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Georg-Eckert-Institut
für internationale
Schulbuchforschung
Brauns r.hwsig
-Schuibuchbibf'icthck -
Il Bñnd. II Abch.
Hülfsquellen zu Schweden.
Düschings Geographie.
Enropens Produkte von Crome. Dessau, 1782.
Williams Ursprung, Wachsthumund gegenwärtiges
Zustand der nordischen Reiche, ñ. S. E. Leipzig,
1778, !779.
Anleitung zur Renntniß der Europäischen Staaten
Historie, von Meusel. Leipzig, 1782-
Allgem. Weltgesch. von Guthrie und Gra/.
Kanzlers Nachrichten von Schweden, a. d. F. mir
Rupfern und Tabellen. 1.2. Theil. Dresden, 1778.
Le Voyageur français par V Abbé de la Torte.
L^>chweden nennt man das ganze weitlaustige Mgemei»
Land, welches sich Zwischen Dänemark, Norwe- ne Laridesbc-
gen und Rußland, in einer Krümme um den größten^^^nheit-
Theil der Ostsee erstreckt; von welcher der Theil, so
zwischen Finnland und dem eigentlichen Schwe-
den nordwärts hinaufgeht, derBochnische Meer-
busen heißt. Wäre die Größe 'der einzige richtige
Maasstad von einem guten und glücklichen Lande, so
würde Schweden auch wenig Ländern EuropenZ
nachstehen, allein bey seinen neuntausend fchwe-
dischen (Auadratmeileu findet man, daß nur ge-
gen viertausend des Anbaues fähig find, und die
übrigen fünfe auf Wälder, Berge, Seen u. f. w.
gerechnet werden müssen. Alle Küsten find mit ei-
ner unglaublichen Menge von Erdzungen, Inseln
und Klippen umgeben; welche feindliche Angriffe
auf alle Werfe erschweren und Scheereu genennet
werden. Nicht ihre verschiedene Größe, oder ihre
Nähe und Ferne giebt ihnen die Namen, (denn sie
liegen nahe bey einander) sondern vor welcher Land-
schaft sie liegen, nach der werden sie genannt; ihre
Bewohner sind meistens Fischer, viele kaufende aber
find ganz Menschenleer»
Schweden genießet alleVorkheileeinesgestmden
Klimats, das zwar für zärtliche Körper im Winter
sehr kalt ftyn möchte, allein den Eingebohrnen eine
gesiinde und frische Luft giebt, wie Beyspiele von
hundertjährigen Greisen sattsam beweisen, ja ihre
A 3 langen
4 Schweden.
langen Nächte erhalten durch den öfters häufigen
Schnee und Hellen Himmel denselben Reiz als bey
uns; und stürmisches Wetter, Platzregen und Don-
ner gehören unter die seltenen Erscheinungen, ohne
daß dadurch die Fruchtbarkeit Schaden litte. So
gebirgigt der Boden dieses großen Landes durchgän-
gig ist, so viel sich auch einige dieser Bergketten in
die Nebenlander erstrecken, wie wir bey Norwegen
gesehen haben, so viel es auch im nördlichen Theil
Schnee und Eisberge giebt, sogroß endlich die An-
zahl der Seen und Moraste, vorzüglich in Finnland
styn möchte: so ist es doch allemal ein ungegründe-
tes Urtheil, wenn man den Boden, überhaupt ge-
nommen, für unfruchtbar halt, denn sowohl im süd-
lichen als nördlichen Theil von Schweden sind die
schönsten und fruchtbarsten Ebenen anzutreffen, ob
aber auch genug für die Einwohner, ob ihrer mehr
stylt könnten, dies sind Fragen, die uns eine nähere
Kenmniß beantworten wird. Fragt man aber, ob
die Fruchtbarkeit des Bodens durch eine gute Be-
wafferung erzeugt wird, ob ansehnliche Flüsse das
Land durchwassern? so kann man zur Antwort er-
warten, daß ihrer unzählig sind, und daß in den
Landseen wieder viele tausend Inseln angetroffen wer-
den. Die größten der Eandsoen z. B. sind der
Xtlälav, Dietmar, tPener, L Vorder, und un-
ter der Anzahl der Flüsse, die eben so wenig ange.
führt werden können, und in der schwedischen Sprache
Elben genannt werden, bemerken wir mir i) die
<§ochische, die aus dem Werner-See kommt und
bey Gothenburg in die Nord - See fallt. Verschiedene
zusammenhängende Seen, Flüsse und Kanäle setzen
Stockholm mit diesem Fluß in Verbindung; da aber
diese Elbe lange und gefährliche Wasserfälle hat, so ist
man noch itzt bemüht ihnen durch Kanäle und Schleu-
sen auszuweichen, ein Unternehmen, welches dem
Trans-
Schweden.
5
Transport des Eisens und Holzes aus den inner«
Gegenden allen Nutzen verschaffen wird. 2) Der
Wocalastrom, welcher aus dem Wettersee kömmt,
siebzehn kleine Flüsse aufnimmt, bey Norköping ei-
nen Wasserfall hat und in die Ostsee fallt, z) Die
Da!-Elbe im Thal • Lande, welches der größte
Fluß in Schweden ist, und dergleichen mehr, deren
bey der Beschreibung der einzelnen Landschaften ge-
dacht wird. Alle öffentliche Wege und und Land-
straßen werden in dem ganzen großen Umfange voll-
kommen gut unterhalten, so wie sie auch auf das
genaueste ausgemessen sind, und die Entfernung
aller Viertel. Meilen Weges durch Pfahle bezeich-
net wird. Wachsamkeit und Wohlwollen verbreitet
sich in alle Theile dieses großen Reiches durch seinen
erhabenen Beherrscher, dessen Ruhm desto gründ-
licher ist, je weniger erglänzet, und der den Man-
geln, die ebenfalls in einem so weitlauftigenLande
angerroffen werden müssen, doch alle Wege ver-
schließt, wodurch sie sich verbreiten könnten. In
wiefern dieses Königreich mehr an Starke
oder Schwache begreift, als bereits im allgemeinen
gesagt worden ist, mag uns zuförderst eine hinlängli-
che Beschreibung feiner natürlichen Erzeugnisse lehren.
GetraLde, alswaizen, Roggen, Ger- Produkt
sie, Hafer, Erbsen u. dgl. wachst in Schwedens aus dem
sehr gut, und manche Orte können noch andern
vinzen damit aushelsin; aber einige haben dafür ' '
ganz daran Mangel. So giebt es ferner Land-
schäften, die herrliche Viehweide und mit guten
Früchten angefüllte Garten besitzen. So liefert
Schweden auch Flachs, Hanf, Taback, Hop-
fcn, Waid und Rübfaamen, aber nicht hin-
länglich, und alle diese Gewächse müssen durch aus-
ländische ergänzt werden. Im südlichen Theil,
A 3 beson-
besonders in Schonen, Oester - Gothland,
Sudermannlaud und Uplaud wird vortreffliches
Getraide erzeugt und der Ueberfiuß an andre Pro-
vinzen überlasten, zumal feit 1774 der Getraide-
Handel völlig frey gegeben worden ist. In Finn-
land und zwar im südlichen Theil baut man
mehr Getraide als man bedars, da der nördliche
Theil hingegen durchgängig aus großen Holzungen
und Morasten bestehet. In Lappland wachset we-
nig Getraide, Finnland aber ist an sich fruchtbar,
wiewohl es noch nicht hinlänglich tragbar gemacht
worden ist, und so wechselt die Erzeugniß dieses
Produktes durchgängig ab, je nachdem der Boden
günstig ist, oder man mehr oder weniger Ausmerk,
samkeit darauf verwendet. Die Gehölze und weit-
läufigen Wälder, welche den größten Theil des
Landes bedecken, bestehen mehrentheils aus verschie-
Vene * Arten von Tannen, die auf den Felsen und so
weniger Erde wachsen, daß der größte Theil ihrer
Wurzeln bloß ist; nächst diesen giebt es Buchen»
Birken, Ellern, Wacholder und Eichen, welche
letztem aber sehr abnehmen,
b) aus dem So wenig Schweden an irgend etwas der drey.
Minrralrei- suchen Naturreiche Hauptmangel leidet, so hat doch
das Mineralreich unter allen den Vorzug. Man
findet Gold, Silber, Rupfer, Eisen-
erz, (welches so häufig ist, daß es sich gemeiniglich
über der Erde zeiget,) Rristalle, Amethyste,
Topasen, porphyrsteine, Lapis Lazuli,
Agarhe, Rarneole, Steinkorallen, Mag-
nersteine, Probiersteine, Rlappersteine,
Sandsteine, Mühlsteine, Gips, Schie-
fer, Kalksteine, Marmor. Ferner allerhand
Farbenerden, als Berggrün, Bergblau, £>i-
rriol, röche Farbe; Quecksilber, Amianch,
Schweden. 7
Bleierz zu Bleistiften § BleyweLß, Gall-
in ei, Alaun, Walkererde, Schwefelkies,
und Salz aus Seewasser gesotten, welches
aber kern hinlängliches Produkt ist. Diese un-
terirdischen Schätze sind nicht nur in vorzüglicher
Güte, sondern auch im Ueberfluß anzukreffen, und
Der Vorkheil, so der Krone hieraus zusiießk, wie
auch die großen Berg-und Kupserwerke, wo sie ge-
funden und zubereitet werden, wird uns weiter un-
ten Gelegenheit gehen umständlicher zu seyn».
Man kann nicht sagen, daß Schweden an ir- 0 aus dem
gend einer Gattung nöthigex Thiere Mangel leidet, Thiermche.
ob sie sich gleich nicht alle in gleichem Ueberfluß be-
finden. Ihre Viehzucht macht, im Ganzen genom-
men, einen beträchtlichen NahrunAszweig der Ein-
wohner aus, sie haben alle Arten Hornvieh, vor-
züglich Ln Schonen, wo man viel Vieh mästet und
Die Haute gut bereitet; Pferde giebt es in Menge,
hie zwar zu jedem Gebrauch geschickt, aber immer
noch nicht veredelt genug sind, und noch im Jahr
*774 führte Schweden für 10,033 THaler Pferde
und für 649 Pferdehaar ein, hingegen betrug der
Werth der außer fand gehenden auf z, 220 Thaler«
Schafe sind nicht hinreichend, denn so viel man
auch Mühe darauf verwendet und zur Verbesserung
auch darauf gedacht hak, spanische, englische und
eiderstadtische einzusühren, um die Wolle zu verfei-
nern , so ist doch kein grrßcr Nutzen daraus erwach-
sen. Ihre ganze Anzahl zu bestimmen, würde sehr
schwer und überflüßig seyn; so gegründet oder un*
wahr etz übrigens seyn mag, das im I. 1764 etwa
88,9)3 Stück im ganzen Reich gewesen sind, so
kann uns doch eine zuverlaßige Nachricht von dem
Durchschnitt der jährlich gewonnenen feinen Wolle an
77/0,00 Pfund eine hinreichende Uebersicht von der
A 4 schwer
8 Schweden.
schwedischen Schafzucht gewahren, und ohne noch
die Summen zu Aufhülfe der Wollenmanufakturen
zu erwähnen, ist es schon leicht zu erachten, wie stark
man sich ihre Aufnahme angelegen lasten seyn muß,
da z. B. im I. 1764 allein 41,260 Pfund feine,
und 459,280 Pfund polnische Wolle eingeführt
wurde. Auch hat man sich seit dem Zahr 1742
angelegen seyn lasten, Ramelziegen oder Ziegen
aus Angora nach Schweden zu bringen, die nicht
nur unter diesem fremden Klima nicht ausarten, son-
dern deren Haare gehörig, doch nicht häufig, verar-
beitet werden. Schwedens lang erstreckende Wäl-
der und Gebirge hegen für die Bewohner eines kal-
ten Landes alle ihnen nützliche wilde Thiere, als
Baren, Wölfe, Füchse, Luchse, Biber,
Marder u. dgl., zumal in dem nördlichen Theile,
als Finn-und Lappland, dieses Pelzwerkdie nothdürf-
kigste Kleidung ausmacht. Auch eßbares Wild ist
vorhanden, doch ebenfalls nur zum Gebrauch für
die Einwohner. Ja in diesem nördlichen Finn-und
Lappland findet man schon Rennthiere, deren sich
die nur vom Wild lebenden, und zur Arbeit unge-
wohnten Wald-und Berglappen hauptsächlich bedie-
nen. Wir übergehen die übrigen Arten zahmer
Hanethiere, die, wie schon oben gesagt, mehr
oder weniger, wie an allen Orten, anzutreffen sind,
und fügen nur noch hinzu, daß Schweden wie seine
Nachbarn einen unerschöpflichen Zufluß an Fischen
hat, den man zwar erst in neuern Zeiten zu einem
nutzbaren Produkt erhoben hat. Ohne die beson-
dern Arten eß. und schmackhafter Fische, rechnen wir
hieher die geringe, deren Handel seit der Zdit,
als man den auöfchließenden Handel damit aufge-
hoben, fchon sehr einträglich geworden, so wie
die Ausfuhre der Heringe, Heringsthran, geräucher-
ten und gepreßten Heringe. VomRabeljüu,LänH-
fisch,
Schweden. 9
fisch, wallfischrhrcn, Rnochen und Fisch-
bein, zieht das Land einen erheblichen Vortheil, der
vor dem I. 1774, d. i., ehe der König ein beson-
deres Reglement für die Fischerey und für das Salz-
wesen ausgab, immer nur sehr schwach gegen den
jetzigen Nutzen war.
Ohngeachtet in dem nördlichen Theil von Schwe- Bevölkerung,
den, wie in Finnland, die Städte besonders selten
sind, ohngeachtet manche Strecke Landes der Lan-
ge nach oder zertheilt mehr zum Wohnort für Men-
schen dienen könnte, als daß es itzt nur ein sum-
pfig es, untragbares oder verwildertes Erdreich ist;
fi/wahr es ferner ist, daß Bauern dann und wann
Reisen von dreyßig bis vierzig Meilen Weges zu
machen haben, ehe sie eine Tonne Getraide absetzen
können, und dieß alles ein redender Beweis seyn
könnte, daß Schweden an Menschen itzt, und ehe-
dem Hauptmangel leiden müsse: so würde man je-
doch eben sowohl irren, wenn man das eine als das
andre geradezu für wahr annehmen wollte. Aller
Wahrscheinlichkeit nach war Schweden in seinen al-
tern Zeiten eben so wenig arm an Menschen als itzt.
Zwar streiten jene Nachrichten aus den Jahren
1315, oder vor der verwüstenden Pest wider alle
Glaubwürdigkeit, daß in Schweden damals, nach
einer auf Befehl der Regierung ergangenes Zahlung,
zehn Millionen Menschm waren gefunden worden;
eine Anzahl, die nicht einmal der Größe des Landes
angemessen ist. Gewisser aber ist es, daß die An-
zahl der Menschen durch häufige innerliche Unruhen,
und auswärtige Kriege, durch den Hang seinen Wohn-
ort zu vertauschen und in fremden Landern seine Wün-
sche erreicht zu finden, oder Erschwerungen der Erroer-
bungSmittel, die auch densKeim der Fortpflanzung er-
sticken, daß diese und andre Ursachen die Summe der
A 5 Ein-
io
Schweden.
Einwohner nach Jahren und Verhältnissen stets ver-
schieden gelenkt haben. Nie ist im Gegentheil die
Regierung lässig gewesen, diesem Nebel Einhalt zu
thun, und stets ist es ihr Augenmerk gewesen, Mit-
tel zu Erreichung ihrer Absichten zu erfinden, zu-
mal lange und schwere Kriege sie an dieses Nebel
nur zu oft erinnerten. Um die Bevölkerung und
die Menge der Städte'zu vermehren, schlug man
z. B. vor, daß an den Usern der Flüsse oder Landseen
eine Art bleibender Lager ausgeschlagen werden
möchten, wo die Soldaten die umliegenden
Landereyen für ihre Rechnung bauen könnten, und
woraus unvermerkt Städte aufblühen würden.
Man machte den Nnterehanen aus alle Weise das
Leben leicht, aber man dachte nur zu wenig daran,,
daß, wo der Unterthan seinen Unterhalt leicht haben
kann, die Bevölkerung nicht erkünstelt werden darft
Seit dem Jahr 1748 hat Schweden freylich
eine ganz neue Gestalt gewonnen, und Verbesse-
rung des Ackerbaues sowohl als Vermehrung der
Volksmenge wird ohnstreitig in der Zukunft stcht-
darer seyn. Man hat im Jahr 1749 ein Volks-
zahlungökomtoir und 17z; das nützliche Landmes-
fungskomtoir auss neue eingerichtet, welche beyde
die sichersten und wirksamsten Hülfsmiktel sind das
Land kennen und ihm Helsen zu lernen. Noch mehr,
man hat Findet-, Waisen-und Arbeitshäuser ange-
legt, kurz, mau sparte nichts, was das Land aus fei-
ner Ohnmacht aufrichten konnte, und doch sah man,
daß zu eben der Zeit, unter denselben günstigen Um-
ständen noch Manusakturisten und Einwohner genug
ihr Vaterland verließen, nach Rußland oder in
fremde Seedienste giengen, und England allein
zahlte gegen 10,020 nordische Matrosen, wenigstens
war die Zunahme der Bevölkerung von 350,000
Ln
II
Schweden.
in den Jahren 1760-1774 ziemlich geringe, bis
jetzt das Band, welches alle fesselte, von Gustav III.
muthig zerrissen wurde, und über Schweden gleich-
sam eine neue Sonne aufgieng, unter deren Wohl-
thätigkeit keinem der Gedanke zu fiiehen aufsteigt.
Ist auch das Reich Lm Ganzen, den füdlichenTheil
ausgenommen, noch nicht, was es unter einem sol-
chen König werden kann, oder werden wird, so
zählte man doch die ganze Volksmenge Lm 1.1782
aufdrey Millionen.
Eben diese genannten Feinde des Landbaueö Landbau.
haben auch, wie leicht zu erachten ist, alle die kost-
baren Schätze des Bodens in einer Untätigkeit er-
halten, von denen der Einwohner im Einzelnen, und das
-Land im Ganzen, nie erhebliche Früchte einärndten
konnte. Da der Boden dieses großen gebirgigten
Landes eben dadurch für den Landban unschicklich
ist, und eine zu öftere Entvölkerung das mühsame
Geschäfte aufhielt, so baute der Arme vor dem Jahre
1772 nie feinen Acker an, weil ihm dazu die Mitte!
fehlten, sondern seine Arbeit war Bergbau, Holz-
fällen, und lieber nach der Weise seiner Vater zu le-
ben, als seine Kräfte fruchtlosen Bemühungen auf-
zuopfern, Zu unwissend in den zum Landbau nö-
thigen Kenntnissen, konnte er daher auch dasnicht lei-
sten , waS den Ackerbau in Aufnahme bringen könn-
te, und manches andre Hinderniß, welches den Land-
mann allezeit mehr trifft, als den Bürger, (als
Frohndienste und öffentliche Fuhren,) haben immer
noch im Wege gestanden. Wenn man von den
4000 noch urbar zu machenden Quadratmeilen in
Schweden 2420 für Wiesen und 1600 znm Acker-
bau rechnet, von denen noch auf 622 zu Brache
abgerechnet werden können, so könnte Schweden
hoch jährlich 6 9 Millionen Tonnen Gttraide erndten,
wenn
12
Schweden.
wenn auch die 2 z Millionen und einige tausend Ton«
nen Einsaat, nur das vierte Korn zurückgäben.
Im südlichen Theil, wohin auch der Theil von
Finnland mit zu rechnen ist, muß hiervon eine rühm-
liche Ausnahme gemacht werden, da wie schon ge-
sagt ist, die Finnen nicht nur für sich selbst hinlängli-
ches Getraide bauen, sondern auch im Nothfall an-
dern damit aushelfen können, und manche andre
Provinz würde dasselbe thun können, wenn nicht der
Transport zu kostbar wäre. Dalekarlien oder schwe-
disch Thal. Land ist schon wegen seiner Gebirge un-
fähig viel zu erzeugen, und doch findet sich hie und
da ein Mann, der durch Fleiß und Erfindung auch
diese Gegend urbar macht; denn im nördlichen Theil
von Schweden behilft sich der Einwohner sogar mit
Brod von Birken und Tannenrinde, oder von Wur-
zeln und Aehren, welche letztere ganz mit dem Stroh
aogeschnitten, zerhackt und gemahlen werden. Das-
selbe gilt auch vom Flachs, und Hanfbau, welcher
für das Land nicht hinlänglich, und nur in den Pro-
vinzen Nordland, Helsingland und Finnland noch
am meisten betrieben wird, und eine beträchtliche
Summe der Einfuhre erfordert, Taback wird in
den südlichen Provinzen gebaut, auch in Finnland,
und mehr als 90 Plantagen treiben ihn mit gutem
Erfolg; allein die Einfuhre überwiegt allezeit des
Landes Produkt. In unfern Tagen hat man auch
mit dem Anpfianzen der Maulbeerbäume einen
Anfang gemacht, und wirklich wird schon eine nicht
unbedeutende Quantität ziemlich guter Seide^gewon-
nen. So wichtig im nördlichen und westlichen
Schweden, wie auch in Finnland, die große Menge
von Holz der schwedischen Nahrung ist, so groß der
Nutzen seyn könnte, den ihre häufige Waldungen
darreichen, so hat doch die Regierung nicht Mittel
genug anwenden können, daß nicht vieles davon
durch
Schweden.
i;
durch zu unrathfamen Gebrauch verwüstet wird, und
zwar durch die unmäßige Konsumtion in den Schmelz,
öfen, durch das häufige Wegbrennen beym Urbar-
machen der Landereyen u. dgl., und doch geht immer
noch eine große Menge von Holzarten außerhalb,
freylich nicht immer zum Vortheil des Landes. In-
sonderheit nehmen die Eichen wegen des Schiffbaues
sehr stark ab, und nur in dem südlichen Theil von
Schweden, giebt es ziemlich gute Baumsrüchke und
Gartengewächse, allein mehr nach Norden zu neh-
men sie ab, und'oben hinauf im Lande findet man
gar keine. Kurz eö steht zu erwarten, daß die un-
wandelbaren Grundsätze des großen Gustavs, auch
in der Vervollkommnung des La sdbaueS die Spuren
seines auf Weisheit gegründeten Planes iinmer sicht-
barer machen, so wie die Aufnahme der Fabriken
ebenfalls ein Gegenstand seiner Aufmerksamkeit ist,
die näher zu beleuchten uns unser Plan vorschreibet»
Sieht man auf den Zustand von Schweden in Manufaktu-
Absicht der Manufakturen einige Jahrhunderte zu- ren, Handel,
rü-cf;, so findet man, daß sie sehr unvollkommen und
mangelhaft waren, und daß die Hansestädte ihnen
ihr eigenes Eisen r Kupfer und rohes Erz ausführ-
ten, um ihnen dafür die daraus bereiteten Sachen
wieder zuzuführen. Ihre Städte waren ohne Hand-
werker, und an ihren Küsten fischte man ohne Hin-
derniß, bis zu den Zeiten Gustavs Wafa darauf ge-
dacht wurde, ihre Metalle und Holz selbst zu ver-
arbeiten, und gegen die Mitte des siebzehnten Jahr-
hunderts sie ihren Fabriken und Manufakuren eine
bessere Gestalt gaben, die aber immer noch mehr
das Werk der Teutfchen und Niederländer als ihr
eigenes war. Ohne uns in eine weitläusiige Unter-
suchung eiuzulaffen, worinnen die Manufakturen
und der Handel in den ältesten Zeiten bestanden habe,
14 Schwedin.
und ohne auf der andern Seite einen unvollkommen!
nen Begriff von ihren Fabriken und deren Auf-und
Abnahme zu geben, wenn wir ihn ganz übergiengen,
mag das Jahr 173g, d. h. die Regierung König
Friedrichs, der Standpunkt; unsrer Beurtheilung
seyn. Es befanden sich um diese Zeit in Schweden
alle Arten von Fabriken, als z.B. in Eisen, Stahl,
Baumwolle, Tupfer, Leder, Leinwand,
Seide, Strümpfe, Taback--, Alaune, Zucker,
Seifen-und Salzsiedereien rc., und ausserdem
hat noch jede Stapelsiadt ein Schiffswerft zu ihren
eigenen Bedürfnissen. Ueberhaupt, wenn man von
der Anzahl der Manufakturen auf ihre Güte schlief-
fen könnte, so wäre das Königreich Schweden das am
besten versehene Land und die Unterthanen die arbeit-
samsten. Allein dieser schmeichelnde Anschein schwin-
det bey näherer Untersuchung, und man findet, daß,
ohngeachtet die Regierung e6 weder an Prämien,
noch Geldvorschusse und dergleichen hat fehlen lassen,
doch der größte Theil nur den Namen einer Fabrik
gesühret, und andre in ihrer Entstehung schein wie-
der ihren Untergang fanden. Statt daß in anbmi
Ländern ähnliche Mittel die Summe und den Wohl-
stand der Manufakturen erhöhen, statt dessen waren
von 18600 Fabrikanten, welche sich nach dem auf
Befehl des Manufakcurkomptoirö 1761 gemachten
Verzeichniß in Schweden befanden, im Jahr 1764
nicht mehr als 14270, und 1771 im ganzen König-
reich nicht mehr als ohngefähr 9000 übrig.
Nach einer Berechnung, wetche'von der 1766
von den Reichsständen verordneten Deputation ge-
macht worden, hat die Nation von 1727 bis 1764
über 117 Tonnen Goldes zur Beystcuer für die Fa-
briken verwendet, und dieses vornehmlich zu Besol-
dungen, Pensionen, Schafereym, Prämien, mei
chani«
Schweden. iS
chanische Laboratorien, Steinkohlenminen, zur Un-
terhaltung der Waisenkinder, Eisenkomptoir, zur
Aufmunterung der Fischerey u. s. w. Da aber alle
die guten Anstalten nur meist mehr Aufmunterungen
der von Partheyen begünstigten Personen, als der
Fabriken selbst waren, so haben sie auch meist nur
gedienet, daß der Vortheil einiger Fabriken auf
den Untergang vieler gegründet seyn mußte. Die
1766 von den Standen verordnete Manufaktur-
deputation, welche sich eigentlich damit beschäftigke,
den wirklichen Zustand der Manufakturen zu unter-
suchen, rechnet, daß seit 1727.» 1764 für98^ Ton-
nen Goldes Fabrikwaaren in Schweden verfertiget
worden, und daß die Nationalerfparniß dabey sich
auf 381 Tonnen Goldes belaufen habe. ** Zu Stock-
holm allein fabricirten im Jahr 1770 eine Anzahl
von 6371 Personen überhaupt für 45I Tonne
Goldes, wozu für 3099658 Dal. Smz. Waaren
von der Leinewand seidenen und wollenen Zeug - und
dergleichen Fabriken geliefert wurden. Ferner, seit-
dem die Schaferey-Aufseher im Jahr 1766 abge-
schafft wurden, kann man die wirkliche Anzahl nicht
mehr so ganz bestimmt angeben, jedoch rechnet man
jährlich für die Jahre 1769.74 auf 82112 Pfund
feine Wolle, und auf solche Weise dürste Schweden
jährlich ohngefähr 77000 Pfund feine Wolle bauen,
wobey aber bemerkt werden muß, daß besagteWolle
fünf und zwanzig Procent in der Wasche verliert,
und daß man aus neun Pfund feiner Wolle, sechs
Ellen Tuch verfertiget. Man'rechnet übrigens, daß
sich der jährliche Verlust der Krone an den Fabriken
und durch den Schleichhandel, die natürliche Folge
der Unvollkommenheit der erstern, bis auf die Sum-
me von 40 Tonnen Goldes belaufe. Alles, was
über den Zustand der Fabriken in Schweden über-
haupt gesagt werden kann, ist, daß ihre Unvollkom-
menheit
Schweden.
16
menheit ein überzeugendes Beyfpiel abgiebt, daß die
vornehmste Triebfeder großer Dinge, oder die inner-
liche Einigkeit in keinem Lande wohl bestehen kann,
wo die Gewalt so "sehr (wie hier der Fall war,) ge-
eheilk ist; denn natürlicher Weise mußten die besten
Anstalten oft fruchtlos bleiben, weil ihr Schicksal
meistens von dem Schicksal ihrer Stifter abhieng,
So absichtsvoll die Gefehe waren, welche die
Reichsstande 1766 in Ansehung des überstüßigen
Aufwandes rc. gaben, oder erneuerten, so wurde es
doch bald nur zu sichtbar, in wieferne die Einschrän-
kung der sogenannten Ueberstußfabriken, eine Men-
ge fremde Arbeiter, die einmal da waren, unthatig
machte, und daß jene Einschränkung bey weitem
nicht so schnell hatte erfolgen sollen. Man rechnet,
daß in den Jahren 1764.1769 einige tausend ein-
gebohrne sowohl als ausländische Künstler, Berg-
Leute und andre Arbeiter das Reich aus Mangel der
Nahrung verließen. Alle diese Umstände nöthigten
auch diejenigen, welche sich noch erhielten, ihre
Waaren viel theurer zu verkaufen, als man sie aus
fremden Ländern konnte kommen lassen. Daher fast
alle Personen von einigem Stande in ausländische
Tücher oder Zeuge gekleidet waren, wodurch dem
Staat an Zöllen und andern Einkünften durch heim-
liche Einfuhre ein nicht geringer Schade entstand;
bis die schwedische patriotische (Gesellschaft end-
lich 177 g auf die Gedanken verfiel, daß dem unnö-
thigen Aufwand in Kleidern und dem Schleichhandel
kein starkerS Hinderniß in den Weg gelegt werden
könnte, als durch die Einführung einer National« Klei-
dertracht. Es wurde als eine Preißfrage aufgegeben,
ob es nicht zur Verminderung der häufigen Abwech.
felungen in den Moden, und zur Abstellung des
Koutrebandhandels, für Schweden vortheilhafter
fepn dürfte, eine nationale, dein Schwedischen
Klima
Schweden. 17
Klima angemessene und von anderer Nationen ihrer
verschiedene Kleidertracht einzuführen?« Viel wur-
de dafür und dawider von Fremden und Einheimi-
schen geschrieben, welche theils den Nutzen bejah-
ten theils ihn wieder verneinten, und wir können
uns nicht enthalten eine Stelle aus der wallerischen
Hauptpreißschrift anzuführen, weil sie wegen ihres
kunstlosen Schmuckes ein so richtiges Urtheil über
Schweden ausdrückt.
»Manche Völker (heißt es unter andern,) ver-
schaffen sich eben dadurch (durch Pracht) einen Na-
„tionalgewinnst, wenn sie andere mit ihrer Ueppig-
„keit anstecken, und können daher ihrer Lebensart
„nicht ohne Nachtheil des Staates entsagen. Wir
„hingegen sehen augenscheinlich, daß Beyspiete jener
„Völker auf uns keineöweges passen. Ihre Lander
»haben nicht nur einen bekannten Ueberfluß an allen
„natürlichen Vortheilen, sondern sie wissen und ver»
„mögen aud) dieselben inSgesammt zu benutzen. Wir
„hingegen finden uns, aller natürlichen Reichthümer
„dieses Landes ungead)tet, in eine ganz andre Lage
„versetzt. Unser Reick) ist in fremden Schulden ver-
liefet; unsre klingende Münze verschwunden; unser
„Finanzwesen verwirret; unsre Bevölkerung äußerst
„geschwächt; unsere sammtlichen Handthierungen ent-
kräftet; unsere Ausfuhrwaaren in Mißgeboth; un-
„ser Handel unter fremden Joche, und, ich fürchte
»selbst, unsre liegende Gründe in Gefahr, den Aus-
ländern durch Anleihe oder Scheinkäufe Ln die
»Hände zu fallen rc. re.«
Leicht wird es nun feyn, unfern Lesern über den
schwedischen Handel eine hinlängliche Auskunft zu
geben, da wir bey den Manufakturen und Fabriken
schon umständlich genug gewesen sind; wir wiederho-
len daher nur noch, daß uns die vorherigen Bege-
11 Band. Ii Adrh. B ben-
Schweden.
18
benheiten nur in so weit mit intereßiren, in so weit sw
uns zur Erläuterung nöthig scheinen, da eine voll-
kommene Geschichte des schwedischen Landes, ein so
unnöthiges als uns unmögliches Unternehmen seyn
würde, und uns der gegenwärtige Zustand mehr als
aller vergangene beschäftiget.
Kömmt irgend einem Lande seine bequeme Lage
beym Handel zu Statten, so istö Schweden. Die
Seen Malaren, tPenner und Mettern erleich-
tern den inländischen Transport ungemein, und
durch eine glückliche Vollendung des Trollhättaer
Schleußenbaueö, soll außerdem mittelst der Götha-
Aelf, die Nordsee mit dem Wenner, und dieser einst,
durch ähnliche Verbindung mit den Seen Hjelma-
ren und Malaren, oder durch den Wettersee und
Motalarstrom bey Norköping mit der Ostsee verbun-
den werden. Auch vor Alters hat es berühmte Han-
delsplätze gehabt, nur daß sie, wie schon gesagt, von
den Hansestädten mit allen Waaren versorgt wurden,
die schon i 344 und 1361 die völlige Zollsreyheit
und andere Vorrechte erhielten. Um das Jahr
1723 wurde der schwedische Handel ein vorzüglicher
Gegenstand der genauen Vorsorge der Regierung,
und um zu wissen wie viel sie selbst Nutzen von ihren
vaterländischen Handel zögen, oder wieviel den Aus-
ländern zu Theil würde, legte das Kommerzkolle-
gium im Jahr 1726 in der ersten Handlungöbi-
lanz vor, daß Schweden im Jahr 1724 über 3s
Tonnen Goldes an die Ausländer verloren habe. Ein
so ansehnlicher Verlust mußte nothwendig die Auf-
merksamkeit der Regierung nach stch ziehen, und
diese versäumte auch keine Gelegenheit dem Handel
alle Hülssmittel darzureichen, wenn nicht etwa Ver-
lust, oder Kriege diese Mittel wieder schwächten.
Hauptartikel, so Schweden aussührtt, sind eine gros-
se
Schweden. 19
jr Menge «oti Holzarten, Thecr, Pech,'Pots
asche, Eisen rc. und einführet es vorzüglich rohe
Geide, Rameelhaare, kameelharnes Garn-
Baumwolle^ und baumwollen Garn, Ge-
treide, re.
Alle diejenige Sadte, welche die Freyheit ha»
den, selbst mit ihren eigenen Schiffen zu Ein - und
Ausführung der Waaren nach ausländischen Orten
zu segeln, und sowohl mit ausländischen als einhei-
mischen Leuten zu handeln, heißen Stapelstädce
und derer sind in Schweden dreyßig: diejenigen aber,
welche keinen Handel nach ausländischen Orten trei-
ben, ob sie gleich an der See liegen, sondern nur
die Freyheit haben, mit einländischen zu handeln,
an den Schifförhedereyen Theil zu nehmen, und in
den Stapelstädten die eingebrüchten Waaren im
Großen zu verkaufen, heißen Landstädte, und
und hierzu gehören theils die im Lande gelegenen
Städte, theils Seestädte, theils Bergstädte. Die
Städte Stockholm und Gothenburg treiben säst den
ganzen schwedischen Handel, denn sowohl die Aus.»
führe als Einfuhre der übrigen Stapelstädte zusam»
men, halt diesen beyden niemals das Uebergewicht»
Viele der auswärtig handelnden Kompagnien sind
theils wieder aufgehoben, theils ist der auswärtige
Handel überhaupt von nicht großem Umfange. Die
Wechsel-und Eeihbank, welche unter dem Na-
men Reiche bank zu Stockholm i66z gestiftet
worden, hat von dem schwedischen Könige die kraft
kigsten Versicherungen erhalten, daß ihre Verwal.
tung den Deputirten der Stände ungekränkt überlas-
sen seyn sollte. Durch sie gehen alle Reichsein»
künfte wie auch das rohe Kronkupfer wird in die
Bank geliefert, sie entscheidet eigenmächtig in AMts-
verbrechen über ihre Bedienten, u»d in Proceßsachen
B s mit
ao Schweden.
mit Privatpersonen hat sie das Vorrecht, sich vor
keinem Untergericht, sondern nur vor dem schwedischen
Hofgericht zu Stockholm, stellen zu dürfen. Ehe
wir dieses Kapitel verlassen, müssen wir noch mit
Wenigem des schwedischen Geldes gedenken *)♦ Die
ersten schwedischen Münzen haben die christlichen
Könige durch englandische Münzmeister prägen las.
sen und zwar von Silber, die erste Goldmünze ist
von Johann Vs, die kupfernen Münzen aber
sind jünger, und die Platten von der Königinn
Christina Zeit, die Karolinen traten 1665 in die
Stelle-
*) Bis 1777 führten die Kaufleute in Schweden ihre
Bücher in Dalern und in (Der, nach der Verord-
nung dom 27sten November 1776 aber müssen alle
Rechnungen, wenn sie vor Gericht gelten sollen, in
Reichschalern zu 48 Schilling und i Schilling
zu 12 Rundstyck geführt werden. Der Daler
macht 4 Mark, 32 Oer, 128 Oerling oder 768
Penningar. Diese Münzen sind entweder von ta-
pfer oder vonGilber, oie letzten gelten dreimal mehr.
Ein Daler Glidermünze macht also drey Daler
oder 12 Mark Kupfermünze. Eine Mark oder 8
Oere Silbermünze, machen 3 Mark oder 24 Oere
Kupfermünze. Die Oer Gilbermünze heißen auch
Gküder, die Oer Kupfermünze aber heißen Rand,
styck. Die enkla Glanrar oder die Stüber gelten
1 Oer Gilbermünze oder 3 Oere Kupfermünze; die
dudla Slantar gelten noch einmal fo viel. Die
noch gegenwärtig wirklich circulirenden Kupfer,
münzen sind die Rundstück oder die Glanrar.
Große Summen in Dalern Silbermünze, werden
meist nach Tonnen Goldes gerechnet, die in Ku«
pfermünze aber nach Millionen. In Ansehung
der wirklichen Silbermünze, giebt es Reichsrha.
ler, doppelte Rarolmen, die gewöhnlich Raro-
linrcichsthaler genannt werden, und ordinaire
Karolinen, von welchen drey einen Karokinreichs-
thalcr machen. Uebrigens giebt es noch Stücke
von £ und 5 Reichsthaler, von £ und | Karvlin,
von io, 5, 4, und 1 Oer Silbermünze.
Schweden. ri
Stelle der Markstücke. Bis um das Jahr 171s
war nur Silbergeld in Umlauf, Karl XII aber er-
neuerte das Münzen der Kupferplatten, und 1716
bis 1717 wurden die berüchtigten kupfernen Münz-
zeichen geprägt, welche Thaler Silbermünze verfiel-
len sollteu. Rupferchaler und Thaler Sllber-
münze sind nur eine eingebildete Münze, drey die-
ser Kupferthaler machen einen Thaler Silbermünze,
und wieder drey Thaler Silbermünze machen einen
neuen Speciesrhaler aus, welche seit dem Anfan-
ge des Jahres 1777 geprägt, und alle alte Münz-
sorten abgeschafft worden. Die Bank gab einem
jeden, der es verlangte, für große Bankzettel, Ku-
pferplatten, und für kleine, Kupfermünze. Die
neuen Bankzettel aber werden nicht auf Kupfermün-
ze, sondern auf Bankthaler eingerichtet, wovon die
kleinsten zu zehn Thaler gerechnet werden; und nach
der Angabe des Herrn Büsching, laufen jetzt für
sechs Millionen Reichsthaler Bankzettel umher.
Aus allem diesem erhellet, daß alle die politischen und
gesetzlichen Anstalten in Schweden, die Handlung be-
treffend, wenn man sie mit andern Nationen ver-
gleicht, stets ihre Absicht haben verfehlen müssen,
und nur dann erst etwas wichtiges zu erwarten stehet,
wenn die Einfuhre fremder Güter nicht mehr die
Ausfuhre um einige Tonnen Goldes übersteiget, und
Gustavs schöpferischer Geist Mittel finden wird, die
Schaale desVortheils aufseine Unterthanen zu neigen.
Unter einem so sichern Schutz, als gegenwar- Gelchrsam
tig in Schweden die Wissenschaften genießen, unter kcitundKün
so mannichsalrigen Mitteln, sich dieses Schutzes
werth zu machen, und unter den Augen eines Kö-
nigs seine Talente anwenden, versichert, daß Ver-
dienste von ihm gekannt und belohnt werden; wer
kann da zweifeln, daß nicht ein Wetteifer entstehen
B Z müsse,
32
Schweden.
müsse, sich dieses Beyfallö immer werther zu ma-
chen, und wer wird also nicht schon voraus wissen,
daß Künste und Gelehrsamkeit, in neuern Zeiten
ansehnlichen Wachsthum erfahren haben? Wir sa-
gen mit gutem Bedacht in neuern Zeiten, denn bis
zu der glücklichen Epoche derSkaatsveranderung von
Schweden, und in den Jahren zurück, war in kei-
nem Fache eine größere Lücke, als eben in den Kün-
sten und Wissenschaften. Demohngeachket sind auch
Männer unter ihnen aufgestanden, deren Talente
nicht: blos in den Granzen des Vaterlandes bekannt
geblieben sind, und deren Verdienste um so glanzender
sind, je erheblicher die Hindernisse waren, die ihnen
im Wege standen, groß zu werden. Unter den
such außerhalb ihres Vaterlandes berühmten Män-
nern, in allen Theilen der Wissenschaften und Kün-
ste der jetzigen und vorigen Zeiten , nennen wir nur
die Brins, Banck's; den großen Naturforscher,
Ritter von Linne^, Peter Brahe, Andreas
Celsius, Olof Rudbeck, OlausMagnidenGe-
fchichtfchreiber, Lorenz Haymond, Urheber der
neuen schwedischen Liturgie, VliUae Gran, Forr
feen, Rrafc, Maker aus dem XVH Jahrhun-
dert, Hall, desgleichen, Floding, Kupferstecher^
Pilo, ein Maler, pasch, desgleichen, Line-
berger, Medailleur, Hannibal und wahe,
desgleichen. Arcedi, Naturforscher, Lagcr-
bring, Björnstahl, Forskäl, Gparrmann,
Arkenholz, IVarmholz, Geschichtschreiber,
Bergius, von Engeström, Wallerius, Na-
turforscher, Rezius, Gadd, Melander,
Mathematiker, Meyer, Gilberg, Hungber-
ger, Gottermann, Maler? und Kupferste-
cher, Brengel, Gorborg, Ceßin, Statistiker
und Geschichtschreiber, Velander, Bellmann,
Maderström, Dichter und andre mehr. Ihre
Schweden.
2Z
Jahrbücher prangen mit Männern, deren Geist und
Kenntniß langer als auf gegenwärtige Zeit reichen.
Die Verdienste jener Männer treten in ein helleres
Licht, wenn man überhaupt bemerkt, daß unter den
Schweden eben nicht ein so ausgezeichnetes Feuer
des Genies, in dem eigentlich sogenannten Fache der
Gelehrsamkeit, loderte. Ein flüchtiger Blick auf
das kleine Verzeichniß der Gelehrten wird übrigens
hinreichend seyn, ihnen den Ruhm großer und vie-
ler Gelehrten nicht streitig zu machen, zumal die
Gelehrten in der jetzigen Epoche sich Oekonomie,
Naturlehre, nebst Untersuchung der Alterthümer,
Historie, Geographie des Landes und bergt, zum
Hauptgegenstand wählen, da denn die erheblichsten
Vortheile im Lande schon sichtbar worden sind. Auch
die Musik und Schauspielkunst kommen unter der
gegenwärtigen Regierung ins Aufnehmen, und Cora§
ein den Kennern der Dichtkunst und Musik rühm-
lichst bekanntes Stück, an welchem Gustav III selbst
mit gearbeitet hat, war d»'e erste schwedische Nakio-
naloper. Die älteste und vornehmste Universität
im Reiche, welche alle Mittel im Händen hat, den
Wissenschaften auszuhelfen, ist zu Upsak, und auch
eben daselbst eine königliche Gesellschaft der Wis-
senschaften, im Jahr 1728 gestiftet. Jnglei-
chen eine königliche Akademie der Wissenschaft
ten zu Stockholm, so 1741 errichtet worden ist-
und deren Abhandlungen auch außerhalb Landes
Beyfall und Achtung eingearndet haben, fernerein
Antiquitäten-Archiv, ein medicinisches Rot-
legium, ein königlich Laudmesserkomcoir, ein
Laboratorium Lhymicum, eine Maler- und
Bildhauerakademie. Die Gimnasia sind eben
so ansehnlich als hinreichend Lm Lando; ingleichen
Rathedralschulen und Trivialschulen, auch
ist zu Stockholm eine lateinische Schule der Teut-
B 4 sehen»
24 Schweden.
schen. Um überhaupt dem Fach der Gelehrsamkeit
schnellere Wirksamkeit zu verschaffen, hat der König
zur Ausnahme der Buchdruckey im Jahr 1752 ein
besonderes Reglement für dieselbe auösertigen lassen,
und darin« verordnet, wie es in Ansehung der gan-
zen Einrichtung deö Bücherwesens gehalten werden
soll; und, um das Gemälde der schwedischen Litte-
ratur vollständig zu enden, verdient nur noch ange-
merkt zu werden, daß Andreas Berch, in einer,
1749 vom Verhältniß der in Schweden Studiren-
den, in Absicht auf die Besetzung der Aemter, ge-
haltenen Rede angegeben, daß in Schweden (die
teutfchen Provinzen ungerechnet) sich in allen 3000
geistliche Aemter, 1300 Aemter, dazu Rechtsge-
lehrte erfordert werden, 1300 Kriegsbedienungen,
die mit Studirten zu besetzen sind, 600 Bedienun»
gen bey der Landesregierung und den dazu gehörigen
Bezirken und 2600 Aerzte befinden. So empfeh-
lend dieses der schwedischen Litteratur aber auch seyn
mag, so muß man nur nie vergessen, daß sie sich
keineswegeö den Ruhm eines hohen Alters anzumaf-
sen ha„, denn da die Universität Upstrl erst vor
360 Jahren gestiftet ist, und man von den alten
Denkmälern nur wenig oder gar nichts, außer eini-
gen Grabschriften mit runifchen Buchstaben, die in
Felfen und ungehauenen Steinen grob eingehauen,
in verfchiedenen Orten deö Reiches findet, auch diefe
selten, außer den Namen der Perfonen, etwas zu ih-
rem Gedächtniß auödrücken, so fchwindet wohl sicht-
bar der Anspruch auf alte Gelesirsamkeit, und ihr
seltenstes Stück ist eine Übersetzung der Evangeli-
sten in die gothifche Sprache, so von Ulphilas, ei-
nem qorhifchen Bischof in Thracien, vor 1350
Jahren verfertigt worden, von welcher sie die einzige
in der Welt bekannte Handschrift besitzen. Wie
leicht wird e6 nicht seyn auf die Künste zu schließen;
daß
Schweden. 25
daß Schweden Künstler jeder Art aufzuweisen hat, ist
gewiß, ob sie aber auf dem Platz stehen, wenigstens
bis itzt gestanden haben, wo sie es bis zu der Höhe
hatten bringen können, als in andern Landern Euro-
pens geschehen ist, bedarf keiner weitern Frage, zu-
mal unter der Menge der Gelehrten und Künstler
bey allen Akademien und kostbaren Büchersammlun»
gen, dem sreyen Geist des Denkens und Unterfu-
chenö, der allein Gelehrsamkeit nutzbar zu machen
im Stande ist, noch mancher Stein des Anstoßes
im Wege lieget.
Hak irgend eine Nation Abwechselungen in ih- Karakter,
ren Schicksalen erlitten, so ist es gewiß die fchwedi- uni>
sche, die bald durch innere Revolutionen, bald durch 3en.9nt,ättn*
auswärtige Nationen, eine Gestalt nach der andern
annehmen mußte, je nachdem sie hartnäckig ihrem
Joch entgeaenarbeitete, oder bald darauf wieder völ-
lig ihren Nacken unter dasselbe beugte. Diese auf-
fallende Abwechselungen erzeugen, wie bekannt, in
dem Karakter und Sitten der Nationen, eben die-
selbe Verschiedenheit, und wie unbestimmt kann also
in Ansehung einer solchen Nation geurtheilt werden,
wenn vom Karakter ein paffendes Hauptgemälde
entworfen werden soll! Die Geschichte wird hier
am besten Dienste leisten können, «m dem Geist des
Volkes bey seinen Unternehmungen nachzuspüren, wo
es bald aus einer Dunkelheit hervorbricht, und den
ersten Potentaten Europens Gesetze vorschreibet, bald
wieder wie in Vergessenheit zurück sinkt, um eben so
willig seine Eroberungen zurück zu geben. Doch
wir treten dem Gemälde des schwedischen Karakters
näher, und finden die Schweden überhaupt be-
trachtet, als wohlgebildete, starke, und von der
Natur zu den größten Mühen des Lebens gebildete
Leute, auf die weder eine kleine Abwechselung von
B z Klima,
a 6 Schweden.
Klima, noch eine wirklich anstrengende Arbeit gros-
sen Einfluß in Absicht der Gesundheit hat, die kei-
neswegeö unter die weichen, empfindelnden Mensch-
lein gerechnet werden können, die von einen rauhen
Lüftchen, oder von einen weiten Spaziergang schon
einen tödlichen Schlag befürchten. Die Natur hat
ihnen dabey einen gewissen Ernst in ihren ganzen
Bau gelegt, und so wie sie selten offenherzig sind, so
legt man ihnen dafür mehr zu viel Rückhaltung und
Mißtrauen bey, welcher letztere Fehler aber, durch den
häufigem Umgang mit fremden Nationen in neuern
Zeiten, viel von seiner Starke verloren haben mag.
Sie lieben ihr Vaterland und die Freyheit, auch
dann die letztere sichtbarlich mehr, wenn sie nur von
ihren Königen gütig und gelinde regiert werden, und
die Geschichte Karls XI und XU geben davon häufi-
ge Beyspiele. Den Ruhm eines streitbaren und ta-
pfern Volkes haben die Schweden von alten Zeiten
her behauptet; Geduld und Unterwürfigkeit sind
eben so von langen Zeiten her der unterscheidende
Karakter der niedern Stande gewesen, ihren Pflich-
ten , zu denen sie sich einmal anheischig gemacht ha-
ben, bleiben sie aufs pünktlichste treu, und sind also
nur im höchsten Nothfall dahin zu bringen, ihren
Obern sich zu widersetzen. In ihrem häuslichen Le-
ben beobachten sie Ordnung, Mäßigkeit und Spar-
samkeit, doch wenn es die Umstände erfordern, sind
sie auch eben so willig, Pracht und Aufwand zu
machen. So wie eine gewiffe Ergebenheit gegen
die Obern ein hervorstechender Karakterzug, des
männlichen Geschlechtes ist, so rühmt man dieß
durchgängig von dem weiblichen Geschlecht gegen
ihre Männer. Ohne ihnen mit sklavischer Unter-
würfigkeit unterthan zu seyn, oder von ihnen als
Sklavinnen gehalten zu werden, sind sie ihren Män-
nern nicht nur (reu, sondern auch willig sich ihren
Anord-
Schweden. 17
Anordnungen zu unterwerfen. Und welchen Einfluß
muß nicht, in gegenwärtigen Tagen, der Karakter
eines geliebten Königes haben, und die Weise sein Volk
glücklich zu regieren, der im Großen wie im Kleinen
den Plan sichtbar macht, Glückseligkeit um sich her
zu verbreiten. Gewiß ist es aber auch, und wo hat
nicht überall der König und der Geringere dieses
Schicksal an allen Orten gemein? daß viele seiner
besten Bemühungen noch unerfüllt und verkannt ge-
blieben sind; die Ursachen hiervon werden nicht
schwer aufzufinden seyn, wenn man nur einen auf-
merksamen Blick auf die Lage des Landes, auf die
Beschaffenheit des Klima, welches beydes die Kul-
tur der Sitten unter diesem Volke ungemein hinder-
te, richten will. Wir haben oben gesehen, daß die
schwedische patriotische Gesellschaft, unterstützt durch
den Willen des Königes, im Jahr 177z daran ar-
beitete, der Ueppigkeit und Ausschweifung in Anse-
hung der Kleidertrachten, Einhalt zu thun, und die-
ses ist nun seit 1778 durchgängig zu einem Gesetz
geworden, welches den Großen wie den Niedrigen
im Reiche Regeln sich zu kleiden vorschreib'' und,
um sich hiervon einen richtigen Begriff zu verschaf-
fen, scheint es uns billig zu seyn, etwas bestimmter
davon zu sprechen«
Bey dem königlich schwedischen Hose soll dis
Mannskleidung weiß und roch für Gallatage,
schwarz und roch aber für die andern Tage seyn,
und für Frauenzimmer, weiß für Gallatage und
schwarz für die übrigen. Es sind ferner alle ein-
färbige Zeuge und Kleider dem Frauenzimmer er-
laubt, wenn der Putz von denselben Zeugen ist, alle
Verzierungen aber, so sich aus französischen Sitten
herschreiben, verboten. Die Mannspersonen dür-
fen, außer dem Hofe, alle ihnen selbst beliebige Far-
ben
Schweden.
28
ben wählen, wer sich aber in Ansehung der Form
nach dem Hofe richten, und also die Nationaltracht
annehmen will, der soll seine Kleidung nur an einer
Farbe, oder wenn er zwey gebraucht, den Rock und
die Beinkleider von Vereinen, hingegen die Weste,
das Rocksutter, die Garnierung, die Schärpe über
der Weste, die Bandrosen an den Knieen und Schu-
hen insgesammt nach der andern Farbe machen las-
sen. Die Nläncel, wenn man dergleichen braucht,
werden auf der Achsel mit Band oder Haken befe-
stiget. Hoflwachc kann ganz von Seide seyn,auch
außerdem darf jedermann das Untersittter und die
Schärpe von innländischen Seidenzeugen tragen,
nur keine seidene Zeuge zum Ueberzuge noch ge-
wonnene Gold - oder Silberknöpse. Der Hut ist
(2 I2 Henri IV.) rund, mit schmalen Krempen und
nur auf einer Seite aufgesteift. Anstatt der soge-
nannten ^albstiefeln, können auch Schuhe getra-
gen werden, wenn diese mit Bandrosen gebunden
werden. Auf ähnliche Weise soll die Armee geklei-
det seyn, und doch endlich niemand gezwungen
werden, seine Kleidertracht zu ändern; sondern das
Ausschreiben fügt noch hinzu, dem gemeinen Manne
in den Provinzen soll vielmehr die unwandelbare
Beibehaltung seiner einfachen und sittsamen Klei-
dungsart aufs neue anempfohlen werden.
Dieses wären ohngefähr flüchtige Züge von dem
Karakter und Sitten der schwedischen Nation, die
aber nichts mehr denn allgemeine Züge seyn
können, da uns mehr Genauigkeit zu weit von un-
srer Absicht entfernte, und die Sitten nebst dem
Karakter des ersten ganz ungebildeten Zustandes, viel
zu dunkel sind, und viel zu viel Fabelhaftes haben,
auch das, was sich noch etwa davon erhalten, doch
kaum den Schatten ehemaligen Zustandes trägt.
Noch
29
Schweden.
Noch sollten wir etwas über Nationalvergnügungen
sagen, allein obige hingeworfene Karakterzüge wer-
den schon sattsam rechtfertigen, wenn wir sagen, sie
haben keine, und wir finden auch nicht, was ihren
Werth dabey schmälern sollte. Haben sie auch keine
eigentlich sogenannten Nationalvergnügungen, an
denen ein ganzes Volk Theil nimmt, so treiben und
üben sie doch unter sich selbst alle Vergnügungen ei-
nes gesitteten und nach Aufklärung strebenden Vol-
kes. Haben sie auch nicht große Schauspieler, Tänzer
Sänger,Virtuosen in der Musik u. dgl. auszuweisen,
sind sie vielleicht aus politischen Ursachen für dieseKün-
sie eben nicht verschwenderisch im Belohnen, so ha-
ben sie doch eben so viel Gefühl und Geschmack fürs
Schöne und Vergnügen.
Da die Sittenlehre der alten nordischen Völker
rwch sehr an den Stand der Roheit granzte und viele ^Rel^ions-
ihrer Nachrichten dazu noch sehr unvollkommen und zustand.
mangelhaft sind, [fo wird unfern Lesern wohl we-
nig daran liegen, ob wir sie durch einige Jahr-
Hunderte von Lügen und Aberglauben hindurch füh-
ren oder nicht, und glauben also, da ihnen der älte-
ste Zustand andrer Völker schon bekanirt ist, hier
genug zu sagen, wenn wir erinnern, daß ehedem
das Heidenthum hier fast dieselbe Gestalt wie in Da-
nemark hatte. Kaiser Karl der Große schickte, auf
Verlangendes Königs Biörn, den Herbert, um
die christliche Religion in Ostgothland bekannt zu
machen, und Kaiser Ludewig sandte den berühmten
Ansgarius zu gleichem Endzweck nach Schweden,
dessen Vortrag noch mehr Beyfall und seine Lehre
mehr Eingang fand, und dem auch nachher noch
andre folgten.
Allein so viel auch von Seiten einer reinen
Eotteöverehrung Nutzen daraus entstand, so fehlte
doch
Schweden.
30
doch noch viel, daß diese Kenntniß allgemein verbreit
ret werden konnte. I» den Mittlern Zeiten zog die
Geistlichkeit manche Güter an sich, die ihnen Kraft
ihres Amtes eben nicht zukamen ■, und wodurch man-
che innerliche Unruhe genährt uud die öffentliche Ru-
he öfters gestört wurde; eine Gewalt, die um so glan-
zender erhalten wurde, da sich der Pabst selbst in
viele weltliche Angelegenheiten mengte. Luthers
Schüler, M. Olauö Petri, ließ sich es aufs auf-
feste angelegen seyn, die evangelifche Lehre von allen
Zusähen uad Flitterglanz zu reinigen, allein seine
besten Bemühungen würden nichts mehr und nichts
weniger als unerfüllte Wünsche geblieben seyn, und
aufs höchste in seinem kleinen Kreise Nutzen verbreitet
haben, wenn er nicht, unterstützt vom König Gustav
Wasa, allen Schwierigkeiten Muth und allen Hin-
dernissen Hülfsmittel hatte entgegensetzen können;
weswegen denn auch, ohngeachket der Anfechtungen
die sie unter Johann und Sigismund, erfuhr, den-
noch die lutherische Lehre endlich auf dem Reichstage
und der Kirchenversammlung zu Upsal 159z ob-
siegte, woselbst die Reichsstande stch verpflichteten,
bey der reinen evangelischen lutherischen Religion zu
verbleiben, welche nun seit der Religionsvereini-
gung von i6iz als die einzige herrschende Kirche
vom König und den Unterthaneu angesehen werden
muß. Wie eifrige Verehrer und Nachfolger dieser
Lehre sie sind, sagen uns einige Artikel des unver-
brüchlichen Reichsgrundgesetzes vom Jahr 1772,
als den Zeitpunkt aller Reform in Schweden. Es
heißt z. B. §» i*
»Einigkeit tri der Religion und dem rechten
--Gottesdienste ist das stärkste Fundament zu einem
»löblichen, einträchtigen und dauerhaften Regimen-
ts. Daher sollen künftig, gleichwie zuvor, sowohl
Schweden. 31
»dis Königs als alle Beamte und Unkerthanen hie?
„im Reiche, zu allererst bey dem göttlichen reinen
„und klaren Worte bleiben, wie es in den Schrif-
„len der Propheten und Apostel abgefaßt, in den
„christlichen Symbotis, Lutheri Cathechiömo, der
»unveränderten augfpurgischen Confeßion erkläret,
„und im upsalischen Concilio, sammt dem vorigen
„Reichsschluffe und Erklärungen bestimmt ist, so,
„daß das Recht der Kirchen, allen Rechten des
„Königs, der Krone, und des ganzen schwedischen
„Volkes unbeschadet, zu bestätigen sey."
Blos den Gliedern der engländischen und re-
sormirten Kirche ist , 74,, durch ein königlich Edict,
die freye Uebung ihres Gottesdienstes in den sämmt-
lichen Seeplätzen, die Stadt Carlscrona ausgenom-
men, erlaubt worden. Zu Upsal hat der Erzbi-
schof seinen Sitz, und ist nicht nur der Einzige in
Schweden, sondern er hat auch das Amt, den Kö-
nig zu krönen. Dann folgen 14 Bischöfe, und
im Ganzen zahlt man gegen 192 Probsteyen,
2400 Mutter» und Tochterkirchen, oder izg« Pa-
storate, 2 zzg Kirchspielskirchen und i Z4 Kapellen.
In jedem Bisthum ist ein Conststorium zu Kirchen-
sachen, in denen der Bischof Präsident ist^> auch
noch förmlich Kirchenbußen lind dergleichen Dinge
anerkennet. Obgleich die geistlichen Gesetze schon zu
Zeiten Karl des Eilften gegeben worden sind, s-
wird doch noch itzt nach eben denselben Gesetzen ge-
richtet, und denen zu Folge heißt es:
,>Wenn ein schwedischer Unterthan seine Re-
„ligion verändert, so soll er des Reichs verwiesen
„werden, und alles Erbrechts für sich und seine
„Nachkommen verlustig seyn.»
„Wenn jemand über ein Jahr im Kirchenbann
»bleibt, so soll er einen Monat auf Wasser und Brod
„Zefan-
r
32 Schweden.
«gefangen sitzen lind dann des Landes verwiesen
«werden.
«Wenn jemand Lehrer einer andern Religion
«ins Land bringt, so soll er mit Gelbe bestraft und
«verwiesen werden.
«Fremde Minister haben nur für sich und die
»Ihrigen eine freye Religionsübung.
«Fremde von anderer Religion sollen keine
«öffentliche Uebung derselben haben, und ihreKin.
«der von lutherischen Predigern getauft und in dieser
«Lehre erzogen werden, sonst sollen sie keine Privile-
gien schwedischer Unterthanen haben.
Diese und andre Kirchengesetze verpflichten
nicht nur die Geistlichkeit zu einer beständigen Auf-
merksamkeit ihrer Pflichten, sondern ihre Erklärung
ist viel umfassender, sie dehnen sich auch auf einen
fleißigen Besuch der Laien in der Kirche aus, um
die, so ohne gegründete Ursache sich davon entfernt
halten, mit Gesangniß und andern Strafmitteln da-
zu zu treiben; ein Verfahren, das der Duldsamkeit
geradezu entgegen stehet, so sehr gepriesen ihre guten
Meynungen dabey auch seyn mögen,
d) Klerisey. Schon oben ist erwähnt worden, das eö in
Schweden einen Erzbischof und vierzehn Bi-
schöfe giebt, und hier setzen wir nur noch hinzu,
daß die Geistlichkeit die Verwaltung der Gesetze nicht
eigenmächtig auszuüben im Stande ist. So groß
auch vor der Reformation, besonders in den Mittlern
Zeiten, ihr Ansehen und ihre Gewalt war, so große
und einträgliche Landereyen in ihren Händen immer
noch einträglicher wurden, so sind sie doch itzt sehr
von ihrer Höhe herabgesunken, und viele Falle, über
welche ehemals das geistliche Gericht erkannte, sind
nun der Gerichtsbarkeit der bürgerlichen Obrigkeit
übergeben, und in vielen Dingen dürfen sie gar kein
UrrheR
/
Schweden. zz
Uttheil sprechen, bis die Sache vor dem Oberge.
richt gewesen ist.
Der wesentliche Gegenstand von der bürgerli- ^üraerlrchL
chen Verfassung in Schweden, ist in der unum* ^ -
schrankten Gewalt des Königs gegründet, und in runqöferm1*"
wie fern dieser Satz seine Richtigkeit habe, wird der Erbfolge,
Ursprung und Fortgang der altern und neuern Ge- geistliche und
schichte mit deuclichern Umstanden erläutern.
öftern, ganz dem Interesse und den Gesinnungen des des
Volkes zuwiderlansenden Absichten der Besshlsha»
ber, gaben sehr oft den sreygesmnten Aufrührern das
Schwerdt selbst in dieHande,und jene küßten wieder bey
einem verunglückten Unternehmen, dankbar die Ruthe,
so daß ihre eigentlich bürgerliche Verfassung ein ge-
wisses Etwas war, was heute so, und morgen an-
ders fern konnte, je nachdem die Gewalt des Könl-
niges eingl schränkt, oder der Reichsrath viel, oder
wenig zu sagen hatte. Treten wir aber ihren bür-
gerlichen Verhältnissen in etwas naher, so finden
wir, daß die königliche Gewalt seit den ältesten Zei-
ten eingeschränkt und den Gesetzen unterworfen ge-
wesen ist. Unter Karl Xl und XII fielen zwar eini-
ge beträchtliche Veränderungen vor, allein nach dein
Tode des letztern kam die Regierung ganz in die
Hände der Reichsrarhe, die allein von den Reichs-
standen abhiengen, so, daß dem König wenig mehr
als Titel und Gewalt über seinen Hofstaat übrig blie-
ben. In wiefern unter dem itzigen König eine neue
Regierungsform im Jahr 1772 ringssührt worben
ist, werden wir weiter unten Gelegenheit haben an-
zuzeigen, hier erinnern wir nur, daß unter dem Na-
men ^eichöstande folgende Klassen verstanden
werden müssen; erstlich: der Adel, die (Zeistiich-
lichkeit, (die bis auf Gustav Wasa Zeit dem Adel
vorgienD der Bürgerstand oder die Scadtss, und.
II Lgnd« II Lbch, E die-
34 Schweden.
die Reichsbaueni. Eigentlich nennen sie sich in
öffentlichen Acten:
»Wie, des schwedischen Reichs Rath und
»Stande, Grasen, Freyherren, Bischöfe, Ritter-
schaft und Adel, Geistlichkeit, Bevollmächtigte des
»Kriegsheers und der geworbenen Regimenter, Bür-
»gerfchaft und Bauern.«
Vor der neuen Regierungsfom mußte aller
drey Jahre ein Reichstag gehalten werden, itzt aber
hangt er von den Umstanden und dem Willen des
Königs ab; wenn aber außerordentliche Falle ein-
treten, als wenn der Könieg abwesend oder gestorben
ist, so wieder von dem Reichsrath bestimmt, oder
sind keine männliche Kronerben vorhanden, so kom-
men die Stande von selbst am dreyßigsten Tage nach
des letzten Königs Tode in Stockholm zusammen.
Ein jeder Reichsstand hat seinen Anführer oder
Worthalt^r, der Adel erwählt den Reichsmarschall,
bey den Geistlichen ist es gewöhnlicher Weise der
Erzbischof von Upsal, bey der Bürgerschaft, einer
von den Bürgermeistern der Stadt Stockholm, und
die Bauern haben ihren Talemann, welches Wort
einen Redner oder Wortführer anzeigt. Ein jeder
Stand hat feine befondre Verfammlungs- und Be-
rathschlagungsörter, zum völligen Reichstage aber ver-
sammlen sich alle Stande aus dem Reichssaal in dem
königlichen Schlöffe. Gleich nach dem König hat
der Reichsrath die höchste Würde, und ihre Wahl
bestimmt der König aus Eingebornen von der Ritter-
schaft und dem Adel. Ihre Anzahl hat zwar orden-
sicher Weise aus siebzehn ihre Anweisung, allein der
Kö>iig richtet sich mehr nach der Notwendigkeit und
das Landes Beschaffenheit, weil sie dem König nur
zu Gehülfen, nicht aber als Richter bestimmt sind.
Ihre Benennung ist Ercellenzen.
Schweden.
35
Der neuen Regierungsform zu Folge, bekom-
men die Erbprinzen und die vom königlichen
Geblüt weder Leibgedinge - noch Generalgouverne-
mentö, sondern nur baares Geld, welches für einen
Erbprinzen nicht weniger als hundert tausend Tha-
ler Silbermünze seyn muß, von dem Tage an ge-
rechnet, da er für mündig erkläret worden, welches
im ein und zwanzigsten Jahre geschieht. Die Prin-
zen, so vom königl. Gebiüt, doch nicht so nahe sind,
sollen jährlich eine anständige Geldsumme bekom-
men. Sie können mit Titeln von Herzogtümern
und Fürstenthümern beehret werden, ohne dadurch
ein Recht auf die Provinz selbst zu bekommen, vott
welchen sie die Titel führen.
Der Titel der schwedischen Könige ist bisherb) Titel, Wa.
auf verschiedene Weise abgeändert worden, der jetzi- pen,Hofstaat,
ge aber ist: Gustav, von Gottes Gnaden ^ ex Ritterorden.
Schweden, Gothen und LVenden Rönig,
Großfürst von Finnland, Herzog zu Scho-
nen, Stettin, Pommern rc. Erbe zu Nor-
wegen und Holstern rc.
Das Wapen ist in vier Theite getheilet, int
ersten und vierten Schilde sind drey goldne Kronen
im blauen Felde, welche, wie die Schweden behaup-
ten, das eigentlich schwedische uralte Reichswapen
sind, im zweyken und dritten aber ein rother gekrön-
ter Löwe im vollen Sprunge über drey Flüsse im
blauen Felde, wegen des gochischen Reichs; und im
Mirtelschilde ist das holsteinische Wapen.
Daß Schweden itzt nicht so freygebig mit AuS-
theilung der Ritterorden ist, und einige davon ganz
verloschen sind, stimmt mit alle dem, was bereits über
dieses Königreich gesagt worden ist, völlig überein.
Der Amaranchenorden, von der Königinn Chri-
stin« gestiftet, ist ganz verloschen, weil seine Entstö-
C a hung
;6 Schweden.
hung eben zu keiner besonder« Unternehmung gehört.
Er bestand aus dreyßig Personen, fünfzehn Damen
und fünfzehn Kavaliers, und das Privilegium war
weiter nichts, als daß die Ordensritter und Damen
Die freye Erlaubniß hatten, alle Sonnabende in ei-
ner der Vorstädte von Stockholm bey der Köm-
ginu zu speisen. Ihr Zeichen war ein doppelt ver-
zogen und über einandergelegtes A von Diamanten,
welches einen Lorbeerkranz hatte, mit der italiäm-
schen Umschrift: Dolce Nclla Memoria.
Ein andrer ebenfalls verloschener und eben« s-
umntereßanter Orden, war zum Andenken der Ge-
burt des Prinzen Gustav, bey Gelegenheit eines
zerbrochenen Fachers, im Jahr 1747 gestiftet.
Von eben diesem König wurde auch der Sera-
phinenorden, welchen Karl IX abgeschafft hatte,
erneuert, der itzt nur ein Vorrecht und ein Merk-
mal der Freundschaft für Könige, Fürsten und an-
dre Großen ist. Die Anzahl der Ritter ist auszwep
und dreyßig festgesetzt, worunter vier und zwanzig
geborne Schweden und acht Ausländer feyn sollen.
Die vier Groß-Beamteu des Ordens sind ein Kanz-
ler, ein Schatzmeister, ein Secretair und ein Cere-
msmenmeifter, dem zwey adliche Herolde beysiehen
müssen. Die Ordenskette bestehet aus eilf goldenen
Seraphineuköpsen mit ihren sechs ausgebreiteten Flü-
geln, und eilf blau emaillirtcn Patriarchalkreuzen,
welche mit goldenen Gelenken in einander gestoch-
ten sind. Unten an dieser Kette hangt das Ordens-
zeichen an einem breiten blau gewasserten Bande,
welches von der rechten Schulter nach der linken Sei-
te zu getragen wird. Dieses Ordenszeichen ist ein
weiß emaillirtes Kreuz mit ejngeschnittenen Spitzen,
in dessen Mitte das schwedische Wapen auf einer
- blauen
Schweden. z-
ölanm Kugel abgebildet stehet, woran man die drey
Buchstabens ^1. 8. stehet.
Der zweyte ist das gelbe Band oder der
Gchweudcsrden, und nur für Verdienste im Krie-
ge von Gustav Wasa im Jahr 152z bestimme
Das Ordenszeichen ist ein weiß emaillirtes St. An-
dreas. und an den Spitzen gespaltenes Kreuz. Mit-
ten darauf sieht man in einer blauen Kugel die drey
schwedischen Kronen mit einem gerade in die Höhe
stehenden Schwerdt» Um die Kugel herum stehen
in den vier Ecken vier goldne Kronen, und um die
Spitzen des Kreuzes hangen entblößte Schwerdter;
unter der königlichen Krone, woran das Zeichen ge»
tragen wird, sieht man zrvey kreuzweis gelegts
Schwerdter, so wie auch auf gleiche Weife unter der
Kugel. Die Ritter dieses Ordens werden in einem
von den Zimmern Seiner Majestät des Königes
ausgenommen, welcher ihnen das Ordenözeichen selbst
umhängt. Die Kommandeurs von diesem Order?
tragen das gelbe mit blauen Rändern eingefaßte
Band über der Achsel, die gemeinen Ritter hinge-
gen ein bloß blaues Band an, einem Knopfloch ihree
Uniform *
Der dritte ist der Nordstern orden und für die»
jenrgen bestimmt, die sich durch bürgerliche Tugenden-
oder durch ihre Verstandeskräste dazu würdig machen«
Er besteht ursprünglich auSzwölsKommandeurö und
vier und zwanzig Rittern. Die Kommandeurs tra-
gen um den Hals ein breites schwarzes Band mit
einem daran hängenden Kreuz, und auf dem Rock
«inen gestickten Stern; die Ritter hingegen tragen
ein kleineres Kreuz an einem schwarzen Bande m ei-
nem Knopfloch ihres Kleides. Das Zeichen ist dtt
weiß emaillirtes, an den Ecken gespaltenes griechi-
sches Kreuz, das an einer königlichen Krone hangt.
C 5 Auf
)8 Schweden.
Auf dem Kreuz in der Mitte sieht man eine blaue
Kugel, in welcher ein weißer fünfeckichter Nordstern
schimmert, mit der Umschrift: Nefdt Occafum.
In den vier Ecken des Schildes oder der Kugel ste.
hen goldne Kronen.
König Gustav Ulfügkeam 29May 1772, als
den Tag seiner Krönung, noch den Masaorden
hinzu, für Männer, die sich theils in der Gelehr.
famkeit, thells auch im Ackerbau, Bergwesen,
Künsten, überhaupt aber im ökonomischen Fache
vor andern auszeichneten. Dieser Orden führt den
Namen lVasa (welches im Schwedischen eineGarbe
bedeutet), theils dem Andenken des großen iPafa
zum Andenken, theils auch, weil die Garbe, die
das Wapen und Unterscheidungszeichen des vor-
mals adelichen Hauses Wasa war, zugleich ein
Sinnbild vom Ackerbau ist. Das Ordenszeichen
ist eine goldne Korngarbe mit einem oval liegenden
Band umgeben, auf welchem der Stifter Gustav
III 1772 steht. (Guftav den Tredje Inftiktare.)
Die Ordenökette ist von vier goldnen Garben und
vier holsteinischen Neffelblatern mit drey goldnen
Nageln schichtweise zusammengesetzt, welche mit
dem schwedischen Wapen auf acht Schildern abwech.
seln. Das Zeichen hangt an einem grünen gewäst
serten Bande, und wird von gemeinen Rittern um
den Hals, von den Großkreuzen aber von der Rech»
ten zur Linken getragen.
Mel. Der Adel, als die Stütze des Thrones, ist
hier in Schweden sehr zahlreich und hat sich von je-
her die Verdienste des Muthes und Tapferkeit im
Kriege erworben. Mit diesen hohen Begriffen von
Ehre verbinden sie doch nicht ein steifes Ehrfurcht for-
derndes Betragen, sondern ein angenehmes äußeres
Wesen, das manche wirkliche Verdienste in desto
helleres
Schweden. 39
helleres Licht setzet. Ihre Sitten haben sich ganz
nach dem französischen Ton geformt, der zwar seit
zweyhundert Jahren nicht mehr das ist, was er da-
mals war, und die Gesetze des Landes haben in An-
sehung des Aufwandes und der Kleidung ein zu streu-
geö Reglement festgesetzt, sonst würden sie gewiß
den Franzosen wenig voraus lassen, wenn sie sie nicht
gar in mancher Ausschweifung übertreffen würden.
Selten, oder nie werden sie sich auf einen besonder»
Thcil der praktischen Wissenschaften legen, und ob
sie auch außer Landes einen viel niedriger» Posten an-
nehmen , und Erfahrungen im Seewesen von den
Ausländern haben erlernen wollen, so sind doch noch
wenig Beyspiele vorhanden, wo sich ein Mann vom
Stande das Kommando eines Kauffarkheyschiffes
hatte übertragen lasten. Frankreich hat aber für den
jungen Adel nicht ganz ohne Grund viel Reize vor
andern Landern voraus; denn alle die zur See und
auf dem Lande dienenden schwedischen Adlichen, er-
halten aus gewissen politischen Absichten einen Vor-
rang vor allen andern; und nach den schwedischen
Gesetzen nutzt ihnen dieser Rang um so mehr, weil
sie, wenn sie wieder in ihr Vaterland zurückkehren,
in die schon bekleidete Stelle wieder ciutreten, die sie
außerdem wohl sehr langsam oder nie würden erreicht
haben. Wie groß die Macht und Gewalt des Adels
in altern und Mittlern Zeiten gewesen ist, wieviel
Druck der Bürgerstand, und wie viel Unruh der
Thron selbst erlitten, lehrt uns die Geschichte zur
Genüge; und itzt gehören nicht allein die Edelleute
und Geistlichen, sondern auch die Bürger und
Bauern, (die adlichen Bauern ausgenommen *))
C 4 zu
*) Adliche Bauern entrichten der Krone nur die Half.'
te von dem, was die Kronschatzbauern bezahlen
müsten.
<3) Köniall
d'c Collegie^
Justiz. und
Posicevver.
faffunI.
40 Schweden.
zu den Reichsständen. Im I. 1775 waren m
Schweden 2270 adeliche Familien, nämlich 85
gräfliche, 231 freyherrliche und 1954 gemeine
adeliche.
Die hohen königlichen und Reichskolle-
gien sind i) die vier königlichen Hofgerichte,
nämlich das eigentliche schwedische zu Stockholm,
das gothische zu Iönköping, und die finnischen zu
Abo und Wasa» 2) Das königl. Rriegskolle-
gium, welches die Oberaufsicht über das Kriegs-
wesen zu lande hat. 3) Das Admiralitatskolle-
gium, welches seinen Sitz zu Carlscrona und die
Oberaufsicht über die Seemacht hat. 4) Das königl»
Ranzleykollegium, oder die Reichskanzlei,
und das zu diesem Kollegio gehörigen Antiguitä-
ren-Archiv. 5) Das königl. Rammerkolle-
gium. 6) Das königl. Staarekomroir»
7) Das königl. Bergkollegium. 8) Das kö-
nigl. Rommerzkollegium. 9) Die königl.
Rammerrevision, der Oberhofmarschall, wel-
cher ein Reichsrath ist, den königl. Hof, die Tafel,
und den ganzen Hofstaat besorget.
Die Menge dieser königl. Kollegien zielt, wie
wir schon mehrmal erwähnt haben, auf die unzer-
trennliche Verbindung einer guten Verfassung des
Staats mit dem allgemeinen Besten seiner Bürger
ob, und die Grundstütze der neuen RegierungS-
form, wie sie der jetzige König schuf, sollte die all-
gemeine und die persönliche Freyheik seyn. Un-
ter der allgemeinen wird die Unabhängigkeit von al-
len fremden Bedrückungen verstanden, und die be-
sondere kann also nur dann gesichert seyn, wenn je-
der Bürger unter dem Schutz der Gesetze keiner Ge-
walttharigkeit bloß gestellt ist. Es sind dahero die
Granzen der gesetzgebenden und der vollstre-
cken-
Schweden. 41
ckenden Macht pünktlich beobachtet, und kein Bür-
ger darf außer dem Gerichte, vor welches er gehö-
ret, gerichtet werden» Das neue schwedische Ge-
setzbuch ward auf den Reichstagen zu Stockholm
17z 1 und 34 untersucht, hierauf von allen Stan-
den bewilliget, angenommen, vom Könige bestäti-
get und »736 publicrret; man findet darinn auch die
neue Proceßordnung, die kurz und ungekünstet ein-
gerichtet ist. Die Städte und Bauerndistucte ha-
ben ihre Untergerichke, von welchen an die Landge-
richte, von diesen aber an die Hofgerjchte appellirt
wird; und in den Dorfgerichten find allezeit zwölf
Bauern Beyfitzer. Ob es auch nach unserm Plan
hier unmöglich ist, alle die heilsamen Einrichtungen
inJuftiz - und Police^ Anstalten zu erwähnen, fip
werden wir doch in der Folge, wo wir von den ein-
zelnen Provinzen handeln werden, nie aus den Au-
gen lassen, unsre Leser darauf aufmerksam zu ma-
chen. Nur eine der nützlichen Policeyanstalten
zu gedenken, har der Reichsrakh, Freyherr von
Sparre als Oberstarthalter von Stockholm neuerlich
verschiedene Policeyanstalten gemacht, und mit an-
dern mittelst der in Schweden gewöhnlichen öffentli-
chen Steigerung einen Korr krack geschloffen, kraft
dessen eine Gesellschaft sich auf zehn Jahr anheischig
macht, gegen Erlegung vom 7 Pf. jährlich für jede
Quadratelle, alle Gaffen, Brücken und öffentliche
Plätze, das ganze Jahr hindurch, von allen Unreinig-
keiten und Schneehaufen, in soweit dieselben des
Morgens zur gesetzten Stunde auf der Gasse befind-
lich, ohne einige Ausnahme oder Einfchänkung
bey Strafe auf ihre Kosten reinigen zu lassen.
Und ob auch die Menge von Rathsversammlungen,
Staatsbedienten, obrigkeitlichen Personen, Gesehen
und dergleichen, nicht allezeit ein untrüglicher Be-
weis für die Güte einer Reichsverwaltung ist, so
C 5 kann
42 Schweden.
kann man demohngeachtet, ohne irgend einem andern
Lande nahezu treten, sagen, daß Schweden unter die
bcstregiertesten Reiche in Europa gerechnet werden
kann. Wo das Auge des Regenten auf den Gang
der Gerechtigkeit selbst aufmerksam ist, da sind Ver-
wirrungen, Weitläufigkeiten, Schikane und dergl.nie
häufig zu fürchten, und wo es wirklich Pflicht wird
die Verbrecher zu bestrafen, wird nie das Gesetz des
Verbrechens mit Blut geschrieben seyn, wird immer
noch das Gefühl der Menschlichkeit das Schwerdt
zurückhalten, und durch gute Policeyanstalten lieber
veranlassen, daß Galgen und Scheiterhaufen selte-
ner werden.
«) Königliche Ohne uns aus die specielle Untersuchung einzu-
Einkünfte, lasten, wieviel die Einkünfte des Königes in der al-
tern Zeit betrugen, nennen wir nur die ordentli-
chen und außerordentlichen Staatseinkünfte und
Ausgaben in neuern Zeiten, wie solches der Hr.
O. K. R. Büsching angiebt, als nämlich die Ein-
nahme vom Jahr 1772 an 10,90110;, und die
Ausgabe gedachten Jahres 11,586678, welche
Summe der Einnahme aus den Kronlandern von
Zöllen, Accisen, Kopfsteuern, aus den Silber-
und Kupferbergwerken und dergleichen gezogen,
und im Gegenrheil die Ausgabe für den Hof,
für den Senat und die Regierung, für den
Civil. Kriegs - und Seestaat und dergleichen ver-
wandt wird. Alle Einkünfte der Krone werden
unter den ordentlichen und außerordentli-
chen Abgaben verstanden, zu welcher; ersten die Kron-
güter, Landsteuren, Zölle, Accise, Stempelpapier,
Kopfsteuer, Gewinn der Reichsbank, Antheil am Ze-
henden gehören; die ander», besaßen entweder reelle,
d. i. von den liegenden Gründen oder dem Ackerbau,
von den Bergwerken, Handel und Gewerbe, oder
per-
Schweden. 43
persönliche Abgaben nach Beschaffenheit bes Stan»
des, der Bedienung und der Mittel sich zu ernah-
ren. Ingleichen fließtdenkönigl. Einkünften ein an-
sehnlicher Gewinn aus den Brantweinbrennereyen zu,
da sie verpachtet und zu einem Regale gemacht wor-
den sind, nur daß dem unmäßigen Brandweinbrennen
in etwas Einhalt gethan wurde, um theils den Miß-
brauch dieses Getränkes zu verhindern , theilö die
Abnahme des Kornes nicht noch mehr zu beförs
dern, die für ein land wie Schweden eines der ge-
fährlichsten Uebel seyn würde. Ferner alle Messing-
fabriken, Kupferhämmer, Alaunwerke, der Zehn-
te vom Eisen, Silber, nebst dm Kupferrenten und
dem großen Seezoll tragen der Krone jährlich gegen
2, iOO,soo Dal. Smz. ein. Fabriken, Manu-
fakturen und alle übrige Anstalten, von welcher Art
sie auch seyn mögen, sind zu dieser außerordentichen
Auflage, jede nach Verhältniß ihrer Einkünfte, bey-
zutragen verbunden. Alle Mühlen, Schiflwerfte,
das Seeaflecuranzkomtoir, das Eisenkomtoir, die
Auktionskammer zu Stockholm, Geldkapitalien, sie
mögen der Krone oder Privatpersonen geliehen seyn,
bezahlen den zwanzigsten Theil der verabredeten In-
teresse. Kurz, aus diesen und vielen andern Einkünf-
ten erhebt der König eine beträchtliche Summe,
und würde bey einer so weisen Anwendung auf
Schatze denken können, wenn nicht Schweden in
eine Schuldenlast verwickelt wäre, die fe vielleicht
noch lange nicht wird abwerfen können. Karls XII.
Schulden hatten die Retchsstände zwar meist getil-
get, 1771 aber betrugen die Staatsschulden wie-
der 6030973$ Dal. Smz., woran die Bank volle
Dreyviertel zu fordern hatte.
Wem nur einigermaßen die Thaten der
Schweden aus der Geschichte bekannt sind, der wird
auch
Kriegs-
verfassung
3) Land-
macht.
44 Schweden.
auch wißen, daß Herzhaftigkeit, Tapferkeit, Starke
immer die Ursachen waren, wodurch sie sich Ruhm
im Kriegs erwerben, ja es war sogar unter KarlXIl.
ein Zeitpunkt, wo mit Erstaunen und Furcht alle
Mächte Europenö auf die Macht von Schweden
sahen. So glänzend aber auch diese Schilderung
feyn mag, und so viel im Einzelnen wahres darinn zu
finden ist, so kann man doch nicht läugnen, daß
alle jene Heldenthaten nicht immer ihr Werk waren,
haß vielmehr ihnen fremder Beystand von Deut-
schen, Schotten und Franzosen die Hand führte,
haß sie selbst die eigentlichen Kenntnisse des Krieges
erst von diesen Ausländern erlernten. Wäre
kriegerische Hitze allezeit das Kennzeichen großer
Krieger, so würde Schweden viel Anspruch darauf
machen können, da fast kein Jahrhundert vergangen
ist, wo sie dieselbe, zwar immer ungestüm und unor-
dentlich, nichtgeaußert hatten. GustavWasa brachte
die Kriegsmacht etwas zur Ordnung, die Adolph ver-
mehrte und endlich Karl zu einer Höhe trieb, die Be-
wunderung erregte, die aber mit seinem Tode wieder
so wenig Aufmerksamkeit des Staats war, daß
selbst ihre Gewehre nicht eine einzige Veränderung
«erfahren haben.
Gegenwärtig besteht die schwedische Land-Ar-
mee ausN'ationaltruppen, welche in verschiedene
Provinzen des Königreichs vertheilt find, und au6
geworbenen auf ausländischen Fuß unterhaltenen
Regimentern. Die letztem sind aus stehendem Fuße,
und machen die Garnisonen der verschiedenen Städte
und Festungen des Königreichs aus ; sie bestehen aus
Leuten von allerlei) Nationen , und werden auf die auch
rn andern Landern gewöhnliche Art mit sogenannten
Freywilligen rekrutirt. Wenn die Provinzialar-
mee beysammen ist; so formirt sie ohne die Adels-
fahne
Schweben.
4S
sahne, wovon seit 1734 nur noch die Officiere un«
terhalten werden, ein Korps von 34266 Mann.
Diese Armee macht eigentlich die Starke des schwe-
dischen Kriegsstaates aus, sie ist nie stehend, son-
dern nur auf außerordentliche Falle in Korps, or-
dentlicherweise aber nur jährlich zur Musterungszeit
Regimenterweise versammlet, die Unterhaltung die-
ser National, und geworbenen Regimenter betrug im
Jahr 1773 an 2708880 Thaler Silbermünze.
Karls XL Einrichtung in Ansehung der schwedischen
Kriegsmacht liegt auch noch itzt zum Grunde, denn
dieser brachte es sowohl bey dem Adel, als bey den
Bauern dahin, daß sie sich dazu verstanden, Reu-
ter und Fußvolkzu stellen und zu unterhalten, zu wel-
chem Ende eine jede Landschaft ihren gewissen Anschlag
hatte. In Ansehung des Fußvolkes, stellen meist
drey Himmna einen Mann, lohnen ihn und unter-
halten ihn in Wohnung und Ackerland, so daß die
Krone nur für die Kleidung, Bewaffnung und Am-
munition zu sorgen hat, wozu auch gewisse Land-
schaften, nach Maaßgebung ihres KontrackeS,
das Ihrige beytragen. In Ansehung der Reuterey
überhaupt muß der Rüsthalter den Reuter Ln Kriegs-
und Friedenszeiten besolden, mit Wohnung verse-
hen, für seines Pferdes Futter ebenfalls sorgen, auch
seine ganze Ausrüstung im guten Stande erhalten.
Im Felde hat die Besorgung die Krone, aber jeder
Rüsthalter muß seinem Reuter zwölf scharfe Schüsse
mitgeben. Jemtland unterhalt Dragoner zu Fuß,
welche die Krone bewaffnet und bekleidet, wozu dir
Bauern nur etwas weniges beytragen; außerdem
aber werden den Jemtlandern für jeden Mann zwan-
zig Thaler Silbermünze vergütet. Gegen gewisse
bedungene Vergeltung kann der Bauer die Soldaten
zu feinem Dienstgebräuchen, wo sich denn der Sol-
dat, wenn er hinlänglichen Acker und Wiesen hat.
Schweden.
46
verhenrathet, und also der Bevölkerung im Staate
sehr nützlich wird. Vom Jahr 1772 bis i7j6^at
das Kriegeöhtzer folgende Starke gehabt, als von
der Infanterie i) eingetheilte und Nationaltruppen
2 3 3 3 2 und 2; geworbene 12 3 j 8 Mann. Von der
Cavallerie ') Reuterey6733, 2) Dragoner 4202,
3) Husaren und leichte Reuter 700, also zusammen
46395 Mann.
Allen was zur Ausrüstung der Armee und Ar-
tillerie nörhig ist, wird im Lande verfertiget, die
Zeughäuser des Reichs sind zu Stockholm, Oerebro,
Jönköping u. s. w. und werden auf Rechnung der
Krone durch Faktors verwaltet. Alle übrige mili-
tärischen Anstalten und Znrüstungsplatze werden bey
jedem Ort selbst angezeigt werden, und wir wenden
uns nur hier zur schwedischen Rriegsflocce.
?») Seemacht. Schweden bedarf eben sowohl eine Seemacht
als eine Armee zu Lande, uiib zu dem Ende unter-
halt es 0 eine Flotre von RrieIsschLffen mit al-
lem Zubehör und 2) eine Galeerensiotte; jene fuv
die offne See, diese für die Küsten. Eine jede hat
ihre eigne Art Krieg zu führen. In allem unterhalt
Schweden 33 Linienschiffe, 9 Fregatten, 59 Ga-
leeren und gegen 40 f leine Schiffe, wozu eine See-
miliz von 13000 Mann, und zur Unterhaltung der
ganzen Marine vom Jahr 1772- an 1807» 50
Dal. Smz. erforderlich war. Die Hauptstotte ist
in Carlscrona, die zweyte in Gsthenborg und die
dritte in Stockholm; jedoch wir eilen zu der Be-
schreibung der einzelnen Provinzen selbst, bey denen
uns noch so manches nachzuholen übrig ist.
Einzelne Pro. Gegenwärtig bestehet das Königreich Schwe-
»mzen. den aus fünfHaupttheilen, nämlich i) Schweden
rill und für sich, 2) das gorhische Reich,
3) Nord-
Schweden. 47 »
3) Nsidland, 4) Lappland, 5) Finnland.
Diese Hauptabteilung hat aber wieder eine untere,
nämlich in 2 z Landeshauptmannfchaften, von
welchen iz mit Civil-und 12 mit Militair-Per-
sonen besetzt werden. Diese bestehen wieder auS
Distrikten, und.diese endlich aus RLrchspielen.
Schweden an und für sich war in den altern T* Schweden
Zeiten bisweilen ein besonderes Königreich, biöwei- 5" für
len aber auch mit dem gothischen Reich vereiniget, ^
und diese Verbindung dauert nun vom Jahr 1132
noch bis ißt fort. Seine eigentlichen Nachbarn
und Granzen sind gegen Mitternacht Nordland,
gegen Abend Wermeland und Norwegen, gegen
Morgen die offene See, und gegen Mittag das go-
thische Reich. Von der allgemeinen Landesbeschaf-
fenheit in Schweden ist oben gehandelt worden, und
wir setzen hier nur hinzu, daß diese Provinz unter
allen Ländern des schwedischen Reiches die meisten
Berg - und Hammerwerke auszuzeigen hat. Man
theilt es gemeiniglich in fünf Landschaften,'und da
wir keine Ursache haben von dieser angenommenen
Eiutheilung abzuweichen, so nennen wir sie zuför-
derst: i) Upland, 2)Gödermannland, z)Z7le-
rike, 4) U)ästmannland, s) Dalarne oder die
Dal Landschaft, (welche in alten Zeiten auch ihre
eignen Könige und Gesetze hatte) und) untersuchen
zuförderst:
Upland, nach der gemeinen Aussprache Op-a) Upland.
land, welcher Name durch die hohe Lage des Lan-
des seinen Ursprung bekam. Der Lange nach er-
streckt es sich auf achtzehn, der Breite nach aber auf
fünfzehn schwedische Meilen, und ist dabey mit allen
Vorzügen des fruchtbringenden Bodens vor den übri-
gen Provinzen so sehr ausgezeichnet, daß es nicht
allein für sich selbst genug Weizen, Gerste, Rog.
48 Schweden.
gen und Hafer, nebst trefflichen Wäldern und Wie-
sewachs hat, sondern auch feinen Nachbarn davon
sblassenkann. Außer den zwölf Flüssen giebt §6 hier
viele fischreiche Seen, unter denen der XTiäiav der
vorzüglichste ist» Nicht bloß seine guten und schmack-
haften Fische machen ihn vorzüglich merkwürdig,
sondern vielmehr seine Größe und seltene Menge In-
seln. Die erste schabt man aufzwölf schwedische Mei-
len, und die letztem an der Zahl 1290, und was
das Auge um so mehr mit angenehmen Gegenstän-
den erfüllet, find die hin und wieder am Strand
zerstreuten Städte, Schlösser-, Kirchen, adeliche
Guter und andre Höfe, welcher See endlich feinen
Ausfluß in die offene See vermittelst des Nord-und
Südstroms in Stockholm hat» Nichr nur die besten
Eifengruben werben hier in llpland gesunden, son-
dern ihre Hütten und Hammerwerksherren besitzen
edcn so ansehnliche Reichthümer; überhaupt nähren
sich die Einwohner von Ackerwerk, an einigen Or.
ten voni Bergwesen und der Fischerei). Von der
letztem leben besonders die, welche in den Scharen
wohnen, welches, wie oben erwähnt, eine unzähl-
bare Menge Erdzungen, Inseln und Klippen find,
von denen aber aus vielen tausenden keine Menschen
wohnen. Das eigentliche unter dem Namen Upland
begriffene Land ist der Theil, der mitten im Lande
liegt, der gegen die Seefeste heißt Hoslagen, der
an die Dal--Elbe stfid den Sagonstuß granzt, heißt
Fierdhuirdra. Das upf'alifcbe Erzbisthmn
besteht aus 2 z Probstoyen, 166 Pastoraten, oder
242 Stadt-und Landkirchen und 4 Kapellen. In
der stockholmifchen Eandohrruptnrannschafc
liegen gegen die offene See sechs Seedistricte, und
unter die dahin gehörigen merkwürdigsten Orte ge-
höret zusörderst die Hauptstadt des ganzen König,
reiches«
Stock-
Schweden. 49
Stockholm, cme große, schöne, reiche, stark-Stockholm,
bevölkerte Stadt und ein ansehnlicher Handelsplatz.
Ihren Namen führt sie von ihrer Lage auf sechs bis
sieben kleinen Inseln und Halbinseln, die durch
zwölf hölzerne Brücken mit einander verbunden sind.
Denn %30fm bezeichnet im Schwedischen eine Insel,
und Stock bedeutet ein Stück Holz, weil die Stadt
großen Theils auf eingerammelten Grundpfählen ge-
bauet ist. Um das Jahr i gOy war es nur ein klei-
nes Eiland, auf welchem einige Fifcherhütten stan-
den; als aber ein Schloß hieher erbauet wurde, der
Einfallen der RussemWiderstand zu thun, und den
Hafen zur Handlung sehr bequem war, so stieg es
nach und nach empor, und endlich so hoch, daß es
alle alte Städte des Reiches übertraf und gegenwär-
tig die Hauptstadt ist. Der Umfang ihrer Brücken,
ihrer Kanäle und ihrer Inseln befasset einen Raum
von zwey schwedischen Meilen von einem Thor bis
an das andre, und macht zwischen idem Malar und
der Ostsee eine Stadt von der Größe Rotterdams
in Holland aus, in deren Bezirke man salziges See-
und süßes Onellwasier findet. In der eigentlichen
Stadt zahlet man 5000 Hauser, die, ob sie gleich
meist aus Pfählen ruhen, doch zu 4 - 5 Stockwerk
hoch, mit eisernem Blech, zum Theil auch mit Ku-
pfer und Ziegeln gedeckt, und überhaupt viel steiner-
ne große Häuser anzutreffen sind, außer irr den Vor-
städten, wo es noch sehr schlechte giebt, außerdem
20 Kirchen und 12 Brücken.
Diese Hauptstadt wird, ohne die Vorstadt, in
eben so viel Quartiere eingetheilet, als es Inseln
giebt, aus denen sie bestehet, und in jedem Quar-
tier find gewisse Männer dazu bestellt, welche die
strengsten Verhaltungsregeln bey Feuersgefahr zu
beobachten haben. Man hat des Nachts Feuerwa»
U Bans. 11 Äbch. D chm,
50 Schweden.
chen, die zu dem Ende herum gehen, und noch ist
eine besondere Wache auf dem Kirchenthurm, um
die ganze Stadt Zu übersehen. So löblich auch die-
se Vorsicht ist/ so wenig konnte dieselbe doch verhin-
dern, daß nicht im Jahr 1751 an einem Tage in
fünf verschiedenen Gegenden Feuer auskam, wobey
an fünfhundert Hauser nebst der Sanct Clären Kir-
che in Aschenhanfen verwandelt wurden; und nach
der Zeit hat die Stadt noch verschiedene Brandscha-
den erlitten, die aber bald wieder anögebessert wor-
den sind. Unter andern sehenswerthen Oertern in
Stockholm findet man besonders das königliche
Residenz schloß, ein in allem Betracht prächtiges
Gebäude, welches 1775 von der königlichen Familie
zuerst bezogen und die schöne Schloßkapelle einge-
weiht worden ist. Ferner das ansehnliche Ritter-
schafkShaus, neben welchen! sich der RitterhauSmarkt
befindet, auf welchem 1733 dem König Gustav I.
eine metallne Bildsäule errichtet worden. Sie ist
eilf Fuß hoch, und stehet auf einem gleich hohen
Fußgestelle von grünem schwedischen Marmor. Zn-
gleichen das RathhauS; die St. Nicolaus - oder
große Kirche; die deutsche Kirche, bey welcher eine
lateinische Schule ist; der große Markt; die Bank;
der Kornhafen; die Schiffbrücke.
Der Ritterholm liegt an der westlichen
Seite der Stadt, und ist mit derselben durch eine
Brücke verbunden. Aus demselben ist das alte kö-
nigliche Schloß, welches 1697 abbrannte, und von
dem man jetzt nur noch den Thurm steht, auf deffen
Spitze sich drep Kronen von vergoldetem Erz befin-
det' , welche die ehemalige Union der drey nordischen
Königreiche vorstellen sollen. In der- Kirc!)e deö h.
FranciscuS liegen die Gebeine der Könige Magnus,
Karl VIII, Gustav Adolph, KarlA Xl und XII,
Fried-
Schweden. 51
Friedrich l, verschiedene Königinnen/ Prinzen und
Prinzessinnen.
Drittens zeichnet sich die heil. Geistinfel aus,
welche im Norderstrom zwischen der Stadt und dem
Nordermalm liegt, auf welcher der 1696 erbauete
königliche Stall ist.
Ingleichen der Schistholm, so der Stadt
gegen Morgen liegt, und woraus die Schiffswerfte
und Admiralität befindlich sind. Der Blasieholm,
voll schöner Pallaste. Der Aönigsholm, wel-
cher der angenehmste Theil der Stadt ist, und auf
welchem die Ulriken Eleonoren Kirche stehet. End-
lich Eadu^ardsland, so nunmehr mit dem Nor-
dermalm zusammenhangt, and als eine Vorstadt
angesehen wird, worauf sich eine Kirche, ein Markt-
platz, ein königlicher Obstgarten, ein Waisenhaus,
welches 175 3 von den Freymaurern gestiftet wurde,
und eine Maulbeerplantage von 30000 Baumen
befindet.
Zur Stadt gehören zwey große Vorstädte,
welche Malmar genennet werden, und zwar der
Nordermalm und Südermalm; in welcher er-
stern sich nächst vielerrKirchen und drey Marktplätzen,
auch eine neue Sternwarte bestndet, so 1748 an
einem erhaben,en sreyen Ort, der Sabbathsberg ge-
nannt, angeleget wurde, wo auch die Akabeinie der
Wissenschaften ihre Versammlungen hält. In der
zweyken befinden sich ebenfalls nebst vielen Kirchen
ein Rathhaus, worauf eine russische Kapelle ist,
eine holländische reformirte Kirche, ein Hospital
u. s. w. Alle diese Theile der Stadt werden durch
zwölf Brücken zu einer Hauptstadt verbunden, in
der sich gegen Scooo Menschen aushallen sollen.
Die schönste Zierde der Stadt ist der dasige Hasen,
D 2 der
52 Schweden.
der so sicher, so bequem und geräumig ist, daß wohl
auf tausend große Schiffe mit vollen Segeln bey
einander seyn und sicher liegen können. Die einzige
große Unbequemlichkeit ist, daß die Fahrzeuge, die
aus Norden kommen, ehe sie in diesen Hasen gelan-
gen können, über vier und zwanzig Meilen weit Zwi-
schen lauter Felsen durchsegeln müssen.
Was die Gerichtsbarkeit der Stadt betrifft,
so wird sie von einem Gouverneur regiert, der ein
geheimer Rath ist, und wöchentlich einmal aufdem
Rachhause Sitzung halt. Nach ihm kommen vier
Bürgermeister, deren Verrichtungen so vertheilt
sind, daß der eine die Justiz, der andre die Hand-
lung, der dritte die Policey und der vierte die Auf-
sicht über alle öffentliche und besondere Gebäude An-
stalten und Vorsalle hat. Die Stadt aber ist
nicht allein die königliche Residenz und der Sitz eines
Statthalters, sondern gewissermaßen der Stapel
von Schweden, wohin ein großer Theil ihrer eignen
landesprodukte, als Eisen, Kupfer, Drath, Pech,
Theer, Masten, Breter, Stabholz u. dgl. zur
Ausfuhr auch aus andern Staaten gebracht
wird. Hier sindauch die hohen Collegia, deren oben
gedacht worden ist; ungleichen eine musicalische Aka-
demie, 1772 errichtet, etne königl. Bibliothek, vier
Zuckerlauterungen, Glaö- und Porzellanmanufaktu.
reu, Seiden-, Wollen-, Tuch-, Cattun-, Segeltuch-
manufakturen, die Reichöbauk, eine große Eisen-
wage, ein Assecuranzkomtoir und dgl. In der
Stadt liegt beständig die königliche Garde von 18
Kompagnien und die königl. Artillerie, auch ist zur
Vertheidigung des Hussens in demselben ein kleines
Kastell, welches aber gegen heftige und feindliche
Angriffe sehr unnütz seyn würde.
Hierzu
Schweden. 53
In der Nähe dn-Stndk liegen r)§rlednchs-
Hof, ein 17Z 2 vom König Friedrich!, angelegtes Lust-
schloß, an der östlichen Seie und nahe bey dem königli-
chen Thiergarten gelegen. 2) Den königl. Thiergar-
ten selbst, ein von Natur und Kunst zum angeneh-
men Aufenthalt geschaffnen Ork, der an der östlichen
Seite des Nordermalms liegt, größtentheils mit
Wasser umgeben ist, und in welchem einige kleine
Busen gehen. Angenehme Spaziergänge, Wäl-
der Felder und Gesundbrunnen wechseln auf das
mannigfaltigste mit einander ab, und man könnte
mit Recht sagen, daß die Natur verschwenderisch
gewesen sey. 3) 2\adbei*c*, ein ebenfalls mit vie-
len schönen Garten und Gebäuden geziertes Luftschloß,
eine Viertelmeile von Nordermalm gegen Westen.
4) Ülriksdal, ein königl. Lustschloß, drey Meilen
von Stockholm gegen Norden, wo künstliche und
natürlich schöne Gärten diesen Ort zu einem reizenden
Aufenthalt machen. 5) Drorningholm, das
vornehmste königl. Lustschloß, eine Meile von Stock-
holm auf einer Insel. Gärten tm vollen Schmuck,
Kunst - und Natursammlungen wetteifern hier ein-
ander den Vorzug streitig zu machen, und eine kleine
Anzahl daselbst wohnender Künstler und Fabrikanten
machen diesen Ort zu eineiu wirklichen Lustschlosse.
6) Die uplandischen Scharen, die am wenig-
sten bewohnt werden können, außer wenigen ar-
men Fischern, und nur zu einer sichern Schutz,
mauer für feindliche Uebersatle da sind. 6) IPßp
Holm, zwey Meilen von der Hauptstadt, ein Ort,
der einige Aehnlichkeit mit einer Stadt hat. Die
übrigen 9 zu dieser Landshauptmannschaft gehörigen
Distriete, sind zu unbedeutend, als daß sie eine be-
sondere Anzeige verdienten. Unter den zehn ^ara°
der, welche tiefer im Lande liegen, und noch zu
dieser Landshauptmannschaft gehören, nennen wir
D 3 die
54 Schweden.
die zwey Städte Mefthammar und Gigtuna^
aber eben so unbeträchtliche Städte, als die übrigen
ungenannten.
In der upsalischen Landshauptmannschaft, wel-
che aus 14 Harader oder Landdistrikten bestehet,
zeichnet sich vorzüglich aus die Stadt
Upsal, eine uralte, ziemlich große Landstadt
am Flusse Sala, der sie in zwey Theile theilet, wo-
von der östliche die Stadt selbst, und der westliche
Fierding genannt wird. Ehedem war Upsal die
Hauptstadt von Schweden, die Residenz der ehema-
ligen Ober-Könige des Reiches, der Wohnsitz deS
vornehmsten Opferpriesters in diesen nordischen Land-
schaften, der Sitz des höchsten Justiz-Gerichts,
und ScandinavienS schönste Zierde in den ältesten
Zeiten. Da sie dies war, lag sie nicht auf demsel-
ben Platze, wo sie itzt liegt, utiö das alte Upsal
führte den Namen Vestra Aras. Dieses gegen-
wärtige Upsal ist bis auf den heutigen Tag der einzige
erzbischöfliche Sitz im Königreiche, nachdem dersel-
be seit dem Jahr 1271 vom alten Upsal hiehev
verlegt worden ist. Ingleichen ist es auch die vor-
nehmste schwedische Universität, der Ort, wo die
Salbung und Krönung der schwedischen J\6nige vor-
genommen wird, der Aufenthalt des Landeshaupt-
manns, und berühmtwegen derdastgen Messen, wel-
che im Winter aus dem Eise gehalten werden. Kost-
bare Gebäude sucht man vergebens, denn außer der
Kathedralkirche und einigen wenigen steinernen Häu-
sern, sind alle andre von Holz und mit Birkenrinden
bedeckt, über welche Rasen gelegt werden. Unter
den drey Kirchen zeichnet sich die Domkirche aus,
die nach manchem erlittenen Brande doch eine der
vornehmsten im Reiche ist. Außerdem gereicht
Upsal noch zur Zierde, die im Jahr 1728 daselbst
ge-
Schweden.
55
Zestiftete königliche kosmographische Gesellschaft, dis
von dem gelehrten Professor AndreasCelsius ange-
legte Sternwarte, der vom Ritter sinne' eingerich-
tete botanische Garten, das kostbare Kunst-und Na-
turalienkabinet, der schöne, von dem Professor Olaf
Rudbeck im Jahr ¡662 angelegte Anatomie-Saal,
die im Jahr 159z daselbst gehaltene Klrcheuver-
sammlung, die schöne Bibliothek, in derman gegen
tausend Handschriften, ohne die große Anzahl Bän-
de, zählet. Ob auch das gegenwärtige Upsal nur
noch der Schatten deö ehemaligen Wohlstandes, und
Von feiner Höhe gesunken ist, so wird sie dennoch auf
den Reichstagen für die zweyte Stadt im Reichs
gehaltem
Ohne dis kleinen Rittergüter oder unbeträcht-
lichen adlichen Höfe zu nennen, zeigen wir vielmehr
die vier Meilen von Upfal gelegenen ältesten, größten
und vornehmsten Eifcngrubcn im ganzen Reich
<an, aus welchen jährlich 40 bis 52202 Fuder ro-
hes Eisen herausgebracht werden; und da wir ver-
fprochner Maaßen noch, einige Nachrichten über das
Bergwesen nachzuholen haben, so glauben wir es an
keinem örf schicklicher abtragen zu können. Schon
ist kürzlich angemerkt worden, daß Schweden an
verschiedenen Erzen, besonders an Eisen und Kupfer,
sehr reich ist. Ehedem war der Bergbau in den
Händen der Geistlichkeit, die sich ansehnliche Reich-
thümer daraus zu verschaffen wußte. Da der Berg-
bau nachher jedem srey stand, auch die Bearbeitung
der Erze noch nicht hinlänglich bekannt war, so hat-
ten sich verschiedene Mißbrauche eingeschlichen, und
um den gänzlichen Verfall zu verhindern, ward end-
lich im Jahr 1480 der Bergbau, vermöge des un-
ter dem Namen der heil. Geistes Beschluß, be-
kannten Receffes, für ein Regal erklärt. Jedoch
D 4 sind
;6 Schweden.
sind nach der Zeit wieder mancherley Verändenm-
g?n vorgenommen worden, und gegenwärtig gehören
die Gruben Pachtern, oder sogenannten Hammer-
herren , die der Krone den zehnten Theil entrichten.
Dieses in Uptand gelegene dannemorische
Bergwerk ward 174s entdeckt, und lieferte gleich da-
mals eine Ausbeute an 2400c Schiffpf. Erz, wel-
ches die lübeckischen Kaustaute, ohne es auf irgend
eine Weife zubereiten zu lassen, gleich ausführten.
Dieses Bergwerk ist ein tiefer Bruch von 60 bis 70
jachtern, und oben ganz offen. Die Wände dieses
Eisenbruches sind stark gefüttert und ausgezimmert;
man bedient sich daselbst der Pferde, die Kübel auf-
und abzuwinden, in welchen die Arbeiter ein-und
ausfahren, und das Eisenerz herausgebracht wird.
Ferner ein Rad von 22 Ellen im Durchmesser
schafft das Waffer unten aus der Grube heraus,
welches hernach in einem 2500 Ellen langen Stollen
absteußt. Alles hier gegrabene Eisen wird alsdann
in Oefen auf sieben Meilen weit herum geschmolzen,
und erfordert, ehe es noch als brauchbares Eisen be-
trachtet werden kann, eine eben so mühsame Arbeit
des Schmiedens, Zu jeder dieser Verrichtungen aber
wird eine große Menge Holz und Kohlen erfordert,
weswegen sie sehr zerstreut aus einander arbeiten
müssen , wenn nicht nahgelegene große Wälder vor-
handen sind, und gemeiniglich wird das Erz erst im
Winter, wo immer sehr gute Schlittenbahn ist,
zu den verschiedenen Oefen geführet. Nach Anga-
be obiger Summe von 400,000 Schiffpf. Eisen,
welche in Schweden jährlich geschmolzen werden,
rechnet man nun auch, daß auf 2 z6oo Menschen da-
bey ihren Unterhalt sinden, entweder mit graben,
schmelzen oder mit schmieden, auch die mit gerechnet,
die alle dahin gehörige Handreichung leisten. Nach
dem
Schweden.
57
dem Bericht der Generalzolldirektion hak alsoSchwe.
den, wenn man das Mittel von «4 Jahren (1754-
1/68) nimmt, jährlich 331869 Schiffpf. Stan-
geneisen rc. aus'geführet, welche derKronezu i^Dal.
Smz. vom Schiffpf. jährlich 414832 Dal. Smz.
eingetragen haben. Das Bergkollegium, das Ei-
sencomtoir und die Bergdeputation der Reichsstan-
de gestehen aber einhellig, daß feit 1768 die Aus-
fuhre des Eisens sehr abgenommen habe, und die
Zollregister bestätigen diesen Verlust, welchen das
russische Eisen, theils wegen der ziemlichen Gleich-
heit der Güte, theils wegen seines Preises, zugesüget
hat. Die verschiedenen Sorten von Eisen, welche
aus Schweden in fremde Lander verführet werden,
sind i) das gestreckte weiße Blech, welches nach
Portugal und England geschickt wird, 2) das ge-
schmiedete weiße Blech, ebendahin 3) eiserne
platten gehen nach Teuschland, Spanien, Eng-
land und Portugal, 4) platte und lange Stan-
gen, 5) kleine viereckte Stangen, diese zwey
Sorten werden vornehmlich nach England verkauft,
6i allerlei) Gerathe und Werkzeuge zur Feld-
arbeit, 7) Nägel von allerlei) Art und Größe, be-
sonders nach Frankreich und Spanien, 8) wann-
faktureisen, so mehr oder weniger bearbeitet wor^
den, 9) kleine und platte Schienen, nach
Teutschland und Spanien, 10) Gtangeneisen,
vorzüglich nach England, Holland und Teutschland,
11) der Ehampelon wird in Frankreich, Teutsch-
land und vornehmlich in England verkauft, 12) Rei-
fen - oder platte gekrümmte Stangen, nach
Spanien und Teutschland, iz) Stahl, cemen-
tirter, 14) Garfvadt Stahl. Seit dem Reichs-
tage 1769 hak das Eisenkomtoir sreye Macht und
Gewalt, alle Maaßregeln zu ergreifen, die cs für
nützlich erachtet; und da der Unterschied der Zeiten
D 5 oft-
Schweden.
58
oftmals erfordert, neue Einrichtungen zu treffen, so
haben die Interessenten beschlossen, alle drei) Jahr
zusammen zu kommen, ihre gemachten Anstalten
zu prüfen, und neue Direktoren zu ernennen.
b) Söder- Södermannland, eine fünf und zwanzig
Mannland, schwedische Meilen lange und Zwölf Meilen breite
Provinz, welche aller Wahrscheinlichkeit nach am
ersten bewohnt und angebauet worden ist. Frucht-
barkeit des Bodens, (der auch nicht unbenutzt liegt,)
häufiges Ackerwerk, viele Wiesen, gute Viehweide,
schöne Waldungen, gute Eifengruben und Hammer-
werke, wie auch fischreiche Seen machen es zu einer
sehr guten Landschaft, der noch dazu die besonders
gute Lage zwischen der offenen See und dem Malar,
in Ansehung des Handels sehr zu Statten kömmt.
Außer den eilf Flüssen, find noch andre große fisch-
reiche Seen, von denen z. B. der Hielmar sieben
Meilen im Umfange, und der Baswen, darinn eini-
ge huiidert Inseln sind. Die Nahrung der Ein-
wohner bestehet in Acker-und Bergbau, in der Jagd
und Fischerey, im Handel mit Getraide, Eisen und
verschiedenen Holzwaaren. Immer haben es die
Großen und die verwittweten Königinnen wegen der
ausnehmenden Anmuth und Friichtbarkeit zu ihrem
Lieblingsaufenthalt und darinn ihr Leibgedinge ge-
wählt. Die Einwohner weichen in sehr geringem.
Grade von der Aussprache und Kleidung ihrer Nach-
barn ab, übrigens hat man darin 1 5 Probsteyen
und zwey Landshaliptmannschaften. Unter die
erheblichsten Oerter rechnet man eine wohlerbaute
Stapelstadt, Namens
Nyköping. N^köpmg, d. h. ein neuer Kaufork, die so-
wohl die vornehmste dieser Provinz, als auch eine
der ältesten Städte im Reiche ist. Sie verdient den
Namen einer guten Stadt mit allem Rechte, nicht
so-
Schweden.
59
sowohl wegen der schönen Lage von Natur, als we-
gen vieler darinn befindlichen Dinge, die nur Vorrech-
te großer Städte sind. So geht zum Beyspiel ein
Fluß mitten durch dieselbe, und theilt sie in zwey
Theile, wo durchaus die Straßen wohl eingerichtet,
und die großen davon nn't Llndenbaumen bepflanzet
sind. Sie hat ferner zwey, Kirchen, einen guten
Hafen, verschiedene Tuch, und Safstanmanusaktu-
ren, und über den Fluß eine steinerne Brücke, der
keine im ganzen Reiche gleich zu achten ist, treibt
guten Handel und ist endlich der Sitz des Landes-
hauptmanns. Unter allen übrigen nennen wir
nur noch
Esküstuna, oder Karl Gustavs Stadt, eine Eskilstuna.
Landstadt, die ihren Namen von dem aus England
hierher gekommenen ersten christlichen Lehrer gleiches
Namens im eilften Jahrhundert erhalten hat, und
wenig interessant seyn würde, wenn sie nicht seit 177z
der König zu einer Freystadt für Fabrikanten in
Eisen, Stahl und Metall erkläret hätte.
Die dritte Landschaft Nerike, welche so viele) Reriks
als Niederreich oder das niedre Land bedeutet, und
sich auf Uppland oder Oberland beziehet, ist zehn
schwedische Meilen lang und achte breit. So vor-
tressiich ihre beschriebene Nachbarinn mit Naturgaben
versorgt ist, so ist es diese doch nicht weniger, und
man findet hier ebenfalls fruchtbaren Boden, gute
Viehweide, Eifengruben, Schwefelkies, Magnet-
steine, Alaun-, Schieferstein-und Kalksteinbrüche,
große Wälder, ansehnliche Berge, sieben unterschie-
dene Flüsse und Seen voll schmackhafter Fische. Hier
wird, nächst dem Ackerbau, Viehzucht, Jagd, Fische-
rey der Bergbau vorzüglich in den Eisenwerken ge-
trieben, an den zum Krieg benöthigten Gerachschaften
ge«
6o Schweden.
gearbeitet, und die Einwohner treiben auch mit Ge»
traide und Eisenwaaren einen ziemlichen Handel.
Oerebro. Oerebro, eine Landstadt, ist der einzige er-
hebliche Ort in dieser Landschaft. Es befindet sich
darinn eine Gewehrsabrik, eine Tapetenmanufaktur,
zwei) Kirchen lind ein Hafen am See Hielmar, aus
welchem mein durch den Fluß und Kanal von Arbo-
ga zum Malar, und vermittelst desselben nach Stock-
holm segeltr kann. Ihr Handel ist ansehnlich und
der Landeshauptmann hat hier seinen Sitz.
¿) West. Der Landschaft Upsal gegen Westen liegt
mannland. )Vestmannland, von woher esauch diesen Namen
erhalten hat. In einem Bezirk von siebzehn Mei-
len in die Lange und vierzehn in die Breite, hat es
alles, was ihr den Namen einer vortrefflichen Land-
schaft nicht streitig machen wird, und vorzüglich
wohl eingerichtete Kupfer-, Stahl - und Meffingham-
merwerke, so wie sie auch den größten Bergwerksdi-
strict im ganzen Reiche hat. Ohne uns bey den un-
bedeutenden mnd - und Bergstadten zli verweilen,
Ealberg. führen wir vielmehr an, daß bey Gaiberg, einer
Bergstadt, die älteste und größte Gilberczrube des
Reiches ist. Dieses Bergwerk war schon im Jahr
i i88 bekannt, und gab das ganze i4teJahrhun-
dert hindureh 24000 Mark Silber, allein es nahm
in der Folge ausnehmend ab, unb im I. 1773
hat es noch eine der reichsten Arbeiten an 18i 7 Mark
geliefert. Die Bearbeitung des hier gefundenen
Silbers geschieht auf folgende Weife: Erstlich pocht
man das Erz, um das bloße Gesteine davon ab-
zusondern, und wascht es hernach auf dem Schlemm-
heerde, über welchen eine Plane von grober Lein-
wand gespannt ist. Diese gereinigte Maste wird in
einem gewölbten Ofen einigermaßen kalcinirt, und
sucht man den Grad des Feuers nur dahin zu brin-
Schweden.
61
gen, diese Masse in einen Klumpen Zu schmelzen,
ohne es fließend zu machen. Hierzu thut man als-
dann 2xotyftein, eine Art Schwefelkies und laßt
sie mit einander schmelzen; welcher Rothstein die
Kraft hat, daö in der Masse enthaltene Silber und
Bley an sich zu nehmen, da hingegen der Schwefel
verraucht. Hat man die Schlacken, welche Eisen
in sich enthalten, weggenommen, so laßt man da6
mit dem Bley vereinigte Silber durch die zu dem
Ende gemachte Oeffnung aus dem Ofen herauösiies-
sen. Diese Maße, so gemeiniglich XVaPbley
genannt wird, muß hieraus in Kuchen zu 8« Mark
in die Münze nach Stockholm geliefert werden.
Ehedem ward dieses Bergwerk auf Kosten der Krone
gebaut; sie trat aber 1682 ihr Eiqenthumörecht ei-
nerin 200 Theile vertheilten Gewerkschaft ab. Ge-
genwärtig wird das Erz auf Kosten dieser Gewerk-
schaft gegraben und geschmelzt, welche auch nach er-
folgtem Verkauf der Silberkuchen, den gewonnenen
jährlichen Ueberschuß unter sich vertheilt/ und die
Krone hat davon ihren Zehnten. Man hat noch
verschiedene Silberbergwerke in Schweden, die aber
bis itzt vorr keinem erheblichen Ertrag sind, und die
wir an jedem Orte nennen werden.
Das schwedische Thailand, welches seinen e) Dalarne-
Namen von den vielen darinnen bestndlichen Thalern
hat, erstreckt sich aus 40 Meißen in die Lange und
26 in die Breite. Wegen der Berge kann der
Boden nicht durchgängig zum Ackerbau angewendet
werden, indessen ist daö ganze Land fast überall mit
Waldungen, Aeckern, Heiden, Seen und Strö-
men durchschnitten, und hat einen reichen Vorrath
an Bergwerken, als an Silber-, Kupfer-, Eisen-,
Schleif und Mühlsteinen. Seine vortreffliche Vieh-
weiden machen einen ansehnlichen Vortheil der Ei».
wohner
62
Schweden.
Ivohner aus, auch find hier Elennthiere vorhanden»
Die Bewäfferung des Landes kömmt nächst andern
Flüssen, besonders von der Dal - Elbe, welche auf
den norwegischen Gebirgen entspringt, sich in zwey
Flüsse theilet, und das Land durchlauft.
Die Einwohner, so nur unter dem Namen
Dhalkerl bekannt sind, und in der schwedischen Ge-
schichte wieder Vorkommen, haben sich besonders
durch kriegerische Hitze und durch Tapferkeit berühmt
gemacht, wiewohl ihnen auch niemand Aufrichtigkeit,
Treue gegen «ihren König und das Vaterland ab-
sprechen kann, und wenn ihnen auch alle diese Ver-
dienste abgiengen, so fehlt ihnen doch das gewiß nicht,
sich die Kunst zn erwerben, mit allem zufrieden zu
seyn, welches für sie, an solchen bergichten Orten,
sreylich eine der nöthigsten Tugenden wird. In man-
chen Kirchspielen suchen sie, so gut sie können, alle
nöthige Handwerke nachznmachen; an andern Orten
arbeiten sie in Teichen, Jäten, Zimmern, Dre-
schen, Mauern rc., und treiben Handel mit Ge-
säßen, Birkenrinden, Hopsen, Schleifsteinen, Kalk,
Sensen, Aexten und andern Eifenwaaren. Dieje-
nigen, so in dem obern Theile des Landes wohnen,
haben ihre besondere Mundart, die den Plattteutschen
viel eher verständlich ist, als den Schweden, und
behalten noch stets die Sitten und Kleidung der al-
ten Schweden bey, so wie sie zur Vertheidigung der
Freyheikihres Vaterlandes die beherztesten sind, und
die häufigsten Proben davon abgelegt haben. Da
sie in allen den Künsten, welche das Leben angenehm
machen, unwissend sind, und die Beschaffenheit
ihres Bodens ihnen auch manches Hinderniß in den
Weg gelegt, so legen sie sich meist auf den Bergbau-
Edel und romantisch in ihren unerlernten Begriffen
von Ehre, begabt mit dem unternehmenden Geist,
Schweden. 6;
der gemeiniglich mit tapfer« Muth begleitet ist, wa-
ren sie willig Strome Bluts für die Ruhe ihres Va-
terlandes zu vergieße»,; allein djefe Tugenden beglei-
tete auch von jeher ihre gewöhnliche Gefährtin« die
Leichtgläubigkeit, weswegen ihre besten Absichten
nicht immer andrer Absichten entsprachen, und
man oft ganz unrechtmäßig die Dalbauern für
die unruhigsten unter allen Schweden gehalten hat«.
Wir bemerke», unter den verschiedenen kleinen Gemei-
ne», und Landstädten vorzüglich wieder wegen ihrer
Naturprodukte, die Bergstadt Zaiun nicht sowohl Falrm»
als eine ansehnliche Stadt berühmt, obgleich gegen
12 50 Wohnplätze und an 7000 Einwohner darinn
anzutreffen sind, sondern wegen der an der östlichen
Seite gelegenen ansehnlichen und uralten Frosten
AupferFrube. Seitdem sechszehnten Jahrhundert
hat die Regierung inehr, als sonst geschehen war, die
Nationzum Bergbau zu ermuntern gesucht, und be-
sonders den Bergwerken bey Falun allerle») Freyhei-
ten, sogar das Fre^ftaccsrechl. für geringere Ver-
brechen ertheilet. Hier sind besonders zwey große
trichterförmige Höhlungen oder Einfahrten, eine bey
der großen Grube, die andre bey der Grube Louifa
Ulrika, welche erste 5 z Lachtern in senkrechter Linie
lief ist, und dlirch diese fährt man in die Grube ein,
die größte Tiefe, wohin »van bis 1768 gekommen
ist, beläuft sich auf 1 70 Lachtern. Schön und künst-
lich sind die ^umpeNFerüjte, um das Master aus
den Gebäuden zu heben; unter de», verschiedenen
Rädern besindet sich besonders eines von einer ganz
außerordentlichen Größe, es hak 24 Ellen im Durch-
messer, und wird von dein, aus einem hinter dem
Berge besindlichen großen See, geleiteten Wasser ge-
trieben. Dieses große Rad dient zugleich die mit
Erze angefüllte»» Kübel in die Höhe zu heben, weiche
«n den unter der Erde übereck angebrachten Pumpen
befe»
64 Schweden.
befestiget sind, um das der Grubenarbeit hinderliche
Wasser heraus zu ziehen, und dieses nämliche Was-
ser, welches dieses große Rad treibet, wird tiefer
hinunter nochmals zu einem ähnlichen Gebrauche ge-
nützet. In der Grube selbst sind übrigens sogar
Stallungen für die Pferde, welche daselbst zu ver-
schiedenen Arbeiten gebraucht werden.
Diese Kupferwerke werden ebenfalls von einer
Gewerkschaft gebauet. Die Ausbeute ist nicht im-
mer gleich ansehnlich und der öffentliche Verkauf ge-
schieht zu Falun wöchentlich viermal. In diesem
einzigen Bergwerke arbeiten öfters gegen 120®
Bergleute und bereiten das Erz auf folgende Weise.
Das reine Kupfer kann vermittelst des Schmelzens,
erst nach vier oder fünf Monaten, aus dem Erz her-
ausgebracht werden; die erste Schmelzung dauert
drey Wochen und liefert einen Scheerstein, welcher
gegen zehn Procent Kupfer, und folglich noch immer
eine sehr große Menge fremder Materie enthalt. Die
zweyte Schmelzung gefchiehet zwischen zwep von Zie-
geln aufgeführten Mauern, unter einem mit einer
großen Esse versehenen Dache. Die in den falunischen
Bergwerken jährlich gegrabenen 40 bis 46000
Schiffpfund Kupfer werden in mehr als fünfzig nahe
herum liegenden Orten geschmolzen, wobey viel Vor-
sicht angewandt werden muß. Die mittelst derCal-
cinirung des sogenannten Scheersteinö erlangte
Masse wird hierauf in eben denselben Ofen gethan,
und nach einem fünf bis sechs Wochen langen
Schmelzen bekömmt man endlich das 2voh.oder
Gchwarzkttpfer; alsdann ist erst das Metall der-
gestalt koncentriret, daß im Garofen bey seiner
Abtreibung, als der letztern Arbeit, von i oo Schiff-
pfund Rohkupfer nur noch zwölf Schiffpfund abge-
hen. Der Garofeir ist an manchen Orten eine
bloße
Schweden.
6;
bloße Mauer, durch welche man ein Loch gemacht
hat, um die Mündung des vom Wasser getriebenen
Blasebalgs hinein zu stecken. Vor dieser Mauer be-
findet sich eine Grube, auf welche das Kupfer stück-
weise gelegt und niit Kohlen bedeckt wird. Die Hef-
tigkeit der Flamme schmelzt das Metall; sind die
Schlacken weggeraumt, so kann das Kupfer in Blat-
tern herausgenommen werden, wovon das unterste
Regulus genannt wird, und Gold bey sich führen
soll. Das bey dem Feinmachen mit dem Rauche
aufgefloFene Rupfer, hangt sich oben an den
Essendcckel und wird als ein roches Pulver aufge-
sammlet. Auch die Schlacken enthalten noch Ku-
pfer, daher werden sie auf der Stampsmühle zer-
schlagen, und, was gut scheint, in dem Schmelzofen
auf die vorhin angezeigte Art geschmolzen. Zu
Afwestad, ebenfalls hier an der Dal-Elbe, ist auch
ein Kupferwerk, nur nicht von reicher Ausbeute.
DerzweyteHaupttheildesKönigsreichsSchwe- n. Das ge-
ben den wir uns nähern, ist das gorhische Reich, thische Reich,
auch Göthland genannt. Seine Granzen sind zu-
förderst gegen Osten und Süden, die Ostsee; gegen
Westen, der Öresund, die Nordsee und Norwegen,
und gegen Norden, das eigentliche Schweden.
Hauptvorzüge dieses Landes sind die ausnehmende
Fruchtbarkeit, wie denn hier das meiste Getraivc im
Reich wachset, ingleichen fischreiche Seen und Strö-
me, ansehnliche Wälder, Gruben und Bergwerke»
und in allem acht und vierzig Städte. Dieses czo-
thische Reich, von dem vor Alters, wo nicht ganz
Schweden, doch der größte Theil dieses Reichs sei-
nen Namen führte, stellt heutiges Tages nur noch
eine Provinz vor, die den südlichsten Theil des Kö-
nigreiches ausmacht. Es wird in mehrere Provin-
zen eingetheilet, die, nach Verschiedenheit ihrer Lage,
n Land, ii 2lb>ch. E ihnen
66 Schweden.
ihre verschiedenen Benennungen haben; z. B. Ost-
Gothland, West - Gothland und Süd-Gothland,
welche wiederum zu noch mehrern Abtheilungen An.
laß gegeben, als da sind: Daland, Wärmeland,
Smäland, die Insel Gottland, Skäne oder Scho-
nen, Blekingen, Halland u. a. m.
Das Wapen ist ein über drey Ströme einher,
gehender Löwe im himmelblauen Felde; welches die
Gothen vermutlich zu einem Zeichen ihres uner-
fchrockenenHeldenmutheS, und ihrer in den dreyErd-
theilen siegenden Waffen, angenommen haben. Ein
Theil von ihnen, der sich Vst-Gothen nannte,
ließ sich endlich in Italien nieder, so wie der andre,
der sich West-Gothen nannte, in Spanien blieb.
Unzählbare Völkerschaften schlugen sich zu ihrem
Gefolge, und für den Namen ihrer Helden zitterte
jede Provinz. Gleichsam als ob nur das ihre Be-
fkimung fey Welten zu erschüttern, und Schrecknisse
um sich her zu verbreiten, wich ihren siegenden Waf-
fen, und ihren kühnen Schritten jedes Land zur
Rechten und Linkern Selbst das stolze Rom mußte
diesen stärkern Gebietern, Abgeordnete vor ihre Tho-
re schicken und Friedenävorfchläge thun; und dann,
als der stolze Heerführer Alarich verlangte, man
sollte ihm alles Geld, alles Silber, alle Mobilien
unb alle Sklaven überliefern; auf die Frage: „was
afollen denn die Römer behalten?« mit der küh-
nen Antwort: »das Leben« zufrieden feyn. In
den ältesten Zeiten hatte Gokhland feine besondere
Könige, als aber i ig2 der ostgothifche König
Suercher für einen König der Schweden und
Gothen erklärt ward, so wurden diese bcyden Reiche
mit einander verbunden.
tO OstrGoth, Ost-Gokhland ist fechszehn Meilen lang und
. and. fünfzehn Meilen breit; dabet) bringt der ebene Theit
Weizen,
Schweden. 67
Weizen, Roggen, Geeste, Hafte, Erbsen u. s. w.
in sehr großer Menge hervor, so daß es den benach-
barten Provinzen sattsam aushelftn kann. Es ent-
halt treffliche Wiesen und Garten, Viehweiden, fisch-
reiche Seen und Ströme, gute Wälder, ergiebige
Eisengruben und andre Bergwerke, zwey Mesfing-
hammer und andre Manufakturen; daher fich die
Einwohner, deren Anzahl sich aus 130,000 belauft,
meist in guten Umstanden befinden. Auch findet
man spanische Schaase von der besten Art und bey
Sarstedt hat man angorische Ziegen. Auch Natur-
seltenheiten sind in dieser Landschaft zu finden, als z.
B. im Walde Kalmarden wird Marmor, und ein
röthlicher Violstein, der einen angenehmen Geruch
hat, gegraben. Am Strande des Wettersees findet
man Agathe, Karneole, Rlappersteine *) und
andre versteinerte Sachen. Unter den drey und
zwanzig fischreichen Seen zeichnet sich besonders der
iVetter in einer Lange von fünfzehn und dritte-
halb Meilen tu der Breite aus, in welchen einige
Inseln liegen, und in den noch vierzig kleine Flüsse
sich ergießen. Unter den Flüssen, so den Namen gros-
ser Ströme verdienen, bemerkt man i) den N7o-
rala, der siebzehn kleinere Flüsse aufnimmt. Er
kömmt aus dem Wettersee, und geht durch das gan-
ze Land, bis er sich in die Ostsee ergießet. Bey
Norköping macht er einen Wasserfall auf sechszehn
Faden hoch, und bisweilen steht er ganz stille. Der
2) ist Slang, welcher durch seinen Lauf das Land
E 2 in
*) Der Aberglaube legte sonst diesen, wie vielen an.
dern Steinen, eine besondere Kraft bey, nämlich der
Adler könnte ohne diesen Klapperstein seine Jungen
nicht ausbrüten. Er klappert wenn er geruLlelt
wird, ist von verschiedncr Farbe und Gestalt, mei-
stens eisenartig, und nichts als eine Smnvcr-
hartung.
Nordko'ping.
Linköping.
Smäland.
68 Schweden.
in den östlichen und westlichen Theil abtheilet. Der
z) Schwarzaue, in welchem eine Perlensischerey
ist, der 4) 2xäresbrc> und der 5) Gkena. In
Ansehung des Kirchenstaats, bestehet Ost-Gothland
aus einem Bisthum, welches das Stift Linköping
heißt und das zweyte in der Ordnung ist, dazu wer;,
den zwey und zwanzig Probsteyen gerechnet. Seine
übrige C'intheilung besteht aus ein und zwanzig Hä-
rader, welche zur Landshauptmannschaft genannten
Stiftes gehören, siebzehn liegen in Osten und Nor-
den, und werden unter dem Namen von LinköpingS-
Lehn begriffen, vier liegen in Westen, und machen
das Wadstena-Lchn aus. ,Im dem ersten liegt eine
der besten Städte im Reiche, Namens
L^ordköping, eine Stapelstadt am Mótala,
fluß, sie hat fünf Kirchen, einen wohleingerichteten
Werft, zwey Kupferhammer, ein Meffmghammer.
werk und treibt ansehnlichen Handel.
Linköping, eine sehr alte Landstadt am Flus-
se Stang, eine der ältesten Städte in Schweden
und vor Alters ein Gerichts, und Ossferplatz.
Die zweyte Landschaft im gothifchen Reich,
Sniälattd, welches in alten Zeiten auch feinen eig.
nen König hatte, erstreckt sich auf zwanzig Meilen
in die Lange und Zwölf in die Breite. Seinen Na-
men soll es daher leiten, weil es in uralten Zeiten
fast nirgends eben, sondern die Einwohner genothi-
get waren, zwischen den engen Bergen ihre Aecker
zu bebauen. Bergigt ist eö auch noch, aber nichts
destoweniger fruchtbar und reich an guter Viehweide,
so wie an Wäldern. Es giebk hier Kupfer. Silber-
und Eifengruben, wie auch Hütten- und Hammer-
werke, ingleichen den fast wie ein Kegel gestalteten
Hundsberg, auf dem man eine Fläche von acht Meil-
weges
Schweden. 69
weges übersehen kann. DerEinwohnerNahrung be-
steht meist im Handel mit Bretern, Balken, Mastbau-
men, Getreide, Eisen, Fischen u.dgl. Obschon einund
zwanzig Landseen und zehn Flüsse darinn vorhanden
sind, so sind doch die ersten nicht erheblich und von
den letztem gedenken wir die Em-A, in welcher
Lachse und Welse gefangen werden, ferner Nissa,
La^a u. s. w. Smaland bestehet übrigens aus
zwey Bisthümern und enthalt zwölf Pr obsieyen; in
Ansehung der politischen Eintheilung besteht es aus
drey Landeshauptmannschaften, die zusammen vier
und zwanzig Harader auömachen. In der ersten
Landeshauptmannschaft nennen wir die Stadt glei-
ches Namens
Ralmar, welche bey einem guten Hafen am Kalmar.
Rande der See, der Insel Oeland gegenüber liegt,
die Hauptstadt von Smaland und eine der angese-
hensten Städte in Schweden ist. Vor Alters stand
sie auf einem andern PlaHe, nachdem sie aber eine
Feuersbrunst verzehrt hatte, ließ sie die Königinn
Christina ohnweit dem alten Platz auf der Insel
Ouarnholm wieder aufbauen, um den Schiffen ei-
nen desto bequemem Landungsort zu verschaffen. Die
für Schweden so interessante kulinarische Union,
wo die Königinn Margaretha die drey nordischen
Kronen vereinigte, ward hier zu Kalmar vollzogen,
und deswegen ist der Ort mehr als irgend einer an-
dern Absicht wegen berühmt.
Iönköping, eine alte Stapelstadt, auf einer Zönköping.
Halbinsel gelegen, die wir nur deswegen anführen,
weil in hiesiger Gegend eine desondre Art Fischfang
gebräuchlich ist, nämlich der Fang mit Fischottern,
der jedoch in Schweden auch an andern Orten nicht
unbekannt ist. Man sucht dieses Thier nachdem
man es mit wiederholter Mühe seiner Speise ent.
E 3 wohnt
7© Schweden.
wohnt hat, zum willigen Gehorsam zu bringen, um
hingeworfene todte Fische aus dem Wasser zurück zu
bringen, und feinem Herrn vor die Füße zu legen.
Hat man diesen Versuch ebenfalls lange genug ange-
stellt, so bringt man es endlich mit ihnen dahin, daß
sie aus den Befehl des Herrn, mit der außerordent-
lichsten Schnelligkeit, lebendige Fische aus dem Was-
ser holen und uubeschadrget abgeben, ob es gleich
ein Raubthier ist und eigentlich von Fischen lebet.
Oeland. Die E>eland hat außer ihrer angeneh-
men Lage und Fruchtbarkeit nicht viel erhebliches, ob
sie schon vierzehn Meilen lang und über eine Meile
frrtf, au6) in den nördlichen und südlichen Thcil ein-
getheilet ist. Sie liegt in der Ostsee, und hat einen
ausnehmend guten Vorrath an Butter, Honig,
Wachs und Nüssen. Die Einwohner, deren Anzahl
man auf 7000 rechnet, nähren sich mchrentheils
vom Ackerbau, Viehzucht, Jagd, Seehundfang,
auch an einigen Oeten vom Handel und der Seefahrt.
Sie ist den Matrosen der Krone zum Aufenthalt an-
gewiesen, und die vier Probsteyen, in welche sie ver-
theilet ist, stehen unter dem kalmarschen Stifte.
Gochland. (Aothland ebenfalls eine Insel in der Ostsee,
welche achtzehn Meilen lang und fünf bis sechs breit
ist, hatte auch ehedem ihre eignen Könige; itzt aber
steht sie unter dem stockholmischen Hofgerichte, und
hat ihren Namen, wie man sagt, daher, daß sich die
Gothen ehemals, bey ihren Seeräuberzügen, den
Winter über auf dieser Insel in Sicherheit begaben.
Was die Fruchtbarkeit des Bodens anbetrifft, so ist
diese sehr gut, auch hat sie ansehnliche Viehweide,
gute Eichen - und Fichtenwälder, reichhaltigen Fisch-
fang und Steinbrüche, eine gute Schafzucht und
Wild. Der Einwohner Nahrung besteht daher in
Benutzung ihrer Naturprodukte, und an ihren Sit-
ten
Schweden. 71
teil und Gebrauchen wird man noch immer die aste
nordische Simplicitat gewahr. Der gothlandische
Bauer verkauft nie etwas an die Stadtleute, ja er
vertauscht auch sogar nichts an sie. Kömmt er aber
in die Stadt, so versorgt ihn der Bürger mit dem,
was er bedarf, giebt ihm das Nöthige zu Bezahlung
seiner Steuern, und verschafft ihm die Maaren und -
Güter, an denen er Manges leidet. Der Land-
mann hingegen giebt seiner SeitS dem Bürger den
Ertrag von seiner Arbeit ohne Rückhalt in die Hän-
de; kurz, sie streiten sich niemals über den Preis
der Sachen, sondern handeln stets nach natürlicher
Billigkeit. Um Gothland herum liegen über zwan-
zig kleine und große Inseln, und unter den verschie-
denen königlichen Hafen und Inseln bemerken wir
nur die Stadt
wisby, so vor Atters zu dem hanseatischen
Bunde gehörte und der beträchtlichste Ort der ganzen
Insel ist.
Da Wester. Gothland bey einer Größe von k) Westen
zwanzig bis zwey und zwanzig Meilen in die Lange, Gothland.
und sechszehn in die Breite, alles Vorteilhafte in
Natur und Kunstfleiß mit den vorigen Landschaf-
ten gemein hat, eben desselben Ursprunges ist, die-
selben Dinge hervorbringt und die Einwohner sich eben-
falls dieser Produkte nähren; so gedenken wir nur
vorzüglich unter den vielen Flüssen der gothischeir
Elbe, welche aus dem Wenerfee kömmt, und bey
Gothenburg in die Nordsee fallt. Sieben Meilen
vor ihrem Auslauf in die offne See giebt sie noch eins
der prächtigsten Schauspiele, indem sie einen gros-
sen, hohen und erstaunungswürdigen Wasserfall zwi-
schen zwey Klippen, der eigentlich Trolhatta genannt
wird, auf dreyfache Weise bildet, wovon ' ein
jeder fast fünf Faden hoch ist, und die zusammen
E 4 eine
72 Schweden.
?me längs von dreihundert Ellen ausmachen. Dreß-
seits eine halbe Meile bildet er noch einmal einen
Wasserfall, und zwey Meilen, weiter hinunter noch
einen dritten, bey' welcher« die vorbeyfahrenden Boo-
te durch drey Schleusen gehen.
Gothenburg. Gochenbury ist nicht nur ein bischöflicher
Sitz, sondern auch Machst Stockholm der wichtig-
ste und größte Handelsplatz in ganz Schweden, und
die Hauptstadt von der Landshauptmannschaft des
gothenburgischen und bahuflschen Lehns, einer Pro-
vinz, die wir weiter unten finden werden. Sie liegt
dicht an der See bey der Mündung der gothischen
Elbe und durch die Stadt selbst ist der Mölndals-
Strom, welcher nahe an ihr vorbeylaust, mittelst
einiger Kanäle mitten und quer durch geleitet. Ihre
regelmäßigen Festungswerke, die Citadelle an der
Landseue, der Hafen, die Fortifikationsbrigade, die
Estadre, die beständige Besatzung, die Kanäle-
Manufakturen, die Handlungskompagien, die Zoll-
' s' Häuser, die Gerichtshöfe, die Admiralität, die Buch-
druckerey, reniiiche, gerade und mit lauter aus
Steinen erbauten Hausern besetzte Straßen, eine
Menge von iooco Einwohnern; das alles ver-
spricht soglich beym ersten Anblick eine gute und wich-
tige Stadt, zumal häufige Feuersbrünste immer nur
Anlaß zur Verschönerung gegeben haben. Auf der
Brücke find die vier Theile der Welt abgebildet,
um ein Sinnbild darzustellen, daß hier alle Natio-
nen srey und ungehindert handeln können. Auch ist
der Hafen so geräumig, daß er ganz bequein fünf-
zehn Linienschiffe fassen kann; jedoch sagt man, er
werde von Zeit zu Zeit seichter.
Wärmeland. In einem halben Zirkel in Norden um den
Wener liegt U)armeland, fünf und dreyßig Mei-
len lang, vier und zwanzig breit, und hat seinen
Namen
Schweden. 73
Ramm von dem Wotts Ware t>. i. schützen, weil
bie Einwohner das Land, welches an der norwegi-
schen Granze liegt, vor feindlichem 2tnfall beschuht
haben. Ebedem war e6 ebenfalls ein eignes König-
reich» Es ist durchgängig bergigt, jedoch in Anse-
hung seiner Beschaffenheit sehr ungleich; denn der
östliche und südliche Theil ist ebener und fruchtbarer
als der westliche und nördliche, in welchem hingegen
die Wälder und der Bergbau mehrere Nahrungsmit-
tel an die Hand geben, und es befinden sich auch ei-
nige gute Eisengruben, Silber. Bley- und Kupfer-
gruben darinnen.
Aarlstadc, LhrLstLnehamm und Philip-
stadt, sind die beträchtlichsten Orte, deren Einwoh-
ner sich meist vom Bergbau und Handel nähren.
Das westIochische Thal-Land, welches
seinen Namen von den vielen Thatern empfangen
hat, erstreckt sich zehn Meilen in die Lange und fünf
in die Breite. Die Einwohner nähren sich vom
Ackerbau, Viehzucht, Schaferey, Fischerey, We-
'verarbeit und Bergbau, ingleichen vom Handel mit
Masibaumen, Vieh u. dgl.
Das Bahus-Lehn hat feinen Namen von
dem darinn gelegenen Schloß Bahus, weil im norwe-
gischen Bay das Wort groß und prächtig und ^us
Haus ausdrücket, gemeiniglich wird es auch
die TVike genannt. Es ist siebzehn Meilen lang
und in einigen Gegenden sieben Meilen breit, über-
haupt aber fruchtbar an Aeckern, Waldung, Wiesen,
Seen und Strömen. In den Schären sind Salz-
werke angelegt, in welchen aus dem Seewaffer Salz
gezogen wird. Dieses Land hat in den ältesten Zei-
ten znm schwedischen Reich gehört, an welches eS
auch 65 s durch den rofchildischen Frieden von Dä-
nemark wieder abgetreten worden.
E 5 Da§
74
Schweden.
c)Süd,Golh' Das südliche (Aothland besteht eigentlich
land. aus drey Landschaften, Skane, Mailand und Ble^
kingen/ welche in den ältesten Zeiten stets vielen Ab«
Wechselungen unterworfen gewesen sind, und bald
unter dänischer bald unter schwedischer Herrschaft
standen, bis sie Karl Gustav 1658 tm roschildrschen
Frieden ans immer mit Schweden vereinigte. Die
erste Landschaft,
Skana oder Schonen, liegt nahe bey Däne-
mark, und ist unter den schwedischen Landschaften
eine der angenehmsten. Sie bringt alles hervor, was
die Einwohner bedürfen, und der Fleiß der Bewoh-
ner genießt dafür alle Vortheile. Die Sädte Mal-
mö, Lund und Landskrona sind die ansehnlich-
sten, und die letztere, besonders wegen der bey ihr
vorgefallenen Schlacht zwischen Schweden und
Dänemark im Jahr 1675, und des daraus erfolg-
ten Friedens, berühmt. Mailand oder Hochland und
Blekingen sind einander sowohl an Größe als Na«
kurgaben fast gleich, ihre Städte wenig erheblich,
und verdienen daher keine weitläuftige Beschrei-
bung. In der ^tern bemerken wir nur
Larlskrona. Besonders sehenswürdig ist,
hier die sogenannte Docke, ein in den Berg
«usgehölter Platz, welcher auf etliche hundert
Fuß in der Lange und etliche achtzig in der
Tiefe hat, und den man zum Kalfatern beschädigter
Schiffe brauchet. Die Absicht dieses Werkes geht
dahin, daß die Fahrzeuge da einlaufen, und nach
Verschließung zweyer Pforten, binnen weniger als
vier und zwanzig Stunden, alles Wassers entledigt
werden, damit der Boden trocken und zur Arbeit ge-
schickt ist. Sobald es wieder in See gehen soll, f-
läßt man wiederum durch ein PaarOeffnungen Was-
ser ein, die in dm Pforten angebracht sind, und vor
welche
Schweden.
welche eine Maschine gesetzt wird, die die Fluch
abhalt, daß sie nicht mit zu großer Gewalt anschla-
gen kann.
Der dritte Haupttheil der Krone Schweden ist Nord,
L77ordland, und ohnsireitig so benennt worden, weil
es in Ansehung des eigentlichen Schwedens gegen
Nordeil liegt. Unter diesem Nordlande werden sie-
ben Landschaften begriffen, die wir nur in Ansehung
ihrer natürlichen Lage und Güte anzeigen müssen, d«
wenig oder gar keine Städte darinn befindlich sind,
die einer besondern Aufmerksamkeit verdienten.
Im Allgemeinen genommen ist U7ordland
zur Saat wenig bequem, weil es meist mit Bergen
und Klippen angefüllt ist, zwischen denen jedoch auch
gute Triften anzutreffen sind. Auch sind, nebst fischrei-
chen Flüssen, gute Gruben - und Hammerwerke, auch
ansehnliche Wälder vorhanden. Die erste Land-
schaft ist Gastrikland oder Gastfrey, e6 ist neun
Meilen lang und sechse breit, auch an natürlicher La-
ge und Erzeugnissen, der allgemeinen Beschreibung
vollkommen gleich. In ihr liegt die größte, aber
eben nicht merkwürdie Stape.cadt Geste ge-
nannt. Die zweyte ist ^elstngland, schon mehr
zum Ackerbau geschickt als die vorige, und die Ein-
wohner treiben auch einen ziemlichen Handel mit Ei-
sen, Flachs, Leinwand, Butter, Talch, Bretern
und Federwildpret. Die dritte ist Herjedalen und
ganz der Landschaft Gastfrei gleich. Die vierte ist
Medelpad und der Landschaft Helsingland ähnlich;
die fünfte ist Iamtland, allwo sich auch Lappen auf-
halten, die weiter unten beschrieben werden; sie ist nur
darinn von den übrigen verschieden, daß der westli-
che Theil fast lauter Berge und Hügel enthalt, und
der östliche Theil hingegen zum Ackerbau und Vieh-
zucht ist. Die sechste ist Angermamiland, wel-
7 6 Schweden.
ches, ob es gleich sehr bergigt ist, doch gute Wei-
den und Ackerland hat. Der hier befindliche Fluß
gleiches Namens ist einer mit von bei? größten im
ganzen Reiche. Die letzte ist LVester<Dc>ccn, wel-
che hoch hinauf in Norden an beyden Seiten deö
bottnischen Meerbusens liegt. Die natürlichen Er-
zeigniffe find vorzüglich gut, und die Einwohner be-
sonders glücklich, daß sie wenig unnöthrge Bedürfnisse
fühlen.
IV. Lappland. Die Lappen bewohnen die Landecke, welche
über dem bottnischen Meerbusen in Norden zwischen
daö westliche Nordmeer und östliche weiße See
schießt. Es treffen sich in demselben die norwegi-
schen, schwedischen und russischen Grenzen so, daß
das schwedische Lappland oder die Lappmarken
den südlichen größten Theil, daö russische Lappland
den östlichen, das dänische aber den kleinern Theil
Theil an der Nordsee des hohen Gebirges ausmacht.
Das Gebirge und Klima sind zu rauh und die Le-
bensart der Lappen zu hart, als daß das Volk nach
dem Verhaltniß der Größe seines Landes zahlreich
seyn könnte, und ob auch das schwedisch Lappland
viel größer und ein milderes Klima als die andern
hat, so ist es doch eben so gering bevölkert.
Hatten sich nicht die Bewohner eines so ungün-
stigen Himmelsstriches gegen alles Gefühl von
Weichlichkeit abgehärtet, so würde es räthselhaft
scheinen, wie Menschen einem so öden, schauderhas,
ten, undankbaren Erdstrich langer stöhnen, und ihn
nicht lieber mit mildern und günstiger» Gegenden
vertauschten. An den meisten Orten deckt ein ewi-
ger Schnee die in Wolken versteckten Bergspitzen,
und auf der Ebene sieht das Auge an andern Stel-
len weiter nichts als viele Meilen weit sumpfigteMo-
räste, die nur mit halb ausgewachsenen Strauchern
Schweden. 77
oder Büschen bewachsen sind. Dürre Sandfelder,
kahle , leere Wiesen, nur von unnützem und wildem
Moos bedeckt, verscheuchen ganz das Lachende in der
Natur, lind noch einmal wiederholen wir es, alle feinem
Gefühle müssen bey dem bis zu ihrer Quelle verstopft
feyn, der eine solche Gegend, sey sie auch sein Va-
terland, lieben kann. Nicht genug, daß alle Gü-
ter des Lebens für diefen Punkt Erde verschlossen zu
feyn scheinen, nicht genug, daß weder Reize der Na-
tur nöch Reize der Kunst hier anzutreffen sind; die
langen, kalten und finstern Winternachte, der un-
geheure Schnee, schreckt besonders noch alles was
einen lebendigen Odem hat, von diesem grausamen
Aufenthalt ab; und sangt alsdann ja auch die Sonne
an, einen wohlthatigen Strahl auf sie zu werfen, so
ist er doch eben so fruchtlos, indem sie sich im Som-
mer ebenfalls wieder zu einer abscheulichen Hitze ver-
mehrt, die niemanden wohlthatiger zu seyn scheint,
als einem entsetzlichen Heer von Mücken, die dann
oft dem Einwohner nur Schatten geben, wenn sie
sich in dicken die Sonne verfinsternden Heeren auf-
schwingen. Und doch findet man bey dem allem in
näherer Untersuchung, daß viele Züge dieses allge-
meinen Gemäldes lange nicht so schauderhast sind,
und daß selbst dieser unfruchtbare Boden, gar bald
willig seyn würde, tragbar zu werden wenn ihn
nur Menschenhände und Menschenwirksamkeit dazu
umschaffen wollten.
Im Thierreiche hat es fast Ueberstuß, als z.B.
an Vögeln, Fischen, Baren, Wölfen, Bibern,
Ottern, Mardern, Elennthieren, wilden und zah-
men Rennthieren, Vielfraßen, Hermelinen, Ha-
sen, Füchsen, Auerhahnen, Schneevögeln, Falken
und anderen Arten von großen und kleinen Thieren.
Um zu beweisen, daß die Lappen nicht im geringsten
Schweden.
78
Noch leiden, wie wir mehr an Sittlichkeit gewöhnte
Europäer dafür halten, so dürfen wir nur mit einem
Blick auf die natürlichen Produkte ihres Landes, und
auf die Art und Weife sich ihrer zu bedienen, auf.
merksam werden, und wir werden sinden, daß jene
Wahrheit bey ihnen am sichtbarsten wird, daß wir
da am ärmsten sind, wenn wir am meisten Bedürft
niste fühlen. Von der Fischerei) z. B. haben nicht
allein viele ihre reichliche Nahrung, sondern sie kön-
nen auch bey gutem und fleißigem Fange Auslän-
dern davon ablasten. Ihre Perlen, welche in
den Flüssen gefunden werden, sind vorzüglich schätz-
bar, und bringen ihnen viel ein. Sie haben keine
Obstgärten, aber verschiedene ansehnliche Fichten-
wälder und in den Thälern hin und wieder Holzun-
gen, ja sie sinden so wenig Unterschied sich vom Brod
au6 zerstoßener Baümrinde zu sättigen, daß weder
ihre Kräfte dadurch geschwächt werden, noch ihre
Wünsche weiter gehen. Ihre Berge würden bey
genauerer Untersuchung eben so viel Schatze liefern
<rls andere, wenn sie nicht die Kunst besaßen ihrer
entbehren zu können. Ihre kurzen, kalten Winter,
tage, sind für unö eine traurige Zeit, aber für sie
sind sie es nicht; das prächtige Nordlicht, der Mond,
der blendende Schnee, gewährt ihnen völligen Ersatz,
und so folgen sie nur dem Winke der Natur, indem
sie die dunkelsten Stunden zum Schlaftund die hellen
zur Arbeit anwenden,wobey sie im mindesten nichts ver-
Iteren, Fallt ja zu viel Schnee, so unterbleiben ihre
Reisen, und müssen sie fort, so wissen sie sich durch
künstliche Schuhe und warme Bedeckung zu sichern,
daß selten Beyspiele von Unglück verkommen.
Man glaubt immer, ein Volk könne nickt leben,
wenn es nicht Ackerbau, Handwerke, Künste, Hau-
ftr und Güter besitze, und von diesem allen zeigen die
Lappen
Schweden.
79
Lappen das Gegentheil; sie leben von deraltestenund
einfachsten Art, nämlich der Viehzucht, und zwar
fast nur von einer einzigen Art Thiere, die ihnen die
Vorsicht so weislich mittheilet, nämlich vom Renn-
thier. Dieses Thier macht seinen Herren die we-
nigste Mühe und gewährt ihnen doch den größten
Nutzen, denn des Sommers lebt es von Moos, Laub
und Gras, des Winters aber von einer andern Art
Moos, welches sie sich selbst mit den Füßen aus dem
Schnee graben, und genau dabey wissen, wo sie es
finden oder nicht. Sie bedürfen keiner Stalle, son-
dern nur einiger Aussicht, um nicht von reißenden
Thieren zerstreuet zu werden. Ihre Gestalt gleicht
dem Hirsch, nur daß der Kopf etwas niederhangk
und die Hörner vorwärts gehen: an der Stirne, beym
Anfänge der großen Hörner, sind noch kleinere Aeste
herausgewachsen, so, daß es das Ansehen hat, alö
wenn es vier Hörner hatte. Man unterscheidet sie
in wilde und zahme, jene werden von den Lappen ge-
jagt, die zahmen sind aber sehr willige und reinliche
Thiere. Das Rennthier ist dem Lappen Allee, es
ist ihm sein Acker, Wiese, Pferd und Kuh; das
Fleisch ist frisch oder gedörrt seine liebste Speise, ihr
Fell seine wärmste Decke vom Kopf bis zu den Füßen,
und er tauscht sich dafür Sommerkleider und Ge-
zelte ein, die er an Stakt des Hauses gebrauchet.
Von ihnen hat er sein Bett, im Sommer und Win-
ter seine Milch und wohlschmeckenden Käse, von
ihren Sehnen Zwirn, und von den Knochen und
Hörnern macht er, nebst andern Dingen, auch Opfer
für seine Götzen, kurz, der Verlust dieses Thieres, ist
sein einziger aber Hauptverlust, und so lange er die-
se Thiere hat, fragt er nichts nach Jagd, Fische
fang und andern Nahrungsmitteln, und erst bann
greift er zu jenen, wenn er an diesen arm ist. Ihr
Reichthum besteht in der Zahl dieser Thiere, und
mancher
8a Schweden. '
mancher hat deren über tausend, die er in gewisse
Klassen theilet, auch jedem seinen Namen bey leget,
Man hat Beyspiele, daß nach dem Tode eines rei-
chen Lappen, ohne die andern Sachen, nur andrey-
tausend Rennthiere gesunden worden sind. Dieses
Thier, welches wegen seines schnellen Lauses Renn-
thier genannt wird, < führt in ihrer Sprache nicht
denselben Namen, sondern es heißt palss, und die
ganze Heerde Aelo; ein jeder Eigentümer bezeich-
net die seinigen mit einem gewissen Merkmal an
den Ohren.
Eben so wenig heißen sie selbst in ihrer Spra-
che Lappen, ja sie wissen nicht einmal, daß sie die
Ausländer so nennen. Man hat verschiedene Ablei-
tungen dieses Wortes anzugeben gesucht, von denen
aber noch keine erweislich ist. Sie haben und ge-
brauchen ihre eigne Sprache, die im Dialect mit
der Finnischen auch Schwedischen und Norwegischen
verwandt ist. In dieser heißen ste Same, oder
Sahmoladzh, und es ist gewiß, daß ihnen der Na-
me Lappen erst in den Jahren io oder 1100 ben-
gelegt worden ist. In Ansehung ihres Aufenthalts
und in Ansehung ihrer Nahrung sind die Lappen ver-
schieden, daher man sie auch stets Ln zwey Klassen
theilet/nämlich in IVald-und Berg-Lappon. Die
ersten nähren sich meist von Fischen und Vögeln, die
andern vom Rennthier. Die Geschicklichkeit, mit
dem Bogen zu schießen, schreibt man vorzüglich den
lehtern zu, allein Arbeiten, die einige Anstrengung,
Gefahr oder Mühe kosten, sind ihnen zuwider. Sie
liegen lieber den ganzen Tag im Zelt müßig oder
schlafen, als daß sie etwa den Bergbau, oder irgend
eine andre Handarbeit ergriffen, wenn sie nicht die
höchste Noch dazu antreibet, und an denen, die die
Noch hat arbeiten lehren, findet man, daß sie > ei-
neswe-
Schweden.
8r
nesweges zur Arbeit ungeschickt sind. Sie wissen
sich artige und gute Böte zu machen, ingleichen klei-
ne Kästchen, Schachteln, Körbe, hornene Löffel,
Sclsteßgerache, Spielkarten, Runenstabe oder Ka-
lender, bereiten allerlei) Felle auf vielfache Art,
Kleider, Schnupftabaksdosen chnd dergl. so wie die
Weiber durch ein Horn, welches weite und enge Lö-
cher hat, das Zinn zu so langen und dünnen Fa-
den ziehen, womit sie die Gürtel, Kleider, Schlit-
tengeräthe aufö künstlichste auöschmücken. Seitdem
der Gebrauch des Geldes unter ihnen Mode worden
ist, kann man auch sagen, daß viele unter ihnen
geizig und verschwenderisch worden sind. Es giebt
Lapperi, die einige hundert Loth Silber an Gürteln,
Ringen, großen und kleinen Löffeln und Bechern be-
sitzen. Es hat Lappen gegeben bey denen man nach
ihrem Tode, außer Rennthieren, noch so viel Geld
und Silbergerathe gefunden hat, alö zwey Personen
kaum habensorkbringen können; nur selten werden
diese Schatze bey ihnen gefunden, denn sie vergraben
sie meistens heimlich, und man kann nicht sagen, ob
aus Geiz, oder aus Vorsicht. Ihr übriges Ver-
mögen, (die Armen ausgenommen) bestehet in HauS-
geräche, als Zelten, eisernen Töpfen, Kessln von
Messing und Kupfer, dicken Filzen und andern Klei-
dern, schönen Schlitten, Aexten, Bören und Fisch-
geräthe.
Ihre Lebensart erfoderk diese Einrichtungen, und
ihre Zelte diese Geräthe, indem die Viehzucht daö
vornehmste Nahrungsmittel ist, um deshalb sie auch
des Jahres über ihren Aufenthalt sehr oft verändern
^^11. So lange die Berglappen des Winkers
unken in den Wäldern wohnen, können sie selten lan-
ger als einen halben Monat auf einer Steile verwei-
len, und gegen den Frühling müssen sie oft Reifen von
II. L>ans, ii. Adry- § zwalt-
Schweden.
82
zwanzig bis dreyßig Meilen ins Gebirge, gegen die
norwegischen Granzen bis an die Westsee, anstellen,
wo sie bis zur Herbstzeit bleiben, und alsdann wie-
der vom Gebirge herunter ziehen, um nicht an Holz
für sich und an Moos für ihre Rennthiere Noch zu
leiden. Dieser ihr veränderlicher Wohnplatz erfor-
dert auch einfache und veränderliche Wohnungen, die
auch für den genügsamen Lappen gut und hinlänglich
gebaut werden.
Sie richten Stangen in der Runde gegen ein-
ander aus, unten weit, oben schmal, säst in der Ge-
stalt einer Pyramide. Diese Stangen bedecken sie mit
einer Art groben Tuch, aus schwedisch Warmar ge-
nannt, oderauch mit Fichtenasten, und zwar, daß
zuweilen auf zwanzig Personen darinnen Platz haben.
In der Mitte dieses Zeltes ist der Feuerheerd, um
welchen ein Hausen Steine gelegt werden, damit
das Feuer nicht zu weit um sich greife. Der Rauch
zieht durch ein bey der Zusammensetzung der Stan-
gen offen gelassenes Loch hinaus, welches zugleich
auch die Stelle des Fensters vertritt, und in welches
ein Paar eiserne Ketten gehängt werden, welche Ha-
ken an den Enden haben, woran die Kessel hangen
in denen das Essen gekocht, oder das Eis zum Trin-
ken geschmolzen wird. Inwendig, an den Wanden
herum, breiten sie ihre Kleider aus, damit kein kal-
ter Wind hinein wehen kann, an den Seiten aber
legen sie Birken-oder Tannenreiser und Rennthier-
häute darauf, um bequem zu sitzen, da sie denn der
S ühle und Banke füglich entbehren können. Um
dieses Zelt herum haben sie ihre Speisekammern und
Behältnisse, die aus Pfosten oder Klötzen stehen,
«di den Raubthieren den Zugang zu verwehren, und
um nicht Mangel an dem nöthigsten Feuerholz zu lei-
den, suchen sie es, womöglich, so einzurichten, daß
sie
Schweden. 8}
sie ihre Zelte meist an solche Orke bauen, wo sie dürre
Fichten finden. In einigen Lappmarken haben sie
auch Hütten von Bretern oder kleine Hauser, die
den schwedischen ähnlich sind.
Ihre gewöhnlichsten Speisen bestehen im Fleisch
der Rennthiere; von Weizen, Roggen, Gerste und
anderm Getraide misten sie nichts, außer von dem we-
nigen, so sie bey den Bürgern und auf dem Lande
kaufet,. Allein man muß unterscheiden die Spei-
sen der Lappen im Sommer und im Winter.
Im Sommer essen sie vornehmlich Milch, von der
sie auch Käse bereiten, so sie aus den Winter aus-
heben, und mit allerhand Beeren und Krautern ver-
mischen ; sobald es aber ansangt rauh zu werden,
schlachten sie alle ihre Rennochsen, die sie auf die
Zukunft für nöthig erachten. Reiche kaufen inr
Sommer zuweilen Kühe und Schafe in Norwegen,
benutzen ihre Milch im Sommer und schlachten sie
des Winters, auch Baren - und Bibersteisch, so
wie See- und Waldvögel, dient ihnen zur Speise;
und diejenigen, so wirklich Gegenstände deö redendsten
Elendes, oder Bettler aus den Dörfern sind, müs-
sen oft ihre Mahlzeit von einem Hunde, Wolf, Fuchs
oder Pferd halten. Diejenigen, fo Fischerlappen
heißen, leben meist von Fischen, die sie auf verschie-
dene Weife zurichten. Ihr geivöhnlichster Trank ist
das Wasser, doch lieben sie den Branntewein sehr,
und lassen sich es sehr wohl seyn, wenn sie Gele-
genheit dazu finden, da er ihnen eigentlich unter-
sagt ist.
Einfach und doch bequem ist übrigens die Art
und Weise, wie sie sich bey Fortbringung ihrer Sa-
chen zu Wasser oder zu Lande zu Helsen wissen. Zum
Beyspiel, zur Fortbringung ihrer eignen Person und
Sachen bedienen sie sich gewisser Schlitten f die fast
2 2 die
84 Schweden.
die Gestalt eines kleinen runden Bootes und statt der
Balken einen breiten Boden haben, auch so dicht
sind, daß kein Master hineindringen kann, am Rü-
cken keine Lehne haben, fest geschnürt und vor der
Kalte wohl gesichert sind. Dieses Fahrzeug wird mit
der unglaublichsten Schnelligkeit von den Rennthie-
ren fortgerissen; ohne sich an Thaler, Hohen, Ber-
ge, Wald und dergleichen zu kehren, hat man sie in
sechs Stunden acht Meilen zurück legen sehen, die
dazu noch ungleich "größer als die teutschen sind.
Die zweyte Art, wie sie zu Fuße sortkommen, ist
durch Hülse gewisser Schuhe, die sie mit den Nord-
und Finnländern gemein haben, und in einem Bret
von drey oder vier Ellen Lange, ohngefahrein Vier-
theil Fuß Breite, vorn krummgebogen und spitzig,
bestehen. Ein solches Bret binden sie unter die Füf-
se , und nehmen dabey Stöcke, die unten mit kleinen
Rädern versehen sind, in die Hände, um den
Schnee nicht zu durchstoßen; hiermit lausen sie mit
der größten Geschwindigkeit über den Schnee weg,
daß sie Baren und Wölfe einholen können. Zur
Sommerszeit bedienen sich die südlichen Fischerlap-
pen einer Art von Böten oder kleinen Schiffen,
um über die Flüffe zu kommen, die von ganz dünnen
Bretern künstlich zusammengefügt und mit Wurzeln
von Baumen oder Schnüren von Hans zusammen-
gebunden, dabey auch so leicht sind, daß sie der
Lappe mit Rudern und allem, was dazu gehört, auch
mit feinem Proviantsack auf den Rücken nimmt und
hintragt, wo er hin will. Kömmt er an Wasserfalle
oder Zwischensteine, so weiß er sie mit der größten
Geschwindigkeit zu lenken, und wagt sich damit in
bekannte und unbekannte Wasserfalle, wenn sie nur
nicht zu groß sind; oder sin Nothfall nimmt er sein
Schiff auf den Rücken, und gehczu Laude fort, bis
er wieder stilles Wasser antrifft.
Was
Schweden. 85
Was ihre äußerliche und innerliche karakterj.
stischen Züge betrifft, so sind sie mehrentheils braun,
lieh und schwarz von Farbe, welches theilv eine Fol.
ge ihrer eignen Unreinlichkeit, theilö auch eine Folge
des vielen Rauches ihrer Hütten und der Luft, der
sie stets ausgesetzt sind, ist. Das männliche sowohl als
das weibliche Geschlecht hat schwärzliche Haare,
einen großen Mund, spitzes Kinn, eingefallene Ba-
cken, breite Gesichter und ist meistens mittlere Größe.
Ihre Kleider sind so einfach alssthre Lebensart, und
bestehen nur in Tuch, Walmar genannt, und Pelzwerk;
das Unterkleid ist von Schafftllen, von denen die
Wolle einwärts gekehrt ist, und auf dem bloßen Leibe
getragen wird; das Oberkleid besteht entweder von
Walmar, oder Rennthierftllen. Ihre Beinkleider
gehen bis auf die Füße herab, und an diese fchließen
sich die Halbstiefeln; auch die Kleidung des weibli-
chen Geschlechts unterscheidet sich durch nichts von
dieser, als durch die Lange. Eigennutz ist meistens
die Triebfeder ihrer Handlungen, und in einigen
Provinzen ist der Diebstahl fehr in Schwange. Zu
Kriegeödiensten sind sie wenig zu gebrauchen, und
äußern auch bey ihrem furchtfamen undkleinmüthigen
Wesen wenig Neigung dafür.
Nur von Seiten der Religion ist noch manche
von Aberglauben und Heidenthum erfüllte Sitte die
Gottheit der Nation, und außer daß sie getauft sind
und den Namen Christen führen, ist wenig vorhan-
den, was sie dieses Namens würdig machte. Je
höhere Begriffe sie von ihrer Abstammung und ihren
Vorfahren hegen, desto schwerer sind sie von ihren
heidnischen Sitten und Gebrauchen abzubringen.
Da§, waö sie für ihren Oberherren und Gott aller
Dinge erkennen, benennen sieJubmel; diesem ver.
geftllschafteten sie aber auch ein eben so mächtiges
F 3 We-
86 Schweden.
Wesen, perkel genannt, ja sie denken sich auch noch
sogar ein drittes Wesen, das gut uud böse zugleich
ist, und Thor oder Alike genannt wird. Außer
diesen haben sie noch verschiedene Halbgötterj und
Götzenbilder, die sie aus Holz oder Stein verferti-
gen. Ihre Opserbühnen dienen ihnen zu Altären,
aus welchen sie insgemein diesen Gottheiten die Hör-
ner und Knochen von ihren Rennthieren darbringen,
auch eine so tiefe Ehrerbietigkeit an den Tag legen,
daß, sobald sie den Plü-tz, wo der Götze wohnt, sehen,
sie ihre Mütze abnehmen/ sich bücken und krümmen,
nnd ost auf den Händen bis an den Stein hinkrie-
chen, wo sie ihr Opfer verrichten wollen.
Um welche Zeit Lappland zuerst mit Einwoh-
nern besetzt worden sey, ist so schwer zu bestimmen,
als es erwiesen werden kann, wessen Ursprunges sie
sind, und von welchen Gegenden sie hieher gekom-
men. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie mit den
Finnen vereiniget gewesen, und vielleicht dann erst
getrennt worden, als die letztern ansiengen, ihre
vorige Lebensarten verlassen, sich bleibendere Woh-
nungen zu errichten, den Acker zu bauen, und
überhaupt sich eine Stufe der Aufklärung höher
zu schwingen.
Noch müssen wir einer ihrer Nationalsitten ge-
denken, die eben nicht die lobenswertheste ist, näm-
lich in Absicht der Behandlung ihrer Kinder, wenn
sie sich verheyrathen. Bloß von dem Willen ihrer
Eitern hangt es ab, an wen sie dieselben verheyra-
then wollen, und die Ursachen dazti sind keine andre
als Reichthum, daß selten, oder nie Beyspiele da
sind, daß arme an reiche gekommen sind. Der
Branntewein ist bey diesen ehelichen Festen meistens
der Wortführer unter den Eltern, nnd der Wille
her Kinder nur Nebensache. Sind sie in der Kir-
che
Schweden.
S7
che getraut, so schmausen stein ihren Gezelten, doch
so, daß jeder selbst seine Speise mit bringt, die ge-
meinschaftlich gegessen wird. Ihre Kinder sind der
strengsten Erziehung unterworfen, und werden schon
früh zu den größten Beschwerden des Lebens gebil-
det/ indem sie in kleinen Wiegen, worinn sie fest
geschnürt sind, unter das Dach des Gezelteö in den
Rauch gehängt, und vermittelst zweyer Schnüre,
bisweilen hin und her gewiegt werden; kurz, sie tra-
gen in allen möglichen Dingen. Sorge, daß sie eben
so werden mögen wie sie,^ und um ihre Verstandes-
krafte auch so stumpf zu erhalten, schicken sie sie sel-
ten und ungern in die Schule.
Man hat nicht ermangelt dieser unaufgeklärten
Nation, soviel als möglich, Hülssmittel an die Hand
zu geben, um sie zu bilden, und sie besonders mit
der christlichen Religion bekannter zu machen, und
dieß vorzüglich seit der Zeit, als sie, unter der Regie-
rung Königs Magnus Laduläs, unter die Krone
Schweden gekommen sind, doch alles, was man in
den päbstlichen Zeiten hat ausrichten können, war,
daß sie ihre Kinder taufen ließen, und in Gegenwart
christlicher Prediger ihre Ehen antraten. Gustav L,
Karl IX. und besonders die Königinn Christina ha-
ben von Zeit zu Zeit kein Mittel unversucht gelassen,
sie an Kirchen, Schulen und Unterricht zu gewöh-
nen, und seit dieser Zeit ist man auch seiner Absicht
immer näher gekommen, und die Anzahl der Ge-
meinden, der Schulen unch-Kirchen, durch dahin
geschickte Missionen, haben immer mehr zur Auf-
klärung beygetragen.
Von der Geschichte und dem ältesten Zustand
läßt sich, wie schon gesagt, nichts bestimmtes an-
führen. Vielleicht daß sie eben so wie andre Nationen
ihre eigne . Könige gehabt haben; so viel ist gewiß,
88 Schweden.
daß König Ladulas, der uni das Jahr 1276 regier-
te, bekannt machte, daß diejenigen, so die Lappen
der Klone Schweden zinsbar machen könnten, sie
erblich unter ihren Gehorsam behalten sollten. Die-
ses richteten die so genannten Birkarle, so in den
Kirchspielen in Westbottnien wohnten, ins Werk,
und gaben dafür der Krone jährlich etwas zur Ver-
gütung, bis endlich ihre Herrschaft in der Folge ein-
geschränkt und aufgehoben wurde. Nach dem itzigen
Zustand zu rechnen, so skell^en die Lappen größten-
theils den König von ^SchMden als ihren Oderher-
rcn, lind ob mid) einige an Dänemark und Rußland
Abgaben geben, so richten..sie sich doch stets nach
schwedischen GeseheU' und Verordnungen. An den
gewöhnlichen Gerichts - und Handelvplahen sind or,
deutliche Gerichtöstuben für die Hauptleute erbauet,
und die Beysißrr werden aus den Lappen erwählet,
welche Gerichtstage auch immer mit zu den Zeiten
der Jahrmärkte gehalteii werden; übrigens aber hat
ihr Land eben so wenig Städte, als es in ein richtiges
Merteiimaaß abgerheilet ist, doch bestehr ganz Lapp-
laiid aus sieben Lappmarken, welche von den in
Noddland nächst angränzenden Orten ihren Namen
bekommen haben, und daruach vertheilt worden
smd. Sie heißen i) Jenitlands-, 2) Änger-
mannlands-, z) Uwca-, 4) picea-, 5) Lu-
lea-, 6) Tornca-, 7) Remi-^appmark, die
sich alle gleich sind, und nur in Ansehung der Frucht-
barkeit der Thäler oder.Berge, der Kirchspiele, oder
Jahrmärkte, liild dergleichen von einander unter-
scheiden.
V, Finnland. Das Großfürstenthnm Finnland, fthwedi-
scheu Antheils, eiithält gegen 4621 geographische
O,uadrakmeilen, ist also beynahe halb so groß wie
Frankreich oder Teutschland, und hatte im Jahr
176?
Schweden. 89
1769 eine Anzahl von 5 5 z?og Menschen, dieohn-
gefahr fünfzehn Jahr vorher ein Viertheil weniger
waren; indessen ist das Land, besonders in jvuem
und gegen Norden, lange noch nicht so angebautund
bevölkert, als es unter einer Regierung, wie die itzige
ist, werden kann. Schon nimmt der Landbau merk-
lich zu, ja erzieht sich sogar nach Lappland hinauf,
wo sich verschiedene finnische Kolonisten niedergelassen
haben, und die Lappen ausgezogen find, weil sie
keine Bauern werden wollen) und wie wir schon ge-
sehen haben, alles scheuen, was irgend einige
Anstrengung erfodert. Man findet vorzüglich in
dieser Landschaft große Waldungen, Berge, Seen,
Wiesen und tresstiche Felder, allein einen großen
Theil dieser Flache befassen auch Laudseen, Meer-
busen, Felsen, Sümpfe, Hecken und Gesträuche,
ohne noch eine unzählige Anzahl Inseln zu gedenken,
die langst den Küsten hin liegen und Scharen heis-
sen, wie denn einige die Anzahl derselben auf zwöls-
tausend rechnen. Finnlands Boden würde bey
sorgfältiger Mühe gewiß ein guter tragbarer Boden
seyn, wenn man aufVermehrung der Aecker bedacht
wäre, und dazu manchen unnützen Sumpf zu einem
tragbaren Boden umschaffen wollte; allein jene Me-
thode die Landereyen fruchtbar zu machen, die Erde
zu schwenden, scheint ihnen klüger zu seyn, ob ih-
nen zwar mancher Schade daraus erwachst. Eö
werden nämlich die Gesträuche und Waldungen in
Brand gesteckt, und solchergestalt der Boden durch
die Asche von den verbrannten Bäumen aus drey
Jahr lang fruchtbar gemacht; allein dieser Ge-
brauch ist um so schädlicher, weil hernach auf dem-
selben Platz weder Holz noch Krauter mehr wach-
sen. Da nun dieser Mißbrauch Anlaß zu einer Un-
geheuern Konsumtion des Holzes giebt, so doch zur
Bereitung ihrer Metalle und dem Bergwesen so nö-
3 ; ch'g
go Schweden.
thig ist, so hat zwar die Regierung'ein völliges Ver-
both darauf gelegt, das aber noch nicht in feinem
ganzen Umfange erfüllt worden ist.
Die Landleute in den nördlichen Theilen backen
hier eine Art Brodvon Birken-und Fichtenrinden,
von allerhand Arten Strohes und von Wurzeln, die
sie untereinander mengen und mit Mehl kneten.
Diefeö wird aber nur im höchsten Nothfall gegessen,
ihr eigentliches ist von Aehren zubereitet, die sie von
dem Halin abschneiden, mit einem Hackeifen zerha-
cken, alsdann trocknen und mahlen. Auf dieses
Mehl gießen sie siedendheißeö Wasser, vermengen
es mit Hefen und KornmeIl, wo dergleichen zu ha>
den ist, und backen auf diese Weife davon Brod,
das von.jenem, so aus Rindenstücken bereitet wird,
verschieden ist.
Ob man auch Finnland ein gutes Land nennen
kann, und es vor allen andern Landern schwedi-
schen Antheils den meisten Ueberstuß an LebenS-
miteln hat, so hat es doch in den letzten Zeiten des
Krieges sehr viel gelitten, so daß weder sein Anse-
hen, noch seine innere Güte mehr der ehemaligen
gleichet, und die Einwohner meist arm sind. WaS
man übrigens noch von Finnland sagen kann, ist,
daß der auswärtige Handel ziemlich beträchtlich ist,
wie beim Stockholm von hier aus mit Brennholz,
Fischen, geschlachtetem Vieh und andern Lebenömit-
teln reichlich versehen, und Teer, Pech, Breter
und dergl. außer dem Reiche verführt werden. In
Ansehung der Viehzucht ist die Gegend von Ost-
Bothuien, wo Milch die allgemeine Nahrung der
Einwohner ist, die beste. Pferde trifft man in Ta-
wastland, Wolle in Abo, ingleichen Tabak und viel
Fischerey, Seehunde, auch Perlmuscheln, von de-
nen die letztern ihrer Güte wegen sehr geschätzt sind.
Auch
Schweden. 91
Auch hat der Gartenbau sehr zugenommen, und
man fangt schon fünfzig schwedische Meilen hinter
Äbo an, Kirsch-, Birn-und Aepselbaume zu pstan-
zen. Erhebliche Bergwerke hat man noch nicht
im lande gesunden, indessen soll eine Kupsergrube
gute Hoffnung geben, an Eisenwerk aber, das
aus dem Meeresabgrund mit Hamen herausgeholet
wird, ist der Erfolg der Absicht nicht angemeffcn
gewesen.
Seit dem Jahr 1775, als der König Finn-
land durchreist hat, hat man auch angefangen, dis
Stadt Tamastehuö auf eine bequemere Stelle zu
verlegen, wodurch mehr Raum geworden ist, die
Festung zu vergrößern. Zur Abkürzung der Proceffe
hat der König außer dem Hofgericht in Abo noch
ein andres errichtet, und alles angewender, was
dem lande im Ganzen und dem Bürger im Einzel-
nen zum Nuhen gereicht, wovon denn die Grabung
Neuer Kanäle und Anlegung neuer Wege redende
Beweise abgeben.
Die Einwohner des Landes sind meistens Finnen,
nur an der schwedischen Küste wohnen Schweden,
deren Abstammung aber, wie wir bey lappland schon
gesagt haben, vielleicht eine und dieselbe ist, auch
alles, was über Sitten und Karakter gesagt werden
konnte, darfman nur mit jenem vergleichen, außer daß
sie, durch den Umgang mit mehr schwedischen Kolo-
nisten, and> mehr von ihrer ursprünglichen Rauheit
abgelegt haben. Im zwölften Jahrhundert gab man
sich schon viele Mühe, sie zum christlichen Religions-
hekenncniß zu bringen, worüber auch sogar der upsali-
sche Bischof Heinrich tm Jahr 1158 erschlagen und
ein Opfer ihrer Rache wurde, allein nach der Zeit
haben sie sich immer mehr und mehr gebildet, und sind
doch zum größten Theil mehr Christen, als Heiden.
Ähre ,
92 Schweden.
Ihre Sprache ist von der esthnischen nur in der
Mundart etwas verschieden, auch viel mit der lapp»
ländischen und ungarischen Sprache verwandt. Ob sie
auch von Ausländern stets Finnen genannt werden,
so heißen sie doch in ihrer eigentlichen Sprache nicht
Finnen, sondern Some, oder Goinaladzh, da
zumal die eigentliche Herleitung deö Wortes Finnen
auch unter uns noch sehr schwankend ist.
König Gustav IIL hat anstatt der vormaligen
Vier Landeshauptmannschaften, in welche Finnland
vertheilt war, im Jahr 1775 sechs errichtet. Die
erste, Abo, begreift Finnland an sich, und ist neun
und zwanzig Meilen lang und achtzehn breit. Der
südliche Theil ist fruchtbar, aber nicht der nördliche,
im ersten sind gute Seen, Flüsse, Aecker, Wiesen,
Viehweiden, Hopfengarten, Wälder und Eisen-
hütten , Pcrlensischereyen, und in ihr liegt auch die
Hauptstadt im ganzen Lande, nämlich
Äbo, eine gute mit Bergen umgebeneStapelstadt,
die, ob sie gleich nicht der schönsten Stadt in Schweden
zu vergleichen ist, doch 'einen gutenHandel treibt, ei-
nen guten Hasen hat und der Sitz eines Bischofs ist.
DiezweyteLandshauptmannfchaft, Ost-Boch-
nien, ist nicht die fruchtbarste, obgleich der Fleiß
der Einwohner dafür desto mehr zu loben ist,
deren man gegen 82000 in neunzehn sinnischen
und neun schwedischen Kirchspielen rechnet. Hier
weben die Einwohner besonders meist Leinwand,
oder machen hölzerne Arbeit von den kleinsten bis zu
den größten Geräthschaften. Die dritte ist Wasa,
welche eine vom König Karl IX. angelegte, und 16 i 1
privilegirte Seestadt gleiches Namens hat. Ta-
waftland, Tarelien und Rymmenegärd sind
alle einander an Güte fast gleich, wenigstens finden
Schweden. 9;
wir 'nichts vorzügliches, daß eine weitlauftigere
Anzeige verdiente.
Außer den jetzt beschriebenen Provinzen be. Nebenlander,
sitzt Schweden, wie wir bey Teutschland gesehen
haben, ein Stück von Pommern, und die Stadt
Wismar; in den übrigen Welttheiien aber hat es keine
Etablissements, ohngeachtet mit schwedischen Schif-
sen in die Levante x nach Ostindien, Sina und jetzt
auch nach ^Nordamerika Handlung getrieben wird.
So ungegründet jene träumerischen Meynungen Staaksvers
der schwedischen Geschichtschreiber seyn mögen, anderungen.
die das Alter ihrer Nation und ihres Reiches bald Erste Periode,
nach der Sündfluth herzuleiten sich bemühen; so^nJen alte-
äußerst mangelhaft und dunkel diezuverläßigere Ge. '
schichte der wirklichen Entstehung dieses Volkes und ^
die RegierungSverfassung ihrer Beherrscher ist: so
muß man jedoch bey alle den Mangeln und Muth-
maßungen so viel zu geben, daß sie sehr viel An-
sprüche für sich haben, eines der ältesten Völker zu
heißen. Wahrscheinlich ist es, daß den obern Theil
von Norden in den ältesten Zeiten Finnen, und den
untern, d. h. Dänemark, deutsche oder Gothen
bewohnt haben; daß diese Völker in Schweden zu-
sammentrasen, vielleicht unter ein und derselben
Herrschaft, oder getheilt waren und dgl. Aber eine
Grenze zwischen ihnen zu setzen, würde fruchtloses
Unternehmen seyn, zumal in der eigentlich alten Ge-
schichte, oder unter den heydnischen Königen bis ins
neunte Jahrhundert, noch unvollständiges und fabel-
haftes genug angetroffen wird, bey dem wir um so
weniger verweilen werden, da mit dem Ende der er-
sten Periode erst ein zuverläßigeres Licht über diese
Geschichte verbreitet wird.
Da alle nordische Völker über die Ehre halten,
Abkömmlinge eines gewissen U)odñu zu seyn, dev
ein
94 Schweden.
ein Vertriebener aus Asien gewesen seyn soll, und mit
sich alle vermermke Zauberei) und andre ähnliche un-
natürlich scheinende Dinge und Künste ins Land ge-
bracht habe/ auch nach seinem Tode zu einer Gott-
heit umgeschaffen wurde; so haben auch die Schie-
den denselben Gang ihrer Geschichte von diesem Wo-
dan angenommen. Sowohl die Folge der Könige
als ihre Thateu sind äußerst versteckt, und tragen
bey aller Ausschmückung der alten Sagen doch zu
sehr daö Gepräge der Roheit in Kenntnissen und
Sitten.
Die unsrer Sprache und unscrmOhr so barba-
risch klingenden Namen jener vorgeblichen Helden
würden mehr ermüden als belehren, und wir wür-
den sie ganz übergehen, wenn nicht einige von ihnen
über die gewöhnliche Denkart des großen Haufens
und über den Aberglauben der alten nordischen Völ-
ker hervorragten.
Ein gewisser Thor soll von seinen Unterthanen
in die Reihe der Götter versetzt wroden seyn, weil er
ihnen wohlthatig unb ein edler Fürst war; der auch
noch bis itzt von den abgöttischen Lappen mit Opfer
und Gebeten verehret wird.
Ein andrer ist Fremder ebenfalls vom Thron
zur Anbetung gelangte. Bisweilen soll die Nation
Ln verschiedene kleine Reiche zertheilt gewesen seyn,
bisweilen in zwey, bisweilen Dänemark unterwor-
fen, zur anderu Zeit sich wieder Meister von andern
Ländern gemacht haben, wie z. B. ein gewisser
C)iU1t der mächtigste Monarch seiner Zeit, die drey
Kronen von Schweden, Norwegen und Dänemark
znsammen gebracht, und ein eben so geliebter König
als glücklicher Vater einer zahlreichen Familie gewe-
sen seyn sott. Hingegen behaupten andre, daß die er.
Schweden.
95
sien Landesherren des Stammes der sogenannten
AntzlmIer und Droctar, d. i. Richter genennet
worden, und ohngefähr vom fünften Jahrhundert
da ein gewisser DlItte regieret haben soll, führten
sie den Titel Könige von Upsala. Unter allen den
heydnischen Königen, von denen noch verschiedenes
angeführt wird, sagt die Geschichte, daß ein gewis-
ser Elik Segersal! Dänemark zwar unter seine
Bothmaßigkeit gebracht, aber sein Sohn es wieder
verloren habe.
Auf diese Weise enthält die Geschichte der ent-
fernten Zeiten eigentlich nichts mehr, als zweifels-
volle Nachrichten von Streitigkeiten und Zankereyen
mit den Danen ihren gefchwornen Feinden. Die
Einführung der christlichen Religion im neunten
Jahrhundert bahnte wenigstens anfänglich den Weg,
daß ihre Sitten sanfter und menschlicher wurden,
ob gleich diese Mittel zu widerholten malen und
mit dem sichtbarsten Abscheu verstoßen wurden, bis
sie, durch das Exempel ihres Königes 0iof Gkött-
2\omtng gereizt, allmalig die Taufe annahmen»
Dieser genannte König schickte nämlich eine Botschaft
an den König Ethelred in England, ihm christliche
Prediger zu schicken, zu welchem Ende drey dersel-
ben ankamen, und Olof die Taufe von ihnen annahm,
wovon noch bis itzt bey Husaby die O.irelle sichtbar
ist, wo ihn der heilige Siegfried (der Name des
Predigers) im Jahr 1001 taufte, wovon sie ihren
Namen Sanct-Siegfrieds-Quelle bekommen hat.
Der Eifer dieses frommen Fürsten gieng nach seinen
Begriffen auch dahin, dem heiligen Stuhle jährlich
eine gewisse Steuer zu geben, die er zwar aus sehr
gutem Herzen geben mochte, die ihm aber in der
Folge einen undankbaren und schimpflichen Beyna-
men erwarb.
Einen
96 Schweden.
Einen viel größern Fortgang gewann die christ-
liche Religion unter der Regierung seines Sohnes
Am und, der in der Taufe den Namen Jakob er-
hielt, und der sich in der Geschichte ein bleibendes
Andenken gründete, weil er mit einer ausgezeichneten
Strenge die Gesetze handhabte. So hatte er z. B.
die Verordnung gegeben, daß demjenigen, der der
Wohnung eines andern einigen Schaden Zusagen
würde, wieder ein Theil seines Hauses weggebrannt
werden sollte, welches seltsame Gesetz ihm auch den
Beynamen der Kohlenbrenner erwarb. So folgten
von Zeit zu Zeit unö uninteressante Beherrscher bis
zu den Zeiten der Regierung Margarethens, die
durch die kalmarifche Union die schwedische Monar-
chie mit Dänemark vereinigte, und alle in diesem
Zwischenraum vorgesallene Begebenheiten sind für
den Raum, den wir hier auözufüllen haben, zu
weitlauftig.
Ohnstreitig gewahrt uns ein stüchtiger Blick
auf die damalige Denkart des Volkes und ihrer Re-
gierungsart mehr Nutzen und Vergnügen, als ein
langes Geschlechtsregister zum Theil bloß dastyen-
der Fürsten. Vor dieser Epoche war Schweden im-
mer ein Wahlreich, wo zwar der nächste Verwandte
fast immer der Nachfolger des erster« ward, aber
durch eine eigentliche Wahl, ohne Rücksicht auf die
natürliche Erbfolg-Ordnung, zur Negierung kam.
Die Macht der Könige war von Alters her sehr
eingeschränkt; ohne Einwilligung des Senats und
der Reichsstände konnten sie weder im Krieg noch im
Frieden erhebliche Sachen unternehmen, weil jede
Verstärkung ihrer Macht für die Unterkhanen jo la-
siig als verdächtig war. Alle ihre Krongüter waren
von sehr geringem Umfange, und ihr Tribut fast
mehr eine Vergünstigung der Unterthanen. Zu
Anfänge
Schweden. 97
Anfänge des dreyzehnken Jahrhunderts legte der
Senat die Kupferbergwerke, das Eigenthum am
Wälar-Wener und Wetter.See, nebst dem
Rechte zur Fischerey an den Küsten der Ostfee dazu.
Dieser Senat, der beynahe die ganze landesherrliche
Gewalt in Händen hakte, bestand aus zwölf Reichs»
rachen, wovon die mehresten als Statthalter eine
Provinz regierten, oder doch eine andre hohe Ehren»
stelle im Staate bekleideten; ein Ansehen, das zwar
ganz der Absicht feines ersten Entstehungsplanes zu»
wider lief, da .dieser Rdichsrath eigentlich bloß dem
Monarchen zum Rathgeber dienen sollte, in der
Folge aber dem Regenten die Hände band, um so
geschwinder, da das Volk ihn wirklich als Beschützer
ihrer Freyheiken und Privilegien ansah. Die
Bischöfe wußten dabey ihr Ansehen so glanzend
bey dem Volke zu machen, daß der Einfluß ihrer
Stimmen jedesinal das Uebergewicht verschaffte,
und die Einkünfte des Königs wieseln Ansehen merk»
lich dabey verkürzt wurden.
So viel Unabhängigkeit auf Seiten der Un-
terchanen, uni) eine so eingeschränkte Gewalt des
regierenden Herren, war für das Königreich eine nie
versiegende Quelle von innerlichen Kriegen. So
sehr es immer ein oder der andre Beherrscher wagen
mochte, dieses Joch abzuwerfen, so gelang es doch
niemals, weil die Unterthanen sogleich widerstanden,
und selten eher ruhten, bis selbst die Parthey der
Könige aus ihre Seite trat, dieRechke der willkühr»
liehen Gewalt zu zernichten, so viel es ihnen auch
Stärke uno Blut kosten möchte. Die Edelleute
lebten auf ihren Schlössern und machten diese zum
Mtttelpuncc ihrer Herrschaften, unbekümmert um
die Gesetze, weil keine Macht sie dahin vermochte,
dieselben zu beobachten. Die Einwohner in den
iL Hgns. H Ävch» G See-
98 Schweden.
Seestädten, die vom Handel lebten, bezeigten dem
Könige mehr Ergebenheit, allein ihre Stimme wak
allezeit zu schwach, zmd ihr Arm nicht kraftvoll genug,
das Uebergewicht zu erwerben, und sie befanden sich
bey ihrem Handel schon wohl genug, wenn ihnen
nur keine gewaltsame Eingriffe gethan wurden.
