellen alljährlich von vielen Kranken besucht wird. Der Westab-
haug wird ganz von der Stadt Bückeburg bedeckt. Viele schöne
Häuser (Villen) erheben sich bis hoch an den Berg hinan nnd geben
dem Orte schon von weitem ein freundliches Aussehen. Namentlich
bildet das Fürstliche Schloß (Palais) am Harrl, der Wohnsitz unserer
Fürstin-Mutter, mit seinen hohen Türmen und schönen Parkanlagen
— 109 —
einen herrlichen Abschluß des Stadtbildes. Eine weite Rundsicht ge-
währt der I d a t u r m, der aus dem höchsten Punkte des Harrls er-
richtet ist.
Bad Eilsen, Station der Bahn Stadthagen-Rinteln, liegt in einein
Talkessel, der von den waldigen Abhängen des Wesergebirges, des Bückeberges
und des Harrls rings umgeben wird. Durch diese bevorzugte Lage ist es gegen
den Einfluß rauher Nord- und Ostwinde sehr geschützt. Seine ausgedehnten
Parkanlagen breiten sich zu beiden Seiten der Bückeburger Aue aus und bieten,
angenehme Ruheplätze. Der Naturfreund findet hier viele schöne Bauingruppea,
die manche uralte und in Norddeutschland sehr seltene Bäume aufweisen. — Die.
Anlage des Schwefelwasser- uud Schlammbades Eilsen wurde vor mehr als
100 Jahren von der Fürstin Juliane (f 1799) bewirkt. Nachdem schon 1770 bis
1780 Schwefelwasserbäder vielfach bei den Landleuten genommen waren, ver-
fügte Juliane im Jahre 1794 die Herstellung des Bades. Die heilkräftigen.
Quellen wurden darauf nach genauer Untersuchung eingefaßt und die zum Bau
der Badeanstalt und dem jetzigen Kurparke nötigen Grundstücke erworben.
entstanden ein Badehaus und das sogen, kleine Logierhaus. Bald wurden auch
die ersten Schlamm- und Moorbäder eingerichtet, wohl die ältesten in Deutsch-
lernt). Am 5. Juli 1802 erfolgte unter der vormundschaftlichen Regierung des
Grasen von Wallmoden-Gimborn die feierliche Eröffnung des Bades, welche die
hochherzige Begründerin nicht mehr hatte erleben sollen. Die Nachfolger der
Fürstin Juliane, die Fürsten Georg Wilhelm (| 1860), Adolf Georg (f 1893),
und unser regierender Fürst Georg förderten in hochherziger Weise den weiteren
Aufschwung des Bades. So wurde 1809 das große Logierhaus und 1847 das.
Konversations- (Unterhaltung^-) haus mit Kursaal, Lese- und Spielzimmer er-
baut ; 1881 wurde das neue Restaurations- (Wirtschafts-) gebäude und 1889 das
neue Schlammbadehaus dein Verkehr übergeben. Im Jahre 1895 wurden die
Restauration und der Kursaal durch eiue große gedeckte Halle verbunden. Als
im Jahre 1896 die neue Musikhalle auf dem Kurplatze errichtet war, konnte
man durch den Ausbau der früheren Musikhalle die Zahl der sehr gesuchteil Lo-
gierzimmer über den sogen. Kolonnaden (Säulengängen) erheblich vermehren.
In den Jahren 1902/03 wurde ein neues Schlammbadehaus erbaut, auch ist
1909/10 das alte Schlammbadehaus durch einen Neubau ersetzt wordeu ; in beiden
Gebäuden sind die besten, durch Erfahrung erprobten Einrichtungen getroffen
worden. Das Bad ist Eigentum unserer Landesherrschaft uud steht unter der
Verwaltuug der Fürstlichen Hofkammer.
Der I d a t u r m wurde in dem Teuerungsjahr 1847 von dem Fürsten Georg
Wilhelm errichtet und nach dessen Gemahlin benannt. Die Bausteine gewann
man aus deu nahen Steinbrüchen, die einst auch viel Material zu Haus- uud
Straßenarbeiten lieferten, heute aber nicht mehr ausgenutzt werden. Die Anlage
des Turmes, welcher der Landesvermessung dienen sollte, gab in jener trüben
Zeit vielen Arbeitern Verdienst. Von der Plattform genießen wir eine Pracht-
volle Aussicht. Zu unseren Füßen breiten sich hohe Buchen- und dunkle Tannen-
Waldungen aus. Im Süden liegt die Weserbergkette vor uns, die wir von der
Paschenburg bis _ zun: letzten Berge des Wiehengebirges überblicken können.
Westlich sehen wir Minden und zahlreiche Ortschaften der werteren Hingebung.
Nach Norden liegt vor uns die große norddeutsche Tiefebene, durch welche sich in
anmutigen Windungen die Weser langsam dahinschlängelt. Wir übersehen auch
den größten Teil unserer Heimat mit dem Schaumburger Walde als n Grenz-
einsassung. Vor dem Walde bemerken wir viele Dörfer, die zwischen üppigen
Feldern und halb versteckt an kleinen Holzungen liegen. Im Osten ist die Aus-
ficht beschränkter, weil hier der hohe Bückeberg dem Auge eine Grenze setzt.
Dort sehen wir Obernkirchen mit seinem Doppelturm und den Glashütten
Schauenstein und Neuhütte. Außer dem Jdaturme hat der Harrl noch mehrere
natürliche Aussichtspunkte, die aber einen enger begrenzten Ausblick gewähren.
— 110 —
Derkehr. Den Harrl umgehen int Süden die Steinberger, im
Norden die Bergdorfer und im Osten die Vehler Chaussee. Meh-
rere bequeme und wohlgepflegte Fußwege führen von Bückeburg über
den Berg nach Bad Eilsen. Einige laufen auf dein Kamme unter
großen, prachtvollen Buchen, andere an den Abhängen entlang.
Eine Fahrstraße zieht sich am Nordabhange ganz im Walde hin.
An ihrer rechten Seite liegt eine Quelle, der Kinderbrunnen genannt,
einst ein Lieblingsplatz des großen Denkers Herder, der die Quelle
mit einer jetzt verfallenen steinernen Einfassung versehen ließ.
Weiterhin führt diefe Fahrstraße an den Harrlkolonien vorbei. Hier
erfahren wir aus den Inschriften an einigen Häusern, daß diese
Waldansiedelung vom Grafen Wilhelm (f 1777) angelegt ist, der
diese Gebäude einzelnen seiner Soldaten für Treue und Tapferkeit
schenkte.
Die westliche Fortsetzung des Harrls. Bei Bückeburg
senkt sich der Harrl. Hier finden wir einen Paß, durch welchen
die Schermbeeke (kl. Aue) stießt. Jenseits dieses Passes erhebt sich
ein sehr schmaler und niedriger Höhenzug, der 4 km lange Röcker
Berg (87 m). Derselbe heißt in seinem ö, an die Stadt stoßenden
Teile Weinberg und verliert sich w bei der Klus in dem Sand-
snrt genannten Walde unmerklich in das Flachland. Auf dieser
Erhebuug zieht sich die alte Heerstraße von Minden nach Bückeburg
hin, der „Heelweg vor dem Sandvorde" (vgl. Ortsnamen, Petzen!).
Aufg.: Vergleiche Harri mit Bückeberg und Rehburger Bergen! —
Nenne die erwähnten Bäche und Quertäler! — Gib die wich-
tigsten Ortschaften und Verkehrswege am Harri an! — Nutzen
des Harris für Bückeburg! — Rundblick vom Idaturm!
— 111
2. Vückeburger Aue und Gehle.
Aufg.: Wiederhole S. 9 und 10!
Me Kattdschaft. Bückeburger Aue und Gehle bezeichueu deu
SW unseres Landes, die Bückeburger Ebene. Diese lehnt sich
im 8 an den Westabhang des Bückeberges und wird vom Harrl
durchzogen, während den Nordrand der Schanmbnrger Wald bildet.
Sie hängt durch die Quertäler bei Bad Eilsen und Bückeburg mit
einem Teile des Längentals am Nordfuße der Weserbergkette zu-
sammen (S. 6). Die Weserberge haben bei der Arensburg eine
Lücke gelassen, durch welche man den L Zipfel unseres Landes mit
dem Kirchdorfe Steinbergen und das Wefertal erreicht. Hier im
äußersten 8 wechseln prachtvoll bewaldete Berge und anmutige
Täler miteinander ab. Darum gehört dieser Teil zu deu schönsten
Landschaften unserer Heimat. Tausende von Fremden suchen all-
jährlich diese herrliche Gegend auf.
Das gesamte Gebiet hat durchweg recht fruchtbaren, gut be-
stellbaren Lehmboden. Der Lehm ist in den höheren Lagen der
Bückeb. Ebene mit Kies uud Sand gemengt und daher um so mehr
zur Ackerwirtschaft geeignet. Die Bodenschwelle bei Stemmen zeigt
dagegen schweren, wenig durchlässigen Boden (Verwitterungsboden
des Mergels und Schiefertons). Nördlich von Frille (bei Quetzen
uud Bierde) beginnt leichter Sandboden ohne Lehmbeimischung, der
wenig ertragreich ist. In den Bachtälern breiten sich bedeutende
Wieseuflächeu aus, die iu güustigeu Sommern hohe Erträge liefern.
Die Haupterwerbszweige der Bewohner find Ackerbau und Vieh-
zncht. Viel Getreide kommt zur Ausfuhr oder zum Verbrauch in
Branntweinbrennereien (Petzen); auch werden Schweine in großer
Zahl ausgeführt. Die Industrie ist iu dem ganzen Bezirke nur
schwach entwickelt. Sie beschränkt sich auf eiuige Ziegeleien (Bücke-
bürg, Müsingen, Ahnsen, Eilsen, Stemmen, Rusbend und Cammer).
Darum haben sich hier auch uicht so große Ortschaften entwickelt
wie in der Umgegend von Stadthagen.
Die einzigen wichtigen Bäche der Bückeburger Ebene sind Aue
und Gehle. Gib deren Quelle, Laus und Mündung an! Beide
112
haben in ihrer Laufrichtung große Ähnlichkeit. Nachweis! Die
Aue hat ein reiches Quellgebiet in den begleitenden Bergen und
besitzt in ihrem Oberlaufe beträchtliches Gefälle, das jedoch in dev
Bückeb. Ebene und weiter unterhalb sehr gering wird. Sie über-
schwemmt deshalb in der Wiesenniederung unterhalb Meinsen häufig
das angrenzende Gebiet und verursacht alsdann bei Petzen, Evesen
uud Berenbusch großen Schaden, indem das Hochwasser die Heuernte
vernichtet und infolge langsamen Rückflusses die Feldbestellung ver-
zögert. Zur Milderung dieses Ubelstandes sind Kanäle angelegt
und Ausbauten an dem Bache selbst vorgenommen. — Die Gehle,
deren Onellgebiet von geringer Ausdehnung ist, wird aus dem
Schaumburger Walde und den zu Loccum gehörigem Forsten reichlich
gespeist. Bei gewöhnlichem Wasserstande führt sie sogar größere
Wassermengen ab als die Aue. Sie hat uach Gestalt uud Beschaffen-
heit des begleitenden Geländes nur geringes Gefälle und darum
auch langsamen Abfluß. Nur selteu tritt sie über die Ufer. Die
Gehlewiefen leiden infolgedessen vielfach an großer Trockenheit. Die
Erträge sind in dürrer Zeit gering (besonders bei Quetzen und
Bierde). Zur Entwässerung der Waldwiesen ist die Gehle im
Schanmbnrger Walde begradigt.
Die Bückeburger Aue hat von der Quelle bis zur Müuduug bei etwa
28 km Luftlinie fast 46 km Lauflänge. Ihre Quellbäche entstehen auf der
kleinen Hochebene zwischen Langenfeld und Hattendorf (-(- 270 m), einem Quell-
gebiete, das als der am wenigsten fruchtbare Teil des Kreises Grafschaft
Schaumburg gilt. Der Oberlauf folgt in vorherrschend w Richtung dem
Längental, das auf der eiuen Seite vom Bückeberge, auf der anderen vom Süntel
und vou der Weserbergkette begrenzt wird. Zur Bildung dieses Langentals haben
die unter den lehmigen Ablagerungen befindlichen Mergelschichten wegen ihrer
leichten Zerstörbarkeit Anlaß gegeben. Viele gefällreiche Seitenbäche eilen hier
dem Hauptbache zu. Der Mittellauf (Buchholz—Petzen) verläßt das Längen-
tal und gelangt durch das Quertal bei Bad Eilsen in die Bückeburger Ebene.
Er nimmt n Richtuug an. Die Stemmer Bodenerhebung zwingt ihn zu einem
großen nach 3 offenen Bogen über Meinsen. Der Unterlauf von Petzen bis'
zur Mündung hat wieder n Richtung. Zwischen Meinsen und Petzen nimmt die
Aue links die Schermbeeke (kl. Aue) auf, die an der Weserbergkette bei Scherm-
beck und Kleinbremen entspringt. Dieser Nebenbach fließt durch die Berglücke bei
Bückeburg. Er speist außer dem Schloßgraben mehrere große Fischteiche anf den
Hofwiesen und dem Rehrfelde bei Bückeburg und nimmt die Abwässer der Rest-
denzstadt aus. Unterhalb Evesen mündet ein zweiter Nebenbach, der S a n v e r-
bach (Heideriehe), der zwischen Wülpke uud Nammen vom Wesergebirge kommt.
Beide Nebenbäche bilden in ihrem Mittellaufe die Landesgrenze. Über den letz-
teren Bach hinaus bis Notturm greift ein kleines Gebiet, das unter dem Namen
„Gevntterfeld" bekannt ist und zum Vorwerke Höckersau gehört (s. Ortsuamen,
Petzen!). Von rechts erhält die Aue außer der Bombeeke in Vehlen keine Zu-
flüsse. Sie nimmt hier nur die Entwässerung auf, welche ihr durch den R e n n-
riehekanal (1890) zwischen Berenbusch und Cammer zugeführt wird. Dieser
Kanal kreuzt den 1796 angelegten Auekau al, der au der Ochsenhütte unter-
— 113 —
halb Meinsen rechts abzweigt und durch den Schaumburger Wald nach Cammer
führt. Der Auekanal soll das Hochwasser von der Niederung des gefährdeten
Auedreiecks Meinsen-Petzen-Cammer ableiten. Da er aber nur IV2 m Breite und
Tiefe hat und mit nur V2 m hohen Dämmen eingefaßt ist, so erfüllt er seinen
Zweck nicht immer. Auch der Ausbau der Aue von oberhalb Petzen bis Evesen
<1897/98) hat den verderblichen Überflutungen nicht genügend vorgebeugt. Ebenso
erfolgten früher von der Landesgrenze bis Lahde zur Sommerzeit nicht selten Über-
schwemmungen, da die Niederungsgrundstücke an der Aue teilweise niedriger
liegen als das Bachbett und die Ableitungen nach den bei Minden und Mieters-
heim in die Weser mündenden Bächen nicht ausreichen. Die Überschwemmung^
gefahr ist hier jetzt dadurch wohl beseitigt worden, daß die Aue im Jahre 1907
von der Roten Mühle bis zur Lahder Mühle bedeutend verbreitert und an beiden
Usern mit starken Dämmen versehen wurde. Von Lahde ab ist das 4—6 m breite
Bachbett so tief (zuletzt bis 3 m) in den Talgrund eingeschnitten, daß hier das
Wasser nicht übertreten kann. Gründliche Entwässerung in dem am meisten ge-
sährdeten Gebiete wird erst die Anlage des Mittellandkanals (Rhein-Weser-
Leine) ermöglichen. — Die Gehle nimmt aus dem Schaumburger Walde
von links die Rote auf, die u. a. den Depenbachsteich entwässert. Von rechts
erhält sie bei Bierde die I l s aus dem w Vorlande der Rehburger Berge. Der
Bückeberg sendet der Gehle wenig Hochwasser zu. Ihr meist sandiges Bett ist
nur IV2 bis 2 m tief und erreicht im Unterlauf etwa 10 m Breite.
Mohnstätten nnd Bevölkerung. Am wichtigsten fürVer-
kehr und Handel istBückebnrg (Behörden, höhere Schulen, Arzte,
Apotheken, Bahnhof, Märkte usw.). Zeige Bückeburg, die Kirch-
dörser der Umgegend, deinen Wohn- und Schulort! Wie liegen
diese Orte zu Bückeburg? Zu welchem Kirchspiel gehört d e i u
Wohnort? Merke: Die Kirchdörfer liege:: mit Ausnahme von
Steinbergen, das am Südabhauge der Weserbergkette sich ausdehnt
und mit seiner Feldmark bis ins Wesertal reicht, sämtlich an der
Bückeburger Aue! — Hier im Westen treffen wir die ältesten An-
siedelnngen unseres Landes, da die Urbarmachung des großen Dnl-
Waldes, der einst den Bnkkigau durchzog, von der Weser her in An-
griff genommen wurde. (Die Besiedelung eines Landes geht immer
oon den Flüssen aus. Warum?) Die einzelnen Ortschaften ver-
raten darum in ihren Namen und in ihrer Anlage ein höheres
Alter als die im O unseres Landes (s. Ortsnamen!). Zu den ältesten
Ansiedelungen gehören Petzen und Frille. Das älteste noch vor-
handene kirchliche Gebäude ist dasjenige zu Petzen.
Für die Bewohner aus dem Kirchspiel Vehlen und
aus den um Bergschule gelegeneu Ortschaften, die demnächst d i e
neue Kirchen gemeinde Seggebruch bilden werden, ist
das nahe Schanmbnrger Kohlenbergwerk von großer Bedeutung, da
es viele von ihnen als Bergleute beschäftigt. Aus dem Kirchspiel
Petzen arbeiten zahlreiche Leute auf dem Bahnhof Minden als
Schlosser, Schmiede oder auch als Bahuarbeiter. Im Kirchfpiel
8
— 114 —
Frille wird ganz besonders auf Ackerbau und Viehzucht große
Sorgfalt verwandt. Davou zeugeu die stattlichen Pferde, die
schweren Kühe und die fetten Schweine der Friller. Der saudige
Lehmboden liefert vorzügliche Kartoffeln. In hohen Ehren steht bei
den Frillern die Weberei. Sie ist in den übrigen Orten unseres
Landes fast durchweg Lohnarbeit, hier aber Eigenarbeit, denn man
webt den eigenen Bedarf an Leinen und Bettzeug auf jedem Hofe.
Eine Magd, die uicht weben kann, wird nicht Großmagd, kann auch
deu Lohn einer, solchen nicht beanspruchen.
Tracht und Sprache unserer Bevölkerung in: Aue- und
Gehlegebiet zeigen mancherlei Eigentümlichkeiten. In den meisten
Ortschaften ist unter den Frauen die B ü ck e b u r g e r Volk s-
tracht verbreitet (s. III, 1!). Eine eigene Landestracht behauptet
sich im Kirchspiel Frille. Im Kirchspiel Steinbergen trifft man ein-
sache bürgerliche Kleidung. Darin gleicht der Süden dem Norden
unseres Landes (S. 65). Die Sprache zeigt im allgemeinen in der
Umgegend von Bückeburg Vermeuguug und Verwechselung der Uni-
und Selbstlaute, schlechte Aussprache vou r und Verwechselung von
j mit g. Als männliche Vornamen werden in den meisten hierher
gehörigen Ortschaften gewöhnlich gewählt: Ernst, Karl, Heinrich,
Friedrich und Wilhelm, als weibliche: Christine, Ernestine (Stine),
Wilhelmine (Minchen), Philippine (Bine), Karoline (Line), Engel
nnd Sophie (Fiekschen oder Fieke). — Eine Sonderstellung nimmt
hier wieder das Kirchspiel Frille ein. Dort werden die Selbst-
laute ziemlich rein gesprochen, während man das R recht schnarrend
hören läßt. Unterschiede zeigen sich auch in der Wahl und Aus-
spräche mehrerer Vornamen (die eingeklammerten sind für Kinder
bis etwa zur Entlassung aus der Schule gebräuchlich). Als männ-
liche Vornamen werden im Kchsp. Frille bevorzugt: Antou (Töne),
Karl (Körle), Heinrich (Himmann) und Christian (Krüssan), als
weibliche: Marie (Mieken), Luise (Wiesiug), Eleonore (Lörken)
und Christine (Stining).
Vehlen wurde um die Mitte des 11. Jahrhunderts Velden ge-
schrieben. Die Kirche wird zuerst iu der Obernk. Urkunde des
Miudeuer Bischofs Werner vom 10. Febr. 1167 erwähnt. Im
Jahre 1903 ist die alte Kirche (romanisch) abgebrochen und durch
ein neues Gotteshaus (frühgotifch) ersetzt worden, das am 6. Ok-
tober 1904 eingeweiht wurde.
— 115 —
Das Kchsp. umfaßt die Schulorte Vehlen, Achum und
Widdeuseu, ferner Ahuseu-Neumühleu, Bergdorf, Deinsen, Echtorf
(teilw., f. S. 83!), Müsingen, Neuseggebruch und Schierneichen
(nämlich Nro. 1, 2, 3, 7, 9, 13, 14, 16, 17, 18, 20 u. 22; alle
übrigen gehören zu Memsen).
Meinsen wird urkundlich 1181 als Meynhusen erwähnt (1326
Meynsen, 1632 Meinsen). Die erste Kirche hat schon um 1200
bestanden. Sie wurde in diesem Jahre nebst anderen Gütern
in Meinsen oon einem Grafen Bernhard von Poppenburg au
das Kloster Obernkirchen oerkaust. Zu Anfang des 16. Jahrh.
wird ein neuer Bau errichtet fein. Daran soll jedenfalls der
Stein mit der Jahreszahl 1504 an der Nordmauer des Turmes
der heutigen Kirche erinnern. Das jetzige Gotteshaus wurde
1878 von dem Baurat Richard in Bückeburg erbaut. Es ist eiu
schmucker Backsteinbau, dessen quadratischer Turm einen acht-
eckigen Helm hat.
Eingepsarrt sind die Schulorte Meinsen und Rusbend, ferner
Warber, Hevesen, Schierneichen (vgl. Kchsp. Vehlen!), Gut
Brummershop und Vorwerk Fasanenhos (herrsch.).
Meinsen hat eine Kreissparkasse. — In Warb er besteht eine Dampf-
sägerei. — Rusbend hatte früher zwei Ziegeleien und eine Töpferei. Die
eine Ziegelei, im Walde gelegen, war herrschaftlich und ist heute das Forsthaus
Rusbend, die andere lag am Lichtenbruch und ist 1903 abgerissen. Die Töpferei
fertigte hauptsächlich Blumentöpfe an. Den Anfang mit dieser Industrie machte
ein Pächter Daake auf der herrschaftlichen Ziegelei, indem derselbe einen Mittel-
brinker Töpfer anstellte. Von diesem Fachmann erlernte Wilh. Niederbracht
in Rusb. das Verfahren. Derselbe gründete 1840 auf feinem Hofe eine eigene
Töpferei, in welcher ums Jahr 1860 mit der Herstellung von Blumentöpfen
begonnen wurde. Heute ist auch dieser Betrieb eingegangen. — Der Sage nach
soll in der Nähe der Rusb. Ziegelei ein längst zerstörter Ort H o r st e n ge-
legen haben. Die Bezeichnungen „Horster Feld" und „auf der Horst" sind noch
heute gebräuchlich. Man hat dort vor mehreren Jahren beim Ausroden von
200jährigen Eichenstubben Ziegelsteine und Schmiedekohlen gefunden.
Petzen hatte schon 1181 eine Kapelle (capella in Petessen),
die 1190 als Kirche erwähnt wird und eine Tochterkirche von
Obernkirchen war. Wahrscheinlich war das erste Gotteshaus eine
Gründung der Herren von Arnheim, die ihren Namen nach der
nahen Burg „Hus Aren" führten. Diese Edelinge waren Lehns-
leute der Herzöge von Sachsen ans Billnnger Stamm und hatten
ihren früheren Wohnsitz, die „Alte Bückeburg" bei Oberukircheu,
an die Schaumburger verkauft. Mit der 1302 zerstörten Burg
Aren stand als Vorburg die Neuenburg in Verbindung. Beide
Burgeu sind heute verschwunden, doch hat man ihre Lage durch
Ausgrabungen festgestellt, bei denen auch wichtige Funde gemacht
wurden. —- An der Westfeite der Kirche enthält das Mauerwerk
des Turmes ein Steinrelief mit zwei Kugeln darüber. Man er-
kennt zwei anbetende Personen zu den Seiten eines Tisches.
8*
— 116 —
Die Sage hält die beiden Kugeln für Sonne und Mond und
erblickt iu dem Steinbilde eine Darstellung des heidnischen Opfer-
dienstes, indem der unkenntliche Gegenstand auf dem Tische als
Opferschwein gedeutet wird (s. Sage 1!). Zwischen den Schalchern
an der Südseite des Turmes stellt ein anderes Steinrelief einen
Mann dar mit einer Lanze in der Linken und einem an den
Leib gedrückten unkenntlichen Gegenstand in der Rechten. Beide
Steinbilder entstammen außer anderen Bauresten vermutlich der
ersten Kapellenanlage.
Zum Kirchspiel gehören die Schulorte Petzeu und Röcke, ferner
Evesen, Berenbusch, Nordholz, Vorwerk Höckersau (herrsch.) und
die Bückeb. Klus.
Petzen hat eine herrschaftliche Meierei und Branntweinbrennerei. Der
„Petzer" wird aus Roggen, Weizen, Gerste und Malz bereitet. Aus 100 I Bot-
tichraum (der Bottich hält etwa 3000 I) kommen 15 kg Roggen, 3 kg Weizen,
3 kg Gerste, 1 kg Malz und 78 kg Wasser (vgl. Lauenhagen S. 89!). Die Schlempe
wird an etwa 60 Kühe verfüttert.
grille kommt um 1168 als Vrigelde, Vrilethe vor. Die Kirche
wird iu den alten Urkunden nicht erwähnt, obgleich 1277 ein
Pfarrer Richard und 1323 die Pfarre genannt wird. Das aus
dem Jahre 1671 stammende Gotteshaus ist zu Anfang des Jahres
1910 abgebrochen und wird durch eiue ueue Kirche ersetzt.
Eiugepsarrt sind die Schulorte Bückeb.-Frille, wozu Hackshorst
nebst Baum gehört, und Cammer, ferner die westfälischen Orte
Pr.-Frille, Päpinghausen und Wietersheim. (Die früher einge-
pfarrten Wests. Dörfer Aminghausen und Leteln gehören seit
1. April 1902 zur Mariengemeinde in Minden).
Fr i l l e wird durch die Landesgrenze in Preuß.- u. Bückeb.-Frille ge-
schieden. Beide Ortschaften bilden äußerlich ein Dorf. Die Einwohner werden
im Volksmunde knrzweg als „Preußen" und „Bückeburger" bezeichnet. Ihre
Gehöfte und Häuser unterscheiden sich durchaus nicht. Das einzige Erkennungs-
zeichen bilden die Hausnummern, indem die der preußischen Kolonate schwarz,
die der bückeburgischen rot sind. Die Reihe der Nummern wird für beide Ge-
meinden getrennt geführt. Auch werden die Gemeindeangelegenheiten beiderseits
gesondert verwaltet, so daß jedes Dorf seinen Ortsvorsteher, seinen Gemeinde-
rat, seine Schule usw. hat. Nur einzelne Wegestrecken, die der Hoheitsgrenze
folgen, werden gemeinsam unterhalten. Es fehlt nicht an auffallenden Eigen-
tümlichkeiten. So ist in Bückeb.-Fr. von dem Kolonat Nro. 14 nur der Haus-
und Hofplatz nebst einem kleinen Garten bückeburgisch, während alle übrigen zu-
gehörigen Grundstücke im preußischen Gebiet liegen. Bei dem Kolonat Nro. 43 da-
selbst läuft die Landesgrenze mitten durchs Haus. (Das ursprüngliche Gebäude stand
hart auf der Grenze; später wurde ein Anbau gemacht, wobei die eine Seiten-
wand um einige Meter nach der preußischen Seite hin vorgerückt wurde.) Man
geht durch eine Haustür in ein bückeb. und preuß. Gebäude. Der Schornstein-
feger aus Petershagen fegt den preuß., der aus Bückeburg den bückeb. Schorn-
stein. Die Kinder aus dein alten Gebäude besuchen die schaumb.-lipp., die aus
dem Anbau die preuß. Schule usw. — Die einzelnen Dorfteile heißen: Freithof,
erstes Dorf, Lichtenberg, Klappenburg und Brachfeld. Kirche und diesseitige
Schule liegen auf dem Freithofe (= gefriedeter Hof). Noch heute uuterfcheideu
fich die Oberdörfer von den Freithöfern. — Das Dorf liegt 12 km nw von
— 117 —
Bückeburg, wohin eine Landstraße über Cammer-Meinsen-Scheie führt. Die
nächste Stadt ist Petershagen, etwa 1 Stunde entfernt. Verkehr und Handel
führen mehr nach Minden als nach Bückeburg. (Lüftungen: Ochtensen
bei Wietersheim, Bo d e n d o r p sw und Di dinghausen s von Frille.)
— Hackshorst ist zu Anfang des 19. Jahrh. als Waldarbeiterkolonie ent-
standen. In den Friller Kirchenbüchern (das älteste ist vom Jahre 1664) wird
es zuerst 1823 als Hackhorst erwähnt. Von 1830 ab findet sich die Schreibart
Hagshorst, die um so merkwürdiger ist, da in dieser Zeit ein Wechsel
in der Person des Pastors (Schütz) nicht eingetreten ist. Die Ortschaft besteht
heute aus 6 Kolonaten, von denen Nro. 1 und 4 herrschaftlich sind. —
Cammer hat eine Ziegelei. Am Dorfe entlang erheben sich von der Aue bis
nach Quetzen mehrere Hügel oder Brinke (Gieseken-, Cammer-, Schul-, Putzer-,
Friller Brink usw.). Mehrere Gehöfte (Nro. 7, 15, 16, 17, 21, 22 und 25) am
sogen. Friller Brinke gehören zur Schulgemeinde Frille. Die Schule tn Cammer
wurde 1837 errichtet.
Steinbergen war eine Besitzung des Edlen Mirabilis und durch
Schenkung an Minden gekommen (S. 82). Die erste Kirche hat
schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts bestanden. Das jetzige
Gotteshaus, eiu dreijochiger, kreuzförmiger Backsteinbau, ist 1889
vollendet worden. An der Nordseite des Turmes findet sich ein
romanischer Grabstein eingemauert, der dem ersten kirchlichen Ge-
bäude angehört haben wird.
Das Kirchspiel 'umsaßt außer dem Schulorte Steinbergen die
preußischen Schulorte Ahe und Engern, serner Arensburg, Buch-
holz, Papiermühle, Schlingmnhle, Blankhammer und aus dem
Kreise Grafschaft Schaumburg Brink-, See- und Neelhof.
Z e'm e n t m ü h l e. Die Zementmühle wurde 1845 von der Rentkammer
erbaut und war von 1846—1858 verpachtet. Vom Jahre 1859 ab ist sie aus
Mangel an geeignetem Fabrikationsmaterial längere Jahre unbenutzt gelassen,
sie diente dann von 1876—1904 als Försterwohnung, daraus als Waldarbeiter-
Wohnung und ist im Herbst 1907 auf Abbruch verkauft worden.
Papiermühle. Ihre Erbauung läßt sich aus den Kammerakten
nicht ersehen. Nachrichten über die Verpachtung finden sich schon aus dem Jahre
1679. Sie stand bis zum Jahre 1740 in Zeitpacht und wurde dann in Erbpacht
gegeben. Nach Ablösung des Erbpachtverhältnisses im Jahre 1877 ging die
Mühle in das freie Eigentum des damaligen Erbpächters Hausmann über. Sie
ist eine Getreidemühle (S. 40). Vordem wurde hier durch Handbetrieb (lang-
sam, teuer I) Papier hergestellt. — Das Papier fertigt man aus Stroh, Torf, Holz
und auch aus Dingen, die oft wenig beachtet werden (Lumpen). Diese Rohstoffe
werden heute mit großen Maschinen (schnell, billig!) sortiert, gewaschen und zu
einem Brei zerstampft. Man gewinnt alsdann feines und grobes, weißes und
buntes Papier in allen Formen und Größen. Das dickere Erzeugnis (Fabrikat)
heißt Pappe oder Karton. (Altere Schreibmaterialien : Metalltafeln, Steinplatten,
Wachstafeln, das aus Tierhäuten bereitete Pergament und die aus der Papyrus-
pflanze verfertigten Rollen u. a.).
S ch l i n g m ü h l e. Die Errichtung der Schlingmühle ist nach den
Kammerakten schon vor dem Jahre 1620 erfolgt. Sie ist im Jahre 1735 von
der Kammer in Erbpacht gegeben. Das Erbpachtverhältnis wurde im Jahre
1875 von dem Erbpächter Hillebrecht für alle Zeiten abgelöst. Säge- und Ge-
treidemühle. Seit dem Brande vom 9. März 1908 neu aufgebaut. Elektrische
Licht- und Kraftanlage.
— 118 —
Blank- oder Eisenhammer. Diese Wassermühle wurde in den
Jahren 1762/63 von dem derzeitigen Vorwerkspächter und Amtsverwalter Jo-
Hann Friedrich Bünte zur Arensburg auf herrschaftlichem Grund und Boden zum
Zwecke der Herstellung von „allerhand Eisenwaren" erbaut. Nachdem Ende des 18.
Jahrhunderts wegen der Rechtsverhältnisse dieser Fabrik noch ein Prozeß ge-
schwebt hatte, wurde der Blankhammer im Jahre 1801 von der Rentkammer an-
gekauft und bis zum Jahre 1803 auf eigene Rechnung verwaltet. Seit dieser
Zeit ist der Blankhammer ununterbrochen verpachtet gewesen. Der Eisenhammer
diente zur Zeit des Grasen Wilhelm auch als Waffenschmiede. Heute werden
dort noch verschiedene Blankschmiedewaren hergestellt, wie Sensen und Schaufeln.
Das Schloß Arensburg liegt auf einem einzelnen Bergkegel
(+ 130 m) der Weserbergkette. Der jetzige Bau stammt aus der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts. Urkundlich wird das Schloß „Arnsborch" zuerst 1396
genannt. Im 17. Jahrh. wird es mehrfach als Haus Arensburg bezeichnet;
es hat dem früheren Amte Arensburg den Namen gegeben. Die schön gelegene
Burg ist heute ein Lustschloß unseres Fürsten und wird wegen seiner herrlichen
Lage, seiner schönen Umgebung, seiner wohlgepflegten Anlagen, Gärten und
Wege von Fremden viel besucht, denen sich vom Burgturme aus eine prächtige
Aussicht bietet. Das Schloß euthält viele Kunstwerke, namentlich Gemälde
(Ahnen- und Fürstenbilder, besonders unsere Regenten und deren Gemahlinnen),
Humpen, Pokale, Krüge (>,Kurfürstenkrug"), einzelne Elfenbeinschnitzereien, wert-
volle Porzellansachen (darunter ein Kaffeeservice der unglücklichen Tochter Maria
Theresias, der Königin Maria Antoinette von Frankreich, die nebst ihrem Gemahl
Ludwig XVI. 1792 hingerichtet wurde), und Stickereien der Prinzessinnen des
Fürstlichen Hauses. So hat jede Prinzessin vor ihrer Vermählung einen Stuhl
selbst ausgestickt. Eine Anzahl solcher Stühle werden im sogen, blauen Saale
gezeigt. In diesem Saale sieht man u. a. das Bildnis des Fürsten Ernst und
daneben das vom Grafen Philipp Ernst und von dessen Gemahlin Juliane.
Zwei goldene Thronsessel sind Geschenke zum 50jähr. Regierungsjubiläum des
Fürsten Georg Wilhelm (8. Mai 1857), zwei andere Sessel erinnern an die
silberne Hochzeit des Fürsten Adolf Georg (25. Okt 1869). Vor allem findet der
Besucher zahlreiche Werke der berühmtesten Maler (Rubens: Kirchenväter, Rem-
brandt, Kranach, Holbein, Dürer, van Dyck). — In der Nähe des Schlosses
liegen mehrere Teiche, von denen einer mit Gold- und Silbersischen besetzt ist.
Die Teiche sind im Volksmunde unter dem Namen Hexenteiche bekannt.
Sie erinnern uns an den finstern Aberglauben früherer Zeiten. Hier mußten
die der Hexerei Angeklagten die Wafserprobe bestehen, d. h. gingen sie unter, so
waren sie unschuldig, schwammen sie aber oben, so wurden sie sür schuldig be-
funden und in der Nähe verbrannt. Das Obernkirchener Kirchenbuch berichtet:
„1659 den 11. November ist der Anfang gemacht mit dem Brennen der Hexen
zur Arensburg, und sind 20 Personen aus Obernkirchen gerichtet worden". Noch
1726 soll eine Jungfrau in Rinteln als Hexe verurteilt feiu. Andere Schau-
Plätze von Hexenprozessen waren bei uns Großenwieden, Welsede, Obernkirchen
und vor der Schaumburg. (Der Hexen glaub e herrschte vom 13. bis in den
Anfang des 18. Jahrhunderts, aber nicht vom Christentum, sondern von alten
Resten des Heidentums verschuldet. Er lebte besouders während des 30jährigen
Krieges wieder auf.) -— Ein Teich unterhalb der Arensburg, an der Straße von
Bückeburg nach Buchholz gelegeu, heißt der Johannisteich. Der Volks-
mund sagt, daß es einen schönen, trockenen Sommer gibt, wenn dieser Teich am
Johannistage (24. Juni) leer ist, andernfalls aber einen nassen.
Aufg.: Wie ist die geringere Besiedelung des W unserer Heimat im
Vergleich mit dem O zu erklären ? — Wie kommt es, daß wir
hier unsere ältesten Dörfer treffen ? — Wie unterscheiden sie
sich von den jüngeren Siedelungen ? — Vgl. auch die Aufg. auf
den Seiten 84 und 93!
3. Vückeburg.
Ortskunde. Bückeburg ist die Residenzstadt des Fürstentums
Schanmburg-Lippe. Es liegt im sw Teile unserer Heimat am Fuße
des prachtvoll bewaldeten Harrls. Der ö Stadtteil hat eine be-
deutend höhere Lage als der w. Der niedrigste Punkt der Stadt
ist das Residenzschloß (60 m). Die Stadt hat etwa 650 Wohn-
Häuser und rund 6000 Einwohner. Die Gemarkung nimmt einen
Flächenraum von 411 ha ein. Im Sommer ist der Ort mit seiner
herrlichen Umgebung das Ziel vieler Wanderer.
Die Stadt hat breite und meist gut gepflasterte Straßen.
Die bedeutenderen Verkehrsstraßen sind Bahnhos-, Lange-, Schul-
straße, Herminenweg und Georgstraße. Manche haben schöne Fuß-
steige von Beton (Steinmörtel). Einige sind mit Alleen geschmückt.
An den Straßen liegen viele schmucke Häuser. Die schönsten Ge-
bände (Villen) trifft man am Harrl.
An der Westseite der Stadt fließt der Schloßbach. Er
speist einig Teiche in der Nähe des Schlosses auf der sog. Hof-
wiese und die Schloßgracht. Die Teiche sind herrschaftlich. In
ihnen werden die bekannten Bückeburger Lederkarpfen gezüchtet.
Auch ist hier eine Karpfenbrutanstalt angelegt. In dieser gewinnt
man von 5 bis 8 Jahre alten Karpfen den Laich zur Aufzucht.
Ju 3 Jahren erreicht der Karpfen ein Gewicht von 2 bis 3 Pfund.
Der Karpfenzucht dienen in der Nähe noch einige Teiche auf dem
sog. Rehrselde, w von Scheie. Die Karpfenteiche auf der Hofwiese
und dem Rehrfelde nehmen eine Fläche von insgesamt 30 ha ein
und liefern hohe Erträge (vgl. Schaumbnrger Wald!).
Das städtische Wasserwerk leitet vom Harrl und hauptsächlich
von der Selliendorfer Quelle das nötige Wasser her. Die Gas-
anstalt liefert Belenchtnngs-, Koch- und Motorgas. Für die Herr-
schaftlichen Gebäude ist eiue besondere elektrische Anlage hergestellt.
(Über Wasserwerk und Gasanstalt s. S. 128!).
Mit der Stadt eng verbunden ist das Dorf Jetenbnrg. Es
hat eine alte Kirche, die heute unbenutzt ist. Der Sage nach gehört
diese Kirche zu jenen sieben Gotteshäusern unserer Heimat, die eine
120 —
Gräfin von Hns Aren bei Petzen erbaut haben soll (s. Sage 1!).
Die Sage von der Erbauung der sieben Kirchen, nämlich der zn
Petzen, Jetenburg, Meinsen, Vehlen, Sülbeck, Meerbeck und Kirch-
horsten, wird iu der Chronik der Bischöfe von Minden von Hermann
von Lerbeke berichtet. Urkundlich wird die Jetenburger Kirche zuerst
1153 erwähnt. Ihre Gründerin ist sehr wahrscheinlich eine edle
Frau mit Namen Wicburga, die in Jetenburg Besitzungen hatte;
sie war die Gemahlin des Edlen Mirabilis auf dem Bruchhofe bei
Stadthagen (S. 82). Einige Baureste lassen auf eine romanische
Anlage des ersten Gotteshauses schließen, während das jetzige Ge-
bäude, das in seinem reichen Epheuschmuck so überaus malerisch
daliegt, der spätgotischen Zeit angehört. Die Kirche wurde in den
Jahren 1570—1573 wesentlich erneuert, ebenso 1861 durch die
Fürstin Ida und zuletzt im Sommer 1908. Bis zum Jahre 1615
war diese Dorfkirche zugleich Stadtkirche. Auch gingen die Kinder
aus der Stadt nach Jetenburg zur Schule. Die Jetenburger Schule
soll die erste Dorfschule unseres Landes gewesen sein. Heute ist
dieses frühere Kirchdorf nach der Stadt eingepsarrt. Die Kinder
gehören nach Scheie zur Schule. Außer Jetenburg und Scheie (mit
dem Rethof) gehören noch das herrschaftliche Gut Maschvorwerk uud
die Harrlkolouien zum Kirchspiel Bückeburg.
Neben der Jetenburger Mrche liegt der alte Friedhof der
lutherischen und katholischen Gemeinde. Der neue Friedhof ist Ende
der 1880er Jahre an der Scheier Straße angelegt. Der Friedhof
der reformierten Gemeinde befindet sich bei dem Gute Masch-
Vorwerk. Der israelitische Friedhof liegt am Harrl.
Ein anderes Dorf nahe der Stadt ist Bergdorf. Hier besitzt
Se. Hochf. Durchl. Prinz Hermann zu Schaumburg-Lippe einen
ausgedehnten Geflügelpark und Obstgarten. Diese Anlagen
dienen zur Förderung der Geflügel- und Obstbaumzucht.
An Stelle der jetzigen Stadt hat vor mehr als 800 Jahren
die Dorfschaft Sntherem (die Sössen) gelegen. (Zutkerem von
suthar = südwärts und heim — heim, feste Ansiedelung, im
Gegensatz zu einem jenseits der Gaugrenze an dieser im Weser-
tale zwischen Todenmann und Rinteln belegen gewesenen wüsten
Orte Northeim.) Dieses Dorf bestand aus einem Vorwerke des
Edlen Mirabilis, einer Mühle (beim Mindener Tor?) und vier
Unterhöfen. Au diese Siedeluug grenzte ein bischöflicher Hof mit
Unterhöfen in Knatensen. Als Grenze beider Gebiete nimmt man
— 121 —
die Trompeterstraße an. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts (1304)
wird das Schloß Bückeburg erwähnt, um das sich später die
Stadt entwickelte. Veranlassung zur Anlage dieser Burg waren
jedenfalls häufige Fehden der Grafen von Schaumburg mit den
Bischöfen von Minden um die Burg Aruheim (Hus Areu bei
Petzen); letztere wurde schließlich geschleift und durfte nicht wieder-
aufgebaut werden. Die befestigte Burganlage erhielt schnell die-
selbe Bedeutung, welche einst „die Bückeburg" bei Oberukircheu
idas castrum Buckeburg) als Schutzstätte für den Bnkkigau er-
langt hatte. Sehr bald wird sich darum dieser Name auf die
Neugründung übertragen haben, während für jene ältere Siedeluug
zur Unterscheidung die Bezeichnung „Alte Bückeburg" üblich wurde
(S. 82).
Die Bückeburg (= Burg des Gaues Bukki) ist eine Gründung
der Schaumburger, wahrscheinlich auf ursprünglich Arnheimschen
Grund und Bodeu. Das neue Schloß wurde mit Teichen, Wällen
und Gräben umgeben. In der Nähe ließen sich bald Leute nieder.
Die erste Ansiedluug vermutet man an der Trompeterstraße.
Sichere Nachrichten über die Entstehung des Schlosses uud der
Stadt fehlen.
Im Jahre 1365 wird Bückeburg als Flecken erwähnt. 'Zu
dieser Zeit entstanden um das Schloß vier große Burgmannshöfe.
Ihre einstige Lage bezeichnen wahrscheinlich das jetzige Museums-
gebäude an der Langenstraße, das Altersheim an der Peter-
silienstraße und die Dr. Wittesche Besitzung an der Trompeter-
straße, während der vierte vielleicht an Stelle der heutigen Stadt-
kirche gewesen sein wird. Der Flecken erhielt dadurch eine be-
deutende Erweiterung. Bereits 1458 werden Bürgermeister und
Rat der „Stadt" Bückeburg genannt. Der Flecken war also zur
Stadt herangewachsen.
Der wesentliche Ausbau des Ortes zur Stadt erfolgte jedoch
erst im Anfange des 17. Jahrh. unter Fürst Ernst. Dieser ist
als der eigentliche Gründer der Stadt anzusehen. Unter ihm
entstanden Neue- und Sackstraße, auch ein Teil der jetzigen Bahn-
Hofstraße vor dem Schloßtor. Er selbst ließ verschiedene große
Bauten ausführen, auch den Umbau des alten Schlosses. Von ihm
sind n. a. erbaut das frühere Rathaus, das Landgerichtsgebäude, der
Marstall, das Reithaus, die Bürger-Knabenschule und die lutherische
Stadtkirche. Die Stadt befestigte er durch innere uud äußere
Wallanlagen mit davorliegenden Gräben. Um die Mitte des
18. Jahrh. sind unter dem Grafen Wilhelm Schloß- und Stadt-
befestiguugen erneuert worden. Die früheren Wälle und Tore
der Stadt sind im vorigen Jahrh. verschwunden. Ein Rest der
Wallanlagen ist in der Nähe der katholischen Kirche noch deutlich
— 122 —
zu erkennen. Das Schloß dient seit dein Anfange des 17. Jahrh.
als ständiger Wohnsitz der Landesherren.
Die Stadt mußte während des 30jährigen Krieges unter Brand-
schatzuugeu, Plünderungen und Besatzungen schwer leiden. Sie
wurde 1633 zweimal von deu Kaiserlichen geplündert, am schwersten
aber wurde sie 1636 heimgesucht. Viele Einwohner flüchteten aus
Maugel an Obdach und Nahrungsmitteln. Der Ausbruch einer
verheerenden Pest mehrte noch das Elend. Von diesen Heim-
suchungen hat sich die Stadt nur langsam erholen können. Erst
in den letzten beiden Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts
ist sie bedeutend erweitert worden dnrch prächtige Neubauten und
Anlage neuer Straßen.
Die Huteberechtiguug der Stadt wurde bis Eude der 1860er
Jahre ausgeübt. Ein Kuh- uud zwei Schweinehirten trieben das
Vieh aus, zuletzt jedoch nur ein Hirt. Berechtigt waren nur die
Bürger, die Nichtbürger mußten Weidegeld bezahlen (1,50 M);
für eine Kuh mußte jeder Nichtbürger 3 M entrichten. Gemein-
schaftliche Weide gab es nur vor dem Mindener und dem Neuen
Tore. Vor dem Mindener Tore weidete das Vieh auf dem
Rehrfelde (Bürgerdammstraße) bis zur fogeu. Amtmannschen
Brücke und auf dem als Bärenteich bezeichneten Felde im SW
der Stadt, unterhalb Wülpke hin bis Nammen und zum Sand-
fnrt. Auf der letztereu Weidefläche hatte auch Wülpke Huterecht.
Vor dem Neuen Tore reichte die Hute bis zur sogen. Söpstraße
oberhalb der Hofwiesen.
Unter den Gebäuden der Stadt sind am bemerkenswertesten
das Residenzschloß mit seinen Nebenbauteu, das Schloß am
Harrl (Palais der Fürstin-Mntter), die lutherische Stadtkirche
und das neue Rathaus.
Der Schloßpark liegt im sw Teile der Stadl. Der Zugang von der
Bahnhofstraße führt durch das S ch l o ß t o r. Dieses malerische Bauwerk mit
dem Namen des Fürsten Ernst besteht aus einem Durchfahrtsbogen, der an den
Seiten von Kugeln und Spitzsäulen (Pyramiden) überragt wird. Als Schmuck
trägt der Torbogen eine Herkulesfigur zwischen zwei seitlich emporkriechenden
Drachen. (Griechische Heldensage.)- An der Westseite des Tores liegt das türm-
artig erbaute Kammerkassen- und an der Ostseite das Kammergebäude. Letzteres
hat an der Straßenseite vier Rundbogen, durch welche man in einen offenen
Raum tritt, der als Markthalle dient und das Gewölbe genannt wird.
Der Weg zum Schlosse führt am Reithause (rechts) und am Marstalle
(links) entlang." Wir betreten die Schloßbrücke und überschreiten den breiten
Schloßgraben mit seinen kräftigen Karpfen. Vor uns liegt der Schloßplatz.
Außer den gärtnerischen Anlagen erregen hier zwei herrliche Bronzegruppen vou
Adrian de Vries unsere Bewunderung. Es sind Darstellungen aus der griechischen
Göttersage. Die eine Gruppe stellt Diana mit Aktäon dar (Diana liegend, Ak-
täon mit Horn und Speer, zu ihren Füßen ein Hund), die andere den Raub der
Proserpinn (Pluto trägt die Proserpina, Hermes in kleiner Ausführung klammert
— 123 —
sich an sein linkes Bein). Der Schloßplatz wird halbkreisförmig von prächtigen Sand-
steinbauten eingeschlossen. In diesen Gebäuden befinden sich auch die Dienst-
räume der Hofverwaltung, die Hosbibliothek und die Schloßwache.
Das R e f i d e n z f ch l o tz bildet vier ungleich lange Flügel, die in der
Mitte einen unregelmäßig viereckigen Hofraum einschließen. Spuren der ersten
Schloßanlagen sind nach den verschiedenen Erneuerungsbauten nicht mehr vor-
handen. Gründliche Umbauten erfolgten zu Anfang des 16. und 17. Jahr-
Hunderts. Der Ostflügel wurde nnter Albrecht Wolfgang neu erbaut, nachdem er
durch Brand 1732 zerstört war. Der letzte größere Um- und Neubau erfolgte
in den 1890er Jahren unter unserem jetzigen Landesherrn.
Im Schlosse werden wertvolle Sammlungen alter Gemälde aufbewahrt.
Besonders sehenswert ist der goldene Saal mit seiner kunstreichen Tür und der
neue Saal.
Vom inneren Hofraum gelangt man in die herrliche Schloßkirche.
Sie ist das Gotteshaus der reformierten Gemeinde. Wahrscheinlich diente sie
schon im Mittelalter als Schloßkapelle. Das Innere wurde vom Fürsten Ernst
aufs prachtvollste ausgeschmückt. Im Jahre 1886 wurde sie vom Fürsten Adolf
Georg neu hergestellt. Ihre kunstvollen Holzarbeiten, prächtigen Wand- und
Deckenmalereien, lieblichen Wandverzierungen, Engelsfiguren usw. machen sie zu
einem wahren Schmuckstück. An der Ostwand befinden sich Orgel, Kanzel und
Altar. An der Kanzel ist nach vorn die Anbetung der Könige und an den
Seiten die Verkündigung und die Kreuzigung erhaben dargestellt (Relief). Der
Altar besteht aus einer Platte, die von zwei knienden, fackeltragenden Engeln
gehalten wird. An der Gegenwand stellt ein Gemälde die Auferstehung und
das Weltgericht dar. Neben diesem Gemälde sieht man als Reliefdarstellungen
die Auferweckung des Lazarus und die der Toten.
Zum Schloß gehört ein herrlicher Park, der S ch l o tz g a r t e n, dessen
Anlagen jedermann offen stehen. Hier befindet sich ein schlichtes Mausoleum.
Darin sind vorläufig die im zartesten Kindesalter verschiedenen fürstlichen
Kinder Prinz Wilhelm (f 1886 in Stadthagen) und Prinzessin Margarete
(f 1897 in Bückeburg) beigesetzt. Diese war die erste Tochter unseres Durch-
lauchtigsten Fürstenpaares.
Das Schloß der Fürstin-Mutter am Harrl wurde 1893—1896
von dem Architekten Herrn. Schaedtler in Hannover erbaut. Es bildet ein lang-
gestrecktes Rechteck. Seine Länge beträgt 55 m, seine Breite 32 m. Der große
Turm an der Nordwestecke hat eine Höhe von 56 m, der an der Südostecke von
41 m. Die Auffahrt befindet sich am Herminenwege. Die mit Bildhauerarbeiten
versehenen Eingänge (Portale), Erker und Giebel, die verschiedenen Türme und
mancherlei Vorbauten geben dem Gebäude eine reiche Gliederung. Der Erbauer
hat nach herrlichen Vorbildern deutscher Baukunst in Niedersachsen aus der Mitte
des 16. Jahrhunderts gearbeitet (deutsche Renaissance). Solche Vorbilder finden
sich u. a. iu unserer Nähe in Hameln, Rinteln und Varenholz. Die am feinsten
ge-gliederten Werksteine und die Hauptträger sind aus dem vorzüglichen Sandstein
des Bückeberges hergestellt. Das Schloß ist mit herrlichen Parkanlagen um-
geben und bildet eine Zierde der Stadt. Vordem lag hier eine Ziegelei und
eine größere Fläche Ackerland.
Die lu t h e r i s ch e S t a d t k i r ch e liegt im oberen Stadtteil. Sie ist
ein Meisterstück deutscher Baukunst (als gotische Hallenkirche dreischisfig angelegt
mit reicher Renaissancedekoration im Innern). Nach der Inschrift sollte hier frei-
lich der Baukunst kein Denkmal gesetzt werden. Die Inschrift lautet: Lxemplum
Religionis Non Structurae. Das heißt: Ein Denkmal der Frömmigkeit, nicht
der Baukunst. Dennoch hat hier die Baukunst ein großartiges Denkmal erhalten.
Den Namen des Bauherrn ergeben die vergoldeten Anfangsbuchstaben jener
— 124 —
Inschrift, Es ist der kunstsinnige Fürst Ernst, der unserer Heiinat so manches Kunst-
werk geschenkt hat. Nach der Jahreszahl über dem Haupteingange begann der
Bau 1613. Die Einweihung erfolgte zwei Jahre später. — Einzig in ihrer Art
ist die reich verzierte Vorderseite dieses Gotteshauses. Sie ist der Wetterseite und
damit den durch die Porta daherziehenden Regengüssen zugekehrt. Deunoch ist sie
nach fast drei Jahrhunderten wohl erhalten. Blumeuartige Verzierungen.
Muscheln, Kugeln und Spitzsäulen bedecken in mannigfacher, gefälliger Aus-
sührung ihre weite Fläche. Solchen Schmuck zeigen namentlich die vier hervor-
tretenden Hauptpfeiler und die beiden Pfeiler neben der Uhr. Besonders kunstvoll
und schmuckreich ausgeführt ist die Krönung über dem rundbogigen Hauptein-
gange. Hier ist das Fürstenwappen mit der Krone darüber dargestellt. Das
Wappen wird von zwei kleinen Kindergestalten getragen. Zwei große Engels-
ftguren halten in der einen Hand die Krone, in der andern einen Palmenzweig.
Reich verziert ist auch die Fläche mit dem Zifferblatt. Zwei Flügel an den
oberen Seiten des Zifferblattes wollen den Flug der Zeit andeuten. Merkwürdig
sind die Seitenstücke über den beiden hohen Bogenfenstern. Hier zeigen sich in
schmuckvoller Umrahmung zwei kreisrunde, leere Flächen wie große Augen.
Jedenfalls hat man ursprünglich irgend eine Füllung dieser leeren Flächen ge-
plant, die jedoch nicht zur Ausführung gekommen ist. Als Bekrönung der Kirche
dient ein steinernes Geländer für einen Umgang. Den Abschluß bildet ein von
einem Kreuze überragter Aufbau, in dem eine Glocke hängt. Ein Turm fehlt
dem stattlichen Gotteshause, dessen Westseite anfänglich dazu bestimmt gewesen
sein soll. Trotzdem ragt es über die Häuser der Stadt hoch hinaus. — Be-
sonders sehenswert ist das Innere dieser dreischisfigen Hallenkirche. Starke,
schlanke Säulen streben in die Höhe. Dazwischen erhebt sich an der Hinterwand
über dem Altar eine mächtige Orgel in prachtvoller Ausschmückung. Dieses sel-
tene und berühmte Kunstwerk hat Fürst Ernst in Italien für 18 000 Taler her-
stellen lassen. Der Orgelwand gegenüber befindet sich die Fürstenprieche. Sie
wurde von unserm jetzigen Fürsten mit seiner Holzarbeit und starker Vergol-
dung ausgestattet. Neu ist auch der Altarschmuck. Die reiche Goldstickerei an
der Vorderseite wurde von unserer jetzigen Fürstin gespendet. Der Altarteppich
ist eine teilweise selbstgefertigte Stickerei der verstorbenen Prinzessin Ida zu
Schaumburg-Lippe. Von tiefergreifender Wirkung ist das Altargemälde, das den
Erlöser am Kreuze darstellt; es wurde von dem verewigten Fürsten Adolf Ge-
org gestiftet (aus Anlaß der silbernen Hochzeitsfeier 1869). Die Fürstin-Mutter
Hermine schenkte 1876 die beiden bunten Fenster seitlich der Orgel. Seitdem
wurden sämtliche Fenster in schöner Glasmalerei mit den Apostelgestalten herge-
stellt (nach Entwürfen von Prof. Andreas Müller in Düsseldorf). Die Nordseite
zeigt außer einem älteren Weihnachtsbilde die trefflichen Bilder Luthers und
Melanchthons. Ein Kunstwerk ist wiederum die reichvergoldete Kanzel. Sie
selbst und der Schalldeckel darüber hängen freischwebend an einem der prächtigen
Pfeiler. Die Kanzelfülluugen sind mit feinsten Holzschnitzereien geziert, welche
das Leben Jesu darstellen. Als hervorragendes Kunstwerk gilt noch das
bronzene Taufbecken. Es wurde 1615 von dem Meister Adrian de Vries herge-
stellt. Als Schmuck dient eine reiche biblische Darstellung. Das eigentliche
Becken wird von zwei Engeln getragen. Diese sitzen Rücken an Rücken auf einer
Kugel. Am oberen Rande des Beckens sind die vier Paradiesesströme als Fluß-
götter dargestellt. Den Deckel schmückt die Figur des Erlösers, der vonJohannes
getanst wird. Darüber schwebt eine Taube als Sinnbild des heiligen Geistes.
Außer diesen prächtigen Bauten sind verschiedene öffent-
liche Gebäude ?zu erwähnen. Am Herminenwege liegt das Ver-
waltnngsgebände unserer obersten Landesbehörde, das Mini-
sterialgebände. In einen: Saale dieses Gebäudes versammeln
sich alljährlich die Vertreter unseres Landes zur Mitwirkung bei der
— 125 —
Gesetzgebung (Landtagsabgeordnete, Landtag). Das neue Rathaus
au der Bahnhofstraße ist der Sitz der städtischen Verwaltung
(Magistrat). Die Grundsteinlegung erfolgte am 30. Mai 1905, die
Einweihungsfeier am 8. Oktober 1906. Der großartige Neubau
hat seine Hauptfassade uach der Bahnhofstraße gxt erhalten und ist
im Stil niedersächsischer Renaissance gehalten. Als Baumaterial
dienten hauptsächlich Sandsteine aus dem Bückeberge und dem
Süutel. Die gesamten Baukosten betrugen etwa 700000 Mk. Ein Teil
des Rathauses dieut als Ratskeller dem Wirtschaftsbetriebe. In den
Rathaussälen werden größere Versammlungen, Festlichkeiten, Konzerte,
Theater usw. abgehalten. Der freie Platz zwischen Rathaus uud
Schloßtor heißt Marktplatz. Er dient zur Abhaltung der Wochen-
märkte. Für die Jahr- und Viehmärkte ist eiu geräumiger Platz
an der Nordseite der Stadt augelegt (der Viehmarktplatz, der
0,6680 ha groß ist. Lies diese Zahl als a und qm! Berechne die
Breite, wenn die Länge 117 m beträgt!) Dem Rathause gegen-
über liegt das Landgerichtsgebäude mit den Räumen für das
Amtsgericht des Kreises Bückeburg. Früher waren hier auch die
Diensträume des Landratsamtes Bückeburg. Heute sind für diese
Behörde die nötigen Räume an der Bahnhofstraße gemietet, doch ist
ein eigener Bau gePlaut. Neben dem Rathause liegt zurück im
Garten das srühere ^Fürstliche Bibliotheksgebäude; heute dient es
als Verwaltungsgebäude unserer obersten Kirchenbehörde, des Kon-
sistoriums.
Verschiedene Lehranstalten sorgen sür die Heranbildung
der Jugend. Von besonderer Bedeutung ist das Gymnasium Adol-
fiuum. Es ist die einzige staatliche höhere Lehranstalt unseres Lau-
des. Mit dem Gymnasium ist ein Realgymnasium (Vollanstalt
erst seit 1904) und ein Seminar sür Volksschullehrer verbunden.
Unter dem Schutze (Protektorat) Ihrer Hoheit der Fürstin steht eine
höhere Töchterschule. Außerdem werdeu zwei Bürgerschulen für
Knaben und Mädchen, eine katholische Volksschule und eine Fort-
bildnngsschule unterhalten. Die Kleinkinderschule ist eine Stiftung
der Fürftin-Mutter, uuter deren Protektorat auch die Ostern 1909
aufgehobene Erwerbschule stand, eine schulgeldfreie Volksschulober-
klasse sür etwa 34 Mädchen.
— 126 —
1861
1865
1870
Die Ausgaben der Stadtkasse betrugen
nach der Kämmereirechnung: nach der Straßenbaurechnnng.
2 940 Rtl. 1 Sgr. 4 ^ ............... 759 Rtl.
3 725 „ 23 „ 4 ................ 700
4 189 „ 27 10 „ .............. 1180
1875............. 27 616,50 M
1880.............. 32 340,20 „
1885.............. 40 637,72 „
1890.............. 53 843,50 „
1895............. 55 861,50 „
1900............ 90142,50 „
1905..............158 122,57 „
1908..............159 312,49 „
Außerdem werden seit 1899/1900 besondere Rechnungen geführt, die in
Einnahme und Ausgabe folgende Posten aufweisen:
Gasanstalt:
1899. .37 928,86 M
1900. .44 807,46 „
1901. .55 676,86 „
1902. .51 214,36 „
1905. .62 966,83 „
1908. .88 921,86 „
Wasserwerk: Magazin u. Werkstatt.
9 743,11 M ............ 8 350,00 M
9 423,11
9 755,11
9 813,11
15 150,45
20 272,95
8 950,00
12 100,00
13 150,00
13 563,81
27 123.81
Das Gymnasium Adolfinum wurde 1874—1876 erbaut. Früher war
das Gymnasium in der Knabenvolksschule an der Schulstraße untergebracht.
Beide Schulen waren bis um die Mitte des vorigen Jahrh. (1852) vereint.
Erst damals erhielt das Gymnasium durch Errichtung der Quinta eine selb-
ständige Verfassung. Die gemeinsame Schule ist eine Gründung des Fürsten
Ernst (zwischen 1611 und 1615). Der Sage nach soll das alte Schulhaus an
der Schulstraße aus den Bruchsteinen erbaut sein, die ursprünglich zur Auf-
führung eines Turmes an der Stadtkirche bestimmt waren. Laut Inschrift er-
folgte uuter dem Grafen Albrecht Wolfgang 1733 ein gründlicher Umbau.
Das Seminar wurde am 1. Sept. 1783 ^von dem Grafen Philipp Ernst
begründet. Als Seminaristen werden diejenigen Zöglinge aufgenommen, welche
die Reife für Realprima erlangt haben.
In der Kind er schule (Kleinkinderbewahranstalt) werden Kinder unter
6 Jahren tagsüber verpflegt nnd zu kindlicher Beschäftigung angehalten.
Außer der schon genannten reformierten Schloßkirche und der
lutherischen Stadtkirche sind noch einige Gotteshäuser vorhanden.
An der Herderstraße (Herder!) befindet sich die katholische Kirche.
Sie wurde 1865 0ou Heutze in Osnabrück erbaut. Der einschiffige,
rote Backsteinbau (gotisch) hat einen quadratischen Turm mit acht-
seitiger Spitze. An der Bahnhofstraße sind noch die Kapelle der
freien evangelischen und der Tempel (die Synagoge) der jüdischen
Gemeinde zu erwähnen.
Dem Verkehr dienen der Bahnhof, das Kaiserliche Post-
amt I und das Zollamt I. Den Geldverkehr vermitteln außer der
Post die Niedersächsische Bank (Filiale der Dresdner Bank), die
städtische Sparkasse (S. 62) und einige Privatbanken. — Uber
Bahnhos, Post, Zollamt und Bank vgl. S. 56 und 102! Vergl.
auch die Verkehrstabelle S. 161!
Zollamt. Die Gesamteinnahmen betragen hier nach dem Durchschnitt
der letzten fünf Jahre 133 300 M. Davon kommen auf Eingangszoll 53 170 M,
auf Branntweinsteuer 68 210 M, auf Brausteuer 7 620 M, auf Reichsstempel-
steuer 3 990 M und auf Erbschaftssteuer 310 M. Zum Bezirke gehören der
Kreis Bückeburg (mit Ausnahme von Frille, das dem Zollamte in Minden zu-
geteilt ist) und" die Stadt Obernkirchen. In diesem Verwaltungsgebiete liegen
3 Brauereien (2 in Bückeburg, 1 in Obernkirchen) und 1 Brennerei (Petzen.)
Vor dem Bahnhof steht ein Kriegerdenkmal. Auf einem Unterbau
erhebt sich eine aus Stein gehauene Frauengestalt mit einem Lorbeerkranz. Es
stellt die Germania dar, das Sinnbild des deutschen Vaterlandes. Der Lorbeer-
kränz ist ein Ehrenzeichen sür die ruhmreichen Sieger. Das Denkmal wurde zu
Ehren der 1870/71 gefallenen Bückeburger Krieger errichtet, deren Namen hier
verzeichnet sind. Alljährlich am Sedantage wird das Denkmal mit Kränzen
geschmückt.
Die Stadt hat auch Verschiedeue gemeinnützige Anstalten
und Einrichtungen. Der Wohltätigkeitspslege dienen das
Krankenhaus Bethel, das reformierte Waiselchaus, das Altersheim,
die Georg-Marieu-Kriegerstistung, das Armenhaus und die Herberge.
Zur Hebung und Pflege der Gesundheit ist die Stadt mit Wasser-
leitnng und Kanalisation versehen; auch sind zwei Apotheken und
eine Badeanstalt vorhanden. Der Sicherheitsdienst ist der Stadt-
Polizei übertragen. Zwei Feuerwehren versehen den Feuerlöschdienst.
Eine wichtige Einnahmequelle sür die Stadt ist die städtische
Gasanstalt.
Das Krankenhaus Bethel in Bückeburg ist eine Stiftung von
Luise v. Vincke, Tochter des preußischen Oberpräsidenten v. Vincke, die hier mit
ihrer verwitweten Mutter und ihren drei Schwestern lebte, bis die Familie 1864
nach Montreux verzog. Im Oktober 1858 wurden zwei Gärten angekauft, am
15. Jan. 1860 erfolgte die Einweihung des Krankenhauses, dessen 50 jähriges
Bestehen im Januar 1910 gefeiert wurde.
Das reformierte Waisenhaus wurde am 23. April 1670 von dem
Grafen Philipp mit einer Schenkung von 45 000 AI gestiftet. Das gegen-
wärtige Vermögen einschl. Liegenschaften beträgt ruud 250 000 M. Im Jahre
1908 wurden 38 Pfleglinge (3 Voll- und 35 Halbwaisen) unterstützt.
Das Altersheim ist aus einer Stiftung hervorgegangen, die am
16. April 1907 aus Anlaß der silbernen Hochzeit unseres jetzt regierenden Fürsten-
Paares begründet wurde. Das Land, vertreten durch den Landtag, überreichte
an diesem Tage dem hohen Jubelpaare die Summe von 50 000 M für Wohl-
fahrtszwecke, Fürst Georg erhöhte diesen Betrag auf 100 000 M und bestimmte
das gesamte Kapital zur Errichtung eines Altersheims. Es wurde nun der
sogen. Luugershauseusche Hof an der Petersilienstraße angekauft und entsprechend
eingerichtet. Am 1. September 1908 konnte diese segensreiche Heimstätte
— 128 —
eröffnet werden. Das Altersheim soll betagten, körperlich oder geistig schwachen
Bewohnern des Fürstentums eine Zufluchtsstätte für einen sorgenfreien Lebens-
abend bieten.
Die Georg-Marien-Krieger stistuug ist gleichfalls eine Gründung
aus Anlaß der silbernen Hochzeitsfeier unseres Fürstenpaares. Das Vermögen
beträgt 6 000 M und ist zur einen Hülste aufgebracht durch Sammlungen in den
Kriegervereinen des Landes, zur anderen Hälfte vom Fürsten geschenkt worden.
Die Zinsen werden alljährlich am 16. April an hilfsbedürftige Mitglieder der
Kriegervereine oder deren Witwen nnd Waisen verteilt.
Wasserwerk. Der Sammelbehälter des Wasserwerks liegt am Nordwest-
abHange des Harrls. Der Zufluß zu demselben genügt im Winter nnd im
Frühjahr; in trockener Jahreszeit muß jedoch aus einem in der Selliendorfer
Gemarkung angelegten Brunnen Wasser hinzugepumpt werden. Der Antrieb der
Pumpen geschieht durch Gasmotors. Das Wasser fließt in einem Hauptrohr der
Stadt zu. Zahlreiche Nebenleitungen zweigen sich von dem Hanptrohre au
Straßenkreuzungen ab. Durch Ausdreheu eines Hahnes kann man das Wasser
in den Häusern und an verschiedenen Straßenpfosten entnehmen. Auf den
Straßen sind außerdem Vorrichtungen angebracht zum Anschrauben vou Spritzen-
schläuchen bei Feuersgesahr (Hydranten). Die Hydranten sind am nächsten Hause
>nit einein H gekennzeichnet. Die obere Zahl bezeichnet die Durchgangsweite
des Rohres (80 mm), die untere die Entfernung vom Hause (2,50 m)
und die seitliche die Ensernung zur Seite (0,40 m). Schieber zum
Abstellen des Wassers kennzeichnet lj n ein S. — Der Wasserverbrauch
ist auf den Wasseruhren zu er- ' sehen. Ein cbm Wasser kostet
20 gemeinnützige Anstalten 2,50 (Krankenhaus, Badeanstalt) zahlen
10 . — Die Länge des Haupt- rohres vom Behälter bis zum
Bahnhof beträgt 2 500 m, die Gesamtlänge des Rohrnetzes 13 271 m. Das
Wasserwerk wurde 1896 angelegt und hat 160 000 M gekostet.
Die Kanalisation ist 1894 bis 1896 ausgeführt; einige Ergänzungs-
kanäle sind später (bis 1902) gebaut.
Gasanstalt. Vgl. S. 103! — Im Jahre 1908 wurden für die Be-
leuchtung der Stadt und 526 Anschlüsse 454947 cbm Gas gewonnen. Davon
entfallen unter Abrechnung des Verlustes 263075 cbm aus Leuchtgas uud 156961
cbm auf Koch- und Motorgas. Der Verlust beträgt demnach 34911 cbm. Ein
cbm Leuchtgas kostet 15 bis 18 -H, 1 cbm Jndustriegas 12 bis 14 — Erzeugt
wurden an Koks 915000 KZ, an Teer 70930 KZ, an Ammoniakwasser 93000 KZ.
Etwa 264000 KZ Koks gebraucht das Werk zur Unterfeuerung der Ofen, der Rest
wird im Orte verkauft oder durch das Syndikat der Gaswerke in Köln über-
nommen. Der Teer wird im Orte und durch das Syndikat abgefetzt. Das
Ammoniakwasser erhält das Gesamtbergamt Obernkirchen. — Der Gesamtverkauf
an Gas beträgt 64500 M. Davon zahlt die Königl. Eisenbahn 2700 M, das
Kaiserl. Postamt 600 M und die Privatabnehmer 48689,40 M. Die Straßen-
beleuchtung der Stadt kostete 9618,60 M. Der Selbstverbrauch stellte sich auf
2892 M. Aus dem Verkauf von Teer, Koks, Ammoniakwasser und sonstigen
Nebenprodukten sind 16300 M erzielt. — Die Läuge des Rohrnetzes beträgt
18260 m. (Vergleiche!) Die Straßenlaternen werden teils durch Wärter bedient,
teils vom Werke aus durch hydraulische Fernzündung, indem durch Zu- und Ab-
nahme des Gasdrucks der Zugaugskaual des Gases zum Brenner geöffnet bezw.
geschlossen wird. — Verbraucht werden jährlich etwa 140 Doppelladnngen West-
sälischer Gaskohle = 140x200 Ztr. = 28000 Ztr. Ein Zentner kostet frei Ver-
brauchsstelle 0,95 M. Was kostet alsdann eine Doppelladung, der Gesamt-
verbrauch?
Voll großem Wert für die Kenntnis unserer Heimat ist die
Sammlung des Vereins für Geschichte, Altertümer und Landes-
— 129 —
künde. Das reichhaltige Material ist in dem sogen. Schaumburger
Hof an der Langenstraße untergebracht, der dem Verein von Sr.
Durchlaucht dem Fürsten Georg gestiftet worden ist. Mit dieser
Stiftung ist der Grund sür ein Landesmuseum gelegt worden.
Bückeburg ist Garnison des 7. Wests. Jägerbataillons. Wäh-
rend die Jäger früher in Bürgerquartieren in Stadthagen und
Bückeburg untergebracht waren, haben sie nach Beendigung des
deutsch-srauzösischeu Krieges eine eigene Kaserne bezogen. Kaserne
und deren Nebenbauten liegen zwischen der Ulmenallee und der
Bergdorserstraße. An letzterer Straße befindet sich das Militär-
Krankenhaus, das Lazarett. Vor Müsingen hat das Bataillon
einen Scheibenstand und unweit Vehlen einen großen Übungs-
platz (Vehler Wieh). Die Hauptscheibenstände liegen im Sandfurt
bei der Klus. — Der Kaferueuplatz ist 124 m lang und 70 m
breit. Berechne den Flächeninhalt! Vergleiche!
Die Residenzstadt ist der Sitz einiger Beamten, die besondere
Zweige der Landesverwaltuug zu beaufsichtigen haben. Das Bau-
amt hat die Aufsicht über die Gebäude, Straßen, Wege, Wasserläufe
und Brücken. Das Katasteramt führt den Nachweis über den
Grundbesitz. Der Landesschnlinspektor beaufsichtigt die Volksschulen
des Landes. Der Kreisarzt überwacht die öffentliche Gesuudheits-
pflege. Der Landestierarzt beobachtet den Gesundheitszustand des
Viehes.
Bemoljner. Em großer Teil der Bewohner sind Beamte,
Rentner, Geschäftsleute und Militär. Die Industrie ist uur wenig
entwickelt. Es gibt eine herrschaftliche Dampfmühle, zwei Brauereien,
eine Molkerei, eine Holzfägerei nebst Dampfmühle, zwei Bild- und
Steinhauereien und eine größere Tabaksfabrik. Dazu ist vor einigen
Jahren eine neben der Scheier Brücke gelegene Schraubenfabrik ge-
kommen. Unter den beiden Druckereien ist die Grimmesche Hof-
buchdruckerei zu nennen. Hier werden neben vielen anderen Druck-
fachen die Laudeszeitung und die Anzeigen des Fürstentums Schaum-
burg-Lippe hergestellt. Die Blumen- und Obstbaumzucht wird in
der Schloßgärtnerei und in zwei Handelsgärtnereien betrieben.
Hervorragende Persönlichkeiten. In Bückeburg lebte der
Hof-, Reg.- und Konsistorialrat Thomas Abbt. Er starb hier 1766
nach nur einjähriger Tätigkeit. Die Herderstraße und das Herder-
9
— 130 —
denkmal neben der Stadtkirche erinnern an Johann Gottfried
Herder, der hier als Konsistorialrat von 1771—1776 wirkte und
zu den hervorragendsten Gelehrten und Schriftstellern feiner Zeit
gehörte. Die Hofkapelle wurde damals von dem berühmten Musik-
künstler Joh. Chr. Friedrich Bach geleitet. Am Hofe lebte seit
1788 als Leibarzt der Hofrat Dr. Faust (f 1842), der für die
Pockenimpfung zur Bekämpfung der Blattern zuerst in Deutschland
eintrat und durch seine Schriften über die Blattern großes Aufsehen
erregte. Seinem Andenken dient das alljährlich in Bückeb. ver-
anstaltete „Faustsche Krengelfest", bei welchem der Stadtjugend aus
dem Zinsertrage eines von Faust der Stadt gestifteten Kapitals
Krengel gespendet werden. Ferner wirkte hier der als Schriftsteller
bekannte Landrichter Karl Bömers (geb. 1848 zu Blomberg, gest.
1888). Seinen Lebensabend verbrachte hier der Schriftsteller und
Dichter Dr. Heinrich Kruse. Vorübergehend lebten hier die Roman-
schriststellerin E. von Dincklage und Dr. Wilhelm Fischer-Wer-
melskirchen, der Verfasser vieler Volksschristen. Bckb. ist endlich der
Geburtsort des Wirkl. Geh. Rats Dr. theol. Viktor von Strauß
und Torney, der als Beamter und Staatsmann, als Gelehrter
(besonders auf theol. Gebiete) und Dichter eine hervorragende Be-
dentnng erlangt hat. Strauß (geb. 1809, gest. 1899) stand von
1832—1866 im Dienste des Fürstl. Hanses. Vom Kaiser von
Osterreich wurde er 1852 in den erblichen Adelstand erhoben. Er
lebte nach 1866 vorübergehend in Erlangen und seit 1872 dauernd
iu Dresden und ist auf dem alten Jetenbnrger Friedhofe beigesetzt.
Aufg.: Warum wird Bückeb. viel von Fremden aufgesucht? — Welche
wirtschaftliche Bedeutung hat Bückeburg für die umliegenden Ort-
schaften? — Vergleiche Bückeburg und Stadthagen! — S. Aufg.
S. 106!
— 131 —
4. Der Schaumburger Wald.
Uame, Kage, Ausdehnung und Bestand. Der Schaum-
burger Wald wird int Volksmunde „de Wohld" genannt. Er ist
ein Rest des alten Dulwaldes, der sich einst als Grenzwald des
Bnkkigaues von der Weser bis in die Nähe des Steinhnder Meeres
ausdehnte. Sein ursprünglicher Name bedeutet Sumpfwald (S. 61).
Der Wald bildet heute die Nordwestgreuze unseres Landes von
Nordholz bis nach Wölpinghausen (Oberförsterei Spießingshol).
Anfangs der 1880er Jahre wurden den benachbarten Gemeinden
etwa 500 ha Wald als Ablösungsflächen sür Weidenutzungsrechte
abgetreten, während die Mastberechtigung durch Geldentschädigung
abgelöst wurde. Nach dieser Ablösung umfaßt der gefamte Forst
noch eine Fläche von 4078 ha. Der Wald ist in die beiden Ober-
sörstereien Banm-Landwehr und Spießingshol eingeteilt. Unter den
Holzarten dieses üppigen Hochwaldes nimmt die Eiche den ersten
Platz ein, dann kommen Buche und Fichte; dagegen werden Hain-
buche, Esche, Ulme, Ahorn, Pappel, Erle, Birke, Akazie, Kiefer,
Lärche und Weimutskiefer nur in geringer Menge gezogen. Unter
den Eichen finden sich noch 350- bis 400jährige Bäume. Die
stärkste Eiche wurde im Jahre 1875 im Forstort Häger Zuschlag
gefällt. Sie brachte einen Erlös von rund 900 M ein (für 42,02
Fm. Nutz- und Brennholz). Bemerkenswert sind die sogen. Knicks
(Rauhe-, Steinbrinks-, Landwehr-, Natenknick usw.), welche sich bis
Spießingshol hinziehen. Sie sind etwa 100 bis 200 m breit und
mit tiefen Gräben und hohen Wällen abgeschlossen. Der Volksmuud
hält sie für die Reste jenes Eichelgartens, den der Sage nach einst
eine Gräfin von Hus Aren bei Petzen gepflanzt hat; wahrscheinlich
haben sie einst zur Landesverteidigung gedient. Der Forst ist zur
Hegung des reichen Wildstandes als fürstlicher Wildpark vollständig
eingegattert.
Mald nnd Mild. Der Wald sammelt viel Feuchtigkeit an
(S. 8). Dadurch ist er für die Fruchtbarkeit einer Gegend von
großer Bedeutung. Die frische, staubfreie und sauerstoffreiche Luft,
die Ruhe, Pracht uud Mannigfaltigkeit des Waldes erfrischen Körper
uud Geist. Von größter Wichtigkeit aber ist, daß wir aus dem
9*
Walde Nutz- und Brennholz gewinnen. Darum wird auch auf seine
Erhaltung große Sorgfalt oerwendet. Er steht mit dem darin
lebenden Wild unter der Aufsicht und Pflege von Oberförstern,
Förstern und Forstaufsehern. In der Nähe der Förstereien treffen
wir umfriedigte Gärten. Hier läßt die Forstverwaltung junge
Pflanzen ziehen, die später zur Aufforstung abgeholzter Waldflächen
dienen. Einige Tafeln mit der Aufschrift „Schonung" machen uns
weiter im Walde auf derartige Anpflanzungen aufmerksam.
Die Sämlinge, das sind die durch Saat gewonnenen Pflanzen, werden
nach zwei Jahren umgepflanzt („verschult") uud kommen erst als 4- bis 6jährige
Pflanzen an den Ort ihrer Bestimmung. Mau unterscheidet Saat- uud Pflanz-
kümpe. In den Saatkämpen werden die Pflanzen aus dem Samen gezogen, um
dann entweder ohne weitere Vorbereitung im Freien verwendet oder in den
Pflanzkämpen (Pflanzschuleu) zur Erzielung eines besseren Wurzelwerks uoch ein
oder zwei Male verschult zu werden.
Die Nutzung der Holzbestände bewegt sich in der Regel
innerhalb einer 80- bis 160jährigen Unitriebszeit. Darunter oer-
steht man, daß diejenigen Flächen, welche dieses Jahr abgeholzt und
im nächsten Jahre neu angepflanzt werden, erst nach 80 bis 100
Jahren wieder gehauen werden können. (Die Umtriebszeiten be-
tragen gewöhnlich für Nadel- und Weichholz 80 bis 100, für Buchen,
Eschen, Ulmen 120 bis 140 und für Eichen 140 ^bis 160 Jahre).
Die Hauungen werden meist im Winter ausgeführt (Grund!). Dann
ziehen oiele Holzhauer mit Axt uud Säge in die Waldstille zu deu
Holzschlägen. Sie sällen dort die vom Förster bezeichneten Bäume,
sägen und spalten die Stämme, die nicht als Nutzholz zu oerwerten
sind, zu Holzscheiten und schichten sie zu Klafteru auf. Manche
arme Leute erhalten die Erlaubnis zum Sammeln des abgefallenen
trockenen Holzes (Leseholz).
Der Hauungsplau wird eiu Jahr im voraus aufgestellt uud enthält
die Angabe, an welchen verschiedenen Forstorten und wieviel Holz daselbst vou
deu Holzhauern gefällt werden soll. Von allen stärkeren uud wertvolleren Bäumen
bleiben die unteren Stämme, etwa bis zu den ersten dicken Ästen, bei Nadelholz
bis zu 7 cm Zopfstürke, uuzerteilt als Nutzstämme liegen. Jeder einzelne
Stamm erhält eine sortlaufende Nummer, wird aufgemessen und kubisch berechnet
(Inhalt — Höhe od. Länge mal Querschnitt; J = h.r27T).
Beispiele:
Nro. 5, ein Stamm Lärchen-Nutzholz, 20 m laug, 50 cm Durchmesser — 3,93 Fm.
Nro. 6, „ „ „ „ 18 „ „ 20 „ „ = 0,57 „
Hierüber macht der Förster in dem sogen. Nummern- uud Anweisebuche
seine Eintragungen. An bekannt gemachten Tagen wird alsdann das Holz, das
man auch vorher besichtigen darf, öffentlich an den Meistbietenden durch den
Oberförster verkauft.
— 133 —
Das Brennholz wird nach Raummaß ausgearbeitet und zwar nach der
Stärke und Güte in
1. Scheitholz, meist 3,00 rm, — Vä Klafter
2. Knüppelholz, „ 3,00 „ = x/2 „
3. Hausholz, „ 9,00 „ = 1 Hausen.
Die einzelnen Haufen erhalten gleichfalls fortlaufende Nummern und werden so
verkauft. Inländer erhalten ihr Holz gewöhnlich auf dreimonatlichen Kredit
(Borg).
Die Holzabfuhr muß unter Nachweis der Berechtigung meist
innerhalb einer Frist von 3 Monaten erfolgen. Wenn das Holz
bis dahin nicht abgefahren ist, wird es entweder von der Forstver-
waltung auf Kosten des Käufers aus den Kulturen und Schonungen
entfernt oder anderweitig verkauft. Zur bequemen Abfuhr sind Holz-
absuhrwege angelegt. Früher waren sie meist Erdwege, die an
sumpfigen Stellen mit Holz ausgebessert wurden. Heute stellt man
chanssierte Forstwege her mit sester Packlage, Decke und Bordsteinen.
Nutzholz. Aus dem Schaumburger Walde wird viel Nutzholz abgefahren
Sägereien verarbeiten es für den Absatz an Bergwerke, Fabriken und Handwerker
Die Eiche liefert Grundschwellen, Bohlen (sehr gesucht, für 1 Fm. bis zu 90 M)
Bauholz für feuchte Räume, Keller, Stall, für den Schiffsbau Kahnknieholz (be-
sonders hier in Eichen-Altholzbeständen viel gesucht; gute Stücke erzielen recht
hohe Preise), Bergwerksholz (1 Fm. bis etwa 35 M), Tür- und Eisenbahn-
schwellen, Schlitten-, Karren-, Göpelbäume und Wagenbauholz. Ihre Rinde ge-
braucht der Gerber. Ans krummen endrindeten Ästen werden altdeutsche Möbel
angefertigt. Die Buche ist unser bestes Brennholz. Starke Bohlen werden vom
Bergwerke sehr gesucht. Als Grubenholz wird die Buche viel an unser Schaum-
burger Gesamt-Kohlenbergwerk geliefert. Möbelfabriken verarbeiten Buchenholz
zu Stühlen. Aus der Hainbuche gewinnt man Hobelbankbohlen, Schrauben-,
Rad- und Kammholz, Tischler- und Steinhauerwerkzeuge, Kegelhölzer und Kegel-
kugeln usw. Fichte und Kiefer dienen besonders als Bauholz zu Balken und
Sparren; sie geben gute Bretter zur Einrichtung unserer Häuser und zur Her-
stellung unserer Möbel. Aus der Esche fertigt man Stühle, Tische und andere
Möbel, Felgen, Naben, Speichen, Turngeräte u. a. Maserige Stämme werden
vom Tischler sehr gesucht. Eschenholz dient viel zu Furnieren (Überzug bei
Möbeln). Das Holz der Erle benutzt man zu Holzschuhen, Brunnenröhren,
Wasserleitungen, Zigarrenkisten und als Möbelholz (imitiert Mahagoni). Die
Birke wird als Wagenbauholz verarbeitet, ferner zu Eggebalken, Stühlen und
Tischen, Schusterzwecken und Plüggen. Sie wird in der Kunsttischlerei sehr ge-
sucht. Die Lärche liefert ein geeignetes Bauholz für feuchte Räume und dient
als Schnittholz zu Möbeln, auch als Böttcher-, Glaser- und Bergwerksholz. Das
zähe und dauerhafte Holz der Akazie gebrauchen die Stellmacher viel. Die
Weimutskiefer liefert ein weiches, leichtes und dennoch dauerhaftes Holz, das
sich sehr gut bearbeiten läßt (Sensenstreichbretter).
An Wild werden im Schaumburger Walde hauptsächlich Hirsche
und Rehe gehalten. Das Wildgehege sür Rot- oder Edelwild nimmt
etwa 3l±f das für Rehe x/4 der ganzen Waldfläche ein. (Drücke diese
Angaben in ha ans!) Das Baumer Revier zählt ungefähr 600
Stück Rotwild, nämlich etwa 260 Hirsche, unter denen 18- und selbst
134
20-Ender vorkommen, und 350 Stück Mutterwild. Unter dem Reh-
wild desSpießiugsholer Reviers fiudet niau sehr viele schwarze Rehe.
— Die Erhaltung des Wildparks, sowie die Beschaffung der Futter-
mittel ist mit bedeutenden Kosten verknüpft. Im Herbst werden von
den umwohnenden Landleuten Bohueu im Stroh gekauft. Der
Morgen wird mit etwa 90 bis 100 Ji bezahlt. Die Bohnen müssen
vom Verkäufer selbst gebaut sein und nugedroschen iu die Nähe der
für das Rotwild eingerichteten Futterplätze gefahren werden. Hier
werden sie als Wintervorrat in Diemen gelegt.
Das aus deu größeren Hosjagden oder auch auf dem einzelnen
Pürschgange erlegte Wild wird sofort „aufgebrochen" und nach
Bückeburg gebracht, wo es verkauft wird. Unter deu Käufern sollen
in erster Linie Inländer berücksichtigt werden (Taxe, d. i. festgesetzter
Preis für ganze Stücke: 1 KZ Rotwild — 0,80 bis 1 Jl. Schwarz-
wild — 0,90 bis 1 M\ vgl. S. 68). Nach den größeren Hofjagden,
auf denen mitunter an einem Tage bis zu 100 Stück geschossen
werden, kommt viel Wild nach Minden, Hannover und Berlin.
Das Wildbret ist ein billiges und gesundes Nahrungsmittel.
Karpfenzucht. Im Forstrevier Baum find 36 ha zu Karpfen-
teichen eingerichtet, unter denen der Depenbachsteich bei Baum 12 ha
und der Wietersheimer Teich bei Cammer 9 ha einnehmen. Der
Laich wird iu der Karpfeubrutauftalt bei Bückeburg gewonnen und
die Brut dort aufgezogen (S. 119). Die Teiche werden alljährlich
Ende Oktober abgefischt und Ende März oder Anfang April wieder
besetzt, nachdem sie kurz vorher augespauut (angelassen) sind. Im
Winter soll der Teichgrund durch Frost gelockert, entsäuert und da-
durch wieder nahrungsreich gemacht werden. Die Uberwinterung
geschieht in besonderen Behältern mit Wasserdurchfluß oder iu Teichen,
in denen sich Quellen befinden, in sogen. Winterteichen.
Jagdschloß Kaum. Das Jagdschloß Baum mit dem gleich-
namigen Forsthause liegt 8 km n von Bückeburg im Schanmbnrger
Walde. Es ist ein einfacher Bau. Das Erdgeschoß stammt aus der
Zeit des Fürsten Ernst, während das Obergeschoß mit seinen zahl-
reichen, srei vor dem Mauerwerk steheudeu Säuleu unter dem Grafen
Wilhelm entstanden ist. In der Mitte des Obergeschosses liegt ein
Saal, dessen Wände mit zahlreichen prachtvollen Geweihen geschmückt
sind. Fürst Ernst ließ das Schloß mit einer herrlichen altdeutschen
— 135
Gartenanlage umgeben. Reste derselben und einer früheren Wasser-
kunst sind noch zu erkennen. Dahin gehören ein kleiner Teich, ein
künstlich angehäufter Schneckenberg, mit Statuen (Standbildern) ge-
schmückte Nischen und zwei reich verzierte Portalbauten (in dem
üppigen Stile des Straßburger Meisters Weudel Dieterleiu aus-
geführt). Die Bildhauerarbeiten des rechten Portalbaues wollen
die Musik verherrlichen, während die des linken eine Verherrlichung
des Wassers darstellen sollen. Die einzelnen Statuen uud Relies-
arbeiten sind leider stark beschädigt. — Das Jagdschloß und Forst-
Hans Baum wird in neuerer Zeit vielfach „Mindener Baum" ge-
uannt. Diese Bezeichnung wird im Volke darauf zurückgeführt, daß
die Bauern aus den Dörfern am Schanmbnrger Walde zum Besuch
der Viehmärkte in Minden srüher über „Baum" suhreu; wahr-
scheinlicher aber ist, daß der Name aus „Meuer Bom" (d. i. all-
gemeiner Baum) entstanden ist, da hier in srüheren Zeiten unter einer
uralten Eiche ein Holzgericht abgehalten sein soll (Versammlungsort
einer Mark- oder Holzgenossenschaft).
Grabmäler. In der Nähe des Schlosses aus einem sreien,
kreisrunden und ziemlich geräumigen Platze inmitten des Waldes
erhebt sich das Grabmal des Grasen Wilhelm (f 1777). Es ist
in Form einer ägyptischen, mit Stnsen versehenen Pyramide erbaut,
die als Bekröuung eine Kugel trägt. Hier ruht Gras Wilhelm neben
seiner Gemahlin und seinem einzigen Töchterchen. — Etwa 2 km
weiter sw im Walde liegt das Mausoleum der am 9. Nov. 1799
verstorbenen Fürstin Juliane, die hier neben ihrer Mutter Ulrike
Eleonore (f 1795) ihre letzte Ruhestätte gesunden hat. Es ist ein
niedriger Bau, der aus mächtigen Steinplatten aus einem dreistufigen
Unterbau errichtet ist. Der Volksmund nennt das Grabmal das
„neue" Begräbnis. — Im Forstort Juxenstall findet sich ein ein-
sacher quadratischer Grabstein eines srüheren Obersorstmeisters von
Kaas (f 1832).
Aufg.: Schildere den gesundheitlichen und wohltuenden Einfluß des
Waldes auf Körper und Geist! — Welche Bedeutung hat der
Schaumburger Wald für die Bewässerung, für unsere Landwirt-
schaft und Industrie, Jagd und Fischerei? — Nenne Ortschaften
nahe am Walde! — Gib Landstraßen an, die den Wald durch-
schneiden! — Geschichtliches! — Gesamtbild: Stelle die Berge;
Gewässer und wichtigsten Ortschaften im sw Teile unserer Heimaj
zusammen! — Zeichne dieses Gebiet!
— 136 —
Im Nachbarlande.
1. Deister und Hüntel.
Der veiiter ist größtenteils aus den Schichten des Wealden
aufgebaut, dessen unteren Schiefertonen auch hier schweselwasser-
stoffhaltige Quellen entspringen. Diesen oerdaukt Bad Nenndorf
seinen Ruf. Die an der Nordostseite sich anschließende Talebene
wird von Schiefertonen der unteren marinen Kreide (dem Hils-
ton) ausgefüllt. — Der Siintel enthält die ganze Schichtenfolge
vom Jura bis zur uutereu Kreide. Seine Vorberge n voll
Hameln gehören nieist dem Keuper an, ans welchem bei
Gr. Hilligsfeld Muschelkalk inselartig hervortritt.
Der Deister ist auf unserer Heimatkarte etwa zur Hälfte dar-
gestellt (Erkl. d. Nam. in der Anm. S. 48). Er beginnt nicht weit
von der hannoverschen Stadt Springe und endet bei Bad Nenndorf im
Kreise Grafschaft Schaumburg-, er hat demnach die Richtung von 30
nach NW. Während der bis zu 400 m ansteigende Kamm vorwiegend
Fichtenwald trägt, weisen die Abhänge herrlichen Laubwald auf. Diese
Verschiedenheit in der Bewaldung kommt daher, daß oben ans dem
Gebirge dicht unter der Oberfläche Sandstein lagert (dürftiger Nähr-
bodeu), an den Abhängen aber Kalksteine und touige Schichten den
Untergrund bilden (fetter Nährboden). Der Abfall nach N ist flach,
nach S steil. Dort sammelt die Südaue das abfließende Berg-
Wasser, hier die Rodeuberger Aue. Beide Bäche führen ihr
Wasser der Sachsenhäger Aue uud durch diese der Leiue zu (S. 86).
Obgleich viele Quertäler den Deister einschneiden, so zeigt sein Kamm
doch keinen erheblichen Einschnitt. Bahnen und Straßen müssen
deshalb den Höhenzug umgehen. Auf der n Seite begleitet ihu die
Bahu Haste—Weetzen, auf der s die erst 1903/04 im Becken der
Rodenberger Aue angelegte Nebenbahn Bad. Nenndorf—Münder.
Bemerkenswerte Punkte auf dem Bergkamme sind Alte Taufe und
Heisterburg.
Die Alte Taufe ist ein einzelner Felsblock, dessen etwa 3 qm große Ober-
fläche wie ein Becken ausgehöhlt ifl. Dieser Stein soll in heidnischer Zeit als
Götzenaltar und später als Taufstein benutzt sein. Merkwürdig ist, daß die Aus-
Höhlung selbst in der trockensten Jahreszeit nicht wasserleer wird. — Die Hei-
st e r b u r g (— Wächterburg, von hoien = hüten, bewachen) ist eine nach römischem
— 137 —
Muster von Karl dem Großen angelegte Befestigung. Sie diente neben anderen
ähnlichen Anlagen zum Schutze der großen Heerstraße (des „Heelweges vor dem
Santsorde"), die vom Rhein her über Minden, Bückeburg, Stadthagen, Nenndorf
nach Braunschweig und Magdeburg führte. In der Festung wohnte ständig ein
Adeliger oder Königsbauer, der große Vorräte für das durchmarschierende Heer-
bereit zu halten hatte, das hier eine Lagerstätte fand. Die Befestigungen sind
durch Ausgrabungen unter Leitung von Prof. Dr. Schuchardt-Berlin fest-
gestellt worden.
An Erzeugnissen liefert derj Deister vorzüglichen Sandstein, der
dem des Bückeberges nicht viel nachsteht, serner Steinkohlen (bei
Barsinghausen und Bantorf), Kalk, Nutz- und Brennholz. Die
Deisterkohle reicht in ihrer Güte nicht an die Kohle des Bücke-
berges; sie findet hauptsächlich Verwendung in Fabriken, aber auch
iu der Haushaltung. Etwa 2000 Bergleute sind mit ihrer För-
derung beschäftigt.
Der bedeutendste Ort am Deister ist Barsinghausen, dessen
Einwohner meist von Bergbau, Steiuhauerei und Ackerbau leben.
Im Sommer wird B. viel von Ansslüglern besucht, namentlich von
Hannover aus, ^das durch eine elektrische Straßenbahn mit B. ver-
Kunden ist. An dem n vorgelagerten Galenberge (— Grenzberg)
liegt das Kgl. Bad Neundors, dessen Schweselquelleu zu den
stärksten Deutschlands gehören uud daher von zahlreichen Kranken
aufgesucht werden.
Der Knntel erhebt sich n von Hameln und verfolgt die
Richtung des Deisters. Der Name (alt Suntal) soll Sonnental
bedeuten, weil unsere heidnischen Vorfahren dieses Gebirge der
Frühlingsgöttin Ostara geweiht hatten. Die östliche Hälfte 'gehört
zur Provinz Hannover, die westliche zum Kreise Grasschaft Schaum-
bürg; die Grenze zwischen beiden Landesteilen läuft auf dem Kamme
entlang. Vom Deister trennen ihn die Täler der Rodenberger Aue
und der Hamel (— gekrümmter Bach) und vom Bückeberge die
der Bückeburger Aue und des Riesbaches. Das Tal der Roden-
berger Aue ist sast ganz mit mergeligen, leicht zerbrechlichen Ge-
steinen bedeckt, die sich auch im Tal der Bückeburger Aue finden.
Von den Vorbergen bei Hameln wird der eigentliche Süntel durch
die Talsenke Pötzen-Unsen geschieden, durch welche eine alte Heer-
straße führt. Nach Westen setzt sich der Süntel ohne scharse Ab-
grenzung in der Weserbergkette sort. Man hat darum nicht selten
das gesamte Gebirge von Hameln bis zur Porta als Süutelgebirge
bezeichnet. Der Süntel unterscheidet sich aber von dem eigentlichen
Wesergebirge, das eine schmale, gleichmäßig geformte Kette bildet,
schon äußerlich durch bedeutendere Breite und vielseitigere Gestaltung.
Als Scheidelinie beider Bergzüge kann man wohl den 250 m hohen
Sattel zwischen Rannenberg und Rohden ansehen, den die Straße
von Rehren nach Hessisch-Oldendors benutzt.
Seine größte Höhe (43? m) erreicht der Süntel in der Nähe
des Süntelturmes uud übertrifft damit alle anderen auf unserer
Heimatkarte dargestellten Gebirge. Er zeigt nach der Weserseite hin
viele Schluchten und steile Felswände. Worauf ist diese Erscheinung
wohl zurückzuführen? (Eiszeit, lockerer Kalkstein, Sonnenseite.)
Die Kämme und oberen Gehänge sind mit üppigen Waldungen
bedeckt. Ein großer Teil Waldfläche ist seit der Ablösung eingegangen.
Die ausgedehnten Süntelforsten stehen unter Staatsaufsicht, ebenso
die den anliegenden Ortschaften des Kreises Grafschaft Schaumburg
gehörigen Flächen. In den Tälern und auf deu flachwelligen Ab-
hängen, oft bis hoch ins Gebirge hinein, breiten sich viele Ortschaften
aus. Am höchsten liegen Langenfeld (300 m), Raden (270 m)
und Hattendorf (220 m). Solche hochgelegenen Wohustütteu
nennen wir Gebirgsorte. Die wichtigsten Orte in der Umgebung
des Süutels fiud die Städte He ff.-Oldendorf, Hameln, Mün-
der uud der Flecken Lauenau. Bequeme Straßen folgen den Ein-
senkuugeu und Flußtäleru; keine überschreitet den eigentlichen Kamm.
Warum nicht? Die Bewohner treiben vorwiegend Ackerbau, Vieh-
zucht und Waldwirtschaft oder finden in Steinbrüchen, Kalk- und
Mergelgrnben usw. Beschäftigung.
Von den einzelnen Bergen ist der Hohenstein (340 m) be-
merkenswert. Dieser durch tiefe, feukrechte Klüfte vielfach zerrissene
Berg fällt in steilen Felswänden zu seinen Vorhöhen ab und wird
wegen seiner Wildheit viel besucht. Er bietet eiueu sreieu Blick
weithin ius Wesertal und nach Lippe hinein. Seine Gesteine ent-
halten eine reiche Anzahl versteinerter Seetiere, die unter dem Namen
Ammonshörner und Donnerkeile bekannt sind. (S. 20). Auch finden
sich hier wildwachsende Eiben und viele seltene Pflanzen. Manche
Arten von Knabenkraut, die in weißen, roten, grünen und brauueu
Farbeu wechseln, Nelken, die man nur wieder am Harz findet,
Wucheruder Lauch, der im Nachsommer die Luft mit feiuem Gerüche
anfüllt, gehören zu deu besonderen Arten dieser Pflanzenreichen Stätte.
— 139 —
Ein vorspringender Felsen des Hohensteins wird Altar oder Kanzel
genannt. Hier soll sich in heidnischer Zeit eine Hauptopferstelle für den Ostara-
dienst befunden haben. Am„Wendcheberg", einem vorliegenden Walde, mutzten sich die
Nichteingeweihten „wenden". Den Ostaradienst will man durch Auffindung einer
Runenschrift nachgewiesen haben. (Rnnen sind die ältesten Schriftzeichen der
Germanen.) Am Ende des 15. oder zu Anfang des 16. Jahrhuuderts wurde
nämlich am Fuße des Berges ein aus Ton gebrannter Stein gefunden, auf
welchem sich eine gehörnte menschliche Figur, zwei Bilder (Sonne und Mond?)
und eine am Rande laufende Runenschrift befanden. (Eine Abbildung bringt
Strack in dem Wegweiser durch die Gegend um Eilsen.) Weithin leuchteten einst
von dieser Bergeshöhe beim Erwachen des Frühlings die Freudenfeuer, während
bunte Blumen, die ersten Frühlingsboten, und Kränze den Opferplatz schmückten.
