472 vorzudringen; denn der Schnee war damals so weich, daß man fast nicht wagen konnte, seine Oberfläche zu betreten. Der Kamm bestand aus sehr verwittertem, bröckligem Gestein. Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. Die Indianer verließen uns alle bis auf einen, in der Höhe von 4900 Meter. Wir gelangten mit großer Anstrengung und Geduld höher als wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebel gehüllt waren. Der Felskamm hatte oft nur die Breite von 20 bis 25 (Zentimeter; zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt, dessen Oberfläche durch Frost wie verglaset erschien. Zur Rechten senkte sich unser Blick schauerlich iu einen 250 bis 310 Meter tiefen Abgrunds aus dem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten. Bald fanden wir das weitere Steigen dadurch schwieriger, daß die Bröckligkeit des Gesteins beträchtlich zunahm. An einzelnen Stellen mußte man die Hände und Füße zugleich anwenden. Da das Gestein sehr scharfkantig war, so wurden wir besonders an den Händen schmerzhaft verletzt. Der geringe Zusammenhang des Gesteins auf dem Felskamm machte nur größere Vorsicht nötig, da viele Massen, die wir für anstehend hielten, lose in den Sand gehüllt lagen. Wir schritten hintereinander und um so langsamer fort, als man die Stellen prüfen mußte, die unsicher schienen. Wir waren nun 5430 Meter hoch. Nach einer Stunde vorsichtigen Klimmens wurde der Felskamm weniger steil, aber leider blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, alle an großer Übelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu atmen. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den Lippen. Die Bindehaut der Augen war bei allen eben- falls mit Blut unterlaufen. Die Nebelschichten, die uns hinderten, entfernte Gegenstände zu sehen, schienen plötzlich zu zerreißen. Wir erkannten und zwar ganz nahe den domförmigen Gipfel des Chim- borasso. Es war ein ernster großartiger Anblick. Die Hoffnung, diesen ersehnten Gipfel zu erreichen, belebte unsere Kräfte aufs neue. Der Felskamm, der nur hie und da mit dünnen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten sicheren Schrittes vorwärts, als auf einmal eine Schlucht von etwa 125 Meter Tiefe und 20 Meter Durchmesser unserm Unternehmen eine unübersteigliche Grenze setzte. Wir sahen deutlich jenseits des Abgrundes unfern Felskamm in der¬ selben Richtung sich fortsetzen, doch zweifle ich, daß er bis zum Gipfel selbst führt. Die Kluft war nicht zu umgehen. Wir hatten eine Höhe von 5650 Meter erreicht. Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Einöde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Wir sahen nicht mehr den Gipfel des Chim- borasfo, keinen der benachbarten Schneeberge, noch weniger die Ebene von Quito. Da das Wetter immer trüber wurde, so eilten wir auf demselben Felskamm herab, der unser Aufsteigen begünstigt hatte. Vorsicht war indessen wegen Unsicherheit des Trittes noch mehr nötig.