Die Bauern, welche in diesem Reiche allezeit daö
besondere Vorrecht gehabt haben, Deputirte zu dev
Versammlung der Stande zu senden, folgten blind-
lings der Meynung ihrer Herren,*und glaubten al-
les gethan zu haben, wenn sie ihre Privilegien hart-
näckig vertheidigten. Da, wo das Land gebaut wer-
den muß, z. B. in den südlichen Provinzen, dach-
ten sie weniger aus Unruhen; in den unfruchtbaren
nordischen Gegenden aber war ihre Beschäftigung
die Jagd, deren Fleisch ihnen zur Nahrung diente,
und die Haut wurde zur Bezahlung der dem Könige
schuldigen Steuern, oder zur Erkausung nöthiger
Bedürfnisse verwendet. Wild wie ihre Lebensart
war ihrKarakter; eifersüchtig und in steter Bereit-
schaft ihre Anhänglichkeit an Gebräuche zu verthei-
digen, konntet, jede Rebellen ihres Schußes versi-
chert seyn , weil sie wenig dabey zu verlieren hatten.
Den zahlreichsten und mächtigsten Stand im Staate
machten auf alle Fälle die Bauern aus, und nur
eine Hauptrevolution konnte im Stande seyn, ihnen
die Idee zu rauben, daß sie unabhängig und beynahe
ohne einige Vereinigung unter sich die einzige Stütze
des Reiches ausmachten, im ^ Grunde aber unfähig
für die Gesellschaft, so wie zum Gehorsam, mehr
wild und ungelehrig, als frey waren.
Im Jahr 1964 regierte Magnus Gmeck
in Schweden, der mit der Tochter des Grafen von
Namur zwey Söhne erzeugt hatte, und von denen
-er jüngste -^acluitt-da der älteste gestorben war,
sich
Schweden. 99
sich mît Margarethe/ Waldemars Köinzs von
Dänemark Tochter, vermahlte. ì77agnus sicherte
sich auf diese Weife gegen Norwegen, und verstärkte
sich durch eine Verbindung mir dem König von Dä-
nemark, ehe er feinen Plan an Tag gäbe der frey-
lich auf nichts anders gerichtet war, als den Senat
abzufchaffen, und sich zürn unumschränkten Herrtt
des Reichs zu machen. So gut angelegt dieser Plan
auch in den Augen Magnus seyn mochte, so wenig
kannte er noch dieunerfchütterliche Standhaftigkeit der
Nation, und ihre Herzhaftigkeit die Waffen zu ergrei-
fen, machte das Reich in kurzem zu einen Schauplatz
eines blutigen Krieges. Von allen Seiten strömten
Magnus Hülfsvölker und Unterstützung zu, allein
die Schweden gaben nun ein Beyfpiel ab, was ver-
einigte Kräfte auZzurichten im Stande sind, weil sie
nie unüberwindlicher waren. Sie brachten es daher
auch nach verschiedenen Schluchten dahin, die Trup»
peu dreyer Könige zu schlagen und Magnus endlich
aus Schweden zu vertreiben, an dessen Stelle sie
seinen Neffen Den Prinz 'Albert von Mecklenburg
zum König wählten, ohne bey der Wahl auf Ma-
gnus Sohn Haquin, oder auf Aiberts ältesten Bru-
der sciupici) zu achten, weil sich jeder von ihnen
verdächtig gemacht hatte.
Nie halten sie aber wohl eitlen unönrchdachkern
Schritt gethan, als diesen, so wie es nie beit An-
schein gehabt hatte, daß Albert zur Kröne gelangen
würde, wenn hier nicht bloß die unruhige Gemürhs»
art der Schweden den Weg dazu gebahnt hätter.
Eben dieser Alberr, der in ihren Äugen so ganz
ihren Absichten entsprach, von dem sie alles hofften,
was ihrer uneingeschränkten Herrschaft schmeichelte-
eben dieser Albert schwieg nur ft lauge, als er die-
sem glänzenden Posten entgegen geführt wurde; als
G 2 er
TL Periode,
von Marqa-
r* the ' ?-■ 4
bis ruf das
Hans Wasa
1523.
100 Schweden.
er sich aber im Besitz des Thrones wußte, trat er
allen Maaßregeln seiner Vorgänger auf das sorgfal.
tigste ^ey, suchte den Rath in allen Stücken seine
Abneigung suhlen zu laßen, und hielt es gar nicht
versteckt, daß er nur dahin trachte, ßch unumschränkt
zu machen und die Fesseln zu zerbrechen, die seine
Vorgänger so oft gefühlt hatten»
Lange Zeit bedurfte es sreylich nicht, das Blut
der Unterthanen in Wallung'zu bringen, und mit
eben so unwiederruslichenr Schluß den Entschluß aus-
zuführen, sich eines solchen Königes zu entledigen, und
ihn Oes Thrones zu entsetzen. Zu eben der Zeit war
¿>acjtrin, König in Norwegen, gestorben, und
seine Tochter Margaretha beherrschte dieses
Reich. Der König, ihr Gemahl, hatte die Nieder,
läge und Thronentsetzung seines Vaters nur wenige
Jahre überlebt, zu welchem Ende ihr die Stande,
wegen der Minderjährigkeit ihr^s Sohnes Glaus die
Regierung übergeben hatten, wie wir in der däni-
schen Geschichte bereits gezeigt haben. Erst von
dieser Epoche fangt die Geschichte dieses Landes an,
recht zuverlaßig und interessant zu werden»
- In demselbigen Jahre, als die Norweger
Margarethen nach den; Tode ihres Sohnes zur Kö-
niginn ernannten, starb auch ihr Vater ohne mann,
kichc Erben, und die Ber^twilligkeit, mit der die
dänischen Völker ihr die Krone übergaben, machte
(wie schon bey Dänemark angezeigt ist) in ihren;
Herzen einen Lieblingswunsch rege, welchen auözufüh.
ren, itzt so viel günstige Umstande da waren.
Schweden war mit seinem König äußerst unzufrie-
den, und ihr spähender Blick ließ ihn gar leicht die
schwache Seite entdecken, sie unter dem Schein von
F^yheit in ein Joch zu. bringen, das sie nie zu tra.
IOI
Schweden.
gen vermeynten. Sie suchte sich znförderst alle
Großen zu Anhängern zu machen; ferner diejenigen
in Schuh und Wohlstand auszunehmrn, denen von
Albert übel begegnet ward, ja sie schalt gar öffent-
lich daS Verfahren des Königes, welches die
Freyheit der Schweden einschrankte. Albercglaub-
te sich entweder sicher genug, oder er dachte sein
Ansehen durch Gewalt zu behaupten, kurz, er kehrte
sich in keinem Stücke an das fürchterliche Ungewit-
ter, das ihm bevorstund, sondern erlegte dem Vol-
ke ganz eigenmächtig neue Steuern auf, und that
überhaupt dem Adel und der Geistlichkeit verschiedene
Eingriffe. Dreß war die Losung zum Ausstand:
alle Schweden vereinigten sich wider ihn, und nach
seiner Vertreibung auch darinnen Margarethen die
Krone anzutragen, in der schineichelnden Hoffnung,
ihre weitläufigen Staaten würden ihr nicht erlauben,
auf eine souveräne Gewalt zu denken, und im Fall
sie ja ihre Gewalt zu weit ausdehnte, sich mit Dä-
nemark rind Norwegen zu vereinigen, um die Macht
der Könige einzuschranken. In dieser Absicht wur-
den Abgeordnete an die Königin» geschickt, welche
einen so angenehmen Auftrag nicht abschlug, son-
dern sogleich die Schweden dahin vermochte, daß
der Adel die Waffen ergreifen, und Albert ange-
kündiget seyn sollte, er sey abgesehk, und die Stan-
de wie die ganze Armee sollten sie für ihre Königinn
auörufen, welcher Wahl zufolge auch sogleich ein
ansehnliches Heer zur Unterstützung nach Schweden
gehen sollte. Albert hatte alle Maaßregeln ergriff
fen seinen Feinden Widerstand zu thun, er hatte
verschiedene teutsche Prinzen zu Hülfe gerufen, die
Insel Gothland den teutscheu Ordensrittern ver-
pfändet, aber alles konnte nicht verhindern, daß
sein Heer geschlagen , und er, nebst seinen vornehm-
sten Offtcieren, gefangen genommen wurde. Selbst
G 3 nach
102
Schwede».
nach feiner Gefangennehmuug hatte er einen be»
trachtlichen Anhang, besonders in Stockholm, wo-
selbst es auch deswegen 1389 zwischen den Danen
und den Teutschen zu verschiedenen Gewaltchatig-
keiken kam. Herzog Johann von Mecklenburg
vermittelte aber einen Frieden unter der Bedingung,
daß König Albert für seine Freyheit sechzigtausend
Mark Löthig erlegen, oder sich aller seiner Ansprüche
auf Schiveden begeben, unterdessen aber Stockholm
von den Hansestädten^ beseht bleiben, die Insel
Gökhland hingegen vom Herzog Johann und Sven
Sture für Alberts Rechnuugckn Besitz genommen
werden sollte. Als aber Erich, des König AlbertS
Sohn, welcher sich in Gothland niedergelassen hatte,
* 397 unbeerbt verstorben war, so trat König Albert
sür 20000 Nobel die ganze Insel an den preußi-
schen Heermeister Konrad von Jungingen ab. Von
diesem losere sie 1408 Margaretha mit schwedischem
Gelbe wieder ein, unterrvarf sie aber der dänischen
Botmäßigkeit.
Hieraufkieß Margaretha den jungen Eriche
(Heinrich) der Maria, ihrer ältesten Schwester
Tochter, mit dem Herzog von Pommern Vla-
tislav VIII. erzeugten Sohn, welcher bereits 1388
jn Norwegen von ihr als Mitregent vorgestellt wor-
den war, bey den dreyzehn Morastpinen zum
König von Schweden feyerlich huldigen. Alle Ge»
setze und Verordnungen, die unter Körrig Albert
gemacht waren, wurden zu Nyköping geprüft und
großkenkheils verworfen. Diesen Thronfolger er-
nannte sie, um das uuablaßige Ansuchen abzuleh-
non, nämlich sich mit einem Gemahl zu verbinden,
welches aber ganz wider ihre Absichten stritt, und
auf der andern Seite ihre Unterthanen zufrieden
pellte. Alles, was über den großen und seltenen
Karakter
Schweden.
wz
Karakter dieser Königin» gesagt werden kann, und
die Geschicklichkeit, mit der sie, so lange sie regierte,
diese drey Kronen zusammen zu halten wußte, ist,
wie schon oft angeführt worden, in der dänischen
Geschichte zur Genüge gezeigt worden. Die be,
kannte Union oder die zu Ralmar geschloffene
Vereinigung der drey Reiche brachte die
Schweden gar bald zum Nachdenken ihres so klug
vermeynten Anschlages. Es wahrte nicht lange,
als sie zu gereuen anffeng, daß sie sich den Gesetzen
eines Weibes, und.besonders einer Ausländerin»,
unterworfen hatten. Margarethe bemeisterte sich
der schwedischen Festungen, vergab alle erhebliche
Ehrenstellen an Danen und entfernte die Landesein-
gebohrnen von allen Aemtern; kurz, sie sahen alle ih-
re tauschende Hoffnung wieder vereitelt, und daher
brachen sie natürlich zun: öftern eben nicht in die
besten Lobreden von ihrer Königinn aus, doch sahen
sie, daß ihr Nachfolger das wirklich ausübte, was
sie von Margarethen nur muthmaßten, und nach
ihrem Tode im Jahr 14.12 trat der junge Erich
sowohl die Negierung an, als er auch, wegen des
Herzogthums Schleswig, eines dänischen Lehns,
welches derselbe einziehen wollte, einen ungerechten
Krieg wider des Herzogs Gerhards von Hol-
stein Wittwe Elisabeth und ihre unmündige
Söhne erregte,
Erich war weder in diesem holsteinischen Krie-
ge noch wider die Lübecker glücklich, und wurde endlich
142t nach der unglücklichen Schlacht bey Immer-
vad gezwungen, sich mit dem Grasen von Holstein,
Heinrich, dahin zu vergleichen, daß der römische
Kaiser Sigismund ihr Schiedsrichter seyn sollte«
(Siehe bey Dänemark.) Die Schweden sahen nun
mehr als zu wohl ein, daß Erich sie blos als ein
G 4 ent-
Schweden.
104
entwaffnetes Volk anfah, das ruhig Zusehen müsse,
wenn er ihr Reich mit fremden Truppen anfüllte,
oder ihnen Abgaben auflegte, über die zu klagen sie
gar kein Recht hatten. Diese Unterdrückung hatte
zwar eine Zeit lang den Funken in der Asche verbor-
gen, aber deswegen nicht gänzlich erstickt, und der
Ausbruch war desto heftiger, je weniger er schnell er-
folgte. Unter der Anführung eines Edelmannes aus
Dalecarlien, Namens Engelbrechk, undLvarte
Zvmitfon, Obermarschall des Reichs, griffen sie
zu den Waffen, kündigten Erich den Gehorsam
auf, jagten die Danen aus dem Lande, und erwahl-
tm sich Anutfoir zu ihrem Beschützer. Engeln
brecht brach daher im Jahr 1433 an der Spitze
seiner Landsleute der Dalecarlier los, verstärkte sie
zu vielen taufenden, ernannte >434 rate (Bll*
stavsson Pttke, einen Edelmann aus dem West-
manlandischen, zum Kommendanten in WesteraS,
dessen Sohn Erichpuke aber zu feinem Unterfeld-
herrn. Alle die jährlichen harten Schatzungen im
nördlichen Schweden suchte er zu lindern, fetzte statt
der harten dänischen Befehlshaber einheimische
ein, und zwang endlich den in Wadstena versam-
melten Reichsrath, den König des schwedischen
Reicks zu entsetzen, und ihm ihren Entschluß nach
Kopenhagen schriftlich zu überschicken. Als aber
Erich die sehr nachtheiligen Bedingungen nicht er-
füllen konnte und wollte, so versammelten der schwe-
dische Reichsrath und die Stände sich zu Arboga
und erklärten Karl 2\lUltfon im sieben lind zwan-
zigsten Jahre seines Alters znm beständigen Reichs-
vorsteher. Der Urheber dieser Staatsveränderung
hingegen grndere nicht den Lohn ein, den er bey seinem
Unternehmen gedacht haben mochte, er wurde bald
darauf bey Gjoköholm von Mons, einem Sohne
hetz flüchtigen Reichsraths Bengt, erschlagen, und
sein
Schweden. 105
fein Freund Erich puke, auf Karl Knutsons
heimliches Anstiften, 1437 in Stockholm öffentlich
enthauptet.
Hierauf erklärte der dänische Reichsrath in ei-
nem an den König Erich geschickten Briefe den
Thron für erledigt, und erwählte an seiner Statt lm
Jahr 1439 Christoph von Bayern zum König,
und zwar zu eben der Zeit, als Erich XIII in
Schweden sein verlorrns Einsehen wieder geltend zu
machen suchte. Die schwedische Geistlichkeit geneh-
migt-.' dessen Entsetzung unter dem Beding, daß ihm
die königliche Würde und die Insel Gothland, wo-
hin er sich schon seit 1437 freywillig begeben hatte,
verbleiben, sein Neffe, der neue dänische König
Christian, (ein Sohn Johanns von Bayern und
des Kaiser Ruprechts Enkel) auch von den Schwe-
den anerkannt werden sollte. Ein so schwankendes
Glück und unruhvolleö Leben hatte Erich längst verab-
scheuet, und wahrend seines zehnjährigen Aufenthal-
tes auf dieser Insel, that er nur zuweilenden Schwe-
den in Ansehung der Schifffahrt einigen Schaden,
starb aber endlich 1459 zu Rywold in Pommern, im
7?sten Jahre seines Alters. Während seiner Re-
gierung war doch manche nützliche Anstalt zur Reife
gekommen, und unter andern der Grund zur Uni-
versität in Upsal gelegt geworden; er würde aber die-
ser Behandlung seinerUnterthanen freylich nicht auS-
gefetzt gewesen seyn, wenn er weniger vergessen hät-
te, daß ein gefürchteter Monarch nicht immer ein
glücklicher sey.
Norwegen hatte sich zwar im Anfänge mit
Schweden wider die von den Dänen angestellte ein-
seitige Wahl und zur gemeinsehaftlichen Vertheidi-
gung ihrer Rechte verbunden; aber der Reichsvorste-
her Rarl Rnurson, dem man die Berichtigung
G 5 dieser
io6
Schweden.
dieser Sache aufgekragen hatte, verglich sich mit
dem König Christoph, und empfieng dafür auf
Lebenslang die Belehnung von ganz Finnland. So
unterschrieb nun der König Christoph die ihm von
den schwedischen Standen zugesandte königliche Ver-
sicherung, und ließ sich bald nach dem Jahr 1441
zu Upsal zum König krönen. Alle die in Schwer
den als allgemein angenommene Gesetze von Ma-
Znus Gmek behielt er bey, ob sie gleich die Geist-
lichkeit nicht dafür erkannt hatte; und würde über-
haupt den zum Partheygeist geneigten Schweden gs-
wiß engere Granzen gesetzt haben, wenn ihn nicht
ein viel zu früher Tod auf seiner Reise nach Schwe-
den übereilt hatte. Erstarb zuHelsingborg 1445.
Nach vielen und sorgfältigen Ueberlegungen
wer nun den Thron besteigen sollte, siel endlich auf
Rarl, einen Sohn desDrotts^tttttCordssonund
der Margaretha, R.arl Ulfssons Tochter, durch
drey und sechözig gegen fünfStimmen die Wahl, und
im Junius 1448 ward er nebst seiner zweyten Gemah-
linn zum König von Schweden erwählt und zu Upsal
gekrönet. Kaum war Rnu-tson, (oder Rarl VIII
in der schwedischen Geschichte genannt) zum Thron
erhoben worden, als die Schweden abermals ihren
Entschluß scheitern sahen. Stolz auf seine neuer-
worbene Macht faßte er eben den Anschlag, den man
am wenigsten vermuthet hatte, nämlich sich die
Geistlichkeit zu Feinden zu machen, aber leider war
sie es auch, die ihn wie einen Ball von einer Stufe zur
andern trieb. Er verbot z. B. durch ein Reichsge-
setz ausdrücklich, daß künftig unter keiner Bedin-
gung oder irgend einem Vorwand, eine geistliche
Stiftung gemacht werden sollte, um die Geisilich-
: seit und Mönche zu verhindern unvermerkt alle
Reichthümer des Staats au sich zu ziehen. Dieß
war
Schweden. 107
war der schärfste Pfeil, den er auf ihre schwächste
Seite abschoß, und dem nichts geringeres folgen
konnte, als ihn öffentlich für einen Ketzer zu erklä-
ren, da ein Eingriff in ihr irdisches Eigenthum ja
offenbar ein Eingriff in die Religion sey. Nichts
konnte sie mehr verbinden, sich von einem Ketzer re-
giere», zu lassen, und nichts mußte schleuniger ins
Werk gerichtet werden, als sich von ihm zu befreyen.
Der Erzbischof von Upsal fertigte insgeheim eine
Gesandschaft an den König von Dänemark ab, wo-
durch er ihn nach Schweden zu kommen und alle die
Ansprüche geltend zu machen bat, die er ja Kraft
der Union von Kalmar auf die schwedischeKroue ha-
be, ihn versicherte, daß alle Bischöfe und Geistli-
che ihn in ihren Städten und Festungen mit Freu-
den aufnehmen, und ihm als König Treue geloben
würden.
Christian war zwar eben mit einem ähnlichen
Kriege in Norwegen beschäftiget, allein so ein gün-
stiges Anerbieten kam ihm zu vorteilhaft und zu sel-
ten vor, als daß er einen Augenblick Anstand ge-
nommen hätte, eine große Armee nach Schweden
zu senden, die Bischöfe zu unterstützen. Als der
Erzbischof vvn Upsal hörte, daß die Dänen alsHülfs-
truppen auf der Gränze angekommen wären, ward
er vom Eifer für seine gute Sache ergriffen, berief
eiligst alle Geistlichen zu Upsal in eine allgemeine
Versammlnng, stellte eine feyerliche Messe an und
that darinn den König in den Bann. Noch mehr
dafür zu thun und sein Beysprel zum Muster der
Nachahmung anfzustellen, legte er seine Kleider und
seinen Priesterschmuck auf den Altar, und schwur,
sie nie eher anzuziehen, bis er den König aus dem,
Reich vertrieben hätte. Er ließ sich sogleich ein
Schwert und Panzer ankegen und stellte sich an di-e
108 Schweden.
Spitze seiner Vasallen, um gegen seinen Oberherren
Krieg zu führen. Man sah nichts als Prälaten, die
ihre Bischofsmütze mit dem Helm, und ihr Kreuz mit
dem Schwert vertauschten, und. so wenig fürchterlich
Krieger der Art hatten scheinen sollen, so gelang. es
ihnen doch, den König zur Flucht zu bewegen, da es
diesem an Leuten und Unterstützung fehlte; er floh
nach Preußen, in Hoffnung, dieß Unrecht zu rächen.
Dieß war das Ziel aller Unternehmungen vom
Erzbischof zu Upsal, und nichts fehlte nun noch, als
die Prämie dafür zu erlangen. Der Erzbischof er«
klärte im Jahr 1450 Christian in Stockholm
feierlich zum König von Schweden, welcher eiligst
aus Dänemark angekommen war, aber dieser ge-
nehmigte nur nicht den Lieblingswunsch deö geistli-
chen Hirtenö, der lange darauf gedacht hatte, unter
dem Namen des Königes, auch eine weltliche Heer-
de zu weiden, und nun so wenig Klugheit hatte,
sein Mißfallen über seinen mißlungenen Plan dem
König blicken zu lassen. Christian liebte den Ver-
rath, aber den Verräther haßte er, und fand für gut,
lieber ein Glied aus dem Wege zu raumen, wenn
nicht das Ganze dabey leiden sollte, er ließ ihn ge-
fangen nehmen, und unter einer starken Bedeckung
«ach Dänemark bringen.
Kaum war dieser neue Eingriff in die geistliche
Freyheit bekannt, als der Bischof von Linkiöping,
des Erzbischofs Neffe,-diese That zu rächen drohete,
und wirklich eine so zahlreiche Armee zusammen-
brachte, die so viel Vortheile über die königlichen
Truppen erhielt, daß Christian nichts mehr thun
konnte, als, nachdem er in alle schwedische Festungen
starke Besatzungen gelegt hatte, sich nach Dänemark
zurück zu ziehen, um ein neues Heer aufzutreiben,
Pa man indeß in Schweden nicht minder alle mögli-
che
Schweden. 109
che Borkehr traf/ da von dem Landvolke jeder achte
Mann in voller Rüstung, mit Panzer, Schild,
Sturmhaube, Armbrust, Grabscheid und acht Du-
Hend Pfeilen gestellt werden mußte. Inzwischen
blieb doch der Bischof Herr des Landes, und blieb
es beynahe sieben Jahr, so lange der Krieg wahrte.
Auch schlug er zu verschiedenenmalen dem König von
Dänemark vor, keine feindliche Gesinnung länger zu
hegen, wenn er sich entschließen würde den gefange-
nen Erzbischof frey zu geben. Allein Christian dach-
te das mit Gewalt schon noch auszusühren, was ihm
itzt nur ungünstige Umstande vorenthielten; nur
hatte er die heimlichen Schlingen nicht entdeckt^ die
Rmrtsons Freunde gelegt hatten, um aus dieser
Uneinigkeit Nutzen zu ziehen. Der Bischof trat auf
die Seite von Knutsons Freunden, und bald faß der
vor sieben Jahren nach Danzig vertriebene Karl VIII
im Jahr 1465 wieder auf dem Thron.
Dieser unvorhergesehene Streich ließ Chri^
ftian nun kein ander Mittel übrig, als das Land zu
vergessen, oder stch mit dem gefangenen Erzbischof,
Karls gefchwornem Feind, auszusöhnen. Das letz-
te schien ihm am leichtesten und gewissesten; er gab
ihm die Freyheit wieder, ließ ihn auf der Reise nach
Schweden auf das sorgfältigste bewahren, und hät-
te ihm auch eine Anzahl Soldaten gegeben, wenn er
nicht selbst in innerliche Unruhen wäre verwickelt ge-
wesen. Des Erzbischofs erstes Bemühen gieng nun
dahin, seinen Neffen mit allen möglichen Vorwür-
fen zu überhäufen, daß er in eine so unerhörte Thak
hatte einwitligen können, die er durch nichts wieder
aussöhnen könnte, als wenn er stch mit ihm aufs
neue verbände, Aarln zum zweytenmale vom Thro-
ne zu stoßen. Schnell mußte di'efer Anschlag aus-
geführt werden, wenn er gelingen sollte, und er ge.
lang,
110
Schweden.
lang, es kam zu hitzigen Schlachten, hitziger' cti&
jemals; aber eine auf dem gefrornen Mäla -See
geheltene Schlacht entschied zum Nml kherl des
Königes; seine Truppen wurden geschlagen, und er
selbst konnte den Händen seiner Feinde nicht ent-
kommen. Er ward gefangen genommen, gezwun-
gen dem Königstitel zu entsagen, und alsdann aus
ein Schloß in Finnland gesühret.
Stolz aus eine so glanzende That dachte der
Erzbischof sich dießmal seines Ruhmes und seines
Glückes zu vergewissern, und lieber gleich selbst
die Landschaften unter sich und seines gleichen zu ver-
theilen, als wieder für gehabte Mühe ins Gesangniß
zu wandern. Er theilte die Oberherrschaft mit den
Vornehmsten seiner Parthey, und das Land schlich
einein gänzlichen Untergang mit kraftlosen Schritten
zu, da eö itzt von so vielen Herren beherrscht wurde,
als es Edelleute gab, die Befehlshaber von Schlös-
sern waren. Bürgerliche und verzehrende Kriege
sogen die Unterthanen aus vier ganzer Jahr bis aufs
Lebenaus, und nur der Tod deö jErzbischofts öff.
nete der Nation die Augen, daß der halb erstickte
Funke von Ehre und Muth wieder auszuleben an-
sieng, um die Quelle zu verstopfen, auö der ihr so
manches Unglück zugeströmt war.
Sie begehrte einmüthig den König Rarl wie.
der auf den Thron, und sähe reuevoll ein, wie sehr
sie wider Recht und Gesetze gehandelt hatte; der
Klerisey wurde widerstanden, und Kar! kam zum
dritteninal im Jahr ,467 wieder aus den schwedi-
scheu Thron. Ob zwar unter so günstigen Umstan.
den zu vermuthen war, daß Aar! nie wieder in dem
Besitz seines Thrones gekränkt werden würde, so
konnte er doch die Früchte seiner Ruhe nicht lange
genies-
Schweden.
hi
genießen. Er lebte nach seiner Wiedereinsetzung
nur kurze Zeit, und starb 1470, nachdem er vor sei-
nem Tode seiner Schwester Sohn Gten Sture
zum Reichsverwestr bestellt hatte, weil er furch,
tete, bey einem höhern Titel möchte ihm ein glei-
ches Schicksal drohen. Die Stande genehmigten
nach seinem Tode seinen Nachfolger und seinen ge-
gebenen Rath, und vertrauten ihm den Befehl über
die Armee nnd das Ruder des Staats an.
Ohngeachtet der klugen Vorsicht, die Rarl an»
gewendet hatte, seinem Nachfolger das Kben ange-
nehmer zu machen, schwebten schon in der Zukunft
alle die Widerwärtigkeiten, die er, bald nach seiner
Bestimmung zum Reichöverweser, nur zu lebhaft
erfuhr. Christian konnte nicht ohne geheimen Un.
willen Zusehen , daß ihm der Besitz einer Krone aus
den Händen genommen worden, die zu erhalten ihm
nicht wenig Mühe gekostet hatte. Gewalt war nicht
allezeit daö beste Mittel seine Absicht zu erlangen,
mehr aber richtete er dadurch aus, durch Unterhand-
lungen die Würde eines Reichsverwesers verdach.
tig zu machen. Die Geistlichkeit, so meist auf sei«
ner Seite war, erklärte sich -öffentlich für ihn, und
so regierte Christian und sein Sohn wechselöweise
mit dem Reichsverweser Steu und nach dessen Tode
mit Gante Sture auf vierzig Jahr in Schwe-
den. Bald waren diese Prinzeu und Herren zu ei»
ner Zeit von verschiedenen Provinzen Meister; bald
gesellte sich die Parthey der Bischöfe oder des Adels
auf eine Seite mehr als auf die andre, je nachdem
ein günstiges Geschick oder ein erkaufter Gehorfam
die Triebfeder war. So schwebte Schweden ohne
regelmäßige Regierungssorm, und nur in Par-
theyen zerkheilt, in einem traurigen Zustande, den
nur eine völlige Reform wieder in seine ursprüngliche
Gleich«
112
Schweden.
Gleichheit zurück bringen konnte, die Luch in dev
Folge durch Gustav Wasa erfolgte.
So wenig Christian II, der damals König
von Dänemark war, vermuthet hatte, daß er selbst
den Grund zur Unabhängigkeit Schwedens legen
würde, so wahr würde er geahndet haben. Schon
in der dänischen Geschichte, auf die wir unsre Leser
immer zurück weisen müssen, ist der Karakter dieses
Regenten geschildert worden, und hier sehen wir nur
noch hinzu, daß er Schweden immer nur als ein
Land ansah, wo er durch die Starke seines Armes
die Kraft seiner Gesetze würde geltend machen kön-
nen. Manche seiner Entwürfe gelangen ihm nur
halb, manche gar nicht, und endlich fieng er an, ge-
gen seine eigne dänische Unterthanen hart zu werden,
und/ da sich diese ihm widersetzten, sich mit dem Kö-
nig von Frankreich zu verbinden, der ihm auch
4000 Mann zu Hülfe sendete, wodurch er denn sei-
nen Unterthanen sehr furchtbar wurde, und Schweden
um so mehr bange ward, wenn Christian zu mäch-
tig würde; zumal diese Truppen einer der größten
Generals damaliger Zeit in Norden kommandirte.
Dieser Otto that auch wirklich in Westgothland die
grausamsten Einfälle, und ob schon der Reichöver-
weser mit einer großen Armee, zu der noch, 10,000
Bauern gestoßen waren, ihm engegen zog, so besaß
Otto doch zu viel List, als daß er nicht eine noch
stärkere Armee hätte bezwingen können. Otto
suchte dieses große Heer aus seinen Verschanzungen
zu locken, unter dem verstellten Schein der Flucht.
Sten folgte mit zu wenig Klugheit dieser Lockung,
ließ die ganze schwedische Infanterie im Lager, und
gieng mit einer seltenen Herzhaftigkeit auf die Feinde
los, die ihm beynahe den völligen Sieg erworben
hatte, wenn nicht ein schrecklicher Zufall (indem
ihm
Schulden. uz
ihn eine Kanonenkugel ein Bein wegnahm) den
Schweden allen Muth entkräftet Und Unordnung zu»
wegegebracht hätte, DiesenAugenblick benutzte 0tto¿,
und diese unglückliche Schlacht entschied das Schick»
fal Schwedens, Steen blieb tod auf dem Schlacht»
felde, Gtto aber fand von keiner Seite mehr Ge«
genwehr ins Innerste des Reichs einzudringen,
Zu keiner Zeit hatte die Geistlichkeit mehr mit
ihren Vorstellungen vermocht- die Reichsverwefer-
stelle zu Hintertreiben, als itzt- da Otto die ganze
schwedische Macht geschwächt hakt, Der Erzbischof-
wie alle andre Geistlichen, erklärten Christian für
den rechtmäßigen König von Schweden, und in ek»
Uer dazu bestimmten Verfammlung, zu der sich
Otto auch einfand, dis Würde des Reichöverwe«
serö für erloschen» Der General versprach im Na-
men seines Königes, alle Gesetze und Freyheiten deö
Reichs zu erhalten, und die Bedingungen deö kal-
marischen Bündnisses treulich zu erfüllen; auch allá
Gefangene, besonders Gustav Erichfon, ohne
Lösegeld frei) zu lassen; alle seit Guante GtU-
ve'o Tode, unter beyden Partheyen vorgefallene
Streitigkeiten zu vergessen u. dgl. Hierauf wieder»
holte man den Ausruf, Christian fey König von
Schweden, und welche Provinz sich dawider setzen
sollte, hätte die strengste Verantwortung zu befürch»
ken. Christian trug indeß Bedenken, seinen Ger
neral so viel und so eigenmächtige Dinge verrichten
zu sehen, und doch wollte er seine Mühe nicht mit
Undank zu vergelten scheinen, daher gab er vor, er
würde nunmehr selbst an der Spitze der Armee er-
scheinen, und die zwey Hauptstädte Kalmar und
Stockholm, die sich für die Wiktwe des verstorbenen
Reichsverwesers erklärten, zürn Gehorsam brrngen,
die sich auch nach einer harten Gegenwehr ergaben,
11 Band. II Adch. ‘ H hatte
Schweden.
ïi4
Hätte Christian weiter keine feindliche Gesinnung
gen gegen die Schweden geäußert, als die, so er in
seinen bisherigen Handlungen bewiesen hatte, so wür-
den sie auch nie Ursache zu einem Aufruhr gefunden
haben; aber einer der grausamsten Entschlüsse be-
raubte das Reich seiner großen und verdienstvollen
Männer, und so heilsam für dasselbe die darauf
erfolgte Unabhängigkeit von dänischer Herrschaft war,
so war doch auch das Opfer eins der größten.
Bald nach der Krönung des Königs, im Jahr
1520, suchten seine Günstlinge den mißtrauischen
Gedanken in seiner Seele so lebhaft als möglich zu
machen, als würde feine Regierung in Schweden
nie ruhig feyn können, so lange noch einer von den
Senatoren oder Großen des Landes am Leben wä-
re, der einen Aufruhr Unterhitzen könnte. Dieser
schwarze Anschlag fand in der Seele deö Königes
Nahrung, und, um ihn in Ausführung zu bringen,
ward vorgegeben, man hätte den König nach dem
Leben getrachtet. - So viel gerechte Gegenvertheidi-
gung die Schweden aufbrachten, so konnten sie doch
nicht verhindern, daß nicht ein Schauspiel aufge-
führt wurde, welches den Namen eines Blutbades
mit allem Rechte verdienet. Vier und neunzig der
Vornehmsten, sowohl Bischöfe als Adliche und
Rathspersonen, mancher angesehene Bürger in
Stockholm, wurden enthauptet, die Diener wie ihre
Herren, mit gleicher Grausamkeit behandelt, und
ihre unmenschliche Rache fand auch darinn ein
Opfer, den ohnlängst verstorbenen Steen Stnre
wieder aus der Erde zu graben, um ihn mit unter
die Haufen der Entseelten zu werfen. So besteckte
das Blut der Erschlagenen drey Tage lang die Gas-
sen der Stadt, bis sie am vierten verbrannt wurden.
Nur die Stücke des zertheilten Steen Sture
wurden
Schweden.' iis
wurden im lande umhergeschickt, um jeden Furche
und Schrecken für einen so strengen König zu erwe-
cken. Gleich als ob seine Unmenschlichkeit nur künf-
tig durch unschuldiges Blut zu befriedigen wäre, ließ er
auch in Finnland die vornehmsten Familien ihre
Weiber und Kinder, wie ihre Bedienten, hinrich-
ten, und sendete durchs Land Kundschafter, die der
Entleibten Freunde sogar aus dem Wege raumen
mußten. Als er nun Opser^ genug hatte bluten se-
hen, zog er wieder zurück nach Dänemark, aber
überall bezeichnete er seinen Aufenthalt mit Galgen
und Rädern, die Anzahl der Todten war auf sechs-
hundert, ohne die, welche er durch Verbannung unglück-
lich gemacht hatte. Als er nun alle Hindernisse aus
dem Wege geräumt zu haben dachte, wurde Gu-
stav Erichson vermißt, dessen Vater Erich Wa-
sa, auch mit unter d ? Zahl der Erschlagenen gewe-
sen war. Eine heimliche Stimme seines Gewissens,
mochte ihm zu lebhaft gesagt haben, daß Gustav
das Blut der Erschlagenen rächen würde, und deswegen
setzte er große Summen zur Belohnung, wer Gu-
stav todt oder lebendig überliefern könnte.
Dieses schreckliche Beyspiel der blutigen Rache, HI. Periode
entflammte den Muth des jungen Helden Gustav
Wasa, sowohl den Tod seiner Familie zu rachen,
als auch seinem unterdrückten Vaterlande ein Joch
abzunehmen, welches seinem Nacken so hart auflag, 1524—1560.
Keine Gefahr schien ihm zu fürchterlich, keine Mü-
he zu schwer, keine sthlgeschlagene Hoffnung benahm
ihm die Stärke seines Geistes, sondern, umringt
von seinen Feinden, suchte er seinen Entwurf aus-
zuführen. Der hohe Preis, der auf feine Person
gesetzt war, zwang ihn, sich verborgen zu halten,
und nöthigte ihn, sich in den Gebirgen von Daler-
ne, (oder Dalekarlien) mitten unter Leuten die eben
H 2 so
n6 Schweden.
so wild waren als ihr Land, fein Brodt in den Ku-
pferbergwerken zu Verdienen, in Hoffnung, daß nie-
mand einen Sohn von dem Ersten im Reiche in diesem
Zustande suchen würde. Zufälliger Weise erkannte
ihn der Besitzer des Dorfes, als feinen ehemaligen
Schulfreund, und suchte ihm durch alle mögliche Be-
weise der Freundschaft dieses glückliche Ohngefähr,
angenehm zu machen. Alle Versprechungen aber die
er Gustaven in geheim gab, blieben immer uner-
füllt, so daß dieser sich daraus an einen andern Edel-
mann wendete, der aber Gustaven gewiß in die
Hände der Dänen geliefert hätte, wenn nicht feine
Frau zu viel Hochachtung für diesen Helden, und zu
viel Abscheu für die That gehabt hatte. Auch hier
war er nun wieder nicht sicher, er stoh, ungewiß wo
ihn sein Geschick hinwerfen würde, und ein gemei»
ner Dorfprediger mußte endlich der Mann seyn, der
diesen jungen Flüchtling den ersten Weg zum Thro-
ne führte. Edelmuth und Herzhaftigkeit erfüll-
ten die Seele dieses großen Mannes, der lange über
die Banden geseufzt hatte, die seine Brüder drück-
ten, lind den edlen Stolz der Nation endlich ganz
zu entkräften schienen. Sein Ansehen und sein Amt
kam ihm bey dieser Gelegenheit zu statten. Er such-
te allinälig unter seinen Mitgehülfen, rind unter dem
gemeine«, Mann, den Funken alter schwedischer Un-
abhängigkeit wieder anzuseuern, und die Reize einer
ruhigen friedlichen Regierung mit dem Joch der
gegenwärtigen Bedruckung zu vergleichen, die jeder
nur in verschiedenen Verhältniffen empsand. Glück-
licher Weise fand Gustav Gelegenheit, sich in der
Versammlung einiger hundert jungen Bauern, bey
Gelegenheit eines Festes einziisinden, und faßte den
Augenblick auf, der für fein Utrternehmen dazuseyn
schien» Mir einer unerschrockenen, und Herzhaftig-
keit verkündigenden Miene trat er in die Versamm-
lung,
Schweden.
117
lung, welche ifjn mit aller Ehrfurcht erwartete, da
ihm sein redlicher Prediger schon vorgearbeitet hatte.
Er erzählte alle die schimpflichen Begegnungen, die
ihren Mitbrüdern von den Danen angethan worden
waren; er schilderte das grausame Blutbad, das
dem Reiche die ersten und stärksten Stützen geraubt
hatte, und nennte ihnen den Muth und das uner-
schrockene Herz ihrer Voreltern, die, bey einer tau-
sendmal geringer» That, diese Eingriffe mit Leib
und Leben bekämpft hatten. Er zeigte ihnen, daß
in ihm noch jenes rächende Blut flösse, und daß er
«ur zu ihnen gekommen wäre, es mit dem ihrigen
zu vereinigen, und ihr Vaterland von dem Vorwurf
einer sklavischen Unterwürfigkeit loszumachen.
Noch hatten die Dalekarlrer nichts von dem
Blutbade in Stockholm gehört, daher geriethen sie
bey einer so edlen und unwiderstehbaren Aufforde-
rung eines jungen Helden in die große Wuth, und
schwuren, das Blut ihrer Landsleute mit ihrem
Blute zu rachen. Bald gesellte sich ein Hause von
vierhundert der muthigsten Streiter zu Gustav, der
sich noch ansehnlich vermehrte, und unter seiner An-
führung das erste Unternehmen auf den' Statthal-
halter der Provinz richtete. Der erste Versuch fiel
gleich zu ihrem Vortheil aus, sie bemächtigten sich
des Schlosses und der Güter des Statthalters, und ver-
breiteten weit umher das Gerüchte, daß es in Schwe-
den doch noch Leute gäbe, die ihren Nacken unter
ein so schimpfliches Joch nicht ruhig beugen möchten,
und an deren Spitze der Held Gustav IVasa sey.
Bey diesem glücklichen Fortgang schlug Gustaven
das Herz hoch auf; die übrigen fiengen sich an zu schä-
men, und suchten anfänglich nur durch Unterhand-
lungen sich zu seiner Parthey zu bekennen, weil sie
die Grausamkeit des Königes und die pünktliche Be»
H 3 folgung
Schweden.
n8
folgung seines Unterköniges zu sehr empfanden.
Nach und nach wuchs die Armee von Gustav auf
i5,000 Mann, außer noch die ansehnlichen Besa-
tzungen, die er, bey seinem Hervordringen, in den
kleinern Städten Westermannlands zurückgelassen
hakte.
Christian war bey dieser Nachricht so sehr be-
unruhiget, als sein Unterkönig in Gefahr war, dem
er doch auf keine Weise zu Hülfe kommen konnte,
weil er in Dänemark selbst einen Aufstand befürch-
tete, und die im Sold stehenden fremden Völker,
ihm itzt ihre Hülfe versagten; alles, was er thun
konnte, war, seinem Unterkönig die schärfsten Be-
fehle zu ertheilen um Gustaven von feinem Vorha-
ben abzubringen, widrigen Falles aber mit der Nach-
richt zu bedrohen, daß er feine Mutter und Schwe-
ster, die er als Gefangene nach Dänemark gebracht
habe, des grausamsten Todes sterben lasten würde.
Ohne auf diese Drohung zu achten, rückte Gustav
rnit seinen Truppen immer weiter vorwärts, und stieß
nahe bey dem Schlosse von Westeras auf den Un-
terkönig und die dänischen Truppen, die, sobald sie
Len unerschütterlichen Muth so heidenmäßiger Krie-
ger sahen, sich eiligst zurückzogen und dem Feinde
das Schlachtfeld überließen.
Nachdem so viele erwünschte Siege von Gu-
stav bekannt geworden, und nachdem so viele ge-
fürchtete Uebel vertrieben waren, wurde die Nach-
richt von der Niederlage der Dänen auch das Zei-
chen eines allgemeinen Aufstandes. Von allen Sei-
ten strömten Hülfsvölker zu der siegenden Armee,
und während daß seine Befehlshaber in verschiedenen
Provinzen wider die Dänen siegten, griff er indeß
Upfal an, welches er auch eroberte. Er schickte Ge-
sandten an den angesehenen Rath der. Stadt Lübeck,
Schweden»
119
und forderte Unterstützung zur See, da er glücklich
genug wäre, ihre gemeinschaftliche Feinde gänzlich
zu vertilgen. Allein sie hatten noch zu viel Zaghaf-
tigkeit und verwilligten nichts als 1200 Mann, die
ein teutfcher Oberster nach Schweden führte. Je-
doch Gustavs Absichten giengen weiter, er famm-
lete fein ganzes Heer, um Stockholm zu belagern,
lind brachte es auch bald dahin, daß fowohl dep
Unterkönig als der Erzbischof den letzter! Schritt
zu« thun gezwungen wurden, und nach Danemark
flüchten mußten, wenn sie nicht in die Hände Gus
stavs kommen wollten Stockholm wurde ohne Blut-
vergießen erobert, und der Nachrichten von freywil-
gen Uebergaben waren täglich so viel, daß Gustav nun
für nöthig achtete, sich selbst aus einen festen Fuß zu
setzen. Er versammlete zu dem Ende die sammtli-
chen Stande des Reichs; war es wirklich ihr Ver-
langen, oder war §ö die Folge von Gustavs mei-
sterlichen Rede, kurz, man beschloß einstimmig, so
große und glänzende Thaten, mit der Krone zu be-
lohnen. Allein Gustav trauete diesem Glanz so
wenig, daß er dieses Anerbieten ftl)lechterding6 ab-
schlug und hinzusetzte, daß, im Fall seine Handlungen
einiger Belohnung werth geachtet würden, er die Stel-
le eines Reichsverwesers, wie seine Vorfahren, an-
nehmen würde; worauf ihm denn alle Stimmen ein-
müthig dankten und ihn für ihren Reichsverweftr aus-
riefen,auch sogleich den Eyd der Treue ablegten.
Bis hiehcr hatte noch Gustav seinen Wün-
schen nichts versagen dürfen; allein' ein Wunsch
blieb ihm doch immernoch übrig, und verhinderte
ihn auch, das Anerbieten der Krone anzunehmen,
weil weder seine Absichten noch sein Verlangen da-
mit übereinsiimmten. Es befand sich nämlich die
hauptsächliche Macht von Schweden (oder viel-
H 4 mehr
120
Schweden.
mehr bie innere Starke) in den Händen der Bischt
fe, die auch bis itzt noch bereit waren, dieselbe wi-
der ihren Beherrscher anzuwenden. Sobald er nur
einige Ordnung im Reiche gemacht hatte, entschloß
er sich den Stolz der Geistlichkeit zu demüthlgen,
und, statt ruhig zuzusehen, wie unsägliche Reich-
thümer sie aus dem Lande zögen, sie zu der Erfül-
lung der Pflichten ihres Amtes zurück zu führen.
Alle ihre Gerichtsbarkeiten und eigenrhümlich aus-
übende Gewalt verwies er zu der weltlichen Regie-
rung, aller Bann und Kirchenstrafen hörten auf
Züchtigungen zu feyn für die, so nicht bey der alt-en
Meynung blieben und sich nun zu der lutherischen
Lehre wendeten. Diese und dergleichen Eingriffe
mußten nach feinem Plane erst vorhergehen, ehe ep
den Eyd als König ablegte, wenn er nicht fürchten
wollte. Ln kurzem sie wider ihn selbst aufgebracht zn
sehen. Auch dieß währte nicht lange, und unter al-
len nachherigen Verschwörungen wider den Königs
war diejenige die gefährlichste, welche die vier Reichs
räche und der Bischof von Skara inWestergothland,
im Jahr 152z angesponnen, die aber glücklicher
Weise noch in ihrer ersten Entstehung erstickt wurde.
So viel Aufforderung auch Gustav bekam, sich
zum König krönen zu lassen, so wußte er doch alle-
zeit dem Anerbieten ohne Verdacht auözuweichen,
bis er völlig feine Entwürfe erreicht hatte. Im
3528*. Jahr 15:28 wurde er zu Upfal feyerlich zum König
von Schweden gekrönet, und so viele Hindernisse
ihm auch Ln der Folge bey der Ausbreitung her lu.
thirifchen Religion in den Weg gelegt wurden, so
ruhte er doch nicht eher, bis er es dahin brachte, daß
sich die ganze Nation seiner Macht unterwarf, und
fast alles lutherisch wurde. Er selbst nahm nun die-
*53^ se Lehre im Jahr i zg i an, und ernannte zu dem
Ende Lanrentium Petri zum ersten lutherischen Bi.
schof
121
Schweden.
schof in Schweden. Auch brachte er es dahin, daß
die schwedische Krone, zum Besten der männlichen
Nachkommenschaft, aus einem Herrekage zu Oere-
bro 1540 für erblich erklärt, und diese Erbverei-
nigung 15 44 von den Reichsständen zu Westeras be-
stätiget wurde.
Nichts stand nun Gustaven mehr im Wege, al-
les beugte sich willig unter seinen Zepter, nur Chri-
stian war der einzige seiner Feinde, der ihm seinen
entschiedenen Ruhm, wenigstens nicht Ln Frieden
genießen ließ. Dieser Fürst hatte sich nach Flandern
begeben, um bey Karl V die Wiedererlangung der
Krone suchen, und brachte es auch in kurzem da-
hin, daß er insgeheim des Kaisers Versicherung
erhielt, ihn mit Hülfe der ganzen Reichsmache
wieder eiuzuseßen. So viel sich in der Folge
Christian Mühe gab sein Vorhaben ins Werk zu se-
tzen, so fruchtlos lief e§ doch allemal ab, und Gu-
stav, der seine Feinde endlich alle zum Schweigen
gebracht hatte, genoß doch noch eine Zeit lang dis
erwünschte Ruhe. Alle Mächte Europens bewun-
derten diesen großen nordischen Monarchen, und such-
ten ihm Beweise ihrer Hochachtung an den Tag zu
legen. Hatte Gustav nur allein darauf gesehen,
sein Vaterland der Knechtschaft zu entreißen; hätte
er nur deshalb Mühe und Gefahren daran gewagt-
dieß Joch abzuwerfen; hatte er endlich die Krone
nur um die genannten Verdienste getragen, so wäre
doch immer etwas, was ihm den Ruhm eines erha-
benen , guten Königes streitig machte. Aber ihm
fehlten auch jene liebenswürdigen Eigenschaften nicht,
durch welche sich ein König zu einem Gott der Erde
erheben kann; ihm war das Wohl seiner Brüder
eine seiner Hauptangelegenheiten; sie glücklich in
innerer Ruhe zu wissen, nachdem er die äußere ge-
H ; sicher«
147©*
r
irr Schweden.
sichert hatte, dahin gieng sein Gedanke, wenn er auf
Mittel sann, ihrer Handlung^ ihrem Gewerbe, ihrem
Sitten und ihrem Karakter empor zu helfen. Durch
seine Hände mußten alle Geschäfte des Reichs gehen,
weil er sich es zum Gesetz gemacht hatte, nie mit
fremden Augen zu sehen. Um niemanden durch sei-
nen Glanz und sein Ansehen von seinem Throne zu
scheuchen, verband er mit der strengsten Gerechtig-
keit, ohne Ansehen der Person, auch Güte und
Freundlichkeit, und das klagende Elend eilte von sei-
nem Gesichte nie an Hülfe leer weg. Im Frieden war
er Minister, im Kriege war er General, uno ohne
Günstling machte er sich die Glückseligkeit jedes einzel-
nen Gliedes seiner Unterthanen, zum großen Gegen-
stand seiner Bemühung. Vor seinem Tode hinterließ
er in einem Testamente, daß sein ältester Sohn Erich
den Thron erbte, seinem zweyten Sohne, Johann,
vermachte er das Großherzogthum Finnland; die
Provinz Ostgothland dem dritten Sohn Magnus,
und die Provinz Südermannland seinem vierten
Sohne Rarl, doch so, daß diese Provinzen der
Krone Schweden huldigten.
