12. Die drei „deutschen Ostseeprovinzen". a) Allgemeines. Von Bremen aus wurde Livland im 12. Jahr¬ hundert entdeckt, und die Bevölkerung wurde dem Christentum ge¬ wonnen. Im folgenden Jahrhundert beschützte der deutsche Orden die zahlreich eingewanderten Deutschen und regierte unter deutscher Lehens¬ hoheit. Kurland wurde erobert und Estland von Dänemark gekauft. Nach Verfall des Ordens kamen Estland und Livland zu Schweden, Kur¬ land zu Polen. Durch Peter d. Gr. wurden Estland und Livland erobert; Kurland kam 1795 an Rußland. Man nennt sie deutsche Ostsee¬ provinzen, weil sie von Deutschland die Kultur empfingen, 400 Jahre lang unter deutscher Herrschaft standen, und weil auch viele Deutsche dort wohnen. Geologisch unterscheiden sie sich scharf vom russi¬ schen Binnenlande und von Deutschland dadurch, daß der Boden nicht aus jüngeren Ablagerungen, sondern aus den ältesten Schichten der kambrischen, silurischen und devonischen Zeit besteht. Die kam- brischen Schichten beginnen im N am Finnischen Meer; es folgen nach S Silur und Devon. Quer durchbrochen wird die Tafel von einer Senke, die den von S nach N langgestreckten Peipussee enthält. Nach W setzt sich die Silurtafel in eine Gruppe flacher Inseln fort : Dago, ösel u. a. Nach SW stimmt die Oberflächenbildung ganz mit der der be¬ nachbarten deutschen Landschaften überein. Neben vielen Sümpfen gibt es hier gutes Ackerland für Flachs, Getreide und Kartoffeln. Vom russischen Binnenlande unterscheiden sich diese Gebiete auch durch ihr milderes Klima, durch ihre engen Beziehungen zum Meere und zu den germanischen Nachbarländern, durch ihre abweichende Be¬ völkerung, Kultur und Geschichte. „Sie sind von jeher ein wichtiges kulturelles und kommerzielles Bindeglied zwischen West- und Ost¬ europa gewesen." (Philippson.) b) Fahren wir von Deutschlands nördlichster Stadt Memel 100 km nordwärts, so gelangen wir nach Li bau, einem starken Kriegshafen und wichtigen Handelshafen in Kurland (benannt nach dem Volke Kuren1). Dieses hat die Gestalt eines Dreiecks und wird von Ostsee und Rigaschem Meerbusen bespült. c) Nordwärts folgt Livland, nach dem Volke der Liven benannt. Eine günstige Lage hat seine Hauptstadt Riga an der Mündung der Düna. Das wußten wohl jene Bremer Kaufleute, die hier in alter Zeit einen Getreidespeicher, „Riege", angelegt haben. Als dritte Handels¬ stadt des Reiches vermittelt es den Handel für Flachs, Leinsaat, Hanf usw. besonders mit Deutschland und England. Ihre altertümliche Bau¬ weise erinnert an ihre Blüte zur Hansezeit, und immer noch ist sie der Mittelpunkt des Deutschtums in den Ostseeprovinzen, das auch durch die einst glänzende Universität Dorp at unterstützt wurde. Alle vier Ostseeprovinzen haben ihren Namen nach den Bewohnern erhalten.