— Am äußersten Rande der Felsen bietet noch die Hirschkuppe einen herrlichen
Blick ins Totental, das sich am Futze des „Dachtelfeldes" ausbreitet. Kanzel
und Hirschkuppe sind an den steilsten Stellen zur Verhütung von Unfällen mit
eisernen Geländern umzogen.
In der Nähe des Hohensteins bildet der Kamm des Süutels
eine Hochfläche. Sie ist unter dem Namen Dachtelfeld bekannt
und wird gewöhnlich als das Schlachtfeld bezeichnet, auf dem die
Sachsen im Jahre 782 die Truppen Karls des Großen vollständig
aufrieben*). Am Fuße des Süutels zwischen Segelhorst und Heff.-
Oldendorf siegten 1633 die Protestanten über die Kaiserlichen.
Bisher vermutete man in der Talebene bei Hess.-Oldendorf auch das
Schlachtfeld Jdistavifus (— Flutstauwiese), wo im Jahre 16 n. Chr.
die deutschen Volksstämme einen der letzten schweren Kämpfe
mit den Römern ausfochten; in neuerer Zeit hat man jedoch ver-
fchiedene Anhaltspunkte gefunden, nach denen die Ortlichkeit weiter
w zu fliehen ist, nämlich zwischen Eisbergen und Hausberge.
*) Den Namen Dachtelfeld leitet Grimm von dachteln ^ prügeln ab. Er wird jedoch
mit der Flurbeschaffenheit zusammenhängen; vgl. unter „Ortsnamen" Deinsen, Kchsp. Vehlen. -—
Dr. W eiß-Bückeb. sucht die Stelle der Schlacht am Lunte! an dem Westabhange des Bückeberges
bei Obernnrchen, weil man Minden von den: Schlachtfelde ans sehen konnte (in convsllibus
XVeserse Mindam respicientibus); vgl. Zeitschr. d. hist. V. für Nieders., 1900.
140
2. Die Weserbergkette.
Den Kamm und Nordabhang der Weserbergkette bilden die viel-
fach zu malerischen Felswänden zerklüfteten hellen Kalksteine des
weißen (oberen) Jura. Dieser Kalkstein besteht zum Teil aus
kleinen, rundlichen Körnern, dein Fischrogen ähnlich. Er bildet
bei der Verwitterung einen wenig fruchtbaren, steinigen und dürren
Boden. Diese Unfruchtbarkeit schwindet aber am Nordfuße des
Gebirges, wo Diluviallehm den Boden reichlich bedeckt und sich
mit ihm vermengt hat. Unter dem weißen liegt am Südabhange
der braune (mittlere) Jura, welcher aus schwärzen und grauen
Tonen uud Mergeln, eisenschüssigem Sandstein und Kalkstein be-
steht. — Eisensteine werden im weißen Jura durch die GeWerk-
schast Wohlverwahrt bei Kleinbremen ausgebeutet, in: braunen I.
bei Häverstädt an der Porta. Aus dem braunen I. gewinnt man
zu beiden Seiten der Porta einen vorzüglichen Baustein. Der-
selbe läßt sich, frisch gebrocheu, leicht bearbeiten und ist in
trockenem Zustande sehr wetterfest. Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal
auf dem Wittekindsberge, die Bismarcksäule auf dem Jakobsberge,
die Stationsgebäude zu Porta und Minden und zahlreiche Häuser
daselbst sind aus ihm hergestellt. — Die unterste Stufe, der
schwarze Jura, besteht aus tonigen Gesteinen, Mergel- und
Schiefertonen. Dieses Glied tritt in dem Tale von Unsen nach
Oldendorf und in den höher gelegenen Feldern am Fuße der
Steilhänge der Weserbergkette zu Tage uud wird in Tongruben
ausgebeutet und in Ziegeleien verarbeitet. Weiter w bedecken ihn
die Diluvialmassen des Wesertals.
8ückeb. Aue
Weser
b
Jura
Trias
a. Weißer-, b. brauner-, c. schwarzer Jura.
Querschnitt durch das lücscrgcbirge.
— 141 —
Das Wesergebirge durchzieht den 3 unseres Landes bei
Steinbergen und bildet im Gegensatz zum Bückeberg und Harrl ein
Kettengebirge (S. 7). Seinen Namen hat es von der Weser,
deren Stromtal es begleitet. Es streicht als Fortsetzung des Süntels
in fast v/ Richtung bis zum Weserdurchbruch bei Hausberge (23 km
Luftlinie). Durch welche Landesteile? Die einzelnen Berge dieses
langgestreckten, scharf ausgeprägten, schmalen Höhenzuges erscheinen
sargartig und erheben sich durchschnittlich etwa 300 m über deu
Meeresspiegel. Gleich dem Süutel fallen sie an ihrer Südseite
durchweg mit recht steiler Böschung ab, so daß sie vom Wesertale
recht schwer zu besteigen sind, während ihre Nordseite meist flache
Abhänge hat. Die Wesertalseite des Bergzuges zeigt darum viel-
fach tiefe Schluchten und malerisch zerklüftete Felswände, die eine
herrliche Aussicht gewähren (Paschenburg, Luhdener und Nammer
Klippeu), In der ö Hälfte sind kleinere Erhebungen vorgelagert
(Vorberge), iu der w dagegen tritt das Gebirge unvermittelt aus
der Ebene hervor.
Unserer Heimat gehören nur der Messiugsberg (270 m) und
die Hirsch kuppe (250 m) au mit einem dazwischen liegenden kleinen
Bergkegel, auf dem sich die Arensburg erhebt (S. 118). In w
Richtung solgen Luhdener Klippe (300 m) mit einem Aussichts-
turme, einem der schönsten Punkte des Wesertals, Lange Wand
(320 m) mit den Resten der im 12. Jahrhundert zerstörten Franken-
bürg, welche die sicheren Merkmale der ältesten christlichen Zeit und
die Anzeichen des Überganges von altgermanischem Kultus in den
christlichen aufweist, ferner Papenbrink od. Kleinbremer Berg
(300 m) mit fast kahlem Nordabhange und Rote Klippe mit einer
Zechenanlage, die Eisensteine fördert (Straßenbahn nach der Porta).
Die folgenden Berge werden gewöhnlich nach den anliegenden
Dörfern bezeichnet (Wülpker uud Nammer Berg); den Schluß bildet
der Jakobsb'erg. — In dem ö, zum Kreise Grafschaft Schaumburg
gehörigen Teile der Bergkette erhebt sich auf dem Paschenberge die
Paschenburg. Auf dem nach 3 vorgelagerten Nesselberge thront
das efeuumrankte Schloß Schaumburg, das uuferer Gegend den
Namen gegeben hat.
Die Paschenburg (340 m) ist ein Gasthaus, das zu Anfang der 1840er
Jahre von einem Förster Kayser erbaut wurde, der den Grund und Boden von
seinem Landesherrn, dem Kurfürsten von Hessen, geschenkt erhielt. Der Sage
nach wurden dort auf dem Kamme in heidnischer Zeit der Frühlingsgöttin Ostara
zu Ehren Feuer abgebrannt. In christlicher Zeit übertrug sich auf diese Früh-
lingsseuer der Name Oster- oder Paschseuer. Ju der Nähe des Hauses befindet
sich eine tiefe Schlucht, die Wolfsschlucht genannt, zu der man durch das
Mäumken- oder Manne kenloch gelangt. Hier in den versteckten Felsenhöhlen
sollen einst die sagenhaften Wichtel- oder Erdmännchen eine Heimstätte gehabt
haben. (Die Felsschlucht wird dadurch entstanden sein, daß das ablaufende
Regenwasser die Erd- und Steinmafsen allmählich zerwaschen und losgelöst hat.)
Die Schaum bürg auf dem Nesselberge (225 m) ist das alte Stamm-
schloß unserer früheren Landesherren uud als solches am 16. April 1907 aus
Anlaß der silbernen Hochzeitsfeier unseres regierenden Fürstenpaares durch
Schenkung des Kaisers wieder in den Besitz unseres Fürstenhauses gekommen.
Als Erbauer der Burg wird gewöhnlich Adolf von Santersleben genannt
(f. Heimatgeschichte!) Kaiser Konrad II., Adolfs Gönner, soll auf einem Zuge
durchs Wesertal bei dem Anblick der stolz gelegenen Bergfeste freudig ausgerufen
haben: Schau, 'ne Burg! Daraus sucht man die Erklärung des Namens herzu-
leiten, der jedoch die Bedeutung von „Waldburg" haben wird. (Der alte Name
ist Scowanburg. Darin soll scowan = schauen sein, weshalb denn auch,
namentlich in Hamburg und Holstein, die Schreibweise Schauenburg allgemein
verbreitet ist. Wahrscheinlicher ist, daß das Bestimmungswort das nordische
skow — Wald ist; ihre Besitzer hatten in Holstein Allodialbesitz.) Die Sch. war
Wohnsitz unserer Schaumburger Grafen, diente seit 1517 als Witwensitz, ist später
als Jagdschloß und Verwaltungsgebäude (Amtshaus), dann als Arbeiterwohn-
räum und seit 1873 als Gasthaus benutzt worden. — Von den alten Burgan-
lagen sind noch verschiedene Teile vorhanden. Dahin gehört das von dem sogen.
Archivturm überragte Eingangstor mit dem ö sich anschließenden, jetzt erneuerten
Amtshause uud dem w angebauten Gefängnisse. Ein Treppenausgaug führt an
dem früheren Burgverließ hin, in dem sich die Folterkammer besand; es zeigt
teilweise noch 4 m starke Mauern. Erhalten sind ferner ein Glockenturm, dessen
Glöcklein seit etwa 1800 auf der nahen Domäne Coverden (früher das zur Burg
gehörige Wirtschaftsgebäude, der „Kuhhof") die Arbeitszeiten verfimdet, außer-
dem viele Reste der Burgmauer. Der älteste Teil des Burgbaues ist der w
Flügel. Hier enthält ein Stein über dem Eingange in starker Beschädigung das
Schaumburger Wappen und darunter die Jnschritt: 1524. Anthonnia Marie
Soffia gebore hertochine van Sachsse -f- Anna gebore van Schoenberg etc.
-+- sint bede geniale gravine to holste un schomborch (nämlich des Grasen
Anton). Wappen und Inschriften hat Jürüine Napoleon hier wie an sämtlichen
Gebäuden abhauen und daraus übertünchen lassen. Sie wurden erst in der
Mitte der 1880er Jahre wieder freigelegt. Unter Leitung von Prof. Dr. Haupt-
Hannover ist das alte Schaumburger Ahnenschloß mit seinen Nebengebäuden
wieder würdig erneuert worden. — Von der Schaumburg genießt man einen
herrlichen Blick ins schöne Wesertal. Als besonders günstiger Aussichtspunkt gilt
die sogen. Himmelspforte, eine Tür in der Umfassungsmauer des Burghofes.
Nahe dem Eingangstor zum Burghofe steht vor einem zweiten Wirtshause eine
uralte Linde, an welche sich eine Sage knüpft.*) Leider ist ein Teil dieser früher
doppelstämmigen Bnrglinde von den Herbststürmen des Jahres 1903 zerstört
worden.
Zwei tiefere Einschnitte im Wesergebirge dienen als Verkehrs-
Wege. Es sind das der Arensburg er Paß (120 m), durch den
Straße und Kleinbahn nach Rinteln führen, und der Kleinbremer
Paß (149 m), den die Straße von Bückeburg nach Rinteln benutzt.
— Das letzte Glied der langen Bergkette ist der Jakobsberg,
*) S. Sagen und Erzählungen! — Burg und Linde behandelt eine Erzählung von Ludwig
Spitta: Hans Sumenicht, der Schildknecht. (Gotha, Fr. Andr. Perthes, 1902.)
— 143 —
dessen Kamm mit einer Bismarcksäule geschmückt ist. Der Jakobs-
berg fällt mit steiler Felswand zur Weser ab, die hier das Gebirge
durchschnitten hat. Dicht an dieser Felsenmauer ziehen sich eine
Straße und die Bahn Köln-Minden-Hannover hin. Jenseits des
Weserstroms erhebt sich der sagenumwobene Wittekindsberg, der
seinen ö Nachbar um etwa 40 m überragt. Einen besonderen
Schmuck und Anziehungspunkt hat der Wittekindsberg seit mehreren
Jahren in dem Denkmal Kaiser Wilhelms I. erhalten, das
weithin sichtbar an dem Ostabhange errichtet ist. Ein Aussichtsturm
auf dem Kamme bietet einen herrlichen Blick auf deu ausgedehnten
Gebirgszug, ius Wesertal und in die nach N sich ausbreitende
Ebene. Die vom Jakobs- und Wittekindsberge, den beiden mächtigen
Torpfeilern, begrenzte Durchbruchsstelle der Weser wird Porta
Westphalica genannt, d. h. Westfälische Pforte (Eingangstor nach
Westfalen). Der 0on der Porta an als Wiehengebirge (= weihen,
heiligen) bezeichnete Höhenzug verläuft in w Richtung uud endet
als niedrige Hügelkette unweit Osnabrück in der Provinz Hannover.
Die Porta oder Weserscharte ist nur 800 m oder 1000 Schritt breit
Während das rechte Stromtal sehr schmal ist, bietet das linke Raum für Gärten'
Äcker und Wiesen. Der Ostpfeiler dieses Tores, der 238 m hohe Jakobsberg,
hat seinen heutigen Namen von einem Invaliden Jakob, der nach dem 7 jährigen
Kriege sich an diesem Berge anbaute nnd an der Südseite desselben einen Wein-
berg anlegte. Die ältere Bezeichnung ist „Tönniesberg". Am Hang des Berges
zog sich ein schmaler Weg hin, der sog. Stieg. Oben am Berge lag die Antonius-
klus, die Tönniesklus (daher auch der Name), am Fuße aber erhob sich ein
wichtiges Sperrfort, das tlus tom Berge, alt als Scalcaburg (Schalkesburg =
Wächterburg) erwähnt. Die Schalkesburg war der Sitz der Edelherren vom
Berge (de monte). Nach der Burg ist heute der Ort Hausberge benannt. Als
vor mehr als 100 Jahren am Jakobsberge entlang eine Straße angelegt werden
sollte, mußte in der dicht an die Weser herabfallenden Felswand durch Sprengung
erst Raum geschaffen werden, ebenso in den 1840er Jahren bei Anlage der Köln-
Mindener Eisenbahn. Der auf diese Weise hergestellte Querschnitt der Felswand
läßt deutlicher als ein Steinbruch erkennen, wie die einzelnen Steinschichten
übereinander gelagert sind. Um die durch Verwitterung sich loslösenden Gesteine
zu entfernen, wird von Zeit zu Zeit in einem Kasten an einem langen Seile ein
Mann über die Felswand herabgelassen, der dann die lockeren Steine entfernt.
Die ans dem Kamme errichtete Bismarcksäule wurde am 18. Oktober 1902
eingeweiht. Die Bausteine wurden in der Nähe am Südabhange gewonnen.
Während das linke Stromufer nur wenige gewerbliche Anlagen aufweist, hat sich
am Fuße des Jakobsberges eine rege Fabriktätigkeit entwickelt. Wir finden hier
zwei Glashütten (Akt.-Ges. Gerresheim bei Düsseldorf), zwei Zementfabriken,
eine Ziegelei, eine Mühlsteinfabrik, ein Sägewerk, einen Kalkofen und mehrere
Sandfteinbrüche. Auch werden hier große Mengen Eisensteine auf der Bahu
verladen, um nach Dortmund (Akt.-Ges. Union) befördert und dort weiter ver-
arbeitet zu werden. — Weniger steil erhebt sich auf dem westlichen Ufer, zu dem
wir über eine Kettenbrücke oder mittels einer Stromfähre gelangen, der West-
Pfeiler dieses großartigen Wesertores, der 277 m hohe Wittekindsberg, der
den Namen des großen Sachsenherzogs Wittekind trägt. An seinem Fuße lag
— 144 —
einst das Sperrfort Wedigenstein, Ein scharf vorspringender Teil trägt das
Denkmal Kaiser Wilhelms I., das gleichsam aus dem Berge Heransgewachsen
erscheint. Eine 2x/2 km lange Kunststraße, die Kaiserstraße genannt, führt uns
in vielen Windungen zu dem Denkmalsbau, der 150 m hoch über der Haupt-
straße Minden-Porta gelegen ist. Das von der Provinz Westfalen errichtete
Denkmal wurde am 18. Okt. 1896 eingeweiht. Der halbkreisförmige untere
Ringabsatz hat einen Durchmesser von 120 m und ist bis zur Brustwehr 32 m
breit. Auf ihm ruht der Unterbau mit den Treppenanlagen. Die Inschrift
lautet: Wilhelm dem Großen die Provinz Westfalen. Unter einem Thronhimmel,
von sechs Pfeilern gestützt, steht das 7 m hohe Standbild des Kaisers, aus Erz
gegossen. Die Uniform (Garde du Corps), der herabwallende Krönungsmantel
und der Lorbeerkranz auf dem unbedeckten Haupte kennzeichnen den Kaiser als
Soldaten, Herrscher und Sieger. Der rechte Arm ist wie segnend und schützend
erhoben, während die linke Hand sich fest auf den Reitersäbel stützt. Die Kaiser-
kröne auf der Kuppel des Denkmals bildet den Abschluß. (Der ganze Denkmals-
ban mißt einschließlich der Mauer der Ringterrasse bis zur Spitze des Kreuzes
der Kaiserkrone rund 88 m. Er ist von dem Architekten Bruno Schmitz-Berlin
entworfen und ausgeführt, dem Schöpfer des Kyffhäufer-Denkmals uud des
Kaiser-Wilhelm-Denkmals für die Rheinprovinz am „Deutschen Eck" in Koblenz.
Das Kaiserstandbild hat der Professor von Zumbusch iit Wien hergestellt, wo
auch der Bronzeguß erfolgte.) Taufende von Fremden suchen alljährlich dieses
würdige Denkmal auf und erfreuen sich zugleich an den Naturschönheiten der
Porta. Wer auf den Kamm des Wittekindsberges steigt, trifft nicht weit vom
Aussichtsturme die sogen. Wittekindskapelle, an deren Stelle einst ein
Kloster gestanden hat. Nahebei findet sich eine Quelle, die durch den Hufschlag
von Wittekinds Roß entstanden sein soll. Unterkunft gewährt hier das prächtige
Wirtschaftsgebäude „Zur Wittekiudsburg". Zahlreiche Gasthöfe, die am Fuße
der Portaberge auf beiden Seiten des Weserstromes errichtet sind, bieten dem
Wanderer Ruhe und Erholung. Den Verkehr sördert die im Sept. 1893 eröffnete
Straßenbahn Minden-Porta.
Die Bewohner unseres Landes bezeichnen die Porta gewöhn-
lief) als „Regenloch", da die von SW kommenden Wetter für unsere
Gegend Niederschläge bringen, sobald sie durch diese Berglücke brechen.
Der Uberfluß an Niederschlägen wird nur au der Nordseite des
Weser- uud Wieheugebirges (saufte Abdachung!) von einigen größeren
Bächen aufgenommen, während die 8 Abdachung (Steilhang!) nur
unbedeutende Wasserläufe entwickelt. Wir merken nach unserer Heimat-
karte auf dem rechten Weserufer die Bückeburger Aue, auf dem
linken die Bastau und die Osper. Das Gelände am Nordfuße
des Wieheugebirges hat stellenweife fo geringes Gefälle, daß eine
genügende Entwässerung fehlt; es entstehen hier Sümpfe und Moore
(das große Torfmoor bei Minden). Wetter- und Wasserscheide (S. 7)!
Der gesamte Gebirgszug trägt dichte Waldungen und ist reich
an Eisen-, Kalk- und Saudsteinen. Eisensteine gewinnt man bei
Kleinbremen und an der Porta. Der Portasandstein wird an beiden
Seiten der Berglücke gebrochen und hat eine bedeutende Festigkeit.
Nördlich vom Jakobsberge werden bei Meißen sogar Steinkohlen
— 145 —
gefördert. Das Wesergebirge mit seinen ausgedehnten Waldungen,
zahlreichen Kies- und Sandgruben, Kalk- und Steinbrüchen, Berg-
werken und Fabriken gibt vielen Menschen Beschäftigung und Brot.
Zahlreiche Dörfer ziehen sich namentlich am Nordfuße der
Bergkette hin. Einige zum Kreise Grafschaft Schaumburg gehörige
Ortschaften liegen sogar hoch im Gebirge, z. B. Rosental und Rannen-
berg (Gebirgsorte). Für unser Land ist das westfälische Kirchdorf
Kleinbremen bemerkenswert, weil dort einige bückeburgische Ort-
schafteu eingepfarrt sind, nämlich die am Fuße der Weserbergkette
gelegenen Dörfer Luhden (mit Kapelle aus Bruchsteinen) und
Schermbeck (Bückeb.-, Hess.- und Westf.-Schermbeck) und die am
Abhänge des Harrls sich ausbreitenden Orte Knatensen und
Selliendorf. — In Kleinbremen besteht seit 1853 die Erziehnngs-
anstatt Gotteshütte. Etwa 100 der Fürsorge bedürftige Kinder,
Knaben und Mädchen, erhalten hier in zwei Klassen Erziehung und
Unterricht.
Kleinbremen. Die alte Kirche — erbaut im Geburtsjahre Luthers —
wurde im Sommer 1893 abgebrochen. Der Turm ist geblieben, bat aber eine
neue Spitze und neue Glocken erhalten. Die jetzige Kirche ist aus Obernkirchener
Randstein erbaut (gotisch). Zur Einweihung (16. Dezember 1896) schenkte die
Kaiserin eine prachtvolle Altarbibel mit eigenhändiger Widmung uud dem Spruch:
Ps. 56, V. 11 und 12. Von der alten Kirche und aus der Kapelle des 11. Jahr-
Hunderts sind Baureste im Turme eingemauert, darunter Steine mit der läpp.
Rose, dem schaumb.-lipp, Nesselblatte, dem Mindener Wappen (kreuzweise über-
einander gelegte Schlüssel), Simson, wie er dem Löwen den Nachen aufreißt,
uud Gottes Segenshand mit Sonne, Mond und Sternen.
10
— 146 —
3. Das Lippische Weserbergland.
Die vielen einzelnen Rücken und Kuppen des an die Weser
stoßenden n Teiles von Lippe-Detmold sind meist ans festen
Kenperschichten, Sandsteinen und Mergeln, aufgebaut. Juselartig
daraus hervorragend tritt au einzelnen Stellen Muschelkalk au
die Oberfläche, z. B. ain Rafelder Berge. Bei der Verwitterung
liefern die mergeligen und tonigen Keupergesteine einen meist
zähen, schweren und wenig durchlässigen, die sandigen dagegen
leichten und fruchtbaren Boden. Durch reichliche Mergeldüngung
verbessert man diesen Acker. In verschiedenen Steinbrüchen werden
die im Keuper vorkommenden Sandsteine als Baumaterial und
zur Beschotterung der Wege gewonnen.
Ganz int S von unserer Heimat breitet sich am linken Weser-
ufer, etwa zwischen den Weserstädten Hameln und Vlotho, ein weites
Bergland aus. Es gehört größtenteils zum Fürstentum Lippe-Det-
mold, das hier mit seiner n Spitze auf eine Strecke von ungefähr
10 km an die Weser stößt. Infolge der vielen einzelnen Rücken
und Kuppeu ohne schroffe Anordnung und mit tiefen Taleinschnitten
zeigt diese Landschaft eine sehr unruhige, fast hügelig zu bezeichnende
Bodengestalt. Wir nennen diefes Gebiet das Lippifche Weser-
bergland. Es wird durch einige Bäche in vier Bodenschwellen
geteilt. Die Hümme bei Hameln und die Exter bei Rinteln begrenzen
die Goldbecker Bodenschwelle, zwischen Exter und Kalle erhebt sich
die Lasbrucher, zwischen Ost- und Westkalle die Rafelder uud
zwischen Westkalle und Vlothoer Bach die Winterfelder Bodenschwelle.
Die höchste Erhebung (378 m) ist der Goldbecker Berg im Kreise
Grafschaft Schaumburg, dem n unweit der Weser der Rumbecker
Berg (340 m) vorgelagert ist.
Die Höhen sind mit Wald bedeckt, die Taleinschnitte tragen
Wiesen, die Abhänge und ebenen Flächen Felder. Da die Ver-
Witterungsschichten bei dem Steilhange der einzelnen Kuppen sehr
der Abschwemmung ausgesetzt siud, so hat der Boden nur eine
— 147 —
dünne Ackerkrume; seine Erträge sind darum gering. Am wenigsten
ertragfähig ist der Ackerboden bei Goldbeck, Friedrichswald und
Volksen. Infolge der ziemlich hohen Lage sind die Winter hier
rauh und hart; auch treten Saat uud Erute spät ein.
Die Anlage oon Straßen ist sehr erschwert. Eisenbahnen
fehlen bisher gänzlich. Erst seit Mai 1903 ist eine Kleinbahn von
Vlotho über Salzuflen nach Herford eröffnet. Wegen der ungün-
fügen Bodenbeschaffenheit ist die Berglandschaft nur düun bevölkert;
nirgends findet sich eine Stadt. Die Hauptstraßen folgen den Fluß-
tälern. Die wichtigste ist die Kasseler Heerstraße, die von Rinteln
gerade nach 3 führt. Von ihr geht w die Lemgoer Straße ab, von
der sich in Möllenbeck die Vlothoer Straße abzweigt. Nach 0 an
der Weser entlang zieht sich die Hamelner Landstraße hin.
Unter den Gewässern eignet sich besonders die Kalle gut für
die Aufzucht von Forellen und das Aussetzen von Lachsbrut. Hier
hat bei Hohenhausen iu Lippe um die Mitte des 18. Jahrh. der
Landhanptmann Jakobi uach vielen Versuchen die künstliche Fisch-
zucht begründet. Ganz im N von Lippe liegt am Fuße des Kirch-
berges der Flecken Varenholz mit einem prächtigen sürstlichen
Schloß und einer großen Domäne. Das Schloß stammt aus dem
Jahre 1595 uud dient jetzt als Wohnung des Domänenpächters.
Ursprünglich besaß hier das alte erloschene Adelsgeschlecht der Vorn-
holte eine Burg.
10*
4. Weser und Leine.
Die Alluvialniederung der U)eJer bildet mit Ausnahme der
Engtäler bei Hameln und Vlotho die geologische Grenze zwischen
den Ablagerungen der Kenper- und Juraformation. Ihr gewöhn-
lich tiefgründiger, sandig-lehmiger Oberboden wird oft durch Ton-
schichten von dem ans Sand, Grand und grobem Kies bestehenden
Untergründe getrennt und am Fuße der Weserbergkette von den
Kieshügeln der Diluvialterrasse begrenzt. Unter den Tonschichten
sind häufig mächtige Baumstämme (Eichen) eingebettet gesunden,
z. B. bei Großenwieden. Von der Weserscharte ab wird das
linke Stromuser bis Petershageu von kräftigem Lehmboden be-
gleitet. Dort beginnt alsdann dürftiges Geestland, das bei Uchte
in große Moorflächen übergeht. Rechts erstreckt sich der sehr er-
tragreiche Lehmboden bis Aminghausen und Päpinghausen. Als-
dann beginnt allmählich leichter Sandboden ohne Lehmbeimischung.
Ein hoher Geestrücken trennt hier die Weser- von der Meerbach-
Niederung. — Die Leine fließt von Hannover ab in einer fast
stundenbreiten, fruchtbaren Alluvialsenke, die von Sand- und
Heiderücken des Diluviums begleitet wird. Bei Neustadt a. R.
wird der Fluß plötzlich von einer Kalksteinbank (Wealden) quer
durchsetzt.
Die Weser tritt durch das Engtal bei Hameln in die nähere
Umgebung unserer Heimat. Sie beschreibt von hier ab über Vlotho
bis Stolzenau ein Knie und gleicht mit ihren vielen größeren und
kleineren Windungen einer riesigen Schlange. Im 3 (Kchsp. Stein-
bergen) und V/ kommt unser Land ihr ziemlich nahe. Ihre
Niederung erreicht eine durchschnittliche Breite von 4 km, bei
Rinteln sogar vou 5—6 km und besitzt meist recht fruchtbares
Ackerland, guten Tonboden für Ziegeleien und sehr ertragreiche
Wiesen. Die Höhenlage der Weserniederung beträgt bei Hameln
etwa 65 m, bei Rinteln 55 m und an der Weserscharte 45 m.
Bei diesem geringen Gefälle (auf etwa 60 km Länge 20 m Gefälle)
ist der Lauf der Wefer natürlich ein ruhiger. Von der Bergspalte
bei der Porta bis Schlüsselburg ist das Gefälle bedeutender (auf
— 149 —
40 km 15 m). Die Weser hat deshalb auf dieser Strecke lebhaftere
Strömung und friert hier nur in ganz kalten Wintern zu. Weite
Überschwemmungsgebiete besitzt der Strom im Kreise Grafschaft
Schaumburg, auch unterhalb Petershagen auf dem linken Ufer, nament-
lich bei Schlüsselburg, das zeitweise wie eine Insel vom Wasser um-
gebeu ist. Um das Userland vor Zerstörungen durch Eisgang und
Überschwemmungen einigermaßen zu schützen, sind beide Stromseiten
mit Weiden bepflanzt, teilweise sogar gepflastert. Ein Teil der Weiden
wird alljährlich vom Staate verkauft. Der Verkauf erfolgt streckenweise
zu je 100 m. Damit die Anpflanzungen nicht leiden, bleibt ein
Teil der zweijährigen Pflanzen stehen. Ebenso ist die Grasnutzung
Eigentum des Staates und wird alljährlich verpachtet. Zum
Grasholen ist derjenige berechtigt, der sich einen Jahresschein für
3 M gelöst hat.
Die wichtigsten Znslüsse sind links Hümme, Exter, Kalle,
Werre (Bad Oeynhausen), Bastau uud Osper, rechts Hamel, Bücke-
burger Aue uud Gehle.
Der Fischfang in der Weser ist nicht unbedeutend. Man
fängt viele Arten von Fischen, wie Lachse (am Wehr bei Hameln),
Störe, Neunaugen, Aale, Maifische, Zander, Forellen usw. In
einigen Seitenbächen leben Lachse (z. B. in der Kalle), Aale, Hechte,
Forellen und Krebse in bedeutender Zahl.
Noch größer ist die Bedeutung der Weser für Verkehr und
Handel. Sie kann mit Schiffen befahren werden und ist dadurch
eine wichtige Verkehrsstraße geworden. (Die Beförderung auf dem
Wafferwege ist wesentlich billiger als auf der Eisenbahn!) Die
Schiffe sahren stromaufwärts weit über Hameln hinauf uud ström-
abwärts bis Bremen und Bremerhaven. Der Schiffs- und Güter-
verkehr wächst von Jahr zu Jahr. Auch mehrere Bahueu dienen
dem Verkehr und Handel an der Weser (Hameln—Löhne, Köln—Minden,
Minden—Uchte, Minden—Nienburg und Stadthagen—Nienburg).
Die Bewohner der Weserniederung treiben hauptsächlich Acker-
bau und Viehzucht. Daneben wird die Obstbanmzncht sehr gepflegt.
Einzelne Orte erzielen mit dem Obstverkauf gute Einnahmen. Durch
seine Kirschenzucht ist besonders Todenmann in der Nähe von Rinteln
bekannt. In einigen Weserdörfern blüht die Gänsezucht. Die zahl-
reichen Ziegeleien, Kies-, Sand- uud Mergelgruben des Wesertals,
— 150 —
sowie die Steinbrüche und Kalksteinbrennereien der begleitenden
Berge, euch mancherlei Fabriken, z. B. die Zuckerfabriken in Hess.-
Oldendorf und Vlotho, bieten neben anderen größeren Betrieben
lohnende Beschäftigung. In Hess.-Oldendorf blüht die Leder- und
Schuhfabrikation. Sehr verbreitet ist iu der Umgegend von Rinteln
und Vlotho die Zigarrenindustrie (meist Hausbetrieb). In den
Weserdörfern Engern, Hohenrode, Großenwieden, Exten n. a. trifft
man viele Korbmacher. Sie arbeiten teils im Hause, teils auf deu
Glasfabriken Schaueusteiu, Neuhütte und Porta. Die nötigen
Weiden kaufen sie zentnerweise für 1,30 bis 1,50 Ji. Im Hause
fertigen sie namentlich Ballonkörbe an, die in ganzen Bahnladungen
nach auswärtigen Glashütten und chemischen Fabriken versandt
werden. Ihr täglicher Verdienst beträgt 2 bis 2,40 Ji, doch währt
dabei die Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Die
Umgegend von Minden liefert Sand für unsere Glashütten und
Torf zum Brennen.
Soweit unsere Heimatkarte in Frage kommt, führen nur bei
Hamelu (Rattenfängersage), Hess.-Oldendorf (Denkmal der Schlacht
am 28. Juni 1633), Rinteln, Vlotho (— flach; Flutstau), Rehme,
Porta, Minden und Stolzenau Brücken über den Strom. Bei den
übrigen Weserorten wird der Verkehr von einem zum audereu Ufer
durch Fähren vermittelt. Außer jenen Orten sind noch erwähnens-
wert Fifchbeck (Stift), Möllenbeck (mit fchöner Kirche, Domäne und
alten Klostergebäuden), Petershagen (Seminar und Taubstummen-
Anstalt) und Schlüsselburg (Fettweiden).
Von geschichtlicher Bedeutung ist das Wesergebiet zwischen
Eisbergen und Hausberge. Hier vermutet man in neuerer Zeit,
nachdem dort Reste alter Befestigungen aufgefunden sind, das
Schlachtfeld Jdistavisus. Im Kirchdorfe Holtrup am Buhn
findet sich nämlich eine eigentümliche Befestigung, die fogen. Insel,
ein von einem Graben umgebenes Erdwerk. In der Nähe des
Dorfes wird eine andere befestigte Stelle gezeigt, der Ringwall
auf dem Schlußbrink. In der Feldmark Uffeln find ein großer
Kunsthügel und zahlreiche Hügelgräber aufgefunden worden.
Mitten in Lohfeld liegt dicht neben der von Hausberge uach
Eisbergen führenden Straße ein Hügel, von den Anwohnern
Papenbrink genannt. Hier fanden in alten Zeiten Volksver-
sammlnngen statt, und auch heute uoch wird dort alljährlich am
Himmelfahrtstage das Maifest gefeiert. Der Name des Hügels
Bockshorn läßt vermuten, daß hier einst eine Stätte für Oster-
fener und altgermanische Kultur war.
Rinteln (4700 Einw.) liegt an der Mündung der Exter in die Weser. Als
Hauptort des zur Provinz Hessen-Nassau gehörigen Kreises Grafschaft Schaumburg
ist die Stadt Sitz der Kreisbehörden (Landrats- und Katasternmt). Die Kgl.
Spezialkommission führt auch für die Gemeinden in Schanmburg-Lippe die Zu-
sammenlegung der Grundstücke aus (Verkoppelung). An Stelle der heutigen Stadt
lag auf dem linken Wesernfer ursprünglich der Fischerort Bleckenstädt nebst der
Ringelklause, eiuer Kapelle, in der für glückliche Überfahrt gedankt wurde. Am
rechten Weserufer befand sich das Dorf Alt-Rinteln (Rinctele), das im 15. Jahrh.
verschwunden ist. R. erhielt von seinem Gründer Adolf IV. i. I. 1239 Stadt-
rechte nnd war von 1621 bis 1809 Universität (Josna Stegmann, S. 99). Reste
der früheren Festungswerke (1668—1807) sind noch vorhanden. Es hat eine
lutherische, reformierte und katholische Kirche und ein Gymnasium, dessen Schüler
Dingelstädt war, der Verfasser des Weserliedes: „Hier Hab' ich so manches
liebe Mal mit meiner Laute gesessen." Früher bestand hier noch ein städtisches
Technikum. Der Bau der Nebenbahn Rinteln-Stadthagen führte zur Anlage
eines geräumigen Hafens. In jüngster Zeit hat Rinteln eine Präparandenanftalt
und ein Lehrerseminar erhalten. Haupterwerbszweige sind Ackerbau, Glas- und
Zigarrenindustrie, Holzsügerei, Korbflechterei und Ziegeleien. Bekannt ist auch
die Apfelweinkelterei Pomona.
Minden (25000 Einw.) liegt an der Mündung der Bastau in die Weser.
Die Stadt ist u. a. Sitz einer Kgl. Regierung, die den Reg.-Bezirk Minden
verwaltet, sowie einer Oberpostdirektion und hat viel Militär (Jnf.-Reg. Nro. 15,
Feld-Art.-Reg. Nro. 58 und Pion.-Bat. Nro. 10). Bis zu dem letzten großen
Kriege war M. eine Festuug. Seine günstige Lage erleichtert Verkehr und Handel.
An der Weserbrücke ist außer einem Kriegerdenkmal ein Standbild des Großen
Kurfürsten von Brandenburg errichtet, der im Westfälischen Frieden 1648 das
frühere Bistum Minden erhielt. Etwa 3 km n von der Stadt erhebt sich an
der Straße nach Petershagen ein Denkmal, das an die Schlacht bei Minden
erinnert (1. August 1759). Sehenswert sind in der Anla des Gymnasiums die
prachtvollen Wandgemälde von Thumann: Armins Rückkehr aus der Schlacht
und Wittekinds Tanse.
Die Keine kommt in starken Windungen ziemlich nahe an den
nö Teil unserer Heimat heran. Ihr Bett ist von Hannover an bis
zu der kleinen Kreisstadt Neustadt a. R. (2 250 Einw.) tief in
den kiesigen und sandigen Untergrund eingeschnitten, der unter der
aufgeschwemmten, lehmigen Bedeckung liegt. Hier bei Neustadt
hat der Fluß eine Felsbank durchbrochen, die ihn noch heute als
ein natürliches Wehr in seinem Laufe hemmt. Diese Erscheinung
hat zu der Annahme Veranlassung gegeben, daß sich das Leine-
Wasser vor dem Durchbruch der Gesteinsmasse zu einem See aus-
gestaut und durch das Steinhnder Meer und die Meerbachniederung
zur Weser seinen Abfluß genommen habe (S. 48).
Für die Uferlandschaften ist die Leine von großer Bedeutung.
Ihr ockergelbes Wasser setzt bei den alljährlichen Überschwemmungen
die mitgeführten verwitterten Gesteinsteile als lehmige und tonige
Massen ab. Dadurch sind allmählich fruchtbare Flnßmarfchen mit
üppigen Wiefeu und ausgedehnten Tonlagern entstanden. Die
Wiesen liefern hohe Erträge und dienen auch als Weiden für Kühe
und Pferde, die reichen Tonfelder aber haben die Anlage zahlreicher
Ziegeleien veranlaßt. Der Fifchbestand wird sehr geschädigt durch
die Zuleitung von Fabrikabwäffern und von dem Kanalwasser der
Großstadt Hannover.
Die Leine nimmt bei Bordenau (Geburtsort Scharnhorsts)
links die Westaue auf (S. 86) uud mündet später in die Aller,
die ihr Wasser in die Weser führt. Die wichtigsten Orte an der
Westaue sind Sachsenhagen (S. 41) und Wunstorf (S. 60).
Aufg.: Stelle die Berge, Flüsse und wichtigsten Orte unseres Nach-
barlandes zusammen! —Welche Stätten erwecken Erinnerungen
an Kriegszeiten? — Klöster und Burgen!—Badeorte!
— 153 —
III, Gesamtbild unserer Heimat.
Au fg.: Stelle unsere Berge, Gewässer und wichtigsten Orte nach den
natürlichen Landschaften zusammen!
1. Die Bewohner.
Die Sesiedelung unseres Kandes. An verschiedenen Stellen
unserer Heimat sind Steinwaffen und steinerne Gerätschaften gefunden
worden, deren Herstellung und Benutzung in vorgeschichtliche Zeiten
zurückweisen (S. 25). Jüngere Spuren sind schon die aus Bronze und
Eisen gefertigten Gegenstände. Auch hat man zahlreiche aus Ton
hergestellte Urnen aufgefunden, in denen unsere Vorfahren die Afche
ihrer verbrannten Toten beizusetzeu pflegten. Diese Funde bezeugen
in Ermangelung auderer Beweise, daß unsere Gegend schon in uralter
Zeit bewohnt gewesen ist.
Wann die erste Besiedelnng jedoch stattgefunden hat, läßt
sich nicht nachweisen. Die ältesten Ansiedelungen sind in dem w
Teile unserer Heimat und im N am Steinhnder Meer zu sucheu.
Vou V/ her wurde die Urbarmachung des großen Dnlwaldes in
Angriff genommen, der sich von der Weser bis zum Steiuhuder
Meer ausdehnte (S. 61 it. 113). In der Ebene von Bückeburg treffen
wir darum die ältesten Dörfer unserer Heimat. Sie verraten schon
durch ihre Namen und ihre unregelmäßige Anlage ein höheres Alter
als die meisten Orte in der Ebene von Stadthagen. Letztere endigen
vielfach auf „Hägen" und entstanden erst im 12. und 13. Jahrhundert
(S. 90). Die wichtigsten ältesten Ansiedelungen unseres Fürstentums
sind Frille, Petzen, Sülbeck, Meerbeck, Lindhorst, Bergkirchen und
Steinhude. Die älteste urkundlich erwähnte Kirchengrüuduug ist die
der Kirche zu Meerbeck (S. 88), die älteste uoch vorhandene Kirche
ist die zu Petzen (S. 115).
— 154
Nach römischen Schriftstellern (Cäsar, Taeitns) war unsere
Gegend zu Beginn der christlichen Zeitrechnung von den Cheruskern
bewohnt. Ihnen folgten einige Jahrhunderte später die Sachsen,
die vom n Deutschland her einwanderten. Die altsächsische Eigenart
ist in der geschlossenen Lage der Dörfer und der Bauart der Häuser
noch vielfach deutlich zu erkennen. Menschen und Vieh leben unter
einem Dache. Von der großen, quergeteilten Haustür aus, die
sich stets an einer der Giebelseiten befindet, überblickt man die ge-
räumige Diele (Däle). Bibelsprüche und andere Inschriften über
dem Hauseingange legen Zeugnis ab von der Gottesfurcht des
Bauherrn. Gleich vorn an den Seiten der Diele befinden sich die
Ställe für das Vieh, das von der Diele aus gefüttert wird. Ju
alten Zeiteu war am entgegengesetzten Dielenende ein zweites Tor;
der Erntewagen konnte also ganz durchs Haus fahren und brauchte
nicht zurückgezogen zu werden. An die Stelle dieses Ausganges
ist später die Herdanlage mit dem Ranchfang getreten; ein Schorn-
stein fehlte. Heute finden wir hier gewöhnlich den Hauptwohnraum
uud die Küche. Die beiden kleinen Seitentüren, durch die man
von hier in den Garten und Baumhof gelaugte, finden sich meist
auch heute uoch. Bei neueren Bauten ist das Wohnende sehr häufig
durch eine Querwand von der übrigen Diele getrennt. Die älteren
Bauernhäuser waren Fachwerksbauten und hatten Strohdachnngen;
sie finden sich nur uoch vereinzelt. Ihren Bewohnern gewährten
sie eine leichte Übersicht über alle Vorgänge auf dem Hofe. Trotzdem
verschwindet in neuerer Zeit die alte Bauweise immer mehr; sie
soll den heutigen Bedürfnissen der Ackerwirtschaft nnd Viehzucht
und den wohnlichen Ansprüchen nicht mehr genügen. Neuerdings
sucht man den niedersächsischen Fachwerksbau auf dem Lande wieder
zn verbreiteu.
Einwohnerzahl. Nach der Volkszählung vom Jahre 1905
wird unser Land von 44 992 Menschen bewohnt. Sie verteilen
sich auf die beiden Städte Bückeburg uud Stadthagen und 82
ländliche Gemeinden, darunter die beiden Flecken Steinhude und
Hagenburg. (Auf 1 qkrn kommen 132 Einwohner.) In den
Städten leben insgesamt 12 379, auf dem Lande demnach 32 622
Personen. Die dichteste Bevölkerung hat der industriereiche ö Teil
unseres Landes, denn der Kreis Stadthagen zählt 18 156, der Kreis
Bückeburg dagegen nur 14 466 Einwohner. Die weibliche Bevöl-
— 155 —
kerung von Schaumburg-Lippe überwiegt mit 118 Personen. Die
Einwohnerzahl hat sich im Laufe des verflossenen Jahrhunderts
verdoppelt. Sie betrug:
1800 1816 1855 1895 1900 1905
etwa 20000 26~00Ö 30 000 41 224 43 132 44 992
Erwerbsquellen und Kefchäftignng. Die günstige Lage
unseres Landes an einer der verkehrsreichsten Bahnlinien im mittleren
Deutschland, ein vortrefflicher Acker- und Waldboden und reiche Bodeu-
schätze gewähren den Bewohnern mannigfaltige Erwerbsquellen. Die
wichtigsten sind Landwirtschaft, Industrie und Handwerk.
Der Rest der im Berufsleben tätigen Bewohner ist im Handel
und Verkehr beschäftigt oder wirkt als Beamte.
Als Acker- und Gartenland werden benutzt.........164,4 qkm
„ Wiesen....................42,0 „
„ Weiden und Hntnngen...............18,2 „
„ Forsten und Holzungen...............69,0 „
Haus- u. Hofräume, Od- it. Unland, Wege, Gewässer usw. bedecken 46,6 „
Der Boden ist durchweg recht fruchtbar; selbst der sandige und
moorige Strich in der Nähe des Steinhuder Meeres wird durch
sleißige und verständige Bewirtschaftung immer mehr ertragfähig
gemacht. Der größte Teil des Bodens ist bäuerlicher Grundbesitz;
ein tüchtiger Bauern- uud Arbeiterstaud bewirtschaftet ihn. Der
Großgrundbesitz (Domänen, Güter) ist meist Eigentum der Landes-
Herrschaft. Begüterte Adelsfamilien sind: von Oheimb (Helpsen-
Meinefeld, Enzen), von dem Busche-Streithorst (Brummershop) uud
vou Münchhausen (Remeringhausen). Der Grundbesitz wird gewöhn-
lich nach Morgen bezeichnet (etwa 4 Morgen — 1 ha). Die meisten
landwirtschaftlichen Betriebe kommen aus Flächen unter 20 Morgen.
Die Bauernhöfe haben 20 bis 80 Morgen, in einigen Fällen anch
noch größeren Besitz.
Außer der natürlichen Bodenbeschaffenheit sind die reichlichen
Niederschläge unserer Gegend, die verschiedenen Bäche uud zahlreiche
Entwässerungsanlagen von besonderen: Einfluß aus die gedeihliche
Entwicklung unserer heimischen Landwirtschaft. Dazu kommt noch,
daß die Nähe der Städte Minden, Bückeburg, Stadthageu und
Wunstorf, namentlich aber der Großstadt Hannover, günstig auf den
Absatz aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse wirkt. Die beiden Haupt-
zweige der Landwirtschaft sind Ackerbau und Viehzucht.
— 156 —
Der Ackerbau hat in den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts einen mächtigen Aufschwung genommen. Durch gründ-
lichere Bewirtschaftung des Bodens (Anwendung von Maschinen und
künstlichen Düngemitteln, Tiefkultur, besseres Saatgut) haben sich
die Erträge gegen früher fast verdoppelt. Man gewinnt hauptsäch-
lieh, wie aus der folgenden Aufstellung zu ersehen ist, Roggen, Hafer,
Weizeu, Kartoffeln und Bohnen. Seit einigen Jahren werden größere
Flächen mit Zuckerrüben bebaut.
Die Hauptnutzung auf Acker- u. Gartenländereien betrug nach der Aufnahme 1907 >
Roggen 5 325 ha Menggetreide 545 ha
Hafer 3139 „ Ackerweide 415 „
Weizen 1 468 „ Gerste 92 „
Kartoffeln 1821 „ Flachs 73 „
Bohnen 990 „ Zuckerrüben 68 „
Klee 968 „ Raps 64 „
Runkeln 584 „ Grassaat 82 „
Haus- und Obstgärten 399 „ Brache 15 „
Luzerne 15 „
Ländereien und Wiesen sind nach dem Grade ihrer Fruchtbar-
keit in mehrere Klassen eingeteilt. Diese Einteilung und die Ab-
schätzung des Reinertrages wird von sachverständigen Landwirten
vorgenommen. Nach dem Reinertrage richtet sich die Höhe der zu
zahlenden Grundsteuer. Die Zusammenlegung (Verkoppelung) von
Grundstücken, die schon in vielen Gemeinden durchgeführt ist, hat
die Anlage von Kanälen, Gräben und Feldwegen und die Be-
seitiguug von Hecken usw. verursacht und dadurch die Ertragsfähig-
keit der Ländereien wesentlich vermehrt. Zur Hebung der Land-
Wirtschast trägt auch der landwirtschaftliche Verein unseres Landes
viel bei (Unterhaltung der landwirtsch. Winterschule in Stadthagen,
Vorträge, Ausstellungen usw.).
Neben der Ackerwirtschaft treiben unsere Landwirte Viehzucht.
Besonders gut ist die Schweinezucht entwickelt. Auch werden Pferde,
Rinder und Ziegen gehalten und gezüchtet. Die Ausfuhr an Fett-
vieh ist bedeutend. Nächst Hannover haben die Viehmärkte zu
Stadthagen für unser Land und die weitere Umgebung große Be-
dentnng. Hier treten sogar Händler aus Rheinland und Westfalen
als Käufer auf. Zur Hebung der Viehzucht veranstaltet der oben
genannte Verein von Zeit zu Zeit Ausstellungen, wobei auf die
besten Tiere Auszeichnungen verliehen werden. Zur besseren Aus-
Nutzung der Milch (Butter- und Käsebereitung) sind in mehreren
Orten des Landes genossenschaftliche Molkereien angelegt. Die
Schafzucht ist infolge der starken Einfuhr billiger ausländischer Wolle
sehr zurückgegangen. Auf diesen Rückgang ist auch die Verkoppelung
und die damit verbundene Ablösung der Huteberechtiguug von Ein-
fluß gewesen. Nur noch vereinzelt werden Schafherden gehalten.
An Vieh zählte im Jahre 1907
Stadt Bückeburg: 169 Pferde, 24 Rindv., —Schafe, 823 Schweine, 67 Ziegen.
„ Stadthagen: 234 „ 266 „ 2 „ 3829 „ 868 „
Kreis Bückeburg: 1657 „ 4165 „ 726 „ 18732 „ 3351 „
„ Stadthagen: 1621 „ 8718 „ 477 „ 25619 „ 3765 „
Schaumb.-Lippe: 3681 „ 13113 „ 1199 „ 48463 „ 7931 „
Geschlachtet wurden im Jahre 1967 insgesamt:
Gewerbl. Schlachtungen:
37 Pferde, 3232 Stück Rindvieh, 329 Schafe, 5221 Schweine, 265 Ziegen
Hausschlachtungen: 489 „ „ 66 „ 26648 „ 224 „
Ein blühender Nebenzweig der Landwirtschaft ist die Bienen-
zu cht. Die Bienen finden hier im Gegensatz zur Heide vom Früh-
jähr ab unausgesetzt reichliche Nahruug (Heidel- und Stachelbeere,
Obstblüte, Hederich, Lindenblüte, Raps, Him- uud Brombeere).
Viele Heidimker bringen im Juni ihre Bienenkörbe nach unseren
Rapsfeldern. Unsere Imker legen in neuerer Zeit außer auf Honig-
gewinnung auch auf die Gewinnung von Völkern großes Gewicht.
Die fogen. Vorsckwärme werden verkauft, der Korb zu 7 bis 8 Mt
während die beiden Nachschwärme stehen bleiben, um hernach zur
Erzielung von Honig in die Heide gebracht zu werden, z. B. nach
Uchte, Stolzenau, Linsburg uud Neustadt a. Rbg. Ein Pfund
Honig kostet im Durchschnitt etwa 1 M. Überwiegend wird Korb-
zucht betrieben, weniger Kastenzucht (beschwerlicher Transport in die
Heide). Die Bienenzucht ist am stärksten im Kreise Stadthagen
verbreitet (Vornhagen, Lüdersfeld).
Im Jahre 1967 zählte unser Land insgesamt 2618 Bienenstöcke,
nämlich Stadt Bückeburg 97 Bienenstöcke,
„ Stadthagen 43 „
Kreis Bückeburg 685 „
„ Stadthagen 1793 „
Nicht minder blüht die Geflügelzucht uud der Obstbau.
Beide Zweige werdeu besonders von Sr. Durchlaucht dem Prinzen
Hermann zu Schaumburg-Lippe gefördert, der einen ausgedehnten
Geflügelpark und Obstgarten in Bergdorf bei Bückeburg besitzt.
Unter dem Protektorat des Prinzen arbeitet ein starker uud eifriger
Verein für Geflügelzucht und Obstbau. Durch Vorträge, Kurse,
Ausstellungen u. dergl. werden die nötigen Belehrungen gegeben.
Den Obstbäumen an den Landstraßen widmet man sorgfältige Pflege,
^eder sollte dazu mithelfen, daß sie geschont werden.
— 158 —
Bei der Geflügelzählung iin I. 1907 wurden im Lande insgesamt
gezählt: 2394 Gänse, 1617 Enten, 09 986 Hühner, 480 Truthühner. — An
Obstbäumen wurden 1900 gezählt: 97 477 Apfel-, 25 714 Birn-, 169 067
Zwetschen- und 8067 Kirschbäume.
Außer der Acker- und Viehwirtschaft gibt auch die Waldwirt-
schaft vielen Bewohueru unseres Landes Beschäftigung. Die Wal-
düngen nehmen ungefähr den 5. Teil der Gesamtfläche unseres
Fürstentums eiu (68,9 qkm). Auf Laubholz entfallen über 3/ir auf
Nadelholz fast 1/i der Waldfläche. Den größten Anteil an den
Waldungen hat die Krone (64,8 qkm); der Rest kommt auf Ge-
meinde-, Stiftuugs- und Privatforsten (1, 4 bezw. 411 ha). Die
wirtschaftliche Nutzung ist bereits bei der Betrachtung des Schaum-
burger Waldes erwähnt worden (S. 132).
Aus den hiesigen fürstlichen Forsten wurden im Jahre 1908 verkauft
an Nutzholz: 3333 Fm. Eichen, 4806 Fm. Buchen, 332 Fm. Weichholz,
5218 Fm. Nadelholz,
an Brennholz: 7431 Rm. Eichen, 11876 Rin. Buchen, 2336 Rm. Weichholz
und 17319 Rm. Nadelholz.
Die Jagd steht in erster Reihe der Landesherrschast zu, dann
aber auch den Gemeinden und solchen Privatpersonen, die mindestens
75 ha zusammenhängenden Grundbesitz haben. Die Gemeindejagden
werden meistbietend verpachtet und briugeu oft erhebliche Einnahmen.
An Wild sind unsere Forsten reich. Im Schanmbnrger Walde
finden wir Hochwild (Hirsche und Rehe), im Bückeberge außerdem
noch Schwarzwild (Wildschweine). Unter den Rehen, die auch die
übrigen Forsten unserer Heimat belebeu, bilden die schwarzen eine
besondere Merkwürdigkeit (S. 34 n. 134). — Die Vogelwelt ist
in vielen Arten vertreten (S. 34). Die Zahl der Sänger in Wald
und Feld ist leider zum Nachteil für unsere Gärteu uud Obstbäume
durch die Ausrottung der Feldhecken infolge der Verkoppeluug sehr
zurückgegangen •— Die Fischerei in den Bächen und im Steiuhuder
Meere (S. 46) ist herrschaftlich.
Im Sonnner verlassen etwa 600 und mehr Schanmburg-Lipper
im Alter von 14 bis 60 Jahren ihre Heimat, um als Herings-
fänger zur See zu fahren. Sie kommen hauptsächlich aus den
Dörfern Hespe, Meerbeck, Niedernwöhren, Nienbrügge, Niedernholz
und mehreren anderen im Norden unseres Laudes gelegenen Ort-
schasten, z. B. aus dem Kchsp. Bergkirchen. In früheren Jahren
gingen viele unserer Arbeiter nach Holland zum Grasmähen und
später auf holländische Schiffe zum Heringsfang. Seit dem mächtigen
— 159 —
Aufschwünge der deutschen Hochseefischerei fahren sie jedoch nur noch
auf deutschen Schiffen. Sie gelten als arbeitsame, treue und streb-
same Leute uud werden darum vou den Fischerei-Gesellschaften in
Emden, Geestemünde, Elsfleth, Altona usw. gern angenommen.
Manchem gelingt es durch Fleiß und Ausdauer, die Steuermanns-
oder die Schifferprüfung zu machen nnd dadurch in einträgliche
Stellungen zu kommen. Ihr Beruf ist zwar gefahrvoll, aber gewinn-
bringend und gesund.
Der größte Teil unserer Bevölkerung, etwa die Hälfte, ist in
der Industrie uud im Handwerk beschäftigt. Die Industrie hat
sich hauptsächlich in Stadthagen entwickelt, da hier das erforderliche
Kraftmittel für Fabrikbetriebe nahe ist, nämlich die Kohle. Die
wichtigsten Anlagen zur Gewinnung und Ausnützung der reichen
Bodenschätze sind Bergwerke, Ziegeleien, Steinbrüche, Steinhauereien,
Brennereien, Brauereien, Holzsägereieu, Mühlen usw. Große Be-
deutung hat bei uus die Glasfabrikation und die Weberei erlaugt.
Manche Handwerke sind durch die großen Fabrikbetriebe leider sehr
zurückgedrängt worden. Lohnend sind noch immer das Bauhand-
werk und die damit in Verbindung stehenden Gewerbe, die Schlosserei
und Tischlerei. Zur Hebung des Handwerks ist eine Gesamtver-
tretung der Handwerker geschaffen (Handwerkskammer), auch hat
mau Innungen gegründet und an einigen Orten Fortbildungsschulen
ins Leben gerufen.
Die Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft, der Industrie
und des Handwerks kommen in den Handel, der um so lebhafter
ist, je luehr diese Zweige in Blüte stehen (vgl. S. 38 n. 105!). Der
Handel vollzieht sich hauptsächlich in den Städten. Er führt den
einzelnen Gewerben Rohstoffe zu, setzt ihre Güter ab, veranlaßt
Nenanlagen, erwirbt neue Absatzgebiete und regelt somit Angebot
und Nachfrage. Zu den Hauptausfuhrartikeln unseres Landes ge-
hören Mastvieh, Molkereierzeugnisse, Holz, Kohlen, Koks, Sand-
und Pflastersteine, Glaswaren, Leinenstoffe, Ziegeleierzeugnisse, Leder
u. dgl. Die Einfuhr umfaßt anßer den Rohmaterialien für die
Fabriken hauptsächlich Kolonial- und Manufakturwaren, Wein, Süd-
früchte, Hopfen, Petroleum, Baumwolle, Tabak, Papier-, Eisen-,
Stahl-, Kurzwaren usw. Auf dem Laude sind feit den 1890er
fahren zum Nachteil für die kleineren Ladengeschäfte zahlreiche
Konsumvereine entstanden, die in manchen Orten einen ganz be-
— 160 —
deutenden Umsatz haben. — Zur Förderung des Handels und der
Industrie hat sich in nnsernt Fürstentums seit 1899 ein Handels-
und Industriellerem gebildet, der seinen Sitz in Stadthagen hat.
Von großem Einfluß auf die Entwicklung des Handels sind
die Einrichtungen für den Verkehr, nämlich Wege, Bahnen, Post-
anstalten, Banken n. dergl. Auf diesen: Gebiete ist unsere Heimat
äußerst günstig gestellt. Mitten durchs Laud führt die uralte Heer-
straße llou Miuden nach Hannoller, der „Heelweg llor dem Sand-
llorde", unter der Fürstin Juliane (^ 1799) als Kunststraße llou der
Klus bis Kobbensen (25,7 km) ausgebaut. Dallou zweigt auf dem
rechten Weserufer in Minden eine andere größere Verkehrsstraße n
ab, die sog. alte Poststraße, die der Weser nach Bremen folgt. In
8 Richtung erschließen Verbindungen llon Bückeburg und Stadthagen
den Verkehr mit dem Wesertal und dem Fürstentum Lippe-Detmold.
Von all diesen bedeutenderen Verkehrswegen geht ein ausgedehntes
Netz guter Landstraßen und Wege aus, das immer mehr llerlloll-
ständigt wird. Früher standen unsere Wege in keinem guten Rufe,
heute aber sind sie so kunstgerecht ausgebaut, daß sie den Verkehrs-
bedürfniffen genügen. Die meisten Straßen sind erst in den letzten
Jahrzehnten angelegt und planmäßig ausgebaut. Tie Aufsicht führt
der Baurat in Bückeburg, dem die Straßennieister und Wegewärter
unterstellt siud. Für die Instandhaltung wurde seit 1784 Wegegeld
gezahlt, das llom 1. Oktober 1903 ab aufgehoben ist (Fortfall der
Schlagbäume). Heute tragen Staat, Kreise und Gemeinden allein
die Kosten. Zu den wichtigsten Verkehrswegen gehören die Eisen-
bahnen. Die erste Eisenbahn unseres Landes, die 24 km lange
Strecke der Köln-Mindener Bahu, wurde am 15. Oktober 1847 er-
öffnet. Sie ist auf Kosten des Fürsten gebaut, da der damalige
Landtag deu Bau ablehnte. Seit 1880 ist diese Bahnstrecke llom
preußischen Staate übernommen worden. Am Ausgange des 19.
Jahrhunderts sind in unserm Fürstentums noch zwei Kleinbahnen
gebaut, die Steinhuder Meerbahn (S. 44) und die Bahn Stadt-
Hägen-Rinteln (S. 102). Geplant ist die Strecke Stadthagen-Nienburg.
Als billigste Verkehrswege gelten die Wasserstraßen. Eine
derartige Verkehrsader wird unser Land schon in den nächsten Jahren
erhalten, nachdem die Vorarbeiten für den Mittelland-Kanal
bereits in Angriff genommen sind, der Schaumburg-Lippe n llon
Stadthagen durchzieht. Einen kleinen Wasserweg besitzen wir bereits
— 161 —
in dem Hageuburger Kanal, der dem Schiffsverkehr nach dem Wilhelm-
stein dient. Der wichtigste Wasserweg in unserer Nähe ist die
schiffbare Weser.
Von großer Bedeutung für Handel und Verkehr sind noch
unsere Postanstalten. Wenn auch die Personenbeförderung dnrch
Fahrposten seit der weiteren Ausdehnung des Eisenbahnverkehrs
ziemlich gering geworden ist, so hat doch die Beförderung von Post-
sachen eine gewaltige Ausdehnung erreicht, namentlich aber haben
die Fernsprecheinrichtungen große Verbreitung gefunden. Fast samt-
liche Postanstalten unseres Landes sind der Kaiserl. Ober-Post-
direktion Minden unterstellt, nur die Postanstalten zu Wölping-
hausen, Steinhude und Großenheidorn gehören zum Ober-Post-
direktionsbezirke Hannover.
Den Geldverkehr regeln die Postanstalten, die Niedersächsische
Bank in Bückeburg, mehrere Privatbanken, die 5 Kreissparkassen zu
Hagenburg, Nordsehl, Sülbeck, Memsen und Eilsen, die städtischen
Sparkassen zu Bückeburg und Stadthagen und einige Darlehnskassen.
Nach der Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907
beträgt die Zahl der Erwerbstätigen nach dem Hauptberuf: darunter
1. Landwirtschaft, Gärtnerei, Tierzucht, Forstwirtschaft Gesamtzahl weibl.
und Fischerei......................11 568 6 560
2. Industrie, einschl. Bergbau und Baugewerbe ... 22 031 9 920
3. Handel und Verkehr, einschl. Gast- und Schenkwirtschast 5 215 2 762
4. Häusl. Dienste, auch Lohuarbeir wechselnder Art. . 250 190
5. Öffentlicher Dienst, freie Berufsarten..........2 071 1 090
6. Ohne Beruf und Berufsangabe..............3 909 2 452
Ortsanwesende Perfonen überhaupt 45 044 22 974
An landwirtschaftlichen Betrieben wurden gezählt:
1 637 Hauptbetriebe init 16 790 ha
6 158 Nebenbetriebe „ 5 791 „_
7 795 Betriebe mit 22 581 ha Gesamtfläche
Bon der Gesamtfläche sind 15 319 ha Ackerland, 3 707 ha Wiese,
überhaupt 20146 ha landwirtsch. und 849 ha sorstwirtsch. Fläche; den Rest bilden
geringere Weide und Hutung, Od- und Unland, Haus- und Hofraum, Ziergarten,
Wege und Gewässer.
In der Landwirtschaft sind überhaupt 22754 Personen beschäftigt.
Das Gewerbe zählte 2 514 Haupt-, 494 Nebenbetriebe, 8 030 gewerbe-
tätige Personen, darunter 4 986 Arbeiter.
An Kraftfahrzeugen wurden 19 Stück gezählt.
Im Jahre 1910 betrug
die Gesamtlänge der S t a a t s st r a ß e n...... 87,069 km,
nämlich im Kreise Bückeburg 45,777 km
„ „ Stadthagen 41,292 „
die Gesamtlänge der Amts str atzen ....... 158,150 km,
nämlich im Kreise Bückeburg 58,121 km,
„ Stadthagen 100,029 „ .
11
— 162 —
2. Aus unseren Volkstum.
UolKstrachteu. Während sich im N und S unserer Heimat
eine einfache, bürgerliche Kleidung findet, zeichnet sich der größte
Teil unserer weiblichen Landbevölkerung durch eiue farbenreiche
Tracht aus. Besonders auffallend sind der gekräuselte, rote Rock,
das kurzärmelige Mieder, die mit Perlen und Klittern, Schleifen
und Bändern geschmückte Mütze, das buntfarbige Schultertuch, die
kunstvoll gearbeitete, weiße Halskrause und die Halskette aus Wal-
nußgroßen, geschliffenen Bernsteinperlen. Man kann drei Trachten-
gruppeu unterscheiden, nämlich die Bückeburger, die Liudhorster
und die Friller Tracht. Gemeinsam ist allen dreien der fast bis
auf die Füße herabreichende, feuerrote Rock, dessen Stoff je nach der
Güte von den Landleuten als Büffel, Friesat oder Scharlach be-
zeichnet wird. (Die Bezeichnung „Friesat" deutet die ursprüngliche
Heimat des Stoffes an. Wollstoffe stellte man nämlich früher iu
Friesland und den benachbarten Gegenden her. Als bestes Tuch
galt im Mittelalter das englische. Schon im 15. Jahrhundert
wurde englisches Tuch in roter Farbe in Osnabrück eingeführt.)
Große Verschiedenheiten weisen bei den einzelnen Gruppen Mütze,
Nackentuch, Schürze und Mantel auf. Die Mütze scheint in ihren
Anfängen aus Westfalen uud dem Osnabrückischen zu uns herüber-
gekommen zu sein. Dort wurden von den Frauenklöstern aus zu-
erst gestickte Mützen verbreitet; sie waren mit Gold- und Silber-
treffen besetzt oder mit Blumenstickereien geschmückt und wurden über
der eigentlichen Haube getragen, von der sich als Rest das Stirn-
band erhalten hat.
Die Bückeburger Tracht nimmt: fast den ganzen sw Teil unserer Heimat
ein, reicht im XV bis' an die Weser und schließt im 0 mit den Dörfern Poll-
hagen, Nordsehl, Krebshagen und Wendthagen ab. Die Mützen haben hier
große und steif abstehende Schleifen, breite und lange Bänder uud vorn überaus
bunte Perlenstickerei, die sich auch auf dein Stirnbande („Plitt") findet. Durch
Verwendung steifer Pappe hat man der Mütze allmählich die heutige Form ge-
geben, deren Anfänge Mitte der 1870er Jahre von Bückeburg ausgingen. —
Die Lindhorster Tracht findet sich im O des Fürstentums, in den Kirchspielen
Lindhorst, Lauenhagen, Probsthagen und Heuerßen; sie umfaßt auch den angren-
— 103 —
zenden n Teil des zur Provinz Hessen-Nassau gehörigen Kreises Grafschaft Schaum-
bürg, das Amt Rodenberg, und wird darum auch als hessische Tracht bezeichnet. Die
Mutze ist einfach und bequem, geht von der Stirn aus steil uach oben und fällt
nach dem Hinterkopf zu schräg ab. Besondere Schmuckstücke sind Nackentuch,
Schürze, silberne Brustspange, Ohrringe, Fingerring und bunt gestrickte Strümpfe.
- Die Friller Tracht^ beschränkt sich auf die Kirchspiele Frille und Dankersen.
Sie zeichnet sich durch Schlichtheit, Einfachheit und darum auch durch Billigkeit
aus. Besonders fallen Rock, Wams (Mieder) und Mütze auf. Der Rock, dessen
unterer Saum mit blauem Atlasband besetzt ist, hat auffallend kurze Taille und
wird durch Schulterbänder gehalten. Das Wams ist mit 4 m langem Band
besetzt, dessen Enden ans die Schürze herabfallen. Die leichte Mütze hat vorn
zwei Zipfel, die aus dem Besatzbande geformt sind.
Die Volkstracht der männlichen Bevölkerung hat leider so
stark abgenommen, daß sie nur noch wenig hervortritt. Diese Er-
scheinnng kann man jedenfalls auf den gesteigerten Verkehr, den
Militärdienst der jungen Leute in fremden Garnisonen und das
Aussuchen von Arbeitsgelegenheit in der Fremde zurückführen. Die
frühere Männertracht ist in ihrer malerischen Wirkung noch recht
zur Geltung gekommen, als Kaiser Wilhelm II. zum ersten Male
(15.—17. Jan. 1889) am Fürstenhofe zu Bückeburg weilte. Da-
mals erschienen einige hundert Landleute in ihrer Nationaltracht
auf prächtig geschmückten Pserden als Ehrenreiter, um Kaiser und
Landesfürst zu begrüßen. Unsere gesamte Volkstracht aber hat
sich noch in jüngster Zeit in ihrer Üppigkeit und Schönheit fo
recht voll entfalten können bei dem Festzuge, den die Landbevöl-
kerung am 16. April 1907 zur Feier der silbernen Hochzeit unseres
regierenden Fürstenpaares veranstaltete.
Die Männer tragen nur noch ganz vereinzelt den langschößigen, weißen
Leinenkittel mit blanken Metallknöpfen und rotem Futterstoff und die rauhe Fell-
mutze oder den niedrigen, breitkrempigen Hut. Früher kamen dazu Kniehose aus
Hirschleder oder Manschester und lange Strümpfe oder hohe Schaftstiefel. Zur
Kirche wird stellenweise noch ein langschößiger, dunkler Rock mit kurzer Taille getra-
gen, der talergroße, mit Seide umsponnene Knöpfe und aufrecht stehenden, nicht um-
gelegten (altdeutschen) Kragen hat. Um den Hals wird im Sommer und Winter
ein schwarzseidenes Tuch gebunden, aus dem in einigen Kirchspielen der gezackte
Hemdskragen hervorragt. Bei den Männern im Gebiet der Lindhorster Tracht
findet man noch stumpf abgeschnittenes Haar, auf dem gewöhnlich eine schwarze
Pelzmütze oder eine schwarzseidene leichte Kappe getragen wird. Ältere Leute
trugen hier noch zn Anfang dieses Jahrhunderts als Kopfbedeckung eine aus weißer
oder schwarzer Wolle gestrickte beutelartige Mütze, deren umgeschlagenes Quasten-
ende („Pingel") vom Kopfe herabhing. Im Gebiet der Friller Trachtengruppe
dient als Kopfbedeckung eine rauhe Fellmütze oder ein kleiner Hut mit schmaler
Krempe, zur Kirche dagegen trägt man niedrigen Filzhut, der recht breite
Krempe und herabhängendes, breites Samtband hat. Knaben und Jünglinge
trngen bisher eine kleine aus buntem Wollgarn gestrickte Mütze („Pett") mit herab-
hängender Troddel. Rundgeschnittenes Haar („Polkahaar") findet sich nnr noch
bei älteren Männern. — Als Schmuck trugen die Männer mehr oder weniger
kostbare Knie- und Schuhspangen. Auch die Frauenschuhe waren in der ersten
11*
164 —
Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Spangen aus Zinn, Neusilber oder Silber
geziert. Ein Schmuckstück der Männer im Häger Amte war bis in die 1880er
Jahre die Pfeife mit silbernem Beschläge, die gewöhnlich am Hochzeitstage von
der Braut dem Bräutigam geschenkt wurde.
Sprache, Sitte« und Gebräuche. Nicht nur in der Tracht,
sondern besonders auch m der Sprache haben sich in einigen
Gegenden unseres Landes merkliche Unterschiede bis heute behauptet,
während Sitteu und Gebräuche fast überall ziemlich gleich sind.
Man spricht ein breites Platt- oder Niederdeutsch. Die Aussprache
ist oft schon in nahe beieinander gelegenen Orten recht verschieden.
Besondere Mundarten lassen sich in der Umgegend von Steinhude,
Lindhorst, Sülbeck, Bückeburg und Frille feststellen, wie das bei den
Einzelbildern näher beschrieben wurde. Bezeichnend ist die durch-
weg schlechte Aussprache von j und g «den Vückebnrger in der
Fremde lasse man nur „Ingergang" aussprechen!) und der Gebrauch
vou „man" statt „nur", z. B.: Lat di man nicks vörkürn (laß dir
nur nichts vorschwatzen)! Als Proben unserer plattdeutschen Mundart
seien angeführt:
übergebet:
Eck will nn liggen gahn nn schlapen
Un mi np den leiwen Gott vertaten.
Wenn de Dod kunimt un well mi beschlieken,
Nehme nn Gott in sien Hiinmelrieken.
M ar tinslieb:
In der Umgegend von Bücke bürg.
Marten, Marten, gaue Mann,
de et woll 'edauhn kann.
De Appel un de Biern,
de Nöte mag eck giern.
Gaue Frue, giw üsch wat,
lat üsch uich te lange stahn,
wie möt't noch hen nah Köln gahn,
Köln is en wieen Weg.
Himmelriek is nppedahn,
dor kön wi alle rinnegahn:
Eine bet tweie,
de drüdde kann noch mit üsch gahn.
Wenn de Schlötels klappet,
denn bringt se üsch woll 'n Appel,
wenn de Schlötels klinget,
denn werd se üsch woll Ivat bringen.
Sümeling!
Rosenblatt!
Schöne Stadt!
Schöne Jungfer, giiv üsch wat!
In der Umgegend von Stadthagen.
Marten, Marten, gaue Mann,
de et woll 'edauhn kann.
Appel nn Biern schmeckt ok all gaut,
schmiet'tse ini in'n Filzhaut.
Ohle Frue, junge Frne,
lat mi nich te lange stahn,
eck mot noch hen nah Köln gahn,
Köln is en wieen Weg.
Himmelriek is uppedahn,
dor schö wi alle rinnegahn
mit nsen Velen Gästen,
de Herrgott is de beste.
Eck hür de Böhn klingen,
eck hür de Böhn klappen —
eck löwe, eck kriege
'n dicken, dicken Martensappel.
(Als Spottvers u. a.):
Witten Twiern,
Schwarten Twiern,
N.'s Mudder giwt nich giern".
— 165 —
Bei Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen hält unsere Land-
bevölkerung noch an manchen Sitten und Gebräuchen fest, die
echt altsächsischer Art sind. Wenn ein Kind geboren ist, so läßt
nian wohl bis zur Taufe ein Licht brennen. Das Licht soll das
Kind gegen böse Zwerge oder Erdgeister beschützen, die nach alt-
deutschem Volksglauben ihre Kinder gern mit denen der Menschen
vertauschen, als lichtscheue Wesen aber das Licht fürchteu. Die
Mutter des Kindes erhält von Freundinnen uud Nachbarinnen
allerlei Geschenke; die Paten schenken dem Kinde einen vollständigen
Anzug (heute gewöhnlich, wenn es zum ersten Male geimpft wird;
darum „Blatternzeug" genannt) und Gaben zur Konfirmation.
Junge Mädchen tragen als Patinnen eine mit glitzernden Perlen
und kleinen Spiegeln besetzte Krone („Kranz"). Ein solcher Schmuck
wird auch bei größeren Hochzeitsfeiern von der Braut uud den
Kranzjuugferu getragen. Die Brautkrone zeichnet sich in einigen
Kirchspielen lz. B. Lindhorst) uoch durch buute uud lang herab-
wallende Bänder aus. Einige Wochen vor der Hochzeit findet ge-
wöhnlich die „Beschreibung" statt, d. i. die gerichtliche Regelung der
Vermögensverhältnisse. Dem Bräutigam wird dabei, soseru er der
älteste Sohn ist, der Hof zugeschrieben, die Braut gibt an, was sie
als Heiratsgut auf den Hof mitbringt. Auch wird bestimmt, was
die Eltern des Bräutigams als „Leibzucht" uud die Geschwister als
Abfindung vom Hofe erhalten sollen.
Die größeren Hochzeitsfeiern im „Häger Amte" zeichnen sich noch
durch besondere Gebräuche aus. Ein Hochzeitsbitter ladet zur Feier ein, die
stets im Hause des Bräutigams stattfindet. Die Braut wird am Hochzeitstage
aus dem elterlichen Hause in feierlichem Zuge abgeholt. Ein mit dichten Tannen-
zweigen überwölbter Leiterwagen, geschmückt mit Guirlanden, Kränzen, Blumen
und Fähnchen, dient als Brautwagen. Kranzmädchen nnd Gäste nehmen aus
dem Wagen Platz, nicht aber der Bräutigam. Voran reiten auf buntgeputzten
Pferden die mit Schärpen und Sträußen geschmückten Brautknechte. Sie werden
von dem Vater der Braut empfangen und nach ihrem Vorhaben befragt. Nach
einigem Hin- und Herreden erhalten sie die Erlaubnis, die Braut mitzunehmen.
Diese hält sich versteckt nnd wird nach längerem Suchen gefunden. Alsdann
vereinigen sich die Beteiligten zu einer gemeinsamen Mahlzeit. Inzwischen wird
die Braut von einer Brautfrau zur Feier angekleidet. Eine andere Brautfrau
holt das Spinnrad der Braut herbei und macht ihr den Rocken fertig, den sie
als Frau zuerst spinnt. Die zuschauenden Gäste ovsern manches blanke Geldstück,
das in den Flachs gewunden wird. Das Spinnrad und ein bekränzter Reiser-
besen kommen aus den Brautwagen. Die übrige Aussteuer ist schon am Tage
vor der Hochzeit weggeschafft. Die Braut nimmt nun Abschied von dem elter-
lichen Hause, das sie vor Ablauf von etwa sechs Wochen nicht wieder betritt.
Sie sieht sich beim Weggänge nicht um und schützt sich vor Heimweh durch Mit-
uahme von einem „Knust" Brot. Daun geht es in lustiger Fahrt dem Hose
des Bräutigams zu. Einer der Vorreiter nimmt dort auf der Diele als er-
— 166 —
wühltev Sprecher das Wort. Er verkündet in Reimen die Tugenden und Vor-
züge der Braut, für die er einen Bräutigam suche. Zunächst wird ihm ein
älterer Manu, darauf ein blutjunger Bursche als Bewerber geschickt, die natürlich
von ihm abgewiesen werden. Endlich erscheint der rechte Bräutigam. Der
Sprecher fragt ihn, ob er eiue Frau brauchen könne uud was er ihr bieten
wolle. Der Bräutigam bejaht die Frage und bietet Wasser und Brot an. Der
Braut wird hiervon Meldung gemacht; sie weist diese Gaben als zu gering ab.
Nach längerem Hin- und Herreiten und Verhandeln wird der Braut Kuchen und
Wem angeboten. Das gefüllt ihr. Unter den Klängen der Musik führt nun der
Brautwagen auf deu Hof. Die Insassen steigen aus und werden von dein
Brüutigam begrübt, der die Braut bei der Hand nimmt und ius väterliche Haus
führt. Der Brautwagen wird alsbald umgeworfen. Man läßt sich wieder zu
einem gemeinsamen Mahle nieder, bei dem gewöhnlich Rinderwurst aufgetragen
Juirb. Darauf wird zur kirchlichen Trauung gerüstet. Auf dem Heimwege von
der Kirche hemmt („schattet") man das Paar durch Sperren der Straße mittels
einer darüber gehaltenen Stange, Kette oder eines Stockes. Das junge Paar
mutz sich den freien Durchzug durch Hingabe von Geld erkaufen. Der Vater des
Bräutigams erwartet die jungen Eheleute in der Haustür uud heißt sie will-
kommen. Er trinkt der juugen Frau aus einem Glase Wein zu und letztere
ihrem Gatten. Dieser reicht das Glas seiner Frau zurück, die es auf das Wohl
der Schwiegereltern uud des gauzeu Hauses leert und dann zu Bodeu wirft, daß
es zerschellt. Nuu erst überschreitet das junge Paar die Schwelle des Hauses.
Nach deu üblicheu Ehreutünzen für die jungen Brautleute, die Brautknechte und
Kranzmüdchen beginnt das eigentliche Hochzeitsmahl, das äußerst einfach ist.
Es besteht nach altem Brauch aus eiuer Rindfleischsuppe, einem Gericht Kalbs-
kaldannen und Reis. Braten gibt es nicht. Statt der Kartoffeln sind große
Scheiben Brot auf deu Tischen. Während des Essens wird für die Bedienung
uud die Musik, aber auch sür die Dorfarmen ein Scherflein gesammelt. Damit
es an Heiterkeit nicht fehle, sucht dieser oder jener der Braut etwas zu eut-
weudeu, das die Brautknechte mit Geld wieder einlösen müssen. Als eiue be-
sondere Ehrung des jungen Paares gilt es, wenn beide samt den Stühlen Plötz-
lich von kräftigen jungen Burscheu emporgehoben und unter den Klängen der
Musik an allen Gästen vorüber in die Stube getragen werden. Unter den
Tänzen spielt der Nationaltanz, der „Achttonrige" sein Reigentanz), eine wichtige
Rolle. Viele Festgäste besuchen im Laufe des Tages die Nachbargehöfte, auf
denen fie mit Butterkuchen uud Kaffee bewirtet werden. Die Feier erreicht ge-
wöhulich erst am nächsten Morgen ihr Ende. In einigen Dörfern unseres Landes
ist das Abfeueru von Schüssen bei Hochzeitsfeiern üblich. Dabei ist aber schon
häufig durch lluvorfichtigkeit Unglück angerichtet.
Größere Festlichkeiten finden außerdem noch an manchen Crtcn
bei Hausrichtungen statt. An Erntegebräuchen findet sich nur
uoch das Einholen des „Erntekranzes", der mit dem letzten Fuder
Korn eingebracht wird. Dieser Brauch erinnert an die alte Zeit,
in der man nur den August als Erntemonat kannte und das hente
so überaus wichtige Nahrungsmittel, die Kartoffel, die erst vom
Jahre 1730 ab allmählich Eingang fand, noch unbekannt war. An
die Stelle der alten Erntefeiern, die unsere heidnischen Altvordern
als Dankfeste für Wodan, den Gott des Ackerbaues und der Vieh-
zucht, veranstalteten, ist das heutige Erntebier getreten, das sich aber
von einem gewöhnlichen Tanzvergnügen kaum unterscheidet.
— 1()7 —
Von den althergebrachten Gebräuchen bei Beerdigungen ist
in den letzten Jahrzehnten vieles geschwunden. So mußten früher
bei größeren Trauerfeiern der Lehrer uud mehrere Schüler im
Trauerhaufe am offenen Sarge Gesänge singen und der Leiche auch
unterwegs mit Gesang folgen. Auf dem Leiterwagen vor dem
Sarge nahmen zwei Frauen mit großen, Weißen Nackentüchern Platz-
Heute werden bei manchen Beerdigungen von dem gesamten Trauer-
gefolge im Sterbehause einige Gesangverse gesungen. Auf der Diele
des Trauerhauses hängen mehrere lang herabfallende Weiße Hand-
tücher, hinter denen sich gewöhnlich Frauen und Kinder aufstellen.
Dem Leichenzuge folgen Männer und Frauen. Der Geistliche
empfängt den Zug am Kirchhofe. Hier wird auch meist die Grab-
rede gehalten, in einigen Gemeinden aber findet nach der Beisetzung
ein Trauergottesdienst iu der Kirche statt.
Als Reste alten Aberglaubens seien hier nur einige Bei-
spiele angeführt. Zwiebeln, Gurken, Kohl 2c. dürfen nur bei abueh-
mendem Moude gesät werden, sonst gedeihen sie nicht. In den
heiligen 12 Nächten (26. Dez. bis 6. Jan.) dürfen die Ställe nicht
gereinigt werden, fönst hat man Unglück mit dem Vieh; die Acker-
geräte müssen unter Dach, es darf keine Wäsche auf der Leine hängen,
nicht gesponnen werden, Bleigießen in der Silvesternacht deutet die
Zukunft usw. Das Ticken der Totenuhr (Käfer!) zeigt einen Sterbefall
in der Familie an. Manche Krankheiten, z. B. Rose, entzündete
Augen u. a., muß man besprechen („beuten") lassen. Blutschwamm
und Warzen entfernt man durch Bestreichen mit einer Totenhand^
oder man schlägt über jeder Warze einen Knoten in einen Zwirns-
faden und vergräbt diesen dann unter der Dachtraufe. Diese und
viele audere Anschauungen und Überlieferungen rühren aus der Heid-
nischen Vorzeit her und scheinen nur sehr langsam zu verschwinden.
Eigenart. Der Schaumburg-Lipper hat in Tracht, Sitte
und Lebensgewohnheit echt deutsches Volkstum bewahrt. Er gleicht
im Charakter den: Westfalen, doch ist er beweglicher als dieser.
Seine Treue und Anhänglichkeit an Fürst und Heimatland sind
unerschütterlich. Mit inniger Liebe hängt er auch an. dem großen
deutschen Vaterlande. Er hält an dein Althergebrachten fest, doch
hat er eiu offenes Auge und klares Verständnis für jeden gefunden
Fortschritt. Fleiß, Sparsamkeit, Ausdauer und ernste christliche
Gesinnung zeichnen ihn als echten Niederfachfen besonders aus.
108
3. Mein Heimatland.
Wenn unser Fürstentum Schaumburg-Lippe seiner räumlichen
Ausdehnung nach auch nur ein kleines Gebiet unseres großen deut-
scheu Vaterlandes einnimmt, so kann es doch an Schönheit und
Reichtum sich wohl mit jedem anderen Landesteile messen. Es
bietet auf engem Raum eine überaus große Fülle landschaftlicher
Reize in Berg, Tal und Ebene und eine seltene Vielgestaltigkeit
des Bodens; auch ist es reich an Erträgnissen verschiedenster Art.
Neben dem geradlinigen Rücken des Bückeberges und dem
langgezogenen Schaumburger Walde bilden freundliche Gewässer
den engeren Grenzsaum unseres Heimatlandes, während der deut-
scheste aller Ströme, die Weser, es in weitem Bogen mit einem
vielgeschlungenen Silberband umspannt. Wie mannigfaltig die Boden-
Verhältnisse innerhalb dieser natürlichen Umgrenzung sind, lassen in
der Ebene die wohlgepflegten Äcker und Wiesen erkennen, am Stein-
huder Meer aber die ausgedehnten Strecken von Heide- und Sand-,
Moor- und Sumpfland. Nach Westen wie nach Norden schweift
der Blick über eine schier endlose Flachlandschaft, ans der sich am
westlichen Horizont nur uoch die Stemmer Berge bei Osnabrück an
hellen Tagen scharf abheben, während in der Nähe die Türme der
alten Weserstadt Minden und nach Nordosten hin die Rehburger
Berge einen Ruhepunkt gewähren. Mitten durch Schaumbnrg-Lippe
führt eine der verkehrsreichsten Eisenbahnen unseres Vaterlandes und
neuerdings eine großartige Schiffahrtsstraße. Hin und her im Lande
leuchten rote Ziegeldächer aus, bald einzeln, bald dicht gedrängt,
und verleihen der Landschaft eine stimmungsvolle Abwechselung.
Die Bewohner überraschen den Fremden durch ihre farbenreiche,
kostbare Landestracht. Auch bedeutende geschichtliche Ereignisse haben
das Schaumburger Land berührt.
169
Auf dem fruchtbaren Gelände der Ebene haben Landwirt-
fchaft und Viehzucht zur Blüte kommen können, daneben aber hat
sich nicht minder eine rege Jndnstrietätigkeit entwickelt. Die Berge
und Wälder liefern große Holzmengen, und aus dem Innern der
Erde holt man Kohlen, Steine und Salz. Endlich bieten heilkräf-
tige Quellen im Lande selbst und in nächster Nähe vielen Kranken
Stärkung und Genesung.
So kann und muß denn jeder Schaumburg-Lipper beim An-
blick der heimischen Fluren freudig-stolzen Herzens ausrufen:
Wie schön i st doch mein Hei m a t l a n d !
Wenn du noch eine Heimat hast,
so nimm den Ranzen und den Stecken
und wandre, wandre ohne Rast,
bis du erreicht den teuren Flecken.
Und strecken nur zwei Arme sich
in freud'ger Sehnsucht dir entgegen,
stießt eine Träne nur um dich,
spricht dir ein einz'ger Rlund den Segen,
Ob du ein Bettler, du bist reich,
ob krank dein Herz, dein Mut beklommen,
gesunden wirst du allsogleich,
hörst du das süße Wort: Willkommen!
Und ist verweht auch jede Spur,
zeigt nichts sich deinem Blick, dem nassen,
als grün berast ein Hügel nur
von allem, was du einst verlassen:
O, nirgends weint es sich so gut,
wie weit dich deine Füße tragen,
als da, wo still ein Herze ruht,
das einstens warm für dich geschlagen.
Träger.
170 —
Geschichtlicher Ceil.
I. Laildesgeschichte,
1. Vorgeschichtliches
Unsere niedersächsische Heimat war in der Urzeit von einein
Volke bewohnt, das als Weidebauern noch keine festen Wohnsitze
hatte. Seine Werkzeuge und Waffen waren aus Steinen und Tier-
knochen hergestellt, zunächst in einfacher, später in feinerer Bearbei-
tnng (S. 25 ff.). Erst als viele Jahrhunderte vor Beginn der
christlichen Zeitrechnung die Kelten von Osten her einwanderten,
wurde aicher anderen Metallen (Kupfer, Gold, Silber) auch das
Eisen und die Herstellung der Bronze bekannt; aber neben den aus
Metallen hergestellten Gegenständen, hauptsächlich Waffen, behaup-
teten sich die Steingeräte noch lange weiter. An die Zeit der Kelten,
die auch die Sitte der Leichenverbrennung verbreiteten, erinnern die
mehrfachen Funde von Urnen mit Asche und Knochenresten in söge-
nannten Hünengräbern, unter denen die „Sieben Steinhäuser" bei
Fallingbostel im Lüneburgischen die bekanntesten sind. In solchen
Gräberstätten sind häufig Beigaben von Werkzeugen, Waffeu und
Gerätschaften aus Bronze und Eisen gefunden worden, aus Bronze
jedoch mehr als aus Eifeu. Sprachforscher haben außerdem fest-
gestellt, daß mauche unserer heutigen Orts- und Flußnanieu keltischen
Ursprungs siud, wohin namentlich solche mit den Grundworten mar
— Moor, Snmpf (z. B. Schötmar in Lippe) und lar — Leere,
Ode (z. B. Winzlar bei Rehburg) gerechnet werden. Sicheres läßt
sich jedoch über diese Zeit nicht sagen, da schriftliche Aufzeichnungen
nicht vorhaudeu sind.
— 171 —
2. Die alten Germanen.
Geschichtliche Quellen. Die ersten schriftlichen Nachrichten
über die alten Germanen, für die der Name Deutsche erst in
christlicher Zeit auskam, verdanken wir hauptsächlich deu Römern,
nämlich dem römischen Feldherrn Cäsar und dem römischen Schrift-
steller Tacitus. Cäsar hat iu den Jahren 58—50 v. Chr. das
vorwiegend von keltischen Volksstämmeu bewohnte gesamte liuks-
rheinische Gebiet oder Gallien erobert und uns über diese Feldzüge
iu seinen Denkwürdigkeiten über den Gallischen Krieg einen ans-
führlichen Bericht geliefert (Bellum Gallicum). Freilich ist es ihm,
trotzdem er zweimal den Rhein überschritt, nicht gelungen, auch die
rechts des Rheines wohnenden Germanen unter die römische Herr-,
schast zu bringen; aber in seinen Kämpfen mit ihnen lernte er
dieses von den Römern am meisten gefürchtete Volk fo genau
kennen, daß er in jenem Buche wertvolle Mitteilungen über dasselbe
machen konnte. Sehr eingehend schildert Tacitus um 100 n. Chr.
in seinem Werke Germania Land und Leute der alteu Germanen,
um dem entarteten römischen Volke den Spiegel eines einfachen,
sittenstrengen Naturvolkes vorzuhalten.
Kand und Leute. Es ist anzunehmen, daß die allmähliche
Besiedelnng der norddeutschen Tiesebeue mit Germanen, die vom
fernen Asien oder von Nordeuropa her einwanderten, in der Zeit
von 1000 bis 500 v. Chr. stattgefunden hat. Zu festen Wohnsitzen
gelangten sie allerdings erst, als sie mit den Römern iu Berührung
kamen und vor deren festen Reichsgrenzen notgedrungen stille halten
mußten.
Der Name Germauen ist keltischer Herkunft; er wurde
uuferm Volke als Gesamtuame von den Galliern und Römern bei-
gelegt und wird als Nachbarn gedeutet. Es waren kräftige Leute
vou hohem, stattlichem Wuchs, mit blauen Augen und hellbloudeu,
172 —
lang herabwallenden Haaren. Sie verdrängten die bisherigen Ve-
wohner, die Kelten, nach Gallien und den Alpenländern, nahmen
sie aber auch teilweise durch Unterwerfung in ihren Volkskörper
aus. Ihr Land wird von den aus dem souuigeu Süden kommenden
Römern als rauh und unwirtlich geschildert. Freilich hatte unser
Vaterland damals ein anderes Aussehen als heute. Dichte Wälder,
in denen viele wilde Tiere hausten (Bären, Wölfe, Ur, Elch, Wild-
schweine, wilde Pferde u. a.), ausgedehnte Sümpfe und Moore,
von denen kalte Nebel ausstiegen, bedeckten das Land. Wasserreiche
Ströme, denen schützende Dämme noch fehlten, verursachten weithin
Überschwemmungen. Unter solchen Verhältnissen mußte auch das
Klima recht unfreundlich sein. Aber es vermochte die kräftigen,
kühnen Germanen abzuhärten, die nicht Sturm und Kälte scheuten
und von Jugend aus iu äußerster Einfachheit lebten.
An dem Volkschar akter der Germanen werden hauptsächlich
Tapferkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Freiheitsliebe und Gastfreundschaft
gerühmt. Heilig war vor allem die Ehe, die ein freier Germane
nur mit der Tochter eines freien Volksgenossen einging. Die Frauen
standen in hohem Ansehen. Neben diesen rühmlichen Eigenschaften
zeigen sich aber auch manche Laster. Die Tapferkeit artete oft in
Wildheit aus. War ein Volksgenosse im Streit erschlagen, so kouute
die Tat durch Zahlung eines Bußgeldes gesühnt werden. Sobald
der freie Germane sich nicht aus dem Kriegszuge oder der Jagd be-
fand, oder sich mit den Angelegenheiten des Stammes oder Gaues
beschäftigte, verbrachte er seine Zeit mit Müßiggang, denn die eigent-
liche Arbeit verachtete er und überließ sie den Frauen, deu Uner-
wachsenen oder Greisen und den Knechten. Untätig lag er ganze
Tage aus der Bäreuhaut oder zechte mit seinen Freunden nnd ergab
sich dem Würfelspiel. Dieser Leidenschaft opferte er nicht selten sein
ganzes Hab und Gut, ja selbst Familie und eigene Freiheit.
Den Lebensunterhalt lieferten vor allem Viehzncht, Jagd
nnd Fischerei. Der Hanptreichtnm der Germanen war das Vieh,
namentlich Rinder nnd Schafe, die lange Zeit an Stelle des Geldes
im Tauschhandel verwendet wurdeu. Ans den Feldern bante man
Roggen, Gerste und Hafer. Das Korn wurde iu steinerne« Hand-
mühlen gemahlen. Gerstenbrot, Haferbrei und Milchspeisen bildeten
die Hauptnahrung. Als Getränk dienten der aus Honig bereitete
Met und das aus gebrannter Gerste hergestellte Gerstenbier.
Die Kleidung war sehr einfach. Die gewöhnliche Tracht der
Männer war ein Rock mit Ärmeln aus Pelz, Leinen oder Wolle,
über den ein Stück Wollenzeug als Mantel geworfen wurde. Zur
Bedeckung der Beine dienten Binden oder Hofen, auch lederne
Schuhe waren feit alter Zeit im Gebrauch. Die Frauen trugen ein
ärmellofes Gewand, als Uberwurf dienten leinene Mäntel, die durch
eiue Spange oder einen Dorn zusammengehalten wurden.
Als Waffen wurden Wurfspieß, Schwert, Streitaxt und Keule
geführt, auch Pfeil und Bogen oder Wurfschleudern, während ein
Schild zum Schutze diente. Jin Gebrauch der Waffen wurde schon
die Jugend fleißig unterwiesen.
Das Gewerbe trat noch stark zurück; am meisten wurden,
wenn auch wohl nur von Unfreien, die Schmiedekunst und die
Töpferei geübt. Jede Familie suchte sich die nötigen Hausgeräte,
Werkzeuge uud Kleidungsstücke selbst anzufertigen.
Anstedelung. Als Hirten, Jäger und Fischer, die ihre Wohnsitze oft
wechseln mußten, waren die ersten Bewohner in unsere Heimat gekommen, ^o-
lange der Ackerbau nur sehr oberflächlich betrieben wurde, konnten dauernde
Siedelnngen nicht entstehen. Erst die zunehmende Volksmenge nötigte zur plan-
mäßigen Bearbeitimg des Bodens und damit zu festen Wohnsitzen. Die Besitz-
nähme von Land erfolgte durch feierliche Grenzbegehung (Schnatbeziehen, S. 96).
Bestimmend für den Ort der Niederlassung waren gutes Trinkwasser und eine
geeignete Ackerflur, die meist erst' in harter Arbeit für den Anbau umgeformt
werden mußte. Die Einwanderer wählten deshalb im Berglande die Täler der
Bäche und Flüsse. Hier entstanden unter dem Einfluß enger Begrenzung die
ersten geschlossenen Ortschaften oder Dörfer. Im Flachlande dagegen, wo
man das Grundwasser überall in geringer Tiefe erschließen und Brunnen an-
legen konnte, breiteten sich die Wohnstätten der einzelnen Familien zerstreut über
das ganze Land aus. Hier begegnen wir daher dem Einzelhof, wie er links
der Weser vorherrscht.
Höhen oder unzugängliche Moore und Sümpfe wurden als Zufluchtsstätten
gewählt. An solchen Plätzen entstanden Burgen, die man durch ausgeworfene
Wälle, durch Hecken und Verschanzungen noch besonders schützte. Sie sind als
Wallburgen oder RingwlUle bekannt und dienten bei feindlichen Angriffen
dem Volke auch als sichere Stützpunkte. Als altgermanischer Ringwall gilt in
unserer Gegend die Düsselbnrg an der Westseite des Steinhuder Meeres (S. 48).
Äans und Hof. Die urgermanischen Häuser waren Blockhäuser,
aus rohen Holzstämmen aufgebaut, wie sie unsere Auswanderer in fernen Wald-
gegenden noch heute für den ersten Aufenthalt errichten. Später führte man
Wände aus Holz und Flechtwerk mit Lehin anf. Das Dach wurde mit Stroh
oder Schilf gedeckt. Fenster fehlten; der vom Herdfeuer aufsteigende Rauch mußte
unter dem Dache durch Oeffnungen abziehen, die im Winter verstopft wurden.
Das Vieh ließ man anfänglich frei umherschweifen, gab ihm dann aber, als es
zur Ackerwirtschaft nötiger wurde, eigene. Stallungen.- Der Hofraum, der später
auch den Gemüse- und Obstgarteu umfaßte, wurde ringsum durch einen Zaun aus
Pfählen und Weidengeflecht und durch einen Graben gegen das Wild geschützt.
174 —
Grundeigentum. Ursprünglich gab es bei den Germanen,
obgleich sie von jeher Ackerbau trieben, kein Privateigentum an
Grund und Boden, sondern alles Land gehörte der Gesamtheit, war
Volkland. Aber schon zur Zeit des Tacitus, als bereits feste, später
nur noch wenig veränderte Grenzen gegen das römische Reich be-
standen, war darin eine Änderung eingetreten. Der unstäte Wander-
trieb hatte ausgehört, die Dorfaulageu waren auf eine seßhafte
Einwohnerschaft berechnet, der einzelne hatte bereits Haus und Hof
zu Eigentum.
Jede Dorfgemeinde verfügte über ausreichende» Grund und
Boden. Der geuosfeuschaftliche oder gemeinsame Besitz mehrerer
Dörfer an Wald, Wiese, Heide, Moor, Flüssen und Teichen wurde
die gemeine Mark genannt, alle Berechtigten bildeten die Mark-
genossenschaft. Mark, erhalten in Feldmark und Ausmärker (der
nicht derselben Gemeinde angehört), bedeutet ursprünglich Grenze.
Diese Bezeichnung wurde wahrscheinlich vou den Zeichen und Malen
angenommen, durch die eine Markgenossenschaft einer anderen gegen-
über ihr Eigentum und Recht kenntlich machte. Eine solche Maß-
regel wurde jedenfalls durch eine stärkere Besiedeluug veranlaßt.
Der von einer Dorfgemeinde nicht verteilte gemeinsame Besitz an
Wald, Gewässern usw., wozu später uoch die Gemeindetriften gehörten,
hieß Allmende (Gemeingut, „Meute"). Das Sondereigentum einer
Familie bestand ursprünglich nur aus Haus und Hof, erst später
gehörte auch das Ackerland dazu. Reste der altgermanischen Wald-
und Feldgemeinschaft haben sich bis in die neuere Zeit erhalten. —
Uber die weitere Entwicklung der Markgenossenschaft s. Kap.: Unsere
Heimat am Ende des Mittelalters!
Ackerbau. Bei der Ackerverteilung, die aus späteren Zu-
ständen mit ziemlicher Sicherheit festgestellt ist, gingen unsere Vor-
fahren äußerst einfach und praktisch zu Werke. Mau teilte die gauze
Feldmark uach Maßgabe der inneren und äußeren Bodenberschieden-
heit (ob lehmig, sandig, steinig oder ob hoch, niedrig) in mehrere
Verlosungsstücke (Gewanne) in Form von Parallelogrammen. Da-
von wurden dann die einzelnen Ackerstücke durch Parallellinien ent-
sprechend der Zahl der Haushaltungen abgesteckt. Die Zuweisung
erfolgte durchs Los. Die Verlosung der Teilstücke geschah für sämt-
liche Gewanne gleichmäßig. Wer also die Losnummer 1 hatte,
erhielt in jedem Gewanne das erste Stück, wobei mau vou Osten
175 —
nach Westen ging. Sa konnte niemand bevorzugt werden. Jeder
bekam gutes uud schlechtes, naheliegendes und entferntes Ackerland.
Angesehene Volksgenossen erhielten mehrere Lose. Aus allen Feldern
mußte dieselbe Frucht gebaut werden, auch die Bewirtschaftung
gleichzeitig geschehen. Ferner mutzte jeder dulden, datz aus seinen!
Brachlande geweidet und über seinen Acker gefahren wurde. Neben
der Feldgemeinschaft herrschte also der Flurzwang. — Allmäh-
lich mangelte es hier wie bei anderen Volksstämmen infolge von Über-
völkerung an dem erforderlichen Grund uud Boden. Darin liegt
jedenfalls eine der Veranlassungen, die zur späteren Völkerwan-
derung führten.
Was die Ackerbewirtschaftung anbetrifft, so war die Herbst-
bestellung, auch die Obstkultur, der Garten- und Wiesenbau aufäng-
lich noch unbekannt, das Ackerland noch nicht dauernd vou Wald-
und Weideland geschieden. Aber während noch zu Casars Zeit
alljährlich ein neues Stück Wildland verteilt uud iu Anbau ge-
nommen wird, werden zur Zeit des Tacitus schon in längeren
Zwischenräumen neue Ackerfluren abgegrenzt und unter den Pflug
genommen. Da mau deu Acker nicht düngte, konnte mau ihu nur
einige Jahre hintereinander bebauen; dann ließ man ihn ebenso
lange brach liegen. Der Ubergang von dieser sogenannten Wechsel-
oder Zweifelderwirtschaft zur Dreifelderwirtschaft durch Ein-
sührung der Wintersaaten hat sich erst viel später vollzogen, aber
noch längere Zeit vor Karl dem Großen.
