150 Straßburg, die Königin des Oberrheins. zu immer größerer Vollkommenheit gelangen solle, so wählte er das Gleich- uiß „Von der geistlichen Bedeutung des Häsleius", welches durch Abhäuten, Spicken, Rösten, Braten Zubereitet würde und endlich als „Has im Pfeffer" mit allen Eigenschaften der Vollkommenheit auf den Tisch käme. Sprach er über die Ungerechtigkeit der Richter, so zeigte er dieselbe an der Ge- schichte von der armen Wittfrau, die dem Richter einen Topf voll Sauer- milch schenkt, damit er zu ihren Gunsten spreche. Da kommt aber auch ihr Gegenpart und schenkt dem Richter ein Ferkel, und der Spruch fällt für ihn aus. „Aber wo ist mein Topf mit Sauermilch geblieben?" fragt die betrogene Wittfrau den Mann des Gesetzes. „Ei nun", versetzt der Richter, „das Ferkel hat ihn umgestoßeu!" Die Vergleiche waren, wie wir sehen, ziemlich nüchtern und platt; aber das Volk verstand ihn, weil er seine Sprache redete, und hörte ihn gern. Von allen Dörfern der Umgegend und selbst aus deu Nachbarstädteu strömten die Leute zum Münster, wenn der Kaisersberger Doktor predigte. Bald konnte die Lorenzkapelle die Menge der Zuhörer uicht mehr fassen, und es mußte eine Kanzel im Hauptschiffe für ihn errichtet werden, die söge- nannte „Doktorskanzel". Dort stand er, der blasse, hagere Mann mit der hohen Stirn, den feurigen Augen, und redete freimüthig vor allem Volke,, vor Kaiser und Bischof, von der Ungerechtigkeit der weltlichen Behörden, den Lastern der Geistlichen, dem leichtfertigen Treiben in den Klöstern nnd den Gebrechen der Kirche. „O seliger Bischof nnd Meister, wach auf!" rief er mit gewaltiger Stimme, „reformire deine Kirche nach dem heiligen Evangelium, seinen Aposteln und bewährten Kirchenlehrern! — Um Gottes willen, mache eine wahre und ernstliche Reformation!" Bischof und Papst hörten den Weckruf Geiler's nicht, und Kaiser Maximilian, der gern seine Predigten besuchte und auch über die Schäden der Kirche mit ihm sprach, that nichts, um sie zu heilen. Dem Kaisersberger Doktor aber fehlte bei aller Liebe zur Wahrheit und Lauterkeit des Waudels doch die Kühnheit und Geisteskraft, um selbst Haud an das Reformationswerk zu legen. So schied auch er nach einem langen und segensreichen Wirken aus seiner Gemeinde und aus dem Leben (10. März 1510), die große Bewegung, die er wider seinen Willen selbst vorbereiten geholfen, wohl ahnend, aber noch nicht völlig hingegeben an die Ideen und Forderungen einer neuen Zeit. „Weil Papst, Kaiser, König und Bischof nicht reformiren wollen unser geistlos, Vernunft- und gottlos Leben, so wird Gott Einen senden, der es thnn muß uud die gefallene Religion aufrichten", hatte Johannes Geiler in prophetischer Ahnung kurz vor seinem Tode gesprochen. Dieser Eine aber, der schlichte Augustiuermöuch vou Wittenberg, befand sich in dem letzten Lebensjahre des Kaisersberger Doktors auf der Pilgerfahrt uach Rom, wo er die Weltlichkeit des Papstes und der Kardinäle, den Hochmnth und Unglauben der Priester, die Unwissenheit und den Aberglauben der Laien mit eigenen Augen wahrnahm. Sieben Jahre später schlug Doktor Martin Luther die 95 Thesen an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg.