91. Die Gletscher. 305 Der eigentliche Gletscher stellt sich in der Regel als eine in der Mitte etwas gewölbte, je nach der Querdimension des Thales verschieden breite und gewöhnlich mit steilein Absall endigende Eismasse dar. Von dem Firn- selde weg sich verschmälernd und in das Hochthal langsam abfallend, geht der Eiskörper allmählich in den eigentlichen Gletscher über, rückt immer tiefer in das Thal herab, folgt allen Windungen desselben, reicht von einer Thal- wand zur andern und hat hier, bei einer Mächtigkeit von-mehreren Hundert Fuß, oft kaum die Breite von 100—200 Klafter. Kleinere Gletscher, die nur auf dem Kammgehänge liegen, ohne das Hauptthal unterhalb zu er- reichen, werden Gletscher zweiten Ranges, große Eisströme hingegen, welche auf obige Art die Sohle des Hauptthales bedecken und, ihres gerin- gen Gefälles wegen, erstarrten Flüssen gleichen — Gletscher ersten Ran- ges genannt. Daraus geht hervor, daß die Länge der Gletscher eine sehr verschiedene ist. Diese Länge hängt von der Größe des Firnfeldes ab, aus welchem der Eisstrom hervorwächst und von dem er unterhalten wird; bei kleinen Firnmulden ist sie gering; bei großen Firnfeldern hingegen, deren Areal oft eine oder mehrere Quadratmeilen mißt, wird der Gletscher nicht selten mehrere Meilen lang. Der längste Gletscher Europa's ist der 31/* Meilen lange Groß-Aletsch-Gletscher in der Schweiz. Wo das Gefälle des Firnfeldes und des eigentlichen Gletschers größer wird, da ist der Eiskörper regelmäßig von tiefen, querlaufenden Spalten durchrissen, die ihn unbeschreitbar machen. Bei noch steileren Stürzen des Eiskörpers ist derselbe oft in ein Labyrinth von Wänden, Zacken und Thür- men aufgelöst, die man Eis nadeln nennt und die wegen ihrer Pracht und Großartigkeit einen mit Recht vielbewunderten Bestandtheil des Glet- fcherphänomens bilden. — Eine besondere Eigentümlichkeit der Gletscher sind die Moränen, worunter man theils lineare, theils wallartige Anhäu- sungen von Felsstücken und kleinerem Schutt versteht, welche von den Berg- hängen auf den Gletscher herabfallen, durch die continuirliche Bewegung des Eifes zu Thal verschieden angeordnet und hiernach auch benannt werden. So nennt man Randmoränen jene Schuttlinien, die auf den Rändern des Gletschers liegen, Mittelmoränen ähnliche Schuttlinien, welche parallel mit den Ufern des Gletschers auf der Oberfläche des letztern hinziehen und End - oderFrontalmoränen mehr oder minder breite Schuttwälle, die dadurch ent- stehen, daß die Bestandtheile der Rand- und Mittelmoränen das Ende des Glet- schers erreichen, über dasselbe herabfallen und sich hier bogenförmig aufhäufen. In Hochgebirgsthälern finden sich, nicht selten stundenweit unterhalb der heutigen Gletscher, bogenförmige, oft 20—30 M. hohe Schuttwälle dieser Art, mit den convexen Seiten abwärts gekehrt und aus einer Zeit herstammend, in der die Gletscher eine um Vieles größere Ausdehnung hatten, als in der Ge- genwart. Pütz, Charakteristiken zur vergl. Erd- u. Völkerkunde I. 2. Aufl. <20