Staatliche Einrichtungen. Die Bevölkerung war in drei
Stände geschieden. Als vornehmste Klasse galt durch Ansehen und
Besitz der Adel (westgerm. etheling, althochd. adaling), aus dem
in der Regel die Führer gewählt wurden. Die große Masse des
Volkes bildeten die Freien, die alle gleichberechtigt waren. Die
Unfreien (Knechte, Sklaven) waren Kriegsgefangene, Fremde oder
durch freiwillige Unterwerfung aufgenommene Kolonisten. Sie
dienten als Hausgesinde oder hatten als Landsiedler bestimmte Ab-
gaben und Herrendienste (Fronden) zu leisten; ihre Zahl war nicht
bedeutend. Ein Unfreier konnte für besondere Verdienste durch
Wehrhastmachung (Belehnung mit Schild und Speer) auf Beschluß
der Volksversammlung freigelassen werden. — Bei den Westgermanen
gab es noch als Zwischenstufe zwischen Freien und Unfreien die
176 —
Hörigen. Das waren gewaltsam unterworfene und auf fremdem
Grund und Boden angesiedelte Leute, die später allgemein als
Laten bezeichnet werden.
Alle nahverwandten Familien bildeten eine Sippe und blieben
ursprünglich zusammen. Mehrere Sippen oder Geschlechter waren
zu Heereszwecken als Hundertschaften vereinigt. Darunter ist in
Niedersachsen, wo man nach dem sogen. Großhuudert zählt, eine
Anzahl von 120 wehrhaften Männern zu verstehen, die aber mit
Frauen, Kindern uud Knechten gewiß mehrere hundert Köpfe um-
faßte. Als übergeordnete Heeresabteilungen über deu Hundert-
schaften erscheinen in der ältesten Zeit die Tausendschaften. Aber
schon zur Zeit des Tacitus gelten bei diesen Bezeichuungen für die
Zufammenfetznng des Volksheeres nicht mehr die Zahlen, sondern
nur noch die Namen; es ist also gleichgültig, ob die Hundertzahl
hundert Manu oder huudert Familieu bedeutet. Vielmehr ist uuter
einer Hundertschaft bereits ein räumlich begrenztes Gebiet zu ver-
stehen, das einen eigenen Gerichtsbezirk darstellt uud nuumehr als
Gau bezeichnet wird. Der Gau bildet somit den engsten staatlichen
Verbaud, wie die Markgenossenschaft die engste wirtschaftliche
Vereinigung. In vielen Fällen wird Wohl die Zusammenlegung
mehrerer Hundertschaften zu einem Gau erfolgt fein. Zahl und
Größe der Gaue innerhalb des einzelnen Volksstammes war sehr
verschieden.
An der Spitze eines Gaues stand ein gewählter Führer (Fürst),
der vor allem auch das Richteramt auszuüben hatte. Er Pflegte
sich aus jüngeren und älteren Männern ein Gefolge zn bilden, das
ihm im Kriege als Leibwache, im Frieden als ständiges Ehren-
geleite diente. In das Gefolge konnte nnr eintreten, wer das
Waffenrecht besaß. Die Mannen waren ihrem Herrn tren ergeben,
der ihnen dafür Unterhalt nnd Geschenke gewährte. Im übrigen
ist die Gauverfassung der alten Germanen in Dunkel gehüllt.
Kriegswesen. Die germanische Heeresverfassung beruhte auf
der Wehrpflicht aller waffenfähigen Männer. Nnr Unfreie, Hörige
nnd ihrer Ehre verlnftige Freie gehörten nicht znm Heere. Das
Heer war nach Ganen, Hnndertfchaften, Geschlechtern, Sippschaften
gegliedert nnd bestand fast nnr aus Fußtruppen. Es wurde in
keilförmigen Kolonnen anfgeftellt. Das Aufgebot zur Heerfahrt
177
wurde in späterer Zeit Heerbann genannt. Zog eine Völkerschaft
in den Krieg, so wählte^man einen Heerführer, einen Herzog, dessen
Oberbefehl endete, sobald der Krieg vorbei war.
Versammlungen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und
zur Pflege gemeinsamer Angelegenheiten wurden in jedem Gan in
regelmäßigen Zwischenräumen und an bestimmten Orten Gerichts-
Versammlungen abgehalten. Dazu mußte jeder Freie ini Schmuck
der Waffeu erscheinen. Eine solche Versammlung wurde Ding ge-
nannt. Das Ding wurde stets unter freiem Himmel, in der Regel
um Neu- oder Vollmoud, an uralt heiliger Stätte gehalten, der
Malstatt, die Opferplatz und echte Dingstatt zugleich war. Die
Malstatt war gewöhnlich' ein erhöhter, weithin sichtbarer Platz neben
einem heiligen Baum (Eiche, Buche, Linde) oder Born, häufig auch
au Flüssen oder Teichen. Solcher Stätten, die in manchen Gegen-
den noch bekannt sind, gab es mehrere in einem Gau.
Auf deu großen Landesdingen — ein solches hielten die
Engern noch um 770 vor Beginn der Sachsenkriege zu Marklo bei
Nienburg an der Weser ab — wurden außer schweren Strafsachen
besonders politische Angelegenheiten verhandelt (Wahlen der Führer,
Beschlüsse über Krieg uud Frieden, Wehrhaftmachung der jungen
Leute, Waffenrecht an Freigelassene, Freilassungen); auf den
Gaudingen oder Huudertschaftsgerichteu (den späteren Gogerichten)
kamen geringere Vergehen, Streitsachen, Handelsangelegenheiten und
Rechtsfragen zur Aburteilung.
Die wahrscheinlich alljährlich im Frühjahr stattfindende ordent-
liche Volksversammlung war das echte Ding, das gesetzliche, auf
Volksrecht begründete (daher ungebotene) Gericht ; daneben wurden
nach Bedürfnis auch außerordentliche oder gebotene Dinge anbe-
räumt, die aber nicht so hießen, weil sie geboten, angesagt wurden,
sondern weil sie bloß ans Banngebot beruhten, nicht aus jVolksrecht.
Das Hundertschaftsgerichtfand an den verfchiedenenMalstättenderReihe
nach statt, jährlich acht- bis neunmal, alle 40, das gebotene dagegen
alle 14 Tage oder Nächte (die Germanen zählten die Jahre nach
Wintern, die Tage nach Nächten). Zu den ordentlichen Gerichtsver-
Handlungen wurden die Dingleute durch Entsendung eines Stabes
geladen, dessen Weiterbeförderung von Hans zu Haus eine öffeut-
liche Pflicht jedes Empfängers war, während die Ladung zu den
12
— 178 —
gebotenen Dingen durch Landgeschrei erfolgte, d. i. durch Blasen
des Heerhornes.
Die Volks- oder Gerichtsversammlung wurde in feierlicher
Weise eröffnet. Zunächst erfolgte die Hegung des Dingplatzes, in-
dem man eine Einfriedigung mit Pfählen, die durch Schnüre der-
Kunden wurden, herstellte. Den Zuhörern, die auch nicht ding-
Pflichtige Volksgenossen sein konnten, war das Uberschreiten dieser
Schranke bei Todesstrafe verboten lvgl. Oftaradienst, S. 139). Dann
sprach der Priester oder Älteste (später der Gaugraf) die drei
Hegungsfragen: ob es die rechte Dingzeit und der rechte Ort sei,
ob das Gericht dem Rechte gemäß besetzt oder gehegt sei, und ob
man dem Diug Frieden gebieten möge. Auf die bejahende Antwort
verkündete er dann den Dingfrieden mit der Formel: „Ich gebiete
Lust uud verbiete Unlust", wodurch er sich Gehör verschaffte und
Schweigen gebot.
Durch die vor Einführung des Christentums übliche Hegung
wurde die Versammlung gebannt oder geheiligt, d. h. unter den
Schutz und Frieden des Gottes Ziu gestellt, der als Schwert- uud
Kriegsgott zugleich der Gott des Heeres wie des Diuges war ; des-
halb sah man auch jede Störung als eine Beleidigung der Gottheit
an, deren Wahrzeichen (Fahne, Schild, Schwert) als Sinnbilder des
Dingfriedens aufgerichtet waren.
Jede Gerichtsverhandlung fand bei Tage statt (tagadinc,
Gerichtstag) und mußte vor Sonnenuntergang beendet sein. Zur
Uberführung des Beklagten dienten Zeugen oder Eideshelfer, häufig
aber auch eiu Gottesurteil (Wasser- uud Feuerprobe, Zweikampf).
Alle Missetaten wurden als Friedensbruch aufgefaßt, der fchwer oder
leicht fem konnte. Schwerer Friedensbruch, nämlich Mord, Landes-
verrat, Beleidigung der Götter, Heeresflucht oder sonst eine gemeine
Handlung, unterlag öffentlicher Strafe, leichter dagegen nur dann,
wenn er von dem Verletzten oder seiner Sippe vor Gericht gebracht
wurde. Die beleidigte Sippe hatte das Recht der Fehde (Feind-
schast) und konnte den Friedensbrecher ungestraft verfolgen, unter
Umständen selbst töten (Blutrache, Kriemhild). Eine der schwersten
Strafen, die das Volksgericht verhängte, war die Verurteilung zur
Friedlofigkeit (Acht), die gleichbedeutend war mit Todesstrafe. 5?rei-
heitsstrafen gab es nicht. Die gewöhnliche Strafe war die Zahlung
— 179 —
eines Sühn- ober Bußgeldes, bei Tötungen Wergeld genannt
(Manngeld; vir, Wer, Mann). Als Büß- und Wergeld wurden an
die geschädigte Familie oder Sippe Rinder, Pferde und Getreide gezahlt
(f. Kap. die Sachsen!). Der durch solche Leistungen erkaufte Friede
hob die Fehde auf, die darum Unfehde oder Urfehde genannt wurde.
Das Urteil des Volksgerichts bedurfte der Zustimmung aller
Dingleute. Die Ablehnung äußerte sich durch Murren, die Zu-
stimmuug durch Schwingen ltnb Zusammenschlagen der Waffen,
zumal der Speere oder Schilde. Verräter uud Überläufer, so be-
richtet Tacitus, hängt mau an einen Baum; Heerflüchtige und Un-
züchtige werden mit übergeworfenem Flechtwerk in Morast und
Sumpf versenkt. Der Sinn dieser Anwendung zweier entgegen-
gesetzter Todesstrafen ist der, daß bei der Bestrafung Verbrechen
öffentlich gezeigt, Schandtaten verborgen werden müssen.
Nach Einführung der fränkischen Gerichtsverfassung durch Karl den Großen
lral an die Stelle der Gerichtsgemeinde allmählich ein Beirat von 7 oder mehr
Bürgen, die das Urteil finden oder aus ihrer Erfahrung schöpfen mußten (Schöffen).
Auch gab es jährlich nur drei echte Dinge mit dem Grafen als Vorsitzenden
(G r a s e n g e r i ch t e), denen die wichtigeren Rechtssachen zufielen, während auf
den gebotenen Dingen (Gogerichten) nur geringe, mit Geld zu büßende
Frevel verhandelt werden durften. Hier liegt der Anfang der später durchge-
führten Trennung von hoher und niederer Gerichtsbarkeit, die in der Neuzeit
ols Land- und Amtsgericht bekannt ist.
Richter auf den Gogerichten (Hunredingen, Hundertschafts- oder Zent-
gerichten; Hunne oder Zentenar) waren zuerst Priester aus edlem Geschlecht,
später aber die von den Bauern selbst erwählten Gografeu, bis endlich, als die
Gogerichte unter die Hoheit der Landesfürsten gekommen waren, Droften, Amt-
leute oder Vögte an ihre Stelle gesetzt wurden. Das Wort Graf oder Gräfe
(der Gebieter, Befehlende) ist erhalten in den Familiennamen Greve, Hogrefe,
Wieggrefe. Als Gogerichtsstätten sind bei uns Lauen Hägen nnd Vehlen
bekannt. Das Lauenhäger Gericht (um 1520 aufgehoben), galt als rücksichtslos
strenge, so daß sich das Sprichwort gebildet hatte: „Das Lanenhäger Recht
scherzet nicht". Es heißt, daß Übeltäter auf 10, Landfremde auf 5 Meilen im
Umkreis aus dem gefreiten Bezirk der Hagendörfer (S. 90) verwiesen seien.
Nach dem Besaet-Reg. für d. Amt Bückebg. v. I. 1616 wurde jährlich ein
„Landgericht" zu Vehlen auf Pet.-Paulstag (29. Juni) geheget und gehalten. Der
Sch.-Lipp. Kal. v. I. 1775 vermerkt das „Gogericht" zu V. unterm 24. Januar;
als solches bestand es noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts unter dem
Schutz der Herren von Klenke.
Die heidnische Religion der Germanen. Die älteste
Religion der Germanen war ein an Sonne, Mond und die Elementar-
kräste geknüpfter Naturdienst (Sonn- und Montag). In den Natur-
krästeu stellte man sich schließlich persönliche Gestalten als Götter
vor. Als Schöpfer der Welt wird Allvater verehrt, in dem die
Eigenschaften aller übrigen Götter sich vereinigen. Unter ihm stehen
zwölf Halbgötter, deren oberster Wodan (Odin) ist. Wodan (dem
römischen Gott Merknrins und dem griechischen Hermes gleich)
12*
180
wohnt in der Himmelsburg Walhalla und überschaut von hier
die ganze Welt, obgleich er nur eiu Auge hat, die Sonne. Zu
seiner Seite sitzen zwei Wölfeauf feinen Schultern zwei Raben,
die ihm alles berichten, was auf der Erde sich zuträgt. Ein blauer
Mantel mit goldenen Sternen umhüllt feilte Schulteru. Deu Kopf
bedeckt ein breitkrämpiger, tief ins Gesicht gedrückter Wolkenhut.
Oft jagt er auf achtfüßigem, weißem Roffe durch die Luft als der
wilde Jäger, besonders aber in beit heiligen 12 Nächten zur Zeit
der Wintersonnenwende (S. 167). Den auf dem Kampfplatze (Wal)
Gefallenen sendet er seine Töchter, die göttlichen Walküren, um
die Helden in Empfang zu nehmet! (küren) und nach Walhalla zu
holen, wo sie eiu ewiges Freudenleben führen sollen. Man glaubte
also au ein Leben nach dem Tode und gab deshalb auch deu Toten
Waffen, Geräte und Schmuck mit ins Grab. Mit den Helden reitet
Wodan täglich zur Jagd oder zum Kampfe aus. Ihre Wunden
heileil von selbst während der Nacht. Dem Wodan ist der Mittwoch
(engl. wednesday) als heiliger Tag geweiht. Wodan war ursprüng-
lich Windgott und als solcher auch der Gott der Fruchtbarkeit uud
des Erntesegens, dann Toteugott. Als im Mittelalter die Heiligen
der christlichen Kirche allmählich die heidnischen Götter verdrängten,
trat vielfach der Erzengel Michael an Wodans Stelle; St. Michaels
Tag, der 29. September, wurde der früher dem Wodan geweihte
Erntefesttag. Der heilige Martin erhielt Wodans Mantel uud
Schimmel. Wodans Person ist verchristlicht in St. Nikolaus oder
Knecht Ruprecht (vgl. die Kyffhäusersage, ferner Uhland „Die ster-
benden Helden" und Dahn „Siegesfang nach der Hermannsschlacht").
Wodans Gemahlin ist Frija (Frigg), die Göttin der Liebe und
Ehe, die Beschützerin der Hirten und Herden. Ihr ist als Sonnen-
königin der Sonnenkäfer heilig und der Freitag geweiht, an dem
unsere Vorfahren mit Vorliebe ihre Hochzeiten feierten. Als Hulda
oder Frau Holle (auch Frau Bertha) wacht sie über das Familien-
leben; sie belohnt die fleißigen Spinnerinnen und bestraft die faulen.
Wenn sie ihre Betten schüttelt, fallen weiße Flocken auf die Erde
herab (vgl. Frau Holle, Aschenbrödel, Siegsried uud Brunhild).
Wodans ältester Sohn ist Donar (Thor bei den nordischen Völ-
kern, Herkules bei den Römern). Er hat feurige Augen uud einen
langen roten Bart und gebietet über Blitz und Donner. Auf einem
mit zwei Böcken bespannten Wagen fährt er durch die Wolken, aus
— 181 —
denen er seinen Streithammer schleudert, der immer von selbst in
seine Hand zurückkehrt. Besonders verehrt ihn der Bauer, dem er
den fruchtbaren Regen spendet. Die Eiche ist ihm geheiligt, unter
der man ihm Feste feiert (Bonifatius und die Donnereiche bei
Fritzlar). Nach ihm ist der Donnerstag benannt, auch tragen noch
manche Berge seinen Namen lS. 107). Wodans anderer Sohn ist
Ziu (auch Jrmiu, Hern). Er ist der Kriegsgott, dessen Abzeichen
das Schwert ist. Ihm zu Ehren veranstaltet man Kriegstänze.
Sein heiliger Tag ist der Dienstag, dessen Name von Ziu (Tius-
lag) oder auch von seiner Eigenschaft als Gerichtstag (Ding,
„Dingesdag") abgeleitet wird. Ziu (lat. Jupiter, gr. Zeus) war
einst der höchste und glänzendste Gott. Der Frühlingsgöttin
Ostara zu Ehren, deren Name in vielen Orten und Bergen noch
erhalten ist, werden zur Osterzeit Feste geseiert (S. 142). Der
Liebling der Götter und Menschen ist Baldur, der Gott des Lichtes,
während Loti als sein Gegner der Gott der Finsternis und der
Lüge ist. Im Toteureich herrscht Hel (Hölle) über alle, die eines
gewöhnlichen Todes sterben. Besonders wird auch die Erde iu der
Göttiu Nerthus (Hertha) verehrt, die auf einem von Kühen ge-
zogenen Wagen eiuen feierlichen Umzug im Lande hält und in einem
geheimnisvollen See gebadet wird (Herthasee auf Rügen).. Außer'-
dem verehrte» die Germanen Helden, wie den erdgeborenen
Tuisko uud seineu Sohn Mauuus, auf den alle deutschen Stämme
ihren Ursprung zurückführen, indem dessen drei Söhne Ingo, Hermm
und Jsto den Jngävonen, Herminonen und Jstävonen, den Nord-,
Mittel- und Süddeutschen, ihre Namen gaben. Auch wurden weise
Frauen (Jdisi) als Gottheiten gefeiert, darunter die Nornen,
die als die drei Schicksalsgöttinnen Gegenwart, Vergaugenheit und
Zukunft, namentlich aber jedes Menschen Lebenszeit bestimmen.
Feld uud Wald sind nach ihrem Glauben belebt von Elfen (Nebel,
Erlkönig). In den Gewässern leben Necken oder Männer mit
langen, grünen Haaren (Agir) und blondgelockte Nixen oder Wasser-
juugferu, die deu Fischer samt Kahn in die Flut hinabziehen. Im
Hause treiben Heinzelmännchen oder Kobolde ihr Wesen. In
der Erde hausen Zwerge, die unermeßliche Schätze bewachen
(Nibelungen, Tarnkappe), in den Felsspalten und Höhlen wohnen
Wichte und auf den Bergeshöhen Riesen oder Hünen (das Riesen-
spielzeug, s. auch Sagen?). Alle diese Wesen besitzen die Kraft, dem
182 —
Menschen zu helfen oder zu schaden. Einst aber werden die Götter
von den bösen Wesen bezwungen. Die Welt steht plötzlich in
Flammen, ihr Untergang ist da. Himmel und Erde und alles
Lebendige oergeht, doch tritt eine bessere Welt, in der kein Übel
mehr ist, an ihre Stelle (Götterdämmerung). Von jenen guten und
bösen Geistern erzählen noch heute unsere Sagen nnd Märchen
(Dornröschen, Schneewittchen, Rübezahl n. a.).
Die Götter wurden auf heiligeu Bergen, in Hainen, an Quellen und am
häuslichen Herd verehrt. Im eigenen Heim leitete der Hausvater die heilige
Handlung, für das Volk aber der Häuptling. Die Feier bestand aus Gebet und
Opfer. Als Opfer brachte man Tiere, Früchte und Menschen (Kriegsgefangene)
dar. Bei den Opferfesten wurden feierliche Umzüge, spiele, Wettkämpfe und
Tänze veranstaltet. Es gab auch Priester und Priesterinnen, die aus dem
Rauschen heiliger Bäume, aus dem Wiehern der Rosse, aus Vogelflug und
Vogelgeschrei und aus den Himmelserscheinungen weissagen mußten; diese Kunst
übte auch das Volk selbst aus. Zwei Hauptfeste waren die Winter- und die
Sommersonnenwendfeier, woran in einigen Gegenden noch manche Gebräuche
erinnern (Julklapp, Maifeiern). Auf das heidnische Frühlingsfest weisen unsere
Ofterfeuer, Ostereier und Osterhasen zurück, wie sich überhaupt auch bei den
übrigen christlichen Festen manche Anklänge an die heidnische Vorzeit er-
halten haben.
Die Germanen kannten mich den Gebrauch gewisser Schriftzeichen.
Diese wurden aber ausschließlich zu religiösen Zwecken und zum Losen verwendete
indem man sie unter dem Raunen heiliger Worte, daher Runen genannt, in
Holztäfelchen (bok, Buchstabe) einritzte (©. 139). Vielleicht ist daraus für jede
Familie ein bestimmtes Zeichen (Haus- und Hofmarke) entstanden, das dann an
Stelle des Namens zur Bezeichnung aller Sachen diente; solche Male kennt man
seit dem 13. Jahrhundert.
Germanische Völkerschaften. Die Germanen zerfielen in
eiile große Zahl selbständiger Völkerschaften. Jede Völkerschaft
führte für sich ein staatliches Leben. Nach ihren ursprünglichen
Wohnsitzen unterschied man Ost- und Westgermanen. Namhafte
Völkerschaften im westlichen Deutschland waren n. a. im heutigen
Schleswig-Holstein die Cimbern und Ten toneil, an der Nordsee-
küste die Friesen und Chauken (Hugen), südlich von diesen im
Gebiet der Aller und mittleren Weser bis 'zum Steinhuder Meere
die Angrivarier, an der Westseite der Elbe von der Altmark
nach Lüneburg hin die Langobarden imd in unserer Heimat als
Südnachbarn der Langobarden und Angrivarier, von letzteren durch
einen festen Grenzwall geschieden (Angrioarierwall, Lemförde
Steinhuder Meer), die Cherusker, unl Chr. Geb. ein mächtiges Volt.
— 183
3. Germanen und Römer.
Kaiser Angustns. Als unser Heiland in Bethlehem geboren
wurde, stand an der Spitze des römischen Reiches, das damals das
mächtigste der Welt war, der Kaiser Augnstus. Er hieß eigentlich
Oktavian; später gab man ihm den Ehrennamen Augnstus (der Er-
habeue). Seine Herrschaft erstreckte sich über alle Länder am Mittel-
meer uud reichte bis an den Rhein und die Donau. Von der
Hauptstadt Rom führten große Heerstraßen in die einzelnen römischen
Gebiete oder Provinzen, in denen kriegsgeübte Heere Ruhe uud
Ordnung hielten und namentlich die Grenzen von festen Stand-
lagern aus schützten. Aus solchen befestigten römischen Grenzplätzen
sind später, besonders im Rhein- und Donaugebiet, blühende Städte
entstanden.
Mit besonderer Sorgfalt pflegte Augnstus das Heerwesen.
Er schuf eine stehende Kriegsmacht, die aus zahlreichen Regimentern
(Legionen) und ans einer Flotte znin Schutze der Küsten bestand.
Jeder kriegslustige Jüngling konnte in das römische Heer eintreten,
mußte sich aber auf mehrere Jahre verpflichten. Nach beendeter
Dienstzeit erhielt er eine beträchtliche Geldsumme statt der früher
üblichen Landanweisung. Die römischen Soldaten hatten Speer
und Schwert als Waffen und trugen zum Schutz Helm, Panzer
und Schild. Ihre Feldzeichen waren vor allem vergoldete und
versilberte Adler.
Der Herrscher suchte dein Volke Recht, Frieden und Wohl-
stand zu verschaffen. Seine Statthalter in den einzelnen Provinzen
waren angewiesen, ihr Amt mit Milde und Freundlichkeit zu uer-
walten- niemand durfte bei Einziehung der Steuern ungerecht be-
drückt werden. Die Rechtspflege erfolgte pünktlich und schnell,
Handel und Gewerbe blühten. Zur Erleichterung des Verkehrs
wurden Steinstraßen angelegt, auch Wasserleitungen und Kanäle
gebaut. In Rom selbst entstanden viele stattliche Gebäude. Herr-
— 1(S4 —
liche Tempel, große Theater und prächtige Bildsäulen erregten die
Bewunderung der Mit- und Nachwelt. Wettspiele zwischen Fechtern
und wilden Tieren lockten viele Fremde herbei. Die Armen wurdey
reichlich unterstützt.
Drusus. Augustus brachte alle Teile der bereits ^eroberten
Provinzen zur vollständigen Unterwerfung und schob die Reichs-
grenze bis zur Donau vor. Als die unruhigen Germanen wieder-
holte Raubzüge über den Rhein nach Gallien hinein unternahmen,
beauftragte er seinen tapferen Stiefsohn Drusus, die deutschen
Grenzstämme zur Ruhe zu bringen. Drusus unternahm nun in den
Iahren 12 bis 9 V. Chr. mehrere vortrefflich geleitete Feldzüge
gegen die den Römern so lästigen Nachbarn. Sein Plan war,
alle germanischen Völkerschaften zwischen Rhein und Elbe zu unter-
werfen. Von Mainz aus ging er vor. Auf Schiffen gelangte er
an den unteren Rhein, den er durch einen Kanal uach dem Zuider
See mit der Nordsee verbinden ließ, um daun von der Seeseite
her durch die Emsmündung in das deutsche Laud einzudringen.
Ein auderer Teil feines Heeres marschierte die Lippe aufwärts.
Von der heutigen Insel Borkum aus ließ er seine Schiffe in die
Ems laufen. Die Waldungen wurden mit der Axt gelichtet, die
ausgedehnten Moore auf Knüppeldämmen (Bohlwegen) durch-
zogen. So bezwang er die Bevölkerung zwischen'.Rhein und Ems.
Im folgenden Jahre (11) rückte er an der Lippe entlang nach der
Weser vor, um die hier wohnenden Cherusker anzugreifen. Man-
gel an Lebensmitteln uud der nahende Winter nötigten ihn indes
zu vorzeitiger Umkehr. Als Zeichen seiner Herrschaft und als Stütz-
Punkt für fernere Unternehmungen legte er nahe der Lippe einen
befestigten Platz an, das Kastell Aliso iHaltern bei Münster).
Im Jahre 10 befestigte er das linke Rheinufer oou Mainz bis
Tanten durch eine Anzahl Kastelle, von denen Kastel (vor Mainz)
und Deutz (vor Köln) bis heute erhalten sind. Im Jahre 9 rüstete
Drusus zu einem Hauptfeld zuge; es follte ganz Westdeutschland bis
zur Elbe unterworfen werden. Wieder brach er von Mainz auf,
zog durch das Land der Chatten (Heffen), überschritt die Weser
und rückte dnrch das Cheruskerland bis an die Elbe vor. Auf dem
Rückzüge stürzte er beim Überschreiten der Saale mit seinein Pferde,
brach den Schenkel und starb einen Monat darauf in Mainz. Der
Kaiser Augustus ehrte sein Andenken u. ct. dadnrch, daß er ihm
185
und seinen Kindern beit Beinai
letzten Zuge des Drnsns erzählt
SimroF):
Drusus ließ in Deutschlands Forsten
goldne Römeradler horsten:
an öett heil'gen Göttereichen
klang die Axt mit frevlen Streichen.
Siegend fuhr er durch die Lande,
stand schon an der Elbe Strande,
wollt hinüber jetzt verwegen,
als ein Weib ibm trat entgegen.
Übermenschlich von Gebärde,
drohte sie dem Sohn der Erde:
„Kühner, den der Ehrgeiz blendet,
schnell zur Flucht den Fnß gewendetI
Jene Marken unsrer Gauen
sind dir nicht vergönnt zu schauen;
stehst am Markstein deines Lehens:
deine Siege sind vergebens.
n Germanikns gab. Von dein
is der Dichter (Drusus Tod voll
Säumt der Deutsche gerne lange, 1
nimmer beugt er sich dem Zwange:
schlummernd mag er sich wohl strecken:
schläft er, wird ein Gott ihn wecken."
Drusus, da sie so gesprochen,
eilends ist er aufgebrochen;
aus den Schauern deutscher Haiue
führt er schnell das Heer zum Rheine.
Bor den Augen siehr er's flirren,
deutsche Waffen hört er klirren,
sausen hört er die Geschosse,
stürzt zu Boden mit dem Rosse.
Hat den Schenkel arg zerschlagen,
starb den Tod nach dreißig Tagen.
Also wird Gott alle fällen,
Die nach Deutschlands Freiheit stellen.
Tiberins. Des Drnsns Nachfolger wurde sein Bruder
Tiberins. Was jener durch ^Tapferkeit nicht ganz erreicht hatte,
suchte dieser durch Klugheit zu vollenden. Er behandelte die Deut-
schen mit großer Freundlichkeit und beschenkte ihre Führer reichlich
mit kostbaren Waffen, Gold und Edelsteinen. Römische Kaufleute
brachten seltene Waren, prächtige Kleider, Wein und Obst ins Land.
Dazu wußte er die alte Zwistigkeit der deutscheu Stamme bei
Unterhandlungen geschickt auszunutzen. Immer mehr lebten sich die
Deutschen in römisches Wesen ein, und viele befreundeten sich
bereits mit der fremden Oberherrschaft. Die Cherusker unterwarfen
sich, die Chanken folgten ihnen. So war zwischen Rhein und Weser
bald eine neue römische Provinz entstandeil. Fast schien es, als
sollten deutsche Sprache, deutsches Recht, deutsche Art und deutsche
Sitte untergehen.
Varns, der Kedrncker. Endlich wachte der deutsche Michel
grimmig auf, als nicht mehr der besonnene Tiberins, sondern der
herrische, habsüchtige und hoffärtige Parus als Statthalter Nord-
deutfchlauds wirkte. Varus war mehrere Jahre Verweser der
römischen Provinz Syrien gewesen. Dort hatte er über völlig Unter-
worfene geherrscht; er glaubte, die freien Germanen ebenso behandeln
zu können. Auch hoffte er, sich abermals zu bereichern, wie es ihm
— 186 —
in feiner früheren Stellung gelungen war. Er führte im Cherusker-
lande römische Sprache und Sitte, römisches Recht und Kriegswesen
ein. Als er Stenern erpreßte nnd über freie deutsche Männer die
Strafe der Rnte nnd des Beils verhängte, da entbrannten Haß nnd
Empörung über solche Knechtung; der längst eingeschläferte deutsche
Freiheitssinn regte sich wieder. Es erschien ein Retter in der Not.
Armittius> der Befreier. Im Cheruskerlande lebte Fürst
Armin (Hermann). Er hatte im römischen Heere gedient und die
Kriegskunst wie die Verschlagenheit der Römer kennen gelernt. In
seinem Dienste mußte er sich besonders ausgezeichnet haben, da man
ihm das römische Bürgerrecht lind die römische Ritterwürde ver-
liehen hatte. Dennoch war sein Herz echt deutsch geblieben. Mit
Wehmut und Zorn empfand er die Knechtschaft feines Volkes, dem
er die alte Freiheit unter Aufbietung aller Kräfte wiederbringen
wollte. Heimlich eilte er darum von Gan zn Gan und veranlaßte
die Fürsten der Cherusker und anderer Nachbarstämme, einen Bnnd
zur Befreiung des Baterlandes zn schließen. In aller Stille wurden
die Vorbereitungen zu einer gemeinsamen Erhebung getroffen. Und
Vorsicht war nötig, denn die Partei der Römerfreunde war schon
groß im Lande. Selbst Hermanns Schwiegervater Segestes gehörte
zu ihnen, wenn er an der folgenden Schlacht anch noch auf deutscher
Seite teilnahm. Segestes haßte den mutigen Vaterlandsfreund,
weil dieser ihm seine Tochter Thusnelda geraubt uud sich mit ihr
gegen seinen Willen vermählt hatte. Ans Rache verriet er den
Plan seiner Landsleute an den verhaßten Statthalter. Glücklicher-
weise glaubte Varus den Mitteilungen des Vaterlandsverräters nicht,
sondern baute nach wie vor ans die bewährte Treue des ihm be-
freundeten jungen Fürsten.
Die 5chlacht im Leutoburger Walde. Es war im Herbst des
Jahres 9 n. Chr., als Varus plötzlich die Kunde erhielt, ein süd-
westlich wohnender Volksstamm habe sich empört. Dieser Aufstand
war aber verabredet, um Varus aus seinem Sommerlager, das er
an der Weser nahe der Porta bezogen hatte, herauszulocken und
von dem gewohnten Wege nach dein Rheine zu abzulenken. In
semer Sorglosigkeit brach Varus sofort mit drei Legionen und vielen
Hülfstruppen auf. Hermann und andere deutsche Fürsten sollten
ihn unterstützen. So griffen denn die Deutschen zu den Waffen,
— 187 —
um sie aber nicht gegen die eigenen Volksgenossen, sondern gegen
die Fremdlinge selbst zu richten. Die Römer mutzten, um den aus-
rührerischen Stamm §u erreichen, durch den Teutoburger Wald.
Sturm und Regen erschwerten den Marsch. Da tauchten plötzlich
die Deutscheu unter Führung Hermanns aus uud überfielen in den
Schluchten und Täleru des Gebirges das überraschte und in Un-
ordnung geratene römische Heer. Ein erbitterter Kampf entbrannte.
Erst der dritte Tag brachte die Entscheidung, als die Römer Der*
suchten, durch den Paß der Dörenschlucht freies Gelände zu erreichen.
Die erschöpften Feinde wurden von allen Seiten umzingelt und
mußten dem unaufhörlichen Ansturm der Deutscheu erliegen.' Tausende
wurden erschlagen, und nur weuige retteten sich durch die Flucht.
Als Varus deu Verlust der Adler und den völligen Untergang seines
Heeres sah, stürzte er sich vor Verzweiflung in sein Schwert, und
mancher vornehme Römer folgte seinem Beispiele. Viele Gefangene
wurden bei den deutschen Siegesfesten den Göttern geopfert, andere
zu den niedrigsten Diensten gezwungen. Mancher Römer aus ritter-
lichem Hause hat sein Leben als Knecht oder Hirt, bei einem deutschen
Bauern beschließen müssen. So groß war der Schrecken in Rom
über die Niederlage im Teutoburger Walde, daß der greise Kaiser
Augustus auf die Kunde davon verzweifelt ausrief: „Varus, Varus,
gib mir meine Legionen wieder!" Mau befürchtete einen Angriff
auf die Hauptstadt selbst, die darum sorgfältig bewacht wurde, nach-
dem alle Germanen daraus entfernt waren. Aber die Sieger dachten
gar nicht an Eroberungen; sie begnügten sich damit, das Land bis
zum Rheiu von den Römern zu befreien, und freuten sich der wieder-
erlangten Freiheit (vgl. Siegeszug Armins nach der Schlacht im
Teutoburger Walde, Gemälde von Paul Thumaun in der Aula des
Gymnasiums zu Minden).
Der Racfyezug des ßermanikus. Die Römer machten zunächst
feinen ernstlichen Versuch, die abgefallenen germanischen Stämme
wieder zu unterwerfen. Erst nach dem Tode des Kaisers Augustus
unternahm des Drusus ehrgeiziger Sohn Germanikns, der Neffe
des Kaisers Tiberins, in den Jahren 14—17 mit acht Legionen
mehrere Feldzüge gegen die Germanen, die sich wieder unter
Hermanns Führung vereinten. So kam Germanikns im Jahre 15
auch au die Stätte der Varusschlacht, wo seit sechs Jahren die un-
bestatteten Gebeine der Gefallenen zwischen Waffen und Pferde-
— 188
yerippen lagen. Er ließ Freund und Feind in ein gemeinsames
Grab legen. Auf diesem Zuge wurde Hermanns edle Gemahlin
Thusnelda seine Gefangene der verräterische Vater hatte sie dem
Gatten entrissen und brachte sie nun selbst ins Lager der Feinde, zu
denen er inzwischen offen übergetreten war. Zornentbrannt rief
Hermann seine stets getreuen Cherusker und andere Verbündete zu
den Waffeu. Nur mit Mühe entgingen die Römer in der Nähe
von Osnabrück einer völligen Niederlage- sie mußten sich an den
Rhein zurückziehen. Im Jahre 16 erschien Germanikns an der
mittleren Weser. Er hatte seine Truppen zu Schiff an die Ems-
mündung schaffen lassen und war von hier aus weiter vorgedrungen.
In seinem Heere befand sich sogar ein Bruder Hermanns, den die
Römer Flavus nannten. Auf dem rechten Weserufer an der Porta
wurde der Feind von Hermann erwartet. Als die Römer den
Ubergang über die Weser erzwungen hatten, kam es ans dem
Idistavisnsfelde, wie viele annehmen zwischen Eisbergen und
Porta, zu einer Hauptschlacht, die für die Germanen recht Unglück-
{ich verlief. Hermann wurde verwundet und entkam nur mit ge-
nauer Nor der Gefaugeuschaft. Er zog sich mit seinen Bundes-
genossen bis in die Nähe des Steinhnder Ate er es zurück. Hier
leistete er unter dem Schutz des alteu Angrivarierwalles und des
sumpfigen Geländes den ungestüm nachdrängenden Römern ver-
zweifelten Widerstand. Auch bei diesem Zusammenstoß wollen die
Römer gesiegt haben. Die Folge dieser letzten beiden Kämpfe läßt
aber von Siegen nichts spüren. Wir erfahren nämlich, daß die
Römer schleunigst den Rückzug nach der Ems antraten, um ihre
Schiffe zu erreichen. Furchtbare Stürme zerschlugeu daun noch die
Flotte der gefürchteten Welteroberer, deren Herrschaft anf der rechten
Rheinseite keine Festigkeit und Dauer hatte erlaugeu sollen. Seit-
dem haben nie wieder römische Legionen unsere Gegend betreten;
darum ist sie auch frei geblieben von römischen Ansiedelungen.
Trotz seiner ungewissen Erfolge veranstaltete Germanikns einen
glänzenden Triumphzug, bei dem Thusnelda und ihr in der Ge-
mngenschaft geborenes Söhnchen sowie viele edle Gefangene in
Ketten durch die Straßeu Roms geführt wurden, ^während Segestes
der Siegesfeier zuschaute. Germanien blieb fortan der alten Un-
emigkeit seiner einzelnen Stämme überlassen, die es in der Folge-
zeit weit mehr schwächte, als es die römischen Heere vermocht hatten.
— 189
fiermanns Cod. Der heldenhafte Hermann wollte das deutsche
Volk zusammenhalten, um es eiuig und stark zn machen. Noch war
es unbesiegt, nun sollte es auch nicht freiwillig der römischen Herr-
schaft sich unterordnen, was von einigen Fürsten und Stämmen ja
schon geschehen war. Aus diesem Streben heraus hatte Hermann
nach der Schlacht im Teutoburger Walde deu Kopf des Varus an
Marbod geschickt, der in Böhmen als König au der Spitze eines
mächtigen Markomannenreiches stand. Dieser hatte sich aber nicht,
an dem Kampfe gegen die Römer beteiligt, war vielmehr mit
Hermann selbst in Krieg geraten. Im Jahre 19 wurde dauu Mar-
bod durch eiueu geachteten markomannischen Edlen übersallen und
vertrieben-, er flüchtete zu den Römern, bei denen er noch 18 Jahre
lang das Gnadenbrot aß.
Auch Hermann sollte bald ein trauriges Ende finden. Viele
Edle seines Volkes mißgönnten ihm seine hervorragende Stellung
und fürchteten, er strebe nach der Königswürde. So bildete sich
eine Verschwörung gegeu ihu. Glieder seiner eigenen Sippe über-
fielen und töteten ihn im Alter von 37 Jahren. Aber er wurde,
wie Tacitus bezeugt, von seinen Landsleuten in Liedern gefeiert,
von denen freilich keins sich erhalten hat.
Iungdeutschlands Dank. Auch die Nachwelt hat Hermann
als den Befreier Deutschlands von römischer Fremdherrschaft würdig
gefeiert. Auf der Groteuburg im Teutoburger Walde iu der Nähe
der Stadt Detmold ist ihm ein herrliches Denkmal errichtet worden
(Ernst von Bändel), das erst nach der Wiedervereinigung der
deutschen Stäinme zum großen Deutscheu Reiche vollendet wurde.
Der feierlichen Einweihung am 16. August 1875 wohnten Kaiser
Wilhelm I., der nachmalige Kaiser Friedrich uud audere Fürstlich-
feiten bei. Auf einem linterbau erhebt sich das 28 m hohe eherne
Standbild Hermanns, im ganzen eine Höhe von etwa 60 m er-
reichend. Den Kopf zieren zwei erhobene Adlerflügel. Der linke
Fuß ist auf ein Rutenbündel und einen römischen Adler als Zeichen
der gebrochenen Römerherrschaft gesetzt. Die linke Hand stützt sich
auf deu Schild, der das Wort „Treufest" enthält. Die hoch er-
hobene Rechte hält das gewaltige Schwert empor, dessen goldene
Inschrift dem deutschen Volke mahnend zurust:
Deutsche Einigkeit meine Stärke;
meine Stärke Deutschlands Macht!
!<>()
Auch in Schriften und Dichtungen loirb Heriiiaim immer
wieder gefeiert. So fingen felbst die Kinder in Westfalen:
Römische Kultur in Deutschland. Die Unterjochung der germanischen
Völker war nicht gelungen. Ilm sich nun selbst gegen ihre wilden Einfälle zu
schützen, errichteten die Römer eineil fast 600 km langen Grenzwall (Limes),
der in der Gegend von Nenwied begann nnd am Nordrande des Taunus entlang
zum Main und weiter znr Donau oberhalb Regensburg lief. Dieser etwa 3 m
hohe Schutzwall sollte das allmählich über die alte Rhein- und Donangreuze
hinaus vorgeschobene römische Gebiet sichern. Er war durch Pfahlwerk und
Graben befestigt und namentlich in gewissen Zwischenräumen mit Warttürmen
und Kastellen versehen, in denen römische Wachen und Besatzungen lagen. (Das
bekannteste Kastell dieses fast in seiner ganzen Länge wieder aufgedeckten Limes
ist die von Kaiser Wilhelm II. erneuerte Saalburg bei Homburg.) Die Be-
völkerung innerhalb dieser Grenzlinie mußte an Rom den zehnten Teil der Ein-
künste entrichten; daher nannte man das Land Zehntland. In den römisch
gewordenen Teilen Deutschlands entstanden mehrere Städte (Basel, Straßburg,
Speier, Worms, Mainz, Koblenz, Köln, Trier n. a.). Trotz der trennenden
Schranke kamen beide Völker allmählich in immer nähere Beziehungen. Römische
Kaufleute tauschten Eisen, Silber, Gold, Kleiderstoffe, Waffen, Geräte und
Schmucksachen gegen Pferde, Rinder, Felle, Pelze, Bernstein und das beliebte
blonde Haar der deutschen Franen ein. Nach dem Vorbilde der Römer der-
besserte man den Ackerbau, auch lernte man von ihnen den Wein-, Obst- und
Gemüsebau kennen. Viele römische Bezeichnungen gingen als neue Worte
in unsere Sprache über. So erinnern an die Römer noch heute die Monats-
namen wie Juli (Julius Cäsar), August (Kaiser Augustus), September,
Oktober usw., die der 7., 8., 9., 10. Monat heitzen. Nach Jahrhunderten drang
endlich, wiederum von Süden her, auch das Heil der christlichen Religion
dauernd in die heidnischen deutschen Gaue.
Hermann, sla Lärm an I
Lat piepen. Int truminen!
De Kaiser will knmmen
Mit Hammer un Stangen
Will Hermann uphangen.
De Fürsten sind kummen
Mit all ehren Mannen,
Hewt Varus uphangen.
lln Hermann slang Lärm an.
Leit piepen, leit trummen.
— 191 —
4. Die Sachsen.
Wanderzeit. Während der Völkerwanderung verließen
die östlich der Elbe wohnenden deutschen Volksstämme ihre Wohnsitze,
nm sich im reicheren Süden eine neue Heimat zu gründen. Ahlten
drängten die Slaven nach, die nun ohne Kampf das verlassene
Gebiet in Besitz nehmen konnten. Dagegen blieben die zwischen
Rhein und Elbe wohnenden Stämme, die durch die seste römische
Grenze an größere Seßhaftigkeit gewöhnt waren, in ihrer alten
Heimat wohnen, wenn auch oft genug einzelne Scharen dem Zuge
nach Süden gefolgt sein mögen. Aber anch unter ihnen vollzogen
sich große Veränderungen.
Der Sachsenlnmd. Hier in Nordwestdeutschlaud waren die
von dem heutigen Holstein her eingewanderten Sachsen das führende
Volk (Sax-Messer, kurzes Schwert). Sie hatten klugerweise die au-
sässigen Stämme nicht vertrieben, sondern zur Unterwerfung gebracht
und schlössen sich nun mit ihnen zu einem großen Völkerbunde
zusammen, der nach dem herrschenden Stamme den gemeinsamen
Namen Sachsen annahm. Die Namen mancher kleineren Volks-
stamme verschwanden allmählich.
Sage. Es ist eine Streitfrage, ob sich die Sachsen auf friedlichem Wege
mit den Stämmen, die zwischen Rhein und Elbe wohnten, zu einem Sachsen-
bunde zusammengeschlossen haben oder ob sie uuser heutiges Niedersachsen er-
oberten, also ein Sachsenreich gründeten. Die hier folgende Sage läßt die
letztere Annahme zu.
Nach dem Berichte des Mönches Widuünd aus Corvey an der Weser, der
im 10. Jahrhundert n. Chr. lebte, landeten die Sachsen im heutigen Lande
Hadeln, mit dessen Einwohnern, die Thüringer gewesen sein sollen, sie hart-
näckige Kämpfe führten. Schließlich wurde ein Vertrag abgeschlossen: Die
Sachsen sollten das Recht des Verkaufs und Kaufs haben, dafür aber von Mord
und Raub ablassen. So kehrten sie auf ihre Schiffe zurück. Als ihnen aber das
Geld ausgegangen war, merkten sie, daß dieser Vertrag für sie nutzlos wäre.
li>2 —
Da wußte ein Sachsenjüngling Rat. Er ging eines Tages mit vielem
Gold, einer goldenen Kette und goldenen Spangen ans Land. Ein Thüringer
fragte ihn: „Was willst du mit dem vielen Golde um deinen abgezehrten
Hals ?" „Ich suche einen Käufer", entgegnete dieser, „denn wie soll ich mich am
Golde srenen, wenn ich vor Hunger verschmachte?" Daraus fragte jeuer weiter:
„Welchen Preis forderst du denn?" Der Sachse sagte: „Gib. was dn willst, ich
nehme es dankbar an!" Der andere lächelte nnd sprach: „Wie nun. wenn ich
dir dein Kleid mil der Erde da fülle?" Eiligst breitete der Sachse seinen Mantel
ans, lies; ihn füllen und gab dann sein Gold hin. Beide eilen froh davon. Die
Thüringer loben ihren Landsmann, der den Sachsen so sein betrogen habe,
während diesen die Genossen verspotten. Der aber sagte: „Folg: mir, ihr Werder
sehen, daß mein Handel uns allen von Nutzen ist!"
Darans gingen alle an Land. Der junge Sachse aber streute die ertausie
Erde ganz dünn über einen großen Platz aus, der sofort als Lagerstätte einge-
nommen wurde. Als die darüber erbosten Thüringer sich beschwerten, antworteten
die Sachsen, sie wollten das für ihr Geld erworbene Land behaupten oder sonst
mit den Waffen verteidigen. Da stürmten die Thüringer in blinder Wut plan-
los auf das Lager ein. Die Sachsen aber blieben Sieger und nahmen nun nach
Kriegsrecht noch mehr Land in Besitz. Bei den Verhandlungen über einen neuen
Frieden haben dann die wachsen die feindlichen Führer plötzlich überfallen und
niedergemacht. Dadurch jagten fie auch den übrigen Völkerschaften einen ge-
waltigen Schrecken ein.
Die Völkerschaften des Sachjenbnndes. Innerhalb des
Sachsenblindes bildeten sich vier größere Gruppen: Engern, West-
falen, Ostfalen und Nord albingier. Die Engern (Anger-,
Wiesenbewohner), deren Name noch den alten Stammnamen der
Angrivarier erkennen läßt, wohnten zu beiden Seiteu der Weser.
Westlich von ihnen hatten die Westfalen ihren Wohnsitz, der noch
hente durch die gleichnamige preußische Provinz ungefähr bezeichne:
wird. Die Lstfalen wohnten östlich voll der Leine »ach der Elbe
zu. Die Nordalbingier saßen nördlich der Elbe im heutigen Holstein.
Alle Völkerschaften des Sachsenbundes hatten eine gemeinsame
Sprache, die platt- oder niederdeutsche, die uoch heute aus dein
Lande als Unigangssprache dient. Neben Sprache nnd Stammver-
wandtschaft bildeten im Laufe der Zeit gleiches Recht uud gleiche
Verfassung eiu Band, das die einzelnen Völkerschaften des Sachseu-
landes zusammenhielt. Städte und befestigte Wohnplätze gab es
bei ihnen nicht. Sie wohnten in einzelnen Gehöften, deren Gebäude
einräumig und einstöckig waren. In Kriegszeiten bargen sie sich
und ihre Habe an wallumgürteten Zufluchtsstätten in Wäldern,
Bergen und Süinpsen.
Ackerivirtlchaft. Die aus der früheren Zeit her bestehenden Flurverhäll-
nisse (S. 174) entwickelten sich in den folgenden Jahrhunderten gleichmäßig weiter.
Manche Grundzüge haben sich sogar bis in die Neuzeit erhalten. Seit dem
8; Jahrhundert etwa war die von den Römern erlernte Dreisel der Wirtschaft
allgemein üblich. Man zerlegte den Acker in drei ziemlich gleiche Felder oder
— 193 —
Schläge. Jedes Feld wurde der Reihe nach im ersten Jahre mit Winterkorn
Moggen, Weizen), im zweiten mit Sommerkorn (Hafer, Gerste) bestellt und diente
im dritten als Brachland zur Gemeindeweide. Die Zahl der Gewanne, die jedes
Feld umfaßte, richtete sich nach der Bodenbeschaffenheit. Die einzelnen Acker-
stücke waren in der Regel alle von gleicher Breite (daher „Breiten"), während
die Länge verschieden sein konnte; nur die zur Pflugwende benutzten Äcker
(Anwandäcker, „Anewenge") erhielten zur Entschädigung größere Breite. In
besonderen Fällen wurde die Größe der Äcker mit der Rute oder dem Meßseil
festgestellt. War ein Gewann für die erforderliche Zahl von Ackerstücken zu
klein, so wurde ein zweites hinzugenommen. Was in die Gewanne wegen ihrer
Form als Parallelogramme nicht paßte, blieb als sogenannte Ger (von der keil-
förmigen Gestalt) unverteilt liegen.
Größe der Höfe. Der Gesamtbesitz einer Familie an Ackerstücken inner-
halb der einzelnen Gewanne wurde eine Hufe genannt (die altdeutsche Be-
zeichnung huoba für Hufe hängt nicht mit Hof zusammen). Die nach dem
durchschnittlichen Bedürfnis einer Haushaltung berechnete Größe einer Hufe be-
trug in unserer Heimat 60 Tagwerk (anderswo oft 30). Unter Tagwerk ver-
stand man kein bestimmtes Flächenmaß, sondern ein Stück Ackerland, das man
mit einem Gespann an einem Vormittag (daher „Morgen") umpflügen konnte.
Ein Hof hatte also gewöhnlich 60 Morgen Land (Pflug- und Brachland zu-
sammen), wovon aber in älterer Zeit nur 20 Morgen oder wenig darüber wirk-
liches Ackerland gewesen sein werden.
Stände. Das freie sächsische Volk gliederte sich in drei kästen-
artig streng voneinander geschiedene Stände: Edeliuge, Frielinge
und Laten. Die Edelinge (mobiles) standen über den anderen
Klassen; ihnen entstammen die im Laufe der Zeit zu erblicher Ge-
walt gelangten Fürstengeschlechter. Die Frielinge besaßen Grund-
eigentnm und dieselben politischen Rechte wie jene. Die Laten
oder Liteu (S. 176) waren persönlich freie, aber abgabenpflichtige
Leute und bildeten die große Masse der Ackerbau treibenden
Bevölkerung. Außerhalb der Volksgemeinschaft standen die Sklaven,
meist Kriegsgefangene uud deren Nachkommen; sie mußten im Haus-
halt oder auf den Höfen ihrer Herren, denen auch das Wergeld
(S. 196) zukam, tätig sein. Bei Todesstrafe war die Vermäh-
lnng mit einer Frau höheren Standes verboten.
Gane. Das Land zerfiel in Gaue. An der Spitze standen
Häuptlinge, Alteste, unter deren Leitung die Gaugenossen zur Ver-
sammlung zusammentraten, Recht sprachen und notwendige Ange-
legenheiten regelten. Eine weitere Obrigkeit gab es in Friedens-
gelten nicht. Im Falle eines Krieges ordnete man sich gemeinsamen
Führern oder Herzögen unter (S. 177). So werden um 775 drei
13
— 194 —
Herzöge genannt, je einer bei den Westfalen, Engern und Ostsalen
(Widukind, Bruno, Hessi).
Der Name Gau (lat. pagus) ist in den Urkunden des sächsischen Gebietes
ga, go, gowe. Die einzelnen Gaunamen setzen sich meist aus zwei Bestand-
teilen zusammen! das Bestimmungswort ist häufig eine Siedelung, ein Volks-
stamm oder ein Fluß, auch ein Gebirge, eine Pflanze oder eine Himmels-
richtung. Beispiele: Lidbekegouwe (um Lübbecke westlich Minden), Angira (Engern),
Ostsalengau (zwischen Oker und Innerste), Westfalengau (nördlich der Lippe bis
zum Quellgebiet der Wupper), Bardengau (Langobarden, an der unteren Elbe),
Marstem oder Merftem (südöstlich vom Steinhuder Meer, aus Marsatheim ent-
standen, Wohnsitz der Marsaten), Lainga (Leingau), Bukki (Bückeberg, „Buchen-
berg"), Osterpurge oder Osterburg (Umgegend von Steinbergen, Osten). Im
Gebiet des Weserknies bei der Porta sind noch die Gaunamen Tilithi und
Scapevelden bemerkenswert. Der Tilithigau umfaßte das Gebiet südlich vom
Bückeberge bis an die Weser zwischen Steinbergen und Hameln, Scapevelden
die Umgegend von Frille. Die Erklärung der beiden Namen ist ungewiß.
Tilithi von der in den Weserbergen häufigen Pflanze Tielose, „Tielöschen"
— wilde Narzisse, vielleicht auch Flurbezeichnung; Scapevelden Ableitung von
Schaf, nach anderen Schöffenfeld.
Oer öuKKigau. Jeder Gau war ein möglichst in sich geschlossenes
Gebiet innerhalb gewisser natürlicher Schutz- und Trennuugsgreuzeu,
wie sie Fluß, See, Moor oder bewaldete Höhenzüge boten. Er
zerfiel in Grenzwald, Allmende und Sondereigen (S. 174). Unsere
Heimat gehörte dem Bukkigau au, desseu Nameu wir in Bückeberg
und Bückeburg wiederfinden. Er reichte im Norden bis an die
Rehbnrger Berge, im Süden bis an die Weserberge, im Westen bis
Zur Weser und im Osten bis zum Bückeberge und Dühlholze. Das
Dühlholz (= Sumpswald), an der Grenze der drei Gane Derve,
Marstem und Bnkkigan gelegen, muß in alter Zeit ein wesentliches
Verkehrshindernis gewesen sein. Auffallend ist, daß unser Bukkigau
durch den Wasserlauf der Weser von den westlichen Gegenden
weniger abgesperrt wurde als durch eine Kette von Verkehrshinder-
nissen (Süntel, Bückeberg, Steinhuder Meer, Leineniederung, große
Moor) von den östlichen. Das zeigen die Dialektgrenzen, indem
z. B. im Gebiet des Bnkkiganes die im Westen und Norden herrschen-
den Fürwörter mi und di üblich sind, während im benachbarten
Marstemgan und sonst im Osten die Formen meck und deck ge-
braucht werden. Das zeigt ferner auch die Tatsache, daß bei der
Kreiseinteilung des Kaisers Maximilian im Jahre 1512 auch unser
Gebiet nicht dem zwischen Weser und Elbe gelegenen niedersächsischen
Kreise, sondern dem westfälischen zugeteilt wurde.
— 195 —
Die Sachsenkriege. Mit den Franken, an deren Gebiet
ihr Land im Süden und Westen grenzte, standen die Sachsen in
alter Feindschaft. Wohl hatten beide einst gemeinsam die Thüringer
besiegt, dann aber machte die tatenfrohe, beutelüsterne Sachsenjugend
immer wieder Einfälle in das besser bebaute, reichere Frankenland,
zumal dessen Grenze durch kein großes natürliches Hindernis ge-
schützt war. So waren seit langem die Sachsenkämpfe eine Plage für
die Franken, die vergeblich durch mehrere Kriegszüge sich Ruhe zu
verschaffen suchten. Endlich saßte Karl der Große, sobald er
durch den Tod seines Bruders Karlmann Alleinherrscher der Franken
geworden war, den Entschluß, die Sachsen durch völlige Unter-
werfung zur Ruhe zu bringen. Sein Unternehmen wurde dadurch
wesentlich erleichtert, daß die Sachsen jetzt in ihrem Rücken jenseits
der Elbe die Slaven als erbitterte Feinde hatten und nur auf einem
kurzen Grenzfanme mit ihren natürlichen Bundesgenossen, den Dänen,
in Verbindung standen. Dennoch dauerte es etwa 30 Jahre, bis
Karl den hartnäckigen Widerstand der unbändigen Sachsen gebrochen
hatte, die ihre Verfassung und Selbständigkeit nicht verlieren, eine
sremde Religion, das Christentum, sich uicht aufzwingen lassen
wollten. Immer wieder versuchten die Sachsen, die verhaßte Fremd-
Herrschaft abzuschütteln. Karl zwang ihre Aufstände zuerst in kurzen
Sommerfeldzügen mit feinen hauptsächlich aus Reitern bestehenden
Heeren nieder und brachte dann immer strenger und folgerichtiger
durchgeführte Maßregeln zur Anwendung, um ihr Beginnen erfolg-
los und unmöglich zu machen.
Der Weg am Nordrande des deutscheu Mittelgebirges entlang
und vor allem die Mitte desselben, die Gegend um die Porta,
waren naturgemäß auch damals der Schauplatz wichtiger
Kämpfe. So war Karl im Jahre 775 in der Gegend des heutigen
Höxter über die Weser gegangen, hatte den Führer der Ostfalen
Hefsi ohne Kamps zur Stellung von Geiseln gezwungen und nahm
seinen Weg durch unser Land, den Bukkigau, dessen Namen wir
bei dieser Gelegenheit zum ersten Male erwähnt finden. Auch die
Engern unter ihrem Herzoge Bruno leisteten den Eid der Treue
und stellten Geiseln, suchten dabei aber nur die Gelegenheit zu einem
Uberfall. Als eine fränkische Abteilung bei Hlidbeki (Lübbecke)
lagerte, mischten sie sich am Abend unter die vom Futterholen
zurückkehrenden Franken, gelangten so ins Lager, überfielen hier die
13*
— 196 —
nichts ahnenden Feinde und setzten ihnen so zu, daß sie in einen
schimpflichen Vertrag willigen mußten. Voll Zornes kam dann
freilich Karl selbst herbei und strafte die Wortbrüchigen, so viel er
konnte.
Die Aufhebung der alten Ganverfafluug. Auch in den
nächsten Jahren wurde immer wieder gekämpft, bis Karl im Jahre
782 aus dem Reichstage zu Paderborn die Verhältnisse durch
ein großes Gesetz endgültig ordnen zu können glaubte. (Die Be-
schlüsse der Reichstage wurden ausgezeichnet und heißen wegen ihrer
Einteilung in Kapitel Kapitularien.) Durch das Paderborner
Kapitular wurde die alte Gauoerfassung, das freie Versammluugs-
recht aufgehoben und an ihrer Stelle die fränkische Verwaltung und
Heeresverfassung eingeführt, indem man das Land in Grafschaften
teilte, deren Grenzen sich im wesentlichen den alten Gaugrenzen an-
schlössen, und an die Spitze derselben königliche Beamte mit dem
Titel Graf stellte. Als solche wählte Karl neben zugezogenen Franken
hauptsächlich eingeborene sächsische Edelinge, denen er ihre Vorrechte
den übrigen Ständen gegenüber nicht nur beließ, sondern sie sogar
noch vermehrte, um gerade diesen Stand, den Adel, für sich zu
gewinnen. Die Gliederung der Stände blieb sonst dieselbe.
Das Wergeld (S. 179) eines Edelings betrug 1440, eines Frielings 240
und eines Laien 150 Solidi. Aus 1 Pfund Silber (etwa 400 g) lieh Karl der
Große, als er zur Erleichterung des Handels und Verkehrs einheitliche Mllnzen
und Gewichte einführte, 20 Solidi oder 240 Denare prägen; 1 Solidus hatte
nach unserin Gelde einen Wert von etwa 4,50 M. Die deutsche Bezeichnung für
Solidus war Schilling, für Denar aber Schatz oder Pfennig (von d in Denar
kommt unser Zeichen ^ für Pfennig).
Förderung des Christentums. Nach der Taufformel
sollten die Sachsen absagen dem „Donar und Wodan und Saxuot
(Ziu) und allen Unholden, die ihre Genossen sind." Todesstrafe
wurde u. a. gesetzt auf Unterlassung der Taufe, auf Fleischessen in
der Fastenzeit aus Verachtung des Christentums, auf Verbrennen der
Toten nach heidnischer Sitte, auf Menschenopfer. Mit Geldstrafen
wurden gebüßt heidnische Gelöbnisse, Opfer bei Quellen, Brunnen
oder in Hainen. Die Wahrsager uud Losdeuter werden als Hörige
den Kirchen und Geistlichen überantwortet. Es wird die Sonntags-
Heiligung, der Kirchenbesuch an Sonn- und Festtagen, die Beerdi-
— 197 —
gung auf den Friedhöfen befohlen. Ganz unerträglich aber fand
man das Gebot der Entrichtung des Zehnten an die Kirche —
schien doch diese Abgabe von Grund und Boden die Freien in Hörige
zu verwandeln — und die Forderung, dem Frankenkönige Heeresfolge
zu leisten und zwar sogar ins Ausland.
Widukind. Trotz dieser strengen Maßnahmen versuchten die
Sachsen immer wieder, die Freiheit uud den alten Götterglauben
zurückzuerlaugeu. Namentlich war es Widnkind, ein westfälischer
Edeling, der in der Folgezeit dem Frankenkönige viel zu schaffen
machte. So wandten sie sich unter seiner Führung, als Karl ihnen
und den Ostfranken geboten hatte, einen Zug gegen die Sorben
(zwischen Elbe uud Saale) zu unternehmen, nachdem sie sich zunächst
aus Furcht vor der Strenge des Königs versammelt hatten und
dann plötzlich abgefallen waren, gegen die fränkischen Scharen, die
zu dem Slavenkneg heranzogen. Die eine der herbeigeeilten Ab-
teilungen des fränkischen Aufgebots ließ sich verleiten, einen über-
eilten Angriff aus das Lager der Sachsen zu machen, das sich auf
der Nordseite des Suntal (Süntel) befand, mit welchem Namen
man damals das Wesergebirge in seiner ganzen Ausdehnung be-
zeichnete (vgl. S. 139). Die Angreifer wurden völlig geschlagen,
auch fiel eine Anzahl vornehmer Franken. Als König Karl auf
die Nachricht von dieser Niederlage (782) mit einem Heere herbei-
eilte, wagten die erschreckten Sachsen keinen Widerstand zu leisten
und lieferten die Anstifter und Teilnehmer an dem Aufstande aus.
Gemäß den blutigen Strafen, die auf Landesverrat und Untreue
gesetzt waren, erging über die Abtrünnigen ein furchtbares Gericht.
Ihrer 4 500 wurden an einem Tage bei Verden an der Aller hin-
gerichtet. Widnkind war über die Elbe zu dem Dänenkönige ge-
flüchtet, bei dem er fchon häufig Zuflucht gesucht hatte.
Das furchtbare Blutopfer vou Verden, das der Zorn des
aufs äußerste gereizten Königs verlangte, erstickte jedoch den Auf-
stand nicht, fondern entfachte ihn erst recht. Zum Verzweiflungs-
kämpfe entschlossen, traten die Sachsen im folgenden Jahre (783)
sogar zweimal in offener Feldschlacht den Franken entgegen, bei
Detmold und an der Hase unweit Osnabrück. Hier mußten sie
jedoch den durch Führung und Schulung überlegenen Franken nach
— 198 —
heldenmütigem Widerstande unterliegen. Widnkind entfloh wieder
über die Elbe zu den Dänen. Nach dem Ausgange dieses letzten
und allgemeinen Aufstandes verzweifelte er an der Möglichkeit
weiteren Widerstandes und erschien deshalb, als Karl ihm und
seinem Genossen Abbio Straflosigkeit anbieten ließ, in der könig-
lichen Pfalz Attigm) in Frankreich, huldigte dem Könige und
empfing die Taufe (785). Der König aber ließ dieses hoch-
wichtige Ereignis sogar durch ein Dankfest in Rom feiern.*)
Die Geschichte weiß von Widukind nichts weiter zu berichten.
Die Sage erzählt, das nicht weit von Herford gelegene Enger sei
seine Residenz gewesen und er sei auch dort iu der Kirche begrabeu.
Auch heißt es, über dem Grabe sei eiu Denkmal errichtet gewesen,
auf dessen oberstem Deckstein die Gestalt des alten Helden dargestellt
gewesen sei. Kirche uud Denkmal seien aber allmählich so verfallen,
daß der deutsche Kaiser Karl IV. bei einem Besuche in Enger (1377)
angeordnet habe, alles aufs beste wiederherzustellen. Das Denkmal
steht noch heute, nur ist es im 17. Jahrhundert stark verändert
worden. Auch Herford hat dem grimmen Sachsenherzog ein Denk-
mal errichtet. In voller Waffenrüstung reitet er einher, der Huf
feines Roffes aber hat einen Stein losgelöst, unter dem ein mächtiger
Wasserstrahl hervorschießt, das Gauze zu einem wirkungsvollen
Widukindsbrnnnen gestaltend.
Die Sachse« nach ihrer Unterwerfung. König Karl
wachte mit scharfem Auge uud starker Hand über all seine Ein-
richtnngen, um das Land in Unterwürfigkeit zu halten. Die ge-
stellten Geiseln brachte er in den verschiedensten Gegenden seines
großen Reiches unter; er übergab sie wie die Gefangenen an Klöster
und Kirchen, nicht nur um sie zu Christen zu machen, sondern auch
um die jüngeren für den geistlichen Stand erziehen zu lassen. Die
Bevölkerung solcher Bezirke, die sich immer wieder auflehnten, siedelte
er außerhalb Sachsens an. So legen noch heute bis weit nach
Süddeutschland hinein zahlreiche mit „Sachsen" zusammengesetzte
Ortsnamen Zeugnis davon ab, wie weit sich Teile des Sachsen-
*) In der Aula des Gymnasiums zu Minden befindet sich ein packendes Gemälde Paul
Thumanns, das uns die Tanse Widnkinds so recht lebendig vor Augen führt. Wir sehen ans
ihm den in der charakteristischen Haar- und Barttracht der Franken dargestellten eisernen Karl,
den die geistliche Gewalt der Kirche verkörpernden taufenden Bischof und den riesigen, kraft-
strotzenden Widukind, der auch jetzt noch mit Widerstreben das stolze Haupt dem Tauswasser eut-
gegenbeugt. — Das Gegenstück zu diesem Gemälde ist bereits S. 187 erwähnt.
— 199 —
Volkes verpflanzen lassen mußten. An ihre Stelle rief er Franken
ins Land, an der Elbe aber sogar Slaven.
Nur schwer fand sich der freie Sachse in die neue Ordnung
der Dinge. Auf der einen Seite bedrohten ihn die „mit Blut ge-
schriebenen" Gesetze Karls, deren Härte sogar unter den Großen
des fränkischen Hofes Bedenken erregte, auf der andern Seite hatte
er Haß und Verfolgung seitens der eigenen Stammesgenossen zu
erdulden, wenn er sich den Gesetzen des Königs und deu Geboten
der in fremder Sprache Gottesdienst haltenden Priester gefügig
zeigte. Unter diesen Umständen wird er nur wenig Verständnis
dafür gehabt haben, daß sein Heimatland durch die häufige An-
Wesenheit Karls, des mächtigsten Herrschers Westeuropas, oft in den
Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt wurde, indem nicht nur Boten
des Dänenkönigs und Gesandte anderer näher wohnender Völker
im Sachsenlande erschienen, sondern sogar auch einmal der Papst
dorthin kam. Innerlich verschmolz der Sachsenstamm mit dem
Frankenreiche erst, als das Geschlecht dahingestorben war, das noch
die alte Freiheit wirklich genossen hatte.
Die fachst schen Distnmer. Erst nach dem Kriege, als die
Herrschast der Franken in Sachsen völlig gesichert war, konnte Karl
dauernde Einrichtungen treffen, auch in dem unterworfenen Gebiete
das Christentum wirksam zu fördern und zu befestigen. So
errichtete er die acht sächsischen Bistümer Osnabrück, Münster,
Paderborn, Minden, Verden, Bremen, Elze-Hildesheim und Halber-
stadt, an deren Spitze er Bifchöfe fetzte. An den Bischofssitzen
entwickelten sich später blühende Städte.
Zerfall des Frankenreiches. So lange Karl lebte, blieb
das gewaltige Frankenreich in sich einig. Aber schon unter seinem
Sohne, dem schwachen Ludwig dem Frommen, lockerten sich die
Verhältnisse immer mehr. Nach Ludwigs Tode sollte sich dauu sogar
eine vollständige Zersplitterung der sränkischen Monarchie vollziehen.
Seine Söhne Lothar, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle
gerieten nämlich in einen erbitterten Erbstreit. In diesem Bruder-
kriege wurde schließlich Lothar besiegt, der nun zu höchst bedenk-
lichen Mitteln griff. Er suchte einen Teil des Sachsenvolkes, die
Frielinge und Laten, dadurch für sich zu gewinnen, daß er ihnen
— 200 —
die Wiederherstellung ihrer alten Rechte versprach, wie sie einst ihre
Väter als Heiden gehabt hatten. Da schlössen sich die Sachsen zu
dem furchtbaren Stellingabunde zusammen (Stellinge — Wiederher-
steller) und erhoben sich gegen Ludwig den Deutschen und die
von ihm begünstigten Edelinge, so daß ein Bauernaufstand mit all
seinen Greueln das Land durchtobte. Aber Ludwig siegte und
erstickte den Aufstand in Blut: 140 Führer wurden enthauptet, 14
gehängt, „uuzähliche", so heißt es, an den Gliedmaßen verstümmelt.
Der kühne Versuch, zur alten Freiheit, zum alteu Recht zurückzu-
kehren, hatte ein Ende mit Schrecken genommen. Aber statt der
erhofften Verbesserung gestaltete sich die Lage in der Folgezeit erst
recht ungünstig, denn die Menge der sächsischen Bevölkerung wurde
von den Großen des Landes mehr und mehr abhängig, während
diese selbst immer größere Macht erlangten.
Das Kehnsivesen. Mit der Frankenherrschast war auch das
Lehnswesen uach Deutschland gekommen. Es beruhte darauf, daß
der König den Großen seines Reiches für ihre Dienste oder Amts-
sührung statt Geld Ländereien, Güter und Burgen zur Nutzung lieh
(Lehen), und daß auch diese ihrerseits ebenfalls wieder Güter zu
Lehen gaben. Der Belehnte (Vasall) war feinem Lehnsherrn
(dem Könige, Herzoge, Grafen, Bischof) zum Kriegsdienste ver-
pflichtet. Kleinere Lehen konnten an andere Lehnsträger weiterge-
geben werden (Afterlehen), deren Inhaber wiederum diesen Lehns-
leuten untergeordnet und zur Treue verpflichtet waren. Schließlich
wurde auch ein Amt zu Lehen gegeben. Aus dem vom Könige
selbst in Besitz genommenen Grundeigentum vertriebener oder ver-
nichteter Geschlechter entstanden die überaus reichen Krongüter
(Domänen), während auch viel Grund und Boden als freies Eigen-
tum (Allod) feinen Kriegsgefährten überlassen wurde.
Das Lehnswesen führte nicht nur eiue Änderung der Besitz-
Verhältnisse, sondern auch des Kriegsdienstes herbei. Es zogen nicht
mehr die freien Männer, fondern die Lehnsherren mit ihren Vasallen
ins Feld. Viele der Vasallen stellten sich künftig als Reiter ein.
Der geringe Mann konnte die Kosten des Reiterdienstes nicht leisten
und befreite sich darum von der Heerpflicht durch jährliche Zahlung
einer Steuer (später Grafenschatz). Die Reiter wurden bald allgemein
Ritter genannt. Der Ritterstand, dessen Blüte in die Zeit der
— 201 —
Kreuzzüge fällt, umfaßte nunmehr außer Edlen und Freien auch
wohlhabende Hörige, aus denen der niedere Adel hervorging. Das
Reiterheer spielte fortan bei der Kriegführung die Hauptrolle, nicht
mehr die Fußtruppe, das alte Graffchaftsaufgebot der Baueru zum
Heerbann. So nahm das Ansehen der Bauern allmählich ab,
zugleich aber auch die kriegerische Tüchtigkeit des ganzen Volkes.
Der Verlust der altgermanischen Freiheit und Selbständig-
keit zeigte sich auch in der veränderten wirtschaftlichen
Lage der Bauern. Die vielen Aufstände, Kriege und Ver-
heerungen hatten ihre Lathnsen, wie die Hose damals genannt
wurden, zurückgebracht, und in vielen Fällen zu Teilungen oder
Verkäufen geführt, während der Grundbesitz weltlicher und geist-
licher Herren so angewachsen war, daß diese nach und nach ein
Obereigentum an Grund und Boden und damit schließlich das Recht
der Grundherrschaft erlangt hatten. In der Hoffnung auf Schutz
und Förderung seiner Wirtschaft übertrug nun der Bauer freiwillig
oder dazu gedrängt seinen Hof einem Grundherrn, um ihn dann
aus dessen Hand gegen Entrichtung bestimmter Abgabeu (Zinsen)
oder gegen Leistung unentgeltlicher Dienste (Fronden) als Lehen
wiederzuerhalten. So wurde der ursprünglich freie Bauer
als Zins- oder Fronbauer Lehnsmann eines Adeligen,
eines Klosters oder einer Kirche. Andere Dorfbewohner, die
keine selbständige Ackerwirtschaft betrieben und auch selten Haus und
Garten hatten, gehörten dem Grundherrn ganz zu eigen (leibeigen).
Die Leibeigenen hatten in der Regel keine Abgaben zu entrichten,
sondern nur Dienste zu leisten, aber nicht wie die Hörigen mit Be-
schränkung auf bestimmte Tage (gemessene), sondern Tag für Tag
(ungemessene Dienste). Oft gingen ganze Gemeinden in grund-
herrlichen Besitz über, während wieder in manchen Dörfern grund-
herrliche und freie Höfe oder grundherrliche Höfe verschiedener
Herren nebeneinander bestanden. Ein gänzlich freier Bauernstand
erhielt sich in größerem Umfange nur in den Marschen des nörd-
lichen Sachsens.
Die Meiergutsverfasfung. Mit dem fränkischen Recht
hatte auch die karoliugische Güterverwaltung Eingang in Sachsen
gefunden. Nach dem Vorbilde der großen königlichen Güter, die
seit der Karolingerzeit her zusammenhängende Gebiete und einheit-
- 202 —
lich geleitete Verwaltungen bildeten, richteten auch die großen Grund-
besitzer die Verwaltung ihrer Güter ein. Die grundherrlichen Be-
sitznngen waren im Laufe der Zeit so gewachsen und lagen oft so
zerstreut, daß der Grundherr nicht mehr in der Lage war, sie selbst
zu bewirtschaften. Er setzte dazu einen seiuer Hörigen ein, der so-
Wohl das Hauptgut (villa) als auch die Nebenhöfe verwalten mußte.
Ein solcher Hofbauer (villicus) wurde Meier (niaior) genannt, sein
Verwaltungsbezirk Villikation. Der Meier bewirtschaftete das
zum Herrenhofe gehörige Ackerland (Salland) mit den Gnts-
knechten und den frondienstpflichtigen Bauern, beanffichtigte die Lat-
Hufen luud trieb die von den Laten zu Entrichtenden Abgaben und
Zehnten für den Grundherrn ein, dem anch die Erträge der Villi-
kation zuflössen. Der Late wirtschaftete selbständig, war aber nicht
mehr Eigentümer, sondern nur uoch Nutznießer seines Hofes, der
unter gewissen Voraussetzungen vererblich war. Wollte er sich
anderswo ansiedeln, so mußte er ein bestimmtes Lösegeld zahlen
und für die gehörige Befetzuug feines Hofes mit einem anderen
Manne sorgen. Ein gewisses Ubereinkommen schützte ihn als Hof-
recht vor Willkür.
Jeder Late hatte dem Grundherrn außer den Ab gaben
an Getreide, Vieh, Eiern usw. besonders eine Heiratsstener
(Bedemuud), einen jährlichen Kopfzins nnd eine Erbschafts-
steuer zu entrichten. Der Kopfzins war gewöhnlich ein Huhn,
als ursprünglich persönliche Last Leibhuhn, später als dingliche
Last Rauchhuhn genannt, weil es von jeder neuen Herdstätte,
von der Rauch aufstieg, zur Anerkennung des Abhängigkeitsverhält-
nifses geliefert werden mußte. Bei einem Sterbefall konnte der
Herr den beweglichen Nachlaß ganz oder teilweise beanspruchen oder
einen Anteil des Viehbestandes; oft verzichtete er auf sein strenges
Erbrecht und nahm nur das beste Stück Vieh (Besthaupt) oder
das beste Kleid (S. 91). Alle Rechtsfragen, die das Verhältnis
der Hörigen uud Leibeigenen zu dem Herrn oder unter sich betrafen,
wurden von den Laten im Meierding entschieden, dessen Richter
der Grundherr selbst oder der Meier war. Die Abgaben und
Dienste hielten sich das ganze Mittelalter hindurch in mäßigen
— 203 —
Grenzen und wurden erst später in manchen Gegenden so gesteigert,
daß die Lage der Bauern eine recht drückende wurde.
Aus der alten Meiergutsversassuug beruht die Entstehung und
Entwicklung der verschiedeneu Arten unserer Bauernhöfe, worüber
an anderer Stelle im Zusammenhange erzählt ist.
Sächsische Schriften. Der Heliand, eine dichterische Bearbeitung der
Heilandsgeschichte in altniedersächsischer Mundart, die wahrscheinlich zur Zeit
Ludwigs des Frommen entstanden ist, zeigt uns, wie innig die christliche An-
schauung bereits mit dem deutschen Volksgemüt verwachsen war. In dem
Sachsenspiegel aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts, zuerst lateinisch ge-
schrieben, dann ins Deutsche übertragen, besitzen wir das älteste und vorzüglichste
Rechtsbuch unserer Vorfahren; in ihm sollten die Sachsen ihr rechtlich geordnetes
Leben wie im treuen Bilde eines Spiegels wiedererkennen, daher der Name.
Die fogen. Weistümer (Urteile über bestimmte Rechtsfälle) waren Rechtsbücher,
die alte Volksrechte enthielten, bald in ihrer ursprünglichen Gestalt, bald ver-
mehrt mit Bestimmungen aus dem römischen und fränkischen Rechte. Neben
diesen Volksrechtsbüchern entstanden unter und nach Karl dem Großen die
Reichsgesetzbücher, in denen Bekanntmachungen, Gesetze, Verordnungen usw.
gesammelt und geordnet wurden. Wichtige Geschichtsquellen sind auch die ver-
schiedenen Annalen (Jahrbücher) und Chroniken (Zeitbücher). Die Herstellung
und Verbreitung von Büchern und Schriften wurde hauptsächlich in den Klöstern
gepflegt (S. 42), die überhaupt eine Pflegestätte der Kunst und Wissenschaft im
Mittelalter waren, bis die Städte zur Blüte kamen.
— 204 —
5. Das Christentum im Bukkigau.
Die ersten Misstonsversuche. Schon vor den Sachsen-
kriegen hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Christentum im
Sachsenlande einzuführen. So berichtet die Sage von dem großen
Missionar Bonifatius, der unter den Hessen und Thüringern
erfolgreich gewirkt, die deutsche Kirche geeiut und sie dem Papst
untergeordnet hat, daß er auch im südlichen Sachsen die christliche
Lehre verbreitet habe. Ein anderer Glaubeusbote war Lebuin,
der 772 in einer großen Volksversammlung der Sachsen zu Marklo
predigend auftrat. Als er in seiner Rede drohte, der Fraukenkönig
sei nahe uud werde als Vollstrecker des göttlichen Zornes über die
Ungläubigen Krieg uud Verwüstung ins Land bringen, erhob sich
eine so feindliche Stimmung gegen ihn, daß er nur mit Mühe dem
Märtyrertode entging. Solcher Wanderprediger werden sich noch
mehrere eingestellt habeu. Ihre nächste Aufgabe wird gewefeu sein,
einzelne Edelinge zu gewinnen, um durch diefe dann auch aus das
Volk einzuwirken. Aber erst die äußerste Strenge Karls des Großen
verschaffte der christlichen Lehre allgemein nnd dauernd Eingang.
Das Kistnm Minden. Unter den von Karl dem Großen
gegründeten acht sächsischen Bistümern wurde das Bistum Minden
für unsere Gegend eine segensreiche Wirkungsstätte. Miuda, zuerst
798 erwähnt, war als Verkehrsmittelpunkt mehrerer uralter Wege
dafür besonders günstig gelegen. Von hier gingen in den folgenden
Jahrhunderten die Glaubensboten aus, uni das Evangelium zu
verkünden und christliches Leben unter der Bevölkerung der Weser-
gegend zu verbreiten. — Ein Bischof von Minden wird zuerst
803 genannt. Man zählt ihrer im ganzen sechzig. Zwei von ihnen
sind noch im 9. Jahrh. an der Spitze ihrer Mannen im Kampfe
gegen die furchtbaren Normannen gefallen. Der letzte Bischof von
Minden legte 1648 seine Würde nieder.
Klöster. Unter dem Einfluß des Bischoss zu Minden
entstanden allmählich mehrere Klöster, die ihrerseits wieder
wichtige Stützpunkte für die Gründung von Kirchen und Kapellen
wurden. Zu solchen Anlagen wählte man gern die alten Heid-
nischen Opferstätten, die dem Volke einmal lieb geworden waren-
Dahin gehörten auch die heiligen Waldungen des Bückeberges mit
dem Harrl. Hier wurde Oberukircheu (S. 82) eine wichtige
Missionsstation (815). Andere fromme Stiftungen waren die Nonnen-
klöster Wunstors (871), Möllenbeck (896) und Fischbeck (955);
— 205 —
Möllenbeck wurde 1-141 in ein Augustiner Mönchskloster verwandelt.
Später gründeten die Cistercienser das Mönchskloster Loccum (1163)
und das Nonnenkloster Bischoperode bei Stadthagen. Zu diesen
Stiftungen kamen vom 13. Jahrh. ab noch verschiedene Klöster, Kapellen
und mancherlei Vereinigungen (Bruderschaften), die innerhalb der
aufblühenden Städte entstanden. Durch zahlreiche Schenkungen von
Grundbesitz und durch Permächtnisse adeliger und bürgerlicher Personen
erlangten die Klöster und Kirchen bald bedeutenden Reichtum. Gegen
Ende des 13. Jahrhunderts waren die meisten Kirchen unseres Landes,
in denen wir heute dem Herrn dienen, bereits vorhanden.
Kirchspiele. Zur Beaufsichtigung der zahlreichen Kirchen
wurde das Bistum in mehrere Bezirke geteilt, die Archidiakonate
hießen und nieist mit den alten Gaumarken zusammenfielen. Im
Bukkigau war anfänglich nur Apelern Sitz eines Archidiakons
(= Oberhelfer), der einen Teil der bischöflichen Rechte auszuüben
hatte. Um 1200 hatte der Gau aber zwei derartige Sitze, nämlich
Apelern und Obernkirchen. Zu Apelern gehörten u. a. die
Kirchspiele Heuerßeu, Lindhorst und Probsthagen, zu Obernkirchen
(außer der Mutterkirche): Vehleu, Horsten (Kirchhorsten), Meerbeck
(mit der Kapelle auf dem Bruchhofe), Sülbeck, Meinsen, Jetenburg,
Kleinbremen, Lerbeck, Petzen und Dankersen, zn Wunstorf im Marstem-
gau: Bergkircheu, Alteuhageu-Hagenbnrg und Steinhude mit Großen-
Heidorn, zu Lo: Frille mit Lahde und Windheim im Untergau
Skapevelden; Steinbergen im UntergauOsterburg gehörte zum Archidia-
konate Ohsen (Kirchohsen, südlich von Hameln), das den Tilithigan
einnahm uud hauptsächlich die Kirchspiele an der Weser von Hameln
bis Rinteln und im oberen Auetal umfaßte. — Die Kirchen standen
unter dem Schutz der Grundherren, die sie gewöhnlich auf eigene
Kosten bauen und ausstatten ließen. Jede Kirche, so hatte Karl d. Gr.
bestimmt, sollte einen Hof und zwei Hufeu Land besitzen, zu deren
Bewirtschaftung je 120 Eingesessene einen Knecht und eine Magd zu
stellen hatten. Die Geistlichen erhielten anfangs ihren Unterhalt vom
Stift oder Kloster, später aber bildeten Gaben und Zehntlieferungen
an Getreide, Lebensmitteln usw. (Naturalien) ihr Einkommen.
Während die alte Gliederung nach Gauen allmählich ganz ver-
schwand (um 1100), blieb die kirchliche Einteilung das ganze Mittel-
alter hindurch maßgebend, und das Kirchspiel bildete fortan auch
in weltlicher Beziehung die wichtigste Einheit.
— 206 —
6. Staatenbildung.
Der Pertrag von Uerdun. Die Wirren unter den Enkeln
Karls des Großen (S. 199) hatten zum Vertrage von Verdnn
(843) geführt, durch den das große Frankenreich aufgeteilt wurde.
Der Grundgedanke der Teilung war, daß zunächst jeder der Brüder
behielt, was ihm bereits gehörte, das übrige Gebiet aber gleichmäßig
geteilt wurde. So entstanden drei gesonderte Reiche. Lothar
besaß Italien und einen oon Friesland bis Italien reichenden
Länderstreifen (Lothringen), Ludwig hauptsächlich die östlich des
Rheines gelegenen germanischen Landesteile mit den linksrheinischen
Gauen Mainz, Worms und Speier als Deutsches Reich, das
den Namen Ostfranken, Austrasieu, Ostreich noch längere Zeit bei-
behielt, bis der erstere als engere Bezeichnung an den fränkischen
Mainlanden, der letztere an der bayrischen Ostmark haften blieb,
Karl das Land westlich der Rhone, Maas und Scheide, West-
franken, dessen romanische Bevölkerung den alten Frankennamen
in Frankreich bewahrte. Jeder der drei Monarchen verwaltete
sein Reich selbständig. Lothar führte zwar die Kaiserwürde, doch
war damit keinerlei Vorherrschaft verbunden.
Die deutschen Stämme und ihre Feinde. Das deutsche
Reich war aus den vier Hauptstämmen der Ostsranken (am Main),
der Schwaben (Alamannen), der Bayern und der Sachsen zu-
sammengesetzt. Eben erst erstanden, litt es schon unter den Ver-
heernngen mächtiger Feinde. Von Norden her drangen die Nor-
mannen raubend und plündernd ins Land, von Osten her kamen
über die Elbe die Wenden und besetzten das Gebiet, das noch
heute das hannoversche Wendland heißt, während die südöstlichen
Teile des Reiches von den Ungarn heimgesucht wurden. Die
Ungarn, ein den Hunnen und Avaren verwandtes Reitervolk, sollen
sogar bis in unsere Gegend und darüber hinaus gekommen sein
und auf diesen Zügen Obernkirchen und Herford zerstört haben.
Zur gemeinsamen Abwehr dieser Feinde fehlte bereits der Einfluß
einer einheitlichen königlichen Macht, wie sie Karl der Große aus-
geübt hatte. Im Innern machten sich wieder die alten Stammes-
gegensätze mit ihren Sonderinteressen geltend. Infolgedessen erhoben
sich die großen Geschlechter allmählich zu herzoglicher Macht.
— 207 —
7. Das Herzogtum Sachsen.
Das herzogliche Amt. In Sachsen, dem am meisten
bedrohten Grenzlande, hatte schon unter Karl dem Großen ein
Graf Egbert den Heerbann (S. 177) geführt und diefes nrsprüng-
liche Kommando dann seiner Familie als erbliches Herzogsamt
zu erhalten gewußt. So folgte ihm als Herzog von Sachsen
sein Sohn Ludolf, der gegen die Normannen und Slaven erfolg-
reich kämpfte. Der schon von Ludwig dem Deutscheu hochgeehrte
Herzog hatte die Obergewalt über die sächsischen weltlichen und
geistlichen Großen, berief und leitete die Volksoersammlung, führte
den Heerbann und galt fast wie ein selbständiger Herrscher.
Er ist der Stammvater des sächsischen Edelingsgeschlechtes der
Ludolfinger. Unter seinen Söhnen Bruno und Otto wurde
Sachsen ein wirkliches Stammesherzogtum. Bruno fiel in
einer Normannenschlacht (880). Sein jüngerer Brnder Otto erwarb
sich als sein Nachsolger solches Ansehen im Reiche, daß man
ihn den Erlauchten nannte und ihm beim Tode des letzten
Karolingers (911) die Königskrone anbot, die er aber seines
Alters wegen ablehnte und dein fränkischen Herzoge Konrad zukom-
men ließ, als deutscher König Konrad I. (911—918). Dagegen
wurde Ottos Sohu Heinrich, ein alter Gegner Konrads, Herzog
von Sachsen. Nach Konrads Tode wählten chn die deutschen Stämme
zum Könige. Heinrich I. (919—936), der in der deutschen Ge*
schichte auch der Finkler genannt wird, ließ in Sachsen keinen an
seiner Statt als Herzog aufkommen, denn Sachsen sollte ihm der
Stützpunkt für fein Königtum bleiben. Das vielleicht auch von
ihm erstrebte, die westeuropäische Christenheit umfassende Kaisertum
erstand erst unter seinem Sohne Otto dem Großen (936—973)
als „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation".
Kaiser Otto erachtete es bei seinen mancherlei inneren und
äußeren Kämpfen für zweckmäßig, Sachsen wieder einem znver-
lässigen Vertreter zu übergeben, und so übertrug er die herzog-
lichen Rechte dem Hermann Billung (961), dessen Geschlecht fast
150 Jahre blühte. Die Billuuger verbreiteten hauptsächlich in den
nördlichen Marken unter Slaven und Däuen deutsches Wesen und
— 208 —
christliches Leben, erlangten aber trotz ihrer Kämpfe mit den Bremer
Bischöfen um die herzoglichen Rechte (Bernhard II., ein Enkel Her-
mann Billnngs, und Bischof Adalbert von Bremen) nicht die Macht-
stellnng ihrer Vorgänger, der Ludolfinger. So kamen neben ihnen,
da unter den Nachfolgern Ottos des Großen auch die königliche Macht
im Sachsenlande wenig zu spüren war, uoch andere große altsächsische
Geschlechter zu fürstlichem Ansehen, nämlich die Grafen von Stade,
die von Northeim und Katlenburg, die Brnnonen (Braunschweig)
und die von Süpplingenburg (Haldensleben). Auch viele kleinere
Grafen, wie die von Hoya, Diepholz, Wunstorf, Hallermund (später
Oldenburg), Tecklenburg, Dassel, Plesse u. a. erweiterten ihre
Selbständigkeit. Selbst Bistümer und Klöster erwarben umfang-
reiche Besitzungen und übten in ihren Gebieten, wie weiter unten
ausgeführt ist, eigene Gerichtsbarkeit und fürstliche Macht aus.
Als im Jahre 1024 Kaiser Heinrich II., der letzte aus
sächsischem Königsgeschlecht, auf der Burg Grona bei Göttingen ge-
starben war, fiel die Kaiserwahl auf einen fränkischen oder salischen
Grafen, Konrad II. (1024—1039). Die Salier strebten danach,
die gesunkene Kaisennacht wiederherzustellen. Das führte in der
Folge, namentlich unter Kaiser Heinrich IV. (1056—1106), der
mehrere seste Burgen in Sachsen anlegte (Harzburg), zu ernsten
Kämpfen mit den sächsischen Großen (Otto von Northeim und
Magnus Billuug), dereu Sache gegeu das Reichsoberhanpt auch die
sächsischen Bischöfe und der Papst unterstützten.
In Sachsen war nach dem Aussterben der Billuuger (1106)
Lothar von Süpplingenburg Herzog geworden. Dieser hatte
durch seinen eigenen bedeutenden Grundbesitz in Engern und Ost-
saleu, zu dem er infolge Erbrechts noch die ausgedehnten Güter
der Billuuger, der Northeimer, der Bruuouen n. a. erhielt, solchen
Einsluß im Sachsenlande, daß ihn die deutschen Stämme nach dem
mit Heinrich V. (1106—1125) erfolgten Erlöschen des fränkischen
Hauses zum Könige wählten. Der nunmehrige Kaiser Lothar
(1125— 1137) behielt das Herzogtum Sachsen in seiner Hand und
belehnte damit kurz vor seinem Tode seinen Schwiegersohn Heinrich
den Stolzeu aus dem Hause der Welsen, den mächtigen Herzog von
Bayern, nachdem es dann nach vielen Wirren dessen Sohn Heinrich
der Löwe erhielt. Unter diesen drei Herzögen erlangte Sachsen
nahezu wieder die Bedeutung eines wahren Stammesherzogtums.
— 209 —
Das gräfliche Amt. Nach der Aufhebung der alten Gau-
Verfassung (S. 196) bestand das Sachsenland aus zahlreichen
Grafschaften, von deren Inhabern jedoch nnr wenige Namen bekannt
sind. Die Grafschaft fiel nicht immer mit der früheren Gaugrenze
zusammen, da größere Gaue unter der Herrschaft mehrerer Grafen
und mehrere Gaue unter einem Grafen erscheinen. Für die Neu-
eiuteiluug wird die Absicht maßgebend gewesen sein, die einzelnen Ver-
waltnngsgebiete ziemlich gleichmäßig abzugrenzen. Es entsprechen sich
deshalb wohl Graf und Grafschaft, nicht aber immer Graf und Gau.
So werden die Grasschaften als vollständige Neubildungen bald
das ganze Sachsenland mehr oder weniger gleichmäßig überzogen
haben wie einst die alten Gaue, deren Namen im wesentlichen als
geographische Bezeichnungen noch geraume Zeit sortbestanden.
Diese Gleichförmigkeit wurde durch die Begründung von
Bistümern uud Klöstern schon bald gestört. Die geistlichen
Herren erwarben große zusammenhängende Gebiete, für die sie all-
mählich unabhängig vom Könige oder Grafen eigene Verwaltung
und Gerichtsbarkeit erlaugten. Der König selbst förderte diese
Sonderstellung, indem er die geistlichen Stiftungen der Gerichts-
gewalt des Grafen nach uud uach entzog (eximierte), so daß diese
zu selbständigen Gerichtsbezirken sich ausbildeten. So wnchs die
weltliche Macht der geistlichen Fürsten.
Hauptsächlich wurde ihre Macht fest begründet durch die könig-
liche Verleihung der Steuer- und Lastenfreiheit (Immunität) und
der gerichtlichen Obrigkeit (Bann), wozu später noch die Verleihung
gauzer Grafschaften an geistliche Stifter getreten ist. Solche Schutz-
briefe (Jmmunitätsprivilegien) haben in unserer Gegend Fischbeck
819 und Minden 961 erhalten. In diesen und audereu Urkunden
werden dem Grafen alle Amtshandlungen, Gerichtsfachen, überhaupt
jegliche Zwangsmaßregeln im Gebiet des gefreiten Kirchengutes
untersagt. Dazu darf hier der Graf keine öffentlichen Abgaben
uud Leistungen sordern, auch wird ihm das Friedensgeld (fredum)
entzogen, das er bisher als Abgabe für Verletzung des öffentlichen
Friedens erhalten hatte. So wurde in kirchlichen Bezirken die
staatliche Obrigkeit allmählich beseitigt und damit die Auflösung der
inneren Einheit des Landes befördert. An die Stelle des Grafen
trat als oberster kirchlicher Verwaltungsbeamter der Vogt, der an-
sänglich vom Könige, später von den geistlicheil Herren selbst bestellt
14
— 210
wurde. Während dem Vogte als Richter zunächst nur die kleineren
Strafsachen zufielen, dem Grafen aber die schweren Straffälle ver-
blieben, wurde jenem vom 10. Jahrhundert ab die gesamte Recht-
sprechung für seinen Bezirk (Vogtei) übertragen. Im Laufe der
Zeit machten die Vögte ihr Amt erblich uud beuteten es im eigenen
Interesse aus. Als die geistlichen Herren darüber mit ihnen in
Streit gerieten, wurden schließlich die Vogteien eigenen Beamten
übergeben.
Wie die Verleihung der Immunität, so schloß auch die des
Bannes gewisse Vorrechte in sich. Man spricht von Heer-, Markt-,
Burg- und Wildbännen. Urkunden dieser Art bestätigen das Recht,
Leute zum Heeresdieuste aufzubieten, Markt abzuhalten (mit Gewähr-
leiftung von Schutz für die Marktbesucher und oft auch dem Zuge-
stäudnis von Zoll und Münze), Burgbaudienste zu fordern oder
das Jagdrecht auszuüben. So wird n. a. dem Bistum Minden
der Heerbann 1009 und der Wildbann über silvam Suntal (das
Süutelgebirge) 991 verliehen.
Der Graf war ursprünglich als königlicher Beamter Anführer
des Heerbannes, Vorsteher im Gaugerichte, Verwalter der königlichen
Regalien (der Münz-, Zoll- und Bergwerkserträgnisse), Spolien
(Einnahmen aus freigewordenem Kirchengut), Bannwälder (Staats-
forsten im Gegensatz zu deu Klosterforsten und den Waldungen der
Markgenossenschaften) und Gefälle (Kriegssteuern, Gerichtsgelderu
usw.). Am wichtigsten von all diesen Tätigkeiten war sein Richter-
amt im echten Diug (S. 177—179). Als oberster Richter im Gau
(außer Vogteien) konnte er auf die Nichtbefolgung seiner Gebote
Geldstrafen bis zu 15 Schillingen, in besonderen Fällen auch deu
Königsbann vou 60 Schillingen verhängen. Alle drei Stände waren
zum Besuch der ordentlichen Gerichte (echten Dinge) verpflichtet,
Ausbleiben wurde mit vier, zwei bezw. einem Schilling bestraft.
Im 10. und 11. Jahrhundert änderte sich die bisherige Stellung
der Grafen, indem ihre Ernennung als königliche Beamte auf dem
Wege der Belehnung erfolgte. Sie waren nun nicht mehr bloße
Beamte des Königs, sondern Lehnsträger des Reiches. Als solche
erlangten sie nach und nach selbständige Gewalt. Schon im 12.
Jahrhundert waren die Grafen vom Könige soweit unabhängig,
daß sie uicht nur über die Gerichtsbarkeit in ihren Gebieten selb-
ständig verfügten, fondern auch alle foustigeu, früher dem Könige
— 211 —
zustehenden Rechte persönlich ausübten: Heerbann, Grafenschatz (Heer-
steuer, S. 200), Gefälle, das Recht der Befestigung usw. So hatte
sich die alte Gaugrafschast zur selbständigen Herrschast ausgebildet,
die im 13. Jahrhundert auch staatsrechtliche Anerkennung sand,
indem der König durch das Reichsgesetz von 1232 die Landeshoheit
der Fürsten begründete, nachdem er schon 1220 auch den geistlichen
Fürsten durch ein ähnliches Gesetz viele Rechte eingeräumt hatte.
Diese Neugestaltung kennzeichnete sich äußerlich dadurch, daß das
frühere Grafeugericht nunmehr den Namen Landgericht erhielt.
Als um 1100 die Namen der alten Gaue mehr und mehr
schwanden, traten an ihrer Stelle die Burgen als Bezeichnung der
Grafschaften hervor. Ursprünglich stand allein dem Könige das
Recht zu, Burgen zu bauen oder den Bau einer Burg zu geuehmi-
gen, wie er denn auch alle ohne feine Einwilligung errichteten
Burgen zerstören konnte. Zu den Bau- und Unterhaltungsarbeiten
der Burgeu waren die Umwohner verpflichtet (Burgwerk), die dafür
in unruhigen Zeiten Schutz innerhalb der Befestigungen fanden.
Das Recht, Burgwerk zu gebieten, wurde als Burgbann bezeichnet.
Der Burgbaubann konnte den Grafen und anderen Großen ver-
liehen werden, doch errichteten diese schon vom 12. Jahrhundert ab
auch ohne königliche Erlaubnis in ihren Gebieten befestigte Burgen,
die ein Stütz- und Sammelpunkt ihrer Familienglieder und der
Verwaltuugsfitz ihrer Herrschaft wurden. Bald trat der Burgname
als nähere Bezeichnung zu dem bisher üblichen Rufnamen des
Besitzers. So entstand allmählich ein Familienname, dem zunächst
nur der Inhaber der gräflichen Berufspflichten den Titel Graf
hinzufügte, dann aber auch die übrigen Familienglieder. Hatte
eine Familie mehrere Burgen, so waren verschiedene Namen nicht
selten; so führten z. B. die Grafen von Wunstorf neben diesem
Namen auch den von Rode, Lauenrode uud Limmer. Allmählich
ragten die gräflichen Geschlechter als die Vertreter des sächsischen
Stammes über die anderen Stände hervor.
14*
— 212 —
8. Die Grafschaft Schaumburg.
Grundherrschaften. Für den Umfang des Bukkigaues
wird die Ausübung der alten gräflichen Amtsgewalt nirgends
erwähnt. Hier scheint also das Grafenamt in der langen Zeit von
Karl dem Großen bis zum Erlöschen der Billnnger mit der sächsischen
Herzogswürde verknüpft gewesen zn sein. Vielleicht hatten aber auch
die im Gau ansässigen Großen als Lehnsleute der Herzöge oder als
Edelvögte des Mindener Stistes in ihren Besitzungen selbst eine
öffentlich-rechtliche Verwaltung auszuüben (Grundherrschaft), ohne
jedoch damit das Grafenamt und den Grafentitel zu gewinnen.
In der Regel giug der Graf aus deu grundgesessenen Ede-
lingsgeschlechtern heroor. Solcher Grnndherren gab es in älterer
Zeit mehrere im Bnkkigan. So werden hier im 12. Jahrhundert
neben anderen Edellenten als größere Grundeigentümer genannt:
1. Der Edle Wiriuhardus. Sein Gebiet bezeichnen heute
Bokeloh, Mesmerode, die Kirchspiele Idensen, Beckedorf und
Hohnhorst.
2. Die Billunger: Alte Bückebnrg (Fußnote S. 82), Obern-
kirchen, Rodenberg (Grove), Apelern, Lauenau, Hülsede, Beber,
Backede.
3. Der Edle Broke (Mir-abilis, der Wunderbare, S. 82) auf dem
Bruchhofe bei Stadthagen. Seine bedeutenden Besitzungen
bildeten die Umgegend von Stadthagen mit den heutigen Kirch-
spielen Stadthageu, Sülbeck, Meerbeck, Pollhagen, Probsthagen,
Lanenhagen und Heuerßen, wozu noch Güter in Steinbergen
kamen.
4. Die Arnheimer auf der Burg Arnem bei Petzen (Hns Aren,
S. 115, 121): Kirchspiele Jetenbnrg (Bückeburg), Vehlen,
Meinsen, Petzen und zahlreiche Dörfer aus dem nördlichen
Teile des Kirchspiels Obernkirchen, die jetzt dem neugegründeten
Kirchspiel Seggebruch zugelegt sind.
