342 III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. jütische Halbinsel, den dänischen Jnselarchipel mit seinen belästigenden, erst im Jahre 1857 abgelösten Zöllen und durch die Stürme des Kattegat von den großen oceanischen Wasserwegen ausgeschlossen. Dagegen mußte, in Folge der nun veränderten Weltstellung der deutschen Meeresgewässer, allmählich die Nordsee zu immer höherer Geltung kommen. Von ihr aus öffnet sich, wiewohl sie zu den abgeschlossensten Theilen des Oceans gehört, doch am freiesten für uns die weite Wasserstraße über denselben; in sie auch ergießt sich die Mehrzahl unserer befahrensten Ströme, und an ihr liegen unsere bedeutendsten Handelsstädte. Auch die während der letzten Decennien fast von Jahr zn Jahr sich mehrenden Auswanderungen haben unstreitig die Aufmerksamkeit für jene Pforte in die oceanische Welt steigern helfen. Die Macht des Oceans ist aber eine auch die innersten, der Cultur bereits zuge- wandten Binnenlande erfassende und bezwingende. Auch wir sind, wie sich in gewissem Sinne von der ganzen cultivirten Welt sagen läßt, im Laufe eines Menschenalters oceanischer geworden und denken endlich daran, die Naturhülfe unserer Wassergrenze nachdrucksvoller zu schützen und früher Ver- säumtes nachzuholen. Bereits vermitteln die deutschen Nordseehäfen mit den künftigen Häfen ersten Ranges im Welthandel (und diese sind jenseit des Oceans zu suchen) die Verbindung von ganz Deutschland und einem großen Theile des übrigen europäischen Nordens. Dazu kommt die Nachbarschaft des seemächtigen England, dessen Verkehr mit dem gestimmten Deutschland schon seit einer Reihe von Jahren zur bei Weitem größern Hälfte durch die Nordseehäfen allein besorgt wird. Die deutsche Handelsmarine ist in Zahl und Tragfähigkeit der Schiffe die dritte in der Welt; sie kommt, der franzö¬ sischen vorangehend, nach der englischen und nordamerikanischen, und die preußischen (mit Einschluß der hannoverschen), mecklenburgischen und olden- burgischen Küsten könnten für eine deutsche Marine eine Bevölkerung liesern, in der sie es kühn mit der ganzen Welt, selbst das stolze England nicht ausgenommen, auszunehmen im Stande wären. Während alle übrigen Theile von Europa mehr oder weniger eine in ihnen vorherrschende Form der Oberflächen-Bildung haben, zeichnet sich Deutschland durch die größte Mannichsaltigkeit derselben aus. So wie schon Europa überhaupt alle Formen der Oberflächen-Bildung in sich ver- einigt und zu einem harmonischen Ganzen verknüpft, so trägt diesen Cha- rakter in Europa vorzugsweise wiederum der deutsche Boden. Man findet hier die größte Abwechselung von Hochgebirgs-Ländern, Tafel-Ländern, Stufen-Ländern mit den verschiedenartigsten Strom-Systemen, Gebirgs-Sy- steme der mannichfaltigsten Art und große Flachebenen. Wenn daher Europa den vollendetsten Typus der Erdoberflächen-Bildung gibt, so zeigt wie- derum Deutschland, als das Herz von Europa, die Vollendung dessen, was die Natur in dem plastischen Bau der Oberfläche hat hervorbringen können.