Dieser siebzigjährige VaterkandSwohlthäter, der
fein ganzes Leben große Thaten gekhan hatte, den
kein Glück zu sehr erhob, kein Unglück zu tief beug-
te, der den weltlichen und geistlichen Gesetzen neue
Granzen setzte, die Religion erleuchtete, den Aber-
glauben auSrottete, die Uebertreter der Gesetze nie
nach Stand und Vermögen, sondern nach dem Ver-
brechen richtete; dieser von allen geliebte und von
allen beweinte Monarch, starb im Jahr 1560,
immer noch zu früh für ein Reich, das erst durch
ihn blühete.
Erich XIV. Erich XIV folgte zwar gleich nach dem Tode
1662—68- ftiues Vaters als Erbe auf dem schwedischen Thron,
aber
Schweden.
Ï2J
aber nur fand das Land nicht jene, zum Thron erfor-
derliche Tugenden in ihm. Alles, was jfein Vater aus
weifen Absichten nicht gethan hatte, wurde von ihm
unternommen. Er führte z. B. bey feiner Krö-
nung im Jahr 1561 die Grafen - und Freyherren-
würde in Schweden ein; und machte 1565 eine
Hofordnung, nach welcher sechszehn Reichsräthe
überhaupt, viere davon aber, nämlich der Oberhof.
Meister (Marfchall) der Riksmarks, derOberkäm-
merer und der Rentmeister, als des Königs ge-
heime Räthe inöbefondere, den. sämmtlichen Hof-
und Reichsgefchaften vorstehen follten. Seine
ganze achtjährige Regierung, ;n?ar eine stete Ket-
te von Streitigkeiten und Unruhen, auch ein
ununterbrochener Krieg mit Dänemark. Arg-,
wöhnifch gegen feine Brüder, sann er auf Mittel,
sie aus der Welt zu schaffen, die aber zu feinem eige-
nen Nachtheil verunglückten, und mehr, als dieß al-
les, zog ihm die Unbeständigkeit in der Liebe den
Haß seines Volkes zu. Nach vielen Anstalten sich
mit auswärtigen Höfen durch Heyrathen zu verbin-
den, die aber nur so lange fein Wunsch waren, als
es Zeit bedurfte, ihn wieder auf andre Gedanken zu
bringen, siel endlich seine Zuneigung auf die Toch-
ter eines Korporals, Namens Ratharma Mons,
die außer ihrer Jugend und Schönheit nichts hakte,
was ihn fesseln konnte. Sein Entschluß sie zur
Königinn zu erheben blieb unwiderruflich, und das
Reich fah sich genöthiget darein zu willigen. Man
sagt, daß ein öfterer Anfall von Wahnsinn ihn zu
mancher Grausamkeit verleitet habe, die er bald
nachher wieder ernstlich bereuete,^ur Regierung aber
unfähig machte. Selbst feine sonst vertrautem.Per-
sonen brachte er mit eigner Hand ums Leben, und gab
freywillig zu, daß Svante Sture, und feine Söhne
Erich und Nils, nebst vielen andern, auf Anstiften
seines
Schweden.
124
seines Günstlings hingerichtet wurden, von denen
er den ersten mit eigner Hand erstach. Seine Un-
terthanen wurden daher genöthiget, ihre Waffen ge-
gen ihn zu richten, sie besiegten ihn in verschiedenen
Treffen, belagerten ihn in der Hauptstadt, und
zwangen ihn nicht nur, sich als Gefangenen zu erge-
ben, sondern auch der Krone zu entsagen. Zugleich
wurden die Kinder Erichs für unfähig zum Throne
erklärt, und er zu einer immerwährenden Gefan-
genfchaft zu Oereby - HuS verdammt, in welcher
er 1577 auf Befehl des Königs, seines Bruders
Johann, am Gift sterben mußte.
Johann n. Eben dieser Johann fein Bruder swar der
1568—1592. Nachfolger in der Regierung ; ein Herr, unter dem
sich das Land eben in keinem außerordentlichen Wohl-
stände befand. Gleich nach feiner Gelangung zum
Thron ließ er feinen Sohn Sigismund zum Nach»
folger und Thronerben ernennen, und suchte mit al-
len Kräften die katholische Religion wieder zur herr-
schenden zu machen. Allein so viele Mühe es ihm
kostete, so gelang es ihm doch nicht, und fein Bru-
der Karl, den er stets mehr fürchtete als liebte,
hatte sich auch oft schon mit aller Macht dawider
gefetzt. Johann mußte wider Rußland und Dä-
nemark einen Krieg führen, der schon unter Erich
angefangen war, und sich mittelst des Stettiner Frie-
dens seiner Ansprüche auf Norwegen, Schonen,
Holland und die Insel Gottland begeben, da hinge-
gen Dänemark zwar seiner Seits ebenfalls alle Au-
sprüche auf das damalige eigentliche Schweden fah-
ren ließ, dieß aber doch nöthigte, ihm Iemtland
And Herjedalen abzutreten, Elfsborg durch acht zu-
rückgegebene Kriegsschiffe einzulösen, noch überdieß
$0000 Rthlr. zu bezahlen, und endlich vor der
Hand die Führung der drey Kronen im dänischen
Wappen
Schweden.
125
Waperr zu erlauben. Der teutschen Gemeinde.'.in
Stockholm gab er im Jahr 1571 ihre Privilegien,
die ihr auch durch alle folgende Regierungswechsel
zugestanden worden sind; außerdem bezeichnen keine
sonderliche große Handlungen seine Regierung. Et
verfiel zuletzt in eine große Gemüthskrankheir, an
der er auch 1592 starb.
Sigismund, fein Sohn, folgte 1592 Kraft Sigmund
der Erbvereinigung seinem Vater in der Regierung l592—i6s4»
und in vielen Stücken auch in seinem Karakter.
Er war katholisch erzogen, und 1587 nach Stephans
Tode zum König von Pohlen erwählt worden, wes-
wegen er auch in Kalmar bey seiner Abreise nach
Polen unter andern versprechen mußte, daß, wenn
er, nach seines Vaters Tode, die schwedische Krone
annähme, Herzog 2xarl, sein Oheim, mit sieben
Rathen der schwedischen Regierung vorstehen, und
überdies die Bischöfe in wichtigen Angelegenheiten
zu Rathe ziehen sollte. Herzog Rarl von Süder-
mannland trat indessen die Verwaltung des Staats
gleich nach dem Tode feines Bruders an, bis Si-
gismund aus Polen kam, um sich krönen Zu lasten,
welches fast ein Jahr nachher erst erfolgte. Er lei-
stete wahrend seiner Reichßverwaltung dem Lande
manche heilsame Dienste, und suchte vorzüglich
durch eine Verbindung mit den Reichsräthen und
der Geistlichkeit zu Upsal dahin zu gelangen, daß
sie die neuen melanchthonischen Lehrsätze, und det
Erbfürsten Gerechtsamen sowohl, als des RejchS-
raths Ansehen nebst der Reichsstände Freyhcit, ge-
meinschaftlich verkheidigen, und aus solche Weise alle
für einen, und einen für alle streiten wollten.'' Hier-
auf erklärte er die augöburgische Confession für die
einzige in Schweden zu duldende Religion^ und
Sigismund mußte 1592 , als er in Stockholm am
gelangt
126 Schwede».
gelangt war, ehe er noch 1594 gekrönt wurde, eine,
seinen vom päbstlichen Legaten Malaspina zum Vor-
theil der katholischen Religion gemachten Entwürfen,
ganz widrige königliche Versicherung ausstellen.
Rart hatte entweder schon aus zu vielen Anstalten
verrathen, wie gern er selbst Besitzer eines Reiches
sey, das er itzt nur verwalten sollte, oder Sigis-
mund hatte andre Ursachen, warum er nie mit den
Absichten Karls zufrieden war, kurz, er suchte in al-
len Dingen eine den Absichten des Herzogs sehr nach-
theilige Staatsverwaltung einzuführen. Er bestell-
te, ehe er seine Rückreise nach Danzig antrat, alle
diejenigen zu Reichsrathen, die eben nicht die besten
Freunde vom Herzog waren, und den Herzog selbst
nicht zum ReichSvorsteher, sondern nur zum Reichö-
rathe. Hieraus entstanden nun alle mögliche Miß-
helligkeiten , wobei) das Land stets den meisten Ver-
lust hatte, da Karl theils Bedingungen mit Rußland
eingieng, bey denen Sigismund nichts gewann,
theilö eö schon dahin zu lenken wußte, daß man all»
-gemein ansteng mit Sigismund unzufrieden zu wer-
den, indem er Schweden dem Interesse Polens
aufopferte. Es kam endlich wirklich zum Ausbruche
des Krieges, und Sigmund sähe sich, nach der Nie-
derlage bey Strangebroo, 1 598 das Reich zu ver-
lassen genöthigt. Man verlangte nun, sein Prinz
sollte nach Schweden gebracht und in der lutherischen
Religion erzogen werden, wenn er die Krone haben
wollte; da aber dies nicht angenommen ward, und
da auch sein Bruder die Krone auöschlng, so siel na-
türlich die Wahl auf seinen Oheim Karl IX, wo-
durch einigermaßen die Rechte der alten gothischen
FreyhAt erneuert wurden, die auch ihre Könige nach
Gefallen ab - und einsetzten. Nachdem also die
schwedischem Reichsstande dem Könige Sigismund
seine und' seiner Nach kommen sch-a s t völlige Ans-
schlief.
Schweden.
127
fchließung von der ©ucceffton in Schweden, durch
eine feyerliche Gesandschast, förmlich hatten bekannt
machenstassen, so ward ^xarl imJ. i6o4inUpsal
seyerlich gekrönt.
2\arl IX. saß nunmehr auf dem schwedischen Kar! rX.
Thron, auf dem ihn eine stete Reihe von Kriegen 1604-7-161^
beunruhigte. Gleich anfangs hatte er mit Sigis-
mund und der Republik Polen in Liefland zu käm-
pfen , und ob auch Bestand meist der Schauplatz de§
Krieges war, so verlohr doch darinn Schweden.
Seine Handel mit den Russen schlugen noch zu besterm
Vortheil aus, indem die Russen einen sehr vortheil-
haften Frieden mit Schweden schlossen. Als aber
die Bedingungen nicht pflichtmäßig gehalten wurden,
bemeisterte sich Schweden Karelen, Jngermannland
und Groß-Nowogorod. Kaum sah sich Karl im
Besitz neuer Güter, als ihm ein unerwarteter Krieg
vom König voll Dänemark angekündiget wurde,
während dessen Aarl Alters halber und von so vielen
Unruhen entkräftet, im Jahr 1611 starb. Rarls
Feinde behaupten, er habe wegen seiner Regiersucht
unter den verschiedenen einheimischen und fremden
Unruhen gegen 6 ->977 Schweden ausgcopsert, und
144 größtentheis verdienstvolle Männer hinrichten
lassen. Da sich diese Nachrichten von seinen Fein-
den herschreiben, so dürste wohl zuviel übertriebenes
in diesem Gemälde seyn. Man kann auch nicht
läugnen, daß er verschiedene gute Anordnungen ge-
macht habe, wie z. B. i6oz ward das erste Feld-
meßkomtoir unter ihin errichtet'; verschiedene Städte
erhielten durch ihn ihr Entstehen, ihr Einsehen und-
Freyheiten; am meisten suchte er die Religion', wie
schon oben erwähnt wvrden, ausrechtzu erhalten:
und e6 würde also wohl immer ein kühnes Unckneh.
Uten
Gustav
Adolph 161
—1632,
118 Schweden.
men seyn, die Tugenden und Fehler eines Regenten
durch einen Machkspruch zu bestimmen.
Gustav Adolph, sein ältester Sohn, folgte
ihm in der Regierung; sein Bruder Rar! Philipp
war Herzog von Südermannland, Nerike und War-
meland, und sein Oheim Johann Herzog von
Ostergothland und Dalland. Unruhiger und in ei-
nem mißlichem Zustande hatte er nie zum Throne
gelangen können, indem er nicht weniger als in drey
Kriege verwickelt war, unter denen der Krieg mit
Dänemark ihm am lästigsten wurde, und ihn 1613
dahin vermochte, unter großbritannischer Vermiete,
lung einen Frieden zu schließen, ws Schweden, gegen
Bezahlung einer Million, alles Eroberte wieder ab»
getreten wurde. Mit Polen wurde ein zweyjahri-
ger Stillstand gemacht, und nun blieb nur Rußland
fein Augenmerk, das er zu seinem Vortheil durch den
Frieden zu Stolbowa zur Ruhe brachte, wodurch
die Russen von der Ostsee ganz ausgeschlossen wur-
den. Der Krieg mit Polen konnte aus diese Weise
desto eifriger betrieben werden, und war für die
Schweden eben so glücklich, indem sie Riga und alle
polnische Platze in Bestand eroberten, und von da
den Krieg mit gleichem Vortheil bis Preußen zogen,
bis endlich 1624 durch England und Frankreichs
Vermittelung ein Stillstand geschlossen wurde, der
Gustaven wenigstens Zeit gab, sich in den teutschen
Krieg zu verwickeln, der aber auch für alle andre
einen Beweis abgab, was Schweden unter Anfüh.
rung eines Königes, wie Gustav, auszurichten int
Stande sey. Ob es zwar ganz wider unfern Plan
ist, Umständliche Beschreibungen von Schlachten
und Kriegen zu liefern; so glauben wir doch hier
eine Ausnahme von der Regel machen zu dürfen,
Schweden. 129
und der große Held wirklich würde Ms unter einer mt
dern Beschreibung lange nicht so groß erscheinen,
als wenn wir ihm in einige seiner. Schlachten
gefolgt sind.
Als Gustav die oben genannten Unruhen ge.
stillt hatte, zog eine neue Scene seine Ausmerksam,
keit auf sich. Das Haus Oesterreich legte es sicht-
bar daraus an, die nordischen Völker von sich abhan.
gig zu machen, utib besonders die protestantische Re-
ligion, welcher Gustav ebenfalls eifrigst ergeben
war, in ganz Teutfchland zu unterdrücken. Des-
halb faßte er den Entschluß mit seinen sieggewohnten
Waffen in Teutfchland einzudringen, und durch
Unterstützung der Kurfürsten von Brandenburg und
Sachsen die ReligionS-und Gewissensfreyheit auf-
recht zu erhalten; nicht minder auch dem zu mächti-
gen Kaiser Ferdinand IL Einhalt zu thun, der das
Mißverständlich zwischen Sigismund und Gustav
zu unterhalten, und durch Versprechungen der treu-
sten Hülfleistung Sigismund zu bewegen suchte,
keinen Frieden oder Stillstand zu verstatten, da ihm
in kurzem die schwedische Krone ohnedem zu Thei! wer-
den sollte. Diese und verschiedene andre Ursachen
ließen Gustav alle Maaßregeln ergreifen, diese
drohende Gefahr mit Klugheit und Starke abzulen-
ken. Man beschloß daher nicht erst zu warten, bis
der Feind sich den Granzen näherte , sondern ihm lie-
ber mit den Waffen entgegen zu gehen, und nicht
zuzugeben, daß er an der Ostsee festen Fuß faßte.
Hiezu fand sich eiligst eine schickliche Gelegenheit,
indem der kaiserliche General Albrecht von Wallen-
stein, Herzog zu Friedland, eine Ursache suchte, die
Stadt Stralsund anzugreifen, weil diese seinen Ab-
stchten sehr bequem war. Dieser Stadt bot der
König, der damals in Preußen war, seine Hülfe
li Band. II Abrh. A an,
*30 Schweden.
«n, und unterstützte sie mit einer ansehnlichen Par.
thie Pulver und guten Verhaltungöregeln, welche
auch nicht ermangelte, diese Hülfe mit offnen Armen
anzunehmen, und mit dem König eine Allianz mach-
te, ihre Stadt und Hafen zu beschützen, um die
Handlung auf der Oftfee sicher zu ftellen. Auch hat«
te der König von Dänemark ebenfalls Hülfstruppen
nach Stralsund gesandt, die aber Gustav durch kluge
Vermittelung aus der Stadt zu gehen bewog, und
sich die ganze Hülfe allein vorbehielt. Alle Anftat-
ten blieben nun im I. 1629 nur allein auf die Ver-
theidigung von Stralsund gerichtet. Gustav schickte
auch Gesandten nach Lübeck, um den Kaiser zu Un-
terhandlungen zu bewegen, allein die Gesandten ver-
fehlten nicht nur ihre Absichten, sondern mußten sich
gefallen lassen, mit auffallenden abfchlaglichen Ant-
worten wieder abzureifen.. Gustav wiederholte seine
Gesandschaft nochmals an Wallenstein, die aber
ebenfalls vergeblich ablief. Nachdem nun Preus-
sen mit Polen den Stillstand auf sechs Jahr ge-
schlossen, und der französische Gesandte den König
von Schweden eifrigst zum Kriege in TeutschlandMf-
munterte, ihm verstellte, daß Bayern und die ka-
tholischen Lande seinem König anlagen, sich derteut-
schen Sache anzunehmen, weil die österreichische
Macht sowohl den Katholischen alö Protestanten zu
schwer fiele: sy wurde nunmehr mit möglichsten
Ernst darauf gedacht, ob es vortheilhafter fey den
Angriff des Kaisers zu erwarten, oder ihm auf dem-
selben Wege entgegen zu gehen. Gustav langte
mit feiner Armee, die aus 16 Fahnen Reuter, 92
Kompagnien Fußvolk, in allen 8 bis 9000 Mann
bestand auf der Insel Rügen an, wozu sich gar bald
englische, schottische und teutsche Regimenter gesell-
ten. Ganz Pommern und Stettin fiel auf diesem
Zügeln ihre Hände, und der bey Leipzig erfoä-tene
Schweden. ijr
S!ög am 17fen Sept. 163 i, dsmüthigke den kom»
rnandirenden Ttlly so fehl-, daß er- es nicht verhindern
konnte, als Gustav von da durch Franken, Pfalz,
Bayern und Schwaben vordrang. Sieg folgte
jedem Schrite des Helden, und fast war er zu
der Höhe gehoben, dem Kaiser das Ueberge-
wicht abgenommen zu haben, ja er hatte vielleicht
selbst einen glanzendem Posten besteigen können,
wenn nicht ein Unglück die ganze Reihe seiner Aus-
sichten vereitelte. Das Jahr darnach, als er die
Schlacht bey Leipzig gewonnen hatte, kam es bey
Lützen zu einem neuen und harten Treffen, in wel-
chem er zwar sregke, aber auch die Laufbahn seiner
Siege endigte. Einige behaupten, man habe ihn
in einer Attake hinterlistiger Weise erschossen; und
so schauderhaft die Nachricht für seine Armee, und
so fröhlich für die Feinde auch war, so blieb doch der
Sieg auf schwedischer Seite, nur der Krieg hatte
dadurch noch nicht seine Endschasr erreicht.
So viel von diesem großen Feldherrn, dessen
Ruhm zu bekannt ist, und dessen Thaten in derteut-
schen Geschichte noch mit mehrerm gedacht werden.
Sollten auch vielleicht jene Beschuldigungen nicht
ganz ungegründek seyn, daß er nämlich allzuviel
Hitze in seinem Heldenmuth geäußert habe, so sind
dies doch gewiß immer sehr verzeihliche Fehler,
wenn Vaterlands Liebe und Vaterlands Wohl diese
Hitze anfeuert. Eben diese zu große Kühnheit, mit
der er sich jeder Gefahr entgegen stellte, soll auch
nach der wahrscheinlichsten Behauptung seinen Tod
zuwege gebracht haben, und die Vernulthung einer
heimlichen Ermordung ganz ungegründek seyn»
Schweden wußte nur zu lebhaft, wie viel mit
<Vujtavgefallen war. Er hatte für das Land, aus-
ser diesen Siegen , manche heilsame Einrichtung ge»
I s ersf»
Schweden.
Christin«
1632—1654.
Nr
troffen, und würde, wenn seine Regierung weniger
beunruhiget gewesen wäre, noch revendere Beweise
an den Tag gelegt haben.
Er führte z. B. im I. 1617 eine neue Reichs-
tagsordnung ein, vermöge welcher den auf deu Reichs-
tag versammelten Prinzen, dem Adel, der Geistlichkeit,
dem Kriegsstande, den Bürgern und Bauern verbo-
then ward, etwas in Berathfchlagung zu nehmen,
was nicht ausdrücklich des Königes Vorschlag sey.
Er theilte zu dem Ende den Adel in drey Klassen,
in Grafen, Ritter und Edelleute; er führte da6
schwedische Hofgericht zu Stockholm 1014 ein; er
errichtete Zölle und Aecisen; bauete neue Städte,
gab verfchiedenen Privilegien, und beförderte die
Wissenschaften durch Errichtung verschiedener Gym-
nasien. Die berühmte Augsburger Huldigungsmün.
ze, mit der Umschrift: Guftava & Auguita Caput
Religionis Sc Regionis, sehr diesen in der teutfchen
Reichsgefchichte höchstgcpriefcnen König in das hellste
Licht, und er starb eben so rühmlich, als würdig
sein Haupt eine Krone zierte. Sein natürlicher
Sohn, Gustav wasabercz, war i6z2,schwe-
bischer Kommendant in Wittenberg und der dastgen
Universität Rector magnificus, aber nicht Nachfol-
ger auf feinem Thron, weil Gustav zu Folge eines
Testaments, welches nach feinem Tode erst bekannt
gemacht wurde, Christin«, feine einzige Tochter,
dazu ernannt hatte.
Christin«erbte in ihrem sechsten Jahre 1632
den Thron, der während ihrer Minderjährigkeit, mit
gänzlichem Ausschluß der verwittweten Königin»
Mutter, von den fünf obersten Reichsbeamten bis
mit Ende des Jahres 164.4, wo Christin« die
Regierung selbst antrat, verwaltet wurde. Indes-
sen wurde der Krieg in Teutschland unter abwech-
selndcm
Schweden.
133
selndem Glück fortgesetzt, und der schwedische Reichs-
kanzler, Graf Axel Oxenstierna war nach Gu-
stavs Tode, als schwedischer Ambassadeur, zum
Direktor der evangelischen Konföderation erklärt
worden. Gustavs Tod erregte jedoch bey dem
größten Theil von Europa verschiedene Bewegun-
gen, weil fast der größte Theil dabey intereßirt war;
und obgleich Oesterreich einen ansehnlichen Verlust
an tapsern Kriegern erlitten hatte, so grenzen doch
alle Hoffnungen dahin, daß mit Gustavs Tode
auch die Starke der schwedischen Waffen gefallen sey,
und jene innere Starke des Reichs, die er so klug
zusammen zu halten wußte, von nun an zertheilk,
und also leicht bezwungen werden könnte. Ein neuer
Umstand bestärkte dieses Vermuthen, da Spanien
große Summen nach Italien schickte, um da eine Ar-
mee zu errichten, die zu des Kaisers Diensten bereit
seyn sollte, und dannfolgends wider die Holländerin
den Niederlanden gerichtet wäre. Holland hatte theils
seine eigne Sache zu vertheidigen, theils sah es nei-
disch auf Schweden, England mischte sich in die
teutschen Streitigkeiten wenig, und war ganz spa-
nisch, Sachsen that fast im Allgemeinen mehr Scha-
den als Ruhen, auch schloß es 1635 mit dem Kaiser
zu Prag einen Partikularfrieden, kurz, Schweden
war von allen Seiten sich selbst überlassen, und wür-
de die große Niederlage bey Nördlingen noch mehr
empfunden haben, wenn es sich nicht 1636 bey
Wittstock wider Sachsen, 1642 bey Leipzig- und
1645 bey Zankowitz wider die Kaiserlichen schadlos
gehalten hatte. Diese glücklichen Erfolge beschleu-
nigten die seit 1642 zu Münster und Osnabrück ge-
psiogenen Friedeusunterhandlungen dergestalt, daß
der berühmte westphalische Friede endlich 1648
geschlossen wurde, der dem abwechselnden Glück von
Gewinn und Verlust Granzen setzte, bey weichender
I 3 Un-
ij4 Schweden.
Unterthan immer das meiste verloren hatte, sein
Gewerbe gehemmt, seines Güter verloren, und tau-
sende arm für einen glücklich gemacht worden waren.
Als auf diefe Weife sich Schweden wieder zu
erholen anfieng, das Feuer des Krieges atlmalig ver-
dampfte; erfolgte kurz darauf eine neue Begebenheit,
auf die weder die Vornehmen noch die Geringen im
Staat vorbereitet waren.
Die Könkginn Christina, welche stets' das
Geräusch der Waffen verabscheut, und langst ge-
wünscht hatte, daß ein günstiger Augenblick erschei-
nen möchte, der ihren Lieblingswunsch begünstigte,
fann nun auf Mittel, ihren angebornen Fähigkeiten
und ihrem durch Kultur geübten Verstände in einer
philosophijehen Stille nachhängen zu können. Sie
unterhielt stets Briefwechsel mit den gelehrtesten
Männern in Europa, und suchte dieselben an ihren
Hof zu bringen. Huczo de (BYoot, Saumaise
und Deftarces waren ihre geachkesten Philosophen,
und jedem bewies ste auch die 'Achtung, die sie Ver-
diensten überhaupt, auch außer ihren Staaten,
schuldig zu seyn glaubte. Diese ihre unbefriedigte
Begierde, den Wissenschaften sich zu ergeben, ließ
rhr daher keinen andern Schluß fassen, als daß das
mühsame Geschäfte, ein Land zu regieren, hiemit
uicht überem käme, Und sie äußerte ganz sichtbar, wie
unangenehm ihr jedes Geschäfte des Staats sey. Sie
faßte dahero den Entschluß, die. Regierung niederzu«
legen, und sie in 2xarl Gustavs Hände zu geben,
zumal ste sich nie entschließen konnte, ihren ehelsserr
Stand zu verändern, und selbst Karln hatte vergeb-
lich anfragen lassen. Bald darauf brachte sie ihre
Abdankung bey der Versammlung der Reichsstände
Zn Vortrag, und sowohl die Stände, als selbst der,
dm ste zum Thronfolger bestellte, fanden dieses Vor.
Schweden,
m
haben unbillig. Nichts wurde gespart, sie davon
abzubringen, aber nichts war auch im Stande, sie
in ihrem Entschluß wankend zu machen. Nachdem
sie mit dem neuen König einige Vergleichungen ge-
troffen, so erschien sie endlich unter Begleitung ihres
Vetters des Prinzen Rar! Gustav in dem Reiche
rath, un-d ließ sich daselbst die entworfene AbdankungS-
acte vorlesen. Nachdemdiesverrichtetwar, legteste
ihre königlichen Kleinodien ab und übergab sie den
Reichsbeamten. Gustav begleitete sie hierauf nach
ihrem Wohnzimmer zurück, und wurde noch an dem-
selben Tage, mit allem Prunk, so vieles der erschöpfte
Schatz verstauet, zum König gekrönet, und ver-
ordnte, daß zum Andenken und Dankbarkeit seiner
erlangten Würde eine Gedachtnißmünze geprägt
würde, mit der Aufschrift: »Gott und Christinen
verdank ich die Krone."
Kaum hatte Christina Ihre Absicht erreicht,
so'schritt sie nun auch zu dem damit verbundenen Lieb-
lingsgedauken, das Land zu verlassen und nach Rom
zu gehen, wo ihr Geist mehr Aufmunterung und
Stoff zum Nachdenken vor sich hoffte. Ob sie auch
eben nicht von dem ganzen Volk angebetet wurde, so
sah man doch bey ihrer Abreise, daß sie die Herzen
ihrer Unterthanen sehr gefesselt hakte, die sich mit
aller Macht wider ihre schleunige Abreise setzten,
und sie fast zwangen, langer, als sie wünschte, in
Stockholm zu verweilen. Auch als man erfuhr,
sie würde die katholische Religion annehmen, suchte
man sie mit allen möglichen Vorstellungen von ihrem
Vorhaben abzubringen ; allein sie führte das, was
sie beschlossen hatte, aus, verließ ihr Land, gieng
nach Italien, ward zu Inspruck katholisch, und
starb zu Rom im 1.1689, von vielen bewundert^
von vielen verachtet.
I 4 S»
Schweden.
i;6
So seltsam die Handlung dieser Königin« war,
so verschieden sind auch die Urtheile über dieselbe.
Einige fanden in dieser Abdankung eine unschatzbare
Geistesgröße, andre sahen sie bloß als Wirkung des
Eigensinnes und der Unbeständigkeit an, die sie,
wenn sie nicht in einem Alter von sieben und zwanzig
Jahren gewesen wäre, wohl nicht gethan haben
würde. Ihre häufigen nachherigen Reisen in verr
schiedene Länder, und ihre nichts weniger als ruhige
Lebensart außerhalb ihrem Vaterlande geben diesen
Vermuthungen um so mehr Gewicht. Hatte sie sich
auf lange Zeit hindurch die Aufmerksamkeit von Eu-
ropa erworben, schwung sie sich auch durch ihre
Kenntnisse über ihr ganzes Geschlecht hinaus, so
hatten doch auch die Unterthanen so viel Schattensei-
ten entdeckt, die sie öfters unzufrieden mit ihrer Re-
gierung machten. Ihr Hofstaat war mit einer Men-
ge ausländischer Gelehrten ungefüllt, Und das in den
vorhergehenden Regierungen ersparte Geld wurde zu
Erkausung von Handschriften angewendet, die oft
zu nichts nutzten, als daß sie da waren. Ihr Hof
und königlicher Palast sah mehr einer Schule als
einem Palast ähnlich, wo künstliche und unnütze
Alterthumögrübler ihre Phantasien auskramten, und
oft verrieth sie wieder, daß sie in die Arbeiten wirk-
lich großer Männer den Werth nicht setzte, den sie
verdienten. Kurz, ihr Vaterland glaubte mit allem
Recht unzufrieden mit Christinen zu seyn, und
hoffte in ihrech Nachfolger Ersatz dafür zu finden.
IV. Periode, 2xarl X, Gustav, Johann Kasimirs, Her-
das Haus zogs pon Zweybrücken und der Katharina Karls IX.
Zweybrück ältesten Tochter Sohn, war, wie oben gesagt, von
Karl X? Gu.l?cr KönMi, Christina zum Thron bestimmt und
ftav. j'654-1649 von den Ständen erwählt worden, welche
hiedurch nach Erlöschung der gustavinischen mannli-
Schweden. ijp
chen Nachkommenschaft ihr Wahlrecht ausübten.
So groß die Erwartungen waren, welche die Na-
tion auf ihn setzte, unter dessen Schutz sie sich von
alleil ihr zugefügten Wunden erholen wollte; so
wenig befriedigend war seine ganze Regierung, denn
Kriege au Kriege (öfters ohne Noch) machten seine
Unterthauen unglücklich, und im Ganzen that er
nichts, was ihnen Vergütung gewesen wäre. Wi-
der seine Erwählung zum Thron machte gleich an-
fänglich der König Kasimir von Polen (des Kö-
nigs Sigmund von Polen und Schweden Sohn,
der von seinem Vater und Großvater her ein Erb-
recht an die Krone von Schweden zu haben glaubte,
welches ihm aber die schwedischen Reickssiände nicht
zugesiehen wollten) Einwendung. Alle diese An-
sprüche gereichten ihm aber in der Folge selbst zum
Unglück. Gustav rückte aus Pommern in Polen ein,
und die Furcht vor seinen siegreichen Waffen machte,
daß ihm in diesem Königreich alles, selbst die Krön-
miliz, die Quartianer und Litthauer, kurz alles,
was damals nichtschon russisch war, zusiel und sich in
Gustavs Schutz begab; nur Danzig war der einzige
Ort, der dem König treu und selbst eine Freystatte
für den Monarchen blieb. Polen erstaunte und ganz
Europa wurde unruhig über das seltene Glück der
Schweden, da in nicht völlig drey Monaten ganz
Preußen, außer Danzig, einem großen Theil von
Litthauen, die Städte Warschau, Krakau und man-
che andre beträchtliche Plätze in Groß, und Klein.
Polen sich unter seinen Zepter beugten, und der
König selbst nach Schlesien geflohen war, um sich
für den überall siegenden Gustav zu verbergen.
Allein so schnell sich ihm das Glück zugewandt hatte,
so schnell wandte es sich wieder von ihm weg, und
selbst seine besiegten Polen verließen schnell wieder
das Joch, das sie sich so ruhig hatten auflegen lassen.
Ä 5 Hiczq
,;8 Schweden.
Hiezu kam noch, daß er Rußland, den Kaiser,
Dänemark und Holland zu : Feinden bekam,
welches ihn nöthigte, sich 1657 aus Polen zurück
zu ziehen, und seine Waffen vorzüglich wider Däne-
mark zu richten. Er bemächtigte sich auch des da-
rüschen Holsteins rc., gieng hierauf 1658 über den
stark gefrornen kleinen Belt mit seinem ganzen Heer,
und zwang auch hier wieder den König von Däne-
mark, ihn durch den roßkildischen Frieden,
Skone, Halland, Bleckingen uud Bahuslehn ab-
zutreten. Uebcr diesen Frieden konnte Dänemark
nicht zur Ruhe gelangen, das kriegerische Feuer
hatte noch zu viel Nahrung, und in etlichen
Monaten brach der förmliche Krieg wieder aus.
Karl Gustav landete im folgenden Sommer mit
einer Armee in Dänemark, eroberte das Schloß
Kronenburg, welches die Einfahrt im Sunde
bestreicht, und belagerte Kopenhagen. Lange blieb
es unentschieden, ob Dänemark nicht ein noch
größers Uebel zu fürchten hätte, wenn Kopenhagen
an den Feind übergienge, der ihm mit aller Macht
zusehte; aber die tapfere Vertheidigung der Bürger,
und der Beystand, den die Dänen von Holland er-
hielten, brachten Gustav eine unglückliche Nieder-
lage bey, aus der erffich mit großem Verlust zurück-
ziehen mußte. Hier war auch das Ziel seiner krie-
gerischen Laufbahn abgesteckt, und Gustav, dev
durch seine kühnen und glücklichen Unternehmungen
sich in sechs Jahren fast ganz Europa zu Feinden
gemacht hatte, starb im I. 1662 an einem Fieber,
und hinterließ seinem Sohne die Krone.
Karl XI- Rarl XI. war damals nur fünf Jahr alt, als
1660—1697. j*ejn Vater istarb, und konnte also das Reich nicht
anders als durch Vormünder regiert werden. Rarl
hakte daher in seinem Testament die Königinn
Schweden.
*39
Hedwig Eleonora »011 Holstein/ seinen Onkel
Adolph Johann, als Generalissimus der Armee,
und vier hohe Kronbeamte zu Vormündern verordnet^
welches Testament aber von den Reichsständen nicht
angenommen, sondern in der 1660 zu Stockholm
ausgefertigten neuen Negierungsform verordnet wur-
de, daß die verwittweteKöniginn und die fünf höch-
sten Kronbeamten die Regierung des Reichs verwal-
ten sollten. Alle die Kriege, in welche sein Barer
verwickelt war, hatten mit seinem Tode noch keine
Endfchaft erreicht, allein diese neue Reichöverwe-
sung beschäftigte sich gleich anfangs mit Ser Herstel-
lung des guten Vernehmens zwischen Schweden und
den benachbarten Machten. Der am dritten May
i66;ü zu Oliva bey Danzig geschloffene Friede, en-
digte den Krieg mit dem Kaiser, dem Kurfürsten
von Brandenburg und dem König von Polen, zumal
letzterer auch allen Ansprüchen aus Schweden dabey
entsagte. Der zu Kardis am 2^steu Inn. 1661
geschloffene Friede söhnte Schweden mit Rußland
aus, und beyde Dichte gaben die von einander ge-
machten'Eroberungen zurück. An Dänemark aber
hatte Schweden Kraft des am 2/sten May 1664
zu Kopenhagen geschloffenen Friedens, Drontheim
und Bornholin gegen einige ihm von Dänemark
zur Entschädigung abgetretene Erbgüter überlaffen»
Kaum aber war der König gekrönet, so wurde
er in einen neuen Krieg verwickelt/ der zwischen
Frankreich, Holland und einigen teutschen Staaten
ausbrach. Günstiger für 2t(tritt waren die Ver-
sprechungen von französischer Seite, als die ^Vor-
theile, die er wirklich von diesem Kriege zog. Frank-
reich gab ihm jährlich 200,000 Pfund Subsidien,
allein er schickte auch dafür 1674 ein ansehnliches
Heer unter der Anführung des Feldmarschalls Mran,
140 Schweden.
gel nach Teutschland, welches nicht so bald im Felde
erschien, als es schon 1675 völlig geschlagen wurde.
Ein so unerwartetes Unglück setzte die Anordnungen
des Königes in Verlegenheit, und nur die Vortheile,
die sie in der Folge über die dänische Landmacht er-
hielten, gab den schwedischen Waffen wieder neues
Leben. Indessen giengen doch alle teutsche Länder
der Krone Schweden, und auch ein beträchtlicher
Theil von Schonen verloren; und nur durch Frank-
reichs Vermittelung, erlangte Schweden durch die
Friedensschlüsse von St. Germain en Laye und Lun-
den die verlornen Provinzen wieder.
. ’ ' • ,
Als auf diese Weise die Ruhe wiederhergesteltt
war, so war Karl nun auch ernstlich daraus bedacht,
heilsamere Einrichtungen einer bessern innern Staats-
verwaltung des Königreichs zu Stande zu bringen.
Erfand, daß wahrend seiner Minderjährigkeit den
öffentlichen Geschäften nicht mit der Sorgsaltwar vor-
gestanden worden, als es hätte geschehen sollen, daß die
Schätze der öffentlichen Kasse erschöpft und alle Anstal-
ten zur Vertheidiguug des Reichs vernachläßiget wor-
den wären. Aus allen Standen des Reichs wurden
daher Kommissionen niedergesetzt, welche das Betra-
gen der Minister untersuchten, die Bücher der Rä-
the nachsahen, den daraus entstandenen Schaden be-
rechneten, und jeden, der seine Stimme hiezu gege-
ben hatte, seiner Güter beraubten, und der Verbre-
cher Strafe entschieden. So hart in manchen Fällen
dieser Entschluß auöstel, so wurde er doch der erste
Schritt zur Abschaffung der Reichöräthe und zu der
willkührlichen Legierung, die 2vcrrl längst gesucht
hatte. Die von dem König versammelten Stände
traten in allen Fällen so sehr des Königes Absichten
bey, daß sie frey gestanden , er könne ja thun, was
$i* wolle, und habe außer Gott keinen Oberrichter,
Schweden. 141
und keine Pflicht als den Eid, das- Reich nach den
Gesetzen zu regieren. Man empfahl dem König
alle Sorge für die Sicherheit des Reichs, stellte
ihm frey, alle ihm beliebige Einrichtungen zu treffen,
bemühte sich der ungebundenen Macht der Krone
allen Wachsthum zu verschaffen, und jeder Stand
bestrebte sich nur dahin, wer es dem andern an Be-,
willigung zuvor thun konnte, so günstig waren die
Umstande für den König. Der gemeine Mann heg.
te eine außerordentliche Neigung für die Person des
Königes, dessen Frömmigkeit er rühmte, und dessen
Muth zu bewundern, er in so manchen gefährlichen
Schlachten Gelegenheit gehabt hatte. Der König
verteilte nun nach dieser allgemeinen Einwilligung
die Reichögeschafte unter seine Minister, nur die
Einrichtung des Kriegswesens übernahm er selbst, weil
er die darinn begangenen Fehler zu lebhaft empfunden
hatte. Es würde zu umständlich seyn, alledieVer-
anderungen anzuzeigen, die alle aus dieser Souve-
ränität entstanden, und wir begnügen uns nur einige
noch dem Namen nach anzuführen. Er ließ z. B.
alle verschenkte, verpfändete oder vertauschte Krou-
güter aufsuchen; zu Fahlun ward 169 g zum Be-
sten der armen Bergleute eine Leihkasse errichtet,
und eine vollständigere Kenntniß des Bergwesens
eingesühret; Handlung und Manufakturen wurden
blühender, kurz, alles schwuug sich zu einer beträcht-
lichern Höhe empor. Wie viel die Wissenschaften
gewannen, beweisen die Stiftungen zu Stockholm,
dahin das chymische Laboratorium, ein Landmes-
sungskomtoir, ein medicinifches Kollegium, ein
Antiquitätenkollegium und ein mechanisches Laborato-
rium gehören. Während dieser Regierung hatte er
9,O0O,0OO Dal. Smz. Schulden bezahlt, ohnge-
achret er 1849000 Dal. Smz. baareL Geld in dem
Krön-
I4S Schweden.
Kronschaße, nebst einer beträchtlichen Summe in
seiner besondern Kaste hinterließ.
So groß und gefürchtet dieser Monarch in sei-
ner unumschränkten Gewalt regierte, so wenig es
jemand wagen durfte, ihm in Dingen Einhalt zu
khun, die vor ihm jedem andern verweigert wurden;
so war er doch bey alledem nicht der wirkliche Wohl»
khater seiner einzelnen Unrerthanen, und die Triebfeder
seiner großen und gewagten Unternehmungen sollen
oft aus keiner andern Quelle entstanden seyn, als aus
Liebe zum Reichthume. Man sagt, daß Schaaren
von Edlen, Bürgern, Kausteuten, Bauern, Witt-.
wen und Waisen die Straßen von Stockholm angefutlt
haben, welche die Liquidationskammer an den Bet.
kelstab gebracht hatte, und die nun ihre Klagen vor
den Thoren des Palastes ausschütteten, weil das
Herz ihres Königes auf dem Throne zu hart war,
um diese Klagen anzuhören« Gerührt von dem
Elende so vieler Unglücklichen, wurde zwar dieKö.
niginn Ulrika Eleonora, eine Prinzessinn des Kö-
nigs von Dänemark, ihre Vorsprecherinn, aber oh-
ne Erfolg; sie selbst nahm ihren Schmuck und einen
Theil ihres Vermögens, das Elend der Armen zu mil-
dern, und gab, so lange sie konnte, Beweise ihrer
mütterlichen Zärtlichkeit. Nachdem ihr Vermögen
erschöpft, die Quelle des Unglücks aber immernoch
nicht verstopft war, warf sie sich vor den Thron ihres
Gemahls, und bat um Linderung der Unglücklichen;
aber kalte unfreundliche Antworten scheuchten
Die sanfte Bittende zurück, und nur kurze Zeit
überlebte sie ^as Elend ihrer unglücklichen Uutcrkha-
nen. ErstarV 1697 itn 42sten Jahr seines Alters,
und hmterlie,Adie Krone ftinem damals noch uniuün»
Schweden. 143
Rar! XU. war bey dem Tode seines Vaters Karl xil
zwar noch nicht in dem Alter das Reich zu regieren, 1697—171&.
und wegen seiner Minderjährigkeit in einem vom
Vater hinterlassenen Testament nach seinem achtzehn-
ten Jahr der Regierung fähig erklärt, .ob zwar nach
den schwedischen Gesetzen das fünfzehnte schon gültig
war; aber der Keim, einst Weltenbezwinger zu wer-
den, lag auch schon in den Jahren seiner Kindheit
entfaltet, und ganz den Verordnungen seines Va-
ters zuwider suchte er es dahin zu lenken, daß er
jn ebendem Jahr, als sein Vater starb, unter gros-
sen Lobeserhebungen von den Reichöständen für mün-
dig erklärt wurde, ob er gleich damals erst fünfzehn
Jahr alt war. Kaum war er zum König gekrönt
worden, so öffnete sich ein Schauplatz für die junge
große Seele des Regenten, der seinen kühnen Unter-
nehmungen schmeichelte, aber auch die Herzen der
Unterthanen in Furcht iund Schrecken setzte. Drey
der mächtigsten Monarchen entwarfen Plane, sich
die Jugend dieses Königes zu Nutze zu machen.
Der erste war Friedrich der Vierte, König in Dä-
nemark, der zweyte August, König von Polen und
Kurfürst von Sachsen, und der dritte Peter der
Große, Russischer Zar. Wäre es auf die Reichs-
stände angekommen, so waren Mittel ausfindig ge-
macht worden, durch Unterhandlungen dieses Uebel
abzuwenden, und alle Versammlungen giengen auch
dahin, dieses ins Werk zu richten; als eine irgend
einem Alexander oder Casar rühmliche Antwort den
Senat auf einmal zum Schweigen brachte und be-
schämte, indem er sagte: .Ich bin entschlossen, nie
einen ungerechten Krieg anzufangen, ^md nie einen
gerechten ohne Sieg zu endigen; mein Entschluß ist
gefaßt, ich will hin, und den ersten gMreifen, der
sich wider mich erklären wird, und wenn ich ihn über-
wunden habe, so werden sich die andern hoffentlich
fürch-
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Schweden 145
übet die Verstärkung der Armee anlangte) benutzte
Karl die Gelegenheit, that einen forcirtett Marsch,
auch sogleich auf die äußern Posten der Rüsten einen
Anfall, bi6 er nach etlichen Tagen vor das Lager
der Rüsten rückte, welches mit 150 Kanonen ver-
wahret war und aus 80,000 Mann bestand. Alle
seine alten Generale erstaunten über dieß Unterneh-
men und riechen aus mancher Erfahrung, von dieser
Kühnheit abzustehen; allein sein unerschütterlicher
Much, und seine unwidersprechliche Antworten, g<v
bei, seinem Unternehmen ein nur desto größeres An-
sehen, und die Hoffnung eines sichern glücklichen
Ausganges. Das Zeichen ward zum Angriffe ge-
geben, und da die russische Armee meist aus zusam-
mengelaufenen Leuten bestand, so gerieth sie in weni-
ger als drey Stunden, nebst allen ihren Verschan-
zungen, in so Übeln Zustand, daß ein großer Theil
des Heeres in den Fluß Narva gejagt wurde und er-
trank, die aber, so noch entkamen, sich willig erga-
ben, so daß Karl ruhig in Narva einziehen konnte.
Wahrend daß der Zar mit seinen ungeübten
Truppen wieder nach Moskau zurück kehrre, statt
daß er zu Hülse hatte kommen wollen, sah der Kö-
nig von Polen sehr leicht ein, daß glückliche
Siege ihn um desto amsiger machen würden, auch
ihn zu bezwingen, und suchte sich daher mit dem
Zar desto genauer zu verbinden. August wollte näm-
lich den Zar 50,02c Mann teutsche Truppen lie-
fern, die er von verschiedenen teUtscheN Fürsten in
Sold nehmen, und die der Zar besolden sollte, und
ihm sollte er zo,ovc RuffeU senden, denen er in Po-
len die Kriegsübungen lehren wollte, auch außerdem
sollte August noch in zwey Jahren ein^^umme von
450,000' Pfund erhalte», ¿varln eMgieng dieser
Anschlag nicht, und geschwinder noch war er mit
II Land. II Abkb K Mit-
Schweden.
146
Mitteln bereit, die Ausführung zu verhindern. Früh
im Jahr 1701 tief] er feine Armee nach Riga mar-
schiren, wo er ein Heer von Polen und sächsischen
Truppen, die der Feldmarschall von Steinau kom-
mandirte, und die an der Düna postirt war, den
Uebergang über dieselbe streitig zu machen dach-
te. 2xarl war aber ein eben so schnell entschlos-
sener, kluger al6 kühner Feldherr, daher gelang es
ihm auch durch ein großes Strohseuer einen Dampf
zu erhalten, der den Feind seine Bewegung nicht
sehen ließ und seinen Uebergang nicht eher entdeckte, bis
er schon von allen Seiten in die Armee eindrang.
Nach diesem Siege gieng er nach Mitau,der Haupt-
stadt von Kurland, die sich auch, nebst dem ganzen
Herzogthum, seiner Gewalt unterwarf. Nun
gieng er zu einem andern Entwurf über, nämlich
den König von Polen abzufetzen, welches ihm auch
durch die innerlichen Unruhen gelang, wovon in der
polnischen Geschichte umständlich gehandelt wird»
Nach dem unglücklichen Tressen bey Warschau, blieb
Augusten nun nichts übrig, als sich nach Sachsen zu
wenden und zuzugeben, daß Stanislaus ieszinöry,
im Jahr 1704 durch Einsiuß des Königes von
Schweden, und des Kardinal Primas, zum König
von Polen erwählt, gekrönt, und August des Thro-
nes unfähig erklärt wurde. Doch nicht genug, daß
August sein Königreich verloren hatte, Karl folgte
ihm auch im Jahr 1706 nach Sachsen nach, wo er
Augusten, dem russischen Bündnisse und feinen An-
sprüchen auf die polnische Krone zu entsagen, zwang,
woraus er im September i 707 mit einer Armee von
4 3000 Mann, das Kursürstenthum Sachsen ver-
ließ.