— 213 —
5. Die Edlen vom See (de Se) besaßen den nordwestlichen Teil
des Bukkigaues, jenen Bezirk, den die Ortschaften Wiedensahl,
Rosenhagen, Neuenknick, Döhren, Lahde, Quetzen umgrenzen.
6. Die Edlen vom Berge (de Monte) auf der Schalkesburg bei
Hausberge (S. 143) hatten das Gebiet, das sich in östlicher
Richtung an den Weserbergen hinzog: Frille, Wietersheim,
Dankersen, Meißen, Neesen, Lerbeck, Kleinbremen, Luhden.
7. Stift Minden besaß lehnsrechtlich das Süntelgebirge (S. 210)
und stützte daraus seine Ansprüche auf die hier später erbaute
Schaumburg auf dem Nesselberge im Wesertale (castrum
Scowanburg, 1258 Scowenborch).
Durch Schenkung, Stiftung (Broke 1163, vom Berge 1397)
oder Erlöschen einzelner Geschlechter (vom See 1252) gingen deren
Güter an den Bischossstuhl in Minden über. Infolge Belehnung
durch die Mindener Bischöfe finden sich dann alle Teile, auch Rinteln
und die Schaumburg, als geschlossenes Gebiet im Besitz eines
Edelingsgeschlechtes wieder, das als Stammsitz die Schaumburg
erbaute und anscheinend schon in der ersten Hälfte des 11. Jahr-
Hunderts das Grafenamt im Bukkigau erhalten hat. Es ist das
Geschlecht der Schanmburger.
Man der Entstehung der Grafschaft Schaumvnrg.
Uber den Ursprung der ersten Schaumburger Grafen uud ihr
Stammland fehlen zuverlässige Nachrichten. Alte Urkunden, die uns
Aufschluß geben könnten, sind verbrannt worden oder sonstwie ab-
Händen gekommen. Eine alte Uberlieferung gibt die Zeit des ersten
fränkischen Kaisers Konrad II. an, der die kleineren Lehen erblich
machte, um au ihren Inhabern eine Stütze gegen die Herzöge und
die übrigen größeren Lehnsträger im Reiche zu gewinnen (S. 208).
Unter ihm soll auch unser alter Bukkigau ein erbliches Lehen
geworden sein. Nach jener Uberlieferung weilte Konrad im Jahre
1030 längere Zeit in Minden. Bei dieser Gelegenheit soll er den
im mittleren Wesergebiet begüterten Adols von Santersleben
und Schackensleben, nach zwei Dörsern im Magdeburgischeu
benannt, zum Grafen über diesen Landstrich erhoben haben. Dieser
vom Kaiser berufene Adolf soll auf dem Nesselberge zwischen Rinteln
und Oldendorf die ehemalige Feste Schaumburg erbaut haben,
nach der sich das spätere Grafengeschlecht benannte (S. 142). Von
— 214 —
dem Nesselberge soll später auch das Wappen der Schaumburger
eutlehut sein, das bekannte Nesselblatt. (Das Nesselblatt tritt erst
in der Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Das ursprüngliche Wappen
der Schaumburger war ein blauer Löwe in weißem Felde.)
Jene Erzählungen von der Entstehung der Grafschaft Schaum-
bürg stützen sich auf die Nachrichten des Dominikanermönches
Hermann von Lerbeke, der um die Wende des 14. Jahrhunderts in
Minden lebte und durch seine Mindener Bistums- und Schaum-
burger Graseuchrouik bekannt ist. Die Geschichte berichtet uns da-
gegen, daß Konrad nur im Jahre 1025 und 1033 für kurze Zeit
in Minden anwesend war. Nach sicheren Urkunden*) hatten die
Schaumburger noch bis Ende des 15. Jahrhunderts Güterbesitz im
Magdeburgischen. Da diese Besitzungen vorher Eigentum der Wal-
becker Grafen waren, fo hat man angenommen, daß die Schaum-
burger diesem Hause entstammen (Wippermaun. Bukkigau). Durch
Erbschaft waren die Besitzungen des Edlen Wirinhardus (S. 212)
auf dessen Tochter Godila übergegangen und in weiterem Verlaufe
auf deren Nachkommen Adolf von Santersleben, der aber auch sonst
am Deister (Rodenberg, Gehrden) begütert gewesen sein wird.
Jedenfalls stehen sie auch mit dem Geschlechte der Brunonen in
Verbindung, den Nachkommen jenes Bruno, der sich als Heerführer
der Sachsen in Engern im Jahre 775 Karl dem Großen unterwarf
(S. 195). Diesem Geschlechte entspringen wohl alle bis etwa 1100
in Sachsen zur Herrschaft gelangten Familien.
Solche verwandtschaftliche Beziehungen neben einem bedeuten-
den Grundbesitz (außer dem erwähnten in der Altmark auch in
Stormarn) erklären es, daß die Schaumburger schon im 11. Jahr-
hundert vielleicht als Herren von Gehrden oder Rodenberg uuter
den übrigen Adelsgeschlechtern im mittleren Wesergebiet zu einer
hervorragenden Stellung gelangt waren. Ihre sicher gelegene Feste
Schaumburg diente ihnen als Stützpunkt in den mancherlei Kämpfen
und Fehden, die sie hier mit anderen Geschlechtern um die weitere
Ausbreitung ihres Einflusses auszusechten hatten. Ein Geschlecht
nach dem andern fügte sich schließlich diesen mächtigen Burgherren.
Ihr Ansehen wuchs so schnell, daß sie schon srüh bedeutende aus-
wärtige Lehnsgüter erhielten.
*) Urk Samml. von Capaun, Reg.- u. Kons. Sekret, in Bückeburg (f 1822).
— 215 —
Die Belehnnng mit Holstein. Einem Sohne oder Enkel
jenes Adolf von Santersleben, dem Grafen Adolf, wurde nämlich
im Jahre 1110, als Graf Gottfried von Holstein und Stormarn im
Kampfe gegeu die Wenden gefallen war, vom Herzoge Lothar von
Sachsen, dem späteren Kaiser (S. 208), das Grafenamt in Holstein-
Stormarn übertragen. (Holstein lag zwischen Stör und Eider,
Stormarn reichte von Hamburg bis an die Stör.) Diese Belehnung
ist geschichtlich beglaubigt). Erst seit dieser Zeit kommt auch die
Bezeichnung Graf zu Schaumburg (Schauenburg) vor. Wahr-
scheinlich legte sich Adolf, der als Graf Adolf I. zu Holstein und
Schaumburg iu die Geschichte tritt, diese Würde für sein Stamm-
land an der Weser selbst bei, nachdem er dnrch die Belehnung mit
Holstein sein Ansehen und seine Macht gefestigt hatte. So entstand
hier eine Erbgrafschaft, deren Selbständigkeit trotz des großen Ver-
lustes bei einer späteren Teilung (1640) nicht verloren ging.
Die Schaumburger Grafen waren es, die zuerst das Deutsch-
tum zwischen Nord- und Ostsee kräftig förderten. Aber ihre Ge-
bietserweiterungen hier im N verwickelten sie in manche wechselvolle
Kämpfe mit den neuen Grenznachbarn (Wenden und Dänen).
Darum tritt die Geschichte des alten Stammlandes an der Weser
für längere Zeit in den Hintergrund.
*) Die Belehnung mit Holstein wird u. a. von dem sächsischen Annalisten Helmold,
dem Zeitgenossen Adolfs II., in seiner Slavenchronik beglaubigt; Lomitiam vacantem dedit Luderus
dux nobili viro Adolfo de Scowenburg; fuitque pax inter Adolfum comitem et principem Slavorum
Heinricum. Das heißt: Herzog Lothar gab die freigewordene Grafschaft dem Edlen Adolf von
«chaumbnrg; so war Friede zwischen dem Grafen Adolf (hier wohl nur auf seine holsteinische
Würde bezogen) und dem Slavenfürften Heinrich (zu Wagrien).
— 216 —
9. Die Grafen zu Holstein und Schaumburg
bis zur Landesleilung.
Adolf I. (1110—1130) lebte als Graf zu Holstein-Stormarn
in Frieden mit den umwohnenden slavischeu Völkern (Wenden,
Obotriten u. a.), die noch dem Heidentum anhingen. Nur mit
größter Vorsicht mischte er sich in ihre Streitigkeiten. Unter seinem
wie auch seines Nachfolgers Schutze breitete der aus Hameln
gebürtige Bischof Vicelin das Christentum uuter den Obotriten
(Mecklenburg) aus. Nach einer alten Inschrift im früheren Dome
zu Hamburg*) hat Adolf I. diese von den Wenden zerstörte Kirche
wieder erbaut und die Stadt selbst, die er durch mehrere Aulagen
schützte, bedeutend erweitert; darum wird er auch „Hamburgs zweiter
Gründer (ber erste war Karl d. Gr.) uud getreuester Wohltäter"
genannt. Er hatte zwei Söhne, Härtung uud Adolf; ersterer fiel
als Kampfgenosse Kaiser Lothars (S. 208) auf einem Kriegszuge
gegeu die Böhmen (1126), so daß letzterer als Adolf II. zur Re-
gierung kam.
Adolf II. (1130—1164) war anfänglich für deu geistlichen
Stand bestimmt gewesen und hatte sich deshalb in Paris den Wissen-
schasten gewidmet. Von dort kehrte er nun zurück und begab sich
in das ererbte Land an der Nord- und Ostsee, um dieses Gebiet
gegeu das kriegerische Nachbarvolk zu schützeu. Neben bedeutenden
*) Die von Lambeeius zuerst erwähnte Haniburg er Do miusch rift soll als Jahr der
Belehnnng Adolfs I. mit Holstein und Stormarn die Zahl 1106 enthalten haben. Diese Jahres-
angabe findet sich anch in dem geschichtlichen Vorworte zum hamburgischen Stadtrecht von 1497»
Die Belehuung kann aber erst nach dem Tode des Grafen Gottfried erfolgt sein (1- 2. Nov. 1110).
also Ende 1110 oder gar erst 1111. Prof. Dr. Wohlwill in Hamburg meint, L. hätte vielleicht
statt X ein V gelesen. Der im Jahre 811 von Karl d. Gr. errichtete Dom wurde wiederholt
zerstört. Adolf l. baute ihn wieder auf. Die Inschrift wird bei dem Neubau des letzten Domes,
der 1248 bis 1329 errichtet und 1805 abgebrochen wurde, verloren gegangen sein.
— 217 —
Kenntnissen (war er doch selbst der slavischen Sprache kundig) zeich-
nete er sich durch Tapferkeit und Unerschrockenheit aus. In seinen
Kämpsen mit den Dänen war er nicht vom Glücke begünstigt. Bald
brach noch größeres Mißgeschick über ihn herein.
Nach Lothars Tode hatte nicht dessen Schwiegersohn Heinrich der
Stolze die Kaiserkrone erlangt, wie er es als Inhaber der Herzogtümer
Bayern und Sachsen wohl gehofft hatte, sondern der Hohenstause
Konrad von Schwaben. Der neue Kaiser, Konrad III. (1137—1152),
ließ durch Reichsspruch das Weistum (S. 203) finden, daß es unzulässig
sei, zwei Herzogtümer in einer Hand zu vereinigen; er stellte des-
halb den Welsen vor die Wahl zwischen Sachsen und Bayern. Als
dieser sich nicht sügte, verfiel er in die Reichsacht, so daß er in
der Folge beide Länder verlor. Das Herzogtum Sachsen wurde
Albrecht dem Bären verliehen, dem Stammvater der Askanier
(Anhaltiner). Heinrich griff zu den Waffen. So entbrannte ein
Krieg zwischen den Anhängern der Welsen und denen der Staufen
(Waiblingen), der durch die Schlachtrufe: „Hie Welf! Hie Waib-
lingen!" auf Jahrhunderte hinaus die Schlagworte für die Bezeich-
nnng der kaiserlichen und der gegenkaiserlichen Partei geliefert hat.
Albrecht der Bär nahm mit Unterstützung des Kaisers Besitz
von Lüneburg, Bardowiek, Bremen und den nordalbingischen Ländern
(Holstein), aus denen Adolf II. weichen mußte, da er seinem Freunde
und rechtmäßigen Lehnsherrn Heinrich den geleisteten Treueid nicht
brechen wollte. An Adolfs Stelle wurde Heinrich von Badewide
gesetzt. Als dieser aber sah, daß er sich seiner vereinten Gegner Adolf
und Heinrich nicht erwehren konnte, zerstörte er die Festungswerke zu
Segeberg und Hamburg und verließ Holstein. So konnte Adolf
fchon nach Jahresfrist seinen alten Besitz wieder antreten. Inzwischen
starb Heinrich der Stolze (1139). Der Kampf um das Herzogtum
Sachsen nahm jedoch seinen Fortgang. Endlich wurde Heiurichs
d. St. Sohn, der damals 12jährige Heinrich der Löwe, auf dem
Reichstage zu Mainz (1142) als Herzog von Sachsen anerkannt;
Kaiser Friedrich Barbarossa (1152—1190) ließ ihm auf einem
Fürstentage zu Goslar (1154) auch das Herzogtum Bayern zusprechen.
Adols II. hatte bei seiner Rückkehr nicht nur seine Länder wieder-
erhalten, sondern auch das inzwischen den Wenden entrissene Wagrien
«Hauptsächlich das Gebiet der holsteinischen Seenplatte). Hier ver-
— 218 —
breitete er nun mit unermüdlichem Eifer deutsche Kultur. Er veranlagte
Ariejert, Holländer, Westfalen und wohl auch manche Schaumburger
znr Ansiedelung in jenen nordischen Gebieten und suchte die uoch
immer dem Heidentum anhängenden Bewohner für die christliche Lehre
zu gewinnen. Auf diese Zuwanderung ist vielleicht der Ursprung der
noch heute erhaltenen Volkstrachten in den Hamburger Vierlanden
und anderen Bezirken an der Unterelbe zurückzuführen. Auch wurde
Adolf der Gründer der Stadt Lübeck (1143), die er später an seinen
neuen Lehnsherrn abtreten mußte, an Heinrich den Löwen, der sie
nach einem Brande (1156) neu aufbaute. Unter Adolf II., der 1164
in einem Kampfe gegen die Wenden fiel, lebte auf dem Bruchhofe bei
Stadthagen der schon mehrfach erwähnte Edle Broke der Wunderbare.
Adolf III. (1175—1225). Es folgte nach längerer Vormund-
fchaft des vorigeu Grafen Sohn als Adolf III. Er war zunächst
am Hofe Heinrichs d. L. erzogen uud hatte dann in der Person
Heinrichs 0on Orlamünde einen Vormund erhalteu, der auch seiu
Stiefvater wurde. Sein tapferer, unbeugsamer Sinn brachte ihn
oft ins Verderben. Adolf schloß sich seinem Lehnsherrn als Freund
und Waffeugefährte an. Als der Löwe wegen Unbotmäßigkeit in
die Reichsacht verfiel und dadurch feiner Lande verlustig ging (1180),
unterstützte ihn Adolf mit anderen sächsischen Vasallen, darunter dem
Grafen Konrad von Rode, dessen um 1170 erbaute Burg Hohenrode der
Schaumburg gegenüber lag, gegen den Erzbischof von Köln, dem
bei der nunmehrigen Zerstückelung Sachsens das Land links der
Weser zufiel. Der Erzbischof wurde auf dem Halerfelde bei Osnabrück
besiegt. In diesem Kampfe hatte Adolf mit eigener Hand 72 Ge-
fangene gemacht, die er dem Herzoge ausliefern sollte. Darüber
kam es zwischen Heinrich und Adolf zu Streitigkeiten.
Der über Adolfs Trotz ergrimmte Welfenfürft fiel in die
holsteinischen Besitzungen ein, zerstörte die Burgen Plön und Sege-
berg uud jagte den einstigen Freund aus dem Lande. Adolf kehrte
in die Grafschaft Schaumburg zurück uud zerstörte hier aus Rache
oder um seiner eigenen Sicherheit Nullen die Burg des Grafen
von Rode (1181), der auf der Seite des Herzogs geblieben war.
Zwei Jahre hindurch widerstand der Welfe allen Gegnern. Als ihn
aber nach und nach feine Bundesgenossen verließen, demütigte er
sich vor dem Kaiser in Erfurt und ging (1182) mit Weib und Kind
auf drei Jahre nach England in die Verbannung.
— 219 —
Adolf konnte den alten Besitz jetzt wieder antreten. Er legte
in den folgenden Jahren Travemünde an, gründete die Neustadt
Hamburg und bewilligte den Hamburgern freie Bauplätze („Worthe").
Noch einmal ging dieses n Gebiet verloren, als Adolf an dem
Kreuzzuge des Kaisers Friedrich Barbarossa nach Palästina teilnahm
(1189). Heinrich, der abermals in die Verbannuug geschickt war,
kehrte gegen sein Wort zurück und riß Holstein wiederum au sich.
Adolf erwarb das Land zurück und bestätigte den von Barbarossa
ausgefertigten Freibrief Hamburgs. Sein Tatendrang trieb ihn im
Jahre 1197 noch einmal nach dem gelobten Lande. Dann kam die
schwerste Prüfung seines Lebens.
Er verlor zum dritten Male Holstein nach einem unklugen und
unglücklichen Kriege mit deu Dänen, deren Herrschaft n der Elbe
dadurch wesentlich erstarkte. Hamburg, das unter den: Schutz der
Schaumburger stand, fiel den Dänen in die Hände-, Adolf selbst
wurde gefangen genommen (1201). König Waldemar von Dänemark
fetzte nun über ganz Nordalbingien den Grafen Albrecht von Orla-
münde als Statthalter (den Sohn seiner Schwester, die mit einem
Bruder des Stiefvaters Adolfs III. vermählt war). So ging durch
eigene Schuld dem Haufe Schaumburg alles verloren, was Vater
und Großvater mühsam erworbeu hatten.
Nach längerer Gefangenschaft wurde Adolf gegen ausdrückliche
Verzichtleistung auf Holstein, Stormarn und Wagrien freigelassen;
er kehrte nun in sein Stammland an der Weser zurück (1203) und
lebte hier auf der Schaumburg in Zurückgezogenheit. Vergeblich
bemühten sich wiederholte Gesaudschasteu der Holsteiner, Adolf zur
Rückkehr zu bewegen. Er starb am 3. Januar 1225 und liegt zu
Loccum begraben. Für unsere Heimat ist er noch von besonderer
Bedeutung, weil er den Grund zur Stadt Stadthagen gelegt und
die Anlage unserer Hagendörfer gefördert hat (S. 91 u. 95). Seine
Söhne waren Bruno, der spätere Bischof zu Olmütz und Stifter der
Kirche zu Probsthagen, Konrad und Adolf. Konrad fcheint auf die
Regierung verzichtet zu haben, da fein jüngster Bruder als Adolf IV.
in der Regierung folgte. • — Die Stadt Hamburg hat 1883 ihrem
Förderer Adolf III. auf der Trostbrücke ein Standbild aus Sandstein
errichtet, das dem des Bischofs Ansgar, des Apostels des Nordens,
gegenübersteht.
— 220 —
Heinrich der Käme (geb. 1129, gest. 1195) ist nächst dem Kaiser
Friedrich Barbarossa der mächtigste Fürst seiner Zeit in Deutschland
gewesen. Er verschaffte sich durch Einziehung von Gütern ausgestorbener
Geschlechter eiue große Hausmacht, zwang die weltlichen und geistlichen
Großen des Landes zur Anerkennung seiner herzoglichen Macht und brachte
so sein Herzogtum Sachsen zu einflußreicher Höhe. Mit ebenso kräftiger Hand
förderte er die Kolonisation unter den Slaven zwischen Elbe und Oder. Der
sächsische Annalist Helmold iFußnote Seite 215) urteilt über ihn: „Das ganze
Land, wie es sich von der Eider an zwischen Elbe und Ostsee bis nach Schwerin
erstreckt, einst ein mit Schrecknissen erfülltes, fast wüstes Gebiet, ist gleichsam
eine zusammenhängende sächsische Kolonie geworden, wo Städte und Burgen
gebaut werden, wo sich die Kirchen und die Priester mehren." Aber in dem
Streben nach Vergrößerung der eigenen Macht wurde der Welfe seinen Ver-
pflichtungen gegen Kaiser und Reich untreu. Er ließ, als iu Italien alles auf
dem Spiele stand, den Kaiser im Stich, so daß dieser bei Legnano eine furchtbare
Niederlage erlitt (1177) und nun alle seine italienischen Pläne aufgeben mußte.
Infolge der Achterklärung wegen dieses Treubruchs wurden dem Welsen-
fürsten die Lehnsstaaten Bayern und Sachsen genommen. Bayern bekam
Otto von Wittenbach, der Stammvater der heutigen bayrischen Königsfamilie.
Das Herzogtuin Sachsen ging in Trümmer. Während der westliche Teil,
wie schon oben erwähnt, unter dein Namen eines Herzogtums Westfalen an den
Erzbifchof von Köln fiel, kam das östliche Sachsen an Bernhard von Anhalt, den
Sohn Albrechts des Bären. Bernhard setzte das von seinem Vater begonnene
Kolonisationswerk in der Mark Brandenburg fort. So wurde hier im Osten
ein Staat begründet, von dem sieben Jahrhunderte später die Einigung des
ganzen Reiches ausging. Heinrich dem Löwen verblieb nur das väterliche Erbe
Brauusch weig-Lüneburg, das dann (1235) seinem Eickel Otto dem Kinde
als Herzogtuin verliehen wurde und als solches später (1635) nach manchen
Teilungen in die beiden Länder Hannover und Braunschweig sich auflöste.
Bernhard von Anhalt führte den Titel Herzog von Sachsen weiter
und übertrug damit den Namen Sachsen auf die Gebiete der heutigen Provinz
und des Königreichs Sachsen. Für die Länder zwischen mittlerer Weser
und Unterelbe ging der Name Sachsen damals verloren. Die hier
gebietenden Fürsten bengten sich keinem Herzoge wieder und wurden reichs-
unmittelbare Fürsten. Zu ihnen gehörte auch Adolf III. von Schaum bürg,
der die Anerkennung der Lehnshoheit des Herzogs Bernhard mit der Be-
gründung verweigerte, daß er seine Grafschaft ohne alle Mittel von dein Reiche
und dem Kaiser habe. So sind die heute im nordwestlichen Deutschland sich
findenden Staaten und Landesteile auf jene Zertrümmerung des alten Herzog-
tums Sachsen zurückzuführen. Trotzdem ist im Volke die frühere Zugehörigkeit
zum Sachsenstamm lebendig geblieben. Gerade in jüngster Zeit hat der gemein-
same Name Niedersachsen (vgl. auch S. 194!) für die altsächsischen Gebiete
besondere Bedeutuug erlangt (Zeitschriften, Tagesblätter, Kalender, Heimat-
buud usw.).
— 221 -
Adolf IV. (1225—1239). Unter Adolf IV., einem tatkräftigen
Regenten, brach eine Glanzzeit des Hauses Schaumburg an. Der
eben 20jährige Graf drang über die Elbe und nahm Albrecht von
Orlamünde in der Schlacht bei Mölln gefangen (1225). Der Graf
von Orlamünde hatte am 24. Dezember 1224, nm nicht auch Ham-
burg besetzt halten zu müssen, der Stadt alle ihr von Adolf III. ver-
liehenen Rechte und Freiheiten bestätigt uud soll auch seine eigenen
Hoheitsrechte für 1500 Mark Silber verkauft haben. Adolfs Ver-
bündeter, Graf Heinrich von Schwerin, hatte zwei Jahre vorher den
König Waldemar felbst gefangen gesetzt. Alles Land, das der Vater
an Dänemark verloren hatte, fiel nun Adolf huldigend zu. Auch
Hamburg, dessen Freiheit er bestätigte, öffnete ihm die Tore und
seierte mit Jubel seinen Einzug. Den letzten Widerstand der Dänen
brach er in der Hauptschlacht bei Boruhöved (ö von Neumün-
ster), in der er n. a. von Bremen, Hamburg und Lübeck unterstützt
wurde. Die Sage erzählt, er habe vor der Schlacht kniend das
Gelübde getan, aller weltlichen Herrlichkeit zu entsagen und als
Mönch dem Herrn zu dienen, wenn ihm an diesem Tage, dem
Maria-Magdalenentage, 22. Juli 1227, der Sieg zufalle. Trotz der
großen Zahl der Feinde erfocht er einen glänzenden Sieg. Durch
diesen Waffenerfolg war die Schmach des Vaters gerächt und die
Freiheit Holsteins von dänischer Herrschaft wiederhergestellt.
Adolf erhob Itzehoe zur Stadt, vergrößerte Hamburg um ein
Drittel, erbaute in letzterem Orte das Maria-Magdalenenkloster und
stiftete auch sonst noch Kirchen und Klöster. In seinem Stammlande
baute er Rinteln am linken Weseruser neu auf und verlegte dorthin
das Kloster Bischoperode (1230), das vordem ö von Stadthagen lag
(S. 89). Im Jahre 1238 nahm er an dem Feldzuge des Ordens
der Schwertritter gegen die heidnischen Livländer teil. Nach segens-
reicher Regierung vertauschte er dann wie so mancher Kriegsmann
der damaligen Zeit seinen Waffenrock mit dem Mönchsgewande und
wurde Mönch in Hamburg (1239). Vorher schon hatte er srei-
willig seinen Anrechten auf die Stadt entsagt und dadurch endgültig
Hamburgs Freiheit begründet. Zu feiner Zeit entstand der Hansa-
bnnd, dessen Haupt Lübeck war. Der sromme Graf, der bis zu seinem
^ode dem geistlichen Stande treu geblieben ist, pilgerte im Jahre
1244 zu Fuß nach Rom und empfing nach der Rückkehr von dem
— 222 —
Bischof von Lübeck die Priesterweihe. Er starb in dem von ihm
gleichfalls gestifteten Marienkloster zu Kiel (1261).
Das dankbare Hamburg hat ihm 1821 ein Denkmal errichtet,
das heute vor dem neuen Maria-Magdalenenkloster an der Richard-
straße Aufstellung gefunden hat (früher stand es am Glockengießer-
wall) und n. a. die Inschrift enthält: „Wer über seine Zeit hinaus
kommenden Geschlechtern liebend vorsorgt, den vergessen auch diese
nicht, wenn gleich Jahrhunderte vergingen." Auch ist an einem
Brunnen auf dem alten Fischmarkte beim Johannenm sein Bildnis
zu sehen. Außerdem finden sich Gemälde Adolfs IV. im großen
Saale des Maria-Magdalenenklofters und im Museuni hamburgischer
Altertümer. Seine Gemahlin, die Gräfin Heilwig, stiftete 1246 das
Kloster Herwardeshnde (Harvestehude) in Hamburg. Beider Namen sind
erhalten als Adolfstraße in Altona und Heilwigstraße in Hamburg.
Aus seinem Klosterleben in Hamburg wird eiue kleine Er-
zählnng überliefert. Einst hatte er als Bettelmönch eine Kanne
Milch erhalten, die er nach den: Kloster trug. Da nahten ihm
seine Söhne in ritterlichem Aufzuge. Der Vater, seiner alten rühm-
lichen Taten gedenkend, schämte sich, ihnen jetzt in seiner ärmlichen
Gestalt zn begegnen; er verbarg deshalb die Kanne unter seinem
Mönchsgewande. Nach kurzem Gewissenskampf gewann aber der
Gehorsam im Herzen des Mönches die Oberhand; er goß selbst zur
Strafe seines Hochmutes die Milch über sich aus, daß sie seinen
ganzen Leib überfloß.
— 223 —
10, Landesteilung.
Fehdezeit. Als Adolf IV. die Regierung niederlegte, waren
seine beiden Söhne Johann und Gerhard noch minderjährig. Zum Vor-
munde derselben hatte der Vater seinen Schwiegersohn eingesetzt, den
Herzog Abel llou Schleswig, deu späteren König von Dänemark. So
kam Schleswig zum ersten Male niit Holstein-Stormarn in engere Ver-
bindnng. Deu Holstein-Schanmburgern entstanden hieraus langwierige
Kämpfe mit Dänemark, das fortan mit allen Mitteln danach strebte,
diese Länder seinem Reiche anzugliedern. Hier im N wie auch im
übrigeu Deutschland brach nun eine Zeit der Fehde und Verwirrung
an, die dadurch besonders begünstigt wurde, daß dem Reiche ein
eigentliches Oberhaupt sehlte. Es war die „kaiserlose, schreckliche Zeit",
die Zeit des Faustrechts, in der nur die bewaffnete Faust sich Recht
verschaffen konnte (Interregnum —Zwischenreich, 1254—1273).
Teilung der Grbländer. In diese Zeit fällt die erste Tei-
lnng der schanmburgisch-holsteiuischen Besitzungen, die seitdem nie
wieder in einer Hand vereinigt wurden. Beide Söhne Adolss hatten
inzwischen (etwa von 1246 ab, in welchen! Jahre ihnen in Hamburg
ein festlicher Empfang bereitet wurde) als Johann I. und Gerhard I.
die Herrschaft ihrer Erbländer gemeinsam angetreten, teilten sie aber
schon 124? uuter sich. Johaun l. (1-1263) erhielt nach mehrmaligen
Auseinandersetzungen Wagrien mit Kiel und wurde der Stifter der
wagrifcheu Linie des Schaumburger Hauses; Gerhard I. (^ 1290)
nahm außer Holstein und Stornmru auch die Grafschaft Schaumburg
an sich und wurde der Begründer der holsteinischen Linie.
Beiden dankt Hamburg wichtige Schenkungen und Vergünstigungen.
Des letzteren Söhne Gerhard, Adolf und Heinrich teilten die Erbgüter
des Vaters unter sich. Ersterer, Gerhard II. (-f 1312), überließ 1295,
wahrscheinlich infolge Erblindung, das Land seinem Bruder Adols, der
als Adolf V. der Stammvater der schanmburgischen Linie
wurde. Der dritte Sohn, Heinrich I. (f 1310), hatte nach dem Tode
des Vaters Stormarn erhalten. So gab es im 14. Jahrhundert eine
wagrische, eine holsteinische und eine schaumburgische Liuie.
Die wagrische Linie ist in der Geschichte weniger hervorge-
treten; sie starb schon 1399 aus. Dadurch kam Wagrien mit
Kiel an Holstein. — Dem holsteinischen Grasen hause sind
mehrere tüchtige Regenten entsprossen. Unter ihnen ragt besonders
— 224 —
Gerhard der Große hervor, ein Sohn Heinrichs I. Er verübte
nach Art der Raubritter allerlei Gewalttaten und schonte selbst
seine eigenen Verwandten nicht. Durch sein Eingreifen in die
dänischen Angelegenheiten erreichte er, daß sein jnnger Vetter
Waldemar, Herzog von Schleswig, zum Könige von Dänemark
für den von ihm vertriebenen Christoph, den Nachfolger Abels,
gewählt wurde; er selbst wurde Reichsverweser Dänemarks und
erwarb Schleswig als erbliches Lehen (1826). Durch seiu
hartes Regiment machte er sich schließlich den Dänen so verhaßt, daß
er ermordet wurde (1340). Seiu Verdienst bleibt, daß er die Ver-
breitung des Deutschtums im N des Reiches durch den Zuzug deut-
scher Adeliger und vieler deutscher Söldner kräftig gefördert und die
Vereinigung vou Schleswig mit Holstein begründet hat. Eine
gleichfalls hervorragende Persönlichkeit wurde seiu Sohn Heinrich
der Eiserne (f 1381). Den ehrenvollen Beinamen „der Eiserne"
erwarb er sich durch seine unerschrockene Tapferkeit, die er auf
zahlreiche:: Kriegszügeu bewies (f. Sagen). Er kämpfte gegen
die Dänen, half dem Schwedenkönige gegen die Finnen und
dieute den Engländern gegen die Franzofen. Sein Ansehen war
so groß, daß er zum Könige von Schweden gewählt wurde, doch
lehnte Heinrich diese Auszeichnung ab. Sein Sohn Gerhard er-
wirkte aufs neue die Belehnung mit dem Herzogtum Schleswig
(1386). Beide Lehnsverträge (von 1326 und 1366), welche die
Schanmbnrger auf der Höhe ihrer Macht dem dänischen Reiche
abgerungen hatten, sind für die Ausbreitung Deutschlands n der
Elbe bis in die neueste Zeit vou entscheidender Bedeutung ge-
Wesen. Die Verbindung der beiden Länder Schleswig und Hol-
stein ist leider uuserm Grafenhause selbst später sehr verhängnisvoll
geworden, da die Erben im Stammlande mit Schleswig auch
Holstein verlieren sollten. Trotz jener Verträge machte Dänemark
den Söhnen Gerhards, Heinrich nnd Adolf, den Besitz Schleswigs
streitig. Nach verschiedenen Versuchen, auf friedlichem Wege zu
ihrem Rechte zu kommen, griffen beide zu deu Waffen, unterstützt
von den Hansestädten Lübeck und Hamburg, die den Schaum-
burgern so vieles verdankten. Heinrich fiel vor Flensburg (1427).
Adolf erreichte endlich die erbliche Belehnung mit Schleswig
(1440), auch die Bestätigung der früheren Verträge. Selbst die
dänische Krone wurde ihm augeboten. Er lehnte aber zugunsten
seines Neffen Christian ab, des Sohnes seiner Schwester, die mit
einem Oldenburger Grafen vermählt war. Für die Wieder-
Herstellung der alten Macht des Schaumburger Hauses hat Adolf
uichts getan. Mit ihm erlosch 1459 die holsteinische Linie.
Dänemark sollte nun auf friedlichem Wege erreichen, allerdings durch
List und Betrug, was es im Kampfe mit dem Hause Schaumburg
uicht zu erreichen vermocht hatte (s. unten Otto II.).
— 226
IL Das Haus Schaumburg im Mittelalter.
Adolf V. (1295—1315), der Begründer der schaumburgischen
Linie, stiftete das Kloster Egestorf (1298), dessen Stätte heute die
Kolonie Friedrichsburg südlich von Hohenrode bezeichnet, gründete
die Johanniskapelle in Stadthagen (S. 99) und begann den Wieder-
aufban der St. Martinikirche daselbst. Er besaß im Holsteinischen
die Herrschaft Pinneberg und einige Allodialgüter in und um Hamburg.
Mit seiner Gemahlin, einer Tochter des Herzogs Johann von Sachsen,
erwarb er das Schloß Sachsenhagen, das seitdem im Besitz der
Schaumburger blieb. Ihm folgte sein gleichnamiger Sohn.
Adolf VI. (1315—1353) beteiligte sich an den Kriegen seiner
Vettern in Holstein und geriet in Gefangenschaft, aus der er sich
sehr teuer loskaufen mußte. Unter ihm wurde 1318 der Bau der
St. Martinikirche in Stadthagen vollendet (S. 97). Den geistlichen
Stiftern Loccum und Obernkirchen machte er große Schenkungen.
Auch brachte er das Schloß Bokeloh bei Wunstorf, das wahrscheinlich
früher verpfändet war, von einem Herrn v. Münchhausen käuflich
wieder au sich. Nach ihm kam seiu ältester Sohu Adolf zur
Regierung.
Adolf VII. (1353—1370) unternahm mit seinem Bruder
Gerhard, Bischof zu Minden und Gründer der Stadt Petershagen,
eine Wallfahrt nach Palästina zum Grabe Christi. Beide wurden
ein Opfer dieses Unternehmens. Gerhard starb während der See-
15
- 220 —
fahrt, Adolf auf der Insel Cypern. Ein anderer Bruder, Bernhard,
war Dompropst zu Hamburg. Die Regierung übernahm Adolfs
jüngster Bruder Otto.
Otto I. (1370—1404). Auf Ottos Verwendung hatte
Bückeburg schon unter seinem Bruder 1365 Fleckeugerechtigkeit
erhalten. Er förderte nun die Befestigung und den weitereu Ausbau
des Ortes und nahm hier häufig seinen Wohnsitz. Auch erwarb er
um diese Zeit durch Kauf den Lohhof bei Stadthagen, wo er ge-
meinfchaftlich mit dem Herzoge Albrecht von Sachsen ein befestigtes
Schloß wider die vordrängenden Grafen von Wuuftorf errichtete.
Unter ihm wurden die fchaumbnrgischen Besitzungen bedeutend er-
weitert. Er erwarb das ö au unser Land stoßende Amt Lauenau
als Unterpfand des Heiratsgutes feiner zweiten Gemahlin Mathilde,
Witwe des Herzogs Ludwig zu Braunschweig, geb. Prinzessin zu
Lüneburg. Darüber geriet er mit dem Bruder des verstorbenen
Herzogs, Magnus II. (Torquatus — mit der Kette), in bittere
Feindschaft. Als Mathilde mit ihrem Brautschatz in die neue Hei-
mat zog, ließ Magnus sie unterwegs überfallen und berauben. Dem
Grafen Otto fagte er die Fehde an. Beide Gegner rüsteten nun
zum Kampfe. (Verfall des Rittertums!)
Das Crcffcn bei Leveste. Bei Leveste am Gehrdeuer Berge uahe
Hauuover kam es am 25. Juli 1373 zu einem blutigen Treffen.
Magnus selbst stieß seinen Gegner vom Pferde. Als er sich aber
über deu Gefallenen beugte, tötete ihn Ottos treuer Schildknappe
mit einem wuchtigen Schwerthiebe. Otto war uuverfehrt geblieben.
Als man ihm erzählte, Magnus habe gefchworeu, fchou die folgende
Nacht auf schaumbnrgischem Gebiete zuzubringen, sagte er: „Wohlan,
so soll mein Schwager darum nicht meineidig werden!" Er ließ
deshalb die Leiche zunächst nach Rodenberg bringen und vou dort
ani uächsteu Tage nach Braunschweig überführen. Auf jenem Schlacht-
felde erhebt sich heute ein Denkmal aus Saudstein, das König
Georg V. vou Hauuover im Jahre 1804 errichten fteß*).
Wenige Jahre nach diesem Ereignis, im Jahre 1377, gelangte
auch uoch die Grafschaft Steruberg in Lippe durch Kauf in
Ottos Besitz. Im Jahre 1388 geriet Otto bei Winsen an der Aller
in die Gefangenschaft der Söhne des Magnus Torquatus, gegeu die
*) Der Fall des Herzogs hat dein Schnlrat Pros. Dr. Brandes in Wolfenbüttel Stoff zu
einer seiner schönsten Balladen gegeben.
— 227
er hier in dem 20jährigen Erbfolgekriege der Vrauuschweiger um
das Lüneburger Land auf Seiten der Lüneburger gekämpft hatte*).
Uni das Lösegeld zu erschwingen, mußte er die eben erst erworbene
Grafschaft Sternberg verpfäudeu, sodaß diese an Lippe wieder ver-
loren ging. Unter Otto I. erlofch 1390 die wagrifche Linie, wie
fchon erwähnt wurde. Die Erbschaft wurde durch den Kieler
Vertrag geregelt. Schleswig wurde mit Holstein vereinigt.
Otto mußte seineu Ansprüchen gegen eine Entschädigung von etwa
80000 Talern entsagen. Wohl wurde eiue gegenseitige Beerbuug
der nunmehrigen beiden Linien festgesetzt, doch ist dieser Vertrag
später nicht gehalten worden. Es folgte Ottos Sohn, Adolf VIII.
(1404—1427), der den Flecken Sachsenhagen erweiterte, daraus dessen
Sohn Otto II.
Mto II. (1427—1464), dem die Stadt Stadthagen manche
Rechte und Freiheiten zu danken hat (Wochenmarkt, eigene Gerichts-
barkeit usw.), beteiligte sich au der sogeu. Soester Fehde (1447),
iu welcher er mit dem jungen Grafen Bernhard von Lippe gemein-
fam gegen den Erzbifchof von Köln kämpfte. In diesem Kriege
wurde das Lipper Land durch die angeworbenen böhmischen Söldner-
scharen des Erzbischofs, die damals der Schrecken Deutschlands
waren, furchtbar verwüstet. Bernhard flüchtete aus das Schloß
Schaumburg. Hier lerute er Ottos Tochter Anna kennen, mit der
er sich vermählte. Otto erlebte das Erlöschen der holsteinischen
Linie im Jahre 1459. Damit eröffnete sich ihm nach dem Kieler
Vertrage die Aussicht auf eiue bedeuteude Vergrößeruug seiner
Herrschaft. Allein auch dieses Mal sollte Gewalt vor Recht geheu.
Otto erschien mit zweien seiner Söhne in Holstein, um die Rechte
seines Hauses vor der gemeinsamen Ständeversammlung der
Schleswig-Holsteiner geltend zu machen. Der Ersolg blieb aus.
*) Au den Lüneburg er Erbfolgestreit, der durch deu Erfolg der Brauuschweiger iu
der Schlacht bei Wiuseu beendet wurde, erinnert der Albrechts st ein bei Schloß Ricklingen
au der Leiue, Herzog Albrecht vou Sachsen und Lüneburg wollte ganz Niedersachsen unter seiner
Herrschaft vereinige». Dnrch Wegnahme der Schlösser des Adels und Verpfändung derselben au
die Städte suchte er die Geldmittel zum Kriegsühreu uud die Auhäuglichkeit der Städte zu gewiu-
neu. So belagerte er am 16. April 1385 die Burg Rickliugeu des Dietrich v. Mandelsloh. Hier-
bei wurde er vou einem Kieselsteine, deu der Überlieferung nach Dietrichs Tochter Sophie aus
einer Wurfmaschinc schleuderte, so schwer verletzt, daß er bald daraus iu Neustadt a. Rbg. starb. —
Dietrich v, Mandelsloh wurde vou dem Herzoge Heiurich vou Braunschweig und Lüneburg,
einem Sohne des Magnus Torguatus, am 23. April 1396 zwischen Lohnde uud Seelze erstochen,
weil er die Rechte der Bundesmitglieder des Landfriedens (der Sate — Satzung, Gesetz) gegen
den Herzog vertrat. Ein einfacher Kreuzsteiu ist dort seinem Andenken gesetzt.
15"
— 228 —
Nach langen, mit List und Betrug geführten Verhandlungen wurde
verkündet, daß der Rat der beiden Länder den König Christian von
Dänemark (S. 224) zum Herzoge von Schleswig und Grafen von
Holstein gewählt habe. Gleich nach der Wahl nahm Christian
Besitz von Schleswig-Holstein uud stellte eiue Urkunde aus, daß
diese Länder, deren Verbindung den Schanmburgeru zu danken ist,
„np ewig nngedeelt" bleiben sollten. Otto, der einzige rechtmäßige
Erbe, wurde durch den Oldesloer Vertrag 1460 gezwungen,
seinen Ansprüchen gegen die geringe Summe von 43000 Gulden zu
eutsageu. Er behielt uur die Herrschaft Pinneberg und einige andere
Erbgüter im Holsteinischen. Wegen dieser Güter führten Otto und
seine Nachfolger den Titel „Graf zu Holstein" fort. Alle Versuche,
jeueu unrechtmäßigen Vertrag umzustoßen, blieben erfolglos. Der
schwache uud träge Kaiser Friedrich III. ließ das dem Hause
Schaumburg und damit der deutschen Sache zugefügte Unrecht
gleichgültig geschehen. So endete die ruhmvolle Herrschaft der
Schaumburger im N unseres deutschen Vaterlandes.
Ottos II. Uachfolger. Von Ottos II. Söhnen sind
Adols IX. (1464—1474), Erich (1474—1492), Otto III. (1492—
1498, f 1510), Anton (1498—1526) und Johann II. (1498—1527)
nacheinander zur Regieruug gekommen, während drei andere hohe
geistliche Amter in Hildesheim, Minden und Hamburg bekleidetem
Die erstereu beiden, Adolf und Erich, führten länger heftige Fehde
mit dem Bischof vou Minden. Erich stiftete 1486 das
Franziskanerkloster zu Stadthageu, von dem jetzt noch ein
Teil erhalteu ist und als reformierte Kirche benutzt wird. Dem
Kloster Loccum überließ er für das Salzwerk Sooldorf bei Roden-
berg bedeutende Ländereien bei Stadthagen. Er scheint in
böser Geldverlegenheit gewesen zu seiu, denn er verpfändete 1489
das Schloß Bückeburg für 1100 Gulden an die Gebrüder von
Heimburg. Otto III. trat 1498 die Grafschaft Schaumburg au feine
jüngsten Brüder Anton und Johann ab und behielt für sich nur die
nordischen Erbgüter. Noch zu seiuer Zeit wurde Obernkirchen wieder-
aufgebaut (1504), das vorher gänzlich abgebrannt war.
Anton übernahm die Ämter Schaumburg uud Rodenberg
(seit 1510 auch die holsteinischen Erbgüter), Johann die Ämter
Bückeburg und Stadthagen. Beide nahmen au der sogen.
Hildesheimer Fehde teil, die eiu wahrer Vernichtungskrieg gegen
229 —
das Bistum Minden wurde. Im Verlaufe des Krieges erfochten sie
als Verbündete des Bischofs Johann von Hildesheim und des
Herzogs Heinrich von Lüneburg über die Herzöge Heinrich von
Brannschweig-Wolfenbüttel, Erich von Kalenberg-Göttingen und den
Bischof Franz von Minden, des ersteren Bruder, auf der Heide bei
Soltau einen glänzenden Sieg (1519). Franz von Minden flüchtete
nach Wolfenbüttel und konnte erst nach zwei Jahren in sein Land
zurückkehren, das solange die Grafen Anton und Johann von
Schaumburg besetzt hielten. Kaiser Karl V. sprach über die Sieger
die Reichsacht aus. Für Anton und Johann erwirkte jedoch der
begeisterte Anhänger Luthers, der Landgraf Philipp der Großmütige
von Hessen, dem sie merkwürdigerweise bereits 1618 etwa die Hälfte
der Grafschaft (die Amter Rodenberg, Hagenburg uud Arensburg)
als Lehen übergeben hatten, die Lossprechung bei dem Kaiser und
den Reichsfürsten. Johann erhielt durch seine Gemahlin Cordula
als Heiratsgut die Herrfchaft Gehmeu int Müusterscheu. Beide
Brüder siud in der Stiftskirche zu Obernkirchen beigesetzt worden
und so auch im Tode vereint geblieben (S. 84). Antons Witwe,
Anna, geb. Gräfin von Schönberg (^ 1533), hatte ihren Wohnsitz
auf der Schaumburg (S. 142). Von ihr berichtet die Geschichte,
daß sie alle dort aufbewahrten Urkunden und Schriften verbrannt
habe, weil sie mit ihren Schwägern in Feindschaft lebte.
230 —
12. Unsere Heimat am Ende des Mittelalters.
Allgemeines. Um diese Zeit (1500) gingen gewaltige Ber-
Minderungen im Volksleben vor sich, die auf wirtschaftlichem Gebiete
besonders durch wichtige Erfindungen und Entdeckungen, auf
geistigem Gebiete aber durch die Reformation hervorgerufen wur-
den. Sie bezeichnen einen bedeutsamen Wendepunkt in der Geschichte,
das Ende des Mittelalters. Ein Rückblick in diesen Zeitraum zeigt
mancherlei Licht- und Schattenbilder. Infolge der Kreuzzüge war
das kirchliche Lebeu neu erwacht und äußerte sich in der Gründung
zahlreicher Mönchsorden und Klöster. Auch entstanden verschie-
dene geistliche Ritterorden, deren Mitglieder gleich den Mönchen
nach besonderen Gelübden lebten. Im späteren Mittelalter trat aber
sowohl in der Kirche als auch im Ritterwesen allmählich Entartung
ein. Die hohen Geistlichen führten wie weltliche Herren Kriege und
Fehden uud kümmerten sich wenig um ihr Kircheuamt, das oft von
ungebildeten Geistlichen verwaltet wurde. Viele Ritter, dereu Ein-
fünfte ans kleinen Lehen zn den schweren Lasten des Kriegsdienstes
und der ganzen Lebenshaltung uicht ausreichten, machten unrecht-
mäßig Gebrauch von ihren Waffen und wurden zu Wegelagerern
und Räubern. Sie überfielen mit ihren Mannschaften den heran-
ziehenden Kaufmann und beraubten ihn seiner Waren. Ihre Gesan-
genen aber schleppten sie ins sichere Burgverließ, aus dem die armen
Opfer nur gegen schweres Lösegeld freigegeben wurden. In diesen
unruhigen Zeiten flüchteten viele Landleute in den Schutz der auf-
blühenden Städte, in denen Künste uud Wissenschaften, Handwerk
und Gewerbe bald zur Entfaltung kamen.
Stadt und Dorf. Unter den Orten, die in der Grafschaft
Schanmbnrg zum Schutze des Laudes und der Bevölkerung befestigt
wurden, hat zuerst Riutelu Stadtrechte erhalten (1239). Darunter
versteht man das Recht, den Ort mit Mauern und Türmen zu
schützen, Markt abzuhalten uud eigene Gerichtsbarkeit auszuüben.
Städtische Gerechtsame wurden ferner verliehen Hess.-Oldendors 1336,
Stadthagen 1344, Obernkirchen 1381 (?), Rodenberg 1615 und
Sachsenhagen 1650. Bückeburg wird 1458 als Stadt erwähnt (S. 121),
— 231 —
doch tritt es als wirkliche Stadt oder befestigter Marktort erst seit
4. Febr. 1609 auf. An solchen geschützten Stätten konnte die
Bevölkerung sich und ihre Habe „bergen"; aus diesem Worte ist
die Bezeichnung Burg und Bürger entstanden. Der Name Bürger
blieb auch dann für den Stadtbewohner bestehen, als sür Burg
die Bezeichuuug Stadt dauernd gebräuchlich wurde.
Stadtgemarkuug und Dorfflur waren mit Einschluß der All-
mende durch eine feste Landwehr aus Wall, Graben und Schlag-
bäumen geschützt und abgegrenzt. Noch zu Anfang der 1870er
Jahre fanden sich deutliche Merkmale einer solchen Wehr z. B. an
dem Grenzwege der Feldmark Stadthagen gegen Nordsehl; heute
sind derartige Spuren noch in der Nähe der Scheidungswindmühle
zu erkennen. Verschiedene Landwehren an der Staatsgrenze, die
zur „Landbefriedigung" dienten, sind als amtliche Ortsbezeichnungen
bekannt, z. B. Buschmanns Landwehr bei Winzlar, Bücketaler Lw.
bei Bad Nenndorf, Landwehr bei Wiedensahl, die Bernser und
Westendorfer Lw. bei Steinbergen n. a.
In den Städten herrschte anfänglich der Ackerbau vor, so
daß sich die Städte von den Dörfern kaum unterschieden; erst als
Gewerbe und Handel den hauptsächlichsten Erwerb bildeten, trat
allmählich eiu scharfer Unterschied zwischen Stadt und Laud oder
Bürger uud Bauer hervor. Die Handwerker eines Gewerbes, auch
die Kausleute und Händler, schlössen sich in der Stadt zu Genossen-
schasten (Zünften, Gilden) zusammen, um ihre wirtschaftliche Lage
zu bessern. So gab es z. B. in Stadthagen (vgl. Mitteilungen
d. V. sür Geschichte des Fürstentums Sch.-L., 2. Heft, Bückeburg
1907) vom 14. bis 16. Jahrh. die Gilde der Kaufleute, Schuhmacher,
Knochenhauer, Schmiede usw., ja eine Gilde der Leineweberinnen.
Alle diese Vereinigungen hatten eine gewisse eigene Verwaltuug und
übten auch ein beschränktes Strafrecht über ihre Mitglieder aus. —
(Aus der deutschen Geschichte: Rittertum. Städteweseu. Städte-
bündnisse. Hansa. Von den Zünften und Gilden: „Schütting",
Versammlungshaus der Gildemeister in den Hansestädten. Gerichts-
Wesen: Femgerichte.)
Wie wenig im allgemeinen das Bild der Stadt von dem des Dorfes
noch um 1600 sich unterschied, geht aus folgenden Verordnungen des Grafen
Adolf XI. hervor, die sich auf die Reinlichkeit der Straßen in der Stadt
und die Bedachung der Hänser daselbst beziehen:
_ 232 _
„Von wegen des Wohlgebohrnen Grafen und Herrn, Herrn Adolf
Grafen zn Holstein Schaumburg und Sternberg, Herrn zu Gehincn :c.
Wird Bürgermeistern und Rath dieser I. Gn. Stadt Stadthagen auf-
erleget, der Pest und gemeinen Wohlstands und Gesundheit halber zu
beschaffen, daß mit Mehrerin Ernst, als bisher gespüret, die M i st-
gruben an den Strassen dnrch die ganze Stadt, ohne alles Ansehen
der Personen, zugedämpft und bepflastert und der Mist von den
Gassen weggeschasset, auch ferner gnte Reinlichkeit für eines
jeglichen Thür uud auf den Gafseu gehalten werden soll, das der
Rath bey I, Gn. ernster Straf und llngnad ohn ferner Verzögerung
und Entschuldigung soll zu Werck stellen, und daran seyn, daß es für
und für also richtig gehalten und vollzogen werde. Auf daß aber
niemand hinwieder Unwissenheit oder andere Ausrede müge gebrauchen,
ist befohlen, dieses öffentlich Rath und Gemeinde von der Kanzel abzn-
künden, wonach sie sich allerseits sollen haben zu richten (22. April
1598)." — „.....Burgermeister nnd Rath dieser I. Gn. Stadt
Stadthagen wird auferlegt, daß sie Feuers-Gesahr durch Gottes gnädige
Hülse um so viel besser abzuweuden, keinem Bürger oder Einwohner
hinfür sollen gestatten, einig Strohdack hiebinnen zn reparieren,
vielweniger ein neues Strohdack aufzulegen, sondern ein jeder soll
daran seyn, daß die Strohdäcker in Ziegeldäcker verändert
werden, und auf daß ein jeder Bürger und Einwohner in der Stadt
so viel besser hiezu muge gerathen, soll der Rath den Ziegelofen wieder
an sich nehmen, nothdürstig mit Ofen und Häusern zurichten nnd durch
einen treuen Rathmann nnd einen fürnehmen Bürger verwalten laßen,
auch ein Tax setzen, daß die Bürger und Einwohner für den Fremden
und Ausländischen um ein Ziemliches Mauer- uud Backsteine nach aller
ihrer Nothdnrst bekommen und damit befördert werden mügen. Im Fall
aber diesem I. Gn. Gebot nicht wird nachgesetzt, will S. Gn. dasselbig
mit besonderer Straf und llngnad gegen den Rath und Gemeinde
eifern .... (2. Aug. 1598)." — Die Frage der Abschaffung der Stroh-
dächer ist am Schluß des Buches weiter behandelt.
In der Amts- und Hausordnung vom Jahre 1615 finden sich Bestimmnngen
über die Unterhaltung und Ausbesserung der Landstraßen und Wege, die zn-
gleich einen Einblick in die Wegeverhältnisse um die Weude des Mittelalters ge-
währen. Eine Heer- und Landstraße soll zwei Ruten, ein gemeiner Weg aber
eine Rute und ein Nachbarweg eine halbe Rnte breit sein, Gräben und Hecken
nicht eingerechnet (1 Rute = 4,70 m oder 16 Fuß). „An allen Orten soll man
ein Exempel nehmen von dem gemeinen Wege, der vor Jahren zwischen
Apelern und Lauenau angeordnet, allda die Hagen abgeschaffet und in die
Wege geworfen, die Breite einmütig zum Heerweg ausgelegt und an beiden
Seiten tiefe Grabeu genmcht, damit das Wasser abgeführt und also dadurch die
Straßen trocken und eben erhalten werden . . . Zur Verbesserung der Wege
nnd Stege, weil solches dem gemeinen Wandersmann zum Besten und den Ein-
wohnern zu Nutz gereichet, sollen alle Hausleute aufm Lande, wem sie
auch zusteheu, ohne Abgang der gebührlichen und gewöhnlichen Dienste, in einem
jeden Amt helfen, oder des Auspfandens und Unserer Strafe gewärtig seyn. Die
Strassen um und vor den Städten sollen Bürgermeister nnd Räthe mit den
Gemeinden daselbst bessern und unterhalten, wozu die Dörfer, so herum liegen,
ihnen Steine, Holz und Sand, auf Unsere Anordnung fahren sollen; in den
Städten aber und davor sollen Rath nnd Bürger die Steinwege fest nnd
fanber halten, und Fleiß anwenden, daß in der Mitte breite Steine, wie zu
Stadthagen und Bückeburg, gelegt werden."
Als uralte Wege im Bnkkigau sind bekannt: der Heelweg vor dem
Santsorde (S. 137), der Königsweg (via regia antiqua) von Minden über
Frille nach Nienburg, Fortsetzung des sogen. Hesseweges von Herford her, der in
Minden den Lübbecker Heelweg aufnimmt, der Krieg er weg von Uffeln (gegen-
— 233 —
über Vlotho) nach der Porta und weiterhin rechts der Weser, als dessen Fort-
setzung der Kriegerweg in und am Schaumburger Walde gilt. Letzterer
folgt im Abstand von etwa einer Stande ziemlich gleichlaufend der Richtung des
Heelweges und führt an Hus Aren vorbei durch teilweise recht nasses Gelände.
Eine Verbindung des Kriegerweges zum Heelwege findet sich in der Bürger-
dammstraße bei Bückeburg wieder. Dieser Verbindungsweg überschreitet bei der
Amtmannschen Brücke die Aue und zeigt alsdann abweichend von der Lehmfarbe
des umliegenden Bodens rötliche Färbung, die von dem als Material benutzten
eisenhaltigen Portasaudstein herrühren mag. Die Feldflur am Walde, wo
Krieger- und Verbindungsweg sich treffen, heißt bis Hus Aren heute noch Königs-
loh. Dieser Name ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß hier einst ein könig-
licher Bannwald (Loh) vorhanden war. Ans den an der Grenze der Aueüber-
flutung liegenden Äckern der Königsloher Feldflur find in den letzten Jahren
mehrere Urnen gefunden worden. — Als Heelweg wird auch eine Feldstraße
südlich von Steinhude nach dem Hohenholz zu bezeichnet (vgl. auch S. 58 u. 63).
Markgenossenschaft. Wie in anderen Teilen Deutschlands,
so waren auch in der Grafschaft Schaumburg bis gegen Ende des
16. Jahrhunderts die Waldungen im Besitze von Markgenossen-
schaften (S. 174). Die Grenze benachbarter Markwaldungen
wurde durch eiueu schmalen Waldstreifen bezeichnet, den man Knick
nannte, weil die Bäume geknickt oder so ineinander gelegt waren,
daß sie ein festes Verhau bildeten. Die Knicke ziehen sich teils
mitten dnrch große Waldungen (S. 131), teils an deren Grenzen
hin uud kommen als Eigentum der Landesherrschaft, der Städte
(Obernkirchener, Rintelner, Oldendorfer Knick) oder adeliger Herren vor.
Ursprünglich hatte jeder Markgenosse an der Mark gleiches
Eigentumsrecht (urkundlich Wer, Wahre, Gewere, Achtwort, Echtwort
genannt) und durfte auch einzelne Teile durch Roduug als Ackerland
für sich gewinnen. Als aber die Bevölkerung zunahm, wurden
Rodungsverbote erlassen, auch änderten sich die Berechtigungen der
einzelnen Markgeuossen, indem die ursprünglichen Ansiedler eine
Klasse mit größeren, die neueren Besitzer aber eine solche mit gerin-
geren Nutzungsrechten bildeten. Später beschränkte man noch die
Zahl der Nutzungsberechtigten, indem Neubauer iu die Genossen-
schast nicht mehr aufgenommen wurden. Die Rechtsverhältnisse der
Marken regelte man aus den meist alljährlich einmal gehaltenen
Versammlungen der Markgeuossen, den sogen. Holtin gen, deren
Beschlüsse in Weistümern und Holtingsprotokollen vielfach erhalten
sind. An der Spitze einer Mark stand der von den Markgenossen
gewählte Holzgraf als Obermärker, dessen Amt in bestimmten Fa-
Milien erblich wurde. Als die Landesherren schließlich das alleinige
Besitzrecht erlangten, änderten sich die alten Rechte. Jeder Mark-
— 234 —
genösse mußte an den Landesherrn als den obersten Schutzherrn
(„Bewahrer") der Mark für die Mast eine Abgabe zahlen, Wahr-
geld genannt, für Holzberechtigung und dgl. aber Walddienste tun
(Wege ausbessern, Bäume pflanzen, Plaggen stechen nftv). Die letzten
Berechtigungen sind bei uns in den 1870er Jahren durch Abtretung
von Grund und Boden abgelöst worden (S. 80).
Eingehende Bestimmungen über die Nutzung in den gemeinen Waldungen
enthält die Holzordnung vom Jahre 1572. Darin wird verboten, ohne An-
Weisung Brenn- oder Eichenholz zu hauen, das angewiesene Holz an andere,
überhaupt außer Landes zu verkaufen. „Wer Pottweiden abhauet oder schand-
flecket, soll zum erstenmal 5, zum andernmal 10 und zum drittenmal 15 Rthlr.
zur Strafe geben, würde er aber solche Thaten zum viertenmal begehen, soll
er . . . gestäupet und mit Abschneidung eines Ohres des Landes verwiesen
werden. . . Die Kuhhirten, Schwene (Schweinehirten), Schäfern und wer mit
Viehe zu Holze treiben und hüten wird, sollen keine Barten, Exen noch ander
scharf oder Eggetau, darmie Holz kann gehauet oder geferiget werden, tragen,
bei Verlierung deßelbigen und Straf eines Talers, so oft sie hier wider handeln
werden. . . Jeder soll in der Wahr (Mark) bleiben, darin er gehöret . . . Wer
ein neu Gebäu setzet, der soll die Gründe nicht in noch ans die Erden, sondern
aufs wenigst eine Elle über die Erden legen und darunter zween Schuh oder
eine Elle hoch mit Steinen mauern laßen, damit die Gründe desto weniger ver-
rotten mögen." Vor allen Dörfern uud Städten sind auf der „Gemeinte" (All-
mendeweide) Eckernkämpe anzulegen, aus denen die Eichenheister in die gemeinen
Holzungen (Markwaldungen) verpflanzt werden sollen. „Der Mißbrauch, daß zu
einem jeden Kost oder Gilden sonderliche Bäume zu Bäuken, daraus die Leute
sitzen mögen, gefordert werden, soll abgethan seyn, und in jedem Enspel (Kirch-
spiel) etliche Bänke gemachet und verwahret uud zu allen Kosten und Gilden ge-
liehen und gebrauchet und dann wieder hingesetzt und verwahret werden. Also
auch sollen die Kirchmeßen- und Fastelabend-Bäume zu hauen verboten seyn."
Die Markgenossen haben für die Anweisung des Holzes eine Gebühr von
2 Mariengroschen für den Bauin zu entrichten und dürfen nur die eigene
„Deelzucht", die selbstgezogenen Schweine, nicht fremde, in die Mast treiben.
Zur Ausführung dieser Holzordnung wurde die Spezialordnnng und Instruktion
v. 24. Juni 1614 an die fünf Drosten des Landes erlassen: Diederich von Brink
(Bückeburg), Hans v. Ditfurth (Stadthagen), Jobst v. Mengerssen (Schaumburg,
Egestorf und Arensburg), Albrecht v. Brink (Sachsenhagen, Hagenburg, Bokeloh
und Mesmerode) und Johann v. Stafhorst (Rodenberg). Sie bestimmt u. a.,
daß die Knicke, Landwehren und Grenzen häufiger besichtigt und wohl
erhalten werden sollen, auch läßt sie erkennen, daß der Landesherr das bis dahin
unbekannte Recht ausübt, überflüssiges Holz innerhalb der Grafschaft zu ver-
kaufen. Die Holzordnung von 1572 findet sich mit einigen neuen Bestimmungen
wörtlich wieder im Kap. 23 der im Jahre 1615 erlassenen Land- und Polizei-
Verordnung.
Die Namen der Markwaldungen in der früheren Grafschaft Schaum-
bürg sind gewöhnlich nach den nächsten Kirchdörfern oder größeren Orten gewählt
(Friller, Flschbecker Mark usw.). Der Bückeberg war ursprünglich eine große
Mark von über 26 Ortschaften, die später aber aus 3 Teilmarken bestand, der
Rodenberger, der Stadthäger (kurz Häger) und der Obernkirchener
Wahre. Heute sind die alten Markwaldungen im Kreise Grafschaft Schaum-
bürg größtenteils Staatseigentum, in Schaumburg-Lippe aber landesherrlicher
Besitz. Neben den Staatsforsten finden sich in den jetzigen preußischen Gebiets-
teilen der alten Grafschaft Schaumburg Stifts-, Gemeinde- und Privatwaldungen.
Eine große Gemeindewaldung besitzt dort Stift Fischbeck in Gemeinschaft mit
mehreren Dörfern (nahezu 6660 Morgen).
— '235 —
An größeren Allmenden woren bis zur Angerteilung vorhanden:
Scheier Bruch, Luhdener Bruch, Vehler Wieh, Hobbenser Bruch, die Angerweiden
zwischen Lauenhagen uud Hülshagen und die der Feldmark Stadthagen (©. 96),
deren Flurnamen Obernrusch, Niedernrusch, Treischfeld, Körße und Stockfeld noch
gebräuchlich sind.
Kandesverwaltnng nnd Rechtspflege. Wie der König
in der Reichsregierung gebunden war durch die Fürsten (Reichs-
stände), so der Graf iu der Landesverwaltung durch die Vertreter
des Adels, der Prälaten (Vorsteher der Stifter und Klöster) uud
der Städte (Landstände). Die Landstände hatten über alle Beden
(Steuern) zu entscheiden, die nicht als Reichssteuern oder nach Her-
kommen als ordentliche Bezüge des Laudesherrn festlagen, ferner
über Fehde, Heeresfolge, Landesschulden, Veräußeruug von Recht-
sameu, Verpfändung von Gebietsteilen usw. All diese Angelegen-
heiten wurden auf den Landtagen beraten, die wie die Land-
gerichte im Freien abgehalten wurden. Die Rechtspflege übte au-
fänglich der Graf mit seinen Vögten und Schöffen (vgl S. 179).
Nach und nach wurden die alten Rechtsgewohnheiten durch die
Rechtsgelehrteu verdrängt, die auf hohen Schulen das römische Recht
erlernt hatteu und dieses bevorzugten.
Kirchliche Verhältnisse. Wie überall im Reiche, so sah es
damals auch im Schanmbnrger Lande mit der religiösen Bildung
des Volkes recht traurig aus. „Mau kann die Nachrichten davon
nicht ohne Wehmut lesen", sagt uuser alter Chronist Dolle, und
ebeuso urteilt vor ihm auch Pastor Nothold iu seiner Lindhorster
Chronik, in der uns so manche Einzelheiten ans jener Zeit über-
liefert sind. An Kirchen und Klöstern, Mönchen und Nonnen fehlte
es nicht. Auf deu Dörfern waren fchon damals fast ebensoviel
Kirchen vorhanden als heute. Aber es fehlte noch gänzlich an
Schulen. In Jetenbnrg und Stadthageu waren die einzigen hei-
mischen Schulen. Der Gottesdienst, der meist in lateinischer Sprache
abgehalten wurde und aus vielen Äußerlichkeiten bestand, konnte
die Herzen nicht erwärmen. Törichter Aberglaube, große Uuwisseu-
heit uud Zuchtlosigkeit herrschten darum weit uud breit. Ein rich-
tiges Vaterunser war vielfach nicht zu fiudeu. „In Lindhorst ist
ein Küster Heinrikns Knlpes gewesen, wenn der den Glauben oder
das Vaterunser hat singen sollen, so hat er das St. Dionysii Lied
(das ist der Heilige, dem die Kirche zu Lindhorst geweiht war) an-
gefangen: „Sankte Dionyfie, du bist ein heilig Mann, in allen
— 236 —
unfern Nöten, so rufen wir dich an." Uber den Widerstand gegen
die Einführung geistlicher Gesänge berichtet Nothold: „Wie Johann
Rohde allhier das Volk ermahnt hat, daß sie sollten mitsingen, ist
ein Bauersknecht aus Lüdersfeld gewesen, mit Namen Berend Stael-
hudt, derselbe mag irgend gehört haben, daß ein jeder in der Kirche
sollte helfen singen, so viel er wüßte; da hat der Knebel gemeint,
es wäre gleich, was es wollte, derowegen, da andere Leute gesungen
haben: Allein Gott in der Höh sei Ehr, hat dieser gesungen:
Ich weiß mich drei Fohleu in einem Stalle stahn, die können so
leise traben, die muß ich haben". Doch hat es in jener Zeit auch
uicht an Werktätigen Christen gefehlt, denn es wird vielfach berichtet,
daß vornehme und geringe Leute iu der Besorgnis nni ihr Seelen-
heil mancherlei Schenkungen an Klöster, Kirchen und Kapellen
machten. Das kann uns verwundern, da die Bevölkerung ohnehin
für die Unterhaltung der zahlreichen kirchlichen Diener viele Opfer
aufzubringen hatte. Dazu stellten sich noch wandernde Bettelmönche
ein. So scheinen es die Franziskanermönche aus Stadthageu vor-
trefflich verstanden zu habeu, den Bauern Gaben aller Art abzulocken.
Wennsiegut eingeheimst hatten,so saugensie das merkwürdigeDankgebet:
Gott sei Preis, Deo Gratias,
Er gibt uns Speis' Qui nos satias
Von der Bauern Schweiß. De labore rusticorum.
Auch fehlte es nicht an allerlei Wallfahrten und Aufzügen,
die von den Mönchen veranstaltet wurden, nm den Leuten das Geld
zu entlocken. Man hielt Bittgänge durch die Felder, um eine ge-
segnete Ernte zu erlangen, oder zog nach wundertätigen Heiligen-
bildern und berühmten Kapellen. Im Jahre 1516 wallsahrteten
viele Leute nach der Kapelle in Luhden (damals an der Weserseite
des Berges gelegen), wo die hl. Katharina, der die Kapelle geweiht
war, Wunder tun sollte. Selbst der weite Weg nach Wilsnack in
der Mark wurde nicht gescheut. Dorthin sind in demselben Jahre
von Rinteln auf einen Tag 220 Menschen, jung und alt, gewandert.
Ein berühmter Wallfahrtsort war am Ende des Mittelalters auch
Blomberg in Lippe. Luthers Auftreten in Wittenberg leitete end-
lich die Bewegung ein, welche die Christenheit von den alten Irr-
lehren uud Mißbräuchen befreien konnte. Aber erst in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts drang Luthers Lehre auch in der
Grafschaft Schaumburg durch.
— 237 —
13, Die Reformation in der Grasschaft Schaumburg.
Gegner. Als Dr. Martin Luther am 31. Okt. 1517 seine
95 Thesen (Glanbenssätze) an die Schloßkirche in Wittenberg schlug
und manche andere Glaubensschrift verbreiten ließ, fand die evau-
gelische Lehre in allen uns benachbarten Gebieten bald Eingang.
In unserer Grafschaft aber setzte man ihr noch lange heftigen Wider-
stand entgegen. Hier war auf Johann II. dessen einziger Sohn
Justus I. (1527—1531) gefolgt, der von der neuen Bewegung
nichts wissen wollte und an der katholischen Lehre sesthielt. Er
war ein kräftiger Regent, dem es gelang, in wenigen Jahren von
der übernommenen Landesschuld 100 000 Guldeu abzutragen und
die nuruhige Stadt Oldendorf zum Gehorsam zu zwiugeu. Von
seinen zahlreichen Söhnen übernahm Adolf X. (1531—1544), der
sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte und Domherr zu Köln
war, als Vormund seiner minderjährigen Brüder die Regierung des
Landes. Nachdem er die Laudesschuldeu getilgt und das Schloß in
Stadthagen hatte ausbauen und mit Mauern befestigen lassen, kehrte
er nach Köln zurück und überließ die Grafschaft einer Vormund-
schaftlichen Regentschaft. Seinem Bruder Johann hatte er 1534
Schloß und Amt Bückeburg übertragen. Adolf unterdrückte die
Reformation, wo er nur konnte. Er starb als Erzbischos zu Kölu
1556. (Aus dem gräflichen Hanfe Schaumburg sind zwei Erzbischöfe
zu Köln, drei Bischöfe zu Hildesheim, fünf Bischöfe zu Minden,
einer von Olmütz und einer von Osnabrück hervorgegangen). Adolf
hatte im Jahre 1544 die Regierung ganz an seinen jüngeren Bruder
Otto abgetreten, mit dessen Namen, wie wir hören werden, die
Einführung des Luthertums in unserer Heimat sich eng verknüpfen
sollte.
— 238 —
Geistliche Förderer. Trotz der gewaltsamen Unterdrückung
der evangelischen Lehre fanden sich in der Grafschaft doch mutige
Streiter für die Verbreitung des lautereu und reinen Evangeliums.
Als solche sind vor allem die Prediger Johannes Rhode zu Lind-
Horst, Matthias Wesch zu Obernkirchen und Eberhard Poppelbaum
zu Oldendorf zu nennen. Erfterer erhob in Lindhorst schon 1537
seine Stimme laut für die neue Lehre; er wird demnach der erste
evangelische Glaubensbote in nnserm Lande gewesen sein. An Wider-
sprnch fehlte es anfänglich allen dreien nicht. Rhode hatte viel
von seinem Küster, dem schon (S. 235) erwähnten Knlpes zu leiden,
der ihn schließlich heftig verklagte. Wesch wurde iu seinen Predigten
von den Nonnen unterbrochen mit dem Rufe: „Du lügst, du lügst!"
Deu Prediger Poppelbaum verklagte eiu eifriger und vornehmer
Katholik, Nikolaus von dem Busche, sogar bei dem Grasen Otto IV.
Dieser saud jedoch bei seiner Anwesenheit in Oldendorf, daß die
Gemeinde einmütig zu ihrem Seelsorger hielt, eiue Bestrafung darum
nicht angebracht sei. Wunderbarerweise wurde aus diesem Wider-
sacher, ehe feine Angelegenheit recht entschieden war, ein überaus
eifriger Freund des Evangeliums, denn er trat mit seiner Gemahlin
uud seineu Töchtern schon bald feierlich zum evaugelischeu Bekenntnis
über. Ebenso wunderbar wurde auch Graf Otto geführt.
Otto IV. (1544—1576). Otto IV., im Reformationsjahre 1517
geboren, hatte auf der streng katholischen Universität Löwen studiert
und sich dort bedeuteude sprachliche Kenntnisse erworben. Er wid-
mete sich dem geistlichen Stande und wurde 1531 Bischof zu Hildes-
heim. Die katholische Sache scheiut ihm aber nie recht am Herzen
gelegen zu haben. Schon 1537 legte er seine Bischofswürde ab
und vertauschte deu Krummstab mit dem Schwerte. Er schloß sich
zunächst dem Kurfürsten Joachim von Brandenburg an, um gegeu
deu Erbfeind der Christenheit, die Türken, zu kämpfen*). Als ihm
1554 seine Gemahlin Maria, eine lutherische Priuzessiu von Pommern,
durch den Tod entrissen war, suchte er wieder das Geräusch des
Kampfes auf. Er beteiligte sich an dem Kriege, den Philipp II.
*) Von den um diese Zeit in Deutschland ausgebrochenen Religions kämpfen blieb
auch die Grasschaft Schaumburg nicht verschont. So fiel der Markgraf Albrecht von Branden-
burg-Knlmbach, ein verwegener Söldnerführer, raubend und plündernd in unser Land ein nnd
erpreßte gegen 40 000 Taler. Er wnrde 1553 in der Schlacht bei Sievershansen (« von Lehrte)
besiegt. Eines seiner Regimenter hat nachher in Lindhorst neben der Kirche ein Zelt ansge-
schlagen und beim Ausbruch augesteckt. Die Südseite der Kirchenmauer zeigt uoch heute die rot-
gebrannten uud zersplitterten Steine.
239 —
von Spanien, der Todfeind Luthers, gegen die Franzosen führte,
machte die berühmte Schlacht bei St. Qnentin (1557) mit und
erwarb sich durch feine persönliche Tapferkeit solches Ansehen, daß
ihm eine hohe Ehrenstelle angetragen wurde. Allein er kehrte
plötzlich, noch vor Beendigung des Krieges, in seine Heimat zurück.
Glilabetb Urlula. Hier bewarb sich Otto um die Haud der
lutherisch erzogenen Prinzessin Elisabeth Ursula zu Braunschweig-
Lüneburg. Damit begauu bei ihm eine merkliche Wendung zugunsten
der neuen Lehre. Ursula war eiue Tochter des Herzogs Ernst des
Bekenners von Braunfchweig-Lüneburg, dessen Name für alle Zeit
uuter dem Angsbnrgifchen Glaubensbekenntnisse hell dasteht. Ihre
Brüder, die gleich den: Vater und der Schwester treue Bekenner
des Evangeliums waren, stellten Otto die Bedingung, feiner künfti-
gen Gemahlin entweder einen lutherischen Hofprediger zu halten
oder aber der neuen Lehre in feinem Lande fortan freien Lauf zu
lassen. Otto ging auf diese Wünsche ein. In Celle hörte er den
jungen Prediger Jakob Dammann, der sein Herz dermaßen ent-
zündete, daß er ihn zu seiuem Hofprediger erkor. Im Sommer
1558 hielt Urfnla ihren Einzug in Stadthagen. In demselben Jahre
starb Ottos Bruder Anton, Erzbischos zu Köln, so daß der Einführung
der evangelischen Lehre nun eiu Hindernis weniger im Wege stand.
Die Einführung der Reformation. Dammann trat sein Amt als
Hofprediger in Stadthagen erst zu Anfang des Jahres 1559 an
und ging sofort srisch ans Werk, den Wittenberger Geist im Lande
auszubreiten. Darum ist als Jahr der allgemeinen Einführung
der Reformation in unserer Heimat 1559 anzusehen. Schon
im Frühjahr übertrug ihm Otto, dessen vollständiger Übertritt zur
lutherischen Kirche sich in dieser Zeit vollzogen haben wird, die
geistliche Aufsicht über die ganze Grafschaft. Schnell nacheinander
folgte die Aufhebung der Meffe, der Heiligeuanbetnng und anderer
Irrtümer. Statt dessen erklangen die reinen lutherischen Glaubens-
lieder, und evangelische Gottesdienstordnung und Sakramentsver-
waltung wurde eingerichtet. Als Grundlage dieute die iu demselben
Jahre vorgeschriebene Kirchenordnung, die von mecklenburgischen
Theologen aufgefetzt, von Philipp Melanchthon durchgesehen und zu
Wittenberg 1552 gedruckt war. — Mit der Einsührung der Refor-
mation gelangten die Stifter und Klöster unter weltliche Obrigkeit,
auch hörte der frühere Einfluß des Papstes iu unserm Lande auf.
— 240 —
Die kirchlichen Güter. Der Neuordnung fügten sich die Städte
ctm ersten. Weniger willig zeigte sich das gewöhnlich recht hart-
näckig am Alten festhaltende Landvolk, wenn auch von ernstlichein
Widerstande uichts bekannt ist. Am meisten widersetzten sich die
Klöster, besonders das Jakobskloster in Rinteln und das Franzis-
kanerkloster zu Stadthagen, auch die Klöster zu Obernkirchen und
Fischbeck. Schon 1559 wurde das Kloster Egestorf aufgehoben
(S. 225), dann folgten die Klöster zu Stadthageu und Rinteln
(1500), Obernkirchen (1563) und Fischbeck (1564). Das Kloster
Möllenbeck nahm die Reformation willig an und sicherte seinen
Fortbestand dadurch, daß es sich in ein weltliches Stift verwandelte.
Im 30jährigen Kriege verfiel es und wurde dauu aufgehoben. Da
die Klöster oder Stifter größtenteils durch Scheukuugeu des Adels
reich ausgestattet wareu und darum vielfach gute Versorgungsan-
stalten für Kinder aus adeligeu Familien bildeten, fo war auch der
Adel anfänglich mit der Umwälzung uicht zufrieden. Um nun auch
diesen Gegner zu gewiuueu, zog Otto die Güter der beiden Klöster
Obernkirchen und Fischbeck nicht ein, sondern ließ beide als adelige
Frauenstifter besteheu. Als solche sind sie bis auf deu heutigen
Tag erhalten geblieben.
Die crfte Kirchenuiiitation. Die Reformation machte solche Fort-
schritte, daß Otto bereits 1564 unter Dammauus Führung die erste
Kirchenvisitation vornehmen konnte, die gewiß Zeugnis davou gab,
daß Gottes Wort und Luthers Lehre bereits segensreichen Eingang
gefunden hatteu. Mau wird auch erkannt haben, daß zur dauerudeu
Festigung und Förderung des kirchlichen Lebens die Errichtung von
Schulen notwendig sei, ganz besonders von Volksschulen. Deunoch
hören wir ziemlich spät von der Gründung von Schulen. Erst zu
Anfang des folgenden Jahrhunderts wurde von Ottos jüngstem
Sohlte und Nachfolger, dem Grafen Ernst, der eigentliche Volks-
schnlnnterricht eingeführt.
Die letzten Regierungsjabre Ottos. Während dieser glücklichen
Entwicklung der Reformation sehen wir merkwürdigerweise Otto noch
einmal in Verbindung mit Philipp II. von Spanien, dem er als
spanischer Oberst 1566 in einem Feldzuge gegen die braveu Nieder-
läuder dieute. Otto hatte zu diesem Kampfe ein Kavallerieregiment
von 1300 Mann auf eigeue Kosten (für 2 Tonnen Gold, 1 T. —
100 000 Gulden oder auch Reichstaler) ausgerüstet. Dadurch stürzte
241
er sein Land in große Schuldenlast, denn die spanische Regierung
zahlte ihm später nicht die geringste Entschädigung für seine Auf-
Wendungen. Im Jahre 1573 schloß er mit dem Herzoge Erich dem
Jüngeren von Braunschweig eiueu für die Grafschaft wichtigen Ver-
trag ab, nach welchem ihm das Amt Lauenau als Lehen überlassen
wurde, während er den Herzog Erich mit den Amtern Bokeloh und
Mesmerode belehnte. (Dieser Vertrag läßt auch erkennen, daß die
Stadt Oldendorf und die Vogteieu Lachem und Fischbeck Ursprung-
lieh kein schanmbnrgisches Eigentum waren, sondern von den Grafen
von Wunstorf für 20 Pfund Gold rückkäuflich erworben waren.
Die Einlösung dieser Besitzungen hatte Erich versäumt, nachdem die
Grafen von Wunstorf 1583 ausgestorben waren. Später einigten
sich Hannover, Schaumburg und Hessen dahin, daß nur Lachem au
Haunover fiel, Oldendorf und Fischbeck aber an Hessen kamen).
Nicht lange vor seinem Tode hatte Otto in seinem Testamente fest-
gesetzt, daß immer nur einer das Land regieren und dazu stets der
Fähigste bestimmt werden sollte. Auch verpflichtete er seiue Nach-
solger, keinen Teil des Landes zu verscheukeu oder sonst zu ver-
äußern, um den Fortbestand der Schaumburger Herrschaft zu sichern.
Andenken in Stein und Bild "au den Grafen Otto IV. und an
seinen Mitarbeiter am Werke der Reformation, den Hofprediger
Jakob Dammann, finden sich in der Stadtkirche zu Stadthagen. (S. 98).
Von den Söhnen des Grafen Otto (S. 242) aus dessen erster
Ehe wurden zwei nacheinander Bischöfe zu Miudeu, nämlich Hermann
(f 1592) und Anton (f 1599); ein anderer, Otto, starb vor dein
Vater. Alle drei wareu noch in der katholischen Lehre aufgewachsen.
Eiu vierter Sohn, Adolf, der evangelisch erzogen war, übernahm
als Adolf XI. (1582—1601) die Regierung des Landes. Er und
seiue Brüder wareu uach deut Tode des Vaters infolge der drücken-
den Landesschulden einen Vergleich eiugegangen, nach dem die
Regierung den Räten des Landes auf 19 Jahre übergeben wurde.
Als aber der ältere Bruder Hermann den vollen Besitz der Herrschaft
erstrebte, wurde dieser Vertrag 1582 abgeändert. Adolf nahm nun
die Regierung allem in die Hand. Ihm verdankt Stadthagen
(1590) die Errichtung einer noch heute im städtischen Besitz befind-
lichen Apotheke. Nach langen Verhandlungen überließ er (1595)
seinem Stiefbruder Ernst, den der Vater mit Einwilligung des
Landes vou vornherein zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, die
1(>
— 242 —
Amter Sachsenhagen, Hachenburg, Bokeloh und Mesmerode unter
Vorbehalt der Landeshoheit zu selbständiger Verwaltung. Ernst
wählte das Schloß Sachsenhagen zu seiner Residenz (S. 41), bis
ihm nach den: Tode seines Bruders die Regierung der ganzen
Grafschaft zufiel.
Von den Kindern Ottos aus zweiter Ehe ist außer Ernst noch
dessen Schwester Elisabeth für die Geschichte des Hauses Schaum-
bürg von Bedeutung geworden. Sie war mit Simon VI. von der
Lippe vermählt, der in seinem Lande das reformierte Bekenntnis
eingeführt hat. Beide sind die gemeinsamen Stammeltern aller noch
heute vorhandenen Zweige des lippischen Hauses. — Simon VI.
(1503—1613) und Elisabeth hatten 3 Söhne, von deuen Simon VII.
die Linie Lippe-Detmold, Otto die Linie Lippe-Brake (im 18. Jahrh.
erloschen) und Philipp die Linie Lippe-Alverdissen begründete. Eiue
Tochter Elisabeth war mit dem Grafen Georg Hermann aus der
Geh menschen Seitenlinie des Hauses Schaumburg vermählt (s. folg.
Stammtafel).
Otto IV. Ottos IV. Bruder: Justus II.,
(1544—157«?) Stifter der Scitenlir
______ ..______Gehmen,
1. Gemahlin: 2. Gemahlin: verm. mit Graf. El
Maria v. Pommern Elisabeth Ursula v. Eulenlmrg
Hermann, Otto, Adolf X!., Anton, Marie, Elisabeth, Ernst Heinrich, Georg Hermann
(1582—1601) | (1601—1622)
vermählt mit
Simon VI. zur Lippe
verm. mit Simons X
Tochter Elisabeth
Simon VII., Otto, Philipp, Elisabeth Jobst Hermann Otto '
(1643—1681) (f. Georg (1622—1635) (1635-16
| Hermann)
Stifter der Linien: Detmold Brake Alverdissen
Ernst (1601—1622). Uuter dem Grafen Ernst begann eine
glückliche, ja glanzvolle Zeit für die Grafschaft Schaumburg. Er
war nach dem Tode seiner Mutter Elisabeth Ursula (f 1586 in
Detmold) nebst seiner Schwester Marie, der späteren Gemahlin eines
Grafen von Limburg, am Hofe Simons VI. zu Detmold erzogen.
Nachdem er in Helmstedt studiert und dann verschiedene Reisen
gemacht hatte, auf denen er sich zweimal länger in Italien aufhielt,
lebte er einige Zeit am Hofe des Landgrafen Moritz zu Kassel, mit
dessen Schwester Hedwig er sich später vermählte. Nach der Uber-
nähme der Regierung zog er mit seiner Gemahlin zunächst nach
243
Stadthagen und nahm dann (1000) in Bückeburg dauernd Wohnsitz.
Hier richtete er in den: von ihm neu ausgebauten Schlosse einen
glänzenden Hofstaat eiu. Durch den Bau zahlreicher Gebäude und
durch die Anlage breiter uud schöner Straßen förderte er das An-
sehen und Wohl seiner Residenz, die er 1009 zur Stadt erhob.
Außerdem stiftete er noch bedeutende Summen für öffentliche und
private Zwecke. Trotz all der großeu Ausgaben gelang es ihm, in
kurzer Zeit die drückenden Landesfchnlden aus früheren Jahren zn
tilgen. Gute Einnahmen wird ihm das Steinkohlenbergwerk ge-
liefert haben, das seit etwa 1520 im Betriebe war; es sollen näm-
lich gerade zu seiner Zeit vorzügliche Kohlen gefördert worden fein.
Bald wurde es über die Grenzen unserer Heimat hinaus bekannt,
daß der Graf zu Schaumburg au „Reichtumb, Güttern und Ein-
kommen gar wohl begabt" fei. Darum ging ihn selbst der arge Feind
der evangelischen Kirche, der Kaiser Ferdinand II. (1019—1637),
1619 um etu Darlehen von 100 000 Gulden an; auch des Kaisers
Gegner, der „tolle" Herzog Christian von Braunschweig, suchte und
erhielt 1021 in Bückeburg Geldhülfe. Zun: Dauk für die bereit-
willige Hülfe verlieh der Kaiser dem Graseu den Titel eines Reichs-
fürsteu. Ernst uannte sich nun Fürst und Graf zu Holstein. Des-
wegen geriet er mit dem Könige von Dänemark in Streitigkeiten,
der darin eine Verletzuug des Oldesloer Vertrages (S. 228) erblickte,
indem er erneute Ansprüche auf Holsteiu befürchtete.
Des Fürsten Ernst Fürsorge galt aber nicht nur dem Wirtschaft-
lichen Aufschwünge seines Landes, sondern auch der geistigen
Hebung seiner Untertanen. Vor allem ist ihm die Förderung des
Schulwesens zu danken, das bei uns damals noch wenig entwickelt
war, da nur in Stadthagen und Jetenburg Schulen bestanden.
Er gründete in Bückeburg die jetzige städtische Knabenschule uud ließ
auch auf deu Dörfern Schulen anlegen, die er aus eigenen Mitteln
reichlich unterstützte und mit tüchtigen Lehrern bestellte. Ernst ist
darum der eigentliche Begründer unserer Volksschule. Er sorgte
jedoch auch für höhere Bildungsanstalten. So errichtete er 1610
in Stadthagen ein Gymnasium, das er bald in eine Universität, die
nach ihm Ernestina benannt wurde, umwandelte und dann nach
Rinteln verlegte. Er stattete diese Anstalt mit den Einkünften der
eingegangenen Klöster zu Rinteln und Egestorf und der Propstei
Obernkirchen aus. Später kamen noch die Erträge des Möllenbecker
16*
— 244 —
Klosters hinzu, die heute teils der Marburger Universität zufließen,
teils auch zu milden Zwecken nutzbar gemacht sind. Die Ernestina
blühte bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts (S. 99). Diese
Förderung des Schulwesens gab der jungen lutherischen Landes-
kirche dauernde Festigung. Eine wichtige Grundlage für Kirche und
Schule wurde des Grafen Kirchenordnung vom Jahre 1614, die erst
in jüngster Zeit durch Erlaß eiuer Syuodal-Ordnung ersetzt ist.
Besouders hervorrageud ist des Grasen Tätigkeit auf dem
Gebiete der Kunst. Auf seinen Reisen in Deutschland und nach
Italien war er mit einer Reihe bedeutender auswärtiger Künstler
in Berührung gekommen (Rottenhamer, Adrian de Vries, Nosseni,
Antonius Boten u. a.). Darum hatte er auch für die Kunst,
namentlich die üppigen italienischen Kunstformen, die all seine Bauten
auszeichnen, stets eine besondere Vorliebe*). Die Bestrebungen des
kunstsinnigen Fürsten lockten auch zahlreiche deutsche Bildhauer,
Holzschnitzer und andere Künstler herbei, deren Namen uns nicht
mehr bekannt sind. Seine bedeutendsten Werke sind die Stadtkirche
in Bückeburg (S. 123) und das von ihm der Vollendung entgegen-
geführte Mausoleum in Stadthagen (S. 98), in dem seine irdische
Hülle ruht. Durch seiue zahlreichen Bauten und Knnstschöpfnngeu
hat er sich bei alleu Schaumbnrgern eine dankbare Erinnerung bis
aus deu heutigen Tag gesichert.
Nach seinem Tode lebte seine Gemahlin Hedwig 1044) in
Stadthagen. Sie wird dort jedenfalls, da sie reformiert war, die
reformierte Gemeinde begründet haben.
*) Pros. Dr. H anp t-Hannover schreibt in der Zeitschrist für bildende Knnst, N. F. VII. H, 1:
Die heute noch vorhandenen Reste der Knnstschöpsnngen dieses Fürsten, insbesondere in Bückebnrg,
atmen eine so leidenschaftliche Liebe zn den prächtigsten und üppigsten ftlfittelu des Renaissance-
stils, ein so überzeugtes, unwiderstehliches Fortstürmen und Wirken ans dein Wege der Übertragung
italienischer Kriust ins Nordischere, daß man nur hier völlig ermessen kann, welch herrliche, aus
blühende nationale Kunst durch den unglückseligsten aller Kriege erdrückt ist. Dennoch bleiben die
so wenig bekannten prachtvollen Dekorationen des Bückeburger Schlosses und der Stadtkirche, die
schwungvolle Fassade derselben, die Schloßkirche und die Ruinen des Schneckenberges beim Jagd-
schlösse Baum mit die glänzendsten und selbständigsten Arbeiten der späteren deutschen Renaissance
im Wendel Dietterleinschen Geiste.
14. Der 30jährige Krieg (1618 1648).
Die ersten Drangsale. Während der letzten Negierungsjahre
des Grafen Ernst war der schrecklichste aller Kriege in Deutschland
ausgebrochen, jener Krieg, in dein dreißig Jahre hindurch die evan-
gelischen und katholischen Brüder sich als erbitterte Gegner be-
kämpften. Auch unser Land wurde in diesem Kriege schwer heim-
gesucht. An demselben Tage (21. März 1622), an dem Ernst in
dem Mausoleum zu Stadthagen beigesetzt wurde, zog der bayrische
Oberst Fleckenstein, der dein katholischen Kaiser Ferdinand II. diente,
mit seiner zuchtlosen Söldnerschar auf dem Wege nach der Pfalz
raubend und plündernd durch die Vogteieu Lachem und Rinteln.
Damit begannen die Drangsale dieses verheerenden Krieges für die
Grafschaft Schauenburg. Manche Leiden wären uuferer Heimat
damals gewiß erspart geblieben, wenn dem Lande während der
Kriegswirren ein tüchtiger Herrscher vorgestanden hätte. Leider sehlte
aber ein solcher Mann.
Jobst Hermann (1622—1635). Auf Ernst, der kinderlos
verstorben war, folgte ein schwacher Regent, Jobst Hermann. Er
stammte aus der Gehmenschen Seitenlinie des Hauses Schaumburg,
die vou seinem Großvater Justus II., einem Bruder Ottos IV.,
begründet war. (Justus II. hatte zwei Söhne, Heinrich und Georg
Hermann. Jobst Hermann war der Sohn Heinrichs, Georg
Hermann war mit Elisabeth vermählt, der Tochter Simons VI. von
Lippe. Aus dieser Ehe ging der letzte Schanmbnrger Regent hervor,
Otto V.; s. Stammtafel S. 242). Zu ihren Befitzuugeu gehörte
auch die Herrschaft Bergen in Nordholland. Jobst Hermann war
in Gehmen herangewachsen, lebte dort bei seiner Mutter, trieb Wein-
Handel, ackerte, pflügte, fuhr Holz und begleitete die Frachtwagen.
Er bekannte sich weder zur katholischen Kirche, in der er erzogen
— 246 —
War, noch zur evangelischen. Diese unparteiische Stellung hat jedoch
nicht vermocht, das Kriegsunwetter seinem Lande fernzuhalten. Die
mittlere Wesergegend mit ihren befestigten Orten wurde lange Zeit
der Tummelplatz der streiteudeu Heere. So sah die Grafschaft bald
die Kriegsscharen der evangelischen, bald der katholischen Partei.
Beide brachten mit ihren rohen, zuchtlosen Söldnern aus aller
Herren Ländern allemal Schrecken, Elend uud Verwüstung.
Kriegsmuren. Im Februar 1623 fiel Herzog Christian von
Brannschweig (S. 243) in Rinteln ein und verteilte seine Soldaten
in die umliegenden Dörfer. Als er nach Westfalen aufgebrochen
war, bezogen die ihn verfolgenden kaiserlichen Truppen seine ver-
lassenen Quartiere. Schließlich unterlagen Herzog Christian und die
anderen deutschen Fürsten, die sich gegen den Kaiser erhoben hatten.
— Inzwischen war den bedrängten Evangelischen der zun: Kriegs-
obersten über Niedersachseu erwählte König Christian IV. von
Dänemark zu Hülfe gekommen. Dieser rückte im Juni 1625 von
Lüneburg über Stolzenau und Loccum in unser Land ein, suchte
Bückeburg auf und drang dann bis Hameln vor. Als er infolge
eines Unfalls an weiterem Vorgehen verhindert war und sich bald
nach Verden zurückzog, drängte ihm im August der gefürchtete kaiser-
liche Feldherr Tilly, nachdem diefer Hameln und Stolzenau eiu-
genommen hatte, bis vor Nienburg nach, überall sengend und
brennend, raubeud und plündernd. „Was da für ein Elend ge-
wefen, wie die Leute geflohen, alle Straßen in Bückebnrg voll ge-
legen von Menfchen und Vieh, und wie im Lande gehauset, die
Dörfer hin und wieder abgebrannt worden, als Meinsen und andere,
kann nicht ausgeredet werden." Die raubgierigen Landsknechte
durchsuchten die Häuser und uahmeu Geld und Wertsachen an sich.
Die Kirchenbücher und andere wichtige Schriften wurden vernichtet.
Was von den Feldfrüchten nicht mitgenommen werden konnte, wurde
zertreten und lag verdorben am Boden. So brach der Herbst herein.
Viele Scheunen und Keller blieben leer. In solcher Not mußte das
Laud noch einmal den Durchzug des Tillyschen Heeres ertragen, das
der dänische Generalleutnant Obentraut bei Nienburg geschlagen
hatte, um dauu die Truppen des Dänenkönigs aufzunehmen. Tilly
nahm die Feste Kalenberg ein und überfiel darauf mit bedeutender
Übermacht bei Seelze die Dänen, die vollständig geschlagen wurden
und ihreu tapferen Anführer Obentraut verloren. Die Stelle, an
der Obentraut fiel, bezeichnet eine steinerne Pyramide, die im Volks-
munde Abendrots Turm, genannt wird.
Nun erschien auf dem Kampfplatze ein anderer, bald ebenso
gefürchteter Heerführer, Wallen st ein. Dieser stellte dem Kaiser ein
auf eigene Kosten angeworbenes Heer von 30 000 Mann. Dadurch
kamen die Eoaugelifcheu iu noch größere Bedrängnis. Recht schlimm
aber wurde ihre Lage, als Tilly 1626 bei Lutter am Barenberge
(am nw Abhänge des Harzes) über König Christian einen voll-
ständigen Sieg erfocht. Dieser mußte zurückweichen und schließlich
ganz auf den Kampf verzichten.
Die fierrlchaft der Kaiserlichen. Die Feinde, an deren Spitze bei
uns meist Graf Bronsfeld und der Oberst Waldecker erscheinen,
hatten nun freiere Hand. Sie befetzten abermals das Schanmbnrger
Gebiet. Bei ihrem Anrücken flohen viele Landleute mit ihrem Vieh
und dem weuigeu Hab und Gut in die Wälder oder in das be-
festigte Stadthagen. Alsbald wurden dem Laude schwere Koutri-
butioueu (Zwangsstenern) aufgelegt. So mußte ein gemeiner armer
Bürger wöchentlich einen Taler entrichten. Etwa zehn Jahre hin-
durch kam die Grafschaft Schaumburg nicht zur Ruhe. Eiuquar-
tierungen, Braudschatzuugeu und Plünderungen wiederholten sich
Jahr für Jahr. Uberall brach Hungersnot aus. Kein Wunder,
daß bald schwere Krankheiten folgten. Viele Leute starbeu an
der Pest.
In dieser bösen Zeit war unsere Heimat nahe daran, wieder
katholisch zu werden. Ein Zeitgenosse, der Pastor Rimphos in
Wiedensahl, schildert die gefährliche Lage der Evangelischen gegen-
über den Katholiken mit folgenden Worten: „Zum Laude heraus
mit diesem, er ist ein Evangelischer! Man lege dem das Hans
voll Soldaten, man setze den vierfach in Kontribution, man weife
den zum Lande hinaus, man züchtige den mit Skorpionen, der
den Papst und seine Lojoliten (die Jesuiten) verachtet. Mit einem
solchen kann man es nicht zu grob machen." So triumphierten
die Geguer. Bald wurde ihre Anmaßung uoch größer. Der
Kaiser befahl nämlich, daß alle geistlichen Stifter und Klöster,
die erst uach dem Passauer Vertrage (1552) lutherisch geworden
waren, wieder katholisch werden sollten (Restitutionsedikt —
Wiederherstelluugsbefehl vom Jahre 1629). Nun besetzten katholische
Mönche aus Corvey wieder die Stifter und Klöster der Grafschaft
248 —
Schaumburg und suchten auch iu deu übrigen Orten den katholischen
Gottesdienst aufs neue einzurichten. Sie rissen sogar die Güter der
Universität Riutelu au sich und verhöhnten den dortigen Professor
und Superintendenten Josua Stegmann (S. 99) so arg, daß er in
ein Fieber fiel und starb.
Gin Ketter in der Hot. Als Netter in der Not erschien der
Schwedenkönig Gustav Adolf, der den sieggewohnten Tilly 16:31
bei Breitenfeld unweit Leipzig vollständig besiegte. Beim Ubergang
über den Lech wurde Tilly dann nochmals geschlagen und tödlich
verwundet. Im Nov. 1632 traf Gustav Adolf bei Lützen (in der
Nähe Leipzigs) auch mit Wallenstein zusammen. Es entspann sich
eine schwere Entscheidungsschlacht. Die Schweden gingen als Sieger
hervor, ihr König aber hatte sein Leben eingebüßt. Dnrch diesen
Waffenerfolg war die Macht der Feinde wohl gewaltig erschüttert,
aber noch längst nicht gebrochen*).
Die 5chlacht bei stell. Oldendorf. Wichtig wurde das Jahr 1633.
Mit deu Schwedeu hatte sich der Herzog Georg vou Braun-
schweig-Lüneburg verbündet. Sein Plan war, die Wesergegend
von dem Feinde zu säubern. Hier hatte im Winter 1631/32 der
kaiserliche Geueral Pappenheim gehaust und allein aus der Graf-
schast Schaumburg 7000 Taler erpreßt. Der Herzog besetzte zu-
uächst Riutelu und lieferte hier am 2. März im Verein mit dem
schwedischen General Kniphaufeu deu Truppeu Gronsfelds ein
erfolgreiches Treffen. Beide rückten alsdann, nachdem Kniphansen
am 9. März Bückebnrg eingenommen und iu Stadt uud Schloß
Besatzungen zurückgelassen hatte, zur Belagerung der festen
Stadt Hameln vor. Ihnen schloß sich noch der hessische General
Melander an. Da überfiel Gronsfeld am 5. Mai in aller Frühe
Bückeburg, Plüuderte die Stadt und zog mit großer Bente nach
Minden, das sich von vornherein den Katholiken angeschlossen uud
seiue Tore den Truppen Tillys geöffnet hatte. Hier vereinigte er
sich mit dem kaiserlichen General Merode, um Hameln zu befreien.
Auf die Kunde hiervon zogen ihnen die verbündeten Evangelischen,
*) Dem Andenken des Schwedenkönigs ist 1832 ans dem Schlachtselde ein Denkmal gesetzt
und jüngst auch eine Kapelle errichtet worden. Noch besser lebt sein Name in dem 1842
gegründeten Gnstav-Adols'Verein fort, der arme evangelische Gemeinden unter vorwiegend
katholischer Bevölkerung znr Begründung und Erhaltnng von Kirchen und Schnlen nnterstützt und
sich über die ganze Welt erstreckt.
— 249 —
deren Heer aus Schweden, Hessen und Lüneburgern bestand, mutig
entgegen. Bei Hess.-Oldendorf kam es zur Schlacht (28. Juni
1633). Der Feind hatte eine vorzügliche Stellung eingenommen.
Ein erbitterter Kamps entbrannte. Die Truppen der Evangelischen
nahmen sich nicht die Zeit, ihre Musketen wieder zu ladeu, sondern
drangen im heftigsten Handgemenge vor. Während der Schlacht
waren die Oldendorfer Bürger, besonders die Frauen und Kinder,
um ihren Pastor in der Kirche versammelt und flehten Gott um
den Sieg der Protestanten an. Da meldete sich dem Herzog 'ein
Schäferknecht aus Segelhorst, Kurt Meyer, der nachher zum Ritt-
meister ernannt wurde. Dieser erbot sich, da er geländekundig war,
die Reiterei des Herzogs auf Schleichwegen dem Feinde in den
Rücken zu führen. Der Plan gelang. Grenzenlose Verwirrung
war die Folge. Uber die Hälfte der Kaiserlichen bedeckte das
Schlachtfeld. In den Wäldern wurden noch viele Flüchtlinge von
den erbitterten Bauern niedergemacht. Der Rest flüchtete nach
Minden. Merode starb an den erlittenen Wunden in Nienburg.
