Die Bevölkerung. 49 und zwar nunmehr als allgemeine Schriftsprache und als Verkehrssprache aller Gebildeten Deutschlands diente. Aus einer Landschaft, welche an der Grenze zwischen Ober- und Niederdeutschland liegt, der Markgrafschaft Meißen, stammt jener Dialekt, daher wird er auch als die Meißner, allgemeiner jedoch als die obersächsische Mundart bezeichnet. Diese von Martin Luther in seinen Schriften und besonders in seiner Bibelübersetzung angewendete Sprache wurde infolge der ungeheuren Verbreitung jener Schriften das allgemeine Mittel der Verständigung aller Deutschen bis in die untersten Schichten des Volkes hinein und ist, uuumehr „neuhochdeutsch" oder kurz „hochdeutsch" ge- uannt, die allgemeine Sprache aller deutschen Schriftsteller und Gebildeten geblieben, wenngleich sie naturgemäß mit der Zeit maucherlei Veränderungen erfahren hat.*) Im Neuhochdeutschen sind die einfachen Beugungsformen noch mehr außer Gebrauch gekommen, dagegen wurde die Sprache in syntaktischer Beziehung (im Satzbau) erheblich weiter entwickelt. Der Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen vermittelte sich durch eine Periode, in welcher ein Sinken der Sprache und eine Vermengung der Mundarten unverkennbar hervortritt. Indem aus den einzelnen Mundarten eine Menge von Wörtern Gemeingut wurde, trat damals zwar eine Bereicherung der deutschen Sprache ein, jedoch gereicht die Ver- Mischung verschiedenartiger Formen keineswegs der Sprache zum Vorteil, ebenso- wenig der Umstand, daß immer häufiger zu Zusammensetzungen gegriffen wurde. Auch sonst zeigt die Dichtkunst der Zeit, der Meistergesang, durch eine schwerfällige Sprache die deutlichen Spuren des Rückschritts. Während die hochdeutsche Mundart in ihrer mittelhochdeutschen Periode die erwähnte glänzende Literatur zeitigte, ging die niederdeutsche Muudart ihren selbständigen Entwicklungsgang weiter, ohne indes bedeutende poetische Werke zu erzeugen. Die Erhebung des Neuhochdeutschen znr allgemeinen Schriftsprache mußte naturgemäß die Bedeutuug des Niederdeutschen noch er- heblich vermindern, besonders in litterarischen Erzeugnissen. Erst in neuerer Zeit hat sich die niederdeutsche (plattdeutsche) Muudart durch Klaus Groth uud Fritz Reuter zu eiuer gewissen litterarischen Bedeutung erhoben, was indes nicht ausschließt, daß diese Mundart, wie alle Volksdialekte im deutscheu Lande, unter dem Einflüsse der Schule und Kirche, des Handels uud Waudels sowie besonders auch der allgemeinen Wehrpflicht, zu gunsten des Hochdeutschen mehr und mehr schwindet. Anderseits hat sich nach der Lostrennung Hollands von Deutschland die dortige niederdeutsche Muudart, und neuerdings sogar der vlämisch-deutsche Dialekt in Belgien, zur selbständigen Schriftsprache entwickelt. Die betrachtete mundartliche Scheidung ist keine zufällige, fondern hängt mit dem Gegensatze zusammen, der auch sonst zwischen den Ober- oder Süd- deutschen uud den Nieder- oder Norddeutschen besteht. Zuuächst ist zu bemerken, daß die Grenze zwischen beiden Mundarten keineswegs durch das deutsche Mittelgebirge gebildet wird, vielmehr das Herrschaftsgebiet des Ober- deutschen größtenteils noch weit in das Tiefland hineinreicht. Zwischen beiden Dialekten liegen einzelne Mittelgebiete, auch kommen nicht nur in nieder- deutschen Gegenden oberdeutsche Sprachinseln, sondern auch im Gebiete des Oberdeutschen mehrfach niederdeutsche Landstriche vor. *) Nach andern ist diese Sprache keinem der deutschen Dialekte entnommen, sondern wurde schon im 15. Jahrhundert von der kaiserlichen Kanzlei und dem Reichsgerichte angewendet; ihre Verbreitung verdankt sie jedenfalls M. Luther. Das Deutsche Reich. 4