— 96 — Gewässer in einem hohen Katarakte aus dem Becken des Rheingaus hinab. Es gab eine Zeit, wo durch diesen Sturz alle Schiffahrt und aller Verkehr unterbrochen waren. Jahrtausende sind verflossen, ehe diese Ober- und Niederrhein, Süd- und Norddeutschland wie eine Mauer scheidende Felsbank gefallen ist. Erst seitdem Preußen hier festen Fuß gefaßt hat, ist die tausendjährige Arbeit vollendet worden, so daß jetzt die Schiffahrt unbehindert sich auf und ab bewegt. Jetzt muß man, namentlich bei hohem Wasserstande, sehr acht geben, um das »Biuger Loch« überhaupt nur an dem schnelleren Schusse der Wellen noch zu bemerken." — Ein lebhafter Verkehr herrscht auf dem Strom und an seinen Ufern. Die Eisenbahnzüge kommen und gehen, und Hunderte von Dampfbooten fahren auf dem Strom an einander vorüber. Dn, mein junger Freund, würdest den schönsten Teil des Rheinlandes wohl gerne noch weiter zu Fuße durchwandern, indessen Du wirst mir Alten zu Gefallen wohl den Dampfer besteigen, der soeben dort an der Landnngs- brücke in Rüdesheim anlegt, um uns stromab nach Köln zu führen. Ich will auch mit Dir auf das Verdeck treten und Dich auf die denk- würdigen Stätten aufmerksam machen, die wir von Bord aus an den Ufern erblicken können. Schau! Dort, Rüdesheim gegenüber, liegt die alte Kaiserpfalz Karls des Großen zn Ingelheim. Dort sah er am Ehrenfels auf dem Rüdesheimer Berg zuerst im Frühjahr den Schnee schmelzen, und dies brachte ihn auf den Gedanken, hier den Anbau der Weinrebe zu versuchen. Daß der Gedanke ein guter war, das zeigen uns heute die Rebenhügel an beiden Ufern. Der Sage nach aber schreitet der große Frankenkaiser mit Krone, Purpurmantel und Schwert noch heute in stiller Mondnacht den Strom entlang — „Er wandelt an den Hügeln und schreitet langsam fort Und segnet längs dem Strome die Reben an jedem Ort." Nicht weit von Bingen, wo die Nahe sich zum Rhein gesellt, steigt ein Turm mitten aus dem Strom empor. Es war wohl ehe- mals ein sogenannter „Manttnrm" oder Zollturm, an dem die Schiffer ihre Maut oder ihren Zoll zu entrichten hatten. Das Volk aber hat aus dem „Mautsturm" einen „Mansetnrm" gemacht und knüpft an den Mauseturm bei Bingen die nachfolgende Sage: Es war einmal zu Mainz ein Bischof, Namens Hatto. Zu seiner Zeit entstand am Rhein eine große Hungersnot. Der Bischof hatte