Der Jubel über den Sieg war so groß, daß ans Anordnung der
Köuigiu von Schweden im ganzen schwedischen Reiche und überall
in Deutschland, wo schwedische Truppen standen, ein feierliches
Dankfest veranstaltet wurde. Der Tag von Oldendorf hat den Fort-
bestand der evangelischen Kirche in unserer Gegend gesichert.
Die folgen des Sieges bei Reil. Oldendorf. Die nächste Folge
des Sieges der Evangelischen bei Hess. Oldendorf war die Über-
gäbe von Hameln am 3. Juli. Aber die Drangsale dauerten fort.
Freund und Feind suchten nach wie vor unser Land schwer heim.
Schon am 2. Juli hatte es die kaiserliche Besatzung von Minden
gewagt, Bückeburg abermals zu überfallen. Zum zweiteu Male in
einem Jahre mußte die Stadt eiue fürchterliche Plünderung über
sich ergehen lassen. Da wandte sich Jobst Hermann an den Herzog
Georg nach Hameln, um Schonung für fein Land zu erbitten. Auf
dem Rückwege wurde er zwischen Arensburg uud Luhden von kaiser-
lichen Reitern überfallen und für einige Tage gefangen nach Minden
geführt. Stadt uud Schloß Bückeburg erhielten nun eine kaiserliche
Besatzung, die erst im Sommer 1634 durch eine förmliche Belagerung
vertrieben werden konnte. In ihre Stelle rückten wieder schwedische
Truppen. Die Not wurde immer größer im Lande. Viele Dörfer
standen öde. Der Ackerbau war in manchen Orten ganz eingestellt.
250 —
Was an Vieh und Korn noch aufzutreiben war, mußte deu Schweden
geliefert werden, die unter Georg von: 10. Juli ab Miuden eiuge-
schloffen hatten. Endlich am 3. Nov. erfolgte die Übergabe von
Minden an die Schweden; die kaiserliche Besatzung von noch etwa
zweitausend Mann zog am 10. Nov. ab. Im Sommer 1635, als
Georg auch die letzte starke Weserfestung Nienburg eingenommen
hatte, war die Wesergegeud eine Zeitlang von Kriegstruppen ge-
räumt, so daß der schon genannte Prediger Rimphof in Wiedensahl
eine Jubel- und Dankpredigt: „Wieder lebendig gewordener Weser-
ström" („Visurgis redivivus") veröffentlichen konnte. Die Grafschaft
hatte jedoch keine Erleichterung, da die verheerenden Durchzüge fort-
dauerten und die Schweden im Lande blieben.
Gtto V. (1635—1640). Am 5. Nov. 1635 starb Jobst
Hermann ohne Erben. In der Regierung folgte ihm Otto V.,
der gleich feinem Vorgänger ans der Gehmenschen Seitenlinie des
Hauses Schaumburg stammte und durch seine Mutter Elisabeth ein
Enkel Simons VI. von Lippe war (S. 242). Er war auf Veran-
lassung seiuer Mutter am Hofe zu Detmold iu der reformierten
Lehre erzogen, die er darum auch in feiner Schloßkirche zu Bücke-
bürg einführte. Bei Übernahme der Regierung fand er ein ver-
wüstetes und entvölkertes Land vor. Da die katholische Partei
wieder im Besitz von Hameln war und die Schweden sich in Minden
festgesetzt hatten, so nahmen auch in Zukunft die Durchzüge und
Einquartierungen, die Braudfchatzuugen und Plünderungen noch kein
Ende. Freund und Feind hausten gleich schrecklich im Laude. Die
Dörfer wurden ausgeplündert, das Vieh und Getreide geraubt, die
Häuser eingeäschert, die Saaten abgemäht oder zertreten, die Be-
wohner mißhandelt und zum Kriegsdienst gezwungen und die Fliehen-
den uiedergeschosseu. Dazu kamen hohe Kriegssteuern und Lieferungen
in die Lager der Truppen. Am härtesten aber trieb es Herzog
Georg, der sich inzwischen mit anderen deutschen Fürsten verbunden
hatte, die Schweden ans Deutschland zu verjagen. Da er mit Otto
wegen des Amtes Lauenau in Streitigkeiten geraten war, so rückte
er am 20. September 1636 in Bückeburg mit einem starken Heere
ein, das in deu nächsten Tagen das ganze Land fürchterlich ver-
wüstete. Am schwersten hatte die Umgegend von Bückeburg zu leiden.
In Jetenbnrg und den anderen umliegenden Dörfern blieb nicht
eine Haudvoll Strohes; den Leuten wurden Fenster, Haus- und
— 251 —
Stubentüren genommen, die Häuser mutwillig niedergerissen ltnb
beschädigt und selbst die Gartenzäune zerstört. Diese grausame Be-
Handlung währte bis zum 23. Oktober. Es war der härteste Schlag
während des langen Krieges. Als nun der Winter ins Land kam,
stellte sich infolge der vielen Entbehrungen auch noch die Pest ein.
Die Kirchenbücher aus der Zeit des Krieges (z. B. das Oldendorfer)
weisen für den Winter 1638/37 eine besonders hohe Sterblichkeit-
ziffer auf. Viele Bewohner flüchteten. Auch Otto hatte das Land
verlassen und hielt sich zu Gehmen aus. Als er im März 1637
nach Bückeburg zurückkehrte, wurde er von kaiserlichen Soldaten ge-
fangen genommen. In Lemgo, das von den Kaiserlichen stark be-
setzt war, hielt man ihn bis zum 29. April in engem Gewahrsam.
Das schaumburgische Land wurde auch in den folgenden
Jahren von fortwährenden Truppendurchzügen, Kontributionen und
Lieferungen hart mitgenommen. Bald sah es Schweden, Pfälzer,
Hessen und Lüneburger, bald Kaiserliche. Besonders litten Bücke-
bürg und Stadthagen und deren umliegende Dörfer. Im Winter
1638 war Stadthagen so mit Kriegsvolk belegt, daß „die Bürger
zur Armut sind gebracht worden." Obgleich das Land sehr er-
schöpft war, mußte es dennoch 300 Fuder Korn nach Minden
liefern und die wöchentliche Kontribution (etliche tauseud Taler)
entrichten. Die Kontributionen waren eine ganz besonders schwere
Last, zumal sie mit großer Härte eingetrieben wurden, „mit Ge-
sängnis und Hinwegführung vornehmer Leute, Hinwegraubung des
Viehes und Ausplünderung armer Leute." Recht traurig war das
Weihuachtsfest 1638 für Stadthagen. Am Tage vorher hatten dort
die Schweden unter dem General King alle Häuser, aus denen die
Leute entlaufen waren, niedergerissen und dadurch die halbe Stadt
wüste gelegt. Erst im uächsteu Winter wurde es stiller im Lande.
Kriegssteuern aber wurden nach wie vor eingezogen.
Mitte Oktober 1640 weilte der schwedische General-Feldmar-
schall Baner mit seinem Stabe (Torstenson, Wrangel uud Königs-
mark) in Bückeburg. Wieder wurde das Land ausgesogen. Es
mußte 1500 Fuder Korn und 500 Fuder Hafer nach Minden
liefern, außerdem eine starke Kriegssteuer sowohl uach Minden als
auch nach Lemgo zahlen. Am 28. Oktober brach Baner nach Hildes-
heim auf. Graf Otto V. schloß sich ihm an, um Schouuug für fein
Land auszuwirken. Dort nahm er an einem verhängnisvollen Gast-
_ 252 _
mahl teil. Schon nach einigen Tagen traf er krank wieder in
Bückeburg ein und starb am 15. November 1640. Mit ihm er-
losch das alte Geschlecht der Schaumburger Grafen im
Mannesstamm.
Die letzten Kriegsjabre. Der U)eftfälild>e friede. Nach Ottos V.
Tode nahmen die Kriegsdrangsale in der Grafschaft mit geringen
Unterbrechungen ihren Fortgang. Die Kriegssteuern an Schweden
und Kaiserliche hörten vor Beendigung des Krieges überhaupt uicht
mehr auf. Schwedische, hessische und weimarische Truppen, denen
sich noch französische angeschlossen hatten, durchstreiften das Land
nach Beute und verwüsteten die Dörfer. Im Jahre 164.3 wurden
in Meinsen von schwedischen Reitern 6 Häuser in Brand gesetzt.
In demselben Jahre weilte der schwedische Reichsverweser Oxenstierna
zweimal in Bückeburg, um dann an den eingeleiteten Friedensver-
handlungen in Münster und Osnabrück teilzunehmen. Nach jähre-
langen Verhandlungen wurde endlich am 24. Oktober 1048 der
Westfälische Friede in Münster unterzeichnet. Aber die Kriegs-
Völker verließen unser Laud nicht so bald. Die Kaiserlichen verab-
schiedeten sich vier Wochen nach dem Friedensschlüsse mit einer
letzten Greueltat; sie plünderten Kirchhorsten und Bergdorf aus.
Die Schweden räumten erst im November 1649 das Schloß Bücke-
bürg, iu dem sie fast neun Jahre als Herren sich eingerichtet hatten.
Die folgen des Krieges. Unser Land hatte gar lange an den
Folgen dieses schrecklichen Krieges zu leideu. Die Felder waren
verwüstet, das Vieh war geraubt, die Ortschaften waren entvölkert,
viele Wohnstätten niedergebrannt oder beschädigt. Handel, Verkehr
und Handwerk lagen danieder. Infolge der starken Kriegssteuern
und häufigen Plünderungen fehlte es an Geldmitteln. Noch
schlimmer aber war, daß während des langen Kriegslebens Gottes-
furcht und gute Sitten geschwunden waren. Die unter den Kriegs-
greneln herangewachsene Jugend war verdorben. Viele Erwachsene
waren der Arbeit entwöhnt und legten sich aufs Betteln oder gar
aufs Rauben. Der Aberglaube hatte durch das Lagerleben des
Krieges neue Nahrung erhalten. Der Soldat wollte viele geheime
Mittel kennen, die ihn gegen Verwundung oder Tod schützen sollten.
Mit dein Aberglauben nahmen aber auch die Hexeuversolgung und
der Gebrauch der Folter wieder zu (s. Areusburg S. 118). Viel
Arbeit erwuchs damals den evangelischen Geistlichen. Aber sie hielten
— 253
standhaft aus. Mitten in den Drangsalen des Krieges entstanden
viele herrliche Kirchenlieder, die heute zu deu Kernliedern unserer
Kirche gehören, auch manche liebliche Kirchenmelodien. Joh.
Heermann dichtete n. a. „O Gott, du frommer Gott", Josua
Stegmann sang uns sein „Ach, bleib mit deiner Gnade", Paul
Flemmiug sein „In allen meinen Taten", Martin Rinkart gab
uns das erhebende Lob- und Danklied „Nun danket alle Gott", der
fromme Herzog Wilhelm II. von Sachfen-Weimar das köstliche
Sonntagslied „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend", Heinrich
Alberti das bekannte Morgenlied „Gott des Himmels und der
Erden" und Valentin Thilo das schöne Adventslied „Mit Ernst,
o Menschenkinder". Diesen und anderen solgte Paul Gerhardt,
unser größter Kircheulieddichter neben Luther. Durch seine zahl-
reichen volkstümlichen Gesänge, von denen mehr als 30 in nnserm
Gesangbuche aufgenommen sind, weckte er wieder frische Glaubens-
srendigkeit uud wahres Bekenntnis.
15. Teilung der Grafschaft Schaumburg.
Die ausmiirtigcn Kesttzungen. Die Wirrnisse des langen
Krieges waren für die Grafschaft Schaumburg dadurch noch fühlbarer
geworden, daß die Regierung des Landes nicht in den Händen kräf-
tiger und erfahrener Herrscher lag. Nach einem schwachen Regenten
war eiu recht jugendlicher gefolgt. Am schlimmsten aber war, daß
die Grafschaft Schaumburg im Jahre 1040 nahe oor einer Auflösung
stand, da männliche Erben nach dem Ableben Ottos V. nicht vor-
Händen waren. Nur durch die geschickt und vorsichtig geführten
Verhandlungen der Gräfin Elisabeth, der Mutter Ottos, die als
einzige gesetzliche Erbin das Laad sofort in Besitz genommen hatte,
wurde diese Gefahr abgewehrt. Leider konnte sie aber eine Teilung
des viele Jahrhuuderte hindurch vereinten und ziemlich bedeutenden
Gebietes uicht verhindern. Die Grafschaft Schaumburg umfaßte
damals außer dem jetzigen Fürstentum Schaumburg-Lippe und dem
Kreise Grafschaft Schaumburg uoch die Grafschaft Piuueberg in
Holstein, die Herrschaft Bergen in Holland, Gehmen in Westfalen,
die Grafschaft Sternberg in Lippe und das Amt Lauenau. Um nun
ihren berechtigten Erbansprüchen, die ihr von verschiedenen Seiten
streitig gemacht wurden, in der bewegten Kriegszeit mehr Geltung
31t verschaffen, übertrug Elisabeth 1643 ihre sämtlichen Rechte auf
ihren Bruder, deu Grafen Philipp zur Lippe, dem sie bis zu
ihrem Tode (1646) als Mitregeutiu zur Seite stand. Das Schicksal
der auswärtigen Besitzungen war schon früher ohne Widerspruch auf
gütlichem Wege schnell entschieden worden. So war 1641 die Graf-
schast Pinneberg gegen eine Entschädigung vou 145 060 Taleru iu
deu Besitz des Königs von Dänemark gelangt und die Herrschaft
Bergen verkauft worden, während Gehmen den erbberechtigten Gra-
fen von Limburg überlassen wurde uud die Grafschaft Sternberg an
Lippe fiel.
— 255 —
Das Stammland. Schwieriger und langwieriger ging die
Teilung des alten Stammlandes an der Weser vor sich. Braunschweig
zog das Amt Lauenau mit Mesmerode und Bokeloh als erledigtes
Lehen ein; Hessen forderte die ihm zu Leheu aufgetragenen Amter
Rodenberg, Hagenburg und Arensburg; das Bistum Minden endlich
erhob Ansprüche auf die Amter Schaumburg, Sachseuhageu und
Stadthagen, wurde aber damit abgewiesen. Nach langen VerHand-
lnngen (PH. hatte sich inzwischen im Jahre 1644 mit Sophie, Tochter
des Landgrafen Moritz von Hefsen-Kassel, vermählt) einigten sich
schließlich 1647 der Landgraf von Hessen und Graf Philipp zur Lippe
dahiu, daß die ganze Grafschaft Schaumburg geteilt werden sollte.
Brannfcheig behielt die schon in Besitz genommenen Amter. Hessen
erhielt den jetzigen Kreis Grafschaft Schaumburg, nämlich Schaum-
bürg und Rodenberg mit den Städten Rinteln, Obernkirchen, Roden-
berg und Oldendorf, fowie einen Teil des Amtes Sachsenhagen.
Dem Grafen Philipp verblieb nur das heutige Fürstentum Schaum-
burg-Lippe, also das Gebiet, das die Amter Bückeburg, Arensburg,
Stadthagen und einen Teil des Amtes Sachfenhagen umfaßte. Dieser
Teilungsvertrag wurde im Frieden zu Münster bestätigt. Die Uni-
versität Riutelu und die Weserzölle blieben anfangs zwischen Hessen
und Schanmbnrg-Lippe gemeinsam und sind erst später (1665 und
1734) gegen Entschädigung an Hessen abgetreten; das Obernkirchener
Steinkohlenbergwerk aber ist bis auf deu heutigen Tag gemeinschaft-
liches Eigentum geblieben.
— 256 —
16. Die Grafschaft 5chaumburg-Lippe bis 1777.
Philipp (1043—1681). Uber den n Gebietsteil der früheren
Grafschaft Schaumburg herrschte nun Philipp als erster Graf zu
Schaumburg-Lippe. Der Doppelname für den ihm zugefallenen
Anteil erinnert sowohl an die alte Zugehörigkeit zur früheren Graf-
schaft, als anch an den Ursprung dieses ersten Landesherrn. Philipp
war der jüngste Sohn des Grafen Simon VI. zur Lippe (S. 242)
und hatte als Glied des lippischen Hauses seit 1613 das Amt
Alverdissen besessen. Er ist der Stammvater der Linie Schaum-
bürg-Lippe-Alverdissen.
Philipp
(1643—1681)
Altere Linie Jüngere Linie
Schaumb.-Lippe-Alverdissen
Friedrich Christian Philipp Ernst
(1681—1728) |
I I
Albrecht Wolfgang Friedrich Ernst
(1728—1748) |
I I
Wilhelm Philipp Ernst
(1748—1777) (1777—1787)
Philipps Regierung hatte im Anfange unter den traurigen
Ereignissen uud Folgen des 30jährigen Krieges schwer zn leiden.
Der Gras war aber nnermüdet tätig, den Wohlstand des Landes
allmählich wieder zu heben. Er hielt auf strenge Zucht und
Ordnung, die in dem langen Kriege sehr gelitten hatten, und förderte
das Kircheu- und Schulweseu durch mehrere Erlasse. So ordnete
er besonders an, daß auch aus dem Lande an bequemen Orten
Schulen errichtet würden und daß die Kinder Winter und Sommer
zum Schulbesuch anzuhalten seien. Bis dahin wurde in unseren
Volksschulen jedenfalls nur im Winter Unterricht erteilt. Es ist an-
zunehmen, daß infolge dieser Verordnung damals mehrere unserer
Landschulen gegründet wurden (S. 90). Im Jahre 1668 führte
Philipp das Erstgeburtsrecht in seinem Hause eiu, auch stiftete er
1670 das reformierte Waisenhans zu Bückeburg (S. 127).
Friedrich Christian (1681—1728). Es folgte ihm in der
Regierung sein ältester Sohn Friedrich Christian. Dieser hatte
in seiner Jugend große Reisen durch Holland, Frankreich, Italien
und Deutschland gemacht und daran solches Vergnügen gefunden,
daß er sich mehr im Auslande als in der eigenen Heimat aufhielt.
Ju den Jahren 1674 bis 1678 beteiligte er sich auf Seite des Großen
Kurfürsten an dem Kriege Brandenburgs gegen Schweden, in welchem
die damals schwedischen Festungen Stettin, Stralsund und Greifswald
erobert wurden. Auch nach der Übernahme der Regierung setzte er
seine Reisen fort. Jedoch wandte er der Kirche und der Schule große
Sorgfalt zu. Er verschärfte 1713 die Bestimmungen über den Un-
terricht, indem er von einem 6jährigen Schulbesuch die Konfirmation
abhängig machte. Auch stiftete er den Kirchenbansonds, aus dem die
Gemeinden Beihilsen zu Bauten und Reparaturen kirchlicher Gebäude
erhalten. Von ihm wurde 1686 das jetzige Hagenburger Schloß er-
baut (S. 61). Seine Gemahlin Johanne Sophie, eine Reichsgräfin
von Hohenlohe-Langenbnrg, nahm von 1702 ab ihren Wohnsitz in
Hannover und lebte seit 1714 mit ihren beiden Söhnen am könig-
lichen Hofe zu London. Erst nach dem Tode ihres Gemahls kehrte
sie ins Land zurück auf ihren Witwensitz in Stadthagen. Sie stiftete
1738 das lutherische Waisenhaus zu Stadthagen (S. 103) und tat
auch sonst im Verein mit dem Oberprediger und Superintendenten
Hauber zu Stadthagen viel zur Belebung der Kirche und zur Be-
tätigung des christlichen Lebens.
Albrecht Molfgang (1728—1748). Aus Friedrich Christian
folgte deffen Sohn Alb recht Wolfgang, der unter den Augen fei-
ner Mutter in Hannover aufgewachsen war und eine sorgfältige Er-
ziehung erhalten hatte. Nachdem er die damals berühmte Fürsten-
schule in Wolsenbüttel nnd darauf die Universitäten zu Utrecht, Genf
und Leyden besucht hatte, lebte er bei seiner Mutter in London. Hier
vermählte er sich im Jahre 1721 mit der Reichsgräfin Margarete
Gertrud von Oeynhausen. Diese Ehe war jedoch von kurzer Dauer.
Während seiner Wirksamkeit als Gesandter Englands am kurpsäl-
zischen Hofe zu Mannheim starb die Gräfin (1726); sie wurde an-
sänglich auch in Mannheim beigesetzt und erst am 1. Nov. 1728 in
das Erbbegräbnis zu Stadthagen überführt. Dort sieht man rechts
vom Altar ihr Grabdenkmal, das der Bremer Bildhauer Frese aus-
geführt hat (S. 98). Der Graf vermählte sich zum zweiten Male
— 258 —
im Jahre 1730 mit der verwitweten Fürstin zu Anhalt-Köthen und
bereiste später Frankreich, wo er am Hose Ludwigs XV. weilte, dessen
Üppigkeit und Prachtliebe er zu seinem Nachteil kennen lernte.
In den letzten Jahren seiner Regierung sand er Gelegenheit,
seinen kriegerischen Mut zu betätigen. Damals brach um die Erb-
folge in Osterreich ein Krieg aus. Dort führte Maria Theresia
nach dem Tode ihres Vaters, der keine männlichen Erben hinter-
lassen hatte, die Regierung. Mit den Hilfstruppen, die England
und Holland der österreichischen Herrscherin stellten, zog auch Albrecht
Wolfgang hinaus in den Kampf, begleitet von seinem Sohne Wil-
Helm, den wir als seinen Nachfolger noch näher kennen lernen
werden. Die Gegner Maria Theresias, Frankreich und Bayern,
waren bereits mit bedeutenden Truppen in die österreichischen Staaten
eingefallen. Die Verbündeten stießen mit dem Hauptheere der Frau-
zofeu am Main zusammen und besiegten es 1743 bei Dettingen nn-
weit Aschaffenburg. Die Franzosen setzten ihren nutzlosen Krieg noch
einige Jahre in den Niederlanden fort. Dort trat ihnen Albrecht
Wolfgang als Führer eines Regiments in mehreren Schlachten rühm-
reich entgegen (1745 bei Fontenoy, 1746 bei Raucoux, wo er durch
eine Kugel verwundet wurde, und 1747 bei Laffeld).
Trotz feiner kriegerischen Unternehmungen uud seiner Vorliebe
für Prachtentfaltung am Hofe vernachlässigte er seine Regenten-
pflichten nicht. Vor allem war er ein großer Freund der Armen
und Kranken, der Witwen und Waisen, deren Not er nach besten
Kräften zu lindern suchte. Er überwies wiederholt ansehnliche
Summen zur Verteilung an jene Bedrückten und stiftete zu
ihrer Versorgung das Pflegehaus in Bückeburg. Neben dem Ge-
snndbruunen in Stadthagen, der im Jahre 1734 entdeckt wurde,
ließ er mehrere Gebäude errichten. Auch überwies er die dortige
ehemalige Klosterkirche der reformierten Gemeinde daselbst (S. 99).
Unter ihm ist der Ostflügel des Schlosses zu Bückeburg neu ausgebaut,
nachdem er in der Nacht zum 21. Febr. 1732 vollständig uiederge-
bräunt war. Die Stadt Bückeburg versorgte er mit einer Wasser-
leitnng, baute ihr die jetzige Knabenschule ueu aus (S. 126) und förderte
die weitere Ausdehnung des Ortes. Mit besonderem Eifer sorgte er
sür die geistige Hebung des Volkes. Deshalb wandte er der Volks-
schule große Aufmerksamkeit zu. Er suchte durch gesetzliche Be-
stimmungen das Schulwesen in gute Verfassung und Ordnung zu
— 259 —
bringen, indem er im Jahre 1733 eine Landschulordnung erließ, die
zuerst genaue Bestimmungen über Schulpflicht, Unterrichtszeit, Lehr-
fächer, Ferien, Absentenlisten, Schuldienst, Inspektion und Annahme
von Lehrern enthielt. Auch den Lehrern und Schülern wandte er
seine Fürsorge zu. Er starb in einem Alter von 49 Jahren. Von
seinen beiden Söhnen war der ältere schon vor ihm gestorben, so
daß ihm in der Regierung sein zweiter Sohn Wilhelm folgte.
Wilhelm (1748—1777). Graf Wilhelm, dessen Namen jeder
Schanmbnrg-Lipper neben dem des Fürsten Ernst mit berechtigtem
Stolz nennt, kam im Alter von 24 Jahren zur Regierung. Er
war am 9. Jan. 1724 zu London geboren. Zu seiner Ausbildung
wurde er nach Gens und auf die Universitäten Leyden und Mont-
pellier geschickt. Bei hervorragenden geistigen Anlagen erwarb er sich
durch gewissenhaften Fleiß und unermüdliche Tätigkeit bedeutende
Kenntnisse. Seine liebste Beschäftigung waren die Kriegswissenschaften.
Durch längeren Aufenthalt in Italien bildete er sich darin weiter aus.
Das Kriegsleben hatte er schon als Jüngling in der Schlacht bei
Dettingen und zwei Jahre später im österreichischen Heere in Italien
kennen gelernt. Die dort gewonnenen Eindrücke sind auf sein ferneres
militärisches Streben und Wirken von großem Einfluß gewesen.
Er wandte sein ganzes Leben hindurch dem Militärwesen seine be-
sondere Aufmerksamkeit zu. Unter ihm wurde Schaumburg-Lippe
ein Militärstaat, indem er ein wehrhaftes Volk heranbildete. Da
jeder waffenfähige Untertan in Zeiten der Gefahr zur Landesver-
teidignng verpflichtet fei, so sollte er auch als Soldat eingestellt und
ausgebildet werden. Die Geistlichen des Landes mußten deshalb
jährlich ein Verzeichnis der militärdiensttauglichen Leute an die
Amter einreichen, auch angeben, wieviele Leute zwischen dem 14.
und 50. Lebensjahre kriegstüchtig waren und wieviele im äußersten
Notfalle als Soldaten eingestellt werden konnten. Jeder Waffen-
fähige Mann hatte eine bestimmte Zeit bei der Fahne zu dienen,
ohne auf die Dauer feinem bürgerlichen Berufe entzogen zu sein.
Die ausgebildete Mannschaft (Reserve) übte sich im Frühjahr und
Herbst drei Monate lang an Sonntagen im Exerzieren und Scheiben-
schießen. So führte Graf Wilhelm in seinem Lande die allgemeine
Wehrpflicht ein, deren Entdecker und Schöpfer er mit Recht ge-
nannt wird.
17*
— 260 —
Schon in wenigen Jahren konnte er eine ansehnliche Truppe
heranbilden. Im Jahre 1751 errichtete er ein Grenadierregiment
zu 8 Kompagnien, 1752 ein 3—400 Mann starkes Artilleriekorps,
mit dem er später ein Ingenieur- uud Mineurkorps oerband, und
1753 das aus 75 Reiteru und 50 Fußjägern bestehende Karabinier-
korps. Im ganzen zählte seine nur aus Laudeskiuderu bestehende
Truppe etwa 1600 Mann und 28 bespannte Geschütze. Große Sorg-
falt verwandte der Graf auf die Ausbildung und Ausrüstung seiner
Soldaten, die darum zu den besten seiner Zeit gezählt werden.
Daneben richtete er sein Augenmerk auf die Anlage befestigter Ver-
teidiguugswerke (Forts) zum Schutze des Landes und seiner Be-
wohner. — Die Uniform der Karabiniers wurde bis zum Tode des
Fürsten Adols Georg (1893) von der vormaligen Leibwache im
Residenzschlosse zu Bückeburg getragen. Zahlreiche Waffen und Aus-
rüstungsstücke sind noch aus dem Wilhelmstein vorhanden.
In seinen Bestrebungen wurde Graf Wilhelm bald vielen
deutschen Fürsten ein leuchtendes Vorbild. Gab es doch damals
einige Regenten, deren Soldatenliebhaberei in Spielerei ausartete
und den Wohlstand ihrer Länder zu Grunde richtete, und selbst
solche, die durch den Verkauf ihrer Truppen sich Geldquellen zu er-
öffnen suchten! Graf Wilhelm dagegen hatte bei all feinen Unter-
nehmungen ausschließlich das Wohl des Staates im Auge. So ist
auch sein Verbot aufzufafsen, daß seine Untertanen sich nicht für
fremde Staaten anwerben lassen sollten, wie es damals üblich war.
Die Ausgaben für sein verhältnismäßig sehr zahlreiches Militär
bestritt er zum großen Teil aus seinen eigenen bedeutenden Ein-
künften, so daß das Land dadurch nicht bedrückt wurde. Dafür
verzichtete er auf die an manchen Höfen entfaltete Pracht, die man
leider zu jener Zeit dem französischen Königshofe gern nachmachte.
Einfache Hofhaltung und fparsame Landesverwaltung zeichnen über-
Haupt seine ganze Regieruugszeit aus.
Die militärischen Pläne und Einrichtungen des Grafen er-
wiesen sich bald als wertvoll uud nützlich und sind darum auch von
grundlegender Bedeutung sür die spätere Neugestaltung des preußischen
Heerwesens geworden. Sein tätiger Anteil am 7jährigen Kriege
(s. folg. Kap.) und feine militärischen Erfolge und Einrichtungen in
Portugal (S. 50) haben seinen Ruhm dauernd begründet. An jene
Kriegstätigkeit erinnern zwei von ihm angelegte Befestigungen,
— 261 —
nämlich das Fort Georg auf dem Klütberge bei Hameln und das
portugiesische Fort de la Lippe an der spanischen Grenze. Ein
drittes Werk dieser Art ist in unserm eigenen Lande vorhanden;
es ist der Wilhelmstein im Steinhuder Meere. Aus der dort vom
Grafen errichteten Kriegsschule ist der berühmte General Scharnhorst
hervorgegangen.
Ganz besonders galt des Grafen Fürsorge auch dem Wirt-
schaftlichen Aufschwünge seines Landes. Er arbeitete zahlreiche
Vorschriften und Anweisungen aus, wie der Acker- und Wiesenbau
und dergl. zu heben sei; über die Erfolge forderte er sorgfältige
Berichte ein. Auch setzte er Versammlungen angesehener Hauswirte
aus Stadt und Land an, um über gemeinnützige Angelegenheiten
frei zu beraten. Viel ödes Land wurde urbar gemacht und für den
Ackerbau gewonnen. Die Obstbaumzucht wurde auf seine Anordnung
hin eifrig gefördert. Seinen verdienten Soldaten schenkte er Wohn-
Häuser uud Ackerland. Die herrschaftlichen Vorwerke ließ er als
Pachtländereien vereinzeln, um eine beffere Bewirtschaftung zu
erzielen. Kleineren Leuten überwies er Land zur Ansiedelung
und befreite sie für bestimmte Zeit vou Abgaben und sonstigen
Lasten. Auch die Lage der damals sehr bedrängten Bauern suchte
er zu bessern, indem er die Frondienste abschaffte, so daß sie künftig
für ihre dem Staate geleistete Arbeit bezahlt wurden. Neben der
Landwirtschaft förderte er Gewerbe und Industrie durch mehrere
Anlagen. So entstanden auf dem Lande Ziegeleien, in Steinhude
eine Schokoladen- und Damastfabrik, bei der Arensburg ein Eifen-
Hammer und eine Papiermühle, in Bückeburg eine Gießerei, die
damals zu den vorzüglichsten Deutschlands zählte, und noch manche
andere Einrichtungen. Besonders hob er Spinnerei und Weberei
im Lande. Für die Handwerker errichtete er eine Vorschußkasse,
aus der fleißige Meister Geld zinsfrei geliehen erhielten. Eine von
ihm gegründete Brandversicherungskasse gewährte Unterstützungen bei
Feuerschaden. Große Geldsummen setzte er für die Verpflegung
armer Leute aus. Auf allen Gebieten eiferte er durch Belohnungen
und Auszeichnungen an, um ein wirtschaftlich tüchtiges Geschlecht
zu erziehen. Er wurde darum nicht nur als Feldherr, sondern auch
als Landesvater von seinen Untertanen bewundert und geliebt.
Bei all dieser vielseitigen Tätigkeit war er ein eifriger Freund
und Förderer von Kunst und Wissenschaft. Er felbst strebte auf
— 262 —
allen Gebieten des Wissens vorwärts. Darum zog er hervorragende
Männer an seinen Hof, wie den Rintelner Professor Abbt, den
Gelehrten und Schriftsteller Herder und den Musikkünstler Bach
(S. 130). Die Bildung des Volkes sörderte er durch Verteilung
belehrender Schriften, namentlich aber durch Verbesserung des Schul-
Wesens. Er ließ gute Lehrbücher einführen und ordnete an, daß
der Unterricht mehr Gewicht auf Verständnis und auf die Bedürf-
nisse des Lebens legen sollte.
Gegen Ende seiner ruhmvollen und segensreichen Regierung
wurde Graf Wilhelm von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht,
die er jedoch mit stiller Ergebung zu tragen wußte. Im Jahre 1774
mußte er den Tod seines einzigen sast dreijährigen Töchterchens be-
klagen und schon 2 Jahre später den Heimgang seiner erst 32jährigen
Gemahlin, einer Gräfin zu Lippe-Biesterfeld, mit der er seit 1765
in kurzer, glücklicher Ehe gelebt hatte. Schnell ging nun auch sein
Leben zu Ende. Er starb am 10. Sept. 1777 auf Bergleben bei
Wölpinghausen im Alter von fast 54 Jahren. In dem von ihm
erbauten Mausoleum beim Jagdschloß Baum im Schaumburger Walde
fand er neben Gemahlin uud Tochter seine letzte Ruhestätte.
— 263 —
17. Der 7jährige Krieg (1756 — 1763).
Vorgeschichte. In die Zeit des Grafen Wilhelm fällt der
7jährige Krieg, der auch von unserm Lande schwere Opfer verlangte.
Der große Preußenkönig Friedrich II. (1740—1786) hatte Schlesien
gewonnen. Um dieses Land wieder an sich zu bringen, schloß
Österreichs Herrscherin Maria Theresia mit Rußland, Frankreich
und sogar mit Schweden Bündnisse. Auch das deutsche Reich mit
seinem Heere, das von verschiedenen deutschen Ländern, Reichsstädten
und Klöstern zusammengebracht war, trat diesen feindlichen Mächten
bei. So sah also Friedrich der Große halb Europa gegen sich.
Auf seine Seite stellte sich aber ein einflußreicher Bundesgenosse, der
König Georg II. von England, der zugleich Kurfürst von
Hannover war. Damals führte England mit Frankreich wegen
gegenseitiger Grenzstreitigkeiten in Nordamerika Krieg, so daß Georg
sein Heimatland Hannover gegen diesen Feind sichern mußte, der
denn auch bald mit gewaltigen Heeren gegen Niedersachsen vorrückte.
Der Krieg in Niedersachsen. Während Friedrich im Osten
des Reiches sich seiner Feinde zu erwehren hatte, kämpfte hier im
Westen das Heer seiner Verbündeten, das aus einigen preußischen,
hauptsächlich aber aus englisch-hannoverschen, hessischen, gothaischen
und braunschweigischen Truppen bestand. Diesem Bundesheere schloß
sich auch infolge eines mit England 1756 eingegangenen Vertrages
Graf Wilhelm mit feiner trefflich vorgebildeten Schar zur Unter-
stütznng Preußens an. Es wurde von dem unfähigen Herzog von
Cnmberland befehligt, einem Sohne des Königs Georg II. von
England.
Im Frühjahr 1757 war eine französische Armee plündernd
uud verwüstend durch Rheinland und Westfalen bis zur Weser vor-
gedrungen, um Hessen und Hannover zu gewinnen. Cnmberland
— 264 —
stellte sich ihr am 26. Juli bei Hastenbeck unweit Hameln entgegen.
Schon neigte sich ihm der Sieg über die weit größere Macht der
Feinde zu, als er plötzlich den Rückzug befahl, um Stade zu decken.
Den nachdrängenden Franzosen fiel nun Hameln, dann auch Minden
ohne Schwertstreich in die Hände. Entrüstet rief Friedrich seine
preußischen Truppenteile von dem verbündeten Heere ab. Mit dem
Rest ließ sich Cumberlaud zwischen Weser und Elbe so in die Enge
treiben, daß er die schimpfliche Übereinkunft zu Kloster Zeven
bei Bremen einging, sein Heer aufzulösen. Hannover, Hessen und
Braunschweig waren nun den Franzosen preisgegeben, die das be-
setzte Land ans alle Weise bedrückten und ausplünderten.
Als aber am Schlüsse des Jahres 1757 Friedrichs Haupt-
armee bei Roßbach und Lenthen glänzende Siege erfochten hatte,
faßte England Mut, jene schmachvolle Übereinkunft von Zeven zu
verwerfen und Friedrich aufs neue kräftig zu unterstützen. Das
englisch-hannoversche Heer wurde verstärkt, und Georg II. erbat sich
sür dasselbe von Friedrich einen tüchtigen Feldherrn. Friedrich
schickte daher den Herzog Ferdinand von Braunschweig, den
Bruder der Königin. Dieser überfiel schon im Februar 1758 die
Frauzoseu in ihren Winterquartieren und rückte von Lüneburg über
Nienburg und Stadthagen auf Minden vor, das er vollständig ein-
schloß. Graf Wilhelm, der seinem Stabe als Generalfeldzengmeister
zugeteilt war, leitete die Belageruugsarbeiteu mit bewnuderungs-
würdiger Geschicklichkeit. Am 14. März wurde die Festung
Minden den Belagerern übergeben. Die etwa 4000 Mann
starke französische Besatzung gab sich kriegsgefangen. Die Franzosen
räumten nun auch Hameln und andere Plätze an der Weser und
wurden bis an den Rhein zurückgetrieben. Auch Friedrich hatte
trotz mancher Mißgeschicke günstige Erfolge erzielt.
Im Verlaufe des Jahres 1758 war Graf Wilhelm durch eine
kaiserliche Verordnung aufgefordert worden, mit seiner Truppe von
Friedrich dem Großen sich zu treuneu und dem Reichsheere beizn-
treten, widrigenfalls er in die Reichsacht (d. h. für vogelfrei) erklärt
würde. Mutig und unerschrocken rechtfertigte aber der Graf in einem
ausführlichen Schreiben an die Reichsverfammluug seinen Stand-
Punkt. Er erklärte, daß er durch seinen Vertrag mit England ver-
pflichtet sei, seine Truppen der englischen Regierung in Hannover
— 265 —
zu stellen, zumal ihm die französische Heeresleitung auf seine An-
frage erwidert habe, er würde feindlich behandelt werden. Diesem
Entschluß blieb er auch ferner treu.
So kam das Jahr 1759 heran. Wieder wurde auf beiden
Seiten eifrig gerüstet. Die Franzosen stellten zwei Heere aus, das
eine unter dem Marschall Contades am Niederrhein, das andere
unter dem Herzog von Broglio am Main. Im Frühjahr eröffnete
Ferdinand deu Feldzug, wurde aber bei Frankfurt a. M., das die
Franzosen während des Winters besetzt hatten, zurückgeschlagen. Die
beiden feindlichen Heere vereinigten sich nun und drangen nach West-
falen vor. Ferdinand mußte vor ihnen zurückweichen, so daß An-
fang Juli fast ganz Westfalen in den Händen der Franzosen war.
Ein Teil der Verbündeten, darunter die berühmten Karabiniers des
Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe, hielt sich bei Lippstadt,
während die Hauptarmee Ferdinands bei Münster und Osnabrück
stand. Ohne Widerstand drangen die Franzosen durch die Porta.
Broglio überrumpelte am 9. Juli das uur schwach geschützte
Minden, besetzte Bückeburg und bezog hier ein Lager. Nun eilte
Herzog Ferdinand mit seiner Hauptarmee an die Weser heran.
Schon am 14. Juli tras er in Stolzenau ein, rückte dann bis
Petershagen vor und setzte sich in den benachbarten Weserdörsern
fest, um sich auf eine entscheidende Schlacht vorzubereiten.
Die Schlacht bei Minden am 1. Ang. 1759. Herzog
Ferdinand konnte seine Vorkehrungen zur Schlacht in aller Ruhe
treffen. Das hatte er einem einfachen Bürgersmann aus Minden
zu danken, Jobst Heinrich Lohrmann. Marschall Contades hatte
nämlich von dem Bürgermeister zu Minden einen zuverlässigen
Boten verlangt, der dem in Hersord stehenden Herzog von Brissac
ein Paar Schuhe als Muster sür 2000 Paar überbringen sollte,
welche die Stadt Herford den französischen Truppen liefern mußte.
Der Bürgermeister brachte Lohrmann in Vorschlag, weil dieser ge-
läufig französisch sprach, was die Feinde natürlich nicht wissen
durften. Als Lohrmann nun seinen Auftrag erhielt, laufchte er auf
alles, was die Franzosen untereinander redeten. Sobald er sich vor
den Feinden sicher wußte, eilte er auf Umwegen ins Lager
Ferdinands. Hier fand man zwischen den Sohlen eine Depesche,
— 266 —
nach welcher am 1. August der Augriff der Frauzosen erfolgen sollte.
Lohrmauu erreichte niit den wieder wohl oerpackten Schuhen noch
in derselben Nacht Herford; die gewonnene Kunde aber veranlaßte
die Verbündeten, sich auf den zu erwartenden Angriff mit größter
Sorgfalt einzurichten. So ließ Graf Wilhelm bei dem Dorfe
Todtenhausen Schanzen aufwerfen, von denen er mit feiner Artillerie
das ganze Gebiet bis Minden unter Feuer 'nehmen konnte. Zwei
Wochen hindurch wartete man nun mit aller Ruhe auf deu Angriff
der Feinde, die auf dem linken Weserufer zwischen der Bastau und
dem Wiehengebirge Stellung genommen hatten.
Am Morgen des 1. August rückten die Franzosen wirklich oor.
Wegen des ungünstigen Geländes auf der linken Weserseite, wo
Contades sich sestgesetzt hatte, vollzog sich ihre Aufstellung nur laug-
sam. Broglio lwar bereits in der Nacht aufgebrochen und von der
rechten Weserseite her durch Minden marschiert. Sein Heer zählte
14000 Mann und 44 Geschütze. Er war nicht wenig erstaunt, die
Verbündeten, die übrigens schon seit Mitternacht unter den Waffen
standen, iu fester Stellung vor sich zu finden. Sofort eröffnete er
auf das vorgeschobene Korps des hannoverschen Generals von
Wangenheim, das aus 13109 Mann, 3267 Pferden und 58 Ge-
schützeu bestand, ein lebhaftes Kanonenfeuer. Graf Wilhelm, der
die gesamte Artillerie befehligte, erwiderte jedoch das feiudliche Feuer
so wirkungsvoll, daß Broglios Batterien fchon nach drei Stunden
zum Schweigen gebracht waren. Nun machte die feiudliche Reiterei
wiederholt äußerst tapfere Angriffe, wurde aber jedesmal zurückge-
worfeu. Auch die franzöfifche Infanterie mußte vor dem unaufhör-
lichen und vernichtenden deutschen Artilleriefeuer uuter schweren
Verlusten zurückweichen. Deuuoch war der Rückzug der Franzosen
nicht fluchtartig, weil man auf deutscher Seite mit eiuem wirksamen
Vorstoß zur Verfolgung nicht rechtzeitig eingesetzt hatte. Dieses
Verseheu wird hauptsächlich dem Umstände zugeschrieben, daß Lord
Germain, später Lord Sackville genannt, der Führer der englischen
Reiterei, die ihm erteilten Anweisungen des Herzogs von Braun-
schweig einfach nicht ausführte. Immerhin hatten die Verbündeten
den Sieg errungen. Der Verlust betrug auf unserer Seite 2500
Mann, auf Seite der Franzofen 7000 Mann, viele Geschütze, Fahnen
uud Standarten. Die Feinde räumten Minden und zogen weiter
nach Süden. An demselben Tage war auch der Herzog von Brissac
— 267 —
von dem Erbprinzen von Braunschweig bei Gohfeld, südwestlich von
Minden, vollständig geschlagen worden, sodaß er sich nach Hameln,
Münden und Kassel zurückziehen mußte. So war durch deu Sieg
von Minden das westliche Deutschland vor der angedrohten Ver-
Wüstung glücklich bewahrt geblieben. Erst 44 Jahre später hat
unsere Gegend wieder französische Truppen gesehen.
Nach dem französischen Bericht über die Schlacht bei Minden
haben sich die Franzosen anfänglich als Sieger betrachtet, bis ihnen
„les tronpes Manteaux" den Sieg wieder entrissen hätten. Damit
ist das hannoversche Bataillon Hardenberg gemeint, das sich beim
Bajonettangriff auf die französische Kavallerie mit dem Ruf: „Man
drupp! Man tau!" ermutigte, woraus der des Platt nicht kundige
Berichterstatter die obige Bezeichnung machte. Im englischen Heere
wird die Erinnerung an diese Waffentat dadurch lebendig erhalten,
daß heute noch einige Jnfanterie-Regimenter den Namen Minden in
ihren Fahnen führen.
Zum Andenken an die Schlacht bei Minden ist an der Straße
von Minden nach Petershagen bei dem Dorfe Todtenhausen ein
Denkmal errichtet. Es ist ein gotisch verzierter Obelisk (Spitzsänle),
der vorn das Kopfbild Ferdinands, an den Seiten ein Kopfbild des
Erbprinzen von Braunschweig und des Grasen Wilhelm zu Schaum-
burg-Lippe und auf der Rückfeite das lorbeerumkränzte Haupt
Friedrichs des Großen mit entsprechenden Inschriften zeigt.
Die legten Kriegsjahre. Bald nach der Schlacht bei
Minden zwang Graf Wilhelm das gut befestigte Schloß Marburg
zur Ubergabe und belagerte dann Münster. Während dieser Be-
lagernng rettete ein Kanonier durch eine ebenso schnelle wie mutige
Tat dem Grafen das Leben. Als nämlich die feindlichen Geschosse
in unmittelbarer Nähe des Grafen einschlugen, riß ihn der Soldat
plötzlich zurück mit den Worten: „Dat döggt hier nich vör Jück!"
Kaum war er selber an die Stelle seines Herrn getreten, als eine
Kanonenkugel den wackeren Helden niederstreckte. Nach schwerem
Kampfe mußte sich die Stadt am 20. November dem Belagerer
ergeben. Auch im Jahre 1760 sehen wir Graf Wilhelm als um-
sichtigen und geschickten Feldherrn in zahlreichen Gefechten und
Treffen kämpfen. Im Frühjahr 1761 hob er die vergebliche Be-
— 268 —
lagerung von Kassel in solcher Ordnung ans, daß er auf dem Rück-
znge vor den weit stärkeren Besatzungstruppen der Festung weder
Mannschaften noch Geschütze verlor. Am 16. Juli 1761 brachte er den
Franzosen in der Nähe von Hamm (Denkmal in Vellinghausen) noch
eine empfindliche Niederlage bei, dann kehrte er vom Kriegsschauplatze
nach Bückeburg zurück. Er begann in diesem Jahre die Anlage der Insel
Wilhelmstein im Steinhnder Meere und ging im Frühsommer 1762
mit einem englischen Hilfsheere von 7000 Mann nach Portugal
(S. 50.) Von dort kehrte er nach erfolgreicher Tätigkeit im
November 1763 nach Bückeburg zurück. Seiue eigene Truppe ver-
blieb bis zum Friedensschlüsse bei den Verbündeten. Sie hat sich
in allen Schlachten und Gefechten des langen Krieges ruhmvoll
ausgezeichnet. So wurde insbesondere die Artillerie wegen ihrer
unheimlichen Treffsicherheit, das Karabinierkorps wegen seiner
Schnelligkeit und Tapferkeit berühmt und gefürchtet. Die Kam-
biniers wurden von den Franzosen „die eisernen Männer" oder
„die Teufel von Bückeburg" genannt (s. Sagen). Schon ihr Anblick
soll ihnen gewaltigen Schrecken eingeflößt haben.
— 269 —
18. Schaumburg-Lippe am Ausgange
des 18. Jahrhunderts.
Vhilipp Ernst (1777—1787). Graf Wilhelm hatte keine
Erben hinterlassen. Die Regierung ging daher auf die jüngere
Linie Schaumburg-Lippe-Alverdisfen über, nämlich auf den Grafen
Philipp Ernst, den Enkel des gleichnamigen Stifters dieser Neben-
linie (S. 256). Dieser war unter den Augen seiner Großmutter,
der Fürstin Dorothee Amalie, zu Rinteln und Bückeburg erzogen,
hatte in Göttingen studiert und war dann in Fürstlich Münstersche
Kriegsdienste getreten. Erst mit 54 Jahren kam er zur Regierung.
Er war ein trefflicher Regent, der das Wohl seines Landes mit
Eifer zu fördern suchte. Besonders bewirkte er die Anlage von
Landstraßen, zu deren Unterhaltung er 1784 die Erhebung von
Wegegeld anordnete. Durch seine große Fürsorge für Land- und
Forstwirtschaft wurden die Erträge der Ländereien und Forsten be-
deutend gesteigert. Vor allem war er auch auf die geistige Hebung
des Volkes bedacht. Er verschärfte die Bestimmungen über die
Entlassung der Kinder aus der Schule, indem er anordnete, daß
noch nicht 13 Jahre alte Kinder ohne genügende Religionserkenntnis
von der Konfirmation zurückgewiesen werden sollten. Ganz be-
sonders legte er aber Wert auf die Ausbildung der Volksschullehrer,
die damals noch recht mangelhaft war. Darum gründete er am
1. Sept. 1783 das Lehrerseminar zu Bückeburg. An den Be-
ratungen über diese Angelegenheit nahm er persönlich teil und be-
stimmte auch durch eine besondere Verordnung die erste Einrichtung
dieser segensreichen Bildungsanstalt.
Der hessische Gewaltstreich. Philipp Ernst verstarb am
13. Febr. 1787. Seine Gemahlin Juliane übernahm nun als
Vormünderin für den noch nicht dreijährigen Erbgrafen Georg
Wilhelm (geb. am 20. Dez. 1784) die Regierung des Landes,
unterstützt von dem Grafen von Wallmoden-Gimborn zu
Hannover. Sofort erhob der Landgraf von Heffen-Kafsel Anspruch
auf die Grafschaft. Er machte namentlich geltend, daß die Mutter
des Grafen Philipp Ernst, Philippine Elisabeth von Friesenhausen,
nicht reichsgräflicher Geburt fei, ihre Nachkommen deshalb nicht
— 270 —
erbfolgeberechtigt seien. Nun hatte aber sowohl der Kaiser die Er-
Hebung in den Reichsgrafenstand selbst vollzogen als auch der
Reichshosrat den reichsgräflichen Stand der Nachkommen ausdrück-
lich anerkannt. Das Vorgehen des Landgrafen mußte umfomehr
befremden, da Philipp Ernst während seiner Regierungszeit von
Hessen ganz unbehelligt geblieben war. Außerdem hatte Hessen 1780
nicht nur den Ehevertrag zwischen Philipp Ernst und der Fürstin
Juliane bestätigt, sondern auch letztere für den etwaigen Fall als
Vormünderin anerkannt.
Der Landgraf führte feine Drohung, das Land mit Gewalt
zu nehmen, wirklich aus. Schon vier Tage nach dem Tode von
Philipp Ernst ließ er seine Truppen unter dem Generalleutnant
von Loßberg über Rinteln in Schanmbnrg-Lippe einrücken. Hessische
Jns.-Regimenter besetzten Bückeburg, Stadthagen und Hagenburg;
auf dem Lande wurden Gendarmen, Husaren und Jäger einquartiert.
Nur der Wilhelmstein fiel nicht in ihre Hände. Die mutige Besatzung
unter dem Hauptmann Rottmann ließ die Aufforderung zur Uber-
gäbe einfach unbeantwortet (S. 49). Juliane war mit ihren Kindern
nach Minden geflüchtet und rief von hier die Hülfe des Kaifers und
des Königs von Preußen an. Von dem Reichsgericht in Wien
wurde nun dem Landgrafen aufgegeben, das unrechtmäßig einge-
nommene Land wieder zu räumen. Darauf verließen die Hessen
Mitte April 1787 unser Land, nachdem sie es zwei Monate besetzt
gehalten hatten. Als Entschädigung hatte Hessen 55 000 Taler zu
zahlen. Die Selbständigkeit des Landes war gerettet und Juliane
wieder im Besitz der Regierung.
Juliane. Des Erbgrafen Mutter Juliane war am 8. Juni
1761 als die Tochter des Landgrafen Wilhelm zu Hefsen-Philipps-
tal und der Ulrike Eleonore, geb. Prinzessin von Hessen-Barchfeld,
in Zütphen in den Niederlanden geboren. Ihre Jugend verlebte
sie in Herzogenbusch, wo ihr Vater als holländischer General seinen
Wohnsitz hatte. Später verlegte Landgras Wilhelm seine Hofhaltung
nach Kassel. Hier lernte Juliane den regierenden Grasen Philipp
Ernst zu Schaumburg-Lippe kennen, der in erster Ehe mit einer
Prinzessin von Sachsen-Weimar, Ernestine Albertine, vermählt ge-
Wesen war. Sie solgte ihm als Gemahlin 1780 nach Bückeburg
und nahm hier regen Anteil an allen Regierungshandlungen des
— 271 —
Grafen. Mit Rücksicht auf ihre Abstammung nannte sie sich stets
Fürstin zu Schaumburg-Lippe.
Juliane widmete sich den schweren Regierungsgeschäften mit
Liebe und Eifer. Gleich ihrem Gemahl suchte sie überall das Wohl
ihrer Untertanen zu fördern. Ihre große Fürsorge bekuudeu zahl-
reiche Erlasse (Herabsetzung der militärischen Dienstzeit auf 6 Jahre,
Verfügung zur Abkürzung der Prozesse, Forst-, Jagd- und Fischerei-
Strafverordnung, Verbot der Anlage neuer Strohdächer und manche
andere). Auch sind ihr manche Anlagen zu danken. Sie umgab
das Bückeburger Schloß mit schönen Alleen, legte im Harrl Spazier-
Wege an, erbaute die Bückeburger Klus, erneuerte das Schloß zu
Hagenburg und gründete den Badeort Eilsen.
Auch auf geistigem Gebiete wirkte Juliane segensreich für ihr
Land. Sie erweiterte durch ihre Beihülfe das Seminar zu Bücke-
bürg, errichtete neue Volksschulen, gründete Volksbibliotheken und
ließ gute Lehrbücher und nützliche Schriften unentgeltlich iu den
Schulen verteilen. Ausgezeichnete Mänuer unterstützten sie in ihrem
Wirken, wie der Konsistorialrat Horstig, der Seminarinspektor von
der Reck (1796 — 1856 Pastor in Sülbeck), dem als Konsistorialrat
später das Volksschulweseu des Landes unterstellt war, der bekannte
„Menschen- und Kinderfreund" Dr. Faust, die Regierungsräte von
Ulmenstein und Reiche n. a. Von der Hofhaltung ihres Gemahls
her sind noch erwähnenswert der Oberstleutnant von Etienne, der
schon unter Graf Wilhelm mit Auszeichnung gedient hatte, und der
Leiter der von diesem Grasen gegründeten Hofkapelle, Johann
Christoph Friedrich Bach. Auch manche französische Flüchtlinge
fanden zu jener Zeit am Hofe in Bückeburg und im Lande eine
neue Heimat.
Im ganzen Lande wurde Juliane als Landesmutter geehrt und
geliebt. Deu an ihrem Geburtstage in Bückeburg stattfindenden
Bürgerball pflegte sie regelmäßig mit ihrer Gegenwart zu beehren.
Im Schlosse veranstaltete sie in der Woche zweimal öffentliche
Konzerte, und bei gelegentlichen Musik- und Theateraufführungen
übernahm sie wohl selbst eine Rolle. Leider war ihr nur ein kurzes
Lebeu vergönnt. Sie erkrankte an einer heftigen Erkältung und
starb im Alter von 38*/. Jahren am 9. November 1799. Auf
ihren Wunsch wurde sie iu einem einfachen Mausoleum im Schaum-
burger Walde neben ihrer Mutter beigesetzt. Der Name dieser edlen
Fürstin aber wird noch heute dankbar gepriesen.
_ 272 ___
19. Das Fürstentum Schaumburg-Lippe
im 19. Iahrhundert.
Erhebung znm Fürstentum. Nach dem Tode der Fürstin
Juliane war der hannoversche Feldmarschall Graf von Wall-
moden-Gimborn, der Schwiegervater des großen preußischen
Staatsreformators Freiherrn vom Stein, alleiniger Vormund des
jungen Erbgrafen Georg Wilhelm, für den er die Regiernngs-
gefchäfte von Hannover aus leitete. Hier hatte auch der Erbgraf
seinen Wohnsitz, bis er Ic802 die Universität Leipzig bezog. Um
diese Zeit brachen Feindseligkeiten zwischen Frankreich und England
aus, da letzteres das eroberte Malta uicht wieder herausgeben
wollte. Napoleon, der als erster Konsul von Frankreich fast die
gesamte Staatsgewalt in Händen hatte (von 1804 ab als Napoleon I.,
Kaiser der Franzosen), ließ seinen General Mortier mit einem großen
Heere in das dem Könige von England gehörige Kurfürstentum
Hannover einrücken, da er seinem Gegner anders nicht schaden konnte.
Der wackere Wallmoden-Gimborn wollte Widerstand leisten, wurde
aber vou der hannoverschen Regierung daran gehindert uud mußte
das Land den Franzosen preisgeben. Er siedelte nun einstweilen
nach Bückeburg über.
Im Jahre 1806 gründete Napoleon den Rheinbund, dem
16 deutsche Staaten beitraten. Die Staaten dieses Bundes mußten
ihm gehorsam sein wie eine französische Provinz. Der schwache
Rest des deutschen Reiches wurde durch Napoleons siegreiches Vor-
dringen allmählich vernichtet, so daß Franz II. (als erblicher Kaiser
von Osterreich Franz I.) sich gezwungen sah, die deutsche Kaiserkrone
niederzulegen. Kurz vorher hatte unser Erbgraf Georg Wilhelm,
der vou einer Reise nach der Schweiz und Italien in sein Land
zurückgekehrt war, auf Veranlassung seines Vormundes die Groß-
jährigkeitserklärung in Wien nachgesucht und auch erhalten. Da
nuu aber schwere Tage sür Preußen und die kleineren norddeutschen
— 273 —
Staaten anbrachen, so führte Graf Wallmoden die Regierung einst-
weilen fort. Er nahm mit dem Erbgrafen vorübergehend Zuflucht
in Hamburg. Inzwischen verlor Preußen durch die unglücklichen
Schlachten bei Jena nnd Anerstädt alles Land westlich der Elbe.
Aus dem größten Teil dieses Gebietes bildete Napoleon das neue
Königreich Westfalen und gab es seinem Bruder Jerome, der seinen
Wohnsitz in Kassel nahm. Schaumburg-Lippe war damals in Ge-
fahr, seine Selbständigkeit zu verlieren, die nur durch die Auf-
nähme in den Rheinbund gesichert werden konnte. Lange blieb das
Schicksal des Landes ungewiß. Endlich wurde es als Glied jeues
Bundes aufgenommen, nachdem die übrigen Rheinbundfürsten die
Bemühungen des Erbgrafen unterstützt hatteu. Darauf übernahm
Georg Wilhelm am 8. Mai 1807 als erster Fürst zu Schaum-
burg-LiPPe die Regierung des Landes. Daneben hatte er in Lippe-
Detmold die Landeshoheit über die Amter Alverdissen und Blom-
berg; ersteres ging 1812 gegen Entschädigung der Einkünfte an
Lippe über, letzteres erst 1838 durch Schiedsgerichtsurteil des Manu-
heimer Oberhofgerichtes. Heute besitzt unser Fürstenhaus in Blom-
berg außer einer Meierei nur uoch die Försterei Siekholz.
Georg Wilhelm (1807—1800). Fürst Georg Wilhelm
bot nun alles auf, seinem Lande die Kriegsbeschwerden der Frauzo-
senzeit zu erleichtern. Er reiste sogar nach Paris, um mit Napoleon
persönlich zu verhandeln. Seine Bemühungen hatten jedoch nicht
den Erfolg, das Land vor drückenden Lasten zu bewahren. Die
mitten durchs Fürstentum führende Heerstraße („Etappenstraße")
Minden-Hannover brachte viele Truppendurchmärfche und Ein-
quartierungen. Immer wieder wurden den armen Einwohnern
durch die Verpflegung der Truppen große Kosten aufgelegt. Wer
Pferd und Wagen hatte, mußte außerdem uoch Kriegsfuhren leisten.
An eine regelmäßige und sorgfältige Ackerwirtschaft war darum nicht
zu denken. Auch Handel und Verkehr wurden lahmgelegt, indem
Napoleon jeglichen Warenaustausch mit England verbot. Dabei
wurden ununterbrochen Steuern erhoben. Im Jahre 1808 wurde
eine Vermögenssteuer eingeführt, dazu kam eine Etappensteuer, um
den an der Heerstraße liegenden Ortschaften die häufigen Ein-
qnartierungslasten zu erleichtern, endlich noch 1812 eine Grundsteuer.
Die außerordentlichen Ausgaben des Jahres 1813 mußten durch
18
— 274 —
eine Anleihe gedeckt werden, die jedoch in den folgenden beiden
Jahren zurückgezahlt werden konnte. Kein Wunder, daß Armut
und Not immer mehr zunahmen.
Eine recht schwere Last war auch die Verpflichtung, für Napo-
leon eine Truppe von 280 Mann auszuheben, die zunächst in
Spanien für den fremden Eroberer ihr Leben einsetzen mußte. Als
Napoleon im Jahre 1812 den Feldzug gegen Rußland unternahm,
mußte für ihn wiederum dieselbe Anzahl Landeskinder ausgehoben
und ausgerüstet werden. Viele von ihnen werden damals auf den
eisigen Feldern Rußlands elend umgekommen sein, denn das
französische Heer wurde dort durch Kälte und Hunger und die ver-
folgenden Russen völlig vernichtet. Nur Trümmer der großen
Armee kamen in die Heimat zurück. Dieses Strafgericht Gottes
über den hochmütigen Bedrücker leitete das Ende der Fremdherr-
schast ein. Das große Jahr 1813 brachte mit der Völkerschlacht
bei Leipzig (18. Okt.) endlich die Befreiung. Napoleon ging mit
seinem geschlagenen Heere über den Rhein zurück. Der Rheinbund
löste sich auf. Am 1. Dezember trat unfer Land dem Bündnis der
großen Mächte bei. Es stellte nun mit Lippe und Waldeck zu-
sammen ein Bataillon, das unter dem Befehl des Hauptmauns
v. Campe staud und mit Blüchers Truppen siegreich in Frankreich
vordrang. Durch die Einnahme von Paris und die Verweisung
Napoleons nach Elba war Frankreichs Vorherrschaft vernichtet.
Die deutscheu Staaten aber hatten in dem langen Kampfe gelernt,
daß nur ein gemeinsamer Zusammenschluß die Grundlage für die
Sicherheit des deutschen Volkes und der Einzelstaaten bildet. Sie
gründeten deshalb nach langen Beratungen zu Wien (1815) den
Deutschen Bund. Die Abgesandten der Bundesstaaten bildeten
den Bundestag, der als Sitz zur Beratung der gemeinsamen An-
gelegenheiten Frankfurt a. M. wählte.
Als Glied des Deutscheu Bundes hatte Schanmbnrg-Lippe
240 Mann und 120 Mann Reserve zu stellen, die zwei Kompagnien
Jäger bildeten. Die Dienstzeit betrug 472 Jahre und 1 Jahr in
der Reserve. Das schaumb.-lipp. Bataillon rückte im Frühjahr
1849 mit den aufgebotenen Reichstruppen nach Schleswig-Holstein
zum Kriege gegen Dänemark, das dies Gebiet seinem Reiche ein-
verleiben wollte. Im Jahre 1859 diente unsere Landestruppe als
Besatzung der damaligen Bundesfestung Luxemburg. Nach der Auf-
— 275 —
löjung des alten Bundes im Jahre 1866 ging das Heerwesen
unseres Fürstentums auf den preußischen Staat über.
Während der Kriegsunruhen, wie auch nachher in der langen
Friedenszeit, war Fürst Georg Wilhelm eifrig tätig, die inneren
Zustände seines Landes zu bessern. Namentlich galt seine Fürsorge
der Hebung des Bauernstandes. Im Jahre 1809 regelte der
Fürst die Erbsolge im bäuerlichen Grundbesitz, und 1810 hob er
die letzten Reste der Leibeigenschaft auf. Diefe wohltätigen Erlasse
waren für die bäuerlichen Grundbesitzer von großem Nutzen. Der
freie Bauer arbeitete mit größerer Lust aus seinen Ländereien.
Durch sorgfältigere Pflege des Bodens und durch geeignete Frucht-
folge wußte er bald größere Erträge zu gewinnen. Dazu wurde
auch feine rechtliche Stellung gebessert. Als einer der ersten deutschen
Fürsten gab nämlich Georg Wilhelm am 15. Januar 1816 seinem
Lande eine neue, aus Volksvertretung beruhende Verfassung (Re-
präsentativ-Verfafsung), nach der zur Landesvertretung 3 Abgeordnete
der Ritterschaft, 4 der Städte und Flecken und 6 des Bauernstandes
berufen wurden. So war künftig auch der Bauernstand durch Ab-
geordnete im Landtage vertreten, der bisher nur aus Vertretern der
Ritterschaft und der Städte bestanden hatte. Die landständische
Verfassung der alten Grafschaft Schaumburg war zusammengefetzt
gewesen aus drei Prälaten (Vorstehern) des Klosters Möllenbeck und
der Stifter Obernkirchen und Fischbeck, den Abgeordneten der Ritter-
schaft und der Städte. Prälaten waren nach der Landesteilung
in Schaumburg-Lippe nicht vorhanden, auch hatten die Landstände
in der Franzofenzeit jede Bedeutung verloren. Der erste Landtag
trat am 3. März 1816 in Bückeburg zusammen. Mitglieder
waren als Vertreter der Ritterschaft: v. Oheimb-Helpsen, v. Münch-
hansen-Remeringhansen und v. Landsberg-Stadthagen, der Städte
und Flecken: Bürgermeister Twellmann-Stadthagen, Stadtsyndikus
Weißich-Bückeburg, die Bürgermeister Tadge-Steinhude und Tiefte-
Hagenburg, als Deputierte der Amter: Ruft Nr. 6-Petzen und
Wömpner Nr. 2-Altseggebruch (Amt Bückeburg), Steinmeyer Nr. 3-
Luhden (Amt Arensburg), Hartmann Nr. 4-Reinsen und Behling-
Nr. 14-Nordsehl (Amt Stadthagen) und Wieggrefe Nr. 23-Wölping-
Haufen (Amt Hagenburg). — Wichtig wurde ein Landtagsbeschluß
vom Jahre 1818, der das Finanz- und Steuerwesen regelte. Der
Fürst übernahm die auf dem Lande ruhenden Schulden und erhielt
18*
— 276 —
dafür die Forderungen der Landeskasse überwiesen, so daß das Land
schuldenfrei wurde.
All diefe glücklichen Maßnahmen bewahrten unser Land lange
Zeit vor jenen inneren Unruhen, die schon 1830 in den benachbarten
Staaten Hessen, Hannover und Braunschweig entstanden und iu
dem Verlangen des Volkes nach größerer Freiheit und Teilnahme
an der Gesetzgebung und Verwaltung ihren Grund hatten. Zu
Anfang der vierziger Jahre begann jedoch auch bei uns die Be-
wegnng, eine freiere Verfassung zu erlangen. Am erregtesten
waren die Gemüter im Jahre 1848. Durch das Entgegenkommen
des Fürsten fand diese unruhige Zeit aber bald ihr Eude. Das
Land erhielt ein neues Wahlgesetz auf verfassungsmäßigem Wege
uud ein Gesetz über die Verantwortlichkeit der Regierung.
Nebenher ging eine Besserung der Handels- und Verkehrs-
Verhältnisse. Diese waren zu Beginn des Jahrhunderts uoch recht
mangelhaft. In Bückeburg verkehrten wöchentlich viermal Posten
über Stadthagen, Hagenburg nach Hannover, zweimal über Rinteln
durch Lippe nach Kassel und Frankfurt; feit 1804 wurden auch die
Posten von Minden nach Berlin und von Rinteln nach Minden über
Bückeburg geleitet. In den zwanziger Jahren bestanden in Bücke-
bürg zwei Postämter nebeneinander (das Thnrn und Taxische neben
dem preußischen Postamte). Der Anschluß au den deutsch-öfter-
reichischen Postverein erfolgte am I.Jan. 1854. In diesem Jahre
trat Schaumbnrg-Lippe mit Hannover, Oldenburg und Braunschweig
auch dem preußischen Zollgebiete bei, dem sich vorher schon die
meisten deutschen Staateu angeschlossen hatten. Mit diesem Wirt-
schaftlichen Zusammenschluß war der erste Schritt zur Einigung
Deutschlands getau. Er bedeutete eine wesentliche Verkehrser-
leichterung. Bisher waren nämlich Handel und Verkehr außer durch
die Verschiedeuheit der Münzen, Maße und Gewichte in den Einzel-
staaten auch uoch durch die Zollgrenze sehr erschwert. Sobald
jemand die Landesgrenze überschritt, wurde er angehalten, um die
etwaigen zollpflichtigen Gegenstände zu versteuern. Dem Aufblühen
des Verkehrslebens diente auch die Anlage neuer Kunststraßen
(Chansseen) und Gemeindewege. Namentlich aber wurde der Wege-
bau gefördert, als im Herbst 1847 die Bahnlinie Minden-Han-
nover eröffnet war, die unserer Heimat auf allen Erwerbsgebieten
einen ungeahnten Aufschwung brachte.
— 277 —
In sorgfältiger Weise Pflegte der Fürst auch das geistige Wohl
seiner Untertanen, indem er besonders das Volksschulwesen ver-
besserte. Er begründete schon im ersten Jahre seiner Regierung die
noch heute in vielen Landgemeinden bestehende Halbtagsschule, setzte
Straseu sür unentschuldigte Schulversäumnisse fest, ordnete den
Schuldienst und die Aussicht über die Volksschulen und führte amt-
liche Konferenzen ein. Sein Wirken fand rege Unterstützung durch
die edle Fürstin Ida, Prinzessin zu Waldeck und Pyrmont, mit
der sich Georg Wilhelm am 23. Juni 1816 vermählt hatte. Ihre
landesmütterliche Fürsorge wird noch heute gepriesen (S. 40). Auch
eine Schwester des Fürsten, die unvergessene Prinzessin Karoline
(-s- 1. Juli 1846 in Rudolstadt), hatte ein warmes Herz sür das
Wohlergehen der Schaumburg-Lipper. Sie ließ z. B. auf eigene
Kosten eine Reihe begabter Schüler in den Künsten uud Wissen-
schasten ausbilden.
Uber ein halbes Jahrhundert leitete Fürst Georg Wilhelm
das Geschick unseres Fürstentums mit hoher Gerechtigkeit, großer
Milde und Treue. Manch heiteres Stücklein erzählt noch der
Volksmund von der Leutseligkeit und Einfachheit des Fürsten. Im
Mai 1857 konnte er unter allgemeiner Teilnahme des ganzen Landes
das 50jährige Regierungsjubiläum begehen. Drei Jahre später, am
21. November 1860, schied er aus dem Leben. Die Regierung ging
aus den Erbprinzen Adolf Georg über.
Adolf Georg (1860—1893). Fürst Adols Georg war am
1. August 1817 im Schlosse zu Bückeburg geboren und unter den
Augen seiner Eltern herangewachsen. Nach sorgfältiger Erziehung
und Unterweisung in der Heimat und in Genf bezog er zu feiner
weiteren Ausbildung nacheinander die Universitäten Leipzig und
Bonn. Später unternahm er größere Reisen, die ihn auch zu
längerem Ausenthalte nach Italien führten. Er trat dann bei dem
1. Westfälischen Husaren-Regiment Nr. 8 in Düsseldorf ein (jetzt in
Paderborn). Am 25. Oktober 1844 vermählte er sich mit Prinzessin
Hermine zu Waldeck und Pyrmont und hielt mit der jugendlichen
Gemahlin am 7. Nov. von Rinteln her seinen seierlichen Einzug in
das Fürstentum und in die Residenz. Im Jahre 1849 machte er
im schaumb.-lipp. Bataillon den Feldzug gegen Dänemark mit, das
versucht hatte, Schleswig-Holsteiu dauernd mit seinem Reiche zu
einem Gesamtstaate zu verbinden.
— '278 —
Seine Regierung fällt in eine Zeit, in welcher für Deutsch-
land eine hochbedentfame Entwicklung auf allen Gebieten des poli-
tifchen und wirtschaftlichen Lebens begann. Osterreich suchte seine
Machtstellung in Deutschland noch erheblich zu erhöhen. Der Kaiser
von Osterreich berief 1863 einen Fürstentag nach Frankfurt a. M.,
der aber erfolglos blieb, da Preußen jede Beteiligung ablehnte.
Als in diesem Jahre der König von Dänemark vertragswidrig
Schleswig von Holstein loszureißen und mit seinem Reiche zu ver-
einen suchte, schritten Osterreich und Preußen ein. Sie gewannen
im Dänischen Kriege 1864 Schleswig-Holstein nebst Lauenburg;
letzteres Land wurde sofort au Preußen abgetreten, während die
beiden Elbherzogtümer gemeinschaftlich verwaltet wurden. Dieser
gemeinsame Besitz wurde bald der Anlaß, die immer mehr zu-
nehmende Spannung zwischen beiden Mächten zur Entscheidung zu
bringen. Osterreich legte am 1. Juni 1866 die schleswig-holsteinische
Frage dem Bundestage vor und beantragte am 11. Juni, sämtliche
außerpreußische Bundestruppen zu mobilisieren. Dieser Antrag, den
auch der Vertreter von Schanmburg-Lippe mit seiner Stimme unter-
stützte, wurde mit Stimmenmehrheit zum Beschluß erhoben, worauf
der preußische Gesandte den Bund für gebrochen und aufgelöst
erklärte. So brach denn der Deutsche Krieg aus, der dem
preußischen Staate endlich die Führung in Deutschland verschaffte.
Schanmburg-Lippe schickte seinen Truppenteil dem Bundesbefehle
gemäß nach Mainz, trat aber schon am 18. August ebenso wie die
anderen norddeutschen Kleinstaaten mit Preußen in ein Schutz- und
Trutzbündnis ein, das dann später zum Norddeutschen Bunde
erweitert und ausgebaut wurde. Die dadurch sich ergebende Ner-
sassnngsändernng wurde durch Gesetz vom 17. Nov. 1868 (mit
Nachtrag vom 24. Dezb. 1869) geregelt, auf dem im wesentlichen
unsere heutige Laudesvertretuug beruht. Am 1. Okt. 1867 schloß
unser Fürstentum mit Preußen ein Militärbündnis. Das bisher in
Cleve stehende 7. Westfälische Jägerbataillon wurde nach Bücke-
bürg und Stadthagen verlegt. Der Stab und die 1. n. 4. Kom-
pagnie bezogen in Bückeburg, die 2. und 3. Kompagnie in Stadt-
Hägen Bürgerquartiere. Seitdem dienen unsere Landeskinder im
preußischen Heere. Sie wählen außer den Truppenteilen in Minden
und Hannover gern das 7. Jägerbataillon in Bückeburg. Am
25. Oktober 1869 wurde Fürst Adols Georg aus Aulaß seiner
silbernen Hochzeitsfeier zum Chef des Bataillons ernannt.
— 279 —
Als 1870 die deutschen Fürsten und das deutsche Volk zum
Kriege gegen Frankreich rüsteten, zog auch Fürst Adolf Georg
hinaus mit seinen beiden ältesten Söhnen, dem Erbprinzen Georg
und dem Prinzen Hermann, um an den Kämpfen gegen den Erb-
feind teilzunehmen, erst beim 7. Armeekorps, später im Haupt-
quartier vor Paris. Der siegreiche Feldzug sührte zur Wiederauf-
richtung des deutschen Kaiserreiches. Am 18. Jan. 1871 nahm
Wilhelm I. im Schlosse zu Versailles die von den deutschen Fürsten
angebotene Kaiserkrone an. Dem denkwürdigen Ereignisse wohnte
auch Adolf Georg bei. Am 9. Juni 1871 zog der Fürst an der
Spitze seines Jägerbataillons in die sestlich geschmückte Residenzstadt
seines Landes ein. Die Bückeburger Jäger haben in diesem Kriege
bei Forbach, Colombey und Gravelotte tapfer gekämpft, auch au der
Belagerung von Metz und an den Gefechten im Südfeldzuge gegen
die Freischaren Garibaldis ruhmreich teilgenommen.
Für unser Heimatland als Glied des neuen Deutschen
Reiches folgte nun eine Zeit äußerer Ruhe uud innerer, reich ge-
segneter Entwicklung. Neben verschiedenen Reichsgesetzen wurden
in den folgenden Jahren unter Adolf Georg wichtige Landesgesetze und
Verordnungen erlassen. Durch die Landgemeinde- und Städte-
ordnuug vom Jahre 1870 erhielten die Land- und Stadtgemeinden
eine selbständige Verwaltung und freie Wahl ihrer Vorstände und
Vertreter. In demselben Jahre wurden die so wichtigen Ablö-
suugsgesetze erlassen, wodurch die aus dem Grund und Boden
ruhenden Abgaben und Leistungen, Rechte und Pflichten ablösbar
wurden. Seitdem hat sich unser schon vorher blühender Bauern-
stand zu einem der tüchtigsten in Deutschland entwickelt. Dazu
kamen noch verschiedene andere musterhafte Gesetze, die unter der
regsten persönlichen Arbeit des Fürsten geschaffen uud eingeführt sind.
Von ganz besonderer Bedeutung sind das am 4. März 1875 erlassene
Volksschulgesetz und das am 20. Januar 1885 veröffentlichte
Steuergesetz, das dem Lande eine Gewerbe-, Grund- und Gebäude-
steuer brachte. All diese gesetzlichen Maßnahmen, die aufs sorgfältigste
von den Behörden des Landes durchgeführt wurden, sind unserer
Landwirtschaft und Industrie, unserm Handel und Verkehr, kurz, uuserm
ganzen staatlichen und öffentlichen Leben von großem Segen gewesen;
der Wohlstand des Landes hat sich seitdem bedeutend gebessert. Durch
seine gewissenhafte und unermüdliche Tätigkeit wurde Fürst Adolf
— 280 —
Georg allen Beamten im Lande ein leuchtendes Vorbild treuer
Pflichterfüllung; feine Untertanen aber verehrten ihn als einen Wohl-
wollenden und gerechten Herrn. Diese Anhänglichkeit und Ver-
ehrnng kam am Tage des 25jährigen Regierungsjubiläums des
Fürsten, am 21. Nov. 1885, durch die allgemeine Beteiligung der
Bewohner des Fürstentums so recht zum Ausdruck.
Während seiuer fast 33jährigen Regierungszeit hat Fürst Adolf
Georg im Schlosse zu Bückeburg oft den Besuch befreundeter und
verwandter Fürsten empfangen, so den des Großherzogs von Olden-
bürg, des Fürsten zu Waldeck uud Pyrmont, des Fürsten Renß
ä. L. und anderer. In den Jahren 1889 und 1892 weilte bei ihm
Kaiser Wilhelm II., der seitdem ein häufiger Gast unseres Fürsten-
Hanfes ist. Im Juni 1890 nahm die Kaiserin Friedrich mit ihrer
Tochter, der Prinzessin Viktoria, mehrere Tage Aufenthalt am Hofe
zu Bückeburg. Ju dem letzten Regierungsjahre erkrankte der Fürst
an einem heftigen Nierenleiden, den: er am 8. Mai 1893 erlag.
Der feierlichen Beisetzung im Mausoleum zu Stadthagen wohnte
neben anderen Fürstlichkeiten auch Kaiser Wilhelm II. bei. Die
Regierung giug auf deu Erbprinzen Georg über.
Die verwitwete Fürstin Hermine bezog zunächst das Schloß
in Stadthagen und siedelte dann in ihr nenerbantes Palais am
Harrl über (S. 123). Hier verstarb die hochbetagte Fürstin (geb.
29. Sept. 1827) am 16. Febr. 1910. Aus dem hinterlassenen
Kapitalvermögen ist nach ihrer letztwilligen Verfügung n. a. eine
Summe vou 600 000 M. als Adolf-Georg-Stiftuug mit der
Bestimmung ausgeschieden, daß aus den Zinsen dieser Stiftung
Unterstützungen an hilfsbedürftige Landeskinder, an inländische milde
Stiftungen, Kranken- oder Pflegehäuser oder für sonstige gemein-
nützige und wohltätige Zwecke, fowie Zuschüsse bei Neugrüudung
von Kirchen- und Schulgememden gewährt werden sollen. Die
Mildtätigkeit und Herzensgüte dieser edlen Fürstin werden im Volke
unvergessen bleiben.
Georg (1893—1911). Fürst Georg wurde am 10. Oktober
1846 im Schlosse zu Bückeburg geboren. Hier erhielt der junge
Erbprinz seinen ersten Unterricht und eine sorgfältige wissenschaftliche
Ausbildung. Die erste militärische Ausbildung lag in der Hand
des Feldwebels Koppen vom Bückeburger Jäger-Bataillon, der vom
Herbst 1867 ab bis 1872 als Militärinstrnktor in Japan wirkte
— 281 —
und dort die ersten Grundlagen deutscher militärischer Tüchtigkeit
legte. Ostern 1866 bezog Erbprinz Georg die Universität Göttingen.
Nach seiner Rückkehr setzte der Prinz im elterlichen Schlosse das
Studium eifrig fort, indem er hier besondere Vorlesungen von her-
vorragenden Staatsrechtslehrern hörte. Als Offizier des schäum-
burg-lippischen Jägerbataillons widmete sich Erbprinz Georg auch
den Militärwissenschaften. Im Jahre 1867 besuchte er die Pariser
Weltausstellung, und 1870 unternahm er eine Reise nach dem Orient,
die ihn nach Italien, Ägypten, Palästina, Griechenland und der
Türkei führte. Unerwartet traf den Prinzen in Konstantinopel die
Nachricht von dem Ausbruche des Krieges mit Frankreich. Sofort
eilte er in die Heimat zurück. Hier bekleidete er schon seit 1867
den Rang eines Hauptmanns bei den Bückeburger Jägern. In dieser
Eigenschaft machte Erbprinz Georg als Ordonnanzoffizier beim
Stabe des 7. Armeekorps unter General v. Zastrow jenen siegreichen
Feldzug mit. Am 6. und 7. August kam er in den denkwürdigen
Schlachten bei Spichern und Forbach zuerst mit dem Feinde in
Berührung. Dann nahm er an den ruhmreichen Kämpfen um Metz
herum am 14. und 18. August teil, in denen er sich das Eiserne
Kreuz erster Klasse erwarb. Nach dem Fall der Riesenfestung Metz,
der Belagerung von Diedenhofen und Montmedy beteiligte er sich
an dem recht anstrengenden Südseldzuge. Au der Seite des Vaters
feierte er am 16. Juui 1871 den glänzenden Sie g es ein zu g der
deutschen Truppen in Berlin. Er diente dann als Rittmeister, seit
1874 als Major beim 11. Husareu-Regimeut in Düsseldorf und
wurde 1876 zu dem Leibgardehusaren-Regiment in Potsdam verfetzt,
bei dem er bis 1879 verblieb.
Am 16. April 1882 vermählte sich Erbprinz Georg mit Marie
Anna, Tochter des Prinzen Moritz von Sachsen-Altenburg.
Das hohe Paar nahm in dem herrlich ausgestatteten Schlosse zu
Stadthagen Wohnung. Von dort siedelte der Hof im November
1893 nach dem Heimgange des Fürsten Adolf Georg in das
Residenzfchlotz zu Bückeburg über. Hier feierte das Fürstenpaar im
Beifein des Kaisers am 16. April 1907 unter großer Beteiligung
des Landes das Fest der silbernen Hochzeit. Der Ehe sind 9 Kinder
entfproffen, von denen zwei im zartesten Kindesalter verstorben sind
(S. 123). Nach einer sast 18jährigen Regierung verschied Fürst
Georg am 29. April 1911.
— 282 —
Der verstorbene Fürst erfreute sich wegen seiner großen
Herzensgüte und regen Fürsorge sür das Wohl des Landes in ganz
außerordentlichem Maße der Liebe und Verehrung der Bevölkerung
unseres Heimatlandes. Insbesondere verdanken wir ihm verschiedene
Gesetze, die das Kirchen- und Schulwesen unseres Landes fördern,
auch mancherlei gesetzliche Bestimmungen und Einrichtungen zur
Hebung der Landwirtschaft, des Handwerks und der Industrie
sSyuodalordnung vom 10. Mai 1900, Errichtung von Psarrkassen
v. 24. Dez. 1902, Erhebung von Kirchensteuern v. 6. April 1903,
Regelung der Küsterdienste v. 28. Jan., sowie der Pfarrgehälter
v. 5. Febr. 1904, Einführung des Handarbeitsunterrichts, Auf-
Hebung des letzten Restes der Hüteschule, Fortbildungsschulwesen,
Obstbau, landwirtschaftliche Schule, Handwerkskammer, Georgfchacht).
— In feinen Bestrebungen wurde er aufs beste unterstützt von seiner
teuren Gemahlin, der nunmehrigen Fürstin-Mutter Marie Anna,
deren Bemühen hauptsächlich darauf gerichtet war und bleiben wird,
in nnserm Heimatlande Kunst und Wissenschaft zu pflegen, Unter-
richtsanstalten und Einrichtungen christlicher Nächstenliebe zu unter-
stützen, Not und Elend zu lindern.
Von deu Geschwistern des verstorbenen Fürsten Georg leben
Prinzessin Hermine, die als Witwe des Herzogs Maximilian von
Württemberg in Regensburg wohnt, Prinz Hermann in Bückeburg,
Prinz Otto in Darmstadt und Prinz Adolf in Bonn. Letzterer
ist der Gemahl der Prinzessin Viktoria von Preußen, der Schwester
unseres Kaisers. Nach dem Tode des Fürsten Waldemar zu Lippe-
Detmold, der keine Erben hinterließ, führte Prinz Adolf zu Schaum-
burg-Lippe die Regentschaft im Fürstentum Lippe (1895/97), bis
durch ein Schiedsgericht uuter Vorsitz des Königs Albert von Sachsen
der Graf Ernst zu Lippe-Biesterfeld 1904) als Regent anerkannt
wurde, dem nunmehr dessen Sohn Leopold IV. nach dem Leipziger
Schiedsspruch vom 25. Oktober 1905 als Fürst gefolgt ist.
— 283 —
20. Unser Fürst.
Unser nunmehriger Landesherr, Fürst Adolf zu Schaumburg-
Lippe, wurde am 23. Februar 1883 im Schlosse zu Stadthageu
geboren. Hier erhielt der junge Prinz gemeinsam mit seinem ein
Jahr jüngeren Bruder, dem Prinzen Moritz, vom Herbst 1889 ab
seinen ersten Unterricht durch den jetzigen Schulrat Schwertfeger.
Die Ausbildung und Erziehung wurde dann im Residenzschlosse zu
Bückeburg, wohin das sürstliche Elternpaar nach der Übernahme der
Regierung im Herbst 1893 übersiedelte, mit derselben Sorgsalt
geleitet wie in Stadthagen. Am 6. Oktober 1898 wurden Erbprinz
Adolf und Prinz Moritz in der Stadtkirche zu Bückeburg gemeinsam
konfirmiert. Beide besuchten vom Herbst 1898 ab bis zum Sommer
1902 das Gymnasium iu Braunschweig. Nach abgelegter Reife"
Prüfung hörten beide zunächst Vorlesungen an der Universität Gens.
Diesem Aufenthalte folgte eine Reise nach Paris und Nordasrika.
Im Sommer 1903 machten beide Prinzen einen Unterrichtskursus
an der Kriegsschule in Danzig durch und legten im Anschluß daran
ihr Offiziersexamen ab. Sie bezogen daraus bis in den Sommer
1905 die Universität Bonn und besuchteu während dieser Studienzeit
England und Italien. Seit dem 15. Oktober 1905 gehören beide
dem Heere an.
Die Geschwister des Fürsten sind der schon erwähnte Prinz
Moritz, gb. 11. März 1884, Prinz Wolrad, gb. 19. April 1887,
Prinz Stephan, gb. 21. Juni 1891, Prinz Heinrich, gb. 25. Sep-
tember 1894, Prinz Friedrich Christian, gb. 5. Januar 1906
und Prinzessin Elisabeth, geb. 31. Mai 1908.
Erbprinz Adols stand zunächst bei dem 2. Leib-Husaren-Regi-
ment Königin Viktoria von Preußen Nr. 2 in Danzig (Langfuhr)
und zuletzt als Oberleutnant im Hnfaren-Regiment König Wilhelm I.
— 284 —
(1. Rheinisches) Nr. 7 in Bonn. Hier ereilte ihn am 29. April 1911
die Nachricht von dem plötzlichen, unerwarteten Heimgange seines
sürstlichen Vaters. So wurde Erbprinz Adolf in seinem 29. Lebens-
jähre auf den Thron berufen. Aus Anlaß seines Regierungsantritts
wurde Fürst Adolf zum Major des Bonner Husaren-Regiments
ernannt mit der Berechtigung, auch die Uniform des Wests. Jäger-
Bataillons Nr. 7 in Bückeburg zu tragen.
Fürst Adolf hat seinen Regierungsantritt mit dem Versprechen
angekündigt, daß er die Regierung des Landes unter Gottes gnädigem
Beistande zum Besten und zum Segen des Fürstentums den Gesetzen
gemäß zu führen entschlossen sei. Diesem Grundsatze wird unser
Fürst nach dem Vorbilde des Vaters stets treu bleiben. So werden
persönliche Treue und Anhänglichkeit auch fernerhin das Band
bilden, durch das Fürst und Volk unseres Heimatlandes von jeher
unerschütterlich fest verbunden waren. Gott segne und schütze unser
Fürstenhaus und uufer Heimatland immerdar!
— 285 —
II. Ansiedelungsgeschichte nnd Ortsnamen.
Ortsgriindungen. Solange die nomadische Lebensweise
vorherrschte, konnten nur wenige feste Niederlassungen entstehen.
Dennoch gibt es auch in unserer Gegend Namen, deren Formen in
uralte Zeit zurückweisen (vgl. S. 153, 170).
Die Namen der Ansiedelungen aus germanischer Zeit beziehen
sich in den meisten Fällen auf die Lage an Bach, Fluß, Hügel,
Berg, Wald,. Moor, Ried, Hude uud Heide. Beispiele: Höckersau,
Achum (au, a, aha — Wasser), Schermbeck, Sülbeck, Meerbeck (beck,
Heeke — Bach), Röcke (— am Rücken), Schmalenbruch, Seggebruch,
Bruchhof (Bruch — tiefe, sumpfige Fläche), Steinbergen, Jetenburg
(bürg — Bergeort), Rehburg (= am Ried), Steinhude (— Weide).
In diese ältere Entstehnngszeit werden namentlich auch die Namen
auf e, en, er gerechnet, wie Frille, Scheie, Hespe, Ehlen, Vehlen,
Petzen, Enzen, Warber, die auf Horst (Lindhorst) und iugeu (Mü-
siugeu, Schöttlingen).
Als seit Errichtung des Sachsenbundes (S. 192) die Volks-
menge stetig zunahm, mußten neue Fluren zur Ansiedelung gewonnen
werden. Solche Plätze waren nur durch Waldrodungen zu beschaffen.
Das Recht der Rodung aber hatten die Markgenossen (S. 233)
inzwischen als neue Befugnis zu erlangen gewußt. Die neuen
Nachbarn erhielten Anteil an der Allmende des Mutterdorfes und
gaben ihrem Orte auch dessen Namen. So entstanden viele gleich-
namige Ortschaften, die erst in der Folge durch Bestimmuugs-
Worte wie groß, klein, alt, neu, ober, nieder, oft, West, süd usw.
voneinander unterschieden wurden, ein Vorgang, der sich auch bei
späteren Siedeluugen wiederholt hat. Beispiele: Gr.- u. Kl.-Heges-
dors, Alt- und Neuseggebruch, Obern- und Niedernwöhren, Osten-
und Westendorf, Süd- und Kirchhorsten, Haste und Hohnhorst (ur-
sprünglich ein Dorf Horsten). Auch manche Grundeigentümer, die
286
bereits durch Besitz oder Ansehen eine besondere Machtstellung erlangt
hatten, förderten die Anlage neuer Orte, indem sie einen Trupp
ihrer Leute in den Urwald zur Ansiedelung schickten. Die Lichtung
des Waldes aber konnte allen Siedlern nur erwünscht sein, weil
dadurch ja die wilden Tiere zurückgedrängt wurden, die dem Vieh
und deu Feldern so sehr schadeten. Siedelungen dieser Art enthalten
das Grundwort dors, das in unserer Gegend viel vorkommt, z. B.
in Bergdors, Selliendorf, Echtorf, Gelldorf, Volksdorf, Beckedorf,
Ohndorf usw.; die ältere Form trup, z. B. in Barntrup (Lippe),
ist durch Lautverschiebung turp, thorp, dorp, dors geworden. Ebenso
häufig wie die Formen aus dorf sind aus dieser Zeit die Orts-
bezeichnuugen auf seu oder Hausen, die iu der Regel den Sitz
eines ursprünglich Freien bezeichnen, z. B. Blyinghausen (Blido),
Habrihansen, Heuerßen (Hoger), Kobbensen (Kobbo), Tallensen, Le-
vesen, Deinsen, Widdensen, Meinsen usw. Andere Ortsnamen sind
solche mit seld, holz, städt, rode usw. (Meinefeld, Wackerfeld, Buch-
holz, Nienstädt, Rodenberg, Rohden, Hohenrode, Raden).
Ein weiterer Ausbau des Landes erfolgte im 12. und 13. Jahr-
hundert durch die Anlage der Hagendörfer, die auf Veranlassung
der Landesherren entstanden (S. 90). Diese Neusiedelungen finden
sich hauptsächlich im östlichen Teile des heutigen Fürstentums; jeden-
falls waren hier keine Markgenossenschaften vorhanden. Die Hagen-
dörfer sind Reihendörfer und unterscheiden sich als solche von unseren
älteren Ortschaften, die wegen der zerstreuten Lage der Höfe als
Haufendörfer erscheinen.
Das 14. Jahrhundert bezeichnet den Anfang unserer Städte,
an deren Stelle ursprünglich außer der gräflichen Burg uur einige
Wirtschaftshöfe lagen. Durch Heranziehen von Dienstleuten, Ar-
beitern, Handwerkern usw. gegen Zusicherung gewisser Freiheiten
und Rechte wuchs der Ort allmählich zur Stadt heran. Wie
langsam diese Entwicklung manchmal vor sich ging, zeigt das Bei-
spiel von Bückeburg. Der Ort wurde erst am 4. Februar 1609
durch die Errichtung von Märkten zur wirklichen Stadt erhoben;
es heißt in dieser Verordn.: „Zur Hebung des Erwerbs und Ver-
dienstes sollen in Bückeburg jährlich 2 Jahrmärkte gehalten werden,
der eine Montag nach Jnvocavit, der andere Montag nach Bartholo-
maus, je 3 Tage. Der Magistrat kann Stättegeld heben. Auch
werden 2 Wochenmärkte eingerichtet, Dienstag und Freitag". Noch
— 287 —
am 21. März 1729 wird angeordnet: „In den Städten und Flecken
sind binnen 3 Jahren eingefallene Wohnhäuser in Stand zu setzen
und leere Plätze zu bebauen, sonst fallen sie der Herrschaft anheim,
Zuwiderhandlungen werden mit einer fiskalischen Strafe von 50
Reichstalern belegt. Sonderlich werden in den Straßen von Bücke-
bürg ganze Morgen zu Gärten gebraucht; daselbst folleu Häuser in
einer geraden Linie gebaut werden".
Aus dem 15. Jahrh. liegen Nachrichten über ueue Ortsgrün-
düngen nicht vor. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entstanden
einige Ortschaften am Schanmbnrger Walde durch Ausweisungen
von Waldflächen. Dahin gehören jedenfalls Cammer, Rusbend,
Schierneichen und Berenbusch, nicht aber des letzteren Nachbardorf
Nordholz, da es in dem Verzeichnis des Amtes Bückeburg vom
Jahre 1616 uoch uicht vorkommt (Wippermanns Angabe, Bnkkigau
S. 387, daß Nordh. vielleicht erst seit 1597 vom Schanmb. Walde
ausgerodet sei, kann demnach nicht zutreffen). Von 1615 ab wird
das Bebauen neuer Stätten oder Plätze erschwert, „dieweil die Zu-
bauer und Straßensitzer ganze Dorsschasten und die Holzungen sehr
verderben (Land- n. Polizeiordu.)". Bemerkenswert in dem Bückeb.
Amtsverzeichnis ist die Schreibweise folgender Namen: Scheyde,
Ruschbanden, Schieren Eichen, Stemmer,- Segbrock, Sülbecks, Barch-
torff, Eversen. Das Verzeichnis des Amtes Stadthagen aus den
Jahren 1619/20 enthält folgende, von der heutigen Form wesentlich
abweichende Namen: Kukerßhagen, Niedern- und Oberuworthen,
Nortzehll u. Nortzell, Laweuhageu, Hauickhorst u. Habichorst, Hobbri-
u. Haberhausen, Krepß- n. Crepeßhagen, Menstede, Hogersen u.
Hogerßeu, Bleyug- u. Blihiughauseu, Helperßen, Leuessen.
Der durch den 30jährigen Krieg herbeigeführte wirtschaftliche
Niedergang hemmte die weitere Ansiedelung. Einzelne Höfe lagen
wüste und verlaffen da, wie die Amtsverzeichnisse berichten, andere
waren verschuldet, dazu sehlte es au Saatkorn und Arbeitskrästen.
Dennoch werden gegen Ende des 17. Jahrhunderts einige Ansiede-
luugeu hinzugekommen sein, nämlich die Waldarbeiterkolonien Nord-
holz, Niedernholz und Nienbrügge.
Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts, namentlich nach
dem 7jährigen Kriege, als die bis dahin noch sehr unvollkommen
betriebene Landwirtschaft aus den alten Zuständen allmählich mehr
herauskam, ersolgte ein recht reger Anbau des Landes. Neue Sie-
— 288
deluugen entstanden auf den Gemeinheiten und den angewiesenen
Waldroduugsflächeu; dazu förderte die Einführung des Kartoffel-
baues und das reger werdende gewerbliche Leben (Spinnerei,
Weberei, Ziegelei) die Anbaulust. Ausweisungen von Waldflächen
zu Anbaustätten erfolgten namentlich unter dem Grafen Albrecht
Wolfgang und dem Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Letzterer
legte die Waldkolonien bei Bückeburg und Hagenburg an und grün-
dete 1768 den Ort Mittelbrink (S. 89). Noch jüngere Orte sind
Langenbruch und Hörkamp bei Stadthageu; da sie dem Handschrift-
lichen Verzeichnisse des Amtes Stadthageu vou Habicht und Wipper-
mann aus dem Jahr 1786 erst nachträglich eingefügt sind, so ist
anzunehmen, daß ihre Gründung kurz vor 1800 erfolgt ist.
In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts trat infolge
der durch die vielen Kriegslasten herbeigeführten Geldnot wiederum
ein Stillstand ein, wenn auch die Leibeigenschaft ausgehoben wurde
(10. Febr. 1810) und die Laudesherrschaft bald darauf passende
Plätze zum Aubau neuer Kolonien bereit stellte (24. Nov. 1810).
Aus dieser Zeit stammt der jüngste Ort unseres Landes, Hackshorst
bei Frille, eine Waldarbeiterkolonie (S. 117). Ein ganz außer-
ordentliches Anwachsen unserer Ortschaften erfolgte nach dem Kriege
1870/71, als die Industrie ausblühte, namentlich in den 1880er
Jahren nach der Ablösung der Waldberechtigungen und der Auf-
teilung der Allmenden. Nene Verkehrswege, wie Bahnen, Straßen
nnd Mittellandkanal, werden auf eine dichte Besiedelnng noch weiter
fördernd einwirken.
Zur Namenkunde. ZurDeutuug der Namen ist vor allem
wichtig, ihre älteste Form zu erfahren. In dieser Hinsicht liefert
n. a. Mooyers Schrift „Die vormalige Grafschaft Schaumburg in
ihrer kirchlichen Einteilung (Bückeburg, Wolper, 1858)" reiches
Material, ebenso geben verschiedene Arbeiten des um unsere Heimat-
geschichte sehr verdienten Geheimrats Dr. Weiß-Bückebnrg wichtige
Aufschlüsse. Eine' abschließende Besprechung unserer Ortsbezeich-
nungen müßte auch die hiesigen Flur- und Forstbezeichnungen be-
rücksichtigen, doch liegt darüber eine Sammlung noch nicht vor.
Die Namenkunde geht von der Wortform aus, die in ihrem
Grund- oder Bestimmungsworte häufig schou eine Deutung
zuläßt. An Gruudwörteru kommen in unseren Ortsnamen n. a.
— 289 —
vor: beck, bürg, berg, bruch, brügge, dorf, feld, Hagen, en (aus
hem = Heimstätte, Herdstelle), sen (aus hausen = zu deu Häusern),
hos, hop, holz, Horst (niedriges Gestrüpp, besonders die abgeholzte
Stelle im Walde), Hude, ing oder ingen (die Zugehörigkeit aus-
drückend), städt, Wöhren (Worth — Wurt, Hofstätte). Zu den Grund-
Wörtern treten oft Bestimmungswörter. Sie bezeichnen die Lage
des Ortes (Gelldorf — Dorf an der Gehle), die eigentümliche Be-
schaffenheit des Bodens (Wiedenbrügge — Bruch mit Weiden),
die Art der Anlage (Vornhagen — Hagenkolonie mit Föhrenein-
fassung — Vare, Vore) und häufig auch den Gründer oder ersten
Ansiedler (Probsthagen — nach der Würde des Stifters benannt,
des Magdeburger Dompropstes Bruno; Volksdorf — Trupp eiues
Folkhard, d. i. Volkshüter).
Unlere Ortsnamen. Achum: Acheim 1244, Achen, Achchem 1257,
Achem 1339, 1348, Achim 1540. — Ahnsen: Adenhusen 1256, 1273, 1381. —
Altenhagen (©. 61): Oldenhagen 1247, Antiqua Indago 1258, 1303. — Alt-
seggebruch: Sekbroke 1409, Secbroke 1452. Seggebruch ist erst durch Zu-
legung zu zwei verschiedenen Kirchspielen in Alt- (zu Obernkirchen) und Neu-
seggebruch (zu Vehlen) geteilt worden. — Arensburg: Vielleicht spätere Bez. sür die
nahe Steuburg (s. u. Steinbergen, auch S. 118). — Arensburger Papiermühle
(S. 117). — Baum (©. 135). — Beeke: Ansiedelung von Arbeitsleuten des
Klosters Obernkirchen. Bouenbeke 1257. Bei der Beeke 1616. — Berenbusch
(S. 287). — Bergdorf: Barechtorpe 1170, um 1250 Barchtorpe. — Berghol
bei Bad Rehburg, Försterei. — Bergkirchen (©. 39): Berkerken u. Berkkerken
um 1180. — Blankhammer (©. 118). — Blyinghausen: Blidinghusen 1225,
Blydinge 1359. — Borstlerbrink bei Lahde, Försterei. — Brandenburg:
Wahrscheinlich schon im 15. Jahrh. von d^t Schaumburgern angelegt. Der
Name wird auf einen Brand von Mnnnichhusen bezogen, von dem es zuerst be-
wohnt war. Das Amtsverzeichnis von Stadthagen 1619/20 bemerkt: Ein Welt-
liches sächsisches Lehen, früher von denen V. Mnnnichhusen bewohnt, durch deren
unordentliches Leben aber es dahin geraten, daß sie es nicht länger erhalten
können und also der Obrister Otto Plato von Heluersten damit wieder belehnet
worden. Da es aber itzo dem WolEdlen Gestrengen und Besten Dietrich vom
Brinke Fürst Holstein Schaumburgischer Landdroste umb eine Summa gelts eine
Zeit der Jahre versetzet. — Brands hos bei Wendthagen, Jagdschloß und
Försterei. — Bruch hos: Broke, Mirabilisbrock 1281, noch 1486 hof tom Broke
voer dem Greuenalueshagen genannt (©. 82). „Kanzler Weihe hat zwar den
Bruchhof zum adeligen Sitze zu bebauen angefangen, aber nicht vollführet
iAmtsverz. v. Stadth.)". — Brummershop: 1566, hieß 1575 Hof zum Sael. •—
Buch holz: Bocholte 1487. Darin Hof Nr. 1 mit dem alten Namen Henk-
husen. — Bückeburg lS. 120). — Cammer: Vielleicht früher zu Päping-
hausen gerechnet. Lämmern 1616. Alte Dorfteile: „Im Walde" (vor die Bäume
gebawet), „Im Walde u. vor den Sandwegen", „Kohlholl" mit den Stätten 7,
18, 19, 20—24 (um 1726). — Deinsen: Deynhusen 1320. — Echtorf:
Echthorpe 1250. — Ehlen Elmet, Elmede = Fläche mit Ulmen. — Eilsen:
Eildissun 1033, Eildassen 1189, Eylezhusen 1277, Eilssen 1511. Darin heißt
das Gehöft Nr. 3 alt Rottfeld. Roduelde 1379, Rotuelde 1381,1398, Rottuelde 1457.