Alle diese glanzenden Thaten erwarben ihm nun
einen Ruhm, aus den ganz Europa hörte, waren aber
fm-
Schweden^ 147
für Schweden von sehr ger ingem Nutzen, da beson«
derö die russischen Truppen hierdurch in den Stand
gesetzk worden waren, ihm viele Besitzungen zu
entreißen, die der schwedische General Schlippach
undCronhjort vergeblich wider die vereinigte russische
Macht vertheidiget hatte.
Diese Nachricht befestigte um so mehr dm
Entschluß des Königes, auch den Zar abzusetzen,
der sich damals auf der Nordseite von Polen befand
und für Augusten wieder eine Parthey zusammen zu
bringen suchte. Das, was besonders die Siege des
Königes von Schweden am meisten erhob, war, daß
feine Armee selten der Anzahl seiner Feinde gleich
war, und um desto auffallender war es auch hier
wieder für den russischen Zar,daß seine auf 100,000
Mann starke Armee nichts auörichten, und nicht
einmal verhindern konnte, feinen ungestümen Feind
nur noch gegen 90 Meilen von der Hauptstadt Mon-
kau entfernt zu sehen»
Muth und Entschlossenheit hatten bisher alle
seine Unternehmungen glücklich geendiget, aber einer
feiner Entschlüsse setzte zwar das ganze Heer in Er-,
staunen, endigte sich aber zu seinem Verderben,
Nachdem die schwedische Armee alle Lebensmittel
anfgezehrt hatte, und aufden General Löwenhauptwar-
tete, dernüt l zoooMannund einem großen Vorakh
von Lebensmitteln aufdem Wege zu ihr war, wartete je-
doch Karl trotz dem dringenden Zureden seinerGenerale
diese Unterstützung nichtab, sondern verführt durch die
Versprechungen eines Aufrührers, der sich mir einem
Haufen Kasaken zn ihm gesellen wollte, * und sich
wider den Zar zu empören vorgab, verliest Karl den
Weg nach Moskau und lenkte sich südlich nach der
Ukraine, d'e Verstärkung der Kafaken,zu erwarten.
Allein der ?ar. hatte diesen Anschlag erfahren, und
K » ver-
148 Schweden.
verhinderte die Ausführung, da er wohl sah, daß
er ohne Rettung verloren wäre, wenn Löwenhaupt
fich zu der Armee schlagen könnte. Im Jahr 170g
kam es bey Lesno zu einer Schlacht, die unentschie-
den etliche Tage wahrte, bis Löwenhaupt gänzlich
zurückgetrieben, und ihm die Vereinigung mit der
Armee versagt wurde. Nun befand sich Karl in den
verlegensten Umstanden, in denen er je gewesen war.
Von allen Seiten mit Feinden umringt, mitten in
einem Lande, wo er keine Unterstützung und Lebens-
mittel zu hoffen hatte, und seiner eignen Hülse be-
raubt war. Seine so blühende Armee schmolz von
Tage zu Tage durch Kalte und Hunger hingerafft,
und würde ganz ausgerieben worden seyn, wenn nicht
von dem Hetman der Kasaken die Noth einiger-
maßen erträglich gemacht worden wäre, indem er
die ganze schwedische Armee fast aus vier Monace
unterhielt. Nur Karls großer Geist fühlte keine Er-
müdung und ihm schien es immer nichts unmögli-
ches, mit seiner kleinen Armee nach Moskau durchzu-
dringen. Kaum erlaubte es die strenge Witterung,
so belagerte ec den ersten May 1709 Pultawa, wo
der Zar ein großes Magazin hatte; allein, so er»
staunlich der Muth und das Gefechte von beyden
Seiten in dieser Schlacht war, so mußte doch auch
Karl empfinden, daß des Menschen höchstes Glück
Gränzen hat. Seine Armee erlitt eine gänzliche
Niederlage, er selbst war verwundet, und nun such-
te er mit seinen noch übrigen zerstreuten Truppen in
den türkischen Staaten Zuflucht, wo er als ein zu
Grunde geOchteter Prinz angesehen wurde.
Nicht nur Schweden hakte durch diese un-
glückliche Schlacht seine höchfie Macht verloren, son-
dern fie war auch die Losung zu einer Staatsver-
anderung in Polen. August machte uunmehro sei-
tw
Schweden.
149
ne alten Ansprüche auf die Krone geltend, die ihm
mit Gewalt auö den Händen wäre gewunden wor-
den, und unterstützt durch den Pabst, der dem Volke
den Eyd der Treue erließ, den es dem Stanislaus ge-
schworen hatte, kam die Krone wieder an August.
Der Zar, welcher sehr mächtig geworden war, such-
te nun auch Vortheile von seinem Siege zu arndten,
und rückte unverzüglich an der Spitze eines großen
Heers in Finnland ein, und schickte eine andre Ar«
mee nach Liesiand. Der König von Dänemark ver-
gaß auch des Friedens, den ihm Karl so großmüthig
zugestanden hatte, und erneuerte seine Anfoderung
an Holstein und Bremen, so wie andre teutsche Für-
sten einige Ansprüche auf verschiedene Theile der
schwedischen Staaten hatten. Auf diese Weise setzre
der König von Dänemark den i sten November 1709
von seinen besten Völkern 17020 Mann in Scho-
nen ans Land, und bemächtigte sich der Stadt Hel-
singburg. Daö Schicksal ihres Königes hakte die
Schweden keinesweges muthloS gemacht, sondern
sie zeigten durch tapfere Gegenwehr, daß Dänemark
undankbar handle, und trieben die Dänen bald wie-
der aus dem Lande zurück. Rar! suchte indessen
aus allen Kräften sich wieder empor zu arbeiten, so
vergeblich es auch feiner Lage nach war, und so sehr
es oft seinem eignen Vortheil zuwider lief, sich länger
in den türkischen Staaten aufzuhalten, wo er stch
nicht ilnmer mit Klugheit aufführte, in denen er
doch nichts mehr hoffen konnte, und die er endlich
noch heimlich verlassen mußte.
Ganz Europa glaubte, der KönDvon Schwe-
den sey todt, und der von ihm bey seiner Abreise von
Stockholm niedergefetzte Regierungörath erfuhr wei-
ter keine nähere Nachricht von ihm. Aus diesen
und andern Ursachen verfügte sich der Senat zu des
K z Königs
Schweden.
150
Königs Schwester, der Prinzesfinn sllcrka Eleor
nora, mit der Bitte, die Regierung indeß
zu übernehmen. So willig sich die Prinzesfinn zu
diesem Anerbieten finden ließ, so schwand jedoch das
anscheinende Glück, da sie sah, daß fie genöthiget
seyn sollte mit Dänemark und dem Zar Frieden zu
schließen, der dem König gewiß nicht gefällig seyn
würde. Um dieser Verlegenheit zu entgehen, schickte
fie einen umständlichen Bericht an Karln, der so-
gleich in der heftigsten Wuth über ein so kühnes Un-
ternehmen und Eingriff seiner unumschränkten Ge-
walt beschloß, sich nach Schweden zurück zu bege-
ben. Nachdem er von der ottomannischen Pforte
eine anständige Bedeckung bis an die Granzen ihrer
Staaten erhalten hatte, kam er nach Stralsund,
dem einzigen Ort außer Wismar, der an der Mor-
genftite der Ostsee noch in seiner Gewalt war. Die
Könige vvn Dänemark und Polen belagerten im
Oktober 17» 5 gleich ben seiner Ankunft in Stral-
sund die Festung, welche Karl XU mit vielem Muth
zu vertheidigen suchte, bis ihn die Unmöglichkeit, sie
zu behaupten, fie zu verlassen nöthigte. Er, der
vor kurzem Könige zu zittern gemacht hatte, begab
sich am l 1 ten December mit vier Personen in ein
Boot, und landete den 1 zten glücklich zu Trelleborg
in Schweden an, da denn auch Wismar, der ein-
zige Ort in Teutschland, schwedischen Antheils, in
folgendem Jahr ebenfalls dem Feinde in die Hän-
de fiel.
Nichts beschäftigte den Geist Karls XII nun
mehr, als die Begierde eine neue Kriegsflotte zu-
fammen zu bringen; alle Unordnungen seines Reichs
schienen ihm nur Nebenwerk, und keine Art der Er-
pressung von Abgaben war zu erdenken, die nicht zu
Bestreitung seiner Ausgaben benutzt wurde. Nichts
setzt?
Schweden.
i;l
setzte olle europäische Machte in Staunen, als das
Unerhörte Unternehmen eines so sehr gebeugten Kö-
niges, indem er bald eine ansehnliche Armer in
Bereitschaft hatte, und .mit 30,000 Mann in
Norwegen einfiel. Das unvermuthete Unterneh-
men, und die Unthatigkeit des Zars, der seinen
Bundesgenossen versprochen hatte, 1716 einen Ein-
fall in Schweden zu khun, kam seinem Unternehmen
zu Statten.
Rar! suchte nunmehr, auf Anrathen des
Freyherrn von Görz, mir dem russischen Kaiser ei-
nen besondern Frieden zu schließen, und damit der
König von Schweden seine Absichten desto sicherer
verbergen möchte, und unter der Zeit, da die Zurü-
stungen zurAusführung seines Planes gemacht wur-
den, nicht müßig seyn möchte, so nahm er zum zwey-
tenmal im Ortober 1718 die Eroberung von Nor-
wegen vor. Alle seine Maaßregeln giengen nur da-
hin, daö gute Vernehmen mit dem Zar zu unterhal-
ten, und bald darauf, als er in Norwegen eingedrun-
gen war, unternahm er die Belagerung von Fried-
richshall, einer starken Festung. Ob schon die Iah-
reszeit ungünstig dazu war, so überwand er selbst
diese Schwierigkeit durch sein eignes Beyspiel, da
er den drückendsten Beschwerden stets Fühllosigkeit
entgegen setzte, und seine Soldaten dadurch zu abge-
härteten Kriegern machte. Gewiß hatte Rar! nicht
gedacht, daß daö Ende seiner Heldenthaten einen so
prunklosen Ausgang nehmen würde, als es hiervor
Friedrichshall geschah. Als er gegen Abend am
gosten November die sausgraben besichtigte und sich
nahe an eine Batterie wagte, deren Kanonen nach
dem Orte hingerichtet waren, so ward er, der Sage
nach, von einer Kugel gcködet.
'Ulriks Eleo.
'vre, 1718^
1.720, '
152 Schweden.
Auf diese Weise siel ein seltener Mann, der die
Bewunderung eines Welttheiis war, und dem jeder
die Gerechtigkeit wiederfahren laßt, daß er im Un-
glück nicht verzagt und im Glück nicht ausgelassen
war. Nie verstattete er seinen siegenden Soldaten
sich zu belustigen, wenn sie durch Gewaltthatigkei-
ten die ohnedem schon elenden Unterthanen noch elen-
der machten; so sehr sie ihn liebten, so sehr mußten
sie ihn auch fürchten. Gerechtigkeit dürfte ihm wohl
niemand absprechen, nur die sanftern Gefühle von
Erbarmen fehlten ihm ganz; gegen seinen Feind han-
delte er edel und großmüthig, nur gegen seine. Unter-
thaneu handelte er hart, d. h. er achtete ihr Leben
wie das seinige für nichts. Kein gemeines La-
sier war an ihm zu finden, außer daß übertriebene
Heldentugenden oft gefährlicher als Laster wurden,
und an Frömmigkeit, oder an der genauen Befol-
gung gottesdienstlicher Uebungen gieng er jedem durch
sein Beyspiel vor, mit was für Nutzen aber, kön-
nen Menschen nicht entscheiden. Kurz, er war ein
König, der, wenn auch nicht in allem nachgeahmt,
doch von allen bewundert zu werden verdient, und
regierenden Fürsten der Erde darinnen zum Vor-
bild diente, daß Glückseligkeit der Unterthanen theue-
rer zu erkaufen sey, als das Schattenspiel eines leich-
ten Ruhmes.
.Sobald der Tod des Königes bekannt wurde,
ward die Belagerung von Friedrichsball aufgehoben,
und alles bekam in kurzem eine neue Gestalt. Schwe-
den hatte unter einem so langen ununterbrochenen
Krieg alle seine Kräfte zugesetzt, und sehnte sich ein-
stimnug Wch der Glückseligkeit des Friedens. Hat-
te der junge Herzog vvn Holstein nach dem letzten
Willen Karls den Thron bestiegen, so würde Schwer
hen nicht zu der Ruhe gelaugt seyn, nach der es
seufz»,
Schweden. 153
seufzte,da er gewiß in vielen Dingen von den Grund-
sahen Karls wenig abgewichen feyn würde. Dg
aber, Kraft eines unter Gustav Adolph errichteten
Gesetzes, die weibliche Linie nicht von der Krone
ausgeschlossen war, so siel die Wahl auf Karls jün-
gere Schwester Ulrika Eleonora, welche mit dem
Prinzen von Hessenkassel vermählt war, die aber
unter den Bedingungen, daß sie allen Erbrechten
auf die Krone ftyerlich entsagte, ferner nie einen
Versuch wagen wollte, die unumschränkte Gewalt
wieder Herzustellen, als Königin» erkannt wurde.
Utrifc Eleonore erfuhr indeß, daß der Her-
zog von Holstein, einer altern Schwester Sohn,
Ansprüche auf die Krone machte, sogleich ließ diese
schwache Königinn durch den Kanzleypräsidenten
Horn im Reichsrath erklären, daß weder sie noch
der Herzog einiges Erbrecht härten, da beyde Prin-
zessinnen ohne Vorwissen der Stände verheyrathet
worden wären. Auch ward der holsteinische gehei-
me Rath und des vorigen Königs vertrauter Mini-
ster, Freyherr von Görz, ein großer, helldenkender
Kopf, dessen Talente und Ergebenheit für Holstein
man fürchtete, in Verhaft genommen und ihm unter
allerley nichtigen Vorwänden der Kopf abgeschla-
gen. Als nun die innere Ruhe gesichert war, schloß
Schweden mit Dänemark, Preußen und Hanovcr
Friede, und, in eben dem 1720 Jahr übergab sie
die ganze Regierung ihrem Gemahl, von welcher
Zeit an, bis zu ihrem 1741 erfolgten Tode, sie sich
aller Regierungsgeschäfte völlig enthielt.
Friedrich, Erbprinz von Hessenkassel, ward Friedrich'
also auf obbesagte Weise als regierender König von 1720—51.
Schweden erklärt, nachdem er zuvor 1720 seine
schriftliche Versicherung gegeben, nach der unter-
zeichneten Regierungösorm zu regieren. Er bekann-
, K 5 te
154 Schweden.
fe sich sogleich zur lutherischen Religion und'ward zu
Stockholm gekrönet. Der Reichörath Horn, wel-
cher alö damaliger Landmarschall zur Erwählung
des Königs Friedrich das meiste beygetragen hatte,
nahm hierauf seine Stelle als Kanzleypräsident wie-
der ein, weil er dieselbe kurz zuvor nur aus Mißver-
gnügen ausgegeben hatte.
Außer Rußland waren bereis alle Feinde des
Königreichs Schweden befriediget, und nun schloß
der neue König endlich auch 1721 zu Nystadt mit
Rußland Friede, wodurch dem russischen Kaiser an-
sehnliche Provinzen, z. B. Liestand, Ingermanland,
Karelien, die Insel Oestl u. s. w. abgetreten wur-
den. Von dieser Zeit an beschäftigte man sich in
Schweden ernstlich, die neue Regierungsform zu be-
festigen, und die Staatswirthschaft des Reichs voll-
kommner zu machen. Der Bauernstand bestand
darauf, die Wiederherstellung der Regierungsform,
so wie sie zu den Zeiteil der alten schwedischen Köni-
ge gewesen war, einzuführen. Auch hatte der Adel sei-
ne Privilegien auf neue bestätiget erhalten; ingleichen
wurden der Geistlichkeit ihre Rechte zugestanden, und
alles gewann den Anschein einer erwünschten Ruhe
und Sicherheit, als schon im Jahr 1726 auf dem
Reichstag die versammelten Stände zwey Partheyen
ausmachten, die sich auch seitdem, wiewohl unter
verschiedenen Gestalten, erhalten haben. Diese Par-
theyen bestunden theils aus Freunden des verstorbe-
nen Königs aus dem Hause Holstein, und aus de-
nen, die.daö französische Interesse in Schweden be-
förderten, woher die beyden Benennungen von -Hu-
re oder alte Parkhey, und Mützen oder neue Par.
they entstand , woraus wenigstens durch wechselsei-
tige Uneinigkeit nie die gewünschte Ruhe zu Stau-
be kan:.
Mitten
Schweden.
155
Mitten unter den weisen Einrichtungen, wet-
che diese Regierung bezeichnen, sand Frankreich Ge-
legenheit, Schweden zu einem Krieg wider Rußland
zu vermögen, der 1741 sehr- seyerlich erklärt ward,
ohne daß man sich einmal Zeit genommen hatte die
Truppen zu versammle«. In einem Jahr war daö
ganze Finnland verloren, die Rußen brauchten wei-
ter nichts, als die flüchtigen Schweden vor sich her
zu jagen, und den gten Sebtembcr 1742 mußte die
ganze schwedische Armee kapituliren. Unterdessen
starb die Gemahlinn des Königes, und der außer-
ordentliche Reichstag zu Stockholm ernannte den
Herzog Raul Peter Ulrich von Holstein- Gottorp
zum Thronsolger in Schweden. Weil aber dieser
Prinz, der russischen Kaiserin» Elisabeth Schwester-
sohn, unterdeß die griechische Religion angenommen,
und zum Kronerben von Rußland eingesetzt worden,
so erklärte sich ein großer Theil für den dänischen
Kronprinzen Friedrich. Die Bauern bestanden
daraus, ihn utib keinen andern zum Thronfolger zu
haben. Die Danen drohten wirklich mit eitlem
Einsall, und das zusammengelaufene Landvolk, wel-
ches nach Stockholm gekommen war, mußte durch
Flintenschüsse zu seiner Pflicht zurück gebracht wer-
den. Hierauf bemühte sich zwar Frankreich die
Wahl auf den Herzog Christian IV von Zweybrü-
ckeu zu lenken; allein da Rußland den Herzog Adolf
Friedrich von Holstein und Bischof von Lübeck, mit
Anerbietung eines günstigen Friedens vorschlug, und
die vorlausigen Friedenöbedingungen wirklich Unter-
zeichnete, so wurde dieser Prinz einmürhig zum
Thronfolger für sich und seinen männlichen Stamm
gewählt. Auf diese Weise wurde der Friede zu Äbo
geschlossen, worinn Schweden, gegen Abtretung der
Provinz Kymmengärd und der Festung Nyslot, alle
übrigen verlornen Landschaften von Rußland wieder
zurüch
Schweden.
zurück erhielt. Als auf diese Art die Ruhe wieder
hergestellt war, beschäftigte sich der König nun mit
allerhand nützlichen ökonomischen Einrichtungen, als
z. B. er gab eine Verordnung wider die Ausschwei-
fung der Kleidertracht, eine andere munterte die Ta.
bakspflanzungen auf, der Kaufmann König erhielt ein
Privilegium zur Errichtung einer ostindischen Hand-
lungsgesellschaft, und um die Handlung nach der
Levante zu erleichtern, schloß er einen Friedens-und
Kommerztraktat mit der Republik Algier, und wie.
der einen andern mit der ottomannischen Pforte. Er
ertheilte den Künsten'und Wissenschaften alle mögliche
Freyheiten und Unterstützung, und um jedes Ver.
dienst zu belohnen, erneuerte erdiezwey alten schwedi-
schen Ritterorden, nämlich den Seraphinen - und
Schwertorden, stiftete auch einen dritten, den Nord-
siecnorden. So starb dieser kluge und gerechte Kürst
1751 zu Stockholm 76 Jahr seinds Alters, von
jedem seiner Unterthanen beweint, und mit dem Ruhm,
die allgemeine Ruhe gesichert, und Künste und Wis-
senschaften zu einer beträchtlichen Höhe empor ge.
bracht zu haben.
V. Periode. Adolph Friedrich gelangte 1751 zur Kro.
Das Hollsten ne, und bestätigte auf dem in eben diesem Jahr
nische Haus eröffnecen Reichstag die Reichsgrundgesetze durch
eine neue Versicherung. Die ersten Jahre dieser
eich ^1751 — Regierung 'verstrichen unter mancherlei) Zwistigkei-
iy7i. fen und Unordnungen; vorzüglich war der Reichs-
tag von i7sz einer der unruhigsten in den neuern
Zeiten % ja die Verbitterung gieng so weit, daß schon
dqmals eine Verschwörung wider die Reichsstände
im Werke war, die aber 1756 entdeckt ward, wo-
bey denn verschiedene Große ihr Leben ausdemScha-
vott endigten. Ehe man sich es versah, nahm Schwe-
den, vielleicht in der Hoffnung das preußische Pom-
mern
Schweden. 157
mcsrti davon zu tragen, 1757 an dem in Teukfchland
auögebrochenen Kriege Theil; da aber die komman-
direnden Offiziers ganz verschiedene Begriffe von dev
Nothwendigkeit dieses Krieges hatten, so wurden
die Unternehmungen mit aller möglichen Schläfrig-
keit gesühret; die schwedischen Truppen wichen ge-
wohnlich vor einer ungleich geringern Anzahl Preus.
sen zurück, und Schweden mußte am Ende des Krie-
ges zufrieden ftyn, daß es in dem 1762 zu Ham-
bürg geschloffenen Frieden noch seinen Antheil an
Pommern behielt. Kaum war aber der Friede wie-
derhergestellk, als die innern Zwistigkeiten aufs neue
und mit aller Erbitterung wieder ausbrachen. Der
König berief endlich 1768 einen außerordentlichen
Reichstag, und als die Reichsrathe sich mit der größ-
ten Heftigkeit wider die Wirklichkeit desselben setzten,
legte er die Regierung wirklich fünf Tage nieder, bis
der ReichSrath endlich den Reichstag ausschrieb. So
viel sich der König von diesem Schritt versprochen
haben mochte, so gering war der Erfolg desselben, da
das Verhaltniß des Senats gegen die Majestät im-
mer noch unverändert verblieb. Der König starb
1771, als seine drey Prinzen auf Reisen nach Paris
waren. Adolph, ganz für häusliche Glückseligkeit
geschaffen, that während seiner Regierung keinen
Schritt weiter, um die königliche Gewalt, welche
durch die Stände und den Senat äußerst eingeschränkt
war, in etwas zu erweitern, viel weniger wagte er es
den Ton anzugeben, durch eine Revolution, (die fchlech.
terdings nothwendig wurde, wenn die innere Wohl-
fahrt des Reiches nicht völlig zu Grunde g^hen, und
Schweden aushören sollte, das Spiel der Jntriguen
fremder Machte zu ftyn,) den Staat ußd seinem In-
teresse eine neue Wendung zu verschaffen.
Diese innere und äußere Vortheile mit^einau- Gustav III-
der zu vereinigen, und der königlichen Gewalt ihr seit 1771.
Anse-
Schweden.
l;8
Ansehen und berNation Glück und Ruhe zuzusichern,'
war seinem Sohn (Buftav dem III Vorbehalten, wel-
cher den 12feil Februar 1771 die Regierung seines
vaterländischen Reiches antrat, zwar erst in einem
Alter von ohngefähr fünf und zwanzig Jahren, aber
mit Geistesgaben und mit einem Herzen für das
Wohl seiner Unterthanen erwärmt, die gerade seine
Jugend zu fordern schienen, um alle schauderhafte
Hindernisse zu übersteigen. Seine Gestalt, der un-
widerstehbare Strom seiner Beredsamkeit, die gefäl-
ligste Herablassung zu jedes Stak,de und Anbringen,
erwarben ihm gar bald allgemeine Liebe und allgemei-
nes Vertrauen- Er, der alle Mittel in Händen hat-
te sein Volk zu regierender nur von den Mitteln Ge-
brauch machen durfte, um nicht mehr von dem Ei-
gensinn eines Senats abzuhangen, oder Gesetze zu
bekräftigen, die er selbst besser geben konnte; er
hätte nicht diese Fesseln zerbrochen und sich und seine
Nation in Freyheit setzen sollen? Aber Klugheit er-
forderte es, diesen gefährlichen Schritt zu wagen,
da er die Neigung seiner Unterthanen doch nur von
der Oberfläche kannte, auch die Gesinnungen der Ar-
mee einen wesentlichen Theit seines Plans ausmachten,
von dem allen genaue Kenntnisse zu haben, er den
Thron noch zu kurze Zeit besaß; allein die Einsicht
dieses Fürsten wußte indeß die zufälligsten Umstän-
de seinen Absichten beförderlich zu machen. Es ko-
stete ihm kvenig die Liebe seiner Armee zu gewinnen,
und am ryten August 1772 sich durch Gewalt
die Macht zu verschaffen, welche die Stande so lan-
ge gemißbraucht hatten. Am Morgen gedachten
Tageö wurden alle Maaßregeln genommen, den ver-
stimmleten Senatoren durch militärische Wache ver-
wehret, eher aus einander zu gehen, bis sie sich den
Befehlen desKöniges unterworfen,und künftig alle von
ihm entworfene Auordmmgen für allein gültig erklären,
ihm
Schweden.
159
ihm auch darauf den Eyd der Treue feisten würden,
auch wurde dieser Befehl, mehr in der Form eines
wohlmeynenden Vorschlages für alle Unterthanen, in
allen Straßen von Stockholm angeschlagen, und in
weniger als zwey Stunden sah sich Gustav ohne
den geringsten Aufstand zum eigenmächtigen Regel-
ten umgeschaffen. Der übrige Theil des Tages wur-
de zu nichts anderm angewendet, als den Magistra-
ten, Kollegien und der Stadtmiliz, so wie den, gan.
zen Volk, das sich zu tausenden um ihn auf den Straf-
fen versaminelte, den Eyd der Treue abznnehmen,
den sie um so williger gaben, da ferne seltene Güte
und Heldenmuth in jeder seiner Handlung, in je-
dem Worte sichtbar war. Am a isten kündigte er
eine Versammlung der Stände an, wo er die alte
Regicrungösorm abschaffte, und eine neue von ihm
selbst vorgelegt wurde. Auch da hatte man alle mög-
liche Vorsicht bedacht, und daS Schloß von allen
Seiten mit Truppen und Kanonen besetzt; allein je-
des beugte sich willig unter den Zepter dieses erhabe-
nen Beherrschers, und die Stande erschienen in der
Versammlung vor dem Thron deö Königes mit allen
Merkmalen der Unterwürfigkeit. Als er in dieser
Feyerlichkeit, und mit der hinreißendsten Rede alle
Herzen an sich gezogen hatte und von ihnen den Eyd
der Treue vernahm, so beschloß er den glückliche Aus-
gang seiner großen Unternehmung damit, daß er
seine Krone ablegte, und ein feyerliches Te Deum,
Andacht lind Ehrfurcht alle Anwesende entstammte.
So war die Revolution geendet, die Senatoren, und
alle, welche in Verhaft genommen waren, itzt in Frey-
heit gesetzt, und aus eine so schauderhafte Unruh«
folgte eine glückliche Stille, indem Gustav seinen
Unterthanen täglich neue Proben gab, und noch
giebt, er herrsche nur um Glücklichezu machen. ^Bald
nach der Stande Einwilligung beschlossen sie den Kö-
nig
i6o Schweden.
mg in einer Adresse zu danken, daß er seine eigtie Person
dem allgemeinen Wohle preis gefetzt habe, und das
Ritterhauö ließ eine Medaille zum Andenken dieser
Begebenheit schlagen, worauf denn am yten Sep-
tember der Reichstag geschlossen ward, und Ihro
Majestät den Ständen anzeigke, sie in sechs Jahren
wieder zu berufen»
So fahrt er noch bis itzt fort, sich jeden Tag
seinen Unkerthanen werther zu machen, auch der all-
gemeinen Sicherheit durch eine vorteilhafte Einrich-
tung die Armee in bessern Stand zu erhalten, und
gegenwärtig zu verstärken; vielleicht auch, daß seine
jeßige Reife die Absicht hatte sich mit Frankreich zu
verbinden, so wie er 1777 nach Petersburg reifete,
um das Freundfchastsband'mit dem dortigen Hofe
fester zu knüpfen. Um auch in allen Stücken den
Vortheil seiner Unkerthanen nicht aus den Augen zu
lassen, haben wir Schweden im Jahr , 780 der be-
waffneten Neutralität im brittifch-amerikanischen
Kriege beytreten sehen, so wie zu erwarten steht, feine
Wiederkehr, die jeder feiner Unkerthanen, wie fein
geliebter Prinz Gustav Adolf, geboren 1778, mit
Sehnsucht erwartet, werde noch manche Quellen
glücklicher Ereignisse feyn, um lange noch die Süs-
sigkeit zu schmecken, die aus der Milde eines Landes-
vaters entspringt, der zwar einen Zepter im Händen
führt, den aber Weisheit und Liebe lenken.
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VI. Rus-
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Russisches Reich
in Europa.
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ufer allen bekannten Reichen der Erde ist das
russiche, man mag nun den Umfang desselben/
oder die verschiedenen Rationen, welche in diesem
Ungeheuern Umfange wohnen, oder den schnellen
Uebergang vom Stande der rohen ungebildeten Na-
tur zur Cultur und Macht in Erwägung Ziehen,
unstreitig eines der merkwürdigsten, so wie es auch/
was vorzüglich die asiatischen Provinzen betrifft/
(von denen aber hier nicht die Rede seyn wird,) noch
sehr viele uns übrigen Europäern nur i halbbekannte
Dinge befasset. Dieser Staat, der Vor zweyhutt-
dert, ja noch vor hundert Jahren, kaum mehr als
dem Namen nach bekannt war, dessen Sitten, Ge-
brauche, bürgerlicher Wohlstand und Staatsversasi
sung mehr ein wildes asiatisches, als ein europäi-
sches Volk zu verrathen schien, und der auch, ohm
geachtet seines schon damals sehr großen Gebietes
sich kaum mit Polen Zu messen im Stande war;
dieser Staat ist in einem kurzen Zeiträume der Ge»
genstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, nicht Nut
der benachbarten, sondern auch der entferntesten Rei-
che geworden. Peter der Große war es, der zu
Anfang dieses Jahrhunderts den ersten Grundstein
zu dem Gebäude der russischen Größe legte; der die
Nation dem trägen Schlummer entriß, sie mit Ge-
werben, Künsten, Handlung, Wissenschaften be»
kannt machte, sie durch einen langen blutigenMrieg,
der das Reich ansehnlich vergrößerte, streiten und
siegen lehrte, der seinem Staate zuerst linter den
andern Reichen Europens politisches Daftyn ver»
schaffte. Auch unter seinen -Nachfolgern in dek
k 2 Regie-
Allgemeine
Landesbc-
schaffenheit,
j£4 Russisches Reich
Regierung wuchs Rußland an innrer und äußerer
Stärke, und während der Regierung der gegenwär-
tigen Kaiserin» ist es vollends zu der Staffel des
Ansehens, dessen es jetzt genießet, hinausgestiegen,
ist eS »zu einem Schauplatz umgeschaffen worden,
„der dem Politiker und Naturforscher, dem Künst-
ler und dem Kaufmann, dem Helden und dem
„Weisen gleich wichtig und Verehrungswerth ist.«
Wächst Rußland an Kräften und Ansehen so fort,
nimmt seine Bevölkerung ferner so zu, als in den
letzten zwanzig Jahren geschehen ist, wie groß wird
dann erst der Einfluß werden, den es auf alle poli-
tische Angelegenheiten Europens haben wird! und
welches andre Reich wird ihm nicht den Vorrang
zugestehen muffen? —
Dieses Reich, in dessen Provinzen manunuris
(erbrochen 1909 teutsche Meilen reisen kann, und
welches mit Einschluß der neuesten Besitznehmungen
auf 330000 Quadratmeilen groß ist, von denen et-
liche 60000 auf die hier zu beschreibenden europäi-
schen Staaten kommen, wird gegen Osten von dem
östlichen Weltmeer und der Meerenge, die es von
Amerika scheidet, gegen Norden von dem Eismeer,
gegen Westen von Schweden, der Ostsee, Kurland
und Polen, und gegen Süden von dem schwarzen
Meer, der Türkey, Persien, der sogenannten gros-
sen Tarkarey und Sina begranzet; so daß es nir-
gends einen nahen Nachbar hat, der ihm seiner jetzi-
gen Verfassung nach sehr gefährlich seyn könnte.
Was das Klima betrifft, so kann es in einem so
großen Unsange von Landern, wovon einige durch
Anbau und Kultur verbessert, andre noch wild und
ohne Anbau sind, unmöglich von gleicher Beschaf-
fenheit seyn. In Astrachan am kaspischen Meere
geht die Sonne z. B. am kürzesten Tage um 7 Jahr
24 Mi
in Europa.
j6j
34 Minuten, in Archangel erst um Io Uhr 24 Mi-
nuten auf; dort wachsen Weinstöcke und Melonen,
hier mit genauer Noch Kohl und Rüben; dort leben
Kameele, hier Rennthiere u. s. w. Wir werden
daher die einzelnen Veränderungen dieser Art, in
soweit sie das europäische Rußland angehen, an Ort
und Stelle selbst andeuten, hier aber bloß noch die
allgemeine Bemerkung hersehen, daß, im Ganzen
genommen, Rußland unter die kalten Lander gehö-
ret, und die Kalte in den östlichen Provinzen weit
grimmiger als in den westlichen unter demselben
Himmelsstriche gelegenen ist, wovon die Natur-
kundiger die weitere Entfernung dieser letztem vom
Meere als Ursache angeben.
Noch haben wir in dem europäischen Rußland,
dessen eigentliche Granzen gegen Asien schwer zu be-
stimmen sind, bey dem wir aber der Einteilung un-
sers ersten Geographen folgen werden, etwas von den
darinnen befindlichen merkwürdigen Flüssen und
Seen zu sagen: Es sind dieses i) die Wolga, ei-
ner der größten Flüsse in der Welt, der in dem wol-
chonskischen Walde entspringt, und einen Weg von
4'zvO Meilen macht, ehe er unterhalb Astrachan
ins kafpifche Meer fallt. Er ist durch die Twerza
mit dem Kanal bey Wifchney Wolotfchok, dieser
mit der Msta, die Msta mit dem Ilmensee, dieser
durch den Wolchow mit dem Ladogasee, dieser aber
durch einen kostbaren Kanal mit dem finnischen
Meerbusen, welcher ein Theil der Ostsee ist, und
also diese mit dem kaspischen Meere verbunden-
2) Der Don entsteht ohnweit Tula aus dem Iwan
Osero (Iohanniösee), und fallt unter Asow ins asow-
sche mit dem schwarzen verbundene Meer. Er
stießt an einem Orte nur 8 bis 9 teutsche Meilen
neben der Wolga vorbey, daher auch Peter der
L 3 Große
166
Russisches Reich
Große vermittelst zween andrer Flüßchen beyde Strö-
me/ wiewohl vergebens, zu vereinigen suchte, z) Die
Dwina entsteht aus zwey Flüssen und geht bey Ar.
changel ins weiße Meer. 4) Die Düna entspringt
in Rußland, scheidet Livland und Kurland, und
fallt bey Riga in die Ostsee. 5) Der Dnepr ent«
springt wie die Wolga im wolchonskischen Walde,
und falltzwischen Otschzakow und Kinburn inö schwär-
ze Meer. 6) Die £7exx>a entsteht aus dem Lady,
gaste, stießet durch Petersburg und ergießt sich in
den finnischen Meerbusen. Außer diesen vorzüglich
großen, Mittlern und einer Menge kleiner Flüsse,
giebt es auch in Rußland beträchtliche Landsten, von
denen der Ladogasee 25 Meilen lang, 15 breit,
in welchem auch Seehunde gefangen werden, der
(Onegasee, welcher mit dem vorigen verbunden ist,
der peipussee in Livland und der Ilmensee bey
Nowgorod die merkwürdigsten sind.
Produkte/
a) aus dem
PftaWnrei-
chr.
Nachdem, was wir von der Größe und der dar-
aus entstehenden Verschiedenheit des Klimatö in
Rußland gesagt haben, kann man auch auf die Ver-
schiedenheit einen Schluß machen, welche in Absicht
der Fruchtbarkeit und der Produkte da seyn muß.
Wenn aber auch das Getraide in den nördlichen
Gegenden nur an wenig Orten zur Reise
kömmt, so wird es doch Ln den mehresten europäi-
schen Provinzen in solcher Menge gebauet, daß
1768 der Werth der Ausfuhr 'auf 75 4000 Rubel*),
bloß an Roggen und Waizen geschätzt ward, ohn.
geachtet im Lande selbst durch das viele Brannkewein-
brenue^, die Konsumtion des Gctraides sehr stark
ist. Man haut auch Flachs und Hanf, beyde von
ganz
*) Rubel, Kie russische Silbermünje 1 Thlr. 2,6Gr.
am Mtth.
in Europa. 167
ganz ausnehmender Güte, ohngeachtet übrigens der
Anbau von beyden noch vielmehr erweitert, und die
Verarbeitung des rohen Materiale noch weit höher
getrieben werden könnte. In dem obbenannten
Jahre wird die fammtliche Ausfuhr von Flachs auf
1683000 Rubel, vom Hanfauf2795000 Rubel,
und von verschiedenem Segeltuch und Tauwerk auf
2 22 00 00 Rubel angefchagen. Für Hanffaamen
zog Rußland damals 93000 Rubel und für
Hanföl 255000 Rubel, für Leinfaamen 433000
Rubel, für Leinöl aber nur 3000 Rubel.
Dennoch aber muß es jährlich wohl über 117000
Rubel für Leinengarn, Leinwand, Papier u. dgl.
an die Ausländer bezahlen. Obst, als Aepfel,
Birnen, Kirfchen, Pflaumen, wachsen hie und
da in ziemlicher Menge, feine Anpflanzung
könnte aber noch weit besser feyn, und dadurch
die 66000 Rubel erspart werden, welche für
grüne und getrocknete Früchte dieser Art aus
dem Lande gehen. Eben so ist es mit den edleren
Früchten: als Aprikosen, Pfirfchen, Kastanien/
Mandeln, welche bey Afof und in Kleinrußland,
vorzüglich aber Ln dem von Natur so fruchtbaren tau-
rischen Cherfones (sonst die Krim genannt) sehr gut
gedeihen, so daß auch dadurch die etliche 30000 da-
für auswärts gehenden Reichsthaler erspart werden
könnten. lVein wuchs im europäischen Rußland
bisher nur in der Ukraine und bey Afof, wurde aber
nur in Trauben gegessen, oder doch sehr schlecht zu-
bereitet. Im taurifchen Cherfones wächst aber ein
herrlicher Wein, der dem ungarischen ähnlich ist,
und bisher so wohlfeil war, daß die Kanne zu 1 Gr.
verkauft ward. Tabak wird seit 1762, wo das
.Monopol darüber aufgehoben, und andre weife
Verfügungen getroffen wurden, immer häufiger ge-
baut» Vorzüglich wird der ukrainische Tabak sehr
L 4 gefchä-
j68 Russisches Reich.
geschähet. Ueber Petersburg allein wurden
106121 Pud (ein Pud ist 4O Pfund) aus dem Rei-
che geführet, Hopfen könnte noch weit mehr
gebaut werden, zumal da Livland einen so guten
Anfang mit dem Nachbrauen des englischen Biers
gemacht hat, und jährlich über icoooo Rubel
dafür ausgegeben werden. Manna oder Schwa-
den wachst wild; Soda wird von den Tatarn bey
Asof aus der Pflanze 2\alt häufig und sehr gut ge-
hrannt; Safran, WaidundFärberröthe wach-
sen ebenfalls wild. Die Holzungen sind endlich
eine unerschöpfliche Quelle des Reichthums für Ruß-
land, ohngeachtet in manchen Provinzen, wo man
z. V. um ein paar Aecker urbar zu machen, einen
ganzen Wald anzündet und wegbrennen laßt, sehr
große Verwüstungen damit vorgenommen werden,
pm die Vyrtheile, welche der Holzhandel Rußland
gewahret, sowohl als den Reichrhum an Holze selbst
zu zeigen, wollen wir nur anführen, daß 1768 für
Schiff-und Bauholz 585OOO, für Matten (von
Lindenbaumrinde gemacht) 59000, für Pech und
Theer 82000, und für Potafche 57000 Rubel
ins Reich gekommen, und dazu Petersburg 1781
232387 St. Planken, 12.29 St. Masten und Bal-
ken , und 38140 St. Matten qusgeführt,
ss) Ws Lern Auch das Mineralreich ist dem europäischen Ruß-
MiWastei- fand von nicht geringer Bedeutung, ohngeachtet es in
den asiatischen Provinzen, wo es nicht an ergiebigen
Gold. und Sllbergruben mangelt, noch ungleich
wichtiger ist, Die vornehmsten mineralischen hier
gnzuzeigenden Produkte sind: Rupfer und Eisen,
von welchem letztern sehr viel ausgeführt wird, So
führte Petersburg 1781 an rohem und gegoßnem
Eisen, aus 3589869 Pud, wofür aber immer noch,
Beweist, haß der Kupfer, und Eisenfabriken
zu
in Europa.
169
zu wenig sind, für manche tausend Rubel verarbei-
tes Eisen und Kupfer eingesührt wird. Ferner,
Dle^, das aber nicht gehörig ausgesucht wird,
VHavtcn; oder Frauenglas, ein durchscheinendes
Minerale, das sich mit dem Messer spalten laßt,
und als Fensterscheiben, auch zum Auslegen der
Wände gebraucht wird; Marmor, Alabaster,
Agath und Salz, sowohl Berg-, als Quell, und
Seesalz. Daö letztere wird vom schwarzen und Eis-
meer, so wie auch in zwey großen Seen des tauri-
rischen Chersones gewonnen, in welchem letztern die
noch wenig untersuchten Berge auch Gold, Silber,
Kupfer und Eisen enthalten sollen. Quellsalz findet
sich fast in den meisten Provinzen, das Bergsalz
aber wird beynahe ganz vernachlaßigt. Endlich
fehlt es auch nicht an mineralischen Wassern, ohn-
geachtet noch große Summen dafür außer Landes
geschickt werden.
An Produkten des Thierrelchs, zahmen sowohl c) aus dem
als wilden, haben Rußlands Provinzen endlich nicht Thierreiche,
den geringsten Mangel. Die Hornviehzucht ist
wegen der großen grasreichen Ebenen von sehr großer
Erheblichkeit, daher auch nicht allein viel lebendige
Ochsen, sondern auch Haute, Talg, Butter, geräu-
cherte Ochsenzungen, Seife und Lichter ausgesührt
werden. Weniger wichtig ist die Schafzucht,
da die Wolle bisher nur zu groben Zeugen, Tüchern
und Filzen tauglich ist, ohngeachtet sie übrigens in
mancher Gegend ein beträchtlicher wichtiger Nah-
rungszweig ist. Im taurischen Chersones ist sowohl
gute Hornvieh. als Schafzucht, und die feinen schwar-
zen und grauen Lammerfelle bringen ansehnliche
Summen ein. Pferde werden von verschiedenen
Gattungen gezogen, die besten nnd meisten kommen
aus der Ukraine, und aus dem Chersones, wo auch
L $ Hantele
170 Russisches Reich
Ramele und Dromedare gezogen werden. Wild-
pret ist häufig und von Arten vorhanden, die in dem
übrigen Europa selten, oder gar unbekannt find.
Dahin gehören Bare, Wölfe, Füchse, Luch-
se, Marder, Dachse, Hamster, mancherley
Arten von Hasen, Eichhörnern, wilden Ra-
tzen, Vielfraße, Biber, Hermeline, deren Pelz,
werk häufig ausgeführt wird. So giengen 17^1
über Petersburg aus 428877 St. Hasenfelle,
56904 St. Grauwerk, 1554 St. Bärenfelle,
ro i8 Hermeline, 5659 St. Fuchöbalge, 19 St.
Wotssbalge und 300 St. wilde Katzenfalle. Auch
findet man Hirsche, Schweine, Gemsen,
Elenn-und Rennrhiere, welche letzter» im nörd-
lichen Rußland auch zahm gehalten werden, nebst
einer unglaublichen Menge von allerhand Feder-
vieh. Fische können bey der Nachbarschaft so vie-
ler Seen und fo vielen Flüssen ebenfalls nichts selte-
nes seyn. So sängt man bey Archangel wallroß
(Narval), einen großen Fisch, dessen Zähne statt
Elfenbein, das Fett zu Theer und die Haut als
Riemen genützt wird; Hausen, bis 4 5 Pud schwer,
(Beluga) hier, im schwarzen Meer und in der Wol-
ga, dessen Rogen als Leckerey genossen, und Ra-
vear genannt wird, die Schwimmblase aber die
bekannte Hausblase giebt, Störe, Lachse, Ström-
linge, eine kleine ganz fette Art vom Hering,
Neunaugen u. a. m. perlenmuscheln werden
nur hie und da gefunden. Unter den Insekten, de-
ren Rußland auch sehr viel beschwerliche Arten von
Mücken und Wanzen hat, dürfen wir die Bienen
nicht übergehen, deren es wilde und zahme giebt,
und deren Benutzung sehr vortheilhaft seyn muß,
da in einem Jahr für etliche 70000 Rubel Wachs
ausgeführt, und noch so unsäglich viel im Laude ver-
braucht wird.
; Mit
J7I
in Europa.
Mit so vielerlei) Produkten aber auch das weite Bevölkerung.'
Rußland gesegnet ist, so sehlt es doch immer noch
an hinlänglichen Menschen, deren es, wenn es nur
einigermaßen im Verhältniß mit seiner Größe bevöl-
kert wäre, wenigstens 200 Millionen enthalten
müßte. Da die allgemeine Zählung der Männer,
welche fast alle fünfzehn Jahr im Reiche vsrgenom-
men wird, nur diejenigen trifft, welche Kopfgeld
zahlen, wovon verschiedene Stände ganz ausgenom-
men sind, so kann man nichts sichers über die wirk-
liche Anzahl der Volksmenge angeben, sondern man
muß sich mit Muthmaßungen behelfen, welche aus
gewissen Thatsachen gezogen sind. In den Jahren
2744 und 45 hat man in dem eigentlichen Ruß-
land 7 Millionen Männer von 4 bis 40 Jahren ge-
funden , welche die Kopfsteuer bezahlten. Wenn man
min für Weiber und Kinder 8 Millionen, für den
Adel, Armee, Beamte und Geistlichkeit eine Mil-
lion, für Liv-und Ingermanland 600000 und für
die unter russischer Oberherrschaft stehenden besonder»
Völker igooooo rechnet, so war Rußland damals
von 18400020 Seelen bevölkert. Seitdem hat die
Bevölkerung ohngeachtet der blutigen Kriege. auch
durch Ansetzung teutscher und andrer Kolonisten be-
trächtlich zugenommen, und man wird nicht weit
von der Wahrheit entfernt seyn, wenn man die
Volksmenge des ganzen russischen Reichs die neuer-
dings im Besitz genommenen Länder dazu gerechnet-
zwischen 21 und 2 2 Millionen Seelen schätzet, wovon
19 bis 20 Millionen im europäischen Rußland woyF
nen mögen. Daß dies viel zu wenig für einen StaaS
dieser Größe sey, fallt in die Augen; man zählet
auch nur 500 Städte im Reiche, undes liegen noch
viele Strecken Landes ungebauet, denen niemand
alle natürliche Anlage zu Wohnörtern für Menschen
streitig machen kann. Wenn indessen Rußland
172 Russisches Reich
noch eine Reihe solcher Beherrschen, wie die gegen-
wärtige Kaiserin«, hat, die sich die Erweiterung des
Nahrungsstandes, die Verminderung zu Landplagen
ausartender Krankheiten angelegen seyn lassen, und
durch eine menschliche weise Regierung, das Wohl ihrer
Unterthanen zu befestigen suchen; wenn eödabey von
anhaltenden schweren Kriegen srey bleibt, so wird
die Menschenzahl gewiß nach Verlauf von zwanzig
oder dreyßig Jahren viel höher als jeho gestie-
gen seyn.
Zum Beschluß dieses Artikels wollen wir noch
die verschiedenen Völker nennen, von denen das rus-
sische Reich sowohl europäischen als asiatischen An-
theils bewohnt wird, da in ihrer zum Theil noch
so unsteten und unordentlichen Lebensart ein wichti-
ger Grund der geringen Bevölkerung enthalten ist.
Es sind diese Nationen theils, wie das herrschende
Volk, Slavischen, theils Finnischen, Tata>
rischen, Munglischen oder unbekannten Ur-
sprungs, durch Körper, Karakter, Sitten, Re-
ligion und Sprache von einander verschieden. Sla-
vischen Ursprungs, wie die Rüsten, sind die von
ihnen herstammenden Rasaken, die Pölert in den
neuerworbenen Provinzen und die Letten in Livland.
Finnischen Ursprungs sind: die Finnen selbst, die
Lappen, Esthen, Lieven, Wotjaken, Esche-
remisten, Tschuwaschen, Mordwinen, per-
meken, SirjäneN, Mstiaken, Wogulen und
Teptjärei. Von den Tatarn stammen ab die
Rirgisen, Barabinzen, Bucharen, Basch-
kiren, Mestscheraken, Turalinzen, Truch-
menen, Telenguten, Abinzen, Jakuten und
andere zerstreute Horden mehr. Mungln sind die
unter dem Namen Ralm^cken bey uns bekannten
Stamme. Von unbekanntem Ursprung aber sind
in Europa. 173
VieTungusen, Samojeden, Irrkagirr, Ror,
jäkl, nebst den Völkern Ln und bey Ramr-
scharka. Alißerdem wohnen noch Teutsche und
andre Europäer, wie auch Persianer, Armenier,
2ndianet u. s. w. im russischen Reiche.
Diese mit dem Umfang des Landes nicht im kandwirth-
Verhältnisse stehende Bevölkerung, und die zum schüft.
