212 III. Länder- und Völkerkunde. B. Asien. 275. Canton. (Nach Karl von Scherzer, Fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, China und Japan, und W. H eine, Reise um die Erde nach Japan, mit Zusätzen vom Herausgeber.) Die Bedeutung des Hafens von Canton am Perlflusse (etwa 90 engl. Meilen von dessen Mündung entfernt) für den europäischen Handel ist seit der Gründung von Hongkong (s. S. 217) in steter Abnahme begriffen. Nicht nur das- Importgeschäft in allen seinen Zweigen wurde den in Canton etablirten Europäern von den Eingeborenen abgerungen, sondern die Stadt hat auch als Transitplatz für den Jmporthandel an Wichtigkeit eingebüßt, indem ein großer Theil der von den Chinesen in Hongkong gekauften Waaren mittelst chinesischer Djonken direct nach ihrem Bestimmungsort in das Innere des Landes geht. Dagegen hat der namhafte Exporthandel dieses Theiles von China noch seinen Hauptsitz in Canton, und diesem allein verdanken die europäischen Häuser daselbst ihre Existenz. Als Industriestadt nimmt Canton unter allen Städten China's den ersten Rang ein, wie denn über- Haupt die Provinz Kwangtung, deren Hauptstadt Canton ist, als der gewerb- fleißigste Theil des südlichen China's bezeichnet werden darf. Insbesondere haben in Canton ihren Hauptsitz die Seidenweberei und Seidenstickerei, das Glasblasen, die Glas- und Steinschleiferei, die Lackwaaren- und Papierfabri- kation, die Holz- und die Elfenbeinschnitzerei und die Möbeltischlerei. In den umliegenden Dörfern hat die Porzellanindustrie ihren Sitz, während gegen 100,000 Personen zur Zeit der Zuckerrohr-Ernte in den Zuckermühlen in der Umgebung von Canton beschäftigt sind. Die Stadt hat keine sehr große Ausdehnung, aber eine sehr starke Be- völkerung (1 Mill.?), meist Eingeborene der südlichen Provinzen, die in China selbst für roher gelten, als jene an der Ostküste und im Binnenlande. In den schmalen, zum Schutze gegen die Sonne mit Strohmatten überdeckten Gassen sind Wagen unmöglich, daher unbekannt, — Canton ist die Stadt der Fußgänger und der Tragstühle. Ein magisches Halbdunkel herrscht' in den eleganten Gassen der „westlichen Vorstädte". Die Aushängeschilder, hier, wie überall in China, lange, schmale, reich lackirte und vergoldete Bretter, hängen senkrecht vor den Läden und sehen aus wie die Coulissen eines Theaters. Die Farbenpracht wäre überwältigend ohne die mildernde Wirkung der künstlichen Dämmerung. Hunderttausende von Chinesen leben auf dem Flusse selbst. Tausende von kleinen Fahrzeugen, deren jedes einer Familie als Wohnung und Heimat dient, liegen längs dem Ufer hin, an Pfählen befestigt, zum Theil mit Brücken verbunden, welche von einem Dache zum andern führen, und bilden, in regel- mäßige Straßen abgetheilt und unter scharfer politischer Aufsicht, die sog.