— Enzen; Ennenzenhusen um 1165, Enetesen 1332, Enstzen 1410. —
Evesen: Eruessen, Hennessen zw. 1185 und 1206, Eruessen 1338, Eiuerssen irrt
16. Jahrh., Eversen 1616. — Fasaueuhof bei Bückeburg, herrschaftliches Gut. —
19
— 290 —
Frille (S. 116). — Gallhof: Qhelehof 1332, Ghelhof, Gailhof 1410, herr-
schaftliches Vorwerk. — Gelldorf: Geldorpe 1218, Gelethorpe 1259, Gelen-
thorpe 1261. — Großenheidorn (@. 60): Mit Kleinheidorn als Indagines
duorum heithoren (die Hagenkolonien der beiden Heidorn — Dorneinhägung)
1247. — HabichHorst: Havechorst 1269, 1274. -- Habrihausen: Haburge-
husen 1167, Hoburhusen 1176, Hoburchehusen 1179, Habergehusen um 1190. -
Hagenburg ^(S. 61). —• Hackshorst (@. 117). — Harri (©. 107) Einige
volkstümliche Forstbezeichnnngen, dnrch Lautverschiebungen entstanden, sollen auf
die Bedeutung als heiliger Wald zurückweisen: Bodenwinkel (Wodan), Fliegen-
kainp (Frigga), Osterbrink (Ostara). — Heeßen: Hessenhusen 1303, Hezensen,
Hetzensen 1387, Hesenzen 1391, Hesensen 1393. — Helpsen: Helpersheim 1208,
Helpersen 1261. — Hespe: Alt vielleicht Haspa = Espe (Zitterpappel).
Heuerßen (S. 81): Hoiersem 1224, Hoigersen, Hoyersen 1332, Hoiersen 1253. —
Hevesen: Hevezhusen 1257, 1335. — Hiddensen: Hiddenhusen 1223, 1280,
Hyddensen 1301, 1373. — Hiddenserborn bei Niedernwöhren, Försterei.
Hobbensen: Hobbenhusen um 1300, Hobbensen seit 1508. — Höckersau:
Hukesowe 1180, Hokeshove 1241, Hokesouwe 1440. Zur Höckersau, herrsch.
Meierei, gehört das sogen. Gevatterfeld. Es dehnt sich bis zum Notturm
aus — wahrscheinlich Grenzturm, nämlich auf der wohl Ende des 13. Jahr-
Hunderts entstandenen Grenze zwischen Schaumburger und Mindener Besitz.
Andere Bezeichn. sind „Pilesbaum" und „Dankerser Wahrturm". Der Pilesbaum
wurde 1471 von den Schanmburgern belagert, muß also eine befestigte Anlage
gewesen sein. — Hörkamp: (©. 288). — Hohenholz: Forsthaus nnd Waldung
bei Steinhude, heißt im 16. Jahrh. aufm langen Heidorn, wie Stiefelholz bei
Blumenau aufm Steufel Heidorn. — Holzkolonien bei Bückeburg und Hagen-
bürg (S. 288).— Ho rsthöfe: Horst 1208, Horsten 1218, Horst ville Merbecke
prope jacens — H. dicht beiin Dorfe M. liegend. ^ Hüls Hägen: 1465,
1512 — Hagenkolonie an der Hülse; wahrscheinlich hatte es ursprünglich deu
Namen mit dem älteren Lauenh. gemeinschaftlich. — Jetenburg (©. 119):
Geteneburg, Burg der Getena — Versammlung, wahrscheinlich eines Holzmark-
bezirks. — Kirchhorsten (©. 82). — Kl.-Eilsen (s. Eilsen). — Klus
(s. Petzen). — Knatensen: Gnaten-, Knatenhusen seit 1181. — Kobbensen:
Kobbingehusen, Kobbingonhuson um 1022, Cobbinghusen 1135, Cobbenhusen
um 1220 und im 14. Jahrh. — Krebs Hagen: Crepeshaghen 1332. — Kucks-
hagen: Kukeshagen 1247, 1332. — Landwehr, Oberförsterei bei Wiedensahl:
Der Name (lantwere to wyndesolen 1410) bezeichnet einen alten Grenzwall
mit Zollstätte am Ausgange des Schaumburger Waldes gegen die vormalige
Holzgrafschaft zu Wiedensahl. Ein noch heute vorhandener hoch aufgeworfener
Grenzgraben soll im 30jährigen Kriege von den in den Wald geflohenen Wieden-
sahlern zu ihrem Schutz angelegt sein (Die Anlage von Gräben anöden Land-
mehren und Knicken wurde übrigens in der Land- und Polizeiordn. v. Jahre 1615
ausdrücklich gefordert). — Buschmanns Landwehr bei Bad Rehburg:
Rest einer an der Straße Hagenburg-Rehburg endenden uralten Landwehr, die
der Verkoppelung zum Opser gefallen ist. Die Landwehren (S. 231) dienten
auch dazu, zwei Markgenossenschaften zu trennen, um das Übergreifen bei der
Viehtrift zu verhindern. — Langenbruch: (S. 288). — Lauenhagen (S. 89),
vielleicht unter Heinrich dem Löwen (S. 220) entstanden, der gerade in unserer
Gegend manchen Besitz gemeinschaftlich mit den Askaniern von den Billungern
geerbt hatte; erscheint wie Nordsehl im Halbteilbesitz der askanischen Herzöge
und des Bischofs von Minden. — Levesen: Leveste 1363, seit 1518 Levessen,
worin der Schottelhof lag. — Lindhorst (©. 90): Linhurst um 1160, Lint-
horst 1312, 1410. — Lohhof: Von Otto I. (S. 226) zn einem herrschaftlichen
Vorwerke hergerichtet. — Lüdersfeld: Ludersenvelde 1215, Ludersvelde 1247,
Luderscenvelde 1253, 1279, 1306, Luderschevelt im 14. u. Anfang des 15. Jahrh.,
in Ober-, Kapellen- (auf älteren Karten Kapla) und Niederlüdersfeld geteilt (von
den Ortsbewohnern Obern- und Niedernhagen benannt); Hagenkolonie,^ von den
Mindener Bischösen (infolge der Schenkung des Mirabilis) gemeinschaftlich an-
— 291 —
gelegt mit den askanifchen Herzögen von Sachsen (als Erbnachfolgern der alten
sächsischen Billnnger Herzöge». — Luhden: l^uden, Ludben. Die Kapelle wird
1281, 1282, 1309 erwähnt. Auf der Südseite des Luhdener Berges lag die vom
Grafen Anton (S. 228) 1522 erbaute St. Katharinen-Kapelle, die bereits 1550
mit Einwilligung des Grafen Otto IV. von den Rintelner Bürgern abgebrochen
wurde. — Masch bei Bückeburg (Marschboden). — Maschvorw erk: 1348 de
Buckeburgh und use vorewercke davor ghelegen. — Meerbeck (©. 88).
Früher floß ein kleiner Bach, die Moorbeeke genannt, durch die noch heute so
benannten Moorwiesen nach der Gehle zu bei Kuckshagen; jetzt Verkoppelungs-
graben. — Meinefeld: Magetheuelde um 1220, Meigenfeld 1258, Mey-
neuelde 1387. — Meinsen (©. 115). — Meinserkämpe, Försterei bei
Meinsen. — Mittelbrink (S. 288). — Müsingen: Musinge um 1250,
Musinghe 1332, Musingen 1444. — Natenhöhe, Försterei bei Pollhagen. —
Neumühlen, Dorfteil von Ahnsen. Die alte Mühle lag früher weiter nach
Vehlen zu, die Verleguug an die jetzige Stelle wird 1757 stattgefunden haben. —
Neuseggebruch (f. Altseggebruch). — Niedernwöhren: Nedernworde 1239,
1312, 1332, im Gegensatz zu Ouerenworde oder Obernwöhren, das im 13. Jahrh.
kurz Wörden genannt wird. Von der Worth, d. i. der einzelnen Haus- oder
Hofftätte, mußte an den Grundeigentümer der Worthzins entrichtet werden, ge-
wöhnlich ein Huhn, Rauchhuhn genannt. — Niedernholz, Nienbrügge
(©. 294). — Nienstädt: Nienstede um 1160, 1176, 1179. Darin die „Leuchten-
burg" (heute Gehöft Nr. 58), in dem Amtsverz. 1619/20 nicht erwähnt, weil
damals vielleicht wüst, wohl aber 1786 als Freihof im Besitz eines Försters
Franke. An der Grenze der Feldmark liegt der Wulwehagen, ein kleines Gehölz.
Der Schnatwinkel, zum Bruchhos gehörig, ist eine noch erhaltene Landwehr. —
Nordholz (S. 287). — Nordsehl: Norcele, Nortsele 1236,1332; cel, sei = Seil,
Reihe (?). Die „Mittelnordsehler": Nr. 5, 8, 10, 20, 21, 24, 25, 26, 28, 33,
41 u. 43 mutzten nach dem gerichtlichen Vergleiche v. 18. Febr. 1658 denen
v. Münchhausen beim Absterben des Kolons ein Pferd „nächst dem besten" und
beim Sterbefall der Hausfrau eine Kuh nach Remeringhausen liefern, Dienst
und Zehnten bezahlten sie dorthin jährlich in Geld mit 100 Reichstalern und
leisteten daneben nur jährlich 48 Spann, Nr. 1 u. 2 waren dienst- u. zehnt-
pflichtig an v Oheimb-Stadthagen, die übrigen Nordsehler, „Ober- und Nieder-
Nordsehl", an die Meierei Brandenburg, Nr. 31 war ein Meerbecker Kirchen-
Zinsmeier. — Obernwöhren (s. Niedernwöhren). — Osterholz, Dorfteil von
Nienstädt (S. 76). — Pageskamp, Ziegelei bei Steinhude. — Petzen (S. 115):
Pettensen, Petissen, Petese, Petesen (richtige Schreibweise ein e). Nach
Petzen gehört die Klus; es gibt Bückeb.- und Preuß.-Klus. Letztere ist die
ältere und hieß Lt. Anna Clus, ursprünglich wohl eine der an großen Heerstraßen
(hier dem „Heelwege") errichteten Klausen, in denen im Mittelalter auch Wanderer
sicher vor Wegelagerern nächtigen konnten und ein Llusenar zugleich als Geist-
licher für die stets angebaute Kapelle den Aufsichtsdieust versah. — Pollhagen
(S. 88): Pol, Poll — Hagen am äußersten Ende des Bezirkes. — Probsthagen
(©. 89 u. 289). — Reinsen, Bückeb. u. Hessisch-Reinsen: Peinbusen 1216, Reysen
1300, Reynsen 1338, 1360; Rein, Rain ^Grenze. — Remeringhausen: v. Münch-
hausensches Gut, um 1600 von einem Meierhofe zu einem adeligen Sitze erhoben
und Ludolf v. Munnihaufen adelig frei verliehen. — Röcke: Pocke 1221, 1256,
Pocken 1271. Ursprünglich 2 Dörfer, durch den Wald Santvorde (Saudfurt) ge-
trennt; Rocke == Rücken, Hügelrücken. Ein Dorfteil ist heute noch als Östlingen
bekannt. Die Häuser dicht vor dem Sandfurt (6—38) werden Petzer Baum ge-
nannt. — Röfehöfe: Rosen 1180, bot to der Rose 1391, tor Rose 1472. —
Rote Scheune bei Steinbergen. — Rundenfelde, früher Forsthaus bei Stadt-
Hagen. — Rusbend: Wahrscheinlich neuere Siedelung oder einst zu Warber ge-
hörig = Ruschfläche (S. 287). — Scheidungswindmühle bei Lauenhagen.—
Scheie: Scoythe, Scoithe, Schogethe, Sogethe, Scheyde, Scheyden, schon um
1055 erwähnt. Dazu gehört der Rethof, 1381 Gruthof (d. i. Brauhof) to Reyt.
Im Dorfe der Nordhof 1446, der Midhof 1420 und der Hof Lemenkule 1388. —
19*
— 992 _
Schermbeck: Bückeb.-, Hess. u. Wests.-Scherinbeck. Scbyrenbeke, Scirenbeke
1352. Die Schermbeeke bildet auf eine längere Strecke südlich von Bückeburg
die Landesgrenze. Schiren — scheiden, trennen, also Grenzbezeichnung, wie in
den folgenden beiden Namen. — Schierbach: Oberlauf der Holpe und Dorfteil
von Nienstädt mit einer früheren Glashütte (S. 79), die seit dem 1. April 1910
eingegangen ist. — Schierneichen: Schernike 1458, wahrscheinlich Name eines
Grenzbaumes für eine Holzmark. — Schlingmühle bei Steinbergen (S 117).
— Schmalenbruch bei Bergkirchen, neuere Flurbezeichnung. — Selliendorf:
Selinckdorpe, Selinctorpe, Selingdorpe, Zelinckdorpe 1314 (Siel?). — Spießings-
hol, Oberförsterei bei Pollhagen. — Stadthagen (S. 95) mit dem Vororte
St. Annen, früher „bei St. Annen", nach einer St. Annenkavelle benannt
(]. Klus unter Petzen, S. 291), wie sich solche bei vielen Städten Norddeutschlauds
finden. Bielleicht handelt es sich hier immer um Berpflegungsstanonen für die
Reifenden, die nach Torschluß nicht mehr in die Städte gelangen konnten.
Steinbergen (S. 117): Stenburch um 1160, Stenborg 1238, 1257, Stenborch
1310, Stenberga 1313, Steinberg 1632. Altes Gemäuer der vielleicht ursprüng-
lichen Steinburg findet sich am äußersten östlichen Ende auf dem sogen. Brinke,
der die Kirche trägt. — Steinhude (S 57). — Steminen: Alte Bezeichn.
fehlen. Hof M 1 heißt „Etzerfelder Hof". 1620 wird der „Meyer zuiu Metzer-
felde" genannt, auch kommt der Name Härmen Etzerfeldt in Leuessen vor. -
Süd hör st en (f. Kirchhorsten, S. 82), der südliche Teil des früheren Kirchdorfes
Horsten: 1281, 1315, 1332, 1339. — Sülbeck (S 81): Sulbike, Sulbeke, Szul-
beke, Sülpke; Sul-beke = Bach mit Suhlstellen, Kotlachen, in denen das Wild
„suhlt", sich wälzt. Darin der Hellehof 1287, Helhof 1323. — Tallensen:
Tolnhusen 1286, Telhusen, Tallensen 1305, 1342, Tallenhusen 1322, 1330, 1338.
Der Name hängt vielleicht zusammen mit dem heutigen „telen" = erzeugen, heraus-
wirtschaften. vom Acker gebraucht. — Vehlen (©.114) = zu den Feldern, näm-
lich der „Alten Bückeburg". — Volksdorf: Folchardesdorfa 1029, Folchardes-
dorf 1033, Volktorpe 1410, Volkstorppe 1559, Volckstorff 1620. — Vornhagen
(S. 289): Vorenhagen 1269. Darin wird 1517 ein Hof Knipendeil erwähnt
(deil, deel = Teil ist eine niederländische Bezeichnung für ein Ackermaß und
weist darauf hin, daß die Anlage den Holländerkolonien nachgebildet ist: Knipo
wahrscheinlich = Knappe). Noch heute heißen die Höfe 7, 9, 12, 14, 18, 19, 21
und 24 die Kniepers Die Kniepers waren einst Junkerleute derer v. Alten,
kamen dann an die v. Brinke und von diesen (um 1760) an das Gnt Remering-
hauseu, wohin sie dienst- und zehntbar wurden: M 22 war als Kirchenmeier
dienst- und zehntfrei und lieferte jährlich 7 MalterKorn nach Probsthagen (1 Mlt. — 6
Himpten). Den Dienst bezahlten sie dorthin in Geld, den Zins gaben sie an die Rent-
nerei Sachsenhagen. Im Sterbefall wurde von ihnen nur das Sterbepferd nach
Remeringhausen entrichtet. Sie lösten keine Frei-, sondern nur Meierbriefe. Die
übrigen Kolonate waren dienst- und zehntpflichtig an das Vorwerk Stadthagen.
— Wacker feld: Wackeruelde um 1160. — Warb er: Worckere 1235, Wertbere
1284, 1287, Warborch 1540. — Weinberg bei Bückeburg (S. 110). — Wendt-
hagen: Wenethage 1234, Winethaghen 1259, Wenthaghen 1354. Dazu gehört
die Glasfabrik Wendthöhe (S. 79). — Widdenfen: Widdessen 1268, 1292.
Wiedenbrügge (©. 289): Winbrugge 1247, 1529, Wynbrucke 1314. —
Wilhelmstein bei Hagenburg (S. 49). — Windhorn bei Hagenburg: ältere
Bez. fehlen. — Wölpinghausen bei Bad Rehburg: Welpingebusen um 1220,
Welpinghusen um 1310. — Wulfhagen, ältere Bez. fehlen: von 1600 bis 1800
zwei Meierhöfe.
Preußische Orte. Aus der Prov. Hannover nach dem Kirchspiel Berg-
kirchen eingepfarrt: Winzlar: Winkeslere 1196, 1251, 1279, Winkesler 1225,
Wynkeslere 1295, Wintzler, Winkesler 1335. — Auhagen (Kr. Grafsch. Schaum-
bürg): Awhagen 1647. — Düdinghausen (desgl.): Dudinghusen um 1090,
1226, 1247, 1296 (s. S. 41). — Westsälische Orte im Kchsp. Frille: Päping-
hausen: Pepinghusen um 1030, Papingehuson 1059, 1070, Papingehusen
um 1215, Pepinghusen 1264 und im 14. Jahrhundert. — Mieters heim:
— 293 —
Witersen 1233, Wytersen 1275, Withersen 1333, Gohgerichtsstätte 1325. [83t§
1902 waren noch eingepsarrt: Aminghausen: Amanhuson um 1070,
Amminghusen um 1255, Amenhusen 1267 und Leteln: Litolon um
1130, Letelen 1262, 1373, 1407, 1410. Zwischen Leteln und Wietersheim
die Feldflur Uppen Sehoppenfelde, Gauname Scapeuelde, S. 194]. — Klein-
bremen (S. 145): Westfälisch. Um 1190 u. 1230 paruurn Bremen, Enttingen-
bremen 1282, Luttekenbremen 1393, 1438, 1458, Luttiken Bremen 1335, Lucken-
bremen 1487, Lütteken Bremen 1342. Darin Gehöft Nr. 3 Rabünte. —
Aus dem Kreise Grafsch. Schaumburg eingepfarrte Orte. Nach Heuerßen:
Heidbrink, Hess.-Reinsen (mit dem Dorfteil Reinebult, Bult — Erderhöhung)
und Hos Eichenbruch. — Nach Lindhorst: Schöttlingen: Scortlage 1315,
Schotlinghe 1410, Schotlinck 1652. — Eickhöfen — Höfe mit Eichenbestand. —
Ottensen: up der Eilhorst. — Nach Obernkirchen: Rolfshagen: Roleus-
hagen um 1300, auch Indago Rodolfi, Rolefeshagenn 1448, Roleuehagen um 1490,
Roleueßhagen 1546, Rolfingeshagenn 1439, darin 1540 der Struckhof. —•
Krainhagen: Kreyenhagen um 1220 — Hagen mit Kreiken (wilden Zwetschen-
bäumen). — Röhrkasten: Rotherkissen 1185, 1206, Rorekersen 1308; darin
Hof Nr. 1, das Klippschloß genannt. — Nach Steinbergen: Ahe: A 1130,
A penes Scowenburg (bei der Schaumburg) 1258, 1279, 1338, A parochie in
Sternberga 1313, A under Schomburg 1490 (= Wasser). — Eng ern: Engeren
um 1160, 1213, 1230, Hengeren um 1231, Angaria prope Rynthelen 1265
(Engem bei Rinteln), Engere 1280, Engher 1328, Engger 1358. Darin erhalten
der Volksname Angrivarier, Engern. — Brinkhof, nach der Lage benannt. —
Seehof: Ze Angher 1328. — Neelhof: Nele 1317, Nelhof 1460. — Nach
Sülbeck: Liekwegen, alt nicht erwähnt, — am Leichenwege, nämlich nach
Sülbeck.
Mnstungen. Darunter versteht man eingegangene Ortschaften,
die einst als Dörfer oder Einzelsiedelungen bestanden haben. Auch
in unserer Gegend kann das Verschwinden früherer Wohnstätten an
vielen Beispielen nachgewiesen werden. Ost mag die Beschaffenheit
der Feldflur die Veranlassung gewesen sein, den bisherigen Ort aus-
zugeben und dafür einen ergiebigeren Platz einzutauschen, oder der
durch die Nähe des Waldes bedingte Wildschaden, vielleicht auch die
schwere Belastung mit Herrenabgaben und Hofpflichten, oder das
Bestreben, in größere Dörfer und in die Städte überzusiedeln, wo
besserer Schutz geboten werden konnte. In einigen Fällen mögen
auch Kriegs- und Pestzeiten kleinere Dörfer und Einzelhöfe fo ent-
völkert haben, daß sie verlassen und wüst liegen blieben. Von
wüsten und verschuldeten Höfen reden besonders unsere behördlichen
Erlasse aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Frevene, erhalten in „Trenner Feld", westl. v. Hagenburg, daneben eine
Wrese „auf dem Kirchhofe". — Smalenh agen = kl. Hagen, 1247, 1248, 1279 u.
1290; Monekehusen (Münchhausen, S. 41) 1280, dessen Pfarre 1335 und
Kirche 1386 erwähnt werden. Beide Orte sind wahrscheinlich in Winzlar aufge-
gangen. — Hukeshol (Huxholl bei Spießingshol, S. 41) um 1170, 1258. —
J: „ Ungen 1609, Meyerhoff in Schüblingen bey Bergkercken, erhalten als
„Schottlinger Feld". Engelingerot bei Lüdersfeld, jetzt Feldflur „auf dem
Engels Raede". Beldersen, erhalten als „Bellersches Feld" zwischen Lüders-
feld und Auhagen. — Gudenhagen bei Stadthagen 1410. — Riesseld,
— 294 —
wahrscheinlich zwischen Bruchhof und Ehlen, wo heute Riesbeeke und Riesbreite
vorkommen. - Kuckucksmühlen, jedenfalls am Krebshäger Mühlenbache,
im 15. Jahrh. beliebte Bezeichn. für einsam gelegene Wassermühlen. — Wich-
mannsdorf, 1312, 1328, 1329 u. 1410, 1405 als Wichmannstorper veld, 1410
als wichmestorper velt und 1505 als Wystorperfeld erwähnt, jetzt die Feldflur
„Sonnenbrink" im Winkel zwischen Staatsbahn und Rintelner Bahn. Erhalten
in „Wiesdorser Weide" an der Enzer Chaussee. — Eckwardingehusen,
wahrscheinlich nahe bei Meinefeld: beide werden 1391 gemeinsam verkauft.
Bischoperode, jetzt Feldflur des Schäferhofes (S. 89). — Osterhof, östlich
v. Stadthagen, Osterfeld. — Siekhusen, vielleicht östlich v. Krebshagen,
zwischen Krebsh. u. den Ruschkämpen. — Lazeshusen bei Meerbeck (?). -
Herdissen, im Bückeberge gelegen, wahrscheinlich oberhalb Obernkirchen, schon
vor 1180 wüst. Vielleicht hängt der Name mit der alten Bezeichn. des Bücke-
berges klart zusammen. — Bei Wietersheim Ochtersen: Octtirsin, Hochtersin
1214, Ochtersen 1213, 1499, erhalten in den heutigen „Oxer-Höfen" (vielleicht
aus octuma = das 8. Stück, Opferabgabe). Bodendorp, südwestlich von
Frille, vielleicht Sitz eines kgl. Boten oder Beamten, der den alten Königsweg
(via regia antiqua, S. 232) zu beanffichtigen hatte. - Didingohusen bei
Frille, um 1070, Didinghauser Vorde (Furt) 1562, daneben die Scheurenwiese
= Grenzwiese. Vgl. auch unter Steinhude S. 58!
Anmerkung. Aus einem mir während des Drucks durch Herrn Archivrat
Bercken in Bückeburg freundlichst übermittelten reichen Quellenmaterial sollen hier
noch einige Berichtigungen (zu S. 287) und Ergänzungen kurz nachgetragen werden.
Zum Amte Hagenburg gehörten zur alten Schanmburger Zeit (bis um 1640)
nur Steinhude, Hagenburg, Altenhagen und Großenheidorn! auch wurde wohl
Mesmerode (1647 an Braunschweig-Lüneburg gefallen! dazu gerechnet. Alle
sonstigen Znbehörungen waren ehemals Bestandteile des alten schanmburgischeu
Amtes Sachsen Hagen und wurden infolge des zwischen Hessen und Lippe ab-
geschlossenen Teilungsvertrages (Bückeburg, 12. Dez. 1647) an den Grafen Philipp
zu Schcmmburg-Lippe abgetreten, damit dieser bei der gleichen Teilung der sieben
Amter der alten Grafschaft mit ihren auf rund 46 820 Tl. geschätzten Einnahmen
— wovon auf Hessen wegen zweier Ämter (Schaumburg u. Rodenberg mit dem
Salzwerk) allein über 21000 Tl. entfielen — nicht zu kurz käme. Nach jenem
Vergleich behielt Hessen vom Amte Sachsenhagen nur den Ort Sachsenhagen mit
den darin und dabei gelegenen gräflichen Gebäuden, Vorwerken und Mühlen,
sowie die Dorfschaften Auhagen und Düdinghausen nnd an Gehölzen den
Düdinghäuser Berg, die Auhäger Schier und das halbe Dühlholz, während die
übrigen Zubehörungen dieses Amtes sämtlich in schaumb.-lipp. Besitz übergingen.
Dieser Zuwachs bestand aus den von den Dorfschaften Lindhorst, Pollhagen,
Wölpinghausen, Bergkirchen, Wiedenbrügge und Schmalenbruch umschlossenen
Teile des ehemaligen Amtes Sachsenhagen, das sich also vordem ganz zwischen
die Ämter Hagenburg und Stadthagen einschob, während heute das Amt Hageu-
bürg mit seiner ganzen Südseite unmittelbar au das Amt Stadthagen grenzt.
Zu diesem aus dem ehemaligen Amte Sachsenhagen ausgeschiedenen Teile ge-
hören auch die heutigen Ortschaften Niedernholz und Nienbrügge. Beide
Orte kommen in den ältesten Verzeichnissen des Amtes Sachsenhagen aus den
Jähren 1553 und 1556 uoch nicht vor. Niedernholz wird zuerst 1598 und
1603 mit 4 Bewohnern erwähnt (Heinrich Wichgrefe, Heinrich Pollhagen, Hans
Bartels und Heinrich Mensching). Dieselben Namen finden sich 1618 als „Kleine
Köter", neben ihnen Kasten Bowers nnd Loeph Niemeyer als „Beisitzer", auch
werdeu Cuerdt Rehese und Loeph Mensching für „Neuwenbrügge" aufgeführt,
so daß hier Nienbrügge zum ersten Male erscheint. Noch 1650 nnd 1658 findet
sich die Schreibweise „vor der Newenbruck". 1661 hat Niedernholz 4 „Beysitzers"
und 6 „Beybawers", auch 1662 werden 10 Bewohner genannt. Die Entstehung
von Niedernholz fällt also in die Zeit von 1556 bis 1598, die von Nien-
brügge zwischen die Jahre 1603 und 1618.
— 295 —
III. Aus der Geschichte unserer Dörfer.
Allgemeines. Wie es bis zur Einführung des Christentums
in unserer Heimat aussah, ist schon im geschichtlichen Teile erörtert
worden (Ansiedelung, Haus und Hos, Ackerwirtschaft, Größe der
Höfe, Meiergutsverfassung: S. 173, 192, 201 ff.). Hier soll nun
die weitere Entwicklung unserer Dörfer bis zur Jetztzeit geschildert
werden, namentlich die Entstehung der verschiedenen Arten von
Hösen, ihre Belastung durch die Grundherrschast und endliche Befreiung.
Meierrecht. Die wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Dörfern
unseres Landes hatten sich wahrscheinlich schon bald nach den Sachsen-
kriegen vollständig verändert. Die Bauern saßen auf ihren Höfen
nicht mehr als freie Männer, sondern nur noch als Nutznießer gegen
Entgelt, indem sie den Grundeigentümern Naturalien (S. 205) liesern
und Dienste leisten mußten. Die adeligen Grundherren kamen durch
den Kriegsdienst, besonders durch die Kreuzzüge und die mit dem
Ritterleben verbundene kostspieligere Lebensweise allmählich sehr
zurück. Höhere Einkünfte waren nicht zu erreichen, da die an und
für sich geringen Abgaben der Pflichtigen Bauern nach dem über-
kommeueu Höserecht nicht gesteigert werden durften (S. 202).
Um nun die stärkeren Ausgaben durch größere Einnahmen anszu-
gleichen, entschloß sich der Grundherr, von der pachtfrei werdenden
Besitzung (Villikatiou) den Haupthof abzutrennen und einem Pächter,
der Meier genannt wurde, gegen eine seste Summe oder Pacht zu
überlassen (zu „vermeiern"). Die zugehörigen Lathusen oder Höfe
wurden in eigener Verwaltung behalten. Als diefe Versuche nicht
zu nennenswerten Mehreinnahmen führten, hob der Grundherr
die Hörigkeit der Bauern ganz auf. Durch diese im 12. und
— 296 —
13. Jahrhundert allgemein ergriffene Maßregel machte sich der
Grundherr von allen Verpflichtungen frei, an die er bisher durch
das Höferecht gebunden war. Ebenso fielen damit für den Bauern
alle Pflichten, aber auch alle Rechte. Der Bauer wurde Person-
lich frei, aber besitzlos, denn auf seiuen Hof, den er ja nur als
Höriger innegehabt hatte, konnte er jetzt als freier Mann keinen
Anspruch mehr machen. Der auf solche Weise freigewordene Hof
ging in das unmittelbare Eigentum des Grundherrn zurück. Mehrere
solcher Höfe (gewöhnlich zwei bis vier) wurden nach dem Borbild
der Haupthöfe zu einem Besitztum vereinigt, das der Grundherr
aber nicht selbst in Bewirtschaftung nahm, sondern in Meierrecht
ausgab. Dieses Recht beruhte aus einem für bestimmte Jahre ab-
geschlossenen kündbaren Pachtvertrage und verpflichtete den Pächter
oder Meier zur püuktlicheu Lieferung aller Abgaben an den Herren-
sitz. Ein so entstandenes Besitztum wurde Meierhof genannt. Die
Meierhöfe waren also ursprünglich kein freies Eigentum, sondern
gewissermaßen Leheu, über die das Obereigentum dem Landesherrn,
den Stiftern oder Rittergütern zustand; sie waren infolgedessen
unveräußerlich nrch unteilbar.
DöfeKlajfcn. Nach der Größe der Meierhöfe, die von der Zu-
sammenleguug abhing, gliederten sich die Meier in Voll-, Dreiviertel-
und Halbmeier. Ein Vollmeierhof zählte 120 Morgen und darüber.
Der Meier erhielt zur Beglaubigung seines Pachtverhältnisses den
Meierbrief. Wollte der Grundherr den Pachtvertrag aufheben,
so wurde der Pächter „abgemeiert". Zu Meiern wurden iu der
Regel freigelassene Bauern genommen, aber auch Bürger oder Be-
amte aus der Stadt. Sie waren anfänglich freie Zeitpächter,
wurden aber nach und nach selbständige Eigentümer oder doch min-
destens Erbpächter. Der Stand der Meier bildete fortan die wich-
tigste Bevölkerungsklasse Niedersachsens.
Ein Meierbrief.
Die 1385 ausgestellte Urkunde des Meierbriefes für den Büsingschen
Hof Nr. 1 in Wackerfeld hat folgenden Wortlaut: Zu wissen und offen-
bar sei allen und jeden, die diese Urkunde tho sehen, lesen oder hören vor-
kumpt, das heute dato undergeschriebener Ehrwürdiger Andächtiger und
Geistlicher Herr Johan Franke, Abt des Kaiserlichen freien Stifts Sanctorum
Mauritii et Simeonis (der Heiligen Moritz und Simeon) binnen Minden hatt
bemeiert und eingedan: Cnrdt Wailink (im Erbregister v. I. 1620 findet sich
die Schreibweise Cordt Welingh) den Meierhofs zum wackern Felde, belegen
in der Grafsschop Schaumburg, Amt Stadthagen, welcher Meierhoff, welchen
— 297 —
hie be vorn bewonet hat mit Namen Tileke zum Westerfelde oder Moller
genant und hat nun ermelte Abt obgeschrevnen Curdt und seiner ehelichen
Haussrouwen den meier dergestalt eingedaen welches davon zu geben zwischen
Michaelis und Weihnachten wolgemelten Abt und Convent, was seine Für-
faren davon gegeben haben und die Closter-Registern thun ermelden; es
soll auch ferner Curdt Wailink ernannten Meierhoff nicht versetzen, verpfänden
oder keine neuere Dienstbarkeit dar lassen aufbringen, bei Verlust seiner
meierstedt; wen auch nach dem willen Gottes von diesen vorgeschrevnen
eheleuten, als nemlich Curdt Wailink und seine itzige Haussrouwe, einer
würde versterben uud derjenige, so im lebende würde bleiben, soll sich nicht
wedderumme uf ernannten meierhoff verendern, es geschehe den mit des
Abts und Convents wissen uud willen; wenn auch der liebe Gott Curdt
Wailink Eckernmast würde gnädiglich geben, und ehr dieselbige zu seiner
eigen behues nicht zu donde soll der gutherr umb die gebuer für einen
andern der negste darzu sein. Das thor Urkunde der warheit seindt dieser
Meierbrief zwo mit einer Handt geschrieben, die' wir ehrgemelte Abt eine
bei uns behalten und die andere gedachtem Curdt Wailink unserm Meier
thogestellt haben und durch den uamen Mauritius aus einander geschnitten,
gegeben in dem ihar nach Christi geburt Tausend fünf hundert achtentzich
fünf am palmfondage. (Der Rand ist also ausgeschnitten:
______- VR I _________yvS. Zur Prüfung der Echtheit standen die
fehlenden Buchstaben aus der zweiten Urschrift.)
Neben den Meiern, deren Höfe im 14. und 15. Jahrhundert
dem Landesherrn stener- und dienstpflichtig wurden, blieb eine
größere Zahl höriger Kleinbesitzer bestehen, die allmählich auch nach
dem Meierrecht behandelt wurden. Die durch die Freilassung um
ihren Hof gekommenen ehemaligen Hörigen, die keinen Meierhof
erlangen konnten oder wollten, behielten ihr Haus, das meistens
nicht zum Hofe gehörte, und blieben, soweit sie nicht auswanderten,
als freie Häusler in der Gemeinde wohnen; sie hatten nur der
Landesherrschaft einen Schutztaler als Steuer zu entrichten. Einige
Freigelassene zogen in die Städte, andere siedelten sich in unserer
Heimat als Kolonisten in den zu dieser Zeit entstehenden Hagen-
dörsern an (S. 90), während wieder andere in die noch dünn be-
völkerten Gebiete östlich der Elbe wanderten, die damals gerade der
Kolonisation erschlossen wurden. Den Höhepunkt dieser freiheitlichen
Entwicklung des Bauernstandes bildete das 13. Jahrhundert, aber
fchon im 15. Jahrhundert trat ein entschiedener Rückschlag ein, als
der Ausbau des Landes, die Auswanderung nach dem Osten und
die Städtegründungen aufgehört hatten.
Bei der Zusammenlegung mehrerer Höfe zu einem Meierhofe
blieben einzelne Feldstücke frei liegen. Diese vermeierte der Grund-
Herr gern an Neusiedler, die ihm als Tagelöhner oder Handwerker
willkommene Arbeitskräfte wurden. Jede derartige Baustelle wurde
— 298 —
„Kot" genannt (Abschneiden — Accut), der Inhaber Köter (Koter,
Kötuer); daher kommt auch die noch in manchen Gegenden für eine
Arbeiterwohnstätte übliche Bezeichnung „Katen". Die Köter besaßen
außer ihrer Hausstätte höchstens noch einen Garten, aber keine
Ländereien; sie werden ihr Auskommen zunächst als freie Arbeiter,
Handwerker, Häudler u. dergl. gefunden haben, bis sie mit der Zeit
auch eigenes Ackerland erwarben. So unterschied man fortan
Meier- uud Kothöfe und dementsprechend zwei Bauernklassen, Meier
und Köter. Diesen Unterschied macht n. a. die Verordn. des
Grafen Otto IV. vom Jahre 1577 in den Bestimmungen, wie Ver-
träge und Testamente über Bauerngüter zu errichten sind. Die
Köter teilten sich später nach der Größe ihres Besitzes wieder in
Groß- und Kleinköter, indem erstere ihre Ackerwirtschaft mit 1 oder
2 Pferden betrieben, letztere aber ohne Pferde. — Daneben bestanden
aber auch iu den einzelnen Amtern sogenannte Freihöfe, die sich
in keinem gutsuntertänigen Verhältnisse befanden, wie der jetzige
Dreyersche Hof in Wackerfeld, der Freihof in Probsthagen und der
in Kuckshagen.
Des Grafen Ernst Amts- und Hausordnung für die Grafschaft
Schaumburg v. I. 1615 läßt erkennen, daß bereits eine Vermehrung
der Bauernklassen eingetreten ist. An die Amtleute ergeht nämlich
die Anweisung, genaue Verzeichnisse über die eingesessenen Meier,
Köter und Brinksitzer aufzustellen. So erscheint nunmehr, kurz vor
1600 entstanden, die dritte Bauernklasse, die der Brinksitzer. Sie
haben ihren Namen davon erhalten, daß sie sich auf den Brinken
und Angern der Gemeindeflur ansiedelten, an sonstigen freien Plätzen
oder an den Dorfstraßen (daher auch Straßeufitzer oder Znbauer
genannt). Ihr Anwesen war ursprünglich Rottland und umfaßte
kaum mehr als zwei Morgen, wozu aber noch Pachtländereien
kamen. Nach dem Wachsen des Grundbesitzes erfolgten Ver-
fchiebungen aus einer niederen in eine höhere Klasse uud um-
gekehrt.
Als jüngste Bauernklassen erscheinen gegen Ende des 18. und
zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Anbauer der damals ge-
gründeten Kolonistendörfer und im letzten Viertel des 19. Jahr-
Hunderts die Neubauer, für die infolge der Gesetze über Ablösung
der Waldberechtigungen (1870) und Gemeinheitsteilungen (187-1)
Bauplätze in großer Zahl frei wurden (S. 288). Trotz der ver-
— 299 —
schiedenen Klassen fühlten sich die Dorfbewohner früher enger mit-
einander verbunden als heute, weil sie wirtschaftlich mehr aus-
einander angewiesen waren.
Um das Anwachsen der Stätten und die Zunahme der Be-
völkerung zu zeigen, seien einige Beispiele angeführt. Das Amtsverzeichnis
Stadthagen macht für das Jahr 1786 folgende Angaben: 730 Feuerstätten,
5064 Einwohner, 60 Vollmeier, 145 Halbmeier, 123 Großköter, 70 Kleinköter
und 290 Brinksitzer. Die erste Zahl der nachfolgenden Übersicht bezieht sich aus
das Jahr 1620, die zweite (eingeklammert) auf das Jahr 1786.
Halbspanner Kleinköter Brinksitzer
Meier oder Großköter Köter
Halbmeier 2 ( 5) 7 (11)
Krebshagen: 4 (4) 12 ( 6) 3 (-) - ( 6)
Hespe: — - (10) 24 (-) — - (29)
Volksdorf: 4 (4) 13 (13) 8 ( 7) 5 (-) - ( 6) 4 ( 4)
Niedernwöhren: 3 (3) 7 ( 8) 9 ( 9) 3 (-) 8 (11) 8 (42)
Nienstä dt: 1 (1) 3 ( 3) 4 ( 4) - (-) 2 ( 1) 15 (24)
Zahl
der
Wohnstätten
1620
Krebshagen ..........28. ,
Hespe- 24>
Hiddensen 7f.....
Volksdors ............34..
Niedernwöhren- 38)
Mittelbrink-
1786 1910
Einwohner
(für 1620 sind 6 Pers. auf
jede Stätte gerechnet)
1620 1786 1910
...32.
}>. .46.
...34.
76
116
78
2
1
251
4
1
, .41
mitFreihos
. . .30
73 i
12 l
2
2
33
5
1
I"
89. .. 165
168.
186.
204.
246.
188..
334. .
233..
588. .
506
750
402
1428
180.... 256....1020
Wulfhagen-
Horsthöse
Nienstädt-
Wackerfeld-
Meinefeld 1 .. .30 ' 1*. .39.. . 141
Schierbach-
Osterholz
Grundherren. Als seit dem 15. Jahrhundert nicht mehr
die ritterlichen Lehnsaufgebote den Kriegsdienst versahen, sondern
das Söldnerwesen in das Heer drang und die Landsknechte auf-
kamen, erhöhten sich die staatlichen Ausgaben. Der Landesherr
suchte nun seine Einkünfte zunächst durch Erhöhung der Heersteuer
(Grafenschatz, S. 200) oder durch Beisteuern zu steigern, um dafür
die zu stellende Mannschaft beschaffen zu können. Außerdem errich-
tete er in der Nähe seiner Burgen Wirtschaftgebäude oder Vorwerke
und verwandelte Meierhöfe in Domänen, die ausschließlich durch
die Frondienste der umwohnenden Bauern bewirtschaftet wurden.
Der einheimische Adel hatte bis zum Ausgange des Mittel-
alters noch keine Rittersitze auf dem platten Lande, sondern be-
— 300 —
Wohnte die Burgmannshöfe in den Städten (S. 121). Erst mit
Beginn des 10. Jahrhunderts verlegte der Ritter seinen Wohnsitz
aus einen seiner Höfe, den bis dahin sein Meier bewirtschaftet hatte.
Der vom Ritter bewohnte Meierhof war im wesentlichen gegenüber
dem Landesherrn dienst- und abgabenfrei uud hatte das Recht der
Grundherrschaft über verschiedene Höfe oder ganze Dörfer.
An Grundherren (vgl. auch S. 212) gab es in der Graf-
fchaft Schaumburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts (teils schon
erloschen) nach Spangenbergs Chronik (S. 72) folgende: von Holle,
von Post, von Bardeleben, vom Holtz, Winnihanfen, Busche, Kam-
Pen, Exter (bei Rinteln, jetzt von Meten), Haus Landesbergk (jetzt
von Scheele zu Stadthagen), Langen, Möllenbeck, Münchhausen,
Ohem (von Oheimb), Rottors, Spiegelbergk, Wurm, Westphaleu,
Wedell, Wettbergk, Wide, Wartenschleven, Zerßen. In Stadthagen
waren außerdem angesessen: von Wietersheim (Wieterheimsches Armen-
haus), vou Gadenstedt, von Puttkammer; in Bückeburg: von Dank-
Werth, von Kerßenbrok. — Von diesen alten Adelsgeschlechtern blühen
noch heute in Schaumburg-Lippe die v. Oheimb, v. Münchhausen
und v. d. Busche.
herrschaftliche Vorwerke und Meiereien, an welche die gutsunter-
innigen Bauern Abgaben zu entrichten und Dienste zu leisten
hatten, waren: Höckersan-Petzen, Masch Vorwerk, Arensburg, Gall-
hof, Bruchhof, Lauenhagen, Schloßmeierel Stadthagen, Lohhof,
Schloßmeierei Hagenburg; daneben gab es geistliche Grundherr-
schafteu (Minden, Obernkirchen, Kloster Fischbeck, Möllenbeck,
Mariensee) und einzelne adelige Grundherren (z. B. v. Oheimb,
v. Münchhausen). Auch bestanden, wie bereits erwähnt, einige
Freihöfe. — Nach den herrschaftlichen Vorwerken führten viel-
fach besondere Dienstwege für die Pflichtigen. Reste solcher
Wege finden sich heute noch am Maschvorwerke für die Pflichtigen
Scheier und bei Lindhorst westlich des Dorfes füdlich der Staats-
bahn für die nach dem Lohhofe Pflichtigen.
Döfeschnlk. Von jeher war unsere Landesherrschaft darauf
bedacht, die Bauernhöfe zu erhalten und eine ungesunde Ausdehnung
des Großgrundbesitzes zu verhindern. Das wurde in erster Reihe
durch den Schutz der Erblichkeit und Unteilbarkeit der Höfe,
die sich schon früh ganz von selbst herausgebildet hatte, und weiter-
hin durch verschiedene gesetzliche Maßnahmen erreicht. Auf der
Grundlage der alten Rechtseinrichtung, daß die Höfe unveräußerlich
— 301 —
und unteilbar waren, entwickelte sich allmählich die „Geschlossenheit"
der Höfe oder das Verbot, vom Hose ohne behördliche Genehmigung
Teile abzuverkausen, anch das „Anerbenrecht" oder der Zwang für
den jeweiligen Besitzer, den Hos zusammen zu halten, ebenso das
„Leibzuchtrecht". Für die Geschlossenheit der Höfe war früher wesent-
lich die Sicherung der Gutsgefälle maßgebend; später tritt
jedoch der staatliche Gesichtspunkt der Erhaltung eines leistungs-
sähigen Bauernstandes in den Vordergrund.
Die Geschlossenheit der Höfe, die Begünstigung des Anerben-
rechts, das Verbot der Einziehung der Höfe durch die Grundherren
und die zerstreute Lage der grundherrlichen Ländereien hinderte bei
uns die Ausbildung großer Güter, wie sie sich im Osten des Reiches
finden. Da in der Grafschaft Schaumburg auch die auf den Höfen
ruhenden Lasten nicht erhöht werden durften, so gingen die Stürme
der Bauernkriege während der Reformation an dem hiesigen Bauern-
stände vorüber, ohne ihn in Mitleidenschast zu ziehen.
Die nächste Verwaltnngs- und Gerichtsbehörde für die Dörfer
war das Amt, das zugleich auch das herrschaftliche Vermögen in
feineni Bezirke verwaltete. Der erste Beamte war der Amtmann,
der den Titel Drost führte, wenn er vom Adel war. Unter ihm
standen die Vögte, Holzgeschworenen, Holzknechte und die Gemeinde-
beamten der Dörfer. An der Spitze einer Dorfgemeinde stand der
Hochmeister (Bauernvogt), heute Vorsteher. Die gemeinsamen An-
gelegenheiten wurden auf der „Bauernstätte" beraten, einer Ver-
sammlnng der Dorfberechtigten, zu der durch Blasen eines Hornes
noch in den 1860er Jahren eingeladen wurde. Außer dem „Hach-
mester" gab es iu den Amtern Achtsleute, behördlich ernannte
Aufsichtspersonen, die den Vögten vierteljährlich bei Abhandlung
der Geldstrafen (Brüche) alle kleineren und größeren Frevel melden
mußten. Die Städte hatten eigene Verwaltung uud Gerichtsbarkeit,
die Gutsbezirke jedoch nur im beschränkten Umfange. — Die Ein-
künfte des Landes wnrden von der Kammer verwaltet. Früher
waren Landes- oder Staatsvermögen und Privatbesitz des Landes-
Herrn noch nicht streng getrennt; erst infolge der Verfassung V. I.
1816 kam es zu einer Scheidung, die durch die Regelung des
Finanz- und Steuerwesens im Jahre 1818 dauernd hergestellt wurde. —
Als obere Gerichtsbehörde wirkte die Justizkanzlei in Bückeburg,
für die 1619 eine Kanzleiordnung erlassen wurde. Die höchste
— 302 —
Gerichtsbehörde war das Hofgericht mit besonderer Hofgerichts-
ordnung V. 8. Nov. 1639. Zur schleunigen Beförderung und Ab-
kürznng der Prozesse wurden am 11. Okt. 1693 eine Prozeß-
ordnung und am 21. Dez. 1728 ein Justizreglement erlassen.-
Die Landverhältnisse wurden zuerst durch die Amts- und Hans-
ordnung v. I. 1615, das Polizeiwesen durch die Land- und
Polizeiordnung dess. Jahres geregelt; letzteres Gesetz wurde durch
eine Fenerordnnng v. 18. Sept. 1730 erweitert. (Der Kürze
halber sind die im folgenden oft erwähnte Amts- und Hausordnung
wie auch die Land- und Polizeiordnung mit A. H. O. bezw. L. P. O.
bezeichnet). — Diese Rechtsverhältnisse haben bis zum 1. Oktober
1879 bestaudeu (f. Kap. Staatsbürgerkunde). Bis dahin hatten
also die Amter Verwaltung und Rechtspflege (Justiz) zugleich wahr-
zunehmen und zwar als erste Instanz (Unterbehörde), abgesehen von
den Fällen der eximierten Gerichtsbarkeit (S. 209): Konsistorial-
angelegenheiten, eximierte Personen und Sachen, während die Justiz-
kanzlei die zweite Instanz gegen die Urteile der Amter war. Mit
obigem Zeitpunkte wurden Verwaltung und Justiz vollständig ge-
trennt, indem für Verwaltungssachen in erster Instanz die Landrats-
ämter, sür Justizsachen in erster Instanz die Amtsgerichte zuständig
wurden. — Eine Reihe von Verordnungen und Gesetzen regelte das
Kirchen- und Schulwesen (Kircheuorduuug 1560 u. 1614, das
Schulgehen der Kinder 16-19, 1653, Kirchen- und Schulzucht 1657,
Betrieb des Schulwesens 1681, Schulbesuch 1713, Laudschulordu.
1733, Schulordu. 1766, Landschulunterricht 1777, Seminar 1783,
Halbtagsschule 1807, Schulgesetz 1875), Militärdienst, Münz-,
Medizinalwesen und viele andere Fragen. So sorgte die Landes-
Herrschaft auf allen Gebieten, damit jeder seines Lebens froh
werden konnte.
Aus alten Verordnungen.
Die Fürsorge für die Erhaltung unserer Bauernhöfe ergibt sich aus
zahlreichen Verordnungen. Einige der wichtigsten seien hier mit ihrem wesent-
lichsten Inhalte wiedergegeben: Keiner soll seinen Kindern mehr denn einen
landsittlichen Brautschatz mitgeben (landesüblichen), sonst könnten die Höfe
geschmälert und unserm gnädigen Herrn Schatz (Steuer) und Schulde davon
nicht gereicht, die Dienste nicht geleistet, noch den Gutsherren das Ihre gegeben
werden. Verträge, Testamente usw. über Bauerngüter sind nicht ohne
Wissen und Willen des Drosten und Amtmanns aufzurichten, damit die Höfe
bei Ehren und Würden bleiben (6. Juli 1577). — Unsere Amten sollen von den
Höfen, ohne allein in nötigen Fällen leibzuchtsweise, nichts erblich reißen oder
abteilen lassen (1594). — Wiederkäufliche Kornzinse sollen dergestalt gerin-
gert werden, daß von hundert Talern mehr nicht als drei Malter halb Roggen
— 303 —
und halb Gerste oder zwei Malter Roggen und ein Malter Hafer jährlicher
Zinse genommen werden. Wucherliche Kontrakte werden als kraftlos und
nichtig erklärt, die Wucherer sollen bestraft werden (8. Okt. 1602). — Weil über
den verschuldeten Zustand der Höfe geklagt wird, „die Höfe seien dermaßen
mit Schuldenlast beschwert, daß die Lente werden darunter zu Boden gehen und
die Gebühr Uns und andern Gutsherrn hinsühro nicht leisten können", so wird
angeordnet, ohne behördliche Genehmigung (Konsens) kein Geld in Höfe aus-
zuleihen, auch soll über die Verwendung der Gelder berichtet werden (10. Dez.
1608). — Da die Meier- und Kothöse durch die Aussteuern der Kinder hänfig
in Schulden geraten,so darf kein Meier, er sei so vermögend er wolle, seiner Tochter
mehr als 100 Taler oder deren Wert als Heiratsgut mitgeben, der Halbmeier
oder Köter die Hälfte. Verschuldete Meier und Köter sollen Haus und Hof
nebst 5 bis 6 Morgen behalten, von Jagddiensten und Landfolge, der Lieferung
von Hühuern und Eiern an den Gutsherrn und der Gebühr an Priester und
Kirchendiener frei bleiben; die übrigen Ländereien, Wiesen und Kämpe sollen
auf etwa 10 Jahre den Gläubigern eingeräumt werden, die von jedem Morgen
einen Taler oder mehr jährlich ans Amt zu liefern haben. Nach 10 Jahren
gilt die Schuldsumme als erloschen, so daß der Hos wieder frei ist. Verweigern
die Gläubiger die Übernahme der Ländereien, so können die Gutsherren solche
selbst benutzen oder von andern annehmen lassen gegen „Befriedigung Unsers
an den Höfen habenden kundbaren Interesses", bis sie mit einem tauglichen
Colono wiederum besetzt werden können (A. H. O.).
Infolge des 30jährigen Krieges verschlechterten sich diese Verhältnisse noch
mehr. Ein Morgen Ackerland kostete damals 30 bis 32 Taler. Nach dem Kriege
werden die Beamten angewiesen, über die wüsten und verschuldeten Höfe
Erkundigungen einzuziehen, ob Konsens vorhanden, zu welchem Zwecke und Zins-
satze die Gelder geliehen, ob sie verbraucht seien zum Ankaus von Pferden, zur
Kontribution (Steuer) oder zu Bauten; die Schulden follen in den nächsten
10 Jahren ratenweise getilgt werden (21. Jan. 1652). — Die Gutsherren dürfen
Bauernhöfe nicht einziehen oder solche ihren adeligen Sitzen zulegen, die
Höfe sollen vielmehr in den nächsten 3 Monaten mit tüchtigen Kolonen besetzt
werden (21. Mai 1663). — Weil durch minderjährig zurückgebliebene
Erben der Hos sich nicht verwalten läßt und „Uns und den Gutsherren es zu
Schaden gereichen würde", wenn man die Verwaltung Vormündern anvertrauen
wollte, so soll der letztlebende Ehegenoß befugt sein, sich wieder zu verheiraten.
Sind aber die Kinder in 2 oder 3 Jahren den Hof zu bauen geschickt, so soll
ihnen _ vor andern der Hos gelassen werden (15. Mai 1669). — Inhaber von
veräußerten oder verpfändeten Rottländereien müssen den Rottzins erlegen
und dürfen das Korn davon nicht eher abführen, bis über den Rottzins ein
Vergleich gemacht ist (26. Juli 1649); alles Land, es sei an saadiger Länderei,
Wiesenwachs, davon kein Rottzins gegeben wird, ist Hosezahl-Land und
darf, wie auch das Rottland, ohne Konsens nicht veräußert werden (7. April
1665); Rottländereien, Wiesen und andere unbewegliche Güter dürfen nicht
an Fremde außerhalb Landes verkauft werden, da sie der Land-Kontribntion
und Schatzkasse entzogen und den Untertanen dadurch die obliegenden Lasten
vergrößert würden (31. März 1666, 28. Febr. 1671, 23. Mai 1695). — Wer
Saatkorn zum Säen nm die Hälfte ausleiht, besonders Gerste, Bohnen,
Wicken, soll nur den Wert des geliehenen Korns mit den Zinsen zurückerhalten,
nicht aber die Hälfte der Früchte (5. Mai 1684). — Eheverlöbnisse dürfen
nur mit Vorwissen und Einwilligung der Eltern oder Vormünder und im Bei-
sein von wenigstens 3 ehrlichen Mannspersonen eingegangen werden, im Beisein
von 5 Zeugen, wenn Eltern und Vormünder nicht vorhanden sind (30. Sept 1692).
Recht nachdrückliche Vorschriften über den Schutz des Grundbesitzes, deren
manche auf frühere verfchürfeud zurückweisen, finden sich aus dem 18. Jahr-
hundert. An adelige und sonst freie Güter dürfen steuerbare Grundgüter der
Bürger und Bauern nicht verpfändet oder gar erblich verkauft werden bei Ver-
luft der Hälfte des Wertes; bei wiederholter Zuwiderhandlung sollen Käufer und
— 304 —
Verkäufer die ganze Kaufsumme zur Strafe zahlen, der Handel selbst aber soll
null und nichtig sein (24. Juli 1713, 28. Nov. 1730). — Wiederholt wird geklagt,
die Höfe seien durch nachlässige Bewirtschaftung und große Schulden so herunter-
gekommen, daß die Kolone die schuldigen Dienste und Pflichten nicht leisten
könnten. Viele Höfe gerieten sogar in die Äußerung („Üterung — Zwangs-
verwaltung). Deshalb heißt es, daß Äußerungen nicht weiter geduldet werden
sollen. Die Eltern können bei der Ubergabe der Höfe an ihre Kinder sich die
Leib zu cht vorbehalten und sollen darin nicht beeinträchtigt werden, sind aber
nicht befugt, diesem oder jenem der Kinder die Höfe zu überlassen, sondern der
Kammer steht es frei, „den tüchtigsten zu erwählen". Alle in Äußerung st ehe n-
den Höfe, auch wüste Höfe, sollen ohne Aufschub mit neuen Kolonen besetzt,
solche Kolone aber, die nicht mit Fleiß nnd Sorgfalt ihren Gütern vorstehen,
von den Höfen gejagt werden (1. Nov. 1716). — Diese Androhung muß aber
wenig beachtet sein, weil erneute Verordnungen über das Schuldenmachen
und die Abmeierung in der Folge erlassen werden (1718, 1726, 1729, 1730,
1738). Ein Zuchthaus soll angelegt werden, damit die Verschwender andern
zum Exempel öffentlich gestraft werden können (5. Febr. 1729). — Infolge
der Verordnung vom 15. Mai 1669 sind die Höse in die 2., 3. und mehr
Ehen gebracht und viele in Schulden geraten (Abfindung der Kinder, Leibzucht).
Damit aber die Höfe „Uns und dem Gutsherrn zum Besten" verwaltet und die
Kinder von der Erbfolge nicht ausgeschlossen werden, soll derjenige Sohn erben,
der am tüchtigsten ist und den Hof bestreiten kann, oder eine der Töchter, die
durch eine anständige Heirat sich dazu eignen würde. Wenn der Kolon oder
dessen Frau versterben nnd unmündige Kinder hinterlassen, so ist die 2. Ehe
zulässig. Ehe es dazu kommt, soll ein Inventar und eine Beschreibung des
Hofes aufgenommen, auch examiuiert werden, „ob der oder die, so in den Hof
heiratet, eine anständige Person ist und ihr die Stätte anvertraut werden kann,
ob sie dem Hofe etwas einbringe oder statt dessen haushälrig nnd eines guten
Wandels ist". Die eingebrachte Barschaft ist sofort zum Nutzen des Hofes anzu-
legen und kann davon später nichts zurückgefordert werden. Eine 3. Ehe darf
nur dann zugelassen werden, wenn der Hof dnrch einen neuen Kolon oder eine
vermögende Frau sofort von Schulden wieder frei wird (30. Nov. 1729).
Die Höfe und Koten, aus denen Brautschätze oder Erbteile zu entrichten
sind, sollen nach ihrem wahren Werte taxiert werden, damit die Besitzer imstande
bleiben, die gebührenden Abgiften zu entrichten nnd die öffentlichen Lasten an
Landfolge, Unterhaltung der Wege usw. abzutragen. Außer dem Brautschatz
(S. 302/3) soll nichts gegeben werden, auch kein Brautwagen, doch darf ein Voll-
meier jeder sich verheiratenden Tochter zu einem Ehrenkleide höchstens 12, ein
Halbmeier 6 und ein Köter 4 Reichstaler geben. Zu der Hochzeit eines Voll-
meierkindes fallen nicht mehr als 10, aus einem Halbmeierhofe 5 und einer
Kote 3 Reichstaler gereichet und verwandt werden. Vor dem 60. Jahre soll kein
Kolon ohne erhebliche Ursache die Stätte übergeben (21. Febr. 1737). - Bei in
Äußerung geratenen Hösen soll den Kolonen, die durch eigene Schuld herunter
gekommen sind nnd noch arbeiten können, keine Leibzucht gewährt werden.
Solche Kolone dürfen nicht zu öffentlichen Ehrenämtern, als Alrermann, Hach-
meister 2c. zugelassen werden und sind, falls fie dergleichen Amt bereits versehen,
abzusetzen. Frauen und Kinder sind während der Äußerung von öffentlichen
Ehrengelagen, als Hochzeiten, Mergelbier zc. auszuschließen. Pferde dürfen nicht
gehalten werden, sondern müssen zum Nutzen solcher Höfe verkauft werden.
Nach Befinden erfolgt Abmeierung und Verlust des Meierrechts (15. Juli 1772). —
Kolone, die durch Verschwendung oder Vernachlässigung und Faulheit in die
Äußerung geraten sind, „sollen bei allen Feierlichkeiten zurückgesetzt werden:
besonders soll ihnen zu ihrer Beschämung und Abzeichen verboten sein, einen
schwarzen Hut zu tragen, sondern statt dessen sollen sie sich nur eines
weißen so lange bedienen, bis sie durch ordentliche Aufführung, Wirtschaft und
Fleiß sich eines Amtszengnisses der Besseruug hinlänglich würdig gemacht haben
werden (23. Okt. 1772)". — Die Schuldverschreibungen follen nicht mehr
— 305 —
wie früher mit 5, sondern mit 4% verzinst werden (18. Dez. 1781). — Der
rechtmäßige Anerbe männlichen oder weiblichen Geschlechts kann den Hof an-
treten mit vollendetem 25. bezw. 21. Lebensjahre (7. Juni 1785). — Kauf-
kontra kte und Verpfändungen muffen behördlich beglaubigt und bestätigt
werden (20. Sept. 1785). — Wer vorsätzlich nicht genehmigte Schulden
aus seinen Hof macht und sich den Gläubigern gegenüber auf die UnVerbindlichkeit
beruft, foll von seiner Schuld und Verbindlichkeit nicht frei fein und mit halb-
oder ganzjähriger Zuchthausstrafe belegt werden. Kann er die Schuld aus seinem
Vermögen nicht decken, so geht er seines Hofes verlustig und erhält auch keine
Leibzucht (8. Nov. 1785). — Um die Unbequemlichkeiten der Zusammen-
spannerei mehrerer Halbmeier zu einem Wagen zu vermeiden, sollen die
Halbmeier in derselben Zeit nur einmal bestellt werden, in der die Vollmeier
zweimal zur Landfolge angehalten werden (15. Sept. 1786). — Es wird im ein-
zelnen genau vorgeschrieben, wie die eingebrachten Gelder zum Besten des
Hofes zu verwenden sind (5/20. März 1798), auch werden die früheren Verord-
nungen über die bäuerliche Erbfolge ausführlich erklärt und näher be-
stimmt (5. Juni 1809).
Neben der Fürsorge für die Erhaltung der Höfe fehlt es nicht an gefetz-
lichen Maßnahmen zum Schutze und zur Hebung der Landwirtschaft selbst.
Sehr rege wurde früher der Flachs b au betrieben. Eine Verordn. v. 6. Okt. 1563
verbietet besonders den Einwohnern von Stadthagen das Reinigen des Flachses
während der Nacht bei Licht oder Feuer. Daneben wurde Hopsen angebaut
und im 18. Jahrhundert auch Tabak. Das Stehlen der Hecken und trockenen
Zäune im Winter wird mit dem Pranger oder mit Gefängnis bestraft
<10. Dez. 1664), das Aufreißen derselben, um über Wiesen, Kämpe usw. unge-
wöhnliche Wege anzulegen, mit 5 Gfl. (12. Nov. 1668). — Die Beschädigung der
Hecken durcki das Hüten der Ziegen soll von den Feldgeschworenen überwacht
und angezeigt werden (8. Mai 1781). — Das Viehhüten auf den Schandfuhren
ist verboten, solange Getreide im Felde steht, auf Ahnwendungen (S. 193) und
Brachfeldern nur dann erlaubt, wenn die Pferde in Zäumen gehalten werden
(27. Mai 1671)! später wird es auf den Schandfuhren und Ahnwendungen ganz
verboten, auf eigenen Graswegen und Brachfeldern nur erlaubt, wenn das Vieh
an einem stricke gehalten wird (29. Mai, 22. Juni u. 14. August 1781).
Gänfe dürfen auf den gemeinen Angern und Hudedistrikten, auf denen Rindvieh,
Pferde, Schweine oder Schafe ihre ordentliche Weide haben, nicht gehalten werden,
auf Stoppelfelder nicht eher getrieben werden, bis sie gänzlich abgeerntet
sind (29. Juni 1746). — Für Gartendiebe werden Strafen festgesetzt
(7. März 1783).
Alljährlich zu Michaelis, Weihnachten, Ostern und Trinitatis soll nach
Verordnungen v.J. 1771 der Vorrat an Kornfrüchten genau verzeichnet
werden, damit der jedesmalige Vorrat an Korn mit der Einwohnerzahl unseres
Landes verglichen und danach die Ausfuhr des Getreides geregelt wird
(17. Juli). Es folgen dann Ausführungsbestimmungen über die Fruchtauf-
nähme nebst einem Schema zur Eintragung: Mehl, Brot, Malz wird unter
keine besondere Position gebracht, ein gehäufter Himten Mehl wird für einen
Himten Korn gerechnet, 44 Pfd. Brot gelten für einen Himten Roggen, jeder
Kopf durch die Bank ist zur monatlichen Konsumtion anzuschlagen mit 3 Metzen
Roggen, x/4 Metze Weizen, V2 Metze Gerste (19. Aug.). Bald wird festgestellt,
daß diese Maßnahmen einen Kornmangel im Lande verhütet haben. Die
Kornpreise beim Verkauf im Lande sollen sein: Der Himten Weizen 1 Rtlr.
bis 1 Rtlr. 3 Mgl., Roggen 30 bis 33 und Gerste 19 bis 20 Gl. (7. Nov.).
— Nach einer anderen Verordn. sollen im Interesse der gemeinen Wohlfahrt die
Kornpreise so wenig als nur möglich eingeschränkt werden (10. Febr. 1772). —
Der Getreidebestand soll nicht wie bisher nach einer Anzahl Probegarben
festgestellt werden, sondern nach der Eigenschaft und Güte der kultivierten
Ländereien (14. Aug. 1772).
20
— 306 -
Mit dem stärkeren Anbau von Kartoffeln. Kohl, Rüben, gelben
Wurzeln usw. soll fortgefahren werden. Der Bau dieser Gartenfrüchte wie
auch der „Krupsizebohnen" kann, da es teilweise an Gartenland fehlt, im freien
Felde auf zehntfreien Ländereien und auch in zehntfreier „Bracke" geschehen
(24. März 1773). — Den Geistlichen wird empfohlen, durch eigene Versuche
und Bemühungen ihre Gemeinden zur Landwirtschaft aufzumuntern. Es
sollen auch einige der neuesten und vorzüglich brauchbarsten Abhandlungen von
der Verbesserung der Landwirtschaft, des Gartenbaus usw. angeschafft und an
die Prediger auf dem Lande unentgeltlich nusgetnn werden (2. Febr. 1774).
Da sich infolge der Brachfelder die Teufelsblumen und andere Unkräuter un-
gemein ausgebreitet haben, so wird ihre Ausrottung angeordnet (1775).
Im Anschluß an eine Anweisung über Wiesenbau, Behandlung der Saat-
ländereien und Anpflanzung von Obstbäumen und nutzbarem Holz
werden Belohnungen für besondere Leistungen in Aussicht gestellt. „Um die
fleißigen, ordentlichen Haushälter nach Befinden der Umstände vor andern be-
merken und belohuen zu können, wollen Wir durch eigentlich dazu beorderte
Personen von Zeit zu Zeit die Ämter außerordentlich bereisen und von den Um-
ständen und Fleiß der Inhaber jeden Hofes Uns genau berichten lassen und die-
jenigen, welche sich dnrch Verbesserung ihrer Haus- und Landwirtschaft auf eine
merkwürdige Art hervortun, wollen Wir nach Befinden durch Erlafsung auf
kürzere oder längere Zeit einiger Praestandorum (Pflichtleistungen), als Be-
freiung von Landfolgen, Spann- und Handdiensten. Burgfesten usw. oder durch
Geschenke an Ackergeschirr, Kleidungsstücken oder Vieh zc. Unsere Zufriedenheit
zu erkennen geben und dadurch ihr gutes Betragen zu ihrem eigenen Lobe
sowohl als zur Aufmunterung anderer bekannt machen (23. Febr. 1774)".
Die Huden und Triften sollen längstens in 4 Jahren ausgeräumt werden,
sonst werden die Gemeinden mit Geldstrafen an das Arbeitshaus in Bückeburg
belegt (8. Juni 1775).
Was Gewerbe, Handel, Verkehr, Handwerk, Zunftwesen und
dergl. anlangt, so finden sich schon 1615 (L. P. O.) einige Bestimmungen für
Brauer, Bäcker, Müller, Fleisch- und Knochenhauer, Kaufleute und Handwerker,
die damals noch ihren Sitz ausschließlich in den Städten hatten. Die früher
üblichen Gelage bei Aufnahme in die einzelnen Zünfte und Gilden werden ver-
boten; nur zweimal jährlich dürfen die zünftigen Meister morgens von 8 bis
10 Uhr in besonderen Versammlungen beraten und beschließe»: oder „Morgen-
spräche" halten. Von den nichtzünftigen Handwerkern heißt es, daß sie abge-
schafft und nicht gelitten werden sollen, z. B. bei den Schneidern, „das Herren-
lose Gesindlein und die Bönhasen, so im Namen der Schneider herumschleichen
und oftmahls nicht mehr können, denn daß sie guten Leuten das Ihre verderben".
Von den als Meister sich ausgebenden Handwerkern soll der Nachweis der Fähig-
feit gefordert werden. Nach dem Verfall des Zunftwesens konnte sich die Ge-
Werbetätigkeit auch auf dem Lande entwickeln. Hier sind namentlich die mit der
Landwirtschaft und dem Baugewerbe in Verbindung stehenden Handwerke auf-
geblüht, also Zimmerlente, Maurer, Steinhauer, Schmiede, Tischler, Stellmacher,
aber auch Schuster, Schneider und andere. Die Linnen- und Drellweberei
auf dem Lande wurde bei uns erst 1738 erlaubt. — Im Jahre 1786 gab es im
Amte Stadthagen: 3 Spinnradmacher, 11 Tischler, 34 Zimmerleute, 20 Rade-
macher, 6 Böttcher, 3 Glaser, 19 Grützemüller, 13 Schmiede, 30 Schuster,
29 Schneider, 56 Linnen- und Drellweberstätten, 4 Maurer, 13 Dachdecker,
10 Olschläger, 1 Holzschuhmacher und 1 Töpfer (Mittelbrink).
Um den Erwerb innerhalb der Grafschaft zu fördern, wurde die Ausfuhr
von Erzeugnissen und Nahrungsmitteln zeitweise verboten oder einge-
schränkt. So durften keine Fische (z. B. aus dem Steinhuder Meer), Felle, Häute,
Lumpen, kein Flachs, Hopfen, auch kein Korn, Vieh (besonders Schlachtvieh und
Füllen) usw. über die Grenze verkauft werden. Noch im I. 1771 wurde ange-
ordnet, Schlachtvieh und Lebensmittel von solchen Dörfern, die höchstens eine
kleine Stunde von den Städten entfernt seien, sollten zunächst in den Städten
— 307 —
feilgeboten werden, erst dann könnten sie, falls sie keinen Abgang fänden, gegen
Attest vom Magistrat auswärts verkauft werden. Es sollte möglichst alles im
Lande selbst erzeugt und umgesetzt werden. Sensen, Schaufeln und Schneide-
messer, so heißt es 1774, sollen nur auf dem Eisenhammer zur Arensburg gekauft
werden. Nicht einmal das eigene Holz durfte ohne weiteres außer Landes
verknust werden. So wird 1780 verfügt: „Niemand soll sich unterstehen, ohne
vorherige Anzeige und erhaltene Erlaubnis Eichen- oder Buchenholz aus eigenem
Gehölze zu hauen, noch weniger aber dergleichen außer Landes zu bringen".
Wenn jemand in seinem eigenen Gehölze auch nur für sich einen Baum fällen
wollte, so mußte er warteu, bis nach erfolgter Anzeige der herrschaftliche Förster
kam, um den Baum zu „plecken" oder zu bezeichnen.
Nach der Taxordnung (behördliche Preisvorschrift) v. I. 1620 kosteten
ein Paar Mannsschuhe 16 od. 18, Frauenschuhe 14 od. 15, Kinderschuhe 4, 5 u.
9 Mariengroschen, ein Paar Stiefel von Corduan (weiches Ziegenleder, nach der
fpan. Stadt Cordova benannt» 2^ Taler (1 Reichstaler = 36 Mariengroschen).
Ein Grobschmied erhielt „ungefähr" für eine Zimmeraxt 24, für eine gemeine
Waldaxt 12, eine Barte 5, ein Handbeil 10, ein neues Hufeisen 3 Mariengroschen,
für zwei starke Stein- und Holzwagenräder 8, zwei Kutschräder 6 Taler. Zimmer-
leute, Steinhauer, Maurer, Tischler und andere Handwerker sollen im Sommer
ohne Kost als täglichen Arbeitslohn erhalten: Der Meister 6, der Knecht 5, der
Kalkschläger 4 Mgr., im Winter jeder einen Groschen weniger, mit der Kost
jeder die Hälfte. Tagelöhnern soll man mit der Kost 2, ohne dieselbe 4 Mgr.
geben, Korn- und Grasmähern mit Kost 4 Mgr., Weibspersonen ll/2, bei der
schweren Flachsarbeit aber 2 Mariengroschen. — Nach der Taxordn. v. I. 1654
erhielt ein Großknecht im Sommer 6, im Winter 3 Taler Lohn, 2 Paar Schuhe
oder 1 Tlr. und 2 Hemde oder 1 Tlr., der Kleinknecht („Schweppenknecht") 3 Tlr.
bezw. 1 Tlr. 18 Gr., sonst wie der Großknecht, die Großmagd 2 Tlr., 2 Paar
Schuhe oder 32 Gr., 20 Ellen Leinwand, alles in Geld 5 Tlr. 18 Gr., eine
Kleinmagd 1 Tlr. 18 Gr., 2 Paar Schuhe oder 28 Gr., 16 Ellen Leinwand.
Gesinde. Nach älteren Bestimmungen soll u. a. der Lohn in Geld ge-
geben werden und nicht in Korn auf dem Laude (L. P. O., Kap. 32 u. 63). —
Es wird Klage geführt, daß die Dienstboten in Städten und Dörfern ihre
Schuldigkeit nicht tun, daneben einen übermäßigen und im Lande niemals üblich
gewesenen Lohn fordern uud mancher Hauswirt Mühe habe, Knechte oder Mägde
zu bekommen. Viele junge Leute weigerten sich, bei andern um Lohn zu dieuen.
Damit nun jeder Hauswirt zur Fortsetzung seiner Hantierung und Wirtschaft die
nötigen Dienstboten bekomme, auch der verderbliche Müßiggang nicht zugelassen
werde, wird angeordnet, daß alle diejenigen jungen Leute beiderlei Geschlechts,
die noch mit keiner eigenen Wirtschaft versehen, angehalten werden sollen, bei
andern um Lohn zu dienen. Den Kindern, nämlich den Mädchen von 15,
den Knechten von 17 bis 18 Jahren an, soll nicht erlaubt sein, in
ihrer Eltern Hause ohne Arbeit zu bleiben und müßig zu gehen.
Den Vollmeiern werden zwei Söhne als Knechte und eine Tochter als Magd
gerechnet, den Halbmeiern und Großkötern ein Knecht und eine Magd, den
Kleinkötern und Brinksitzern nur eine Magd, wenn die Kinder wirklich als
Knechte oder Mägde dienen. Wenn ledige Personen oder Kinder ohne Dienst
gesunden werden, sollen sie nicht nur das gewöhnliche Schutzgeld erlegen, sondern
auch die Landfolge nebst 5 Erntetagen und Jagdfolge verrichten (4. Okt. 1729).
- Manche Knechte fordern, wenn sie zu den herrschaftlichen Diensten oder sonst-
wie abgeschickt werden, soviel an Speck, Butter, Käse und Brot, daß sie die
überflüssigen Speisen in den Wirtshäusern verkaufen, auch halten sie sich
dort nach verrichtetem Dienst oft bis in die Nacht auf. Jeder Knecht und Dienst-
böte soll sich mit dem begnügen, was der Dienstherr ihm mitgibt, nichts davon
verlausen, sondern getreulich zurückbringen. Bei Zuwiderhandlungen tritt das
erste Mal eine Geldbuße ein, das zweite Mal Entziehung des Vierteljahrslohnes
und zweistündiges Stehen am Schandpfahl, das dritte Mal Karrenschieben auf
sechs Monate bei Wasser und Brot. Krüger und andere Leute, die den Dienst-
20*
— 308 —
boten 93rot ober andere Speisen abkaufen oder gegen Bier und Branntwein Oer-
lauschen, werden mit 5 Talern bestrast, im Wiederholungsfall mit Karreuarbeit
auf sechs Monate (1. Febr. 1730). — Die Stellung der Dienstboten wird im
einzelnen dnrch eine Gesindeordnung geregelt <21. Aug. 1738). Aus deu
dort angeführten Strafbeftimmuugen sei erwähnt, daß Straspfühle itt den
einzelnen Ortschaften ausgestellt werdeu sollen, um daran Namen und Strafen
öffentlich bekannt zu geben. Wer ohne Anzeige außerhalb Landes geht, soll des
Erbteils am Hose verlustig sein, wer aber des Verdienstes wegen nach Holland
gehen oder in auswärtige Kriegsdienste treten will, soll nicht gehindert werden,
muß aber amtlichen Konsens einholen. Die Einlieger sollen außer zur Jagd-
und Landfolge auch zu Erntetagen und Wegeverbesseruugen herangezogen werden.
Diese Gesindeordnung soll jährlich am 9. Sonntage nach Trin., wenn das Evang.
vom ungerechten Haushalter erklärt wird, vou den Kanzeln verlesen werden.
— Bei Leistung der Hand- und Spanndienste für deu Gutsherrn soll den Dienst-
boten der sogen. Thamesbeutel nicht unmäßig angefüllt werden. Kein Dienst-
böte soll „täglich mehr als 2 Pfund Brot erhalten, an Butter, Speck oder Käse
aber eiue proportionierte mäßige Quantität". Der hiermit nicht zufriedene
Dienstbote, wie auch der Hausmann, der dieses Quantum überschreitet, erhält 2,
im Wiederholungsfall 4 Taler Strafe. Der Verkauf des Thames wird mit
empfindlicher und unabbittlicher Leibesstrafe belegt (3. Febr. 1747).
Festlichkeiten auf dem Lande. Die Gelage bei Begräbnissen
werden verboten. Es sind dabei nicht nur den Trägern, sondern auch dem
ganzen Gefolge Bier und Branntwein in solchem Überfluß gereicht worden, daß
bei der Prozession wie auch bei dem Gottesdienste in der Kirche allerhand lln-
Ordnung und Skandal entstanden sind (12. März 1739). Die Strase für
Schmausercien bei Beerdigungen auf dem Lande wird von 5 auf 20 Rtlr. erhöht
(23. August 1814). — Die früher 3 tägigeu Hochzeits- und H ausr ichtung s-
feiern mit Musik aus dem Lande werden auf 2 Tage beschränkt. Zum Besten
des Verbesserungsfonds für die Landschulen soll jeder Landmann, der eine ein- oder
zweitägige Hochzeit mit Musik und Tauz hält, 4 Rtlr., für eiue Hausrichtung
mit Musik und Tanz, wenn er ein Meier, Dreiviertel- od. Halbmeier ist, 2 Rtlr.
18 Mariengroschen, wenn er eiu Köter, Brinksitzer oder neuer Anbauer ist,
2 Rtlr. zahlen, überdies sollen auf einer zweitägigen Hochzeit am zweiten
Hochzeitstage bei einer Sammlung, die der Amtsrendant vornimmt, von jedem
mit zu Tische sitzenden Gaste wenigstens 1 Mgr. 4 Ps, gegeben werden. Die
Ausdehnung der Feier am zweiten Tage über 12 Uhr abends hinaus wird mit
10 Rtlr. bestraft, die deu Landschulen zugute kommen sollen (23. Nov. 1804>.
Hausrichtungsbiere sollen nie länger als einen Tag währen (2. Dez. 1809);
der zweite Tag wird gegen Zahlung von 5 Talern gewährt (30. Juli 1811).
Außer den Erd- und Hausrichtuugsbieren werden den Krügern jährlich 4 Tanz-
lu st bar leiten an einem Sonntage bewilligt; in diese 4 Lustbarkeiten werden
die früher an den Markt- uud zweiten Festtagen erlaubten Lustbarkeiten
eingerechnet (1. Nov. 1816). — Weil die zum Zwecke der Verbesserung der
Ländereien abgehaltenen Erdbiere häufig nur dazu benutzt sind, die Geladenen
mit Geschenken oder Giften zu beschweren, so werden solche Giften künftig ver-
boten (1. Febr. 1820).
Landstraßen und Wege «vgl. S. 232) sollen gebessert und die Grüben
ausgezogen werden. Den Achtsleuleu (= behördlich ernannte Aufsichtsleute
in den Dörfern) wird bei 10 Tlr. Strafe und Entsetzung von ihrer Be-
dienung ausgegeben, die Grüben sogleich aufzuziehen. Die Gräben sollen,
damit sie das Wasser vom Lande und von deu Wegen abführen können,
insgemein 3 Fuß breit und tief fein, bei engen Straßen nur 2 Fuß. Die Erde
soll zur Erhöhung der Straße in den Weg geworfen werden. Wer die gute
Erde gebrauchen will, soll 2 Fuder Lehm an die Stelle ans die Sraße bringen.
Versunkene Stellen sind mit Steingrand oder mit Gehölz aus herrschaftlichem
Forst zu erhöhen. Die Dorfschaften können von jedem Widerspenstigen 12 Groschen
einfordern, die zum Trunk bei der Arbeit anzuwenden sind; wer sich nicht aus-
— 309 --
pfänden lassen will, erhält eine höhere Strafe <29. Juni 16931. — Ein Jahr
später wird geklagt, die Verbesserlmg der Straßen sei wohl an einigen Orten
geschehen, es seien aber „annoch die meisten Wege dergestalt verdorben, daß
solche, sonderlich bey schlimmem Wetter, nicht ohne Gefahr und Schaden des
Viehes und des Geschirres fast mehr können gereiset werden, worüber auch sonderlich
die auswärtige Postmeister und Kaufmannschaft und andere reisende Leute große
Klage führen". Die Folge ist eine ausführliche Wegebefserungs-Ordnung,
in der die früheren Bestimmungen erneuert und ergänzt werden. Es sollen u. a.
au sumpfigen Stellen zum Absluß des Wassers Buchenrinnen durch die Wege ge-
legt, nach Möglichkeit auch steinerne Brücken gebaut werden; wo die Anlage
eines ganz neuen Weges erforderlich ist, können die Anwohner für die Hergabe
des Landes den alten Weg zu ihren Ländereien nehmen, unter Umstünden soll
das Amt zu den Kosten beitragen. Auch die Fußwege nach den Kirchen sind in
Ordnung zu halten (10. Mai 1694). — Zur Förderung der Wegeverbesserung
sollen an verschiedenen Stellen Barrieren errichtet und Chausseehäuser
erbaut werden für Wegeaufseher, deuen die Aufsicht über die Wege und die
Erhebuug von Wegegeldern aufgetragen wird. Die Benutzung der Wege, soweit
Wohnort und Feldmark reichen, bleibt frei. Zur Bestreitung der Kosten wird
ein bestimmtes Wegegeld nach einer Taxordnung eingeführt, auch werden
Strafbestimmungen erlassen (23. Juli 1784). — Auf den Gemeinheitsplätzen und
an öffentlichen Heerstraßen follen Weiden angepflanzt werden (Kappholz zur
Ausbesserung der Wege, Zäune); Vollmeier haben an den ihnen angewiesenen
Orten jährlich 24, Halbmeier 16 und die übrigen seßhaften Untertanen 8 bzw.
4' Stück junger Weidenstangen (Pottweiden) zu setzen. Dörfer, denen solche
Plätze und Wege fehlen, erhalten passende Stellen auf Forstgrundstück angewiesen
(16. Febr., 7/17. Dez. 1792). — Die Landwege sollen gebessert und gehörig tiefe
uud breite Gräben angelegt werden (16. Juni 1869). — Wagen, deren Räder
aus 6 Zoll breiten Felgen bestehen, werden von allem Chausseegelde befreit.
Im übrigen wird eine erhöhte Chausseegeldtaxe eingeführt (16. Mai 1811), der
bald neue Tarife und Strafbestimmungen folgen (27. März 1818, 13. Juli 1821).
Am 1. April 1963 sind alle Schlagbäume beseitigt uud die Wegegelder
aufgehoben worden. Die Unterhaltungskosten tragen seitdem Staat, Kreis
und Gemeinde je nach der Art des Weges (Staatsstraßen, Amts- und Ge-
meindewege).
Gebäude, Strohdächer, Osten. Schon uuter dem 2. Aug. 1598 wurde
das Neudecken der Häuser mit Stroh uud das Ausbessern der vorhandenen
Strohdächer für die Städte verboteu. Eingehende Vorschriften für Städte, Flecken
und Dörfer bringt dann die Feuerorduuug v. I. 1615 (L. P. 0., Kap. 24).
Die Dächer sollen mit Ziegeln gedeckt, die Giebel mit Steinen vermauert
werden, armen Leuteu soll man die Ziegelsteine billiger abgeben, auch soll ihuen
aus der Forst das Holz -zu Latten frei geliefert werden. Ferner wird hier vor-
geschrieben, daß Scheunen nur außerhalb der Orte gebaut werden sollen,
ebenso die Brennöfen der Töpfer, auch Teiche uud Brunnen in den Dörfern
anzulegen find. Ein schreiben des Grafen Wilhelm v. 26. Febr. 1766 richtet
sich zunächst auf die Verbesserung der Gebäude selbst: Weil bei Bauten bisher
die Grundplatten so niedrig gelegt sind, daß die Gebäude dem Grundwasser
ausgesetzt werden, so sollen alle neu zu erbauenden oder auszubessernden Gebäude
gegen 3 Fuß hoch mit rauhen Steinen unterfangen und die Mistpfähle dem
Grunde nicht zu nahe gelegt werden. Dann heißt es weiter, daß die Dächer
künftig mit Pfanu-Steinen gedeckt, Wohnstuben und Schlafräume nicht
mit Lehm, Plaggen k., „welche ihrer Feuchtigkeit halber Krankheiten uud befon-
ders Dumpf und Engbrüstigkeit verursachen", sondern mit Eichendielen oder
"annenbohlen belegt werden sollen. Unter dem 1. Mai 1766 heißt es, der Graf
habe zu großem^Mißvergnügen wahrgenommen, daß die wiederholten Verbote,
die Häuser mit Stroh zu decken, auch bei ganz neu erbauteu Wohnungen nicht
beachtet würden, die Ämter sollten allen Ernstes darüber halten, daß die schäd-
lichen und gefährlichen Strohdächer bei Ausbesserungen des Hauses oder bei
— 310 —
einem neuen Bau ganz und gar nicht mehr verstattet würden. Man scheint aber
dieses Verbot nicht gehalten zu haben, denn nach einer Verordn, v. 3. Mai 1796
sollen die gemeiuschädlicheu Übertretungen der Stroh dach Verbote ferner nicht
geduldet werden, vielmehr alle neu angelegten Strohdächer und mit Stroh vor-
genommenen Hauptbesserungen der Dächer weggeschafft, künftig aber neue Stroh-
dächer oder Ausbesserungen mit Stroh nicht angelegt werden ohne Rücksicht auf
die nichtige Ausflucht, daß das Dach zur Bedeckung mit Steinen nicht eingerichtet
sei. Die Not der Zeit hat aber die Durchführung dieser Verordnung verhindert.
Am 16. Juli 1816 wurde es erlaubt, die mit Stroh gedeckten Gebäude auch mit
Stroh auszubessern. Damals müssen also noch eine ganze Anzahl derartiger
Dächer vorhanden gewesen sein. Auch nachher scheint man das Verbot der Neu-
Herstellung von Strohdächern nicht so genau genommen zu habeu. Erst die
Bauordnung v. 24. Dezember 1899 forderte die Beseitigung aller vor-
handenen Strohdächer bis zum 1. Jan. 1910. Diese Frist zur Beseitigung
der noch vorhandenen Strohdächer sowie der mit leicht feuerfangendem Material
eingedeckten Walme oder Giebel ist inzwischen bis zum 1. Jan. 1920 ver-
längert worden. Neueindeckungen in der bisherigen Art bleiben auch für die
Zukunft untersagt; dagegen werden Eindeckungen mit Gernentzschen imprägnierten
Strohplatten einstweilen von der Behörde und Brandkasse als feuersicher aner-
kannt. — Nach einer amtlichen Zählung der noch im Jahre 1908 vorhandenen
Strohdächer hatte Kreis Bückeburg: 14 vollständige, 6 teilweise Stroh-
dächer, darunter 16 Wohngebäude und 4 Scheunen, Kreis Stadt Hagen: 115
vollst. Strohd., nämlich 83 Wohnh., 24 Scheunen, 3 Stallungen und 5 Back-
Häuser, 71 teilweise, nämlich 65 Wohnh. u. 6 Scheunen. - Unter Osten ist der
bodenartige Raum über dem Herdfeuer alter Häuser zu verstehen. Dicke Eichen-
oder Buchenbohlen ruhten hier auf einigen Holzträgern, von denen die beiden
nach der Diele vorspringenden Eckbalten gewöhnlich in Pferdeköpfe ausliefen.
Unter dieser Balkenlage waren die Kesselhaken befestigt, während der obere
Raum zum Räuchern und Aufbewahren der Fleisch- und Wurstwaren diente.
Oft hatten hier im Winter die Hühner nachts ihren Sitz. Eine Verfügung v.
11. Sept. 1730 stellt fest, daß die Osten vielfach nicht mit festen Bohlen bedeckt,
dagegen ost mit leicht ansteckenden Sachen behangen seien und ordnet deshalb
an, daß die Osten sofort zu säubern und mit Eichenbshlen zu bedecken seien, auch
sollen sie vierteljährlich durch die Amtsdiener nachgesehen werden.
bäuerliche Kasten, a. Abgaben. Tie jährlichen Leistungen
eines bäuerlichen Hofes bestanden in „Abgaben" und „Diensten".
Die Abgaben entsprachen unseren heutigen Steuern, nur daß sie
weniger in Geld, weil dessen Wert früher sehr schwankte, sondern
meist in Naturalien erhoben wurden (Korn, Groß- und Federvieh,
Eier usw.). Adel und Geistlichkeit waren steuerfrei. Eine besondere
Abgabe an Naturalien war das jährliche Zinskorn, das von
den Höfen der Leibeigenen wie auch der einst Hörigen entrichtet
werden mußte, nicht aber von sreigeborenen Leuten. Zu den Geld-
abgaben gehörten Grundzins, Schatzgefälle und Kontributionen.
Der Grundzins war ein gewöhnlich nur geringes Pachtgeld für
die Benutzung gewisser Ländereien oder Wiesen. Die Schatzgefälle
(alt Beden) waren Grund- und Gebäudesteuern, die von den nicht-
ritterlichen Ständen wahrscheinlich seit Einführung des Lehnsheer-
Wesens für die Befreiung von der Neichsheerfahrt erhoben wurden
— 311
und dann mit Bewilligung der Landstände als regelmäßige Landes-
steuern bestehen blieben. So bedeutet die seit der Wende des Mittel-
alters häufig wiederkehrende Bezeichnung „Michaelisschatz" eine zu
Michaelis zahlbare Landessteuer. Der „Kuhschatz" war eine Abgabe
für die Hnteberechtiguug im Walde. Grnndzins, Michaelis- und
Kuhschatz werden urkundlich als „staende Rente" bezeichnet. Unter
Kontribution ist eine ausschließlich auf dem bäuerlichen Besitz
lastende Grundsteuer zu verstehen, die wahrscheinlich aus einer
Kriegssteuer während des 30jährigen Krieges zur Unterhaltung von
Söldnern hervorgegangen und alsdann für ähnliche Zwecke bei-
behalten ist. Diese seit 1693 als gewöhnliche oder „ordinäre Kon-
tributiou" bestehende Monatssteuer brachte im Jahre 1786 aus dem
Amte Stadthagen monatlich 188 Tl. 14 Gr. 7 Pf. ein, aus dem
ganzen Lande jährlich 8000 Taler. Eine von dem Grafen Philipp
Ernst auferlegte außerordentliche oder „extraordinäre Kontribution"
von 10 Monaten führte zu einer Klage gegen den Grafen, die von
den Amtern bei dem Reichskammergericht angestrengt und auch ge-
Wonnen wurde (ein Abdruck der Vergleichsurkunde findet sich in
Landes-Verord. Band 4 S. 39).
Erwähnenswert sind noch einige besondere Fälle, in denen
Abgaben an das Amt zu leisten waren. Der Leibeigene mußte zur
Erlauguug seiner Freiheit einen Freibrief kaufen; für die Erteilung
des Ehekonsenses wurde der Ehetaler gezahlt; wer auswärts aus
einem Meier- oder Kothose geboren war und in einen hiesigen Hos
heiratete, mußte das Eiukömmliugsgeld mit 10 bzw. 6 Talern
zahlen; menn jemand mit behördlicher Genehmigung sein Eigentum
verkaufte, um in eine fremde Herrschaft oder Stadt zu verziehen,
fo mußte er das Abzugsgeld erlegen, nämlich den 10., 6. oder
4. Pfennig; derselbe Betrag kam vom Erbe aus sremder Herrschaft
in Abzug.
Abgaben seit altersher waren der Zehnte und das Besthaupt.
Der Zehnte war eine Abgabe des 10. Teiles vom Korn in Garben
(Feldzehnte) oder im Sack (Kornzehnte) und ebenso vom Vieh
(Fleischzehnte); er stand geistlichen und weltlichen Grundherren zu,
die sich oft darin teilten, so daß er nicht doppelt entrichtet zu werden
brauchte. Statt des 10. Teiles wurde vielfach auch das 11. oder
12. Schock Korn, Füllen oder Kalb gegeben. Die herrschaftlichen
Feldzehnten kamen in die Zehntscheunen und wurden hier im Winter
— 312 —
gedroschen, die Kornzehnten wanderten gleich auf den Kornboden
(z. B. Stadthagen). Der Bauer durfte nicht früher mit dem Ein-
fahren der Ernte beginnen, bis der herrschaftliche Einsammler des
Zehnten, der „Tegener", seinen Teil vom Felde geholt hatte. Beim
Winterkorn mußten 20, beim Sommerkorn 10 Garben in den Schocken
stehen. Der Fleischzehnte wurde von Füllen, Kälbern, Lämmern,
Ferkeln, Gänsen und Hühnern genommen. Das Besthaupt wurde
von einigen Höfen beim Sterbefall geliefert (S. 91, 202). Der
Grundherr konnte das beste Pferd oder die beste Kuh fordern. —
Wer seine Ländereien durch Waldrodungen vergrößerte, mußte den
Rottzehnten entrichten, der im Laufe der Zeit eiue wichtige Eiu-
nähme für den Landesherrn wurde. Durch Verleihungen, Verpfän-
düngen uud Veräußeruugeu kam es oft dahin, daß die einzelnen
Höfe ein uud desselben Dorfes einer ganzen Reihe von Herren
zehntpflichtig wurden.
Die Lieferung der Abgaben erfolgte gewöhnlich an bekannten
Heiligentagen, die dem Landvolke geläufig waren (Johannis, Jakobi,
Michaelis, Martini ufw.); oft wurde dabei als Gegengabe eine
Mahlzeit oder ein Trunk gereicht. Bei diesen „Pröben" spielten
in unserer Gegend, so berichtet Piderit in seiner Geschichte der
Grafschaft Schaumburg, bunter Kohl (brauner und weißer Kohl
gemischt), Hering und Bier die Hauptrolle.
Rechtsverhältnisse seit 1000.
Zehnte. Die Landesherrschaft hatte im Amte Bückeburg 2 Zehnten
zu fordern, einen von Röcke, Petzen, Bückeburg und Bergdorf, den andern von
Jetenburg, „fo nach dem Harn ihre Länderei gelegen", allemal das 12. Schock,
Füllen und Kalb, den Flachszehnten allein von Röcke und Petzen. Im Amte
Stadthagen wurden 7 herrschaftliche Zehnten gezogen: Ober-, Nieder-, Wester-
ftadtfeld, Obernkirchen, Obernwöhren und Krebshagen, Hüls- und Lauenhagen,
Vorn- und Probsthagen. Gallhof und Lohhof hatten je 2 Zehnten, elfterer von
Volksdorf uud Kuckshagen, letzterer von Heuerßen und Lindhorst-Eikhöfen
zu ziehen.
Geflügel und Eier. Jedesmal aus Anfordern wurden an die Herr-
fchaftliche Hofhaltung Gänse, Hühner („Rauchhühner", S. 202) und Eier
geliefert, die auch sehr viel als Abgaben an die verschiedenen Gutsherrschaften
vorkommen. Die Urkunden vermerken bei dem Geflügel nicht selten den Hinweis
„groß" oder irgend eine andere Bestimmung. So hatten die Stätten Nr. 5 und 9 in
Nienstädt an den v. Münchhausenschen Hos in Apelern Küken zu liefern, die aber
schon so ausgewachsen sein mußten, daß sie aus einem Himten springen konnten.
Mühlen. An herrschaftlichen Mühlen gab es im Amte Bckbg.
4 Wassermühlen (Meinsen, Neue-Mühle „vorm Harne", Vehlen, Gelldorf -
„letzterer wird aber durch den Abfluß des Kohlberges jo das Wasser genommen,
daß nicht viel damit verdient werden kann") und 1 Windmühle (aus dem Wein-
berge bei Bckbg.). Im Amte Stadth. waren 6 Wassermühlen vorhanden („ober,
— 313 —
mittelst, negst dem Gartgartten, wester, nieder, Privitsmühle" = Heidmühle).
Es wird geklagt, diesen Wassermühlen werde „das Wasser gar klein, daß sie in
Tag und Nacht zum öftern keinen Malter Korn mahlen können", die Leure
müßten nach Minden und andern Orten fahren. „Auf fleißiges Ansuchen der
Leute" erlaubt Graf Ernst deshalb 1618 den Bau einer Windmühle bei Meerbeck.
Den Drosten wird aufgegeben, auf die herrschaftlichen Müller zu achten, daß es
„mit den Metzen und Mahlgenossen recht zugehe (1614)". Bei Besetzung der
Mühlen sind nur solche Müller anzustellen, die genügende Bürgschaft leisten und
die Pacht zahlen können; sie haben die Mühlen auf ihre Kosten in Bau und
Besserung zu halten, das Amt liefert nur die Materialien iA. H. Oa Die Müller
sollen Mehl und Malz tüchtig und gut machen, nichts verwechseln oder ver-
untreuen (L. P. O.). Einheimische werden „ernstlich und bei willkürlicher Strafe"
angehalten, nur auf den herrschaftlichen Mühlen mahlen zn lassen (8. April 1662).
Eine solche war z. B. die früher auf der Feldflur von Laueuhagen an der
sogen. Scheidung gelegene Scheidnngswindmühle. Die Windmüller sollen beim
Nahen eines Gewitters die Mühlen einhalten, sie müssen sonst den durch Blitz
entstehenden Schaden allein tragen, erhalten auch keinen Ersatz aus der Brand-
kasse, werden vielmehr noch mit einer Geldstrafe von 10 Talern oder nach Be-
finden mit einer Leibesstrafe belegt (13. Aug. 1797). — Die Privatmühlen
des Landes wurden Klippmühlen genannt. Die Klippmüller durften außer
für Auswärtige nur für sich und die beiden nächsten Nachbarn (f. unten ein-
geklammert) das Mahlen und Graupenmachen ausüben, für andere Einheimische
mtr dann, wenn eine herrschaftliche Mühle in wasserarmer Zeit das Korn nicht
in zwei Tagen mahlen konnte. Einheimische wurden bei Zuwiderhandlung mit
1 bis 5, die Klippmüller für jeden Fall mit 20 Reichstalern bestraft. Diese
Verhältnisse wurden noch in der Neuzeit nach einem Rechtsstreite zwischen Rent-
kammer und Klippmüllern durch ein Erkenntnis der Juristen-Fakultät in Heidel-
berg bestätigt (2. Febr. 1847). Klippmühlen waren Wackerfeld Nr. 1 (3 u. 5),
Nienstädt Nr. 2 (3 u. 10), Habichhorst Nr. 2 (3 u. 11), Obernwöhren Nr. 14
(15 u. 16), Wendthagen Nr. 8 (6 u. 56), Krebshagen Nr. 3 (16 und 29) und
Vornhagen Nr. 4 (2 u. 5). — Die Müller konnten als Entgelt für ihre Arbeit
einen bestimmten Teil des gelieferten Korns für sich nehmen („matten"). Damit
kein Mißbrauch getrieben wurde, durften sie nur die behördlich gelieferten
Mühlenmatten (Maße) benutzen (13. März 1695). Ein solches Maß, Matt-
kopp genannt, faßte Vis vom früheren Bückeb. Himten (oder 2 I). — Alle diese
Bestimmungen süßten aus Rechten, die durch Herkommen sich herausgebildet
hatten. Viele ursprünglich königliche Rechte (Regalien, iura regalia, S. 210)
waren landesherrliche Rechte geworden. Dazu gehörte auch das Mühlenregal.
Man leitete es aus dem Mühlenbann oder dem Zwangsrecht her, das der
Grundherr durch die Anlage einer Mühle erlangte. Alle Bewohner eines Be-
zirks mußten in dieser Mühle mahlen lassen, auch durfte keine andere dort an-
gelegt werden.^
Zoll. An bestimmten, durch Schlagbäume versperrten Stätten wurden
seit uralten Zeiten Zölle erhoben. Darunter sind bei uns nur Abgaben für
den Durchzug von Transporten zu verstehen, also nicht, wie häufig an anderen
Orten, Gebühren für die Waren selbst. Einheimische und auswärtige fürstliche
und adelige Personen, Landstände und Drosten waren mit Korn und Gut gegen
Ausweis besonderer Legitimationspapiere (Zollbriefe) frei durchzulassen. Das
Amt Bückeburg hatte 4 Zollstätten („Zollstöcke"): Kohlberg (Gelldorf?) Kohlholen,
(Cammer?), ^ Bückeburg und Petzen, das Amt Stadthagen nur 2: „ufm Hause in
der Grachtpfordten" (alte Amtspforte beim Schlöffe) und Wiedenfahler Landwehr.
Die Abgaben betrugen für 1 Pferd (vor Einern Wagen oder los) oder 1 Kuh
1 Kort-ling, für 1 Schwein od. Schaf 1 uud für 1 Karre („dafür ein Pferdt
gehet") 1 Mattier'"). Der auf der Wiedensahler Landwehr 1619 angestellte Land-
^ /) Kortling, nieders. Scheidemünze mit einem Kreuz und darausliegendem G auf beiden
Seiten, zuerst 1360 in Göttingen geprägt in der Grütze eines Groschens. — Mattier, kleine
Silbermnnze, zuerst 1400 in Goslar geprägt, später im Werte von z Mgr. oder - 4 Pf.
— 314 —
Wehrschließer war ein „Holzknecht", der auch die Aufsicht über den Wald und
Knick führte. Zu feinem Unterhalt mutzten die nächsten Ortschaften jährlich bei-
tragen. So erhielt er aus Wiedensahl 53 Mettwürste und 53 Brote, aus den
Dörfern des Amtes Stadthagen sammelte er „Tegtkorn" 3 Malter 4V? Himten
und Gerste 572 Himten.
Vom Bier breiten. Während bis etwa 1600 in jedem Hause gebraut
werden durste, wird bald uachher in den Städten das Brauen nur einem
solchen Hause erlaubt, das vorher ein Brauhaus gewesen ist (L. P.O., Kap. 8).
Auf den Höfen und Gütern darf nur soviel Bier gebraut werden, als für die
eigene Haushaltung nötig ist, damit die Städte und Flecken, die auf Hantierung,
Handwerk und Brauwerk gestiftet sind, erhalten werden. In Städten und Flecken
sind 4 vereidigte Personen anzustellen, 2 vom Rat und 2 aus der Gemeinde, die
8 Tage vor oder nach Martini den Bier- und Broyhankauf schätzen sollen, wie
teuer Faß, Tonne und Maß das ganze Jahr hindurch bezahlt werden muß.
Auch müssen 2 Prüfer ernannt werden, je einer aus Rat und Gemeinde, die ein
jedes Bier probieren sollen (L. P. O., Kap. 43). Über die Bierpreise heißt es
in der Poliz.- u. Tarordn, v. 28. März 1643: „Wird ein Fuder (= 72 Himten) Gerste
gekauft für 30 Rtlr., alsdann soll gelten ein Faß Bier 3 Rtlr. 18 gr., ein Maß 4*/., Goß-
larische ps. Eine dicke Tonne Broyhan aber soll gelten 1 Rtlr. 24 mgr., eine
schmale Tonne 1 Rtlr. 5 Groschen, ein Maß 6V2 Goßlarische ps. . . . zum Brau
Bier sollen 10 Malter Gerste genommen und davon 8 Faß Bier und mehr nicht
gebraut werden. Zum Brau Broyhan aber soll man 8 Malter Gerste und
2 Malter Weizeu nehmen und davon 8 Faß Broyhan brauen. Wann derselbe
in die Tonne gefüllet wird, soll auf ein Faß 3l/2 Tonnen voll kommen, jede
Tonne aber zu 96 Maß haltend." — Weil den Hessisch - Schanmburgern ver-
boten ist, aus Schaumburg-Lippe Bier zu holen, wird den hiesigen Krügern
aufgegeben, kein Bier zu verschenken, das im Hessischen gebraut ist! insbesondere
sollen der Krüger zu Steinbergen und der zu Luhden das Bier aus Bückeburg
nehmen (28. Sept. 1705). — Die Braugerechtigkeiten sollen bei den Häusern
bleiben, an denen sie haften, niemand darf sie versetzen oder verkaufen (11. Nov.
1706 u. 4. April 1783). — Eingehende Bestimmungen enthalten die Brau-
orduungen für Bückeburg (19. Febr. 1707) und Stadthagen (19. März 1737).
In der für B. wird u. a. betont, daß sämtliche Krüger aus den Ämtern Bückb.
u. Arensb. nur Bckg. Bier einkaufen und ausschenken dürfen. — Seit 1767 werden
3 Sorten Bier gebraut; es kostet ein Maß Weißbier 5 Pf., Braunbier I.Sorte
1 Gr. 2 Pf., Braunbier 2. Sorte 1 Gr. 7 Pf. Die Krüger in den Städten und
auf dem Lande zahlen beim Einkauf 4 Pf., 1 Gr. bzw. 1. Gr. 4 Pf. In Bückb.
werden zu dem 5 Pf.-Bier 1 Fuder 6 Malter reiner Gerste genommen oder
2 Fuder guten Malzes, zu dem 1 Gr. 2 Pf.-Bier 3 Fuder Gerste oder 4 Fuder
Malz, zum 1 Gr. 7 Pf.-Bier 4 Fuder 6 Malter Gerste oder 6 Fuder Malz, zu
jedem ganzen Brauen mehr nicht als 6 Pfannen voll Wafser, welche überhaupt
mehr nicht als 6451 Maß Wasser halten und 5472 Matz gut gekochtes Bier
gebeu (12. Mai 1767). Statt der 2 Sorten Braunbier soll fortan nur 1 Sorte
zu 12 Pf. gebraut werden, die den Krügern zu 10 Pf. zu überlassen ist
<12. Jan. 1769).
Wirtshäuser. Im Amte Bückb. gab es um 1620 an Wirtshäusern:
3 freie Krüge zu Meinsen, Petzen und Frille, 2 geringe Krüge, nämlich Bergkrug
und Boßkrug (Kirchhorsteu), endlich 6 Branntweinkrüge. Im Amte Stadth. ist
der älteste Krug der zu Meerbeck, den Hans Holle nnter dem Grafen Ernst als
früheren Herrenkrug zu Erbpacht erwarb. Während der Regierung dieses Grafen
entstanden noch die Krüge zu Niedernwöhren, Lauenhagen, Lüdersfeld, Kobbensen
(„Curdt Bleidiestell verarmeth, hat woll in 4 Jahren kein Bier mehr holen
können"), Reinsen (Erbkrug von Härmen Lnttert, Krug von Hinrich Homeyer),
Wendthagen, Nienstädt (Ties Hildecker oder Hücker, später Stätte Nr. 3, heute
Nr. 35), endlich zwei Branntweinkrüge zu Niedernwöhren und Krebshagen. Für
die Stadt Stadth. (die Stadt Bückeb. hatte um 1620 vier Krüge) ordnete Graf
Ernst die Errichtung von 4 bis 5 Gasthäusern an, davon sollten aber „zwo der
— 315 —
besten Herbergen auf adeliche Personen und andere fürnehme Leute, so zu Roß
und Gutschen ankommen, besonders bestellt werden (9. Sept. 1610)." Die Wirte
oder Herbergirer sollen bei Strafe kein Getränk auf Borg geben (1615), für eine
gemeine Mahlzeit, „wenn specialiter tractiret und darauf zugestellet wird", ohne
Bier 6 Groschen nehmen, für eine gemeine Mahlzeit 3 und für Frühstück
2 Groschen, sür ein Nachtquartier 4 Pfennige (1654). Wer einen Krüger zum
Borgen nötigt, wird willkürlich bestraft, dem Krüger aber zu keiner Bezahlung
geholfen (1677). Näheres über die Einrichtung der Wirtshäuser in Städten,
Flecken und Dörfern enthält Kap. 25 der L. P. O. des Grafen Ernst.
Accise. Von den Wirtshäusern mutzte eine Accisse entrichtet werden,
eine Steuer auf Bier und Branntwein; sie betrug (1620) im Amte Stadth. nur
45 Taler 31 Groschen. Diese Warensteuer wurde seit 1766 auf fremden
Branntwein und Wein ausgedehut, auch auf andere Waren wie Zucker, Kaffee,
Essig usw. gelegt.
Brüche, Erbe, Urkunde, Weinkaus. Alle Vierteljahre wurden ans
dem Amte Brüche, Erbe, Urkunde und Weinkauf verrechnet. Brüche waren
Geldbußen für Übertretungen, geringe Vergehen usw. Unter Erbe ist eine
Geldabgabe bei einem Besitzwechsel durch Tod oder sonstige Veränderung zu der-
stehen. Erbe wurde nur von solchen Höfen verlangt, die dem Grafen Michaelis-
schätz und Malschweine liefern mußten, „aber immer nach der Leuthe vermugen
und gelegenheith". Nach den Amtsregistern zahlten im Amte Bckbg. Vollmeier
12 od. 10, Halbmeier 6 od. 5, Köter 3 od. 2, Straßensitzer 1 Taler Erbe oder
auch 1 Mark = 5 gl. 4 im Amte Stadth. entsprechend 10, 5/3, 2/1 Taler,
sonstige Dorsgenossen nur Urkunde, nämlich 5 oder auch nur 1 Mark lnach
der L. P. O. waren allerdings 4 Taler Erbe für jeden Hof vorgeschrieben).
Die Geldabgabe oder der Weinkauf bei Übernahme von Krügen sollte 10, von
Mühlen für jeden „Grindel" alle 5 Jahre gleichfalls 10 und von Schäfereien
1 Taler auf je 10 Schafe betragen; nach dem Amtsregister von Stdth. wurden
aber, wenn ein Krüger starb, nur etwa 4 oder 5, auch wohl 6 Taler berechnet,
weil, „mehrentheils alle Krüger gar arm und nurth Straßensitzer seien". Die
sreigeborenen Leute von Hülshagen, Lauenhagen, Obernwöhren, Krebshagen,
Wendthagen (M 1—10), Ehlen (J's 1), Blyinghausen, Habichhorst, Wackerfeld
(M 1 u. 2), Meinefeld und Metzerfeld (Stemmen Jß 1) zahlten beim Tode des
Hauswirts kein Erbe, sondern nur Urkunde, die von Nordsehl, Lüdersfeld,
Probsthagen und Vornhagen weder Erbe noch Urkunde.
Dienstgeld, Wahrgeld, Malschweine. Diese Abgaben sind in den
Amtsregistern viel verzeichnet. Dienstgeld war eine Barzahlung entweder für
die gänzliche Befreiung von wirklichen Dienstleistungen (mit Hand oder Gespann)
oder für die Umwandlung von ungemessenen Diensten in gemessene (S. 201).
Weil durch die Erlegung von Geld einige Bauern frei von Diensten, andere aber
dann damit belastet wurden, manche sich auch nur zu befreien suchten „unter dem
Schein, als wären sie besser wie die gemeinen Meyers", so wurde die Um-
Wandlung der Dienste in Geld ganz verboten (9. Juli 1716). — Wahrgeld
war eine Abgabe an den Landesfürsten als den Schutzherrn der Markwaldnng
(S. 234). Es mutzte von sämtlichen berechtigten Städten und Dörfern gezahlt
werden, ausgenommen Stift Obernkirchen. Die Bezeichnung Wahrgeld kommt
mich für andere Berechtigungen nnter dem Namen Holz-, Graswahre zc. vor. —
Malsch weine heißen die Pslichtschweine, die der Landesherrschaft geliefert
werden mußten. Der Name für diese ursprünglich öffentliche Abgabe ist wahr-
scheinlich entstanden aus der freiwilligen Beisteuer oder Bede, die dem Gau-
fürften an öffentlicher Ding- oder Malstätte dargebracht wurde, vielleicht auch
entnommen dem Bezeichnen oder Brennen der Tiere mit einem Merkmal bei der
Auswahl. Alljährlich auf Jakobi fand eine Zählung sämtlicher Schweine statt.
In der Verordn. für die Drosten v. 24. Juni 1614 heißt es, daß Deputierte,
Drost, Amtmann und Kornschreiber bei der Beschreibung der Malschweine zu-
gegen sein sollen, damit sie, „wie von Alters her gebräuchlich, das 3. Schwein,
— 316 —
wie im Amte Stdth. gebräuchlich, oder das andere, wie das in den andern
Ämtern hergebracht, doch nach Vermögen der Leute, nächst den besten sollen
malen". Statt der Malschweine konnte seit 1615 auch Geld gegeben werden.
So gab ein Meier 21/2, ein Halbmeier 1V2, ein Höveker (Großköter?) 1 Taler,
ein Köter 18 und ein Brinksitzer 12 Groschen.
Holzungen und Waldberechtigungen. Die zuletzt erwähnten Ab-
gaben an Wahrgeld und Malschweinen weisen auf die früheren Holzungen
und Waldberechtigungen hin (vgl. S. 233/4). Es gab bei uns 3 Arten
Waldungen: Vormalige Markwaldungen („gemeine Holzungen", z. B. Bücke-
berg, Schaumburger Wald), Knicke und Hainhölzer. Unter letzteren sind Ge-
Hölze zu verstehen, die durch Ausscheidung aus einer Mark in das rein persön-
liche Eigentum des Grafen übergegangen waren. Hainhölzer waren im Amte
Bckbg. der „Sautfort" (Sandfurt), der „Harne" (Harrl) und das „Segbruch", im
Amte Sldth. das „Hobbenserbruch". Von letzterem heißt es 1619, es sei 200
bis 250 Morgen groß, mit einem Hagen umgeben, die Grashude darin (keine
Holzberechtigung) hätten die Enzer, Hobbenser nnd drei Höfe in Meerbeck; vor
langen Jahren habe das Brandenburger Holz dazu gehört, das aber „für etliche
grobe Stücke Geschützes" von dem Grafen zu Holstein-Schanmburg dem v. Münch-
hausen verehrt worden sei. — Die wirtschaftliche Benutzung der Waldungen in
früherer Zeit ist ausführlich erörtert in Freudensteins Geschichte des Waldeigen-
tums in der vormaligen Grafschaft Schaumburg, Hannover 1879, Helwingfche
Verl.-Buchhandlung.
Was Zustand und Pflege der Waldungen in früherer Zeit anlangt,
so heißt es, daß „die Gehölze in der Grafschaft Schaumburg durch vieles eine
Zeithero befchehenes Roden, Zuschläge und unordentlichen Hau in großen Ab-
bruch geraten seien." Es wird deshalb angeordnet, nicht nur in sämtlichen
Ortschaften Eichenkämpe auf der Allmende anzulegen, um daraus Eichheister in
die „gemeinen Holzungen" zu versetzen, sondern auch die Leute anzuhalten, an
die Stelle eines jeden angewiesenen Baumes 3 Eichheister zu pflanzen (28. Aug.
1572). Junge Eheleute in den Städten, Flecken und Dörfern müssen in den
Waldungen an Orten, die ihnen von den Forstbeamten angewiesen werden,
6 Eichheister pflanzen und die ersten sechs Jahre in gutem Stande erhalten, also
eingehende Bäume durch Nachpflanzen ersetzen (6. Sept. 1728). Adel, Städte,
Flecken und Gemeinden, die mit Holz oder Mästung in den Walduugen berechtigt
sind, sollen Eichelgärten anlegen uud Heister pflanzen bei Vermeidung einer
Strafe von 10 Rtl. uud im Falle anhaltender Weigerung mit Verlust des Depu-
tatholzes und der Mästung (12. Juli 1731). Aus dieser Zeit des kräftigen An-
baues uud Schutzes unserer deutschen Eiche stammen jedenfalls manche dieser
Baumriesen, die heute die heimischen Waldungen schmücken. Anpflanzungen mit
Nadelholz in den früher nur mit Buchen uud Eichen bestandenen Waldnngen
kamen erst etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auf.
Wenn volle Schweinemast war, konnten iin Hobbenserbruch 80 bis
100 Schweine „feist" werden, im Sandfurt 50, im Harrl 200, im Segbruche 50,
in dem zum Amte Stdh. gehörigen Teile des Schaumburger Waldes 4500. In
den Schaumburger Wald durften alsdann die Pastoren von Meinsen, Petzen,
Frille, Jetenburg, Vehlen, Sülbeck und Kleinbremen je 20 Häupter frei ein-
treiben, ebenso die Krüger von Meinsen, Petzen uud Frille, auch jeder Küster und
Geschworene im Amt Bckbg. und der Achtsinann (S. 308) zu Meinsen je 10 Häupter,
dagegen bei halber Mast erstere Gruppe 10, letztere 5; ein Amtmann konnte stets 6,
ein Kornschreiber 4, ein Holzvogt 2 und ein Holzknecht 1 Stück eintreiben. „Einem
jeden Bürgermeister Unserer Stadt Obernkirchen sollen 3 und jeglichem Rats-
verwandten daselbst 2 Schweine, es sei volle oder halbe Mast, passiret werden
(1615)." Auch die Städte Bckbg. und Stdth. mit den Dorfschaften der zuge-
höriger: Amtsbezirke waren im Schaumburger Walde zur Mast berechtigt. Die
Dörfer Hülshagen, Lauenhagen und Lüdersfeld gehörten nach Sachsenhagen,
— 317 —
wohin sie auch ihre Holzwahre gaben. Die Nordsehler hatten freie Schweine-
mast im Bückeberge, wurden aber nur unten am Berge gelitten.
Die Abgaben für Waldberechtigungen waren ganz gering. Als
Schreibgeld mußten Städte und Dörfer (außer Adel, Pastor und Küster) jedes
Mal vor dem Eintreiben der Schweine 4 Kortlinge zahlen, „nm die Wahr zu
gewinnen", ferner die Städte für jedes Stück 1 uud die Dorfschaften 4 Kortlinge.
Auch wurde für jedes Schwein 1 Himten Gerste geliefert. Nur von Päping-
Haufen, Aminghausen, Wietersheim und Frille heißt es, „sie treiben alles, was
sie haben, und geben nichts (1616)". Die Holzwahre betrug für die Dörfer-
Obernwöhren, Habichhorst, Reinsen und andere noch im Jahre 1739 nur 1 Mgr.
4 Psg. jährlich für jedeu Hauswirt, der dafür das Recht hatte, sich von Michaelis
bis Petri wöchentlich 1 Fuder Holz im Bückeberge ohne Anweisung zu fällen.
Die Anweisegebühr oder das Stammgeld (1572 auf 2 Mgr. für jeden Stamm
festgesetzt) betrug in demselben Jahre für die Dörfer Eilsen, Heeßen und Buchholz
für jedes Fuder Holz aus dem Heeßer Berge_3 Groschen. Mit dem Fortschritt
der Forstkultur und der dadurch bedingten Steigerung der Verwaltungskosten
wurden die Rechte allmählich beschränkt und die Abgaben immer mehr gesteigert.
Wahr- und Stammgeld wurden schließlich ein s est es Kaufgeld (Taxe) für das
angewiesene Holz, bis dann später öffentliche Holz Verkäufe zunächst nur
für die Berechtigten, in der Neuzeit aber für jedermann folgten. Endlich wurden
auch alle früheren Berechtigungen zur Mast-, Weide-, Holznutzung usw. durch
das Ablösungsgesetz v. 28. April 1876 für immer beseitigt.
b. vienite. Außer den Abgaben gab es an bäuerlichen Lasten
die Dienste oder Fronen. Der Frondienst bestand in Dienst-
leistnngen an das herrschaftliche Amt (Burgfestdienst), in dem all-
gemeinen Landesdienst (Landfolge, Krieger- und Mühlenfuhren,
Jagdfolge, Wacht usw.) und in dem Gemeindedienst (Reihewerk).
Die häufigste Form solcher Leistungen waren die Hand- und
Spanndienste, die so heißeu, weil sie teils durch der Hände Arbeit,
teils durch Gespann geleistet werden mußten. Die Fronen waren
ursprünglich „ungemessene" Dienste, wurden aber gegen Ende des
Mittelalters in „gemessene" verwandelt, oder mit andern Worten,
von willkürlicher aus feste Anzahl gesetzt. Für diese gemessenen
Dienste gab es bei uns u. a. folgende Vorschriften (A. H. O.): Ein
Pfluggespann (1 Gespann = 4 Pserde), das in der Woche 3 Tage
dient, soll allemal den Tag 1 Morgen, ein solches aber, das 2 Tage
dient, den Tag 1x/2 Morgen umpflügen. Wer mit einem Pflug-
gespauu ausbleibt, wird mit 1 Taler, wer zum Handdienst nicht
erscheint, mit 12 Groschen sür jeden Tag bestraft. Die Leute sollen
im Sommer morgens um 7, im Winter gegen 8 Uhr znm Dienst
erscheinen. Weiter heißt es, daß alle 3 bis 4 Jahre die Dienst-
register darauf zu prüfen sind, ob einige Leute, die statt der Dienste
Geld gegeben haben, wieder zu den Diensten herangezogen und
andere, die infolge Viehverlust oder dergl. zurückgekommen sind,
an deren Stelle auf Dienstgeld gesetzt werden können. Die Beamten
318 —
dürfen ohne besondere Genehmigung für sich weder Hand- noch
Spanndienste fordern. Zur Kontrolle der Dienste wurden Blei-
marken mit entsprechenden Zeichen (Hand, Spaten, Pferd) ausgegeben.
Die jährliche Anzahl der Dienste war nach der Größe der
Höfe verschieden. Zu den gewöhnlichen oder „ordinären" Diensten
konnten auch noch außerordentliche oder „extraordinäre" kommen.
Namentlich hatten einzelne Höfe auch der zuständigen Gutsherrschaft
zu dienen. All diese Herrendienste waren aber so geregelt, daß
sie in der einen Woche an das Amt, in der andern an das betr.
Gut geleistet wurden.
In den Abgaben und Diensten bieten manche Dörfer ein recht
buntes Bild, da viele Höfe im Besitz verschiedener Gruudherreu
waren. Obendrein wechselten die Grundherren häufig, indem sie
ihre eigenbehörigen Höfe unter sich austauschten, verpfändeten oder
verkauften. Es seien hier nur einige Beispiele angegeben. Vehlen
Nr. 9 loar (um 1600) den Herren v. Kornberg in Born Enger
(Bodenengern) eigeu, Ahnsen Nr. 2 deu v.Holle zu Bernsen, später
v. Wietersheim in Sachsenhagen, Nr. 16 daselbst mußte dem herr-
schaftlichen Fischmeister beim Fischen helfen, „wann er gefordert
wurde". Von Reinsen heißt es (1786): Nr. 1, 4, 5, 8, 9, 10 n.
12 sind gnäd. Landesherrschaft leibeigen, Nr. 3 und 7 ist von den
v. Münchhausen zu Remeringhausen eingezogen und denselben eigen-
behörig gewesen, Nr. 2 ist den v. Brincken zu Riepeu, Nr. 6 den
V. Münchhausen leibeigen; der Dienst gehört außer Nr. 2, 3, 6 u.
7 an das Vorwerk Lohhof, der Zehnte aber von allen den v. Münchh.
zu Remeringh.; Zins gibt Nr. 1 nach Loccum, Nr. 2 nach Remeringh.,
Nr. 4 au v. Oheimb in Stadthagen, Nr. 5 an den Pastor zu
Heuerßen, Nr. 6 an das Kloster Barsinghausen, Nr. 8 an v. Men-
gerssen zu Hülsede, Nr. 9 in Stadth. Amtsschreiberei-Rechnung,
Nr. 11 au Eiern und Hühnern an das Waisenhaus in Bückeburg,
Nr. 10 gibt keinen Zins. Hab ich Horst dient die eine Woche an
das Amt und die andere an Remeringhausen (vgl. Nordsehl S. 291,
Vornhagen S. 292). —. Der Hof Nr. 4 in Nienstädt leistete jähr-
lich 2 Burgfestspanne (Baufuhren für das herrschaftliche Schloß in
Stadthagen), 1 Weihnachtsfuhre (Anfuhr von Brennholz für das
Schloß), je 52 Hand- und Spanndienste und 2 Erntetage. Ein
Mühlengespann zur Herbeischaffuug der Mühlensteine für die
herrschaftlichen Mühlen — die Steine wurden auf der Weser beför-
— 319 —
bert und in Rinteln ausgeladen — wurde daselbst wie folgt zu-
sammengesetzt: Nr. 1 lieferte ein Pferd nnd ein Wagengestell, Nr. 2
das andere Gestell, Nr. 3 und 4 je ein Pserd, Nr. 5 und 8 je
ein halbes Pferd, und weil das nicht anging, so stellten die beiden
letzteren abwechselnd ein Pferd.
Die Landfolge war am Ende des Mittelalters das zum
Kriegsdienst verpflichtete Landesaufgebot uud als solches der letzte
Rest des altgermauischen Heerbannes. So mußte das Amt Stadt-
Hägen (außer der Stadt) im Jahre 1620 insgesamt 623 Mann
stellen, nämlich „293 Rohre, 291 Piken und 39 Aren". In der
Neuzeit entwickelte sich daraus das Aufgebot zum Landwegebaudienst.
Bei der „ordinären" oder sogen, großen Landsolge, so heißt es 1786,
hat das Amt Stadth. insgesamt 584 Hand- und 61 Spanndienste
zu leisten. „Bei der strengeren Spann-Landfolge soll aber der
Vollmeier einen ganzen und der Halbmeier einen halben Wagen
stellen, zwei Großköter zählen als ein Halbmeier und zwei Klein-
köter als ein Großköter, wobei jedoch einige geUnder gehalten
werden". — In Kriegszeiten mußten Wagen und Pferde zu
Kriegerreisen gestellt werden. Als Handdienste wurden dauu
Schanzenarbeiten, Wacht-, Boten- und Wegweiserdienste gefordert.
Andere Hand- und Spanndienste erforderte die Jagdfolge,
die z. B. noch bei Wolfsjagden zu leisten war. Die Ausübung
der Jagd und Fischerei gehörte zu deu Herrenrechten. Nach einer
Verordn. V. 17. Juli 1612 sollte niemand ohne Erlaubnis jagen
oder fischen, weil „das Federwild zuförderst außerhalb rechter Zeit
gestöret uud verschüchtert würde, die Bäche verwüstet und das
Unsrige Uns entzogen". Der Adel durfte nur soweit jagen und
fischen, als die Grenzen durch Haseu- und Fischpfähle bezeichnet
waren.
Für die verschiedenen Forstnutzungsrechte, die schließlich als
Rest der alteu Markgenossenschast nnr noch in Weide- und Mast-
Nutzung bestanden, hatten die Gemeinden Forstdienste zu leisten.
Erst durch eine Verordn. v. 15. Nov. 1811 wurden die bis dahin
ungemessenen Forstdienste in gemessene verwandelt. Danach mußten
vom Jahre 1812 ab für Grashute und Mastnutzung jährlich
6 Handdiensttage geleistet werden, dagegen nur für Mastnutzung 4
und nur für Grasnutzung mit Hornvieh oder mit Schweinen
3 bzw. 1. Was die Spanndienste anlangt, so mußte jeder zur
Grashute mit Hornvieh oder mit Pferden berechtigte Vollmeier
eines Hofes von 80 Morgen und darüber 11/2, darunter 1 Spann
leisten, ein Halbmeier mit 50 Morgen und darüber 3/4, darunter
V2 Spann, ein Großköter mit 30 Morgen und darüber 2/2, darunter
3/8 Spann, ein Kleinköter mit 20 Morgen und darüber 3/8, darunter
V4 Spann. Wenn die Berechtigung nur allein in der Mastnutzung
bestaud, so leistete der Vollmeier jährlich 1 bzw. 3/4, der Halbmeier
V2 bzw. 3/8, der Großköter 3/8 bzw. V4 uud der Kleinköter ^/4 Spann-,
ebenso wurde es mit der Grashute gehalten. Gemeinden in ihrer
Gesamtheit stand es frei, sich durch Geld von allen Forstdiensten
zu befreien.
Ebenso drückend wie die Lasten waren die strengen Ver-
ordnnngen und Strusen, die von 1600 ab immer mehr ver-
schärft wurden. Wer mutwillig beim Schießen, Fangen oder Fischen
betroffen wurde (Verordn. v. 17. Juli 1612), erhielt zunächst
5 Taler Strafe und 4 Wochen Gefängnis, zum 2. Male 8 Tlr. und
8 Wochen Gefängnis und zum 3. Male nochmals Gefängnis, auch
sollte gegen ihn fräst des heiligen Reiches peinlicher Halsgerichtsord-
nuug (Karls V. von 1532) peinlich verfahren werden. Diese peinliche
Strase bezog sich auf Hals und Hand, d. h. den Übeltäter traf Tod oder
Verstümmelung. Die Verstümmelungsstrafe für Jagd- und Fischerei-
vergehen bestand gewöhnlich in dem Abhauen eines Daumens.
Vielleicht hat auch mancher seine Freude an der Jagd mit dem
Tode büßen müssen. Die Todesstrafe wurde in der Regel durch
Enthauptuug mit den? Schwert oder dnrch den Strang vollzogen;
die Enthauptung galt als die ehrenvollere oder mildere Strafe.
Andere Todesstrafen waren Verbrennen, Lebendigbegraben, Ertränken,
Rädern, Vierteilen, Pfählen. Eine dieser Todesstrafen, das Rädern,
wird noch aus der Zeit des Grafen Wilhelm bezeugt. Ein bei der
Truppe des Grafen eingestellter Franzose hatte 1763 einen Kameraden
und Landsmann im Harrl ermordet und beraubt uud wurde kriegs-
gerichtlich verurteilt, vou unten auf gerädert zu werden. Der Graf,
der damals auf der Rückreise von Portugal das Todesurteil zur
Bestätigung erhielt, schrieb eine gewisse Strafmilderung vor, indem
er verfügte, der Mauu solle erst erwürgt und dann, nachdem er
tot, gerädert und andern zum Exempel anss Rad geflochten werden.
Das Rädern von unten auf oder von oben herunter ist so zu ver-
stehen: Die Glieder des Verurteilten wurden mit einem schweren
— 321 —
Rade entweder von den Füßen nach dem Kopfe zu oder umgekehrt einzeln
zerschmettert. Das Rad mit dem darauf geflochteueu Körper wurde
alsdann hochgerichtet. Die peinlichen Strafen am Leben wurden in
der Regel an besonderen öffentlichen Plätzen vollzogen, die heute noch
im Volke als Galgenbrinke bezeichnet werden.
Uber die Abgaben und Dienste der einzelnen Höfe geben uns
die Erb- und Besaatregister genaue Auskunft. Es sind das
amtliche Verzeichnisse und Beschreibungen sämtlicher Güter, Höfe und
Stätten innerhalb eines Amtes (Bückeburg 1616, Stadthagen 1619/26).
Unter den einzelnen Orten wird zunächst jede Hof- oder Wohnstätte
mit dem Namen des Besitzers und des Grundherrn genannt, dann
folgen Angaben über Größe und Verpflichtungen. Die dörfliche
Bevölkerung erscheint in diesen Verzeichnissen mit 6 verschiedenen
Bezeichnungen, nämlich als Meier, Halbspanner. Großköter, Köter,
Kleinköter und Brinksitzer. Die Meier und Halbspanner sind als 1.,
die Großköter, Köter und Kleiuköter als 2. und die Brinksitzer als
3. Bauernklasse anzusehen. Das Verzeichnis des Amtes Stadthagen
aus dem Jahre 1786 (von Habicht und Wippermaun) unterscheidet
Meier, Halbmeier, Groß-, Kleiuköter und Brinksitzer.
Ans Erb- und Sesaatregistern.
Hobbensen: Hinrich Buddensick M 3. Ist der alten Frau Cantzlerin
v. Wietersheim, wie man hört, leibeigen, ein Meyer, hat 30 Morg. Landts,
4 Fuder Heuwachs, davon gibt er der Frau Cantzlerschen Zins 16 Hbt. habern,
Hoffzins 30 gl., 4 huener, 80 eyer und dienet derselben (später den V. Oheimb
in Stadth.) mit den Pferden wöchentlich 2 tage, Krieget dagegen notturftig essen
und trinken, gibt von Landeßberg d. 12. Schock Korn usn lande, d. 12 Vollen
(Füllen), d. 12. Kalb, 1 gans u. 1 huen, und Kamp- od. Zehnthabern Jarlichs
7 Hbt. Ans Amt Sommer- und Winterholzwahr 20 gl., thut Burgfeste, so offt es
die nothdurst ersurdert, gehet mit auf Wulfs- und schweinejagde. — Johann
Holle M 4. Ist I. f. g. (unserm gnädigsten Fürsten und Landesherrn) leib-
eigen, ein Meyer, hat Zinßlandt von dem Gogreven 49 Morgen, Heuwachs
5 fuder, gibt davon Tegten 2 Malter (1 Mlt. — 6 Himten) gerst, 2 Mlt. habern,
4 Mlt. dem Gogreven zu Zins, dazu 60 eyer, 5 huener, 8 Kortling Kamp- od.
Zehnthabern. Den von Landeßberg 1 Mlt. Dazu von allem Lande d. 12. Schock
Korn, d. 12. Vollen, d. 12. Kalb, Jarlichs 1 gans und 1 huen. Ans Amt
1 Malschwein od. 21/2 Tlr., Michalisschatz 2 Tlr. 26 gl., 2 May-, 2 Rauchhuener,
den Kuhschatz wie gebräuchlich. Sommer- und Winterholzwahr 20 gl., 3 Hbt.
Schweinegerste, dienet wöchentlich mit den Pferden (an das Vorwerk Gallhof),
thut den Burgfest 2 tage und gibt wintterdienstgeld. — Henreke Blom-
berg M 7. Ist I. f. g. eigen, ein Köter, hat 10 Morg. Landes, 1 Fuder Heu-
wachs, gibt davon Hans Süthagen allhie in der Stadt Zins 2 Mlt. gerste,
1 Mlt. habern, 2 huener, 40 eyer, den Zehnten aber als d. 12. Schock Korn,
d. 12. Vüllen, d. 12. Kalb, 1 gans, 1 huen gibt er den von Landeßbergen, ans
Amt aber Michaelisschatz 1 Tlr. 24 gl., Wiesenzins 10 gl. 4 ^, vor 1 Mal-
schwein 18 gl., Sommer- und Winterholzwahr 20 gl., 1 May- n. 1 Rauchhuen,
Schwemegersten 172 Hbt., Kuhschatz desgl., dienet wöchentlich mit der handt an
21
— 322 —
Burgfeste 2 tage und schneidet bei Winterszeiten den Heckerling. Daneben >vird
bemerkt: Weil der Hof ob feloniam caduciret (wegen Verletzung der Pflichten
gegen den Landesherrn für verfallen erklärt) als soll vigore rescripti straft er-
haltener Verordn.) v. 26. Apr. 1732 das Zinskorn als 2 Mlt. Haber, 1 Mlt.
Gerste, 2 Schilling, 2 Hühner und 2 Stiege Eier zur Amtsrechnung bezahlet
und geliefert werden. — Wulfhagen: Hans Holle M 2, nebst 1 herr-
schaftlich eigenbehöriger Hos. ein Meier, hat 60 Morg. zehntfrei Landt, gibt
davon an die Probftey zu Obernk. 21/2 Mlt. Rogg., 2x/2 Mlt. Gerst. u. 6 Mlt.
habern, 5 Fuder Heu, so bei das Laud gehöret. Vor 2 Malschweine an die
Probsteh Jarlichs 5 Tlr., dazu 1 huen. Allhie ans Amt aber gibt er Jarlichs
Michaelisschatz 2 Tlr. 8 gl., vors Malschwein 1 Tlr. 9 gl., Sommerdienstgeld
auf Mahtag 5 gl. 4 Opfergeld uf weinachten 1 gl., Sommer- und Winter-
holzwahr 20 gl., Schweinegersten 3 Hbt, Winterdienstgeld 3 Tlr., 2 hnener.
Dient vom Peterstage (29. Juni) bis uf Martini (16. Nov.) mit den Pferden
wöchentlich 2 tage und mit der Hand 1 tag (an das Vorwerk Gallhof).
Thut Burgfest und Jagdt, so offt es nöttig und spannet vor den Banernwagen
3 Pferde. — Hülshagen: Hinrich Bradtmüller M 29, ein Großköter, hat
12 Morgen zehntfrei Landt, gehöret bei die „wehme", derselben gibt er davon
zu Zins 32 gl., Wiesenwachs an Sachsenhagen 2872 gl., Holzwahr 2 gl., an
Stadthagen Ochsengelt 3 gl., Winterdienstgelt 2 Tlr. Dient wöchentlich mit der
Handt 2 tage. Thut Burgfest und Jagt, so offt es nötigt. Mit dem Worte
„Wehme", das noch älter „Wedem" heißt, ist die Pfarre gemeint, nämlich zu
Lauenhagen. Dieser Großköter war also Kirchenmeier und hatte als solcher
nicht wie die übrigen Hülshäger (außer M 42, zur Brennerei Lauenhagen ge-
hörig) dem Vorwerke Stadthagen, sondern seiner zuständigen Kirche zu dienen.
— Vornhagen: Joh Blombergh M 22, ein Köter, hat 15 Morg. zehntfrei
Land, gibt davon „bei die wehme" zu Probsthagen Zinsroggen 14 Hbt., Gerste
14 Hbt., Hoszins der Kirchen daselbst 4 gl. „Aus Tomastage, da der Pastor
von den Leuten keine Pflicht sammelt, muß er dein Pastor und dem Küster neben
denjenigen, so sie bei sich haben, altem Herkommen nach eine Mahlzeit nach
seinem Vermögen uud eine Tonne Bieres zu trinken geben vor 24 gl., gibt oder
thut sonst an das Ambt nichts". Dieser Kirchenmeier mußte 1786 jährlich
7 Malter Zinskorn nach Probsthagen liefern. — Scheie: Hans Lindemeier
M 1, ein Meyer, ist uns. gnäd. Gr. u. Hrn. mit Weib und Kindern eigen, dienet
wöchentlich 2 Tg. mit Pf. u. Wag. u. 1 Tg. mit der Hand, gibt dem Domkapitel
zu Minden 8 Mlt. Gerste. 4 Mlt. Hafer, 6 Stiege Eier, 6 Hühner, unserm gn.
Graf. u. Hru. jährlich 1 Malfchweiu, 21/2 Goldfl. Michaelisschatz, 1 Tlr. 21 Gr.
6 4 Rottzins, 1 Tlr. Bergwahr, 1 Rauchhuhn, dem Gograsen 1 Himten Hafer.
— Niedernwöhren: Thonnieß Horstmeier M 47, ein Brinksitzer, vors
Malschwein 12 gl., Winterdienstgeld 1 Tlr., 1 Huen, dient Jarlichs in der Ernte
2 tage, thut Burgfest und Jagt, so offt es nöttig. — Südhorsten: M 17,
Straßensitzer, gibt ein Malschwein, 1 Rauchhuhn, tut die extraordinären 5 Dienst-
tage jährlich oder gibt für dieses alles 1 Häuslingstaler.
In den Erb- und Besaatregistern fallen uns auch die früher in bäuerlichen
Familien gebräuchlichen Vornamen auf, von denen folgende erwähnt seien:
Albert, Anton, Arendt, Bartoldt, Beneke, Berendt, Berndt, Borchert, Easper,
Cnrdt, Cordt, Christian, Christoff, Clawes, Dietrich, Engelke, Franz, Gerdt,
Gereke, Gorgen, Hans, Harman, Härmen, Hermen, Herboldt, Henreke, Heineke,
Heinike, Henrich, Hinrich, Hennich, Henni, Jakob, Jobst, Joachim, Jürgen, Lod-
wich, Ludwich, Ludolf, Lüdeke, Lüdeche, Ludiche, Luder, Magnus, Marten, Melcher,
Mewes, Nolthe, Othrab, Peter, Reineke, Reinert, Richert, Statz, Tonnies, Ties,
Tieß, Tileke, Thomas, Voltke, Wilcken. Einige Familiennamen haben ihre
Schreibweise gegen früher (eingeklammert) oft vollständig geändert, z. B. Bargheer
(Bergher), Hitzemann (Hittensemann), Lutter (Lutert), Röver (Rouer), Wilharm
(Wilhelm), Wöpking (Wobbekingh).
— 323 —
Befreiung des Batternstandes. Die Abgaben und Dienste
lasteten auf unserm Bauernstände niemals schwerer als im 16., 17.
und 18. Jahrhundert, nicht etwa im Mittelalter, das man so gern
als die Zeit der Knechtung des Bauernstandes durch den Edelmann
hinstellt. Erst im 18. Jahrh. setzen erfolgreiche Bestrebungen ein,
den Bauernstand aus seiner gedrückten Lage herauszubringen, Person
und Gut des Bauern zu besreieu. Der erste Schritt wurde damit
gemacht, daß der Grundherr den Besitzer eines Hofes nach Ablauf
des Pachtverhältnisses nicht mehr ohne weiteres „abmeiern" durfte,
sondern dem früheren Zeitpächter das Recht der Erbpacht ein-
räumen mußte (f. Papiermühle usw., S. 117).
Zu einer teilweisen Abstellung der Froudieuste, die unter
allen bäuerlichen Lasten die drückendsten waren, kam es bei uns
erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Grafen
Wilhelm. Er ließ z. B. die Arbeiten am Bau des Wilhelmsteins,
des Schlaffes und Mausoleums zum Baum nicht durch Frondienste
leisten, sondern gegen Lohn. Nach ihm hat der hannoversche Frei-
Herr und Geheimrat Gerlach Adols von Münchhausen 1775 die
Dienstabstellung bei der Amtspachtung Pattensen zum ersten Male
vollständig durchgeführt.
Eine gänzliche Befreiung von allen Abgaben und Diensten
uud volles Eigentumsrecht am Hofe brachte endlich das 19. Jahr-
hundert. Der Anfang wurde damit gemacht, daß Fürst Georg
Wilhelm am 10. Febr. 1810 die gänzliche Aushebung der Leib-
eigenschast anordnete, wodurch alle Untertanen freie Bürger des
Staates wurden. Besonders fielen damit alle Beschränkungen der
persönlichen Freiheit, auch die in der srüheren Leibeigenschaft be-
gründeten Lasten und Pflichten, namentlich die Lösung des Frei-
brieses, die Entrichtung des Ehetalers, die Bezahlung des Ein-
kömmlingsgeldes, der Weinkauf bei Aufheiratuugeu, die Entrichtung
von Erbe und Urkunde, der Heimfall der fahrenden Habe. Den
Gutsherren wurde vorerst gestattet, die fernere Erhebung des Ehe-
talers, des Weinkaufs bei Aufheiratung und des Erbes zu erheben,
doch sollten diese Abgaben ablösbar sein. „Zu dem Ende ist der
jährliche Ertrag besagter Abgaben nach einem 30jährigen Durch-
schnitte zu berechnen, und wenn es auf Bestimmung einer Ablöfungs-
summe ankommt, nach dem Zinsfuße zu 5 von Hundert zu Kapital
zu erhöhen, dieses aber als Ablösungssumme anzunehmen, außerdem
21*
324 —
der solchergestalt ausgemittelte jährliche Ertrag, als ständige Abgabe,
auf das Bauer- oder Meiergut zu legen. Doch soll auch diese Ab-
gäbe jederzeit ablösbar sein (§ 11). In allen Verhältnissen, die sich
nicht auf die Leibeigenschaft bezogen, sollte nichts geändert werden.
Hand-, Spann-, Bnrgsest-, Forst- und sonstige Dienste, Natural- und
Geldabgaben, Zinsen, Renten u. dergl. blieben demnach bestehen,
ebenso die aus den Bauer- und Meiergütern ruhenden Bestimmungen
und Obliegenheiten, namentlich die Vorschriften wegen Veräußerung
und Verpfändung der Kolonien, die Verbindlichkeit zur Lösung der
Meierbriefe, zur Entrichtung des Weinkaufs von einer Person, der
ein Erbfolgerecht nicht zusteht, sowie die Erbfolge iu Bauer- und
Meiergüter und das Recht des Heimfalls der Stätten (§ 14, 15).
Durch diese gesetzlichen Vorschriften suchte der Staat die Bauernhöfe
vor Zersplitterung zu schützen.
Weil aber uoch ein großer Teil der aus den Höfen ruhenden
Lasten von der Ablösung ausgeschlossen blieb, so erließ der Fürst am
24. Januar 1845 ein Ablösungsgesetz, das allen die Möglichkeit
gab, freiwillig an Stelle von Zehnten oder sonstigen Abgaben und
Diensten den ermittelten Geldwert zu entrichten oder in eine feste
Rente verwandeln zu lassen. Zur Durchführung des Gesetzes wurde
eine Ablösungskommission eingesetzt. So zahlte nach einem
Vertrage v. I. 1864 die Stätte M 4 in Nienstädt für die Ablösung
der oben (S. 318) genannten 2 Burgsestspanudieuste, 1 Weihuachts-
fuhre, 52 Hand- u. 52 Spanndienste und 1 Rauchhuhu jährlich
24 Taler 28 Sgr. und 5 ^ .
Die Hauptgrundlage für die gänzliche Befreiung des Bauern-
standes wurde das neue Landes-Verfaffnngsgefetz vom 17. Nov.
1868. Zur Ausführung der darin enthaltenen Bestimmungen er-
schienen vom Jahre 1870 ab verschiedene Ablösungsgesetze. Sie
regelten die Ablösung der Reallasten (auf Gruud und Boden
ruhenden Verpflichtungen) und die Auflösung des gutsherrlichen
Verbandes (26. April 18*70), die Ablösung der auf Forsten
haftenden Berechtigungen (28. April 1870), die Ablösung des
Jagd rechts auf fremdem Grund und Boden (6. Mai 1870), die
Ablösung der auf dem Erbpachtverhältnis beruhenden Lasten,
Abgaben und Leistungen (13. Dez. 1872), die Ablösung der Servi-
tuten (Dienstbarkeiten) auf Ackern, Wiefeu, Angern und sonstigen
Weideplätzen, die Gemeinheitsteilungen und die Zusammen-
— 325 —
legung (Verkoppelung) der Grundstücke (23. Mai 1874), endlich
die Aufhebung des Lehnsverbandes (30. Nov. 1878).
Das eben erwähnte Verkoppeluugsgesetz verfolgte den
Zweck, jedem Beteiligten statt der in Streulage befindlichen Einzel-
ländereien einen möglichst abgerundeten Besitz zu verschaffen. Mit
diefem Zwangsumtausch der Ackerstücke wurde zugleich der Flurzwang
und die gegenseitige Brach- und Stoppelweide beseitigt (S. 175, 193).
Das Verkoppelungsversahren, das in vielen Gemeinden unseres Landes
durchgeführt ist, geschieht nur auf Antrag eines Teiles der Besitzer
von mehr als der Hälfte der Fläche der dem Umtausch unterliegen-
den Grundstücke und wird uach einem Staatsvertrage mit Preußen
durch eine preußische Auseiuandersetznngsbehörde (Generalkommission
nebst ihr unterstellter Spezialkommission) vollzogen.
Zur Erleichterung der Ablösung war am 26. April 1870 eine
Ablösnngs-Tilguugskasse unter Aussicht der Landesregierung
errichtet worden. Diese Kasse schoß das Ablösuugskapital iu Ge-
stalt von Schuldverschreibungen vor, die mit 572°/o einen Zeitraum
von 42 Jahren hindurch verzinst wurden, so daß dann jede Ver-
pflichtung gegenüber der Kasse von selbst aufhörte.
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts solgten Ab-
lösnngen kirchlicher Art, indem der ermittelte Geldwert einer
Leistung an Kirche, Pfarre oder Küsterei mit dem 20fachen Kapital-
betrage beglichen wurde. So betrug z. B. der Kauou (Grundzins)
eines Nienstädter Hoses an die Kirche zu Sülbeck 1,80 M uud
wurde demnach mit 36 M für immer abgelöst (1901). Für die
Lieferung von 1 Rippe, 2 Broten, 6 Eiern und 40 ^ Opfergeld
wurde der 20fache Geldbetrag mit 106,80 M entrichtet. Die
Küsterei zu Sülbeck erhielt für 1 Wurst, 1 Himteu Hafer, 2 Brote,
6 Eier insgesamt 124,80 M.
Die Rechtsverhältnisse der Bauernhöfe sind in neuester
Zeit abermals sorgfältig geprüft und geregelt worden durch das
Höfegesetz v. 11. April 1870 und namentlich durch das Gesetz
über die Geschlossenheit der Bauernhöfe und das Anerben-
recht v. 24. März 1909. In dem letzteren Gefetz, das an anderer
Stelle näher besprochen ist, besitzt unser Bauernstand eine Erbfolge-
ordnuug, die den Fortbestand der Höfe und den Zusammenhang der
Familien in hohem Maße fördern und gewährleisten wird.
— 326 —
IV. Sagen und Erzählungen aus der Heimat
und Umgegend.
1. Hus Aren»
Bei Petzen lag vorzeiten ein Raubschloß echter Art,
Mit Turm und Tor und Mauer und Graben wohlverwahrt,
Hus Aren war's geheißen' mit Recht: es hauste drin
Ein Aar mit scharfen Fängen, ein Gras mit schlauverwegnem Sinn.
Sein Roß, verkehrt beschlagen, führt oft die Feinde irr',
Kennbar im Kampfgetümmel erscholl sein Schwertgeklirr;
Er ließ sogar die Füße beim Blutwerk ungern ruhn
Hub riß oft tiefe Wunden mit seinen spitzen Eisenschuh'n.
Doch stolzer war und wilder noch seiner Gräfin Mut;
Sie trieb ihn: „Raff' und raube und mehre, Mann, dein Gut!
Ich will im feinsten Linnen, in bunter Seide gehn,
Will Silber, Gold und Perlen und Edelsteine funkeln sehn."
So wuchs im Arenhause des Reichtums Füll und Pracht;
Des Bluts, das ihn befleckte, ward kaum vom Paar gedacht.
Sie waren blinde Heiden und ineinten fromm zu sein,
Wenn sie den Göttern brachten als Opfer dar ein fettes Schwein.
Vor seinem lauten Schelten erzittert rings der Gau;
Mit Blicken schon zum Zittern und Zagen bringt die Frau.
Nur Eines schuf den beiden gewaltig Herzeleid:
Sie blieben ohne Kinder zu all dem Gute lange Zeit.
Einst zog mit vielen Mannen gar fern der Graf hinaus:
„In Jahr und Tag erst kehr' ich zurück. Bewahr' das Haus!
Will sehden Städt' und Fürsten zu Wasser und zu Land." —
Nun hört, wie unterdessen sich alles wunderbar gewandt!
Ein Glöcklein klang von Minden, das lockt mit sanfter Macht
Die hohe Frau; sie findet nun Licht nach langer Nacht.
Wie Saulus vor Damaskus, so schmolz mit einem Mal'
Ihr Herz, das stolz' und harte, am hellen, warmen Himmelsstrahl.
Sie läßt sich gläubig taufen, dann kehrt sie schnell zurück,
Und eilig, mitzuteilen das kaum empfang'ne Glück,
Gehäufte Schuld zu sühnen und argen Frevelmut:
„Ich weiß", ruft sie, „wohin nun mit all' dem ungerechten Gut!"
Aus Truhe nimmt und Schreine sie mild das rote Gold,
Nimmt aus dem Haar die Steine, vom Hals die Perlen hold,
— 327 —
Gibt Purpur hin und Seide, schont ihres Besten nichts
Und geht im schlichten Kleide fortan, verklärten Angesichts.
Sie streut den edlen Samen das ganze Land hindurch,
Läßt sieben Kirchen bauen: Zu Petzen, Jetenburg,
Zu Meinsen, Vehlen, Sülbeck, Kirchhorsten, Meerbeck — schau!
Bald führt zum Christengotte sie hin den ganzen Bnkkigau.
Da kommt der Graf nach Hause. Er stutzt. ,,3Bi' steht es hier?
Blieb lang Wohl aus, doch bring' ich auch reiche Beute Dir."
Sie sprach: „Die kann ich brauchen. Mein Schatz ist ausgeleert,
Denn sieben Töchter hat mir derweil des Himmels Huld beschert."
„Wie soll ich das verstehen?" Er zieht die Stirn schon kraus,
Sie weist ihm froh durchs Fenster das nächste Gotteshaus
Und nennt ihm all' die andern und gibt ihm mild Bescheid —
Stets finstrer wird die Falte; er hält sich länger nicht, er schreit:
„Mir ahnte Böses, Weibsbild, sobald ich nur Dich sah
Schmucklos, im Nonnenkleide, doch dies ist schlimmer ja
Als meine schlimmsten Träume! Mein Gold verschleudert, Pflicht
Und Ehr' verlernt und Glauben!" Er schlägt ihr wütend ins Gesicht.
Kaum hat er sich vergessen, als jäh es schon ihn reut.
Da mehr als Männertoben er ihre Tücke scheut.
Doch sieh! Die sonst so Wilde, nun aller Rachsucht bar,
Hält, unter Tränen lächelnd, zum Schlag die andre Wange dar!
„Der Herr, dem nun ich diene, lehrt dies und mehr verzeih'n.
Gib auch Dich Ihm zu eigen! Auch Du wirst selig sein.
Gott braucht als trefflich Rüstzeug noch Deine starke Hand,
Zu helfen, statt zu schaden den armen Leuten rings im Land."
Er hört und sieht und staunet und traut den Sinnen kaum.
Ist das die stolze Gräfin? Es dünkt ihn schier ein Traum.
Er saßt die sanften Lehren am ersten Tage nicht,
Doch was sie tut und duldet, wirkt tiefer noch, als was sie spricht.
Bis endlich, überwunden, er ihr die Rechte beut:
„Aufs neue sind verbunden und eines Sinns wir heut!
Und deine Töchter sieben, du holde Fraue mein,
Will ich wie meine lieben und allen mild und freundlich sein.
Will hassen nun und lassen, was ich bisher getan,
Will lieben und umfassen, was sonst mir deuchte Wahn,
Nicht rauben mehr und schaden, nicht baden mehr in Blut —
So woll' mir Gott in Gnaden verzeih'n, wie meine Herrin tut!"
Sie weinte Freudenzähren, und zur Erinnerung hieß
Ein Bildnis sie, das beide noch heidnisch opfernd wies,
Dem Heiligtum nun weihen. Es war in Stein gehau'n,
Am alten Turm zu Petzen ist noch das felt'ne Werk zu fchau'n.
— 328
Nun nach dem ernsten Liede vernehmt ein lustig Stück!
Gern störten rings die Feinde des Grafen Friedensglück;
Den Räuber einst zu dämpfen fehlt' ihnen Kraft und Mut:
Dem Reuverzehrten gönnen sie nicht einmal das eigne Gut.
Sie rotten sich zusammen und raunen sich ins Ohr:
„Nun gilt's! Nun Raub und Rache! Was Graben, Turin und Tor?
Dem alten Eber fallen die scharsen Hauer aus,
Wohlauf, wir wollen brechen ihm beides, Hals und Arenhaus!"
Bald ist die Burg umzingelt. Ihr fehlt der beste Hort:
Der Graf war fromm gezogen zum fernen Wallfahrtsort.
Doch merkten dies die Gegner bei Kampf und Sturme uie.
Weil Gott, in Schwachen mächtig, der Gräfin Manneskraft verlieh.
Zur Tapferkeit ermahnt fie die Leute, zur Geduld:
Das nur zur Abwehr blitzet, das Schwert ist ohne Schuld.
Schon Plagt sie mehr der Hunger, als dort die Übermacht —
Da windet durch die Feinde der Graf sich heim bei dunkler Nacht.
Die frische Hufspur täuschet am Morgen ihre Schar,
Weil noch nach alter Weise sein Roß beschlagen war:
„Der Vogel ist entflogen, seht her! Ob nun das Nest
Dem Weibe sich durch Worte und mühelos entreißen läßt?"
Sie fordern dreist: „Ergib Dich!" — Die Gräfin drauf: „Das Hau
Erschließ' ich Euch, doch lasset mich selber frei hinaus
Mit allem, was ich trage, und gleichfalls meine Magd;
Den Knechten schenkt das Leben!" Das ward ihr gerne zugesagt.
„Auch gönnt mir von den Gütern, eh' Ihr sie nehmt und teilt,
Noch einmal Saat und Ernte!" — Bewilligt, unverweilt!
Da schreitet, mit Kleinodien beladen, aus dem Tor
Die Magd, mit ihrem lieben Gemahl die kluge Frau hervor.
Die Widersacher staunen. O List! Doch Wort ist Wort-
Nur an den Mauern kühlen ihr Mütchen sie sofort,
Ihr Staunen soll noch wachsen zum Augenübergehn,
Als sie im nächsten Lenze der Gräfin junge Saat beseh'n.
Was hat sie denn gepslanzet? Nur Eicheln, stundenweit!
Die brauchen bis zur Ernte, gottlob, hübsch lange Zeit!
Sie darf das Land behalten. Was liegt an Arenhaus?
Doch teilt fie reiche Gaben den Kirchen und den Armen aus.
Im hohen Dom zu Minden schläft längst das edle Paar;
Auch seine Feinde schlafen in Frieden manches Jahr.
Noch immer stehen die Kirchen, noch immer rauscht der Wald —
Gott segn' ihn, dessen Büchse dort heutzutag' oft munter knallt!
Di\ Wilhelm Fischer-Wermelskirchen,
Im Abendrot, Gedichte, Reutlingen, Enßlin & Laiblin.
— 329 —
2. Die Schaumburger Riesen.
In uralter Zeit lebten in unserer Heimat gewaltige Riesen
oder Hünen, von denen viele wunderliche Dinge erzählt werden.
So holten sie vom Meere her in großen Karren Steine und Sand
und bauten daraus unsere Berge auf. Dabei war einmal einem
der Riesen Sand in den Schuh gekommen. Als nun der Sand
seinen Fuß belästigte, blieb er stehen und schüttete den Schuh aus.
Die Stelle bezeichnen heute die Rehburger Berge. Mit dem anderen
Fuße war dieser Riese so tief eingesunken, daß er ihn nur mit Mühe
wieder herausziehen konnte. In der Fußspur sammelte sich schnell
viel Wasser an, das heute das Steiuhuder Meer genannt wird.
Die Hünen legten aus den Höhen der Berge feste Burgen an
und lebten miteinander in guter Freundschaft. Sie hatten alle
Werkzeuge gemeinsam und warfen sich dieselben bei Bedarf zu. So
gehörte ihnen auch ein riesiger Backtrog, der bei dem Beckedorfer
Hünen stand. Wenn dieser den Backtrog auskratzte, so hörten es
seine Freunde und kamen herbei, um beim Ansäuern und Backen
zu helfen. Zum Zeitvertreib spielten sie oft Ball mit großen Fels-
blöcken. Der vom Rehburger Berge warf den Spielball dem
Beckedorfer Kameraden zu. Selbst der Hüne auf der Burg bei
Hohenrode konnte am Spiel teilnehmen. So flogen denn die
Steinbälle hin und her. Mitunter gingen auch einige Würfe fehl.
Dann blieben die Steine in den Tälern liegen, wo wir sie heute
noch oft finden. — Eines Tages aber war es mit der Herrlichkeit
unserer Hünen gänzlich vorbei. Und das kam so. Der Beckedorfer
hatte sich im Walde fchlafeu gelegt. Nach einer Weile kratzte er
sich hinter dem Ohr, weil sich dort ein Bienenschwarm niedergesetzt
hatte. Die andern Riesen meinten, er habe den Backtrog ansge-
kratzt. Sie kamen deshalb schnell herbei. Als sie nun erfuhren,
daß nicht gebacken werden sollte, wurden sie ärgerlich. Bald kam
es zu einem heftigen Streite. Der Beckedorfer aber war stärker als
seine Nachbarn. Er tötete sie und zerstörte ihre Burgen. Dann
zertrümmerte er auch seiue eigene Burg, weil er hier nun nicht
länger wohnen mochte, und zog in ein anderes Land.
— 330 —
3. Der Schneiderstein.
Auf der Höhe des Schuatwiukels bei Stadthagen steht in der
Gemarkung Nienstädt ein schlichter Kreuzstein, au dem sich außer
einem Kreuz eine schräg liegende Schere findet. Der Volksmund
nennt das Steiudenkmal den Schneiderstein und knüpft folgende
Sage daran.
Es war an einem Juniabend des Jahres 1450, als an das
Tor der St. Annenklause bei Stadthagen ein Wanderer klopfte und
Einlaß begehrte. Die Abendnebel hatten schon ihre Schleier ge-
zogen, und auf der Landstraße und in den Häusern war es bereits
still geworden. Der alte Klausner aber saß noch beim matten
Schein seiner Öllampe und las in einem dicken Buche. Als er das
Klopfen vernahm, erhob er sich schnell und schritt gelassen der Tür
zu. Fast schien es, als ob er den späten Besucher noch erwartet
hätte. So war es auch. Deuu der junge Manu, der dort am
Tore stand, war vor kaum einer halben Stunde eilig vorüber-
geschritten, als der Klausner eben die Pforte schloß. In seiner Hast
hatte er auf den Zuruf des alteu Mauues uicht geachtet, daß es
ihm schwerlich gelingen werde, die Stadt vor Toresschluß noch zu
erreichen. Das hatte der Wandrer nun erfahren müssen. Solche
Fälle aber waren dem Herbergshüter von St. Annen nichts Neues.
Freundlich öffnete er auch diesem Pilger seine gastfreie Stätte.
Nachdem sich der Fremde mit Speise und Trank erquickt und dabei
dem Wirt von seiner Wanderfahrt erzählt hatte, erhielt er ein kleines
Giebelstübchen angewiesen, das ihn für die Nacht aufnahm.
Erst am späten Morgen kam der fremde Gast wieder zum
Vorschein. Nach einem kleinen Imbiß nahm er dann mit herzlichen
Dankesworten Abschied von dem freundlichen Alten. Der aber
schrieb in sein Fremdenbuch: Kurt Bössow aus Mecklenburg, Schneider-
geselle, 4. Juni 1450.
Mit dem Ränzel auf dem Rückeu giug's nun wieder nach
Stadthagen zu. Eben wollte er hier durchs Tor schreiten, als sein
Blick auf einen hochgeschossenen Wanderburschen fiel, der aus der
Stadt kam und just dem Torschreiber, mit dem er wohl ein längeres
Gespräch geführt haben mochte, ein „Behüt Di Gott" zurief.
— 381 —
Flüchtig begegneten sich die Blicke der beiden Wandrer. Dann aber
blieben beide erstaunt stehen und sahen einander lange an. Plötzlich
fielen sie sich in die Arme. Zwei Kameraden hatten nach Jahren
einander wiedergefunden, die einst in einem abgelegenen Dorfe der
Hagenower Heide zusammen aufgewachsen waren. Dazu hatten
beide denselben Beruf erwählt, nämlich das ehrsame Schneider-
Handwerk.
Wer die beiden Schneidergesellen so herzlich vereint sah, mußte
wohl annehmen, daß sie stets gute Freunde gewesen wären. Dem
war aber nicht so. Hinrich Wnlf nämlich, der andere Geselle, war
immer ein unverträglicher, leichtfertiger Bursche gewesen, den daheim
jeder gern gemieden hatte, weil er überall Händel suchte. Kurt
dagegen hatte jedermann lieb gehabt, da er ein fo stiller und spar-
samer Meusch war. So mußte es auch heute uoch um beide steheu.
Elfterer führte nämlich in seinem schlappen Ränzel weiter nichts als
sein bißchen Handwerkszeug mit sich, letzterer dagegen auch Kleiduugs-
stücke und — eine beträchtliche Geldsumme. Aber die Freude des
Wiedersehens seru vou der Heimat hals auch hier, wie so oft, über
innere Gegensätze schnell hinweg. Beide wechselten noch einige Worte
mit dem Manne am Tore und schritten dann der Stadt zu.
Bald saßen sie hinter einem Kruge Bier in fröhlichem Ge-
plander. Auch der Torschreiber saud sich ein, der gern jede Ge-
legenheit wahrnahm, wenn er hoffen durfte, frei mitzecheu zu können.
Schon mahnte Kurt zum Aufbruch. Da brachte der lange Gesell
das Gespräch ans Arbeit und Verdienst. Er schimpfte auf fein
Handwerk. Es lohne schlecht, namentlich in dieser Knckuckszeit.
Er wolle es darum ganz aufgeben. Seine Fahrt ginge an den
Rhein. Dort habe er einen Bruder. Der führe auf eiuem
holländischen Frachtschiffe und verdiene Geld über Geld. Uud dann
drang er in Kurt, er möge sich ihm anschließen. Dem war das
Bier schon längst zu Kopfe gestiegeil. Endlich willigte er ein.
Durch kräftigen Handschlag verpflichteten sich beide zu gemeinsamer
Fahrt. Kurt zahlte die Zeche. Dabei gewahrte der andere des
Kameraden Reichtum. Ein teuflischer Gedanke stieg plötzlich in
ihm auf. Jeder griff nach seinem Wanderstabe. So pilgerten sie
endlich weiter auf der Straße nach Minden zu.
Die Sonue stand schon hoch am Himmel und sandte ihre
glühenden Strahlen aus die beiden Wanderer herab. Verwundert
— 332 —
sah der Klausner von St. Annen den Vorübergehenden nach, als er in
dem einen seinen Gast wiedererkannte. Ein freundlicher Wink war sein
Gruß an den Enteilenden. Von derZeche und derHitze ermüdet erreichten
dann die beiden Gefährten den Schnatwinkelbrink. Ein schattiges Platz-
chen unter einer alten Linde lud hier zur Rast ein. Kurt streckte
sich lang auf dem Rasen aus. Bald schlummerte er sanft. Da er-
hob sich der Lange. Vorsichtig öffnete er des Kameraden Bündel.
Eine blanke Schere kam zum Vorschein. Er griff danach und stieß
sie plötzlich dem Schlummernden in die Brust. Der aber suhr blitz-
schnell auf, faßte uach der fchmerzeuden Wuude und zog die Mord-
Waffe heraus, um sie entsetzt von sich zu schleudern. Dabei traf
sein Arm den ungetreuen Kameraden, der sich eben bückte und nach
dem Geldschatze laugte. Zu spät. Die scharfe Schere draug ihm
mitten ins Herz. Nach wenigen Minuten lag ein Toter dahin-
gestreckt. So war durch wunderbare Fügung ein Frevler für feine
Habsncht gerichtet worden.
Der Schwerverwundete schleppte sich mühsam zurück zur
St. Auuenklanse. Hier erzählte er den entsetzlichen Vorgang. Die
sorgfältige Pflege seitens des alten Klausners führte fchon nach
wenigen Wochen znr völligen Genesung. Nun kam die Abschieds-
stunde. Der so wunderbar gerettete Geselle übergab dabei dem
Klausner seine Ersparnisse mit der Bitte, davvn dem toten Lands-
mann auf jener Stätte einen Denkstein zu setzen. So ist der
Schneiderstein mit dem Krenz uud der Schere dorthiu gekommen.
4. Jlu ri'e, Büfett!
Wo heute die Bruchwiefeu in der Nähe von Steinhude sich
ausbreiten, lag früher das Ellerubruch. Es war ein unzugängliches
Sumpfland, das nur Ortskundige zu betreten wagten. Hier waren
deshalb in Kriegszeiten die Steinhuder vor nachdrängenden Feinden
sicher geborgen. Wehe dem Fremden, der ihnen dorthin folgte!
Einst jagte ein feindlicher Reitersmann mehreren flüchtigen Stein-
hudern bis ins Ellernbruch uach. Plötzlich gab der schwankende
Boden unter den schweren Huftritten nach. „Rüken, noch einmal!"
rief der Reiter immer wieder feinem Pferde zu, das ihn schon so
oft aus ernster Gefahr errettet hatte. Allein hier war alles Flehen
— 333 —
vergeblich. Tiefer und tiefer fanken beide ein. Da trat aus dem
Versteck einer der Flüchtlinge heran und verfetzte dem sterbenden
Verfolger den Todesstreich mit den Worten: „Nu ri'e, Rükeu!"
Die Stelle aber heißt noch heute Rükenri'e.
5. tat battern, wat battern well!
Es war am 24. August 1530. In dem damals noch katho-
tischen Kirchdorfe Lindhorst wollte man das Bartholomäusfest feiern.
Obgleich eine längere Regenzeit die Ernte verzögert hatte, dachte
doch niemand daran, fein Korn heute einzufahren. Ein habsüchtiger
Bauer aber kehrte sich nicht an den kirchlichen Festtag. Er befahl
seinem Knechte, die Pferde anzuspannen und ins Feld zu fahren.
Der Knecht weigerte sich jedoch unter Hinweis aus den kirchlichen
Feiertag. Da erwiderte der Bauer unwillig: „Lat battern (= Bar-
tholomäustag feiern), wat battern well! Wenn Du uich säuern
wntt, säuere eck sülmst." Er spannte nun selbst die Pferde an und
fuhr ins Feld. Bald hat er den Acker erreicht, der nach Schott-
lingen zu liegt. Eben will er die erste Garbe aufladen, als eiu
furchtbarer Donnerschlag ertönt. In demselben Augenblick öffnet sich
die Erde zu seinen Füßen und verschlingt ihn samt Wagen und
Gespann. Nur eine tiefe Einfenkung bezeichnet nachher die unheim-
liche Stelle. Später soll sich dort ein Denkstein befunden haben,
der aber heute verschwunden ist.
6. Isern hinrik.
Jsern Hinrik nannten die Holsteiner den Schanmbnrger Grafen
Heinrich den Eisernen (S. 224). Manch Stück echter Ritterlichkeit
wird uns von diesem Helden erzählt. Er stand lange Zeit als
Feldherr im Dienste Königs Eduard III. von England, der mit
Frankreich wegen Erbsolge Krieg sührte. In diesem langwierigen
Streite soll sich Hinrik in der Schlacht bei Crecy (Sommemündung)
besonders ausgezeichnet haben (1346). Er sprengte in den seind-
lichen Haufen und nahm den König von Frankreich gefangen (nach
anderen den von Böhmen), indem er ihn bei seiner goldenen Hals-
kette erfaßte und fortführte. Durch diefe und andere ruhmvolle
— 334
Taten gelangte er am königlichen Hofe zu hohen- Ehren. Das
verschaffte ihm aber auch oiele Neider, die ihn durch Verleumdungen
zu oerdrängen suchten. Mau oerbreitete nämlich das Gerücht, er
wäre uicht oou hohem Adel, sondern nur eiu deutscher Abenteurer.
Darüber geriet Hinrik in Zorn, uud er beschloß, sich au seinen
Feinden zu rächen.
Einst stand Hinrik mit oielen vornehmen Engländern im
königlichen Burghofe 0or dem Löwenzwinger. Da schob er plötzlich
das Gitter zur Seite und rief: „Wer unter Euch 0on so gutem
Adel ist wie ich, der komme mir nach!" So trat er mitten unter
die Löwen. Dort setzte er einem der stärksten Tiere sein Kränzlein,
das er eines Hoffestes wegen trug, aufs Mähnenhaupt. Langsam
und unversehrt trat er wieder heraus uud sagte dann: „Wer meines
Adels ist, der hole mir mein Kränzlein wieder!" Aber niemand
wagte sich vor. So stieg sein Ansehen noch mehr, denn es hieß,
daß ein Löwe keinen echt uud recht geborenen Fürsten oerletze.
Nach langer Abwesenheit kehrte Hinrik endlich nach Holstein
zurück. Anfangs lebte er hier mit Lübeck und Hamburg in Fehde,
dann aber in guter Freundschaft. Vom Volke wurde er hochgeehrt.
In Hamburg nannte man später ihm zu Ehren einen Festungsturm
0or dem damaligen Dammtore „Jsern Hinrik"; erst 1728 ist dieses
Bauwerk bei der Erweiterung der Stadt abgebrochen worden. Auch
ein Lübecker Kriegsschiff führte um 1534 feinen Namen. Noch heute
fagt man hie und da in Holstein oon einem festen und uuer-
fchrockeuen Manne: „He iss'n rechten isern Hinrik."
7. Die Vurglinde vor der Schaumburg.
Am I.Mai 1389, als Graf Otto I. oon Schaumburg fern 0on
feinem Lande in Gefangenschaft schmachtete, war vor der Schaum-
bürg eine große Menschenmenge versammelt. Es war Gerichtstag.
Vogt und Schöffen saßen an einem langen Tische. Vor ihnen stand
ein junges Mädchen, das der Zauberei angeklagt war. Mit ergrei-
senden Worten beteuerte die Angeklagte ihre Unschuld. Selbst die
schrecklichsten Qualen der Folter oermochten kein anderes Bekenntnis
aus ihr herauszubringen. Nach langen Verhandlungen gab das
Gericht bekannt, daß ein Gottesurteil alsobald entscheiden solle.
— 335 —
Nun brach man eilig auf, um noch vor Sonnenuntergang die Wasser-
probe bei der Arensburg vornehmen zu können. Als die Gefangene
durch das Burgtor schritt, ergriff sie hastig ein Lindenreis, steckte es
in die Erde und rief: „So gewiß dies Reis grünen wird, fo wahr
ist meine Unschuld!" Alle waren von diesem Vorgang ties ergriffen.
Was mag nun werden? Wird das Wasser sie aufnehmen oder
ausstoßen?
Bald war die Arensburg erreicht. Schweigend standen die
Zuschauer am Rande des Burgteiches. Jeder verrichtete ein kurzes
Gebet. Dann traten auf das Geheiß des Vogtes zwei Knechte
vor. Diese legten der Gefangenen einen Strick um den Leib und
warfen sie dann plötzlich in die Flut. O Wunder, das Wasser
nahm das arme Opfer augenblicklich auf! Bestürzt zog man die
Unglückliche aus der Tiefe. Allein das Leben war entwichen. Alfo
war eine Unschuldige gerichtet! — Und das Lindenreis auf der
Schaumburg? Siehe, es grünte und wurde ein mächtiger Baum!
Wir aber lauschen noch heute dem Flüstern seiner Blätter und dem
Rauschen seiner Zweige und gedeukeu mit Schaudern jener Zeit
finsteren Aberglaubens.
8. Der Denkstein an der Kirche zu Heuerßen.
An der Südseite der Kirche zu Heuerßen findet sich ein
schlichter Denkstein mit dem Bilde eines Ritters. Das Steinbild
ist dem Junker Christian von Münchhausen gewidmet, über dessen
Ende uns die Lindhorster Chronik berichtet.
Es war im Spätherbste des Jahres 1643. Die Grafschaft
Schaumburg hatte unter den Schrecken des 30jährigen Krieges
schwer gelitten. In allen Orten herrschte bittere Armut. Recht
schlimm sah es in Lindhorst aus. Hier hatten Freund und Feind
lange arg gehaust. Kaum ein Hof konnte der Gutsherrschaft in
Remeringhausen noch die fälligen Abgaben entrichten. In besonders
trauriger Lage befand sich Hänfen Snhren Hof (heute Nro. 10),
aus dem Snhrens Witwe mit ihren beiden erwachsenen Söhnen
wohnte. (Der Lindh. Chronist Nothold schreibt: „Ein bös bar-
barisch Weib mit zwei ungezogenen Söhnen".) Schon wiederholt
waren die hörigen Hofleute zur Zahlung der rückständigen Pslichten
336 —
gemahnt worden, doch immer vergebens. Endlich entschlossen sich
die Junker Christian und Achatins von Münchhausen, mit Gewalt
eiu Pfand zu nehmen. Eines Abends kamen sie mit fünf Knechten
auf Suhren Hof. Es heißt, daß sie dort „gehanen uud gestochen
haben". Darum fanden sie auch heftigen Widerstand. Dennoch ge-
lang es ihnen, eine Kuh wegzuführen. Nun reizte die Mutter ihre
Söhne uud einen Krämergesellen zu schleuniger Verfolgung. Die
Leute vom Herrenhof flüchteten uud ließen die gepfändete Kuh zu-
rück. Am Ausgange des Dorfes holte der älteste Sohn Hermann
Suhren den Junker Christian ein. Dieser wollte seinem Verfolger
dadurch ausweichen, daß er über einen Graben sprang. Dabei ver-
setzte ihm Hermann mit einer langen Forke einen Stich in den
Kops, so daß er bald darans starb. Sein Leichnam wurde in der
Grabkapelle der Heuerßer Kirche beigesetzt.
Die Witwe Suhren soll aus Furcht vor Strafe nach Sachsen-
Hägen geflüchtet sein, woher sie stammte. Am folgenden Osterabend
brannte ihr Gehöft nieder. Uber das Schicksal des Mörders ist
uns nichts aufgezeichnet worden. Er kann der irdischen Gerechtig-
keit entgangen sein, aber niemals den Qualen des strafenden
Gewissens.
9. Die eisernen Rlänner.
Im siebenjährigen Kriege haben sich die Karabiniers des
Grafen Wilhelm folchen Ruhm erworben, daß sie von den Franzosen
die eisernen Männer (1e8 hornrnes de fer) oder die Teufel von
Bückeburg (les diables de Buckebourg) genannt wurden. Diese
Lieblingstruppe des Grafeu zählte 75 Reiter, denen noch 50 Jäger
zu Fuß beigegeben waren. Der Waffenrock der Reiter war ein
schwarzes Koller (Wams) aus Elenshaut mit scharlachrotem Tuch-
kragen und ebensolchen Aufschlägen. Es wurde uicht zugeknöpft,
fondern zugehakt. Die gelben Beinkleider waren aus gutem Wild-
leder angefertigt und steckten in langen Stiefeln mit Anschnallsporen.
Brust und Rücken bedeckte anfänglich noch ein eiserner Harnisch mit
schuppigen Armschienen, die bis zum Ellenbogen reichten; da dieser
Küraß aber die Bewegung hinderte, so wurde er später abgeschafft.
Den Kopf fchützte ein Helm ans Eisenblech, der mit Bärenfell ver-
— 337 —
ziert war. (Als Wahlspruch trug der Helm die Worte: Pulchrum
mori succurrit in extremis. Das heißt etwa: Ein schöner Tod
winkt in Gefahren. Der lateinische Spruch findet sich heute auf
den Helmen nnferer Gendarmen.) Patronen- und Säbeltafche waren
mit einem XV und einer Krone gefchmückt. An Waffen hatte der
Karabinier eine Büchse, eine Doppelpistole am Sattel und einen
leichtgebogenen Säbel ohne Korb und Bügel. Ahnlich waren die
Fußkarabiuiers gekleidet, die jedoch Beinkleider aus Tuch und
Schuhe mit Gamafchen von grauer Farbe trugen; ein Küraß fehlte
natürlich. Als Waffen trugen sie Büchse und Hirschfänger. Die
Pferde waren lauter spanische schwarze Hengste, die so abgerichtet
wurden, daß sie im Felddienste keinen Laut von sich gaben. Manche
Heldentat erzählt uns die Geschichte dieser kleinen Kriegsschar. Ein
kühnes Reiterstücklein möge hier erwähnt werden.
Im Herbste des Jahres 1758 ritten zwei Karabiniers mit
Namen Salenzky und Schaper durch die Senne gegen das Lippische.
Sie hatten den Auftrag, in der Richtung nach Höxter vorzugehen,
um sichere Nachricht über die Stellung uud Stärke des Feiudes
einzuholen. Eines Tages erreichten die beiden Reiter den Wier-
borner Krug in der Nähe von Blomberg. Sie beschlossen, hier ein
wenig zu rasten. Aber wie erstaunten sie, als sie in den Hofraum
kamen uud dort sechs französische Kavalleriepferde angebunden sahen!
Der Wirt stand eben in der Tür, erkannte sie an ihrer Unisorm
und rief sogleich ängstlich: „Kerls, macht, daß ihr fortkommt!"
Allein unsere Karabiniers ließen sich nicht so leicht ius Bockshorn
jagen. Salenzky sprang schnell vom Pserde, reichte die Zügel seinem
Kameraden und gab ihm die Weisung, ja sorgfältig auf die Tür zu
achten. Dann durchschnitt er eiligst die Sattelgurte der sechs Pferde,
während der zitternde Wirt erzählte, daß die feindlichen Reiter in
einem Hinterzimmer an einem langen Tische gleich rechts von der
Tür säßen und zechten. Ruhig nahm Salenzky nun die Büchse, ließ
noch drei lose Rollkugeln auslausen, hing den Säbel ins Faustgelenk
und trat dann ins Haus. Leise öffnete der Wirt die Tür. Ein
Blick überzeugte Salenzky, daß die Feinde in der angegebenen
Stellung saßen. Schnell zog er die Büchse an die Backe und gab
Feuer. Drei Feinde stürzten zusammen, einen vierten, der neben
ihm weg zur Tür hinausdrängte, hieb er nieder, während die letzten
beiden um Gnade flehten, die ihnen auch gewährt wurde. Die
22
— 338 —
Gefangenen mußten nun ihre Waffen abliefern und vor die Tür
treten, wo Schaper aufmerksam des Ausganges harrte. Schnell
wurden die Sättel wieder oberflächlich befestigt. Dann ging es mit
den Gefangenen und erbeuteten Pferden zurück zur Haupttruppe.
Nach einigen Tagen trafen die kühnen Karabiniers dort glücklich
wieder ein und überbrachten wichtige Meldungen.
10. Das Meisterstück.
Eine Erzählung aus Steinhude.
Zur Zeit des Grafeu Wilhelm lebte in Steinhude eiu fleißiger
uud. frommer Webermeister mit Namen Bühmann. Er hatte ein
kleines Wohnwesen, das aber verschuldet war. Sein Verdienst war
nur gering. Dazu kam die Pflege seiner lahmen Frau, die jahraus,
jahrein auf dem Krankenbette lag. So wollten die Schulden, ob-
gleich der Meister sich Tag und Nacht abmühte, nicht weniger
werden. Dennoch herrschte Friede und Eintracht und stilles Gott-
vertrauen in Bühmanns Hause.
Der Eltern einzige Freude war ihr kleiuer Sohn Dietrich.
Er hatte ein stilles, freundliches Wesen und wuchs als fleißiger und
gehorsamer Kuabe heran. In der Schule hatteu ihn Lehrer und
Schüler gleich lieb. Als er nach der Konfirmation das Handwerk
des Vaters erlernte, zeigte sich auch seine große Geschicklichkeit. Er
konnte ohne Mühe die schwierigsten Muster entwerfen und weben.
Der Ruf seiner Kunstfertigkeit verbreitete sich schnell. An Arbeit
fehlte es in Zukunft nicht. Auch die gräfliche Familie, die damals
ihren Wohnsitz in Hagenburg hatte, erteilte Aufträge. Bald konnte
etwas von der alten Schuld abgetragen werden.
Da wurde der Vater krank und starb. Nun mußte der junge
Dietrich allem für die liebe Mutter sorgen. Das tat er auch mit
fleißigen Häudeu und frohem Herzen. Wie sollte es aber werden,
wenn er, um Meister zu werden, drei Jahre auf die Wanderschaft
mußte? So verlangte es die Zunftordnung der Weber. Die Mntter
konnte er doch unmöglich in ihrer hülflosen Lage zurücklassen, und
für eiue Pflegerin fehlten die Mittel. Da war guter Rat teuer. Mit
Gottes Hülfe aber fand der brave Sohn bald einen Ausweg.
— 339 —
Bei Bühmanns war es fortan auffallend still. Nur hin und
wieder hörte man aus einem entlegenen Stubchen Klopfen, Hämmern
und Weben. Gern hätte die Mutter erfahren, was das zu bedeuten
hatte. Als sie einmal nachfragte, fagte Dietrich mit freundlichen
Worten, daß er ein Meisterstück anfertige, wie es noch keiner voll-
bracht habe; vielleicht erspare es ihm die Wanderfchaft.
So vergingen Wochen und Monate. Eines Sonntags trat
Dietrich an das Krankenbett der Mutter und legte ein feines Ge-
webe in ihre Hand. Es war ein Mannshemd ohne Naht! Alle
Teile und ihre Verbindungen, selbst Knöpse und Knopflöcher, waren
gewebt; nirgends fand sich ein Nadelstich. Helle Freude strahlte
auf dem Antlitz der Mutter. Dietrich aber wies auf die gleichfalls
eingewebten Buchstaben F. W. E. hin; es waren die Anfangsbuch-
staben des Namens seines Landesherrn, Friedrich Wilhelm Ernst,
dem das Meisterstück gewidmet war.
Nachdem Dietrich bald darauf noch ein zweites Hemd in
gleicher Ausführung hergestellt hatte, ließ er sich eines Tages im
Schlosse zu Hagenburg seinem Landesherrn melden. Graf Wilhelm
nahm ihn freundlich auf und betrachtete das dargereichte Kunstwerk
mit großer Verwunderung und Freude. Dann gab ihm der Graf
das eine Hemd zurück, damit er es zum Andenken an feine Kunst
aufbewahre; gleichzeitig überreichte er dem jungen Weber ein an-
sehnliches Geldgeschenk und ein längeres Schreiben. In dem
Schreiben aber stand, daß Dietrich wegen seiner Kunstfertigkeit von
der Wanderschaft befreit und zum Webermeister ernannt sei. Glück-
strahlend kehrte Dietrich heim. Sein Geschäft aber fand.bald zahl-
reiche Kundschaft. Noch viele Jahre konnte sich die Mutter des
Glückes ihres Sohnes erfreuen.
In dem Haufe Nro. 88, neben dem Gasthofe zur Post, wird
das merkwürdige Meisterstück noch heute gezeigt. Hundert Jahre
später (1875) hat ein Weber Battermann ein gleiches Kunstwerk
hergestellt, das in dem Hause Nro. 282 zu sehen ist. Merk-
würdig ist, daß beide Kunsterzeugnisse in demselben Hause eut-
standen sind, nämlich aus der Stätte Nro. 215.
22*
— 340 —
V, Kunstgeschichtliches.
Die wichtigsten Bauwerke sind unsere Gotteshäuser. Ihre
Bauform zeigt für bestimmte Zeiträume eine gewisse Gleichmäßigkeit
und einen herrschenden Einfluß sowohl auf andere Bauten (Rat-
und Bürgerhäuser, städtische Brunnen usw.) als auch auf das Kunst-
gewerbe. Solche einheitliche Kunstformen nennt man Stil. Es
werden nun in der Zeitfolge verschiedene Bauweisen unterschieden,
für die besondere Bezeichnungen gebräuchlich sind. So spricht man
0on einem romanischen Baustil, wenn die Grundform der römischen
Bauweise (die Kreuzform, Basilika) beibehalten und weiter ver-
wertet ist. Weil Deckenraum, Türeiugäuge (Portale) und Fenster
halbkreisrunde Gewölbe und Bogen zeigen, so nennt man diese
Bauweise, die vom 10.—12. Jahrh. herrschte, auch „Rundbogen-
stil" (s. Abb.). Teile dieser ältesten Bauform enthalten die Kirchen in
Jetenbnrg, Petzen, Meerbeck, Lindhorst, Heuerßen und Bergkirchen; vgl.
Abb. Vehlen. — (Herrliche Zeugen der romanischen Bauzeit sind in
Deutschland z. B. die Dome zu Speier, Worms, Braunschweig und die
Michaeliskirche zu Hildesheim). — Gegen Ende des 12. Jahrh. treten
neben Rundbogen gleichzeitig Spitzbogen auf. Mit der letztereu Gestal-
tuugsform waren die Völker des Abendlandes auf deu Kreuzzügen nach
dem Orient bekannt geworden. Diese vermittelnde Bauweise war
bis ius 13. Jahrh. üblich i „Ubergangsstil"). — Es entwickelte sich
darauf im 13. und 14. Jahrh. der reine „Spitzbogenstil", von den
Italienern gotischer Baustil genannt (s. Abb.). Die Gewölbe,
Portale und die mit prachtvollen Glasmalereien geschmückten Fenster
gotischer Kirchenbauten zeigen Spitzbogen, das Innere derselben weist
reiche Holzschnitzereien auf. (Hervorragende gotische Kirchen: Kölner
Dom, Elisabethkirche in Marburg, Marienkirche in Lübeck n. a.). — Mit
dem um das Jahr 1500 erfolgten Wiederaufblühen (der Wieder-
. — 341 —
geburt — Renaissance) der griechischen und römischen Künste und
Wissenschaften erlebten auch die Baukunst uud Bildhauerei, sowie
die Malerei eine hohe Blüte. Der Baustil dieser Zeit wird Re-
naissance genannt (s. Rathaus zu Stadthagen). Er wendet die
gerade und rundbogige Uberdeckung oder auch beide zugleich an.
Im Kirchenbau kommt auch die Kuppel zur Verwendung. Nach
Deutschland kam dieser Baustil, der besonders von Florenz ausging
(ital. Renaissance, Mausoleum in Stadth.), erst zu seiner höchsten
Blüte als sogen. Hochreuaissauce im Gegensatz zur Frührenaissance.
Er zeichnet sich durch sreie, schwungvolle Formen und reiche
Dekorationen aus (Schloß und Schloßkirche in Bückeb., Innen-
ausschmückung und Portalseite der Stadtkirche daselbst, die Ruinen
bei dem Jagdschloß Baum u. a.; aus neuerer Zeit das Reichstags-
gebäude iu Berliu). Die Spätrenaissance (Barockstil), etwa
1600—1700, artete zuletzt in Übertreibung der Formeu, willkürliche
und überbürdete Dekoration aus. (Herrliche Kunstwerke der Barock-
renaissance sind z. B. die Orgel in der Stadtkirche zu Bückeb. und
der goldeue Saal nebst Tür im Residenzschlosse daselbst.) — Im
18. Jahrh. herrschte der sogen. Zopfstiel (Rokoko), d. i. Muschel-
oder Schuörkelstil. — Im 19. Jahrh. kehrte man zu Formeu zurück,
die schließlich übertrieben einfach wurden und darum recht steif
wirkten (Empirestil — Einfluß Napoleons). — Deutsche Künstler
und Gelehrte suchten nuu die Vorbilder des Altertums und Mittel-
alters in Zusammenhang mit der Gegenwart zu bringen. Man
nennt diese Richtung, die namentlich von einigen Bayernkönigen ge-
sördert wurde, Klassizismus uud Romantik.
Zum Beginn des 20. Jahrhunderts endlich setzte einerseits das
Bestreben eiu, sich vou den Nachahmungen alter Stile abzuwenden
und eine dem heutigen Zeitgeiste entsprechende Kunstweise zu ent-
wickeln (Jugendstil), andererseits aber auch wieder mit alt-
einheimischen, örtlich begrenzten und bedingten Bau- und Kunst-
sormen Fühlung zu nehmen (Heimatschutzbewegung). Solche,
erst im Lause vou Jahrhunderten langsam herangebildeten und
wohlerprobten, vor allem der Gegend in der Form wie im Material
angepaßten Bauweisen sinden sich auch in den niedersächsischen
Landen, vornehmlich in Schaumburg-Lippe. Hier hat man im
Sinne der Bestrebungen des Heimatschutzes vielsach Hervorragendes
geleistet.
— 342 —
Heimatlich kräftig, aber praktisch uud modern muten uns
nicht allein die Neubauten in den Städten, sondern vor allen
Dingen die Gehöftanlagen und nicht zu vergessen die Schulen auf
dem Lande an: Die Sockel aus Obernkirchener Sandstein, kräftige
Eichengiebel, das Fachwerk farbig gemalt und das Dach mit ein-
heimifchen Ziegeln von alterprobter Form gedeckt, vielleicht auch
ein Sinnspruch im Hauptbalken oder die Backsteine zu Mustern
gelegt. Möge die jetzige Baubewegung und Heimatpflege in
Schaumburg-Lippe eine hervorragende Stätte finden, denn gerade
hier bietet sich ihr ein reiches Betätigungsfeld!
— 343 —
Staatsbürgerkunde.
1. Unsere Gemeinden.
Allgemeines. Zu den landschaftlichen, geschichtlichen, volkskundlichen und
sonstigen Kenntnissen der engeren Heimat mutz sich jeder Staatsbürger noch
solche' in Gesetzeskunde und Volkswirtschaft aneignen, damit er die in der
Gegenwart aus dem menschlichen Gemeinschaftsleben sich ergebenden Tat-
sachen und Beziehungen recht versteht. Diese Kenntnisse will die Staats-
bürgerkunde vermitteln, deren umfangreicher Stoff hier jedoch nur in ganz
engem Rahmen geboten werden kann.
Das menschliche Gemeinschaftsleben äußert sich in der Familie, in der
Gemeinde und im Staate. Je größer der Kreis des Gemeinschaftslebens wird,
desto mehr wachsen auch die Bedürfnisse. Zu ihrer Befriedigung dienen dem
Menschen d e von der Natur freiwillig dargebotenen Gaben und die durch eigene
Kraft gewonnenen Erzeugnisse, die wir als Natur- und Kunstprodukte mit dem
gemeinsamen Namen Güter bezeichnen. Güter werden durch körperliche und
geistige Arbeit, durch Kauf, Tausch, Handel usw. gewonnen. Die planvolle
Tätigkeit des Menschen, Güter zu erwerben (Produktion) und in feinem Nutzen
wieder zu verwenden (Konsumtion) nennen wir Wirtschaft (Einzel-, Volks- und
Weltwirtschaft). Wie der eiuzelne Mensch Einnahme und Ausgabe in das richtige
Verhältnis bringen muß, so auch die Familie und jede darüber hinausgehende
Gemeinschaft. Zu dem Zweck werden in Gemeinde, Staat und Reich die zu
erwartenden Einnahmen uud die notwendig werdenden Ausgaben in der Regel
für ein Jahr im voraus veranschlagt. Solchen Voranschlag nennt man Etat
oder Budget. Der Etat mutz in jedem größeren Gemeinwesen den gesetzgeben-
den Körperschaften zur Prüfung und Beschlutzfassung vorgelegt werden und gilt
dnun als Gesetz.
Begriff, Zugehörigkeit. Das Wirtschaftsleben spielt sich
nach der Familie in der Gemeinde ab. Die Gemeinde, ob Stadt
oder Dorf, ist zunächst ein Inbegriff von Raumeinheiten (Bezirk),
weiter eine Gesamtheit von Personen (physischer und juristischer),
schließlich Trägerin von Rechten und Pflichten und als solche Körper-
schast des öffentlichen Rechts. Mitglieder einer Gemeinde sind alle
diejenigen Personen, die im Gemeindebezirke wohnen oder darin
Grundstücke besitzen oder ein Gewerbe treiben. Wer 16 Jahre alt
und 1 Jahr ununterbrochen in einer Gemeinde seßhaft gewesen ist,
hat das Recht aus den Unter st ützungswohnsitz erlangt (Reichsges.
v. 6. Juni 1870, v. 12. März 1894 und v. 30. Mai 1908). Früher
wurde der Unterstützungsbedürftige immer an seinen Heimat- oder
344 —
Geburtsort verwiesen. Jede Gemeinde, oft auch mehrere Gemeinden
und Gutsbezirke zusammen, bildet einen Ortsarmenverband zum
Zwecke der öffentlichen Unterstützung einer hilfsbedürftigen Person.
Entstehung, Endzweck, AnfgabenKreis. Die Gemeinde
ist durch freiwillige und allmähliche Ansiedelung (Familie, Sippe)
oder durch den Willensakt eines Vertreters des höheren Gemein-
schaftsorganismus (Staat, Landesherr) entstanden, z. B. unsere
Hagendörfer, Mittelbrink. Ihr Endzweck ist Schutz und Förderung
der öffentlichen Wohlfahrt, nämlich der körperlichen, geistigen und
kulturellen (int engereu Sinne, durch Kirche und Schule), wenn und
soweit die Allgemeinheit in Frage kommt und die Eiuzelkrast nicht
ausreicht. Von den Aufgaben, die daraus sich ergeben, hat die Ge-
meinde die dringend notwendigen und durchaus wünschenswerten
unbedingt zu erfüllen. Dahin gehören Verkehrswesen, öffentliche
Beleuchtung, öffentliche Sicherheit, öffentliche Gesundheitspflege,
Armenpflege und verschiedene andere gemeinnützige Zwecke, bei länd-
lichen Gemeinden hauptsächlich Wegesachen, Ent- und Bewässerung,
Förderung der Landwirtschaft und Viehzucht.
Organisation. Die Gemeinden bilden die Grundlage des
gesamten Staatsorganismus und haben darum das Recht der
Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten unter Oberauf-
ficht des Staates, der seiu Aufsichtsrecht bei den Dörfern zunächst
durch das Landratsamt, dann durch das Ministerium, bei den
Städten aber nur durch das Ministerium ausübt. Die grundlegen-
den Pflichten und Rechte der Gemeinden sind durch besondere Gesetze
festgelegt, die Städteordnung und die Landgemeindeordnung.
Leben und Wirken vollzieht sich durch bestimmte Willensorgane und
Willensformen. Die Willensorgaue werden durch Wahl ge-
schaffen (Bürgerrecht, Gemeinderecht). Es gibt ehrenamtliche und
berufsmäßige Funktionäre des Gemeindewillens. In der ehren-
amtlichen Vertretung ist der Grundsatz der Zweiteilung (das Prinzip
des Dualismus) durchgeführt, indem einer ausführenden behörd-
lichen Stelle (Magistrat, Gemeindevorsteher) kontrollierend und teil-
weise mitbestimmend eine zweite Körperschaft zur Seite steht (Bürger-
Vorsteher, Gemeinderäte). Die Spitze der Gemeindebehörde ist eine
Einzelperson (Bürgermeister, Gemeindevorsteher). Der Magistrat
hat die sür die Verwaltung erforderlichen Beamten zu wählen und
— 345 —
anzustellen. Formen der Willenskundgebung sind Ortsgesetz,
Verordnung, Gemeindestatut, Gemeindebeschluß.
Die Gemeinden zerfallen in Stadtgemeinden, Landge-
meinden und selbständige Gutsbezirke.
Mittel. Zur Erfüllung ihrer Aufgabeu nimmt die Ge-
meinde das eigene Einkommen und Vermögen in Anspruch,
nämlich Einnahmen aus Gasanstalt, Wasserwerk, auch wohl Pacht-
gelder von Ländereien und Wiesen, Zinsen aus Stiftungen usw.;
da solche Quellen aber oft fehlen oder nicht ausreichen, so ist sie
weiterhin auf die persönlichen Dienste und die materiellen
Leistungen der Gemeindemitglieder angewiesen. Die persönlichen
Dienste bestehen in der Übernahme von Ehrenämtern oder in der
Gewährleistung von Hülse in Not und Gefahr (z. B. Feuerwehr).
Materielle Leistungen können von den Gemeindemitgliedern ge-
fordert werden in Natur (z. B. srüher bei Laudsolge, dem Hand-,
Spann- n. Reihedienst, heute nur in Ausnahmefällen) oder in Geld
(Steuern, Gebühren). Unter Steuer versteht man den festen Bei-
trag des Einzelmitgliedes zur Deckung des laufenden Gemeindebe-
darfs, unter Gebühr ein Entgelt für einzelne Verwaltungsakte
(z. B. Ausstellung von Urkunden), oft durch Verwendung von
Stempelmarken erhoben.
Steuern. Die Steuern bilden die Haupteinnahme der Gemeinde (des
Kreises, Staates, Reiches). Man unterscheidet direkte und indirekte Steuern.
Direkte Steuern sind solche, die sich unmittelbar an den Geldbeutel halten, in-
direkte solche, die an einen wirtschaftlichen Vorgang anknüpfen. Die direkten
Steuern sind teils Personalsteueru (Einkommen-, Vermögenssteuer), teils Real-
steuern (Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer). Die indirekten Steuern sind meist
auf den Konsum von Genutzmitteln, Nahrungsmitteln, Gebrauchsgegenständen
gelegt (z. B. Biersteuer). Der Einzelstaat hebt direkte, das Reich indirekte
Steuern. Die direkten Steuern werden von dem Steuerzahler, weil er sie zu
bestimmten Zeiten zwangsweise entrichten mutz, gewöhnlich als beschwerlicher
und drückender empfunden als die indirekten, die im Gegensatz zu ersteren ab-
wälzbar und teilweise abweisbar sind. Die Gemeinde- oder Kommunal-
steuern werden in Schaumburg-Lippe im allgemeinen durch Zuschläge zu den
Staatssteuern erhoben. Auf dem Lande werden diese Steuern als Umlagen
(Abgaben) in der Weise ^festgesetzt, daß jeder nach Verhältnis seiner an den
Staat bezahlten direkten Steuer auch zu den Gemeindeausgaben beisteuert. Die
Gemeinden können weitere Steuern einführen. Sie machen davon Gebrauch
z. B. durch Erhebung der Bier- und Lustbarkeitssteuer, Hundesteuer usw.
Stadtgemeinden. Die Stadtverfafsuug, die einer Gemeinde
durch landesherrliche Verordnung verliehen wird, ist durch die
Städteordnung (1906) geregelt. Danach sind die beiden Städte
Bückeburg und Stadthagen Verwaltungsbezirke für sich. Die des
— 346 —
Bürgerrechts teilhaftigen Mitglieder der Stadtgemeinde bilden die
Bürgerschaft. Das Bürgerrecht wird durch Verleihung erworben.
Die Verleihung geschieht durch die Stadtobrigkeit, deu Magistrat.
Ortsgesetzlich kann die Erhebung eiuer Gebühr für die Verleihung
des Bürgerrechts vorgesehen werden. Berechtigt und verpflichtet
zum Erwerb des Bürgerrechts sind sämtliche über 25 Jahre
alten, wirtschaftlich selbständigen deutschen Mitglieder der Stadt-
gemeinde männlichen Geschlechts, die ihren Wohnsitz im Stadtbezirke
haben, wenn sie a) innerhalb zweijähriger Dauer ihrer Mitgliedschaft
zu städtischen Stenern veranlagt worden und diese Stenern nicht
schuldig geblieben sind, b) innerhalb des Stadtbezirkes ein Hans-
gruudstück besitzen oder L) in städtischen Diensten unkündbar an-
gestellt werden. Die Mitglieder der Stadtgemeinde sind nach
Maßgabe der Städteordnung zu persönlichen Diensten uud zu
Leistungen für die Stadtgemeinde verpflichtet. Von ersteren
sind u. a. befreit die im fürstl. Staats-, Domanial- und Privatdienst,
sowie die im Reichs-, Kirchen- und Schuldienst stehenden Mitglieder,
von letzteren u. a. die beim Erlaß der Städteordnung im Dienst
befindlichen Geistlichen, Kirchendiener und Elementarlehrer von
ihrem Diensteinkommen. Die Handhabung der Stadtverfaffuug steht
deu städtischen Kollegien zu. Als solche bestehen der Magistrat
und die Bürgervorsteher. Der Magistrat ist die Obrigkeit der
Stadt und die leitende städtische Verwaltungsbehörde. Als Obrig-
keit der Stadt ist der Magistrat ein Organ der Staatsbehörde,
als Stadtbehörde die Verwaltungsstelle der städtischen Gemeinde-
angelegenheiten. Er bildet eiu Kollegium ans 1 Bürgermeister und
4 Stadträten. Der Bürgermeister wird in gemeinschaftlicher
Sitzung der städtischen Kollegien auf Lebenszeit gewählt. Er wird
durch ein Mitglied der Aufsichtsbehörde (Fürstliches Ministerium)
eidlich iu Pflicht genommen. Zu seinen Obliegenheiten gehört anch
die Polizeiverwaltung der Stadt. Die Stadträte werden unter
Leitung des Bürgermeisters von den Bürgervorstehern aus der
Bürgerschaft auf 6 Jahre gewählt. Je nach Ablauf von 3 Jahren
fcheidet die Hälfte aus und wird durch Neuwahl ergänzt. Ihr Amt
ist ein unbesoldetes Ehrenamt. Die Bürgervorsteher bilden ein
Kollegium von 18 Mitgliedern und verkörpern die Vertretung der
Stadtgemeinde gegenüber dem Magistrat. Ihre Wahl erfolgt in
3 Abteilungen. Zur ersten Wahlabteilnng gehören diejenigen Bürger,
— 347 —
welche die höchsten Beträge bis 50% des Gesamtbetrages der
städtischen Steuern aller stimmberechtigten Bürger entrichten, während
der zweiten Abteilung diejenigen Bürger, welche die nächsten 30%
des Gesamtbetrages bezahlen, und der dritten Abteilung alle anderen
Bürger angehören. Jede Abteilung wählt % der Bürgervorsteher,
ohne dabei auf die Augehörigen der Abteilung beschränkt zu sein.
Ist eine Person einer Abteilung gewählt, so verliert sie sür die
übrigen Abteilungen die Wählbarkeit. Ersatzwahlen werden stets
von der Abt. vorgenommen, welche die ursprüngliche Wahl vor-
genommen hatte. Das Wahlverfahren ist in den §§ 36—44 der
Städteordnung näher geregelt. Die Bürgervorsteher wählen ans
ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen Schriftführer, sowie für
beide je eiueu Stellvertreter. Der Vorsitzende beruft und leitet die
Sitzungen, die in der Regel öffentlich sind. Der Magistrat kann an
den Verhandlungen der Bürgervorsteher durch eins oder mehrere
seiner Mitglieder teilnehmen. Die Beschlüsse sind dem Magistrat
durch Vorlegung der Protokolle in Urschrift mitzuteilen. Die
Sitzungen des Magistrats sind nicht öffentlich. Die gemeinschaft-
lichen Sitzungen der städtischen Kollegien werden vom Bürgermeister
geleitet. Die Abstimmung geschieht gesondert, wobei der Magistrat
an zweiter Stelle stimmt. Die Beschlüsse im Magistrat und im
Bürgervorsteherkolleg werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die
städtischen Kollegien können zu ihrer Unterstützung Ausschüsse be-
stellen, deueu aber wenigstens ein Mitglied des Magistrats oder
des Bürgervorsteherkollegs angehören muß. Die Ausschüsse unter-
stehen dem Magistrat. Ein Kämmerer besorgt das Kassenwesen,
ein Sekretär das Bureauwesen. Das Stadtbauamt leitet das
Gas- und Wasserwerk (in Bückeburg), ein besonderer Sparkassen-
Vorstand die Stadtsparkasse.
Kandgemeinden. Die Verwaltung der Landgemeinden, zu
denen auch die Flecken Steinhude und Hagenburg gehören, ist durch
die Landgemeindeordnung (1870) genau bestimmt. Jede Ge-
meiude hat ihre eigene Verwaltung und Vertretung, die von dem
Vorsteher (in den Flecken Bürgermeister) und dem Gemeinderat
in unbesoldeten Ehrenämtern ausgeübt wird. Die Wahl des Vor-
stehers und dessen Stellvertreters erfolgt aus der Zahl der Stimm-
berechtigten durch deu Gemeinderat auf 6 Jahre. Sie bedarf der
— 348 —
Bestätigung des Ministeriums. Stimmberechtigt sind alle Gemeinde-
Mitglieder, die zu den Gemeindelasten beitragen, unbescholten, selb-
ständig sind, das 25. Lebensjahr vollendet und seit 1 Jahre ihren
Wohnsitz in der Gemeinde haben, auch alle diejenigen, die in der
Gemeinde mit Grundstücken angesessen sind, sosern sie zu den Ge-
meindelasten beitragen und unbescholten sind. Als unselbständig
gelten diejenigen Gemeindemitglieder, die unter Kuratel, in Kost
und Lohn, in Konkurs stehen, öffentliche Armenunterstützung erhalten
oder im letzten Jahre vor der Abstimmung bezogen haben. Der
Vorsteher muß die Gemeindeangelegenheiten verwalten und die
Ortspolizei handhaben; er ist Hilfsbeamter des Landrats und der
gerichtlichen Polizei. Der Gemeinderat zählt 6—12 Mitglieder,
die nach 3 Klassen gewählt werden. Die Klasseneinteilung der
Wähler erfolgt uach Grundbesitz und Steuerleistung, doch geht der
Grundbesitz vor. Ein Wähler kann mehrere Stimmen in einer
Klasse auf sich vereinen, neuerdings aber werden schon in einigen
Gemeinden für jede Klasse soviel Vertreter gewählt, als dieser Klasse
Stimmen zustehen. Alle 2 Jahre scheidet 1I3 der Gemeinderats-
mitglieder aus. Die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Die
Ergänzungswahlen finden alle 2 Jahre im November statt. Die
Wahlen erfolgen unter Leitung des Landratsamtes. Jedes Gemeinde-
Mitglied ist bis zum 60. Lebensjahr zur Annahme eines Gemeinde-
dienstes verpflichtet, wenn nicht gesetzlich näher bezeichnete Ablehnuugs-
grüude vorliegen. — Neben dem Vorsteher sind ein Rechnungs-
sührer und eiu Steuererheber tätig, uach Bedürfnis auch ein
Gemeindediener und ein Nachtwächter.
Für den größten Teil der ländlichen Bevölkerung ist außer
der Laudgemeindeordnnng das neue Hösegesetz vou weit-
tragender Wichtigkeit, dessen Zweck und Ziel hier darum ausführlicher
besprochen werden soll.
Das bäuerliche Sonderrecht.
Mit großer Liebe uud echt uiedersächsifcher Zähigkeit hat der
schaumburg-lippifche Bauer vou jeher an seiner Scholle gehangen.
Der Hos ist für ihn der Mittelpunkt der Familie, dem jähr-
hundertelang die Arbeit seiner Vorfahren gegolten hat, und an
den sich die Erinnerungen seines Hauses knüpfen. Er sieht darum
auch iu dem Hof nicht bloß ein geldwertes Vermögensobjekt, das
— 349 —
er beliebig verkaufen könnte; der Hof erscheint ihm vielmehr als
ein aus der Hand feiner Väter überkommenes Gut, das er als
treuer Haushalter zu verwalten und dereinst ungeschmälert auf
Kinder und Kindeskinder zu vererben hat.
Dieser Grundgedanke, welcher den Hos als einen Gegenstand
von ganz besonderer Bedeutung wertet, kommt auch in den
Gesetzesbestimmungen zum Ausdruck, durch welche sich das Recht
der Bauernhöfe aus dem Rahmen des allgemeinen bürgerlichen
Rechts heraushebt. Da sind es nun vor allem zwei Grundsätze,
welche dem bäuerlichen Recht seinen besonderen Charakter ver-
leihen, der Grundsatz der Geschlossenheit und der Grundsatz
der Eiuzelerbsolge sAnerbenrecht). Beide sollen in gegen-
fettiger Ergänzung der Zersplitterung des Hofes vorbeugeu und
seinen Fortbestand gewährleisten. Bis in die jüngste Zeit fanden
sie noch auf alle Bauernhöfe des Landes Anwendung, seit Erlaß
des Gesetzes v. 24. März 1909 gelten sie aber nur noch für die-
jenigen Höfe, welche einen Flächeninhalt von mindestens 1 :/2 ha
oder 6 Morgen habeu. — Im Lande sind insgesamt 3837 Hof-
stellen vorhanden, nämlich unter 2 ha 2076, von 2 bis unter
3 ha 355, von 3 ha und darüber 1406. Auf den Kreis Bücke-
bürg kommen rund 1800 Hosstellen, von denen 547, also etwa
30°/0, noch geschlossen, während etwa 70% vou der Geschlossenheit
befreit sind.
Der Grundsatz der Geschlossenheit besteht darin, daß der
Hofesbestand als eiue rechtliche Einheit angesehen wird. Die
Teilung des Bauernhofes und die Abtrennung einzelner Teile
erfordert demzufolge zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des
Landratsamtes. In früherer Zeit, als der Bauer noch im gnts-
herrlichen Verbände stand und der Grund und Boden die Haupt-
sächlichste Steuerquelle bildete, sollte die Geschlossenheit des Hofes-
beftandes den unverminderten Eingang der gutsherrlichen Abgaben
und der Grundsteuern sichern. Heutzutage kommt dieser Gesichts-
Punkt nicht mehr in Betracht. Jetzt hat der Grundsatz der Ge-
schlossenheit eiuzig noch den Zweck, die Bauernhöfe in ihrer Wirt-
schastlicken Leistungsfähigkeit zu erhalten. Die Genehmigung zur
Teilung des Hofes oder zur Abtrennung einzelner Teile darf dem-
nach nur noch versagt werden, wenn anzunehmen ist, daß die
Teilung bezw. Abtrennung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
des Hofes wesentlich beeinträchtigen werde.
Viel wichtiger als der Grundsatz der Geschlossenheit ist der in
dem Anerbenrecht sich verwirklichende Grundsatz der Einzel-
erbsolge.
— 350 —
Unter Anerbenrecht versteht man diejenige Erbfolgeordnung,
nach welcher der Bauernhof ungeteilt auf einen Erben, den An-
erben, übergeht und die übrigen Erben sich mit Geldabfindungen
begnügen müssen. Um zwingendes Recht wie bei der Hosesge-
schlossenheit handelt es sich beim Anerbenrechte nicht: Während
der Hofesbesitzer sich über die Vorschriften, welche die Geschlossen-
heit des Hofesbestandes begründen, auf keine Weise hinwegsetzen,
insbesondere auch durch letztwillige Verfügung keine Teilung an-
ordnen kann, vermag er den Eintritt des Anerbenrechts jederzeit
auszuschließen. Aber das Anerbenrecht entspricht so sehr der all-
gemeinen Rechtsüberzeugung nnd dem Interesse aller Beteiligten,
daß von diesem Ausschließungsrecht fast uie Gebrauch gemacht
wird.
Die Reihenfolge, in welcher die zur Erbfolge berufenen Per-
fönen als Anerben eintreten, ist im Gesetz genau bestimmt. Sie
greift aber nur Platz, sofern nicht der Erblasser eine abweichende
Bestimmung trifft. In 1. Linie sind nach dein Gesetz die Ab-
kömmlinge des Erblassers als Anerben berufen; unter ihnen
geht der ältere Sohu und in Ermangelung von Söhnen die ältere
Tochter vor. In 2. Linie kommt der Ehegatte des Erblassers.
In 3. Linie werden die Eltern des Erblassers berufen uud zwar
zunächst der Voter. In 4. Linie treten die Geschwister ein;
unter ihnen gehen vollbürtige den halbbürtigen, männliche den
weiblichen, der Altere dem Jüngeren vor. Sind auch Geschwister
und Geschwisterkinder nicht vorhanden, dann tritt die gewöhnliche
Erbfolge ein, nicht mehr das Anerbenrecht.
Der Anerbe erwirbt das Eigentum des Hofes mit dem Tode
des Erblassers kraft Gesetzes ohne Zutun der Miterben. Für
diese kommt der Hof nur mit dem sogenannten Anrechnuugs-
werte, dem 20sachen seines jahrlichen Reinertrages in Betracht.
Aber nicht an dem ganzen Anrechnnngswerte haben die Miterben
Teil. Ein Drittel gebührt dem Anerben, damit er den Hof halten
kann, als „Voraus". Nur die übrigen zwei Drittel bilden die
Teilnngsmaffe, in die sich nach Maßgabe ihrer Erbanteile Anerbe
und Miterben teilen. Der auf die Miterbeu entfallende Betrag
bildet ihre Abfindung. Der Erblasser kann im Testament die
Abfindungen über das gesetzliche Maß hinaus erhöhen oder bis
auf dessen Hälfte (den Pflichtteil) herabsetzen. Miterben, welche
ihre Abfindung noch nicht erhalten haben, können bis zu ihrem
vollendeten 15. Lebensjahre von dem Anerben Aufenthalt auf dem
Hofe sowie Erziehung in seiner Familie beanspruchen. Auch über
diese Altersgrenze hinaus dürfen sie auf dem Hofe noch ihre
Zuflucht suchen in Krankheitsfällen und in Zeiten der Not. Dieses
sogenannte „Asylrecht" ist noch ein Ausdruck und Nachklang des
— 351 —
innigen Zusammenhangs, in dem alle Familiengenossen mit dem
Bauernhöfe stehen.
Ein anderes Rechtsgebilde, das gleichfalls in dem Zusammen-
hang seines Trägers mit dem Hofe die innere Grundlage hatte,
die Leibzucht, hat durch das neue Reichsrecht eine wesentliche
Einschränkung erfahren. Nach altem Rechte stand ein gesetzliches
Recht auf Leibzucht 1) dem aufgeheirateten Ehemann für sich und
seine fernere Ehefrau, 2) der aufgeheirateten Ehefrau und 3) dem
Jnterimswirt zu.
Das neue Recht kennt nur noch einen Fall, in dem das Recht
auf Leibzucht kraft Gesetzes erworben wird. Es ist dies der
Fall, in dem der neben Abkömmlingen des verstorbenen Hofbe-
sitzers als Miterbe berufene Ehegatte auf seineu Erbteil uud auf
die Herausgabe desjenigen verzichtet, was aus feinem Vermögen
in den Hof verwendet ist (§ 48 des Höfegesetzes). In allen
sonstigen Fällen muß heute die Leibzucht vertraglich ausgemacht
werden. Von dein gesunden Sinn unserer Bauern darf man
erwarten, daß sie ein Rechtsinstitut nicht abkommen lassen, das
seinen Fortbestand nicht nur durch die Weihe uralten Brauchs,
sondern vorall auch durch seine Anpassung an die Interessen der
Beteiligten und die Verhältnisse auf dem Laude wohl ver-
dient hat.
GutsbexirKe. Die domanialen Güter und Waldungen bilden
im Anschlüsse an die bestehenden Verwaltungsbezirke selbständige,
den Gemeinden gleich zu achtende Gutsbezirke, die mit Ausuahme
der Schloßbezirke zu Bückeburg und Stadthagen dem Landratsamte
unterstehen. Die von der Hofkammer ernannten Gutsvorsteher wie
auch die Besitzer der selbständigen Güter nehmen die Stelle von
Gemeindevorstehern ein und sind als solche Mitglieder des Kreis-
tages, doch darf ihre Zahl nicht mehr als V3 der Kreistagsmitglieder
betragen. Die innerhalb der Stadtbezirke belegenen Rittergüter ge-
hören zum städtischen Gemeindebezirke.
2. Anser Staatswesen.
Allgemeines. Unsere Landgemeinden sind zu den beiden Kreisen Bücke-
bnrg und Stadthagen zusammengeschlossen, die beiden Kreise mit den Städten
zum Staatsgebiet von Schaumburg-Lippe. Der Staat ist gleich der Ge-
meinde ein räumlicher Bezirk, eine Personengesamtheit, eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts und darüber hinaus noch eine politische Einheit. Ein Staat
kann durch Rechtsakt oder durch Machtakt entstehen.
In den monarchisch regierten deutscheu Bundesstaaten wird der Landesherr
in seinen Regieruugsmaßregeln nach einem Grundgesetz (Konstitution) dadurch
beschränkt, daß vom Volke gewählte Vertreter an der Gesetzgebung teilnehmen.
Solche Staaten nennt man konstitutionelle Monarchien. In den größereu
deutschen Staaten besteht die Volksvertretung (Landtag) aus zwei Körper-
schaften, den beiden Häusern oder Kammern (in Preußen z. B. aus Herren-
haus und Abgeordnetenhaus). Zur 1. Kammer gehören Vertreter des
Adels, der Ritterschaft, der größeren Städte, der Universitäten 2c., zur 2. Kammer
die gewählten Volksvertreter. Die konstitutionelle Verfassung fand infolge der
Volksbewegung von 1848 fast überall Eingang, indem ältere Verfassungen um-
geändert und weiter ausgebildet wurden, wie das z. B. in Schaumburg-Lippe
20 Jahre später geschah (eine Ausnahme bilden noch die beiden Mecklenburg).
Unsere 3 freien Reichsstädte, die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck, sind
Republiken (Freistaaten). Sie haben keinen Monarchen an der Spitze als be-
rechtigtes Staatsoberhaupt, sondern einen Senat. Eine republikanische Regierung
wird immer nur auf einige Jahre gewählt und ist verantwortlich, während eine
monarchische gewöhnlich erblich und verantwortlich nicht in der Person des
Monarchen, sondern nur durch die oberste Regierungsbehörde ist.
Die Organisation des Fürstentums Schaumburg-Lippe ist durch die Ver-
fassung geregelt, die als Staatsgrundgesetz gilt. Organe unseres Staatswesens
sind Landesherr, Landtag und Staatsbehörden.
Staatsgebiet. Die vom Fürsten Georg Wilhelm im Jahre
1816 eingeführte repräsentative Staatssorm (S. 275) wurde untetf
dem Fürsten Adolf Georg durch die hente geltende konstitutionelle
Staatsform auf Grund des Verfassungsgesetzes v. 17. Nov.
1868 ersetzt. Danach bildet das Fürstentum Schaumburg-Lippe iu
seinem dermaligeu Bestände ein unteilbares und unveräußerliches
Staatsgebiet. Eine Veränderung der bestehenden Grenzen des
Fürstentums bedarf der Genehmigung des Landtages.
Staatsgemalt. Keiu Staat ist denkbar ohne eine ordnende,
befehlende Macht, die Staatsgewalt. Wie weit sich diese erstreckt
und wie sie ausgeübt wird, ist durch die Staatsverfassung be-
stimmt. Die Staatsgewalt wird bei uns ausgeübt durch den
Fürsten und die Staatsbehörden mit den vom Fürsten er-
— 353 —
nannten oder von einer Staatsbehörde angestellten Staats-
beamten. Die Verfassnng ist das für den Inhaber wie für die
vollziehenden Organe der Staatsgewalt in gleicher Weife geltende
Staatsgrundgesetz.
Unser Handesherr. Die Krone ist erblich im Mannesstamm
nach dem Recht der Erstgebnrt. Beim Erlöschen des Mannes-
stammes folgt diejenige weibliche Linie, die dem letztregierenden
Fürsten am nächsten verwandt ist. Dann tritt wieder der Vorzng
des Mannesstammes ein. Bei Minderjährigkeit oder danernder
Verhinderung wird eine Regentschaft eingefetzt (die Mntter, der Erb-
Prinz oder der nächste regiernngssähige Agnat). Fürst nnd Prinzen
werden mit dem 21. Lebensjahre volljährig. Eine frühere Groß-
jährigkeitserklärnng ist nicht ansgeschlossen.
Nach der Verfassnng vereinigt der Fürst als Oberhanpt des
Landes in sich die gesamten Rechte der Staatsgewalt. Seine Person
ist unverletzlich nnd nnverantwortlich. Alle Regiernngshand-
lnngen des Fürsten, ansgenommen Ernennung und Entlassung von
Regiernngsmitgliedern, müssen gegengezeichnet werden durch ein
Regierungsmitglied, das dadurch die Verantwortung übernimmt.
Dem Fürsten allein steht die vollziehende Gewalt zu. Er übt die
Gesetzgebung unter verfassungsmäßiger Mitwirkung des Landtages
ans, verkündet die Gesetze und erläßt die zu deren Ausführung er-
forderlichen Verordnungen. Der Fürst leitet und überwacht die ge-
samte innere Landesverwaltung. Er ernennt oder bestätigt un-
mittelbar oder mittelbar alle Staatsdiener, verleiht Würden und
Ehrenzeichen, kann Strafen mildern und Begnadigungen erteilen
und hat weiterhin das Recht, den Landtag einzuberufen, zu schließen,
zu vertagen und ganz aufzulösen.
Der Fürst bezieht ans seinem Lande kein sestes Einkommen
(keine Zivilliste); dafür sind aber die Forsten, Domänen, Gewässer
und der diesseitige Anteil am Schaumburger Gesamtsteinkohlenberg-
werk sein dauerndes Eigentum. Staats- und Domanialhaushalt
sind seit Erlaß der Verfassung v. 17. Nov. 1868 vollständig ge-
trennt. Für staatliche Zwecke ist die Landeskasse errichtet (seit
1. Jan. 1869) für die Verwaltung des fürstlichen Vermögens die
Fürstliche Hofkammer. Letztere muß verfassungsgemäß jährlich
einen festgesetzten Beitrag zu den Kosten des Staatshaushalts in
23
— 354 —
die Landeskasse zahlen, ferner 7s des jährlichen Anteils an den
reinen Einkünften des hiesigen Bergwerks und endlich 1/3 der jähr-
lich ans Reich zu leistenden Abgabe.
Hautfarben. Staatswappen. Unsere Landesfarben sind weiß-
rot-blan. Das Staatswappen (seit Graf Philipp) zeigt einen
vierteiligen Schild mit rotem Mittelschild und in letzterem ein
silbernes Nesselblatt (Schaumburg). Ju den Weißen Schildflächen
1 und 4 findet sich eine fünfblätterige Rose (Lippe), in den roten
2 und 3 eine Schwalbe auf einem achtzackigen Sterne. (Diese
Zeichen erinnern an die früheren Grafschaften Schwalenberg und
Sternberg in Lippe' erstere fiel um 1350, letztere um 1400 an
die Edelherren zur Lippe). Das Wappen wird von zwei Engeln
gehalten, die weiße Gewänder tragen und in der freien Hand
Palmenzweige halten. Es wird von einem Hermelinmantel um-
rahmt und von einer fünfbügeligen Krone überragt (Ausführl.
Beschr. in Land.-Verordn. 1904 M 18).
Kandtag. Bei der Feststellung des Landes-Etats und bei
der Beratung von Gesetzen wirkt der Landtag mit, dem auch das
Recht der Prüfung der Landesfinanzen zusteht. Der Landtag besteht
aus 15 Mitgliedern, die alle 0 Jahre gewählt werden; berufen
werden 2 vom Fürsten als Vertreter des domauialen Grundbesitzes,
gewählt 1 vou der Ritterschaft, 1 von der Geistlichkeit, 1 von den
beamteten Juristen, Medizinern und studierten Schulmännern, die
übrigen 10 gehen aus allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen
hervor, nämlich 2 von Bückcburg, 1 von Stadthagen und 7 vom
Lande (3 für den Kreis Bückeburg und 4 für den Kreis Stadt-
Hagen, Ges. v. 4. Juli 1879). Die Landtagsabgeordneten haben
sich als die Vertreter des ganzen Landes zu betrachten; sie handeln
lediglich nach ihrer Uberzeugung und sind an Vorschriften nicht ge-
buuden. Sie können wegen ihrer Anträge und Abstimmungen im
Landtage niemals zur Verantwortung gezogen Wörden. Staats-
diener bedürfen zum Eintritt in den Landtag keines Urlaubs, auch
brauchen sie die Kosten ihrer dienstlichen Vertretung uicht zu tragen.
Die Abgeordneten erhalten an Tagegeldern 6 Jl. In der Regel
wird zu Aufaug des Monats Februar ein ordentlicher Landtag ein-
berufen. Die Sitzungen sind in der Regel öffentlich. Ausnahms-
weise kann auf Antrag eines Regierungskommissars oder auch eines
Landtagsmitgliedes die Öffentlichkeit durch Beschluß des Landtages
für bestimmte Beratungsgegenstände ausgeschlossen werden. Be-
— 355 —
schlußfähig ist der Landtag bei Anwesenheit von 2/3 seiner Mit-
glieder. Er kann sich auf 14 Tage selbst vertagen. Längere Ver-
tagnng bedarf der Zustimmung des Fürsten. Von Landtag zu
Landtag besteht ein Landtags-Ansschuß von 3 Mitgliedern.
Die näheren Bestimmungen über die Wahlen zum Landtage sind in dem
Wahlgesetz ü. 17. Nov. 1868 (Neue Fassung v. 22. März 1906) enthalten. Der
Wähler mutz 1. schaumb.-lipp. Staatsangehöriger sein oder Besitzer bzw. Mit-
besitzer eines der folgenden Güter: Der beiden v. Oheimbschen Rittergüter in
Stadthagen, des v. Landesbergschen daselbst, des v. Oheimbschen zu Enzen, des
v. Oheimbschen zu Helpsen, des v. Münchhausenschen zu Remeringhausen, endlich
des v. d. Busscheschen zu Brummershop, 2. das 25. Lebensjahr vollendet haben,
3. darf nicht unter Kuratel (Vormundschaft) stehen, 4. keine Armenunterstützung
aus öffentlichen Mitteln weder zur Zeit der Wahl beziehen noch innerhalb des
letzten Jahres vor derselben bezogen haben, 5. sich zur Zeit der Wahl nicht im
Konkurse (Zahlungsunfähigkeit) befinden', 6. keine von einem ordentlichen Gerichte
zuerkannte entehrende Strafe erlitten haben, auch keines solchen Verbrechens, das
einen eiuehrenden Charakter an sich trägt, durch rechtskräftiges Urteil für schuldig
erkannt worden sein.
Wählbar ist jeder Schanmburg-Lipper, der das 30. Lebensjahr vollendet
hat. Die Wahl geschieht durch Stimmzettel, nur werden sie nicht wie bei der
Reichstagswahl in Umschläge gesteckt. Es werden soviel Wahlkreise gebildet,
als Vertreter zu wählen sind. Jeder Wahlkreis wird in kleinere Bezirke geteilt,
die möglichst mit deu Ortsgemeinden zusammenfallen sollen. Kein Wahlbezirk
darf mehr als 3300 Seelen nach der letzten allgemeinen Volkszählung enthalten.
Die Regierung ernennt für jeden Wahlkreis einen Wahlkommiffar und für jeden
Wahlbezirk einen Wahlvorsteher. Die Wahlhandlung wird geleitet vom Wahl-
Vorsteher und zwei Vertrauensmännern. Als gewählt gilt derjenige, der mehr
als die Hälfte der gültig abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Hat sich eine
absolute Stimmenmehrheit nicht herausgestellt, so erfolgt eine engere Wahl
zwischen den beiden Kandidaten, die im ersten Wahltermine die meisten Stimmen
erhalten haben. Bei Stimmengleichheit im zweiten Wahltermine entscheidet eine
durch die Wahlkommission vorzunehmende Losziehnng.
Ministerium. Die Regierung und oberste Behörde des
Fürstentums ist das Fürstliche Ministerium, das seiuen Sitz in
Bückeburg hat. Es besteht aus 3 vom Fürsten ernannten Mit-
gliedern. Vorsitzender im Ministerium und erster Beamter des
Landes ist der Staatsminister. Das Ministerium stellt die Ein-
nahmen und Ausgaben des Staatshaushalts auf, bereitet den
Erlaß neuer oder die Aufhebung und Abänderung alter Gesetze
vor und beaufsichtigt die einzelnen Behörden in Stadt und Land
(Verwaltuugs- und Polizeibehörden, Mediziualwefen, Bau- und
Katasteramt, Gewerbe-, Steuer- und Kassenwesen, Gerichtsbe-
Hörden u. a.). Es übt auch besonders die Verwaltung des Schul-
Wesens als Oberschulbehörde aus und vertritt das Land nach
außen. — Alle Landesgesetze und behördlichen Verordnungen werden
in den Schaumburg-Lippifcheu Landesverordnungen bekannt
23*
— 356 —
gemacht. Die Rechte der Staatsbeamten sind durch das Staats-
dieuergesetz (1872) geregelt.
Kandratsiimter. Schaumburg-Lippe ist seit dem 1. Okt. 1879
in 2 Kreise eingeteilt. Bis dahin bestand es aus -1 Amtern. Der
westliche Teil, früher die Amter Bückeburg und Arensburg, bildet
heute den Kreis Bückeburg, der östliche, die vormaligen Amter
Stadthagen und Hagenburg umfassend, deu Kreis Stadthageu.
Zu einem Kreise gehören die Flecken, Landgemeinden uud Guts-
bezirke. Die Städte bilden Verwaltungsbezirke für sich. Jeder
Kreis ist ein staatlicher Verwaltungsbezirk und daneben ein Verband
zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten (Kommunalver-
waltung). Die domauialen Güter sind selbständige Gutsbezirke.
Kleiuere Ortschaften sind größeren Dörfern zugelegt und mit ihnen
zu einer politischen Gemeinde vereinigt. Zur Unterhaltung der
Schulen und Kirchen bilden die Ortschaften besondere Verbände als
Schul- und Kirch eu gemein den. Auch sind zum Zwecke der Be-
urkuuduug von Geburten, Heiraten und Sterbefällen, die vordem
nur iu deu Kirchenbüchern beurkundet wurden, nach dem Reichsgesetz
v. 6. Febr. 1875 aus eiuer oder mehreren Gemeinden Standes-
amtsbezirke gebildet worden, die von staatlich bestellten Standes-
beamten verwaltet werden.
Der Kreis Bückeburg (Stadthagen) umfaßt eine Fläche von 11559 ha
(20533) mit 36 (33) politischen Gemeinden — 41 (47) Ortschaften - nnd 5 (8)
Gutsbezirken, 7 (10) Kirchengemeinden, 19 (24) Schulgemeinden und 29 (31)
Standesämtern. Nach der Volkszählung vom 1. Dez. 1910 betrug die Be-
völkerung der Kreise 15003 (18826) gegen 14466 (18156) im Jahre 1905;
die Stadt Bückebnrg zählte 5747 (1905: 5683) und die Stadt Stadthagen
7075 (1905: 6687). Die Gesamtbevölkerung beträgt 46651 (männlich'
23399, weiblich 23252) gegen 44992 im Jahre 1905. In den Städten leben
12822, auf dem Lande 33829 Personen. Die weibliche Bevölkerung bleibt
gegen die männliche mit 147 Personen zurück (vgl. S. 154/155).
Die Verwaltungsbehörde eines Kreises ist das Landratsamt
mit dem Land rat an der Spitze. Der Lvndrat wird vom Fürsten
ernannt uud ist dem Ministerium unterstellt. Dem Landrat steht
der Kreistag mit dem Kreisansfchuß berateud und beschließend
zur Seite. Der Kreistag besteht aus den Gemeinde- und Guts-
Vorstehern; er wählt ans seiner Mitte den Kreisausschuß. Der Land rat
führt deu Vorsitz im Kreistage und Kreisausschuß. Zu seinen
Obliegenheiten gehören insbesondere Gemeinde-, auch äußere Kirchen-
und Schulsachen, landwirtschaftliche Angelegenheiten, Militäraus-
Hebung, Kriegsleistung, Vermögensverwaltung des Kreises, Arbeiter-
— 357 —
Versicherung, Aufsicht über Kreissparkassen und Standesämter, Bau-
und Wegesachen, Flußregulierüng, Versicherungs-, Feuerlösch- und
Sanitätswesen (Impfung, ansteckende Krankheiten, Trichinenschau,
Viehseuchen), Sorge für Sicherheit auf dem Lande durch Gendarmen,
Armenfürsorge u. a. (f. unter Polizeibehörden). Für die Besorgung
der schriftlichen Arbeiten sind auf jedem Landratsamte ein Kreis-
feketär und mehrere Schreiber angestellt. Das Rechnungswesen
des Kreises wird von dem Kreiskasseu-Reudauten verwaltet,
der auch die au die Landeskasse abzuliefernden Staatssteuern in
Empfang nimmt.
Die Kreiskasse hat bestimmte laufende Einnahmen: Wegeerträgnisse
iErde, Gras, Obst von Amtsstraßen), die Hälfte vom Reingewinn der Kreis-
sparkassen, die Erträge der Hunde- und Taubensteuer (Hunde bis 6 Mk., Tauben
ä Paar 50 Pfg.), Schankkonzessionsabgabe (Ges. v. 28. März 1908), Jagdschein-
gelder u. a. Dem Kreise Stadthagen fließt jährlich noch ein Ertrag aus der
Stnnhuder Meerbahn zu, von welcher der Kreis für 106000 Mk. Aktien über-
nominen hat. All diese Einnahmen decken aber längst nicht die notwendigen
Ausgaben. Der fehlende Betrag muß durch Geldabgaben der Eingefefsenen auf-
gebracht werden, je nach Bedarf durch eine oder mehrere Umlagen (der staat-
lichen Grund-, Gebäude- und Einkommensteuer). An Ausgaben hat der Kreis
folgende regelmäßige Kosten zu tragen: Wegebau (Unterhaltung u. Neuanlage
von Amtsstraßen, Löhne), Impf- und Hebammenwesen (seit 1. April 1902 vom
Staate übernommen, der dafür als Entgelt die Einnahme aus der Hunde- und
Taubensteuer den Kreisen überwies), Unterhaltnng von Zwangszöglingen (Ges.
v. 30. Juni 1899; über die Notwendigkeit der Zwangserziehung Minder-
jähriger entscheidet das Vormundschaftsgericht, das Ministerium ordnet die
Unterbringung in einer Familie oder in einer Erziehungs- oder Befferungs-
anstatt an, Staat u. Stadtgemeinde oder Kreis tragen je die Hälfte der Kosten;
hierher gehört auch die Fürsorgeerziehung, die das Bürg. Gesetzbuch in
§ 1666 fordert), Armenlasten (Zuschüsse für in Anstalten untergebrachte Idioten,
Geisteskranke, Taubstumme, Blinde), Arbeiterversicherung (Beiträge zur Alters-,
Invaliden- und Unfallversicherung für Amtsstraßenvorarbeiter), Zuschüsse au Ver-
eine (z. B. an den städtischen Herbergsverein, wofür die Stadt die Verpflichtung
übernimmt, die Obdachlosen in der Herberge aufzunehmen und zu verpflegen),
Räumungskosten für Grenzbäche (früher im Wege der Landfolge, indem' der
Auftrag zur Räumung den Gemeinden der Reihe nach zuging), Haftpflicht-
Versicherung (Versicherung^ des Kreises und der Gemeinden beim Allg. Deutschen
Versicherungsverein in Stuttgart), Prämien für Dienstboten (wer länger als
10 Jahre ununterbrochen bei einer Herrschaft gedient hat, erhält einen Geld-
betrag aus Kreiskasse, im Kreise Stadthagen 25 Mk.) und Ausgaben für ver-
fchiedene Sachen.
Nolixeibelsörden. Sicherheit und Schutz im Lande wird
vom Staate durch die Polizei gewährleistet. Für deu Kreis wirkt
das Landratsamt, für die Stadt der Magistrat als Ortspolizei-
behörde. Die Ortspolizeibehördeu sind befugt, für ihren
Wirkungskreis ortspolizeiliche Vorschriften zu erlassen und gegen die
Nichtbefolgnng derselben Geldstrafen bis zum Betrage von 30 Mk.
— 358 —
anzudrohen. Das Ministerium ist befugt, gegen die Nichtbefolgung
der Polizeivorschriften Geldstrafen bis zum Betrage von 150 Mk.
anzudrohen und von den Ortspolizeibehörden erlassene Polizei-
Vorschriften außer Kraft zu setzen. Beschwerden gegen die Polizei-
lichen Verfügungen der Orts-(Guts-)Vorsteher sind zulässig an das
Landratsamt und gegen dessen Bescheid an das Ministerium, gegen
die Verfügungen der Ortspolizeibehörden an das Ministerium. In
engster Beziehung zu den Polizeibehörden steht die Gendarmerie.
Sie ist militärisch geordnet und untersteht einem Kommandeur.
Die einzelnen Gendarmen sind ans die Sektionen Bückeburg, Stadt-
Hagen, Hagenburg, Lindhorst, Meinsen, Sülbeck und Steinbergen
verteilt. In Bückeburg und Stadthagen befinden sich Gefangen-
anstalten, die von der Staatsanwaltschaft beaufsichtigt werden.
Die Polizeiverwaltung umfaßt Verschiedeue Zweige, für die besondere
Gesetze und Verordnungen erlassen sind. Die Baupolizei hat Sicherheit,
Wohnbnrkeit uud bauliche Lage der Neubauten zu prüfen, namentlich auch solche
Bauten, die als öffentliche Versammlungsräume dienen (18, g^; 19 . 407 — die großen
Zahlen bezeichnen den betr. Band der Landesverordnungen, die kleinen die Seiten-
zahl). — Nach den Vorschriften der Wegepolizei liegen Bau und Unterhaltung
der öffentlichen Wege dem Staate, den Amtsbezirken oder den Gemeinden ob
(Staatsstraßen, Amtsstraßen, Gemeindewege). Öffentliche Wege sind solche,
welche zu allgemeinem Gebrauche dienen und demselben kraft Privatrechts nicht
entzogen werden können. Die Beschränkung des allgemeinen Gebrauchsrechts
auf bestimmte Verkehrsmittel (Fahr-, Trift-, Reit- und Fußweg), auf bestimmte
Verkehrszwecke (Kirchen-, Schulweg usw.) oder auf bestimmte Perkehrsgegen-
stände (Abfuhrwege für Steiue, Holz, Torf usw.) hebt die Eigenschaft des
Weges als eines öffentlichen nicht auf. Privatwege find solche Wege, deren
allgemeiner Gebrauch in jeder Beziehung kraft Privatrechts untersagt werden
kann. Die Privatwege sind der Aufsicht der Wegepolizei nicht unterworfen, wohl
aber die Feldwege. Bei Neuaulage vou Wegen kann das Enteignungsgesetz
v. 23. März 1896 in Anwendung kommen (11, ^z). Fabriken, Bergwerke, Stein-
bräche, Ziegeleien usw. können zu den Kosten der Unterhaltung herangezogen
werden (16, 188). Zwecks Anleguug und Veränderung von Straßen und Plätzen
können Straßen- und Baufluchtlinien dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend
festgesetzt werden (17, igg). — Die Wasserbaupolizei verpflichtet die Eigen-
tümer von Grundstücken an natürlichen Wasserläufen zur Räumung der Gewässer.
Fabriken, Bergwerke usw. können zu den Räumungskosten herangezogen
werden (17, 444). — Die Feuerpolizei regelt das Feuerlöschwesen und den
landespolizeilichen Teil des Versicherungswesens gegen Feuersgefahr (10, 613;
20,33). — Die Gesuudheitspolizei prüft die Lebensmittel, die mitunter
verdorben und verfälscht sind, ordnet die Schlachtvieh- uud Fleischbeschau, trifft
Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten uud bekämpft die Kurpfuscherei (19, ^7!
16,421! 20,203). — Die Ordnuugs- uud Sittenpolizei achteraus die
Heilighaltung des Sonntags und der Feiertage (Schließung der Lüden, Sonntags-
ruhe: 4,233! 5, 222» 249» 8,19g, 200 > 21,5^ , 22,20g)< beaufsichtigt die Wirtschaften
(öffentl. Tanzlustbarkeiten: 12, 237! 14,328,32?; 17, 239? 21, 147Polizeistunde:
14, zgg), ist tätig bei größeren Versammlungen, Festen, bei Feuersbrunst, Über-
schwemmung usw. Sie überwacht auch den Zu- und Abzug sremder Personen
(20, 157) und das Gesindewesen (18,103) und verhütet die Tierquälerei. — Die
Jagdpolizei prüft den Umfang des Jagdreviers uud die Ausübung der Jagd.
Jeder Gemeiudebezirk, der eine Fläche von mindestens 500 Morgen umfaßt.
— 359 —
bildet einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk. Die Jagdnutzung ist im Wege des
öffentlichen Meistgebots zu verpachten. Die Verpachtung darf nicht an mehr als
3 Personen erfolgen. Der Jagdpüchter tAusländer nur gegen Bürgschaft eines
Inländers) muß sich vou dem Landratsamte bzw. Magistrat seines Wohnsitzes
einen Jagdschein lösen. An Sonn- und Festtagen sind während der am zu-
gehörigen oder nächstgelegenen Orte bestehenden Kirchzeit jede Art von Jagd,
während der übrigen Tageszeit die Treibjagden verboten (10, 745). Es bestehen
auch Bestimmungen über jagdbare Tiere und die Schonzeit des Wildes (21,47).
— Die Feld- und Forstpolizei ordnet Maßregeln zur Vertilgung von kultur-
schädlichem Uugezieser an (21, 507).
Medizinalmesen. Der Staat hat die Pflicht, Leben und
Gesundheit seiner Bewohner zu schützen. Dieser Schutz geschieht
durch das Medizinalwesen, das in den Händen der Arzte liegt.
Für unser Land wirken je ein Arzt in Bückeburg und Stadthagen
als Kreisphysikns und Gerichtsarzt. Ihnen liegt u. a. die
Impfung der Kinder ob. Nach dem Reichsgesetz v. 8. April 1874
muß jedes Kind vor Ablauf des aus sein Geburtsjahr folgenden
Kalenderjahres, sowie jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt
innerhalb des Jahres, in dem er das 12. Lebensjahr zurücklegt, zur
Verhütung der Pockenkrankheit sich der Jmpsung mit Schutzpocken
unterziehen. Entziehung der Jmpspflicht wird mit Geldbuße bis
50 jIC oder Haft bis zu 3 Tagen bestrast. Außer in Bückeburg
und Stadthagen haben sich Ärzte niedergelassen in Bergschule, Lind-
Horst, Steinhude und Hagenburg. Die in Schanmburg-Lippe wohn-
haften Arzte sind nach dem am 3. Febr. 1905 zwischen unserm
Fürstentum und Preußen abgeschlossenen Staatsoertrage der Arzte-
kämm er der preußischen Provinz Hessen-Nassan angeschlossen. Unsere
Kranken können Ausnahme im Landeskrankenhause zu Stadt-
Hägen und im Krankenhause Bethel zu Bückeburg finden.
Apotheken gibt es 2 in Bückeburg, 1 in Stadthagen, 1 in Berg-
schule und 1 in Hagenburg. Das Apothekerwesen ist einem aus-
wärtigen Apothekenrevisor unterstellt. Das Veterinärwesen (Tier-
arzneiwesen), bei dem es sich hauptsächlich um die Erhaltung unserer
landwirtschaftlichen Haustiere handelt (Abwehr von Viehsenchen,
Desinfizierung und Tötung kranker Tiere usw.), wird vou dem
Landestierarzt in Bückeburg überwacht, ueben dem noch 1 Tier-
arzt in Bückeburg uud 2 in Stadthagen wirken.
Ginxelverwaltungen. Verschiedene Zweige der Verwaltung
(s. Schaumb.-Lipp. Kalender!) werden von einzelnen Behörden wahr-
genommen. Die Standesämter (S. 356) führen die Personen-
360 —
standsregister und erteilen beglaubigte Auszüge. Das Eichamt hat
die Maße, Gewichte und Wagen zu eichen (mit dem gesetzlichen
Vormaß zu berichtigen) und bei der technischen Revision derselben
durch die Polizeiverwaltung mitzuwirken. Von der Ablösnngs-
kommission und der Ablösungs-Tilgungskasse ist schon früher
die Rede gewesen (S. 324/5). Die Gewerbekommission beans-
sichtigt das Wander- oder Hausiergewerbe, erteilt die zu dessen Aus-
übung nötigen Gewerbescheine (nur für die Person und das Kalender-
jähr gültig), bestimmt die Steuer in dein gesetzlich vorgeschriebenen
Rahmen und bestraft die Steuerhinterziehungen. Die Gewerbe-
inspektion hat die Aufsicht über alle gewerblichen Anlagen,
Fabriken usw. im Lande. Der Bergrevierbeamte achtet auf die
Ausführung der bergpolizeilichen Vorschriften im hiesigen Bergwerks-
betriebe. Die beiden letzteren Verwaltungszweige sind auswärts
wohnenden Beamten übertragen worden. Das Bauamt in Bücke-
bürg hat die technische Prüfung der Bauzeichnungen vorzunehmen
und den Wegebau zu beaufsichtigen. Die Deputation für das
Heimatwefen in Bückeburg hat nach dem Landesgesetz v.
7. März 1872 (11, 283) zur Ausführung der Reichsgesetze über den
Unterstützungswohnsitz (S. 343) alle Streitigkeiten zwischen schaumb.-
lipp. Armenverbänden wie auch eines andern deutschen Armenver-
band es gegen einen schaumb.-lipp. Armen verband in erster Instanz
(Verhandlung) zu entscheiden. Die letzte Instanz bildet das Bundes-
amt für das Heimatwesen in Berlin.
Für das ganze Reich gilt die Gewerbeordnung V. 26. Juli 1900 (durch
Bundesgesetz v. 21. Juni 1869 zustande gekommen). Sie ist wohl von allen
Reichsgesetzen, um sie immer wieder den Zeitverhältnissen und Bedürfnissen an-'
zupassen, am meisten geändert morden; beibehalten ist aber der Grundsatz, daß
der Betrieb eines Gewerbes jedermann gestattet ist (Gewerbefreiheit). Die
Gewerbeordnung mit den dazu erlassenen Arbeiterschutzgesetzen (seit 1891)
regelt das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber uud Arbeitnehmer, das
Jnnuugswesen, die Handwerkerfrage <Handwerkskammer, Meister- und Gesellen-
Prüfung), das Lehrlingswesen, Arbeitszeit (Fabrikordnung, Gewerbeinspektoren,
Gewerbegerichte), Sonntagsruhe, Kinderschutz, Frauenarbeit und viele andere
Fragen.
Unsere Landesgesetze unterscheiden auf Gruud der Gewerbeordnung zwischen
stehendem Gewerbe, Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausieren) und
Marktverkehr. Unter stehendem Gewerbe versteht man einen Betrieb, der
mit einer bestimmten gewerblichen Niederlassung verbunden ist und an dieser
oder von dieser aus 'auch außerhalb des Gemeindebezirks der Niederlassung)
ausgeübt wird. Durch Landesgesetz v. 20. Januar 1885 wurde eine Gewerbe-
st euer eingeführt, auch gleichzeitig eine Gebäude- und Grundsteuer (15,13 ff.)
Diese Steuern (Realsteuern) sind durch Landesgesetz V. 9. Mai 1906 für die
Landeskasse außer Hebung gesetzt und den Gemeinden überwiesen (21,313);
von der Gewerbesteuer wird nur die Hausiersteuer als Staats st euer weiter
— 361 —
erhoben. Die Realsteuern sind in der Regel mit dem gleichen Prozentsatze für
die Zwecke der Kommunalbesteuerung zu belasten, als Zuschläge zur Staats-
einkommensteuer erhoben werden (21,317). Für den Betrieb der Wandertager
besteht das Gesetz v. 24. Juni 1879 (13,20s). Der Handel fremder, dem hiesigen
Staatsverbande nicht angehöriger Personen auf Messen und Jahrmärkten,
mit Verzehrungsgegenständen des Wochenmarktverkehrs auf Wochenmärkten
unterliegt nicht der Steuer.
Frei von der Gewerbesteuer sind: Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht,
Jagd, Fischerei, Obst- und Gartenbau (außer Kuust- und Handelsgärtnerei), der
Betrieb der dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen, die Ausübung eines
amtlichen Berufs, künstlerische, wissenschaftliche, schriftstellerische, unterrichtende
oder erziehende Tätigkeit und einige Berufsarten (Arzt, Rechtsanwalt, Land- und
Feldmesser, Markscheider), serner Vereine, Genossenschaften usw. Dagegen sind
Konsumvereine mit offenem Laden steuerpflichtig. Die Veranlagung zu den
Realsteuern geschieht auf Kosten der Landeskasse durch besondere Steuer-
ausschüsse.
Für deu Betrieb der Gastwirtschaft, der Schankwirtschaft und des Klein-
Handels mit Branntwein oder Spiritus ist jährlich eine Betriebs st euer zu
entrichten. Die Feststellung der Betriebssteuer erfolgt in den Kreisen durch
den Landrat, in den Städten durch den Magistrat. Über Beschwerden gegen
Veranlagungsbehörden entscheidet das Ministerium.
Von besonderer Wichtigkeit ist das Fürstliche Veran-
lagungsamt in Stadthagen. Es besteht aus dem Vorsitzenden,
dessen Stellvertreter und 6 weiteren Mitgliedern (mit ebensoviel
Stellvertretern), von denen 2 durch das Ministerium ernannt werden,
während die übrigen 4 aus die beiden Städte und die beiden Kreise
entfallen, gewählt von den städtischen Kollegien bzw. den Kreistagen.
Das Veranlagungsamt setzt die Einkommen- und Vermögens-
stener sest. Wer ein Einkommen von mehr als 2400 M hat, ist
nach dem Einkommensteuergesetz V.Z.Mai 1901 zur Abgabe einer
Steuererklärung alljährlich verpflichtet (20, g^). Die Vermögens-
stener beginnt nach dem Vermögenssteuergesetz v. 9. Mai 1906
bei einem steuerbaren Vermögen von 6000 M. Wissentlich falsche
Steuererklärungen werden schwer bestraft. (21, zgg). — Ein Be-
rufungsrat, bestehend aus dem Vorsitzenden und 8 Mitgliedern
(5 durch den Landtag gewählt, 3 durch das Ministerium ernannt),
hat die Einwendungen gegen das Ergebnis der Veranlagung zu
prüfen und endgültig zu entscheiden.
Die Einkommensteuer für die unterste Steuerstufe mit einem Jahres-
einkommen von 300 bis 450 M und einem Steuersatze von 1,80 M ist für die
Landeskasse außer Hebung gesetzt (1904); sie steigt in 28 weiteren Stufen bis
zu einem jährlichen Steuersatze von 300 ^ für ein Jahreseinkommen von 9 500
bis 10 500 M. Die Steuerstufen bei höherem Einkommen ergeben sich aus dem
besetz (§ 17). — Die Vermögens st euer betrügt bei einem steuerbaren Ver-
mögen von 6 000 bis einschließlich 8 000 M jährlich 3 M und steigt in weiteren
18 Stufen bis 30 M bei 60 000 bis 70 000 Jb. Vermögen; bei höherem Vermögen
bis einschließlich 200 000 M erhöht sich der Betrag um je 5 M für jede ange-
fangenen 10 000 M. Über Besteuerungsgrenze, Steuertarif und Berücksichtigung
besonderer Verhältnisse s. §§ 18 bis 20 des Vermögenssteuergesetzes.
— 362 —
Die Kassenverwaltung des Landes wird besorgt von der
Landeskasse; sie hat als Beamte einen Rentmeister, einen Rechnnngs-
revisor und zwei ErHeber. Alle Erträge an staatlichen Steuern und
sonstigen Einnahmen fließen in die Landeskasse (S. 353). Nach
dem Voranschlage hat die Landeskasse im Jahre 1911 eine Gesamt-
einnähme von 902 600 M, der die gleiche Ausgabe gegenübersteht.
Der Haushaltsplan bietet folgendes Bild:
Erfordernis: Deutsches Reich 38 494. Ministerium 71 393, Konsistorium 3920,
Oberlandesgericht 1599, Landgericht und Amtsgerichte 134 370, Landrats-
ämter 39 567,33, Besoldung von Assessoren bei Verwaltungsbehörden und
Gerichten 8999, Ablösungs-Kommission 29. Ersatz-Kommission 1959, Ge-
werbe-Kommission 59, Gendarmerie 25 788,33, Gesüngnis-Anstalten 19 169,
Medizinalwesen nnd Sanitätspolizei 19 899, Geistl. u. Unterrichtsanstalten
225 136,69, Landtag 2599, Bausachen 129 619, Gewerbeaussicht 3899,
Kassenverwaltung 32 999, Eichamt 599, Zuschüsse 7975, Katasterverwaltung
29 495, Grenzsachen 199, Gesetzgebung 2199, Pensionen 86 999, Dispo-
sitionsfonds 6999, Landarmenverband 3599, Standesämter 1399, Deputation
für das Heimatwesen 25. Garnisonkosten 859, Verzinsung und Tilgung der
Anleiben 25 185,62, vermischte Ausgaben 1419,12 M, zusammen 992 699 M.
Deckung: Beitrüge aus dem Domanium 193 285, Steuerir 495 286,93, Gerichts-
und Berwaltungsgesalle 69l25, Landesvermögen 18957, Gesetzgebung 899,
Staatsstraßen 5694, Garnisonanstalten 37779,54, Verdienst der Gefangenen
7599, Gymnasium Adolfinum 36 459, Lotterie-Einnahme 17 989, Zurück-
vereinnahmungen 2499, Bergwerkseinnahmen 39 999, Verschiedenes 19 999
saußerordentl. Etat 68 333,43), zusammen 992 699 M.
Zur Feststellung der Grund- uud Gebäudesteuer ist der Grund-
besitz vermessen und aufgezeichnet, der Reinertrag der Grundstücke
nach der Beschaffenheit des Bodens und der Art der Bewirtschaftung
abgeschätzt worden (Ges. v. 3. Jan. 1873 betr. Vermessung, Boni-
tierung und Katastriernng des Landes, 11,41g). Die Ergebnisse
dieser Aufnahme bilden besondere Verzeichnisse, die Kataster
(catastrum, caput — Kopf, ursprünglich Kopfsteuerverzeichnis). Die
hierfür eingesetzte Behörde ist das Katasteramt. Die vom Kataster-
amt angefertigten Karten, die Verzeichnisse der Grundstücke in ihrem
natürlichen Zusammenhange nach Kulturart, Größe und Reinertrag
(Flurbücher) und die Verzeichnisse der Grundstücke uach den Eigen-
tümern (Mutterrollen) mit den laufenden Nachträgen über Grund-
stücke und Gebäude bilden das Landeskataster (Ges. v. 20. April
1880-, 13, ggg). Das Katasteramt fertigt auf dieser Grundlage für
jede Gemeinde Heberollen an, die den Steuersatz jedes Pflichtigen
nachweisen. — Während bei der Einkommen- und Vermögenssteuer
eine Veranlagung der Steuerpflichtigen alljährlich notwendig ist,
kann das Grund- und Gebäudesteuerkataster, weil der einmal er-
mittelte Wert starken und häufigen Schwankungen nicht ausgesetzt zu
— 363 —
sein pflegt, auf eine längere Reihe von Jahren der Besteuerung zu-
gründe gelegt werden. So wird bei uns die Gebäudesteuer alle
15 Jahre einer Revision unterworfen. Die Heberollen der Gruud-
steuer liegen alljährlich in den Gemeinden zur Einsichtnahme ans.
Gerichtsbehörden. Von der Verwaltung des Landes ist
die Rechtspflege (Justiz) scharf getrennt. Die damit vom Staate
betrauten Behörden sind die Gerichte. Sie sind hauptsächlich dazu
berufen, bei Rechtsverletzungen oder Rechtsstreitigkeiten einzuschreiten,
um auf Gruud der bestehenden Gesetze im Namen des Landesherrn
(das Reichsgericht im Namen des Reichs) Recht zu sprechen. Man
unterscheidet eine streitige und eine freiwillige Gerichtsbarkeit.
Die streitige Gerichtsbarkeit umfaßt die eigentlichen bürger-
licheu Rechtsstreitigkeiten (Bezahlung von Forderungen) uüd die
Strafsachen (Strafgerichtsbarkeit). Bei der Zivilgerichtsbar-
feit stehen sich regelmäßig zwei Parteien gegenüber, der Kläger und
der Beklagte (Parteibetrieb), bei der Strafgerichtsbarkeit
wird das Verfahren vom Staate selbst (Staatsanwalt) betrieben
(Offizialbetrieb). Zu den Aufgaben der freiwilligen Gerichts-
barkeit gehören Vormundschaftswesen, Führuug von Grund- und
Hypothekenbüchern, von Handels- und Vereinsregistern, Errichtung
und Beglaubigung von Testamenten, Urkunden usw. — Seit dem
1. Okt. 1879 sind die Gerichte im ganzen Reiche gleichmäßig ge-
staltet. Es gibt Amts-, Land-, Oberlandesgerichte und das
Reichsgericht. Mit der Einführung dieser einheitlichen Gerichts-
Verfassung hat die Privat- oder Patrimonialgerichtsbarkeit, die früher
den Städten, den Standesherren und den Rittergütern zustand, von
selbst aufgehört und ist auf den Staat übergegangen. Als Sonder-
gerichte bestehen im Reiche nur noch die Militär-, Gewerbe-, Kauf-
manus-, Konsulargerichte, die Ablösuugskommissioneu usw. — Eine
Klage wegen Beleidigung (außer gegen Behörden, Beamte zc.) ist
nach § 420 der Strafprozeßordnung, falls die Parteien in derselben
Gemeinde wohueu, erst dann zulässig, wenn der von einer Ver-
gleichsbehörde (Gemeiudevorste-Her, Magistrat; 13,231) als Friedens-
gericht angesetzte Sühnetermin erfolglos geblieben ist.
Unsere nächsten gerichtlichen Behörden sind die beiden Amts-
gerichte in Bückeburg und Stadthagen. Sie entscheiden alle ver-
mögensrechtlichen Streitigkeiten über einen Wert bis zu 600 M,
— 364 —
außerdem leichtere Straffälle. Die vermögensrechtlichen Streitig-
keiten werden regelmäßig nur von einem einzigen Richter verhandelt
und entschieden, in Strafsachen (Übertretungen, leichteren Vergehen)
stehen ihm aber, entsprechend altdeutscher Überlieferung, zwei Ge-
richtseingesessene mit Sitz und Stimme zur Seite, die als Schöffeu
(Beisitzer) das Urteil finden helfen (Schöffengericht). Die Amts-
gerichte sind demnach immer „Einzelgerichte", auch wenn mehrere
Amtsrichter angestellt sind, die übrigen Gerichte aber „Kollegial-
gerichte", weil sie immer nur zu mehreren Richtern (als Kollegium)
verhandeln und Beschlüsse nach Stimmenmehrheit fassen. Die
Kollegialgerichte sind in einzelne Abteilungen gegliedert, die bei den
Landgerichten Kammern, bei den Oberlaudesgerichten und bei dem
Reichsgericht Senate heißen.
Wer mit dem Urteile des Amtsgerichts (erste Instanz) nicht
zufrieden ist, legt Berufung ein beim Landgericht, das seinen Sitz
in Bückeburg hat. Das Landgericht ist zweite Instanz für Be-
rnfnng in bürgerlichen Streitsachen (Zivilkammer) und in Stras-
fällen (Strafkammer), aber auch erste Instanz in allen wichtigen
Zivilsachen (regelmäßig, wenn der Wert des Strafverfahrens mehr
als 600 Jl beträgt) und in den meisten Strafsachen. Zur Ab-
urteilung schwerer Verbrechen (Raub, Totschlag, Mord, Brand-
stistnng n. a.) tritt bei dem Landgericht zeitweise ein Schwur-
gericht zusammen, das aus 3 Berufsrichtern und 12 Laieu oder
Geschworenen besteht. Während die Schöffen das Strafmaß mit-
bestimmen, haben die Geschworenen nur mit Ja oder Nein über
Schuldig oder Nichtschuldig zu entscheiden. Die Geschworenen be-
raten unter Leitung eines aus ihrer Mitte gewählten Obmanns,
nachdem ihnen der richterliche Vorsitzende die nötige Rechtsbelehrung
gegeben hat. Bei jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung
müssen mehr als sieben Geschworene für Schuldig gestimmt haben.
Das Amt eines Schöffen und Geschworenen ist ein Ehrenamt, wird
also uicht bezahlt.
Uber unserm Landgericht steht das Ob er l an des gericht in
Celle (seit 1. Okt. 1909). Es ist zweite oder Berufungsinstanz in
den zuerst vor dem Landgericht anhängig gemachten Zivilsachen und
dritte oder Revisiousiustauz in solchen Strafsachen, die in erster
Instanz von den Amts- oder Schöffengerichten und in zweiter Instanz
von der Strafkammer des Landgerichts entschieden worden sind.
— 365 —
Die höchste Gerichtsbehörde für das Reich ist das Reichs-
gericht in Leipzig. Das Reichsgericht ist erste Instanz bei Ver-
brechen gegen Kaiser und Reich (Hochverrat, Landesverrat, Verrat
militärischer Geheimnisse) und Revisionsinstanz (3. Instanz) in
Zivilsachen, die von den Landgerichten in der ersten, von den Ober-
landesgerichten in der Berufungsinstanz entschieden worden sind,
jedoch nur in Reichsrechtsfragen und bei einem Streitwert von über
5000 M. Im Strafprozeß entscheidet es als Revisionsinstanz
(2. Instanz) in den von der Strafkammer oder dem Schwurgericht
in erster Instanz abgeurteilten Strafsachen, gegen die es eine Be-
-rnsung, etwa an das Oberlandesgericht, nicht gibt.
Alle strafbaren Handlungen werden von der Staatsanwalt-
schaft verfolgt, einer besonderen Behörde, die zunächst die not-
wendigen Ermittelungen leitet und dann die Anklage erhebt und
auch das Strafmaß beantragt oder das Strafverfahren einstellt. —
Für die Zivilprozesse bei dem Landgerichte, dem Oberlandesgerichte
und dem Reichsgerichte müssen die Parteien Rechtsanwälte
(Advokaten) als rechtskundigen Beistand annehmen (der Rechts-
anwalt heißt Notar, wenn er die Befugnis hat, öffentliche Urkunden
auszustellen, z. B. Testamente). — Die Verhandlungen vor den
Zivil- und Strafgerichten sind öffentlich; wenn aber die öffentliche
Ordnung, die Staatssicherheit oder die Sittlichkeit gefährdet ist,
erfolgt Ausschluß der Öffentlichkeit. Bei Verhandlungen gegen
Ausländer muß oft ein beeidigter Dolmetscher hinzugezogen
werden. — Gerichtsschreiber besorgen die Protokollführung uud
Beurkundung, Gerichtsvollzieher die Zustellung von Schriftstücken
an Parteien, Zeugen ufw. und die Zwangsvollstreckung (Pfändung).
— Freiheitsstrafen sind Haft, Festungshaft, Gefängnis, Zucht-
haus. — Jugendliche Verbrecher (12—18 I. alt) werden oft
besonders abgeurteilt (Jugendgerichtshöfe), in jedem Falle aber mit
geringeren Strafen belegt als die Erwachsenen. Gegen Kinder vor
vollendetem 12. Lebensjahre werden Erziehungs- und Besseruugs-
maßregeln getroffen. — In der Zeit der Gerichtsserien vom
15. Juli bis 15. September werden nur dringende Gerichtssachen erledigt.
Unterrichtsmesen. Der Staat hat das Volksschulweseu in
die Hände der Schulgemeinden gelegt, sich aber das Aufsichtsrecht
über alle öffentlichen und privaten Erziehungsanstalten vorbehalten.
Das Volksschulwesen ist durch das Volksschulgesetz v. 4. März
— 866 —
1875 geregelt (Neudruck von 1907 mit Anlagen). Nach diesem
Gesetz sind unsere Schulen paritätische oder Simultanschulen (gleich-
berechtigte für verschiedene Bekenntnisse); doch gibt es katholische
Volksschulen in Bückeburg und Stadthagen. Die äußeren Ange-
legenheiten einer Schule nimmt der Schulvorstand wahr. Er
besteht aus dem Lande aus dem Ortsschulinspektor als Vorsitzenden,
dem Gemeindevorsteher als Stellvertreter, dem ersten Lehrer der
Schule und drei weiteren aus der Gemeinde auf 6 Jahre gewählten
Mitgliedern; in der Stadt ist der Bürgermeister Vorsitzender. Die
Schulaufsicht wird durch besondere Aussichtsbeamte wahrge-
nommen (Schulrat, Landesschnlinspektor, Ortsschulinspektoren). Die
Lehrer werden auf dem Seminar in Bückeburg ausgebildet, das sie
zwei Jahre uach erlangter Reise für Prima besuchen müssen. Die
Kosten des Schulwesens werden durch Schulgeld, Schulsteuern (Um-
lagen zur Einkommensteuer) und staatliche Zuwendungen aufgebracht,
namentlich zahlt der Staat Zuschüsse zu Volksschulbauten (Ges. v.
8. März 1905; (im Rechnungsjahre 1911: 34 000 M). Besoldung,
Pensionierung und Fürsorge für die Hinterbliebenen der Lehrer sind
staatlich geordnet. Am 1. Oktober 1911 betrug die Zahl der öffent-
liehen Volksschulen 47, der Lehrkräfte 107, der Schulkinder 7828. Die
höheren Schulen in Bückeburg und Stadthagen unterstehen unmittel-
bar dem Ministerium. Die Aussicht führt eiu auswärtiger Schulrat,
der auch deu Reife- oder Maturitätsprüfungen beiwohnt. Die An-
forderungen an die Leistungen der Schüler höherer Lehranstalten
sind im Reich gleichmäßige (Reichsschulkommission). — Unsere geistes-
schwachen Kinder (Idioten) werden zumeist in der Blödenanstalt
Eben-Ezer bei Lemgo untergebracht, Blinde in der Provinzial-
Blindenanstalt zu Hannover, Taubstumme in Detmold. Sittlich ver-
wahrloste Kinder können in der Besserungsanstalt Gotteshütte zu
Kleinenbremen aufgenommen werden.
Än Schulen waren 1910/11 außer den Volksschulen vorhanden: ein Gym-
nasium mit Realgymnasium (Bückeb,, 314 Schüler), ein Realprogymnasium (Stadth.
177 Schul.), zwei höhere Töchterschulen (mit 246 Schülerinneu) und zwei Privat-
schulen mit Volksschulziel (mit 54 Schulkindern). Die Aufwendungen betrugen für
die höhere Lehranstalt in Bückeburg insgesamt 110 742 M, nämlich aus Staats-
mitteln 74 292 M und aus Schulgeld 36 450 M, für die in Stadthagen insgesamt
45951 M, nämlich aus Staatsmitteln 8000 M, aus Gemeindemitteln 15230 M, aus
Schulgeld 22090 M und sonstiger Deckung 631 M. Die Aufwendungen für die öffent-
lichen Volksschulen betrugen im Rechnungsjahre 1910: insgesamt 371265 M, nämlich
aus Staatsmitteln 124 094 M, aus Gemeindemitteln und Schulgeld 247171 M.
Kirchliche Verwaltung. Unsere Bevölkerung gehört vor-
wiegend zur evaugelisch-lutherischeu Landeskirche, die (mit
— 367 —
dem neuen Kirchspiel Seggebrach) 19 Kirchengemeinden umfaßt. An
der Spitze steht unser Fürst als oberster Bischof. Die höchste
Airchenbehörde ist das Konsistorium, das seinen Sitz in Bückeburg
hat. Das Konsistorium ist eine Kollegialbehörde und besteht aus
einem vom Fürsten ernannten Vorsitzenden, dem Landessnperinten-
deuten und einem weltlichen Mitgliede. Es verwaltet, da der Kirche
volle Selbständigkeit im Staate zuerkannt ist, sämtliche eigene,
innere Angelegenheiten unserer Landeskirche und führt die Aufsicht
über das kirchliche Leben in den einzelnen Gemeinden. Die Kirch-
spiele eines Kreises unterstehen einem Superintendenten, die
städtischen Kirchen dem Konsistorialrat als Landessnperinten-
deuten. Jedes Kirchspiel hat einen aus den Gemeindemitgliedern
gewählten Kirchenvorstand. Neben der konsistorialen ist in neuerer
Zeit auch die synodale Verfassung der Kirche ausgebaut worden, die
Teilnahme von' Vertretern der Kirchengemeinden an der kirchlichen
Verwaltung. So wird unsere ev.-luth. Landeskirche in ihrer Ge-
samtheit durch eine Landessynode vertreten, die aus 23 Mit-
gliedern besteht: 7 weltlichen Vertretern der Kirchengemeinden, die
von den ev.-luth. Einwohnern des Landes in geheimer direkter Wahl
mittels Stimmzettel gewählt werden, 16 ferneren Mitgliedern, näm-
lich 2 landesherrlich auf Vorschlag des Konsistoriums zu ernennen-
den Mitgliedern, dem Landessuperintendenten, 6 geistlichen uud
7 weltlichen gewählten Vertretern der Kirchengemeinden. Zur Wahl
der Vertreter der Kirchengemeinden werden die Kirchenvorstände zu
sieben Wahlkörperu vereinigt. Jeder Wahlkörper hat ein geistliches
und ein weltliches Mitglied zu wählen. Die Kirchenvorstände
wählen als Wahlkörper aus sich ihre Vertreter. Die Landessynode
versammelt sich in der Regel alle 3 Jahre auf Einberufung durch
das Konsistorium. Mit der Landessynode übt der Fürst das Recht
der kirchlichen Gesetzgebung aus. — Reformierte Gemeinden be-
stehen in Bückeburg und Stadthagen. Die Bückeburger Gemeinde
ist durch Otto V. begründet worden. Die Landesherrschaft gehört
auch heute noch zur reformierten Kirche. Die Gemeinde zu Stadt-
Hagen entstand wahrscheinlich auf Veranlassung der reformierten
Gemahlin des Fürsten Ernst, Hedwig, die dort ihren Witwensitz
nahm (f 1644). Das reformierte Kirchenwesen hat sich erst recht
unter Albrecht Wolfgang ausgeprägt. — Die beiden katholischen
Gemeinden zu Bückeburg und Stadthagen stehen unter der Leitung
des Bischofs von Osnabrück. — Die Anhänger der apoftolifchen
368
Gemeinde haben ein eigenes Gotteshaus in Bückeburg gegründet.
Eine Anzahl Juden wohnt im Lande zerstreut. — Die rechtliche
Stellung der reformierten und katholischen Gemeinden wie auch der
Synagogen-Gemeinden ist seit dem 1. April 1911 gesetzlich geregelt.
— Dem Bekenntnis nach waren bei der letzten Volkszählung
45 533 evangelisch, 715 katholisch, 165 sonstige Christen, 230 israe-
litisch, 4 anderen Bekenntnisses. 4 ohne Angabe.
Verkehrswesen. Uber Industrie, Handwerk, Handel, Ver-
kehr, Eisenbahn, Post usw. vgl. S. 159 ff. — Das Post-, Tele-
graphen- und Telephonwesen ist Sache des Reiches. Die Post
hat auch deu Verkauf der Marken und die Auszahlung der Unfall-,
Invaliden-,-Alters- und Hinterbliebenenrenten übernommen. — Die
oberste Behörde für uuser Eisendahnwesen ist die Eisenbahn-
Direktion in Hannover. — Die Verwaltung der in die Reichskasse
fließenden indirekten Steuern (Zölle und Verbrauchssteuern) führen
die Zollämter in Bückeburg und Stadthagen, vgl. S. 162 n. 103.
— Nene Verwaltungsbehörden sind die preußischen Kanal-Ban-
Verwaltungen in Bückeburg und Stadthagen, denen die Bauaus-
führung des Ems-Wefer-Kanals obliegt.
Militär. Unser Land gehört zum Gebiet des VII. Armee-
korps (Sitz des Generalkommandos Münster). Einzige Garnison-
stadt ist Bückeburg. Hier steht das Westfälische Jäger-
Bataillon Nr. 7. Aus unferm Fürstentum werdeu jährlich im
Durchschnitt 250 Mann als Rekruten im Heere und bei der Marine
eiugestellt. Den in die Heimat zurückkehrenden Reservisten wird in
den Kriegervereinen die beste Gelegenheit geboten, auch weiterhin
kameradschaftlichen und soldatischen Geist zu pflegen. Der Schaum-
burg-Lippische Landes-Krieger-Verband zählte im Jahre 1910
44 Vereine mit über 3000 Mitgliedern, darunter noch 212 Kriegs-
Veteranen. Aus dem Vermögen der einzelnen Vereine uud des Ver-
baudes, das zusammen über 55 000 JC beträgt, werden Mitglieder
und deren Witwen in Fällen der Not unterstützt, auch Sterbegelder
und Begräbniskosten bestritten. Alljährlich am 16. April kommen
außerdem die Zinsen der Georg-Marien-Kriegerstiftung (S. 128)
zur Verteilung. — Verständnis und Interesse für die Bedeutung
und die Aufgaben der Flotte sucht der Flottenverein zu wecken
und zu pflegen.
— 369 —
Besonders wichtige Landesgesehe.
Verfassungsgesetz, 17. Nov. 1868 ......Land.-Ver. 10
Wahlgesetz, 17. Nov. 1868/22. März 1906 . . „ 21
Staatsdienergesetz, 8. März 1872 ............„ „ 11
Landgemeindeordnung, 7. April 1870 .... „ „ 10
Städteordnung, 13. Juni 1906 ..............„ „ 21
Rechtsverhältnisse der Bauernhöfe, 11. April 1870 „ „ 10
Geschlossenheit der Bauernhöfe u. Anerbenrecht,
24. März 1909 ......................„ „ 22
Jagdpolizei, 6. Mai 1870 ..................„ „ 10
Wildschaden, 7. Mai 1870 ..................„ „ 10
Schonzeit des Wildes, 25. März 1905. ... „ „21
Einkommensteuergesetz, 3. Mai 1901..........„ „20
Vermögenssteuergesetz, 9. Mai 1906 ..........„ „ 21
Aufhebung der Grund- n. Gebäudesteuer als
Staatssteuer, 9. Mai 1906..............„ „21
Besteuerung der stehenden Gewerbe, 9. Mai 1906 „ „ 21
Lotteriegesetz, 12. März 1906................„ „ 21
Berggesetz, 28. März 1906..................„ „ 21
Kircbengeietze:
Erhebung von Kirchensteuern, 24. April 1894. „ „17
6. „ 1903. „ „ 20
20. März 1908. „ „ 22
Synodalordnung, 10. Mai 1900 ............„ „ 19
Vertretung der ev. - luth. Kirchengemeinden,
3. Febr. 1893 ..............„16
Austritt aus der Kirche, 21. März 1896... „ „17
Regelung des Küsterdienstes, 28. Jan. 1904 . „ „ 20
Psarrgehälter, 5. Febr. 1904 ................„ „ 20
20. Febr. 1909 ..............„ „ 22
Gnadenzeit d. Hinterbl., 6. Febr. 1904 ... „ „20
Witwen- n. Waisenversorgung, 9. Febr. 1904 . „ „ 20
5. „ 1908 . „ „ 22
Ruhegehalt, 10. Febr. 1904 ................n n 20
6. „ 1908 ................„ „ 22
Dienstvergehen, 18. Febr. 1904..............n „20
Vorbildung, 19. Febr. 1904 ................" "n 20
Aushebung kirchl. Abgaben und Leistungen,
25. März 1900 ......................n ti 19
Ablösung von Stolgebühren, 7. Febr. 1908 . " 22
Uolksldmlgeletz, 4. März 1875 ..............n n 12
(in neuer Fassung v. 11. Mai 1907).
24
— 370 —
3. Das Deutsche Reich.
Verfassung. Als Einzelstaat gehört Schaumburg-Lippe einem
größeren staatlichen Gemeinwesen an, dem Deutschen Reiche. Das
Deutsche Reich ist infolge des deutsch-französischen Krieges 1870/71
durch den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen
Bunde (S. 278) und die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens von
den damaligen Fürsten der einzelnen deutschen Staaten begründet
worden. Es bildet einen Bundesstaat oder nach der Verfassung
einen „ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des
innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohl-
fahrt des deutschen Volkes" (Staatenbund — Bundesstaat — Ver-
bindung der Regierungen — auch des ganzen Volkes). Zum
Bundesgebiete gehören 25 Staaten (22 monarchische und 3 Repu-
bliken) und das Reichsland Elsaß-Lothringen, das nach dem Gesetz
über die Verfassung vom 31. Mai 1911 nunmehr ein Bundesstaat
ist. Jeder Einzelstaat hat seine Selbständigkeit (Souveränität) be-
halten, sich aber zum Besten des Reichs einige Beschränkungen ge-
sallen lassen müssen (Zoll- und Handelsgesetzgebung, Militär-
Wesen usw). In dem vormaligen Staatenbunde des deutscheu Reichs
(1806—1871) war jeder Staat unbeschränkt selbständig und nur ge-
bunden an die Beschlüsse der gemeinsamen Bundesvertretung (Bundes-
tag). Auch heute sind die deutschen Fürsten als Landesherrn
selbständig, aber als Reichsfürsten dem Kaiser als dem Reichsober-
Haupt nach den Bestimmungen der Reichsversassung unterworfen.
Die Regierungsgewalt über das Reich wird von den Bundesstaaten
gemeinschaftlich ausgeübt durch den Bundesrat.
Kundesrat. Der Bundesrat setzt sich aus Regieruugsver-
tretern der Einzelstaaten zusammen und zählt 61 Bevollmächtigte,
die von den Oberhäuptern der Bundesstaaten (in Els.-Lothr. vom
Statthalter) ernannt werden; es haben Preußen 17, Bayern 6,
371 —
Sachsen und Württemberg je 4, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen
je 3, Braunschweig und Mecklenburg je 2 und die andern Staaten
je 1 Stimme — die Stimme für Waldeck ist als 18. auf Preußen
übergegangen. Der Vertreter unseres Fürstentums im Bundesrat
ist Staatsminister Frhr. v. Feilitzsch. — Alle Stimmen desselben
Ewzelstaates müssen in demselben Sinne abgegeben werden. An-
träge auf Verfassungsänderung können schon durch den Widerspruch
von 14 Stimmen abgelehnt, ebenso bestehende Gesetze über das
Heer, die Marine, Zölle und Verbrauchssteuern nur unter Zu-
stimmung Preußens geändert werden (Veto —Verbietungsrecht). Jedes
Mitglied des Bundesrats hat das Recht, jederzeit im Reichstage zu
erscheinen und daselbst das Wort zu nehmen. — Den Vorsitz im
Bundesrat führt der Reichskanzler. Der Bundesrat beschließt über
die dem Reichstage zu machenden Gefetzesvorlagen und ent-
fcheidet, ob die vom Reichstage gefaßten Beschlüsse gesetzliche Geltung
erlangen sollen oder nicht, er erläßt ferner die zur Ausführung
der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Bestimmungen nnd
bildet aus seiner Mitte dauernde Ausschüsse für die verschiedenen
Zweige der Reichsverwaltung. . Er kann ohne den Reichstag, der
Reichstag aber nicht ohne den Bundesrat tagen. In der Regel ist
er das ganze Jahr über, mit Ausnahme der Sommerferien, in Berlin
versammelt.
Reichstag. Der Reichstag ist die Vertretung der Gesamt-
heit des deutschen Volkes und besteht nach der Volkszählung von
1867 aus 397 Abgeordneten (Parlament). Auf 100 000 Ein-
wohner kommt ein Abgeordneter, aber in jedem Bundesstaat auch
bei geringerer Seelenzahl: Preußen hat 235, Bayern 48, Sachsen
23, Württemberg 17, Elsaß-Lothringen 15, Baden 14, Hessen 9,
Mecklenburg-Schwerin 6, Sachsen-Weimar, Oldenburg, Brauuschweig
und Hamburg je 3, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg-Gotha und
Anhalt je 2 und die andern Bundesstaaten, darunter auch unser
Land, je 1 Abgeordneten. — Jeder unbescholtene männliche Deutsche
(außer Militärpersonen), der seit mindestens 1 Jahr einem deutschen
Bundesstaate angehört, erwirbt mit dem 25. Lebensjahre Wahlrecht
und Wählbarkeit (aktives und passives Wahlrecht). Die Wahl
wird im ganzen Reiche an einem Tage durchgeführt und durch all-
gemeine, direkte und geheime Abstimmung vollzogen. Sie heißt
allgemein, weil jeder wählen und jede Stimme gleich viel gilt.
24*
— 372
Direkt bedeutet, daß der Abgeordnete unmittelbar von den Wählern
selbst gewählt wird und nicht wie bei manchen Wahlen durch Ver-
mittluug von Wahlmännern. Die Wahl ist auch geheim, weil jeder
Wähler, seinen Stimmzettel innerhalb des Wahllokals in einem be-
sonderen Nebenraum unbeobachtet in einen Umschlag steckt uud dann
erst so verschlossen abgibt. Gewählt ist in der Hauptwahl, wer
mehr als die Hälfte aller gültig abgegebenen Stimmen erhält (ab-
solute Mehrheit). Ist das bei keinem Kandidaten der Fall, so findet
Stichwahl statt, bei der aber nur die beiden Kandidaten wählbar
sind, die bei der Hauptwahl die meisten Stimmen hatten. Die
Wahl gilt für 5 Jahre (Legislaturperiode). Schou vor Ablauf
der 5 Jahre können allgemeine Neuwahlen notwendig werden, wenn
der Reichstag aufgelöst wird. Zu der Auflösung ist ein Beschluß
des Bundesrats nach voraufgegangener Zustimmung des Kaisers
erforderlich. Binnen 60 Tagen nach der Auflösung müssen die Neu-
Wahlen erfolgen, und innerhalb 90 Tagen nach der Auflösung muß
der neue Reichstag einberufen werden. Etwaige Nachwahlen (Todes-
fall, Verlust des Mandats) erfolgen während der Legislaturperiode.
— Der Abgeordnete hat während der Tagung sowie 8 Tage vor
Beginn und nach Schluß derselben auf allen deutschen Bahnen freie
Fahrt von seinem Wohnsitze nach Berlin und zurück und erhält eine
Aufwandsentschädigung von 3000 M aus der Reichskasse; von dieser
Summe werden ihm für jeden Tag, an dem er an einer Plenar-
fitznng oder an einer namentlichen Abstimmung nicht teilgenommen
hat, 20 M abgezogen.
Die Reichstagsverhandlungen sind im Gegensatz zu denen
des Bundesrats öffentlich und werden nach einer besonderen Ge-
schästsordnnng gehandhabt. Die Leitung hat ein Präsident, dem
2 Vizepräsidenten zur Seite stehen. Die Vorlagen werden im
Namen des Kaisers vom Reichskanzler an den Reichstag gebracht.
Der Reichstag hat aber auch das Recht der Initiative, er kann
nämlich dem Bundesrat Gesetze vorschlagen und ihm oder dem
Reichskanzler Bittschriften aus dem Volke überweisen (Behandlung
der Petitionen: zur Kenntnisnahme, zur Erwägung, zur Berück-
sichtiguug). Vorlagen, Anträge aus dem Hause und Petitionen
werden oft durch Ubergang zur Tagesordnung erledigt, d. h. der
Reichstag läßt sich auf ihre Beratung gar nicht erst ein (Beratung
am Mittwoch, „Schwerinstag"). Petitionen werden nur erörtert,
— 373 —
wenn es die ständige Petitionskommission oder 15 Mitglieder des
Reichstages beantragen. Über alle Vorlagen finden 3 Lesungen
(Beratungen) statt. Nach der 1. Lesung, die sich gewöhnlich auf
allgemeine Erörterungen beschränkt, solgt in der Regel die Beratung
durch eine Kommission. Diese erstattet dem Hause vor oder in der
2. Lesuug mündlich oder schriftlich Bericht, woran sich nach neuer
Beratung im Plenum (iu der Gesamtheit) die Abstimmung schließt.
Wird die Vorlage im ganzen abgelehnt, so kommt es zu keiner
3. Lesung. Die Annahme in 2. Lesung schließt aber nicht aus, daß
die Vorlage noch in 3. Lesung zu Fall kommen kann. Neue Ab-
änderungsanträge müssen in 3. Lesung von 30 Mitgliedern unter-
stützt sein. Gültige Beschlüsse können nur gefaßt werden, wenn
wenigstens 199 Abgeordnete bei der Abstimmung anwesend sind.
Die Abstimmung geschieht regelmäßig durch Aufstehen oder Sitzen-
bleiben. Ist die Abstimmung zweifelhaft, so erfolgt die Zählung
des Hauses, der sogen. Hammelsprung, d. h. die Abgeordneten ver-
lassen den Saal und kehren durch zwei verschiedene Türen zurück,
durch eine Tür diejenigen, die mit Ja, durch eine andere die mit
Nein stimmen, wobei eine Zählung stattfindet. Ein drittes Ver-
fahren ist die namentliche Abstimmung. Sie geschieht durch Ein-
sammeln vou kleinen Tafeln, die den Namen des Abgeordneten und
den Vermerk „Ja", „Nein" oder „Enthalte mich" tragen.
Reichsgesetze kommen nur zustande durch übereinstimmende
Beschlüsse des Reichstags und des Bundesrats und gehen den
Landesgesetzen vor. Wenn Reichstag und Bundesrat ein Gesetz be-
schlössen haben, so erhält es erst dadurch Gültigkeit, daß der Kaiser
es mit seinem Namen unterzeichnet unter Gegenzeichnung des Reichs-
kanzlers und durch das Reichsgesetzblatt verkündigen läßt.
Nationalfarben. Reichswappen. Die deutschen National-
färben sind schwarz-weiß-rot. Das Reichswappen zeigt einen ein-
köpfigen schwarzen Adler auf goldenem Grunde.
Reichsangehörigkeit. Für ganz Deutschland besteht ein ge-
meinsames Bürgerrecht mit der Wirkung, daß der Angehörige
eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als
Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum
Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Amtern, zur Erwerbung von
Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum
Genüsse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Vor-
— 374 —
anssetznngen tote der Einheimische zuzulassen, auch inbetreff der
Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zn be-
handeln ist (Freizügigkeit, Getoerberecht, Staatsbürger-
recht). Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugnis
durch die Obrigkeit feiner Heimat oder durch die Obrigkeit eines
anderen Bundesstaates beschränkt werden. Dem Auslande gegen-
über haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf deu Schutz
des Reiches.
Reichsangelegenheiten. Die dem Reiche gestellten Auf-
gaben find in Artikel 4 der Verfassung ausdrücklich ausgeführt
und betreffen auswärtige und innere Angelegenheiten. Im all-
gemeinen gehören dazu der Schutz des Reichsgebietes durch Heer,
Flotte und Festungen, die Einheitlichkeit des Rechts, des Ver-
kehrs und des Handels, vor allem aber die soziale (gesellschaft-
liche) Gesetzgebung, durch die im besonderen den wirtschaftlich
Schwachen Beistand geleistet werden soll.
Willensorgane des Reiches sind der Kaiser, der Bundesrat,
der Reichstag und der Reichskanzler mit den Reichsbehörden.
Der Kaiser. Die Fürsten des geeiuteu deutschen Vaterlandes
boten König Wilhelm I. von Preußen einmütig die deutsche Kaiser-
kröne au. Der König nahm sie an und wurde am 18. Januar
1871 im Spiegelsaale des Schlosses zu Versailles feierlich zum
Kaiser ausgerufen. Die Reichsverfassung bestimmt deshalb auch,
daß das Präsidium des Bundes dem Könige von Preußen zusteht,
„welcher deu Namen Deutscher Kaiser führt." So ist die Kaiser-
würde mit der Krone Preußens untrennbar verbunden. Der Thron-
erbe hat den Titel Kronprinz des Deutscheu Reiches. Der
Kaiser hat das Reich nach außen und innen zu vertreten (Botschafter,
Gesandte, Konsuln), im Namen desselben uud unter Zustimmung
des Bundesrats (also nicht des Reichstages) über Krieg und Frieden
zu entscheiden, auch Büuduisse und Verträge mit fremden Staaten
zu schließen. Er kann auch, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht
ist, jeden Teil des Bundesgebietes (ohne Zustimmung des Bundes-
rats) in Kriegszustand erklären. Der Kaiser ist der oberste Kriegs-
Herr über Heer und Flotte. Ihm steht das Recht zu, die Reichs-
beamteu (die des Reichsgerichts auf Vorschlag des Bundesrats) zu
ernennen und zu entlassen. Der Kaiser kann auch den Bundesrat
und den Reichstag berufen, eröffnen, vertagen, schließen und den
Reichstag auslösen. Er verkündet die Reichsgesetze und überwacht
ihre Ausführung.
— 375
Der Reichskanzler. Der Reichskanzler ist der vom Kaiser
ernannte oberste Reichsbeamte. Er hat den Vorsitz und die Leitung
der Geschäfte im Bundesrat (auf die Stellvertretung hat Bayern
ein Vorrecht), vermittelt den Verkehr zwischen Bundesrat und Reichs-
tag und ist für die Politik des Reiches wie auch für die politische
Betätigung des Kaisers verantwortlich. Darum müssen alle im
Namen des Reiches vom Kaiser getroffenen Anordnungen und Ver-
fügungen (Erlasse) gegengezeichnet werden von: Reichskanzler, der
damit die Verantwortung, auch dem Reichstage gegenüber, für sie
übernimmt (grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Kaiser und
Kanzler, sonst Entlassung). Der Reichskanzler kann sich durch die
Staatssekretäre der einzelnen Reichsämter vertreten lassen, er bleibt
aber immer verantwortlich.
Reichsbeljörden nttd Reichsbeamte. Behörden sind die
dauernden Einrichtungen, in denen die Staatsgewalt sich äußert,
Beamte sind die wechselnden, bei den Behörden angestellten
Personen, denen der Staat die Gewaltausübung überträgt. Er ver-
langt von ihnen eine besondere Vorbildung und gewährt ihnen in
Form des Gehalts den Lebensunterhalt. Die Beamten sind Staats-
bürger und deshalb wie jeder andre den allgemeinen Gesetzen unter-
worfen. Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten sind durch ein
besonderes Reichsgesetz geregelt (unmittelbare und mittelbare Reichs-
beamte, zu letzteren gehören z. B. Post- u. Telegraphenbeamte,
Militärbeamte). — Dem Reichskanzler sind alle Reichsbehörden
außer den militärischen unterstellt. Die Reichsbehörden werden
Reichsämter genannt. Wir haben 8 Reichsämter: Auswärtiges
Amt, Reichsamt des Juuern, Reichsjustizamt, Reichsschatzamt, Reichs-
eisenbahnamt, Reichspostamt, Reichsmarineamt und Reichskolonial-
amt. Das Auswärtige Amt leitet die Beziehungen zu den außer-
deutschen Staaten; dem Reichsamt des Innern unterstehen n. a. die
Reichsschulkommission, das Statistische Amt, das Patent-, Gesund-
heits- u. Reichsversicherungsamt; unter dem Reichsjustizamt steht
das Reichsgericht; dem Reichsschatzamt liegt die Verwaltung der
Reichssinanzen ob, namentlich die Regelung und Beaufsichtigung der
Einnahmen und Ausgaben (neben ihm der Rechnungshof des
Deutschen Reiches, die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, die
Reichsschuldenkommission und die Reichsbank); das Reichseisenbahn-
amt verwaltet die Reichseisenbahnen (Els.-Lothr.); das Reichspostamt
376
leitet das Post-, Telegraphen- und Telephonwesen im Reiche; dein
Reichsmarineamt untersteht die Verwaltung der deutschen Reichs-
flotte, die Beaufsichtigung der Küstenverteidigung und des Schiffs-
baus; das Reichskolonialamt bearbeitet die gesamte Verwaltung der
Schutzgebiete (die Kolonien sind Gouverneuren und Bezirksamt-
Männern unterstellt). An der Spitze der einzelnen Reichsämter
stehen besondere Staatssekretäre als Vertreter des Reichskanzlers,
dessen Verkehr mit den einzelnen Ämtern durch die Reichskanzlei
vermittelt wird.
Mittel» Die Mittel, deren sich das Reich bedient znr Er-
süllung seiner Aufgaben (S. 374) sind persönliche Dienste und
materielle Leistungen, nämlich hauptsächlich Wehrpflicht, Steuern
und Zölle, worüber die Reichsverfassung nähere Bestimmungen ent-
hält. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung
dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Uber die Dauer der Wehr-
Pflicht heißt es, daß jeder wehrfähige Deutsche 7 Jahre lang, in
der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebens-
jähre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebensjahre der
Landwehr 1. Aufgebots uud fodann bis zum 31. März des
Kalenderjahrs, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird, der
Landwehr 2. Aufgebots angehört. — Zur Bestreitung aller Aus-
gaben dienen dem Reiche die indirekten Steuern, die sich aus
Verbrauchs- und Verkehrssteuern zusammensetzen. Verbrauchs-
steuern sind gelegt auf Salz, Tabak, Zigaretten, Zucker, Brannt-
wein, Braustoffe, Schaumwein, Zündwaren, Leuchtmittel-, Verkehrs-
steuern sind Erbschaftssteuer (zu 3/4 der Erträgnisse), Spielkarten-
stempel, Wechsel-, Scheck-, Talon-, Lotterie-, Fahrkarten-, Börsen-
stener und eine Steuer von Gruudstücksübertragungen. Dazu
kommen die Erträge an Zöllen (Abgaben) ,sür die aus dem Aus-
laude kommenden Waren (vgl. S. 102/3). Die Erhebung geschieht
durch die Einzelstaaten. Die reinen Erträge werden an die Reichs-
kasse in Berlin abgeführt. Deutschland ist kein einheitliches Steuer-,
wohl aber ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet. — Der Reichs-
kasse fließen endlich noch die Beiträge der Einzelstaaten (die
Matrikularbeiträge) und die reinen Einnahmen aus den
Reichseisenbahnen und dem Post- n. Telegraphenwesen zu;
ausgenommen davon sind Bayern (mit eigenen Postwertzeichen) und
Württemberg.
Nach der Reichsoerfassung bildet die gesamte Landmacht des Reichs ein
einheitliches Heer, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers
steht. Die Kosten und Lasten des gesamten Kriegswesens werden von allen
Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig getragen. Die Reichsver-
fassung unterscheidet einzelne Kontingente des Reichsheeres und räumt den
Bundesfürsten und den Senaten der freien Städte als Kontingentsherren (Chefs)
gewisse Rechte ein (z. B. Inspizierung, Heranziehung der Truppen zu polizeilichen
Zwecken). Streng einheitlich ist die deutsche Kriegsmarine ausgestaltet. Sie
wird als „Kaiserliche Marine" ausschließlich vom Kaiser zusammengesetzt, organi-
siert und befehligt, auch leisten die Mannschaften nur dein Kaiser den Fahneneid,
während die des Landheeres auch für das Staatsoberhaupt ihres Heimatftaates
eidlich verpflichtet werden.
Das deutsche Heer soll bis zum Jahre 1915 im Frieden ohne die
Einj.-Freiw. auf die Stärke vou 515 321 Mann gebracht werden. Man unter-
fcheidet Infanterie (Fußfoldaten: Grenadiere, Musketiere, Füsiliere, Jäger),
Kavallerie (schwere Reiter: Regiment der Gardes du Corps, Kürassiere,
Ulanen; leichte Reiler: Dragoner, Husaren, Chevaulegers) und Artillerie
(schwere oder Fuß[Festu»gs]artillerie, leichte oder Feldartillerie)! dazu kommen
Pioniere, Verkehrstruppen (Eisenbahn-, Telegraphen-, Luftschiffer-Abteilungen)
und Train. Grundform aller drei Waffengattungen ist das Regiment. Das
Regiment Infanterie wird in Bataillone eingeteilt, die wieder aus Kompagnien
bestehen. Das Regiment Kavallerie setzt sich zusammen aus Eskadrons
^Schwadronen), das Artillerie-Regiment aus Batterien.
Die gesamte Landmacht ist in 23 Armeekorps gegliedert. Die preußische
Garde bildet ein eigenes Armeekorps, das Gardekorps. Ein Armeekorps hat
2 bis 3 Divisionen, eine Division 2 bis 3 Jnfanteriebrigaden und l Kavallerie-
brigade, eine Brigade 2 Regimenter, ein Regiment 3 Bataillone mit je 4 Kom-
pagnien. Außerdem gehören zu einem Armeekorps in der Regel noch 3 Artillerie-
regimenter, 1 Jäger-, 1 Pionier-, 1 Trainbataillon, 1 Abteilung Jäger zu Pferde
(Meldereiter) und mehrere Maschinengewehr-Abteilungen. Ein mobiles (kriegs-
mäßiges) Armeekorps zählt 40 000 Mann und hat in gewöhnlicher Marschordnung
eine Länge von etwa 30 km, mit Train ?c. 50 km, mit Gliederabständen 60 km.
— Dem Range nach folgen: Gefreiter, Unteroffizier, Sergeant, Feldwebel
(Wachtmeister), Leutnant, Oberleutnant, Hauptmann (Rittmeister), Major, Oberst-
leutnant, Oberst, Generalmajor, Generalleutnant, Kommandierender General,
Generalfeldmarschall.
Nach den Flottengesetzen von 1900, 1906 und 1908 soll die deutsche
Kriegsflotte bestehen aus der Schlachtflotte mit 2 Flottenflaggschiffen,
4 Geschwadern zu je 8 Linienschiffen, von denen das 1. u. 2. Geschwader die
aktive Schlachtflotte, das 3. u. 4. Geschwader die Reserve-Schlachtflotte bilden,
ferner aus 8 großen und 24 kleinen Kreuzern als Aufklärungsschiffen, weiterhin
aus der Auslandsflotte mit 8 großen und .10 kleinen Kreuzern und endlich
aus der Materialreserve mit 4 Linienschiffen, 4 großen und 4 kleinen
Kreuzern. ^Dieser Bestand soll einschließlich der nötigen Ersatzbauten bis zum
Jahre 1917 erreicht werden. — Die Rangstufen der Seeoffiziere sind: Leut-
nant und Oberleutnant zur See, Kapitänleutnant (im Range des Hauptmanns),
Korvettenkapitän (Major), Fregattenkapitän (Oberstleutnant), Kapitän zur See
(Oberst), Kontreadmiral (Generalmajor), Vizeadmiral (Generalleutnant) und
Admiral (General der Infanterie).
Reichsgesehe. Die Einheitlichkeit des Reiches kommt auch
in den Reichsgesetzen zum Ausdruck. Nach der Gründung des
Reiches wurden viele Gesetze des früheren Norddeutschen Bundes zu
Reichsgesetzen erhoben. Die Reichsgesetze waren zunächst daraus
378 —
gerichtet, das wirtschaftliche Leben in: Innern des Reiches zn fördern.
So wurde den einheimischen Erzeugnissen und Waren Schutz ge-
währt gegen den Wettbewerb des Auslandes durch Einführung von
Schutzzöllen, insbesondere die Landwirtschaft geschützt durch
Getreidezölle, der Verkehr gleichartig gestaltet durch Übernahme
des Post- und Telegraphenwesens, das gesamte Handels- und
Verkehrswesen erleichtert durch Einführung gleicher Münzen, Maße
und Gewichte (seit 1.876). Die kaufmännischen und gewerblichen
Verhältnisse wurden geregelt durch die allgemeine Einführung des
Handelsgesetzbuches und der deutschen Gewerbeordnung, durch
das Ges. über das Urheberrecht an Mustern und Modellen, an
Erzeugnissen der Wissenschaft und Kunst (1876), die Patentgesetze
(1877, 1891), das Markenschutzgesetz (1874), Schutz vou Ge-
brauchsmusteru (1891) und Warenbezeichnungen (1894). Eiu
einheitliches Recht wurde eingeleitet durch das Strafgesetzbuch
(seit 1872), weitergeführt durch die Errichtung des Reichsgerichts
in Leipzig und die deutsche Gerichtsverfassung (l. Okt. 1879)
und endlich vollendet -am 1. Januar 1909 durch das Bürgerliche
Gesetzbuch. Die Rechtseinheit im öffentlichen Vereinsrecht ist durch
das Reichsvereinsgesetz v. 19. April 1908 geschaffen worden
(vgl. Landesverordn. v. 7. Mai 1908; 22, 243). Die Machtstellung
des Reiches wurde gestärkt durch den Ausbau des deutschen Heeres
uud im Anschluß an den Erwerb überseeischer Kolonien dnrch die
Neuschaffung der deutschen Kriegsflotte
Eine weitere Aufgabe des Reiches war die Versorgung der
wirtschaftlich Schwachen. Diese Frage ist nunmehr gesetzlich so nm-
fassend geregelt, daß das Deutsche Reich iu der Arbeiterfürsorge
alleu europäischen Staaten voran ist und als Vorbild dieueu kann.
Die erste Anregung ging von Kaiser Wilhelm I. aus, der bei der
Eröffnung des Reichstages am 17. Nov. 1881 durch den Reichskanzler
Fürst Bismarck verkünden ließ, daß der Arbeiter ein Recht auf den
Beistand des Reiches hätte. Kaiser Wilhelm II. hat dann die Pflicht
der staatlichen Hülse durch die Erlasse v. 4. Febr. 1890 von neuem
betont. Die als notwendig erkannte staatliche Fürsorge ist durch die
soziale Gesetzgebung geregelt worden. Das Reich schützt Leben
und Gesundheit des Arbeiters durch die Arbeiterschutzgesetze,
die im Anschluß au die Gewerbeordnung (S. 360) erlassen sind
aber auch die Existenz des Arbeiters durch Verschiedeue Arbeiter-
— 379
Versicherungsgesetze. Letztere haben allgemein den Versicherungs-
zwang durchgeführt, der nicht nur für die Arbeiter, sondern auch
für die Arbeitgeber gilt, so daß die Arbeiterversicherung eine öffent-
lich-rechtliche Einrichtung ist.
Das erste große Versicherungsgesetz ist das der Kranken-
Versicherung v. 16, Juni 1883, das wiederholt geändert und ver-
bessert wurde durch die Gesetze v. 10. April 1892, 30. Juni 1900
und 25. Mai 1903. Das Gesetz will den Versicherten bei vorüber-
gehender Krankheit vor Not schützen. Es folgte das Gesetz über
die Unfallversicherung v. 6. Juli 1884, das nach den Um-
änderungen v. 30. Juni und 15. Juli 1900 die Unfallfürsorge in
den vier Betrieben: Gewerbe, Land- uud Forstwirtschaft, Bau und
See regelt. Während vordem nach dem sogen. Haftpflichtgesetz von
1871 eine Unfallentschädigung nur zugestanden wurde, wenn gericht-
lich festgestellt war, daß der Unfall auf das Verschulden oder die
Nachlässigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen war, so muß hiernach
unabhängig von der Frage des Verschuldens dem verletzten oder
getöteten Arbeiter bezw. seinen Hinterbliebenen eine Entschädigung
in jedem Falle zuerkannt werden. Das dritte Versicherungsgesetz
ist das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz v. 22.
Juni 1889, das am 1. Januar 1891 in Kraft trat und noch unter
der Regierung Kaiser Wilhelms I. ausgearbeitet war. Dieses Gesetz
erhielt am 13. Juli 1899 den Titel Invalidenversicherung^
gesetz; es sichert in der Fassung v. 19. Juli 1899 dem Versicherten
bei dauernder Erwerbsunfähigkeit (Invalidität) eine fortlaufende
Geldzahlung (Rente), Invalidenrente, oder für das Alter nach
vollendetem 70. Lebensjahr eine Altersrente.
Das Bedürfnis nach einer möglichst einheitlichen materiellen
Gestaltung der verschiedenen Versicherungszweige und die Not-
wendigkeit, sich den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen der
neuesten Zeit tunlichst anzupassen, hat allmählich dahin geführt,
diese drei Versicherungsgesetze nach wesentlicher Neugestaltung zu
einem großen Arbeiterversicherungsgesetze äußerlich zusammenzufassen,
das am 31. Mai 1911 vom Reichstage verabfchiedet wurde uud den
Namen Reichsversicheruugsordnnng führt. Die Einzelzweige
der Reichsversicherung sind bei dieser Regelung in der Reihenfolge
ihres geschichtlichen Entstehens beibehalten, so daß die Reichsver-
sicherungsordnuug die Gesetze enthält über Krankenversicherung,
380
Unfallversicherung und Invaliden- nebst der neu Hinzuge-
kommeneu Hinterbliebenen Versicherung.
Die Bedeutung der Reichsversicheruugsorduuug liegt in der
Ausdehnung der Versicherungspflicht, iu der Erhöhung der Leistungen
der einzelnen Versicherungen, insbesondere in der Erhöhung der
Invalidenrente durch Zuschüsse sür Kiuder unter 15 Jahren und in
der Schaffung der Hinterbliebenenversicherung, deren Leistungen
in Witwen-, Witwer- und Waisenrenten, in Witwengeld und Waisen-
anssteuer bestehen. Manche Fragen sind der Landesgesetzgebung
vorbehalten. Mau nimmt an, daß nach Hinzukommen der Witwen-
und Waisenversichernug alljährlich eine Milliarde oder täglich rund
3 Millionen Mark für Reichsversicheruugszwecke auszubringen sind.
Bei der Privatbeamtenversicherung werden die Lasten allein
von den Arbeitgebern uud Arbeitnehmern getragen, das Reich über-
wacht nur die eingehenden Gelder und sorgt für eine gesetzmäßige
Verteilung.
Bei der Wirtschaftskunde (S. 38/39 n. 343), die hier nicht
weiter ausgeführt werden kann, handelt es sich namentlich um die
Betätigung des Deutschen Reiches auf den einzelnen Wirtschafts-
gebieten (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr)
und um seine Stellung im Welthandel und Weltverkehr als Groß-
uud Weltmacht.
— 381 —
Bilderanhang.
— 382 -
Baustile. Rathaus in Stadthagen.
Plan von Stadthagen.
Plan von Bückeburg.
Residenzschloß in Bückeburg. Schloß am Harrl.
Fürstliches Schloß in Stadthagen. Der Wilhelmstein.
Die Arensburg. Stadtkirche in Bückeburg.
Die Schaumburg. Rathaus in Bückeburg.
Alte Bauernhäuser aus der Umgegend von Stadthagen.
Die frühere Kirche zu Vehlen.
Elisabeth Ursula.
Simon VI. zur Lippe.
Ernst.
Otto V.
Philipp, erster Graf zu Schaumburg-Lippe.
Friedrich Christian.
Albrecht Wolfgang.
Wilhelm.
Philipp Ernst.
Juliane.
Georg Wilhelm, erster Fürst zu Schaumburg-Lippe.
Adolf Georg.
Georg.
Farbiges Trachtenbild.
1
Romanisch
Qotisch
Rathaus in Stadthagen.
(Zu Seite 94).
Erläuterung der Zahlen:
Straßen:
1. Am Markt. — 2. Obernstraße. — 8. Engestr. — 4. Klosterstr. — 5.
Wallstr. — 6. Bahnhofstr. — 7. Echternstr. — 8. Am Viehmarkt. — 9. Querstr.
— 10. Niedernstr. — 11. Schulstr. — 12. Am Kirchhof. — 13. Krummestr. —
14. Loccumerstr. — 15. Bahnhofsweg. — 16. Windmühlenstr. — 17. Nordstr.
18. Herminenweg. — 19. Lauenhägerweg. — 20. Probsthägerweg. — 21.
Vornhägerweg. — 22. Habich Horsterweg. — 23. Oberntorstr. — 24. Enzerweg.
— 25. Am Stadtpark.
Gebäude:
1. Schloß. — 2. Amtspforte. — 3. Reform. Kirche. — 4. Realprogym-
nasium. — 5. Bürger-Knabenschule. — 6. St. Martinikirche u. Mausoleum.
7 a. Rathaus. — 7 b. Städtische Brauerei. — 8. St. Johannishof. — 9. Landes-
krankenhaus. — 10. Bürger-Töchterschule. — 11. Kathol. Kirche it. Schule. —
12. Kaiserl. Postamt. — 13. Amtsgericht. — 14. Mechan. Weberei. — 15. Riensche
Glashütte. — 10. Kistenfabrik. — 17 a. Staatsbahnhof. 17b. Kleinbahnhof. -
18. Oldenbnrger Glashütte. — 19. Gasanstalt. — 20. Schützenhaus.
(Zu Seite 119).
Erläuterung der Zahlen:
Straßen:
1. Bahnhofstr. — 2. Scharnhorsts^. — 3. Hoffnungstr. — 4. Pulverstr. —
5.^Maschstr. — 6. Nordstr. — 7. Dammstr. — 8. Gartenstr. — 9 a. Unter-Wall-
weg.— 9b. Ober-Wallweg.— 10. Wallstr.— 11. Neuestr.— 12. Trompeterstr.—
13.^ Braustr. — 14. Sackstr. — 15. Petersilienstr. — 16. Langestr.— 17. Oberstr.—
18. Chausseestr. — 19. Scheierstr. — 20. Bergdorferstr. — 21. Ulmenallee. —
22. Mittelstr. — 23. Lülingstr. — 24. Feldstr. — 25. Herminenstr. — 26. Ma-
rienstr. — 27. Parkstr. — 28. Georgstr. — 29. Jägergang. — 30. Herderstr. —
31. Schulstr.
Gebäude:
1. Residenzschlotz. — 2. Schloß am Harri. — 3. Ministerium. — 4. Kranken-
haus Bethel. — 5. Gymnasium Adolfinum. — 6. Kaserne. — 7. Lazarett. —
8. Bürger-Knabenschule. — 9. Luther. Stadtkirche. — 10. Kath. Kirche u. Schule. —
11. Marstall.— 12 a. Landesmuseum. — 12 b. Bückeb. Brauerei. — 13. Rathaus.—
14. Bibliothek. — 15. Marienschule. — 16. Dresdner Bank. — 17. Kaiserl. Post-
amt. — 18. Synagoge. — 19. Altersheim. — 20. Landgericht. — 21. Bürger-
Töchterschule. — 22. Gefängnis u. Armenhaus. — 23. Kleinkinderschule. — 24.
Jetenburger Kirche. — 25. Badeanstalt. — 26. Masch-Vorwerk. — 27. Bahnhof. —
28. Kronen-Brauerei. — 29. Gasanstalt. — 30. M = Mühle.
Plan
von
Bückeburg.
Maßstab: 1:20000
FürpUches Schloß in Sradthagen.
Stadtkirche in Bückeburg.
Elisabeth Ursula.
Ernst.
Otto V.
Philipp, erster Graf zu Schaumburg-Lippe.
Friedrich
Christian.
Philipp Ernst.
Adolf Georg.
26*
J.C König & Ebhardi\ nannover
Bückeburger Lind
Volks!
Wiegmann, Heimatkunde Verlag von Heinrich Heine,Stedfhagen
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