Theil noch nomadisirende Lebensart verschiedener die-
ser Völker, ferner die Leibeigenschaft, die Bettet-
bung städtischer Geschäfte unter dem Landvolke, die
überflüßige Menge Bedienten, welche der Adel hält,
und eine gewisse Leichtsinnigkeit im Karakter des rus-
sischen Bauerstandes sind die vornehmsten Ursachen,
warum die Landwirthschaft und besonders der Acker-
bau nicht so blühend in diesem Reiche ist, als er es
außerdem seyn könnte. Viele Strecken des schönsten
ergiebigsten Landes liegen noch, aus Mangel an
Menschen, oder weil bloß von der Viehzucht und
Zagd lebende Völker darauf herumziehen, gänzlich
unangebauet. Die dem Adel leibeigen unterworfe-
nen Bauern müssen, wenn ihre Herrschaft streng ist,
derselben neun Zehntel ihres Gewinns abgeben,
oder sich doch gefallen lasten, daß sie bald zu diefem
bald zu jenem, so wie es der Laune ihrer Herren be-
liebet, gebraucht werden. Dazu kömmt noch, daß
in den Dörfern alle mögliche städtische Gewerbe ge-
trieben, und sogar ganze Dörfer gefunden werden,
die von bloßen Handwerkern oder Fabriksarbeitern
bewohnt sind. So macht der Landmann Matten
und Schuhe von Lindenbast, Hüte, wovorNeiue Fa-
brik da ist, welche für die Armee liefert, und bloß
von Bauern betrieben wird, Filzdecken, Haarsiebe,
Hornarbeiken, Eifenwaaren, Salpeter, ja sogar
Spitzen, Band, Leinwand, Tuch und Tapetem
Indessen würde bey alledem der Ackerbau noch weit
wich-
174 Russisches Reich
wichtiger seyn, wenn nicht in allen dazu gehöriges
Geschäften eine gewisse Uebereilung hervorblickte,
welche die Mutter von tausend verkehrte» Unterneh-
mungen ist. So bestellt der russische Bauer seinen
Acker nur mit hölzernen Pstügen und Eggen , kratzt
auch nur den Boden obenhin auf, versteht an vielen
Orten gar nichts von der Düngung, und laßt auch
wohl das Getraide auf dem Felde zu Grunde Zehen»
Bey so vielen großen Fehlern, die hier mit den wei-
sesten Regierungsanstalten nicht so leicht als in einem
kleinern Staate auszurotten sind: wie außerordent-
lich muß da nicht die Fruchtbarkeit des Bodens seyn,
da bey dem dielen Brannteweinbrennen das Ge«
traide im Lande selbst noch sehr wohlfeil ist, und so
ungeheure Lasten aus dem Reiche verführt werden!
Manufaktu- Vor den Zeiten PeterS des Großen hatte Ruß.
*en und Han- land außer der Bereitung der Justen oder Juchten
del. gar keine Manufakturen oder Fabriken. Er sieng
an auf die Einführung derselben bedacht zu seyn,
und vorzüglich die Tuch - und Leinwandfabriken zu
begünstigen, und die jetzige Kaiserinn hat sich die
Verbesserung des Manusakturwesens besonders ange-
legen seyn lasse», wiewohl man der ausländischen
Fabrikate immer noch nicht entbehren kann. Im
I. i77) zahlte man im ganzen Reiche 484 Fabri-
ken von allertey Art, in denen Wolle, Seide,
Leinen, Garn, Kupfer, Messing, Eisen, Stahl
u. f. w. verarbeitet wurde. Die Krone hak' bey Pe-
tersburg eine Tuchfabrik, die außerordentlich feine
Tücher von spanischer Wolle liefert, aber immer
großer Unterstützungen bedarf. Schlechte Tücher
werden von einheimischer Wolle gemacht; von den
Ausländern aber nimmt Rußland jährlich für
1467000 Rubel Tücher, wovon es den Asiaten für
I47QOS Rubel wsider abläßt. Seidenmanufaktu-
in Europa. - 175
ren waren im angeführten Jahre 52, die ihre Seide
auö Sina, Persien und Italien zogen, und zum
Theil sehr schöne Stoffe liefern. Die Leinenmanu--
sakturen sind fast noch die besten, wiewohl nur fast
allein grobe Leinwände gemacht werden. Außerdem
verdient unter den größern Anstalten dieser Art noch
oine Tapetenmanusaktur von Haukelisse in Peters-
burg, wo sehr schöne Stücke verfertigt werden, eine
Porcellanfabrik und die große kaiserliche Gewehrfa-
fabrik zu Tula, in welcher beständig an 6000 Men-
schen arbeiten, angesüh'-t zu werden. Es werden
an demselben Orte auch noch andre vortefstiche Eisen»
und Kupferarbeiten gemacht; überhaupt aber hat
das Reich noch zu wenig Fabriken davon, da 1768
noch für 16220 Rubel Eisendrath, für 5222 Ru-
bel Nagel, für 1322c Rubel Blech, für 127200
Rubel Sensen, für 6222 Rubel Messmgwaare
rrnd für 13200 Rubel Grünspan eingeführt wurde.
Wenn aber auch Rußland seine eigenen Pro-
dukte noch nicht so verarbeitet, daß es der fremden
Fabrikanten ledig gehen könnte, so sind doch seine
Produkte wieder so verschieden, und den Ausländern
so unentbehrlich, daß dadurch ein starker Handel,
dessen Uebergewicht aus russischer Seite ist, hervor-
gebracht wird. Bis zum sechszehnten Jahrhundert
ward der auswärtige Handel fast allein über Now-
gorod, welches damals mit der Hanse in Verbindung
stand, gesührek; um die Mitte dieses genannten
Jahrhunderts kamen Engländer, welche eine nord-
östliche Durchfahrt nach Ostindien suchten nach
Archangel, welches damals nur ein Kloster mit etli-
chen Hausern umgeben war, durch die sich immee
mehr vergrößernde Handlung aber ba'A in eine blü-
hende Stadt umgeschaffen wurde, bis Petersburg
an seine Stelle trat, nach welchem jetzt Riga dek
fr«*
176 Russisches Reich
beträchtlichste Handelsort im russischen Reiche europäi-
schen Antheils ist. Zu den aus dem Reiche gehenden
Waaren gehört das sibirische Pelzwerk an Zobeln,
Füchsen, Hermelinen, Vielfraß, Bibern, Hasen,
Bären, Wölfen u. s. w., die Juften (eigentlich
Poufti ein Paar, nämlich Häute) oder rokhes und
schwarzes Leder, Eisen, Kupfer, Frauenglas, le.
bendiges Vieh, eingesalzen Fleisch, Unschlitt, Lich-
ter, Seife, Wachs, Honig, Schweinsborsten
gewiß für 82000 Rubel, gesalzene Fische, Stock-
fische, Fischrhran, Kavear, Hausenblasen, Bibers
geil, Muskus, Watlroßzahne und Riemen, Mam-
monsknochen *), Getraide, Flachs, Hanf, Lein-
faamen, Leinöl, Teer, Harz, Pech, Potasche,
Salpeter, grobe Leinwand, Matten, ukrainischer
Tabak, wozu jetzt noch Wein, Hirse, Lämmerfelle,
Saffian und Pferdehäute aus dem Cherfones kommen.
Ueberhaupt theilet sich der russische Handel in
den innern und äußern ein. Jener scheint, weil er
meist durch Krämer und Aufkäufer betrieben wird,
und der meiste WaarentranSport zu Lande karavanen-
m)eife gefchiehek, nur geringe zu feyn, ist aber ein
überaus wichtiger fast unzählige Menschen beschäfti-
gender Nahrungszweig, der den Vertrieb natürlicher
sdwohl^als künstlicher Produkte sehr befördert. Zu
diesem innern Handel gehört auch der Handel mit den
sibirischen Völkerschaften und mit den Kalmycken,
der aber, besonders seitdem die 60000 kalmyckischen
Familien auö dem Reiche gegangen, nur wenig zu
be-
*) So nennt man die Zahne, welche att verschiede-
nen sibirischen Flüssen aus der Erde gegraben
werden. Einige wiegen bis 200 Pfund. Matt
halt sie für Elephankenzähne, und verarbeitet sis
auch als solche«
in Europa. 777
bedeuten hat. Mit auswärtigen Nationen wird
Handel geführt: zu Lande, mit Persien über Astra-
chan und das kafpifche Meer. Mau zieht rohe
Seide und seidene Zeuge daher. Ferner mit Sina.
Die Russen bringen an die Granzen und nachPeckin
Pelzwerk, und holen dafür baumwollene und seidene
Zeuge, Thee, Rhabarber, Tigerfelle, Porcellan,
Tabak und dgl. Mit den Bucharen wirb zu Oren-
bürg und Samarkand gehandelt: man zieht baum-
wollene Zeuge, Lämmerfelle, seidene Waaren und
zuweilen auch Juwelen von ihnen. Der Handel,
welcher mit Polen, Preußen und Schlesien getrieben
wird, schrankt sich auf Juften und Vieh ein, ist
aber von geringem Belange. Zur See treibt
Rußland fast mit allen europäischen Nationen Hand-
lung, und ohngeachtet die ausländischen ihre Kom-
toirs im Reiche habenden Kaufleute ziemlich einge-
schränkt sind, auch die Russen gewöhnlich auf zwölf
Monat Zeitkäufen, ihre Waaren aber sich sogleich
bezahlen lassen, wodurch denn die Ausländer, seit-
dem die Handlung von Archangel nach Petersburg
verlegt worden, viel Millionen Rubel verloren ha-
ben, so ist doch der petersburgifche Handel immer
gestiegen, daß, da 1736 nur 100 fremde Schiffe
dahin kamen, ihre Anzahl sich 1758 auf 402 und
1778 auf 550 belief. Mit eigenen Schiffen hB
Rußland bisher noch wenig gethan, allein da cs
1374 die freye Schifffahrt durch das scherze Meer
und den Kanal in die mittelländische See, unv
1784 noch neue Handelsvorkheile von den Türken,
mit denen es bis dahin , so wie mit den krimmifchen
Tatarn zu Tfcherkask handelte, erhalten hat, auch
im Besitze der sonst sogenannten Krimm und des
schwarzen Meeres ist, so darf man in der Folge von
dieser Seite noch wichtige Vergrößerungen des rusi
fischen Handels erwarten, die mit dem Vsrrhetl
11 Laus. 11 Abry« M andrer
178 Russisches Reich
andrer in die Levante und in die Türkey handelnden
Nation nicht sehr vertraglich seyn möchten. Der
Gewinn ist schon bey der jetzigen Handelsverfassung
allezeit auf Seiten Rußlands, unb man hat nach-
gerechnet, daß ein Jahr ins andre die Ausgabe von
der Einnahme um 2 Millionen Rubel überstiegen
wird. Nimmt man zu diesem schon erlangten
Uebergewicht noch die Aussichten, welche der Han-
del auf dem schwarzen Meere, die Besitznehmung
von Georgien unt> die entdeckte Gemeinschaft zwi-
schen Kamtschatka, Nordamerika und Japan eröff-
net haben; setzt man hinzu, daßRußkand durchVer-
befferung seines Landbaus in Erweiterung seines
Manufakturwesens sich noch unabhängiger vomAuö-
lande machen kann, so darf man wohl die Vorher-
fagnng wagen, daß, wenn nicht große politische
Revolutionen den Keim noch zu erwartender Größe
im Werden ersticken, dieser Staat einst der mäch-
tigste und blühendste in Europa seyn wird.
Ehe wir zu einem andern Gegenstand überge-
hen, wollen wir nur mit einigen Worten die Mün-
zen erwähnen, von denen es folgende giebt: in Gold,
Imperialen, ganze und halbe von 10 und 5 Ru-
bel an Werth; Dukaten, Rubel, ganze, halbe
und viertel, die aber selten sind. In Silber i
Rubel, an Werth ioo Kopeiken, polrinnii
oder \ Rubel, 20 Kop. St., 15,10 und s Kop. St.
InKupfLhat man verschiedene Münzen; der Ko-
peik ist 4 Pfennig an Werth. In Livland hat man
Livoneseu und silberne Kopeikenstücken neben dm
jetzt genannten russischen Geldsorken.
Wissenschaf. Vor Peters des Großen Zeiten war der Zustand
tcn mrd Kttu-der Wlffeisichaften sehr kläglich, oder vielmehr: mit
sie. Ausnahme einiger handschriftlichen Kroniken, und
einiger Romanzen, hatte man gar keine russischen
in Europa. 179
Bücher- ohngeachtet eö dieser Sprache- welche von
der slavonischen abstanrmt, weder an Reichthum
noch an Zierlichkeit und Wohlklange fehlet, so daß
die Behauptung eines Schriftstellers, daß man, in
Erwägung des Einflusses, den dieses Reich immer
mehr bekömmt, in 500 Jahren vielleicht eben so all-
gemein russisch als itzt französisch reden könne, nicht
ganz unwahrscheinlich ist. Peter ward auch hier dev
Schöpfer seines Staates, indem er auswärtige Ge-
lehrte inö Reich zog, Bücher stunmelte, seine Un-
terthanen zu Reisen in Lander- wo die Wissenschaften
blühten, ermunterte, und Schulen, Akademien und
Universitäten stiftete. Katharina die Weise, die
jetzt regierende Kaiserin», ist ihm in der Stiftung
ähnlicher zur Erweiterung des Reiches der Wissen-
schaften und Künste dienenden Anstalten nachgefol-
get, und sie hat auch, da der Büchermangel bisher
in Rußland der Aufklärung des Geistes manches
Hinderniß in den Weg legte, jährlich eine Summe
von 5000 Rubel zur Ueberfetzung der bestem frem-
den Schriften ausgesetzt, diejenigen Summen zu
eefchweigen, die sie auf Bereifung ihres eigenen
Staates, oder an junge Rüsten, die auf ihre Kosten
auf teutschen und andern Universitäten studierten
gewendet hat. Ehe wir aber etwas von dem berüh-
ren, waö die russische Nation bey diesen und ähnli-
lichen Aufmunterungen wirklich zur Zeit noch gelei»
stet hat, wollen wir wenigstens die gchßern, zum
Besten der Wissenschaften und Künste getroffenen
Anstalten anzeigen» Dahin gehören vorerst dèe vie-
len Erziehungsstiftungen, an deren Spitze das adlp
che Landkadettenkorps steht, in welchem 60a
junge Edelleuke und 12 o Bürgerliche sowohl zum Mi-
litär- als Civilstande mit vielen Kosten, (welche jähr-
lich auf 160000 Rubel geschaßt werden) äuö Maus
gel tüchtiger Lehrer, und um des zu sehr untermeng.
M - un
j8o Russisches Reich
ten Unterrichts willen, aber eben nicht mit dem größ-
ten Nutzen erzogen worden. Das Seekadetteii-
korps, welches jährlich 46561 Rubel zu unkerhal»
ten kommen soll, und das Ärnlleriekorps sowohl
als die Bergakademie, verdienen hier gleichfalls
genannt zu werden. Dann ist auch mit der Akade-
mie der Künste eine Erziehungsanstaltverbunden,und
ein ^fungfernkloster zu Erziehung adlicher Mäd-
chen gestiftet, fo wie in dem Findelhaufe zu Mos-
kau einige hundert Kinder zu allerley Handwerkern
gebildet werden. Nicht weniger sind in andern Pro-
vinzen und Städten des Reiches verschiedene gute
Schulanstalten zu finden, die zum Theil für die Zu-
kunft fehr viel zu versprechen scheinen.
Außer den drey Universitäten zu Moskau,
Kiew und Petersburg, ist auch an dem letzten Ort
ein? mit der Universität in Verbindung stehende
Akademie der Wissenschaften, welche Peter der
Große gestiftet hat, und die vom Anfang ihres
Werdens an, sehr geschickte Männer zu Mitgliedern
gehabt hat. Ferner ebendaselbst eine fre^e
ökonomische Gesellschaft, und zu Moskau eine
freye russische Gesellschaft. So erhaben aber
alle diese Stiftungen sind, so ist doch keine Regie-
rung der Welt im Stande, den Verstand eines
Volkes auf einmal dadurch umzuschaffen, und wenn
man bedenkt, daß vor etlichen und achtzig.Jahren,
ein wirklich gelehrter Mann in Rußland noch ein
Wunk^x war, so ist es immer zu verwundern, daß
die Nation in diesem kurzen Zeitraum nur so weit vor-
warts gegangen ist. Zwar wollen verschiedene Wis-
senschaften, als Gottesgelahrkheit, Rechtswissen-
schaff, Arzneykunst, die hier immer noch ineist von
Wundärzten oder doch Ausländern getrieben wird,
die sogenannte höhere Philosophie, u. a. m. keinen
sonder-
in Europa. jgt
sonderlichen Fortgang gewinnen, und verschiedene
von den besten in Rußland sich aufhaltenden Gelehr-
ten sind fremder Herkunft; dahin z. B. die Euler,
Müller, Bacmeister, Stricker, von Srah>-
lin, Georgi, Gmelin, Güldenstädt, Pal-
las u. f. w. gehören, indessen sind doch die Lepe-
(hin, Gholowin, Rycfchkow, Lomonossow,
Chilkow, Schtfcherbatow, Tansshrfchew,
^Tkowikow, die sich als Naturforscher uni) vaterlän-
dische Geschichtschreiber bekannt gemacht haben, ge-
borne Russen, und in zweyhnndert Jahren hat Ruß.
land vielleicht auch außer Naturkundigen und Ge-
schichtschreibern eben so viel Schriftsteller, herrscht
da eben so viel Lesebegier, die jetzt noch sehr einge-
schränkt ist, als andre europäische Länder haben.
In einem Lande, das ehedem beynahe gar keine
Handwerke hatte, da müssen die Künste wohl noch
weniger getrieben worden seyn, und man findet wirk-
lich kein einziges Kunstwerk der Bildhauerei), Ma-
lerei) oder Architektur im ganzen russischen Reiche,
welches, wenn es vor Peters Zeiten verfertiget wor-
den ist, ein Nationalwerk wäre. Seit der Stiftung
der Akademie der Rünste, an deren Spitze ein
großer Kunstkenner und Architekt Betzkoi ftit vie-
len Jahren mit großem Ruhme gestanden hat, hat
sich zwar die Liebe zu den Künsten außerordentlich
vermehret, und man findet in Rußland Kenner und
Sammlungen, die jedem Lande Ehre machen würden,
aber der eigentlichen Künstler sind immer noch sehr
wenige, und ein Kupferstecher ScoroduHltov ist
vielleicht der einzige,dessen Name auch im Auslände
bekannt ist. Doch hat die russische Nation einer
Kunst schon von jeher viel Ausmerksiunkeit geschenket:
und das ist die Musrk, welche wohl verdient, daß wir
noch einige Worte darüber sagen. Der Gesang ist
M 3 hier
182 Russisches Reich
hier der Vornehmste Theil davon, der sehr eintönig
ist und auch aus dem Stegreif gesungen wird. Da-
, bey hat aber die Nation auch eine Menge alte Volks-
lieder, Ritter- und Zaubergeschichten von endloser
Lange, die man überall, und wenn es auch nur ein-
zelne Stellen waren, abstngen höret. Was die ur-
sprünglich russischen musikalischen Instrumente be-
trifft, so gehören dahin die Balalarka, ein rundes
oder dreyeckigtes hölzernes Korpus, dessen Hals
dreyma! so lang ist, und zwo Saiten hat; dieDut-
fa, eine doppelte Flöte mit drey Köchern; dielTWl*
nLka, eine Ochselblase in welche zwo Flöten gesteckt
werden; die Gurli, eine Art Harse mit zwo ku-
psernen Saiten; die Gudok, eine unvollkommene
Violine; alles also sehr einfache Instrumente, dis
frcylich jetzt nur noch unter dem Landvolkc, Statt
finden»
Karakter Da Rußland, wie wir schon gesehen haben,
Sitten und nicht bloß von einem Volke bewohnt wird, da alle
Vergnügun- die Nationen, welche dieBewohncr desselben ausma,
chen, in Karakter, Sitten und Lebensart so sehr von
einander verschieden sind, so wollen wir hier bloß
von der eigentlichen russischen Nation sprechen, das-
jenige aber, was wir von den andern im europäischen
Rußland wohnenden Völkern zu sagen haben, bis
dahin verspüren, wo wir von dm Gegenden, in denen
sie leben, handeln werden«
Klima und Erziehung machen den Bewohner
des eigentlichen Rußlands zu einem Menschen von
hartem fast unzuverwüstenden Körper. In einem
Klima, wo einem Winkers für Kalte die Augen über-
laufen, Sperlinge nicht fliegen können, Wasser,
das aus einem zwey Stock hohen Fenster herabgc-
gossen wird, als Cisspitzcn aus die Erde kömmt, da
werden dech die Kinder im kalten Wasser getauft
und
in Europa,
18z
und damit gewaschen, und der Russe geht auö die-
ser grimmigen Kalte in ein zum Ersticken heißeH
Dampfbad und wieder auö demselben ins Freye, oh-
ne Schaden an seiner Gesundheit zu seiden. hteber-
Haupt hat die gleichförmige, einfache Lebensart, und
der Einfluß, welchen die herrschende Religion § da
sie häufiges und strenges Fasten zur Pflicht macht,
in die Diät hat, die Folge gehabt, daß die Natio-
nalruffen, der Zerstreuung in st) verschiedene Klimate
ohngeachtet, sich in Ansehung ihres äußern und in-
mm Karakterö weit gleicher geblieben sind, als an-
dre Völker in weit kleinern Reichen, Das Landvolk
ist meist überall von gesunden, geraden Gliedern lind
fest von Knochen, lind unter dem weiblichen Ge-
schlecht giebt es viel Figuren, die selbst ein verzärtel-
ter Geschmack als schöir würde gelten lassen» Von
Gemüth ist der große Haufen fröhlich, zum sinnlichen
Vergnügen jeder Art geneigt, lebhaft, hurtig, un-
gestüm in seinen Leidenschaften, entschlossen, beherzt
unternehmend/ gastfrei), gefällig und verschwiegen.
Seine natürliche und einfache Lebensart und sein fro-
her Sinn hat wenige und leicht zu erhaltende Be-
dürfnisse, laßt ihm Zeit zur Erholung und Ruhe, be-
'freyec ihn von kümmernden Entwürfen, findet über-
all Freude und verschafft ihm ein zufriedenes meist
beträchtliches Alter. So schildert ein Schriftsteller
die Russen, der sie sehr genau kennet- 'und zwar nicht
den Adel oder die Bürger von Petersburg/ die durch
Annehmung ausländischer Sitten, Kleidung, Spei-
se u. s. m. ihren Nationalgeist verloren haben, forn
dem das Landvolk, die Bewohner der Provinzen)'
welche in ihren Sitten und Gebrauchen noch immer
an der Weife ihrer Vorfahren hangen, die doch alte
Schriftsteller, vermuthlich weil die andern Europäer
wenig Umgang mit ihn- n hatten, als ein wildes, tu-
ckifches Volk malten. Die hohem Stande der Na-
M 4 tion
i84 Russisches Reich
tion wird wohl jetzt niemand von den übrigen Euro-
päern unterscheiden, wenn es nicht durch körperliche
Vorzüge und eine in keinem Lande Europens so weit
getriebene Verschwendung in Kleidung, Ekipagen
u. s. w. geschähe. Nirgends sieht man reichere aber
oft auch mehr geschmacklose Kleider und Wagen, nir-
gends so zahlreiche Bedienten, so schwelgende Gaste-
reyen, und nirgends vielleicht auch so hohes Spiel
(die Marque im Lombre einen Rubel) als in Peters-
burg. Was aber das eigentliche Volk angehet, so
hat das, wie wir schon gesagt haben, noch sehr viel
eigenthümliches von seinen alten Sitten behalten.
Statt daß die Vornehmern sich der französischen
Kleidertracht bedienen, kleiden sich die Bauern und
die Bewohner der Landstädte noch in ihre alte Na-
tionaltracht, die auch gar nicht häßlich aussiehek.
Sie besteht in weiten unter dem Knie zugebundenen
Hosen, kurzen Stiefeln, (auch Schuhen,) einem
Brustlatz und einem vorn über einander geschlagenen,
mit kleinen Knöpfen besetzten Rock, der in der Mit-
te mit einem Gurt umgeben ist, in welchem ge-
wöhnlich ein großes Messer hängt. Ihre Haare
sind verschnitten, und auf dem Kopf tragen sie einen.
runden tiefen Hut, oder eine Mütze. Viele haben
auch noch lange, bis auf die Brust reichende Barte.
Das Frauenzimmer tragt ein am Halse stark aus-
geschnittenes, bis an die Hüsten festsitzendeö langes
Kleid, welches keine Ermel hat und vorn mit klei-
neu Knöpfen'besetzt ist, oder einen ordentlichen Rock
MÜt einer Art von Kontusche. Darüber haben sie
lange Pelze, mit denen sie auch im heißesten Som-
mer in die Kirche gehen. Unverheurathete tra-
gen ihre HaOe frey in drey Herabstiegende mit
allerley Putz geschmückte Zöpfe gestochten. Weiber
aber haben Stirnbinden mit Perlen und Gold gestickt,
Hauben mit Treffen, Schleyer von Seide mit gold»
und
in Europa. 185
und silbernen Spitzen; alle aber sowohl die in der
russischen als die in der französischen Kleidung
schminken sich aus eine häßliche Weise, daher auch
das russische Frauenzimmer seine Schönheit weit frü-
her alö an andern Orten verlieret. Ihre Speisen
sind so ungekünstelt, daß sich Fremde »licht leicht dar-
an gewöhnen können. Sie bestehen meist au§ Rü-
ben, Kohl, Erbsen, großen Gurken, Fleisch mit
wässerigen Brühen, Fischen aus Wasser und Salz,
Milchgallerte, fast alles mit Zwiebel, Knoblauch und
spanischem Pfeffer, welches auch nebst Branntewein
ihre Universalarzne») ist, zugerichtet. Ihr Getränk
ist Quas *), Kornbranntewein, Fruchtweine, Meth
und Thee mit Honig und spanischen Pfeffer be-
reitet.
Was die Nationalvergnügungen anbetrifft, so
haben wir schon des Gesanges und der Musik über-
haupt Erwähnung gethan. Zu dem übrigen gehö-
ren Tanz, Ringen, Schaukeln, Schlittenfahrten
und noch eine besondere Art Winterlustbarkeit, die
aber diesem Lande nicht so ganz eigen ist, als einige
Schriftsteller vermuthen, da sie im sächsischen Erz-
gebirge eben so wohl üblich ist. Man »nacht näm-
lich einen Berg von Schnee, wenn von Natur keine
Anhöhe da ist, und begießt ihn so lange mit Was-
ser bis er vollkomrnen Eis ist. AlSdannssetzt man
sich auf der Spitze desselben, auf einen kleinen niedri-
gen Sitz mit Schlittenkufen, da man "kenn in aus-
ferordentlicher Geschwindigkeit herabfährt. Be»)
M z Peters-
*) (ünss ist ein säuerlicher Trank ausHNehl, welches
mir Wasser einqerührt gegohren bat; oder auch
aus ungesäuertem Brod, wozu Wasser gegossen
wird; aus den vom Bier nachgebliebenen Träbern,
wozu Wasser gegossen wird.
,86
Russisches Reich
Petersburg vergrößert man dieses einfache Vergnü-
gen dadurch, daß man verschiedene Berge hinter
einander auswirft, welche in Ansehung ihrer Höhe
so stufenweise abnehmen, daß man von dem höchsten
herab, den andern herauf, wieder herab u. s. w. bloß
durch die natürliche Bewegung fahret.
Kirchliche Wenn das ruhige Beyeinanderwohnen verschie«
Derfaffvng, dener ReligionSparkheyen für die Toleranz eines
rustand^^'^ Staates beweiset, so ist Rußland unstreitig eines
der tolerantesten Lander in Europa. Denn e6 leben
hier Lutheraner, Reformirte, Katholiken, Herrn«
huther, Armenier, welche alle die freye gotteLdienst-
siche Uebung, Kirchen, Prediger und alle Rechte
genießen, die sie sich nur wünschen können. In un-
fern Tagen ist sogar der Jesuiterorden wieder eini-
germaßen in Rußland erneuert worden. Juden
giebt es nicht im Reiche, wohl aber besteht ein gros-
ser Theil der Bewohner desselben aus Mohameda-
nern und Heiden, die ebensalls.beyderseits der freyen
Ausübung ihrer ReligionSgebrauche genießen« Da
die christliche Religion ums Jahr 488 von Konstan-
tinopel, dem Sitz des ehemaligen orientalischen Kgr-
serthums, aus, eingeführt worden ist, so bekennt
sich die Nation zur griechischen Kirche, deren Lehr-
begriff in verschiedene!, Stücken von dem katholischen
abweiclM, deren Zerimonkel aber noch weit strenger
und weitlaustmer ist. Dahin gehören die vielen Fa-
sten , welche beynahe den dritten The;'! des Jahres
ausmachen. Der Gottesdienst wird in flavonifcher
Sprache gehalten, und besteht aus vielen kleinen
Zerimonien, Messen, Gesang, Gebet und Vorle-,
simgen eines Stücks aus einem Kirchenvater. Pre-
digten werden , Petersburg und Moskau ausgenom-
^ men, sehr selten gehalten. Die Bibel haben sie
ebenfalls nur flavsnifch, und sie kam ehedem auf 20
bis
in Europa.
187
bis ZO Rubel Zu stehen. Gesänge und Gesangbü-
cher haben sie gar nicht, auch keine Instrumental-
musik, wohl aber Chöre von Saugern, welche die
Psalmen und aus dem Griechischen übersetzte Hy«
innen absingen. Bilder sind auch nicht in ihren Kirchen,
sondern nur Gemälde ihrer vielen Heiligen. Vor diesen
heiligen Bildern ein Ghospodi pomilui (Herr erbar-
me dich) rufen, bey keiner Kirche vorbey gehen oh-
ne sich mit dem Kreuze zu bezeichnen, die Fasten
halten u. dgl. das ist überhaupt die ganze Religion
des gemeinen Mannes, und selbst Leute aus gesitte-
ten Ständen lassen sich wenig auf Erforschung des
dogmatischen Theils ihrer Kirche ein. Dennoch
giebt es hier auch Ketzer, die sich selbst den Ehrenna-
men Altgläubige beylegen, von den Orthodoxen
aber Abtrünnige genennt werden, und in Sibi-
rien sehr zahlreich sind. Diese Leute, welche die
Veränderungen, die im 17tenJahrhundert in einigen
unbedeutenden Zerimonien gemacht wurden, nicht
annehmen wollten, und also dem öffentlichen Gottes-
dienst nicht beywohnten, wurden von Peter dem
Großen als gefährliche Ketzer verfolget. Peter be-
legte diejenigen, welche nach dem Martyrerthum
strebten, mit doppelter Kopfsteuer, und ließ ihnen
ein buntes Stück Tuch auf die Schulter heften; jetzt
aber, da die russische Regierung in Religionssachen
völlig aufgeklärt ist, läßt man sie ungehindert ihr
Wesen haben. Man läßt hier wie in den preußi-
schen Staaken jeden glauben und beweisen, was er
nur immer Lust hat, nur thun darf er nichts, was ,
nicht mit dem Wohle des Ganzen übereinstimmr.^
Wenn daher die Klerisey sich hier bloß mit der b) Klerifey
Ehrfurcht begnügen muß, die ihrem Stande erwiesen
wird, und das Uebergewicht gar nicht hat, welches
sie bey einer so sehr aufö Aenßerliche beschrankten Re-
ligiyn
188 Russisches Reich
ligion haben könnte, so ist die Ursache bloß in der
Regierung zu suchen, die sich von ihr völlig unab-
hängig gemacht hat. Bis Zu PeterS Zeiten hatte
Rußland einige Jahrhunderte (seit 1589) einen Pa-
triarchen, der nach dem Regenten die erste Per-
son im Reiche war, bry allen wichtigen Angelegen,
heiten seine Hand im Spiele hatte, und nicht selten
dem Staate selbst gefährlich ward. Peter erklärte
sich selbst, um alle diese Irrungen zu zerstören, zum
Haupte der russischen Kirche, und verordnet einen
von ihm abhängiger, geistlichen Rath, der der hei-
ligste G^nod genennt wird, und über alle Prie-
ster gleiche Gewalt hat, so wie jeder Priester, er
mag Bischof oder gemeiner Priester seyn, in seinem
Kirchsprengel niemand als ihm uuterworsen ist. Die
Würde eines Metropoliten ist jetzt die vornehm-
ste; dann folgen die Archijerei, welches so viel als
Erzbischöfe und Bischöfe sind, von denen dreyßig
eigne Kirchsprengel oder Eparchien haben; ferner
die Archimandriten, Jgumenen oder Aebte,
Procopopen, Popen, welche nebst den geringer»
Kirchenbedienten zusammen gegen 68000 Personen
ausmachen. Haupt, und Pfarrkirchen sind im Rei-
che, die Klosterkirchen ungerechnet, j 8 319 5 Klö-
ster aber 479 Mönchs - und 74 Nonnenklöster, in
denen etwan 73001 Mönche und 530o Nonnen le-
ben, deretz Anzahl aber immer abnimmt. Schon
Peter verordnete, daß kein Mönch unter 30 und kei-
ne Nonne unt§r zO und 60 Jahren ausgenommen
werden sollte; ferner daß die abgedankten Soldaten
uyd andre wahre Arme in die Klöster vertheistund
daselbst verpflegt werden,auch Waisenkinder daselbst .
erzogen werden sollten. Diese Klerisey besaß ehe.
dem sehr beträchtliche Einkünfte, und im Jahr
1762 ward ein Verzeichniß bekannt gemacht, nach
welchem ihr 910,866 Bauern bloß männlichen Ge-
schlechts
in Europa. 189
schlechts gehörten. Die gegenwärtige Kaiserin« aber
nahm ihr in dem genannten Jahre die Verwaltung
dieser Güter ab, und bestimmte ihr Iahrgelder,
der Ueberschuß aber ward größtenteils zu Pensionen
für arme Offiziers, Invaliden und Krankenhäuser
ausgesetzt.
Die ganze russische Geistlichkeit geht in mor-
genländifcher Kleidung, welche in einem langen Ro-
cke, und einer hohen steifen Mütze, von der ein Stück
bis auf den Rücken herabhangt, oder einem großen
Hute, dazu Bart und langes siiegendes Haar, be-
stehet. Sie darf sich verheurathen, doch mit keiner
Wittwe, und wenn die Frau stirbt, kann der Prie-
ster fein Amt nicht langer verwalten, sondern muß
in ein Kloster gehen, oder sich entweihen lassen. Ih-
re Lebensart ist streng, besonders die der Klosterleu-
te, welche sich aller Speisen aus dem Thierreiche
gänzlich enthalten, außerdem erstreckt sich die Ge-
lehrsamkeit derer, welche nicht höhere Würden be-
kleiden, nicht weiter als daß sie lesen können, und
das Ritual auswendig missen. Wenn solchen Leu-
ten der westliche Arm seine Hülfe nicht leistet, so ist
man gewiß für ihren Ketzereifer sicher, denn mit
andern als leiblichen Waffen sind sie nicht zu streiten
im Stande.
Die Gewalt der Monarchen Rußlands ist völ- Bürgerliche
lig unumschränkt. Sie gebieten willkührlich über ih. Verfassung,
re Unterthanen, und es ist keine Nattonalverfamm- ^ Negie.
lung, oder Stand im Reiche, die ihnen die Aus- Thronfolge-
Übung ihrer sich über alles erstreckenden Majestäts-
rechte zu beschränken befugt wäre. Ehedem, als
hier noch asiatischer Regierungögeist herrschte, sah
man auch alle die Schrecknisse vereinigt, welche den
Thron jener gefürchteten und gehaßten Despoten um-
geben. Tiefe knechtische Furcht, die den Russen bey
jedem
190 Russisches Reich
jedem ihm unerklärlichen Vorfälle sagen hieß: Gott
und der Zar weis das, und eben so viel Empörungö-
geist, der, und wenn er sich auch nur in der Trun-
kenheit äußerte, durch die schrecklichsten Martern
gestrafet wurde. Noch in diesem Jahrhundert ge-
schahen hier die gewaltsamsten Staatsveränderun-
gen, ohne daß das Reich beynahe daraus Acht gab,
wie und wenn sie bewirkt worden waren. Als Anna
zur Regierung kam, versuchten es einige Mitglie-
der des hohen geheimen Rathes, der kaiserlichen
Macht Gränzen zu sehen, indem sie ihr gewisse Be-
dingungen vorlegten; aber da die Kaiserin», nach-
dem sie sich aus den: Throne befestigt sähe, die dar-
über auSgesertigte Akte zerriß, so blieb alles beym
Alten, und die Gesetze, daß das Russische Reich
ungetheilt bleiben, und niemand den Thron bestei-
gen soll,der sich nicht zur griechischen Kirche bekennet,
sind immer noch die einzigen, von denen man sagen
könnte, daß sie der Gewalt der Beherrscher einige
Einschränkungen gaben. Außerdem aber hat Ruß-
land in diesem Jahrhunderte das Glück gehabt (ein
Glück, dessen es besonders gegenwärtig jetzt im vor-
züglichsten Grade genießet) von vier Kaiserinnen be-
herrscht zu werden, die den besten Gebrauch von
ihrer großen Gewalt gemacht haben. Stolz kör nen
wir seyn, daß Katharina, diese erhabene Kaisc«
rinn, die mit Recht neben unferm ssoseph und
Friedench eme Stelle verdienet, eine Teutsche ist.
Sie regieret ihr glückliches Volk mit der Güte einer
Mutter, sie baut die Wohlfahrt ihres weiten Reichs auf
felsenfeste Grundmauern, schafft Felder und Garten,
wo WüstAr, Wohnungen, wo Schlupswirkel reis-
sender Thiere waren, macht daß ihre Unterthanen
sicher schlafen, belohnt und verzeiht lieber als daß
sie strafe, ohne die Indolenz schwacher Seelen zu
Ferrathen/.uud hat ihrem Staate ein Ansehen erwor-
ben,
in Europa. 191
ben, daß er einer der gefurchtesten und geehrkestcn
Europens worden ist. Darf man nach diesem allem
wohl noch fragen, wie jetzt Rußland regiert werde?
Und ist mit Rechte zu hoffen, daß ein von ei-
ner solchen Mutter gebildeter Sohn, nicht ebenfalls
die Begluckfeligung feiner Unterthanen fein süßestes
Geschäft werde feyn laßen? —
Noch haben wir hier eines Gesetzes zu gedenken,
welches Peter der Große 1722 gegeben hat, und
durch welches das Recht der Thronfolge, welches
vorhin erblich gewesen war, dergestalt bestimmt wur-
de , »daß es stets dem Willen der Kaiser frey stehen
--sollte, die Thronfolge selbst zu bestimmen, und nach
»Maaßgabe der Umstande zu verändern.« Der
so bestimmte Thronfolger heißt jetzt Großfürst und
kaiserliche Hoheit, in alten Zeiten aber ward er
Zarewitsch genennek.
Ehemals führten die Beherrscher Rußlands d) Titel, Wa-
den Titel Großfürst (oder Weliki Knjas) und Zar. pen, Hofstaat
Peter der Große aber nahm 1721 die Benennung un^
Kaiser an, welche neue Titulatur nach und nach von Dr
allen europäischen Mächten anerkannt wurde. Der
vollständige neue Titel, besten sich die jetzt regierende
Kaiserinn bedient, ist folgender: Aatharina II.
Raiserinn und Gclbstherrfchermn von ganz
Rußland, ztt Moskau, Riew, Molodr-
mer, Nowgorod, Zarinn zu Rafan, Astra-
kan und Sibirien, Zarinn vom Taurr'fchm
Cherfones, Frau zu pleskow, Großfürstmn
Zu Smolensks, Herzogmn von Lsthland,
Livland und Rarelen; von Twer, Iugo-»
rien, pcrmien, wiarka, Bulgarien und
andern Orten mehr Gebiererinn; Großfür-
stinn von Nifchnci - Nowgorod, Cfcherni-
gow/ Resau, polozk, Rostow, Jaroslawl,
Belofero,
192 Russisches Reich
Belosero,Ussnen,<!)bvo>!eii, 2\oii&imeii,£Di=
rep6k,Mstislaw, und der ganzen mircernächt-
liehen Gegend; Gebreterinn der Landschaft
Iwerien, der Rarchalinischen und Gru»mi-
schen Zaren, der kabardinischen, Tscherkas-
kischen und im Gebirge wohnenden Fürsten
u. a m. Lrbftau und Gebieterinn.
Das russische Wapen besteht in einem zwei-
köpfigen gekrönten Adler im goldnen Felde,
auf dessen Brust und Flügeln sieben andre Wapen
besindlich sind.
Statt daß der russische Hos ehedem ganz asia-
tisch mar, ist er jetzt der prächtigste und auch einer
der artigsten in Europa. Alles, was man hier ste-
het, kündigt Reichrhum und Pracht an. Wir sagen
hier nichts von den herrlichen Pallasten, Garten,
Sammlungen u. dgl.; nur das wollen wir noch an-
führen, daß das Auge nichts glänzenderes sehen
kann, als das Gewühle dieser reichgeschmückten
Großen, Pagen, Hoflakayen und vorzüglich die
Chevaliergarde *), die an keinem andern Hose ge-
funden wird. Aber dabey behauptet man auch durch,
gängig, daß an keinem andern Hofe mehr gute Ma-
nieren, mehr wahre Höflichkeit gegen Fremde, und
mehr äußerliche Zucht, Ordnung und Pünktlich,
keit im Dienste angetroffen werden. Was auch
den Glanz des Hofes beträchtlich erhöhet, sind die
* Ritter-
*) Die Chcvaliergarde von der die Kaiserin» selbst
KaoikNne ist, besteht aus ioo Leuten der schönsten
Lcibesgestalr. Sie tragen Kollers, vorn und hiiu ^
ten einen st bernen Harnisch, einen silbernen Helm
. niit>vergo deren Adlern und einem hcrabfliegenden
Federbusct) geschmückt, und silberne Schienen an
i den Armen. Jeder ist Lieutenant bey der Armee.
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194 Russisches Reich
terthanen des Adels sind alle leibeigen, und e$ giebk
Edelleute, die deren über hunderttausend haben. Ehe-
dem war diese Leibeigenschaft sehr hart, und der ro-
he Adel ließ sich oft zu großen Gewaltthatigkeiten
Hinreißen, jetzt aber ist ein großer Theil desselben auf-
geklärt genug, auch bey Leibeigenen die Rechte der
Menschheit nicht zu verkennen, und diejenigen, wel-
che vielleicht nicht abgeneigt seyn würden nach alter
Sitte und Gebrauch zu verfahren, werden durch die
weise Regierung in den gehörigen Schranken gehalten.
Uebrigens bringt derGeburtsadel im Civil« und Mili-
tärdienste keine sonderliche Vorzüge, da Peter I alle
von adlichen Titeln hergeleitete Würden abgeschafft
und festgesetzt hat, daß der einzige Unterschied, dessen
jeder genießet, von seinem Range und Amte abhan-
get. So haben nun alle Beamte ihren Karakter,
wovon der Miutarstand den Maaßstab abgiebet.
Ein Kanzler Z. B. hat den Rang eines Feldmar-
schalls und der geringste Kopist den eines Ser-
geanten.
d) Landes« Was der heilige Synod in kirchlichen Angele-
kollegicn, Iu-genhciken ist, das ist der Senat in bürgerlichen:
stsi. und Po« Schiedsrichter in der letzten Instanz, von dessen
suna^"^' Aussprüchen weiter keine Appellation als unmittel«
bar au die Entscheidung des Monarchen selbst Statt
findet. Seit 176g ist er in sechs Departements
getheilt, von denen die beyden letzten ihren Sitz zu
Moskau haben. Unter ihnen stehen folgende Kol-
legien: i) Rolleguuu der auswärtigen An-
gelegenheiten. 2)^vriegskollcglum. g)Ad-
mirÄltätskoUegüntt. 4) Russisches Justiz-
kollegium zu Moskau, neben welchem zu Peters«
bürg auch eines für die liv - esth- und sinnländischen
Sa6)en 'lst. 5) Rammerkolleginm zu Moskau,
GüterkollegilUu, weiches dasjenige, was durch
in Europa. 19s
Sterbefalle an der Krone kömmt, verwaltet. 7)
Revisionekollegurm. 8) KommenfoUegium.
9) Bergkollegmm. 10) Manttfakturkollegi-
um. 11) Graarskomroiu, welches die Ausgabe
der öffentlichen Gelber verwaltet. 12) Salzkom»
rc>iu. i z) Obermagistrar. 14) Oberpolizey.
ij) jfamslfoyfanjley, welche das Postwesen be-
sorget. 17) Nledicinisches Roll eg mm und
18) Tutelkanzley, welche zum Besten der AuSlan-
der, vornehmlich der Kolonisten, errichtet worden.
Außerdem bestehet noch ein Rablnetsnttnisterium
und ein Ronfeil für die politischen und militärischen
Sachen. In Absicht der innern Landesverwaltung
ist noch folgendes zu bemerken: Jedes Gouverne-
ment hat ein Gericht für Civil- und eines für Kri-
minalfachen, auch eines oder mehrere Oberlandge-
richte, welche die Streitigkeiten des Adels entschei-
den, und denen noch ein Departement für Wittwen
und Waisen zugesügt ist. Die einzelnen Kreise der
Gouvernements haben wieder Civil-Kriminal, und
Unterlandgerichte. In den Städten und Flecken ist
ein mündliches Gericht, welches über Schuldforde-
rungen entscheidet. Außerdem ist noch in jedem
Gouvernement ein Kollegium zur allgemeinen Auf.
sicht, dessen Fürsorge auch Schulen, Hospitäler,
Waisen. Toll - und Zuchthäuser anvertrauet sind.
Die Gesetze, nach welchen entschieden wird, sind
einheimisch, und sind zuerst 1649 vom Zar Alexei
Michailowitsch gegeben, von den folgenden Zaren
aber immer vermehret worden. Peter der Große
und seine Nachfolger haben verschiedene Wege zue
Verbesserung dieser Gesetze eingesichlagen, die'Aus-
führung dieser glanzenden Unternehinung aber war
der jetzt regierenden Kaiserin» ausbehalten.-L Des.
halb hat sie eine Kommission niedergesetzt, welche
N 2 aus
196 Russisches Reich
aus Abgeordneten aller Kollegien und Provinzen be-
sieht^ um ein ganz neues Gesetzbuch zu Stande zu
bringen» Noch ist das Werk nicht vollendet, wenn
aber diese Kommission nach dem Plane verfährt, den
die Kaistrinn mit der erhabensten Weisheit selbst ent-
worfen hat, so wird dieses Gesetzbuch unstreitig das
beste werden, welches die altern und neuern Zeiten
hervorgebrachk haben. Schon jetzt che noch dieser
herrliche Plan, der überall die feinste Menschen-
kenntniß und die wärmste Menschenliebe an den Tag
leget, völlig auögeführt ist, spürt mail in der rus-
sischen Justiz, und Polizeyverwalkung, daß derselbe
Geist, der jenen Entwurf faßte, ihn auch auözusüh--
ren vermag. Freylich ist es in einem so weiten Rei-
che nicht möglich, daß da6 'Auge des Herrn allent-
halben jede Ungerechtigkeit, oder doch Verzögerung
der Gerechtigkeit entdecke, welche sich feine Stellver-
treter erlauben; aber dreß bleibt doch eine unumstöß-
liche Wahrheit, daß im Ganzen hier weit weniger
dergleichen vorgehek, als man erwarten könnte, und
daß Justiz - und Polizeyverfajsiing überhaupt in vie-
len Stücken sehr musterhaft sind. Jetzt ist niemand
mehr in Gefahr die Knute (eine schreckliche Art
von Geißelung) zu bekommen, und dann mit abge-
schnittener Nase und Ohren, auch wohl auSgeschnitte-
ner Zunge nach Sibirien geschickt zu werden; kein
Verbrecher wird mehr lebendig ans eiserne Haken ge-
hangen/ wo er oft drey bis vier Tage, ohne zu ster-
den, sich quälte. Die peinliche Frage ist völlig auf-
gehoben, und während der ganzen gegenwärtigen
Regierung, sind nur zwo Todesstrafen (die eine noch
dazu an dem Ungeheuer Pugatfchev, der mehr ver-
brochen hatte als Struenste und doch gelinder be-
straft wach) verhänget wordem
in Europa.
197
Die Einkünfte, welche zu Pe?ers des Großen e) Einkünfte
Zeiten höchstens sieben und unter der Kaiserin« Eli« und Abgaben,
sabeth etwan zehn Millionen Rubel betragen haben,
find durch die Bergwerke, die Verbesserung des Zoll«
und Münzwesens, die Vergrößerung des Reiches u.
dgl. dergestalt gewachsen, daß sie jeßtwohl zwischen
zwanzig »nd dreißig Millionen Rubel betragen
mögen. Quellen derselben sind: 1) die jährliche
2lopffteucr. Bauern der Edelleute bezahlen der
Krone jährlich 7oKopciken, die Bürger 120, die
Tatarn, Tscheremissen und andre Völker im Kasan-
schen no, und die ehemals der Kirche gehörigen
Bauern 2 Rubel. Diese Einnahme betrug 1766
6944001 Rubel, doch waren dabey eingerechnet
2) die Domänen der Kranbauern von denen jeder
jährlich 11 0 Kopeiken bezahlet. g))s)erp,achLrmF
der Schenkhänseu betrug i770 3 Millionen und
100000 Rubel. 4) Zoll betrug in demselben Jah-
re 2 Millionen und §00000 Rubel, könnte aber
wohl 8 Millionen allsmachen. 5) Galzwerkc«
Die Einkünfte davon betragen etwan 2 Millionen.
6) Scempelpapier über 7 Millionen Rubel. 7)
Münzwefen, welches jährlich über 7 Millionen ein-
trägt. Hiebey sind noch die Bergwerke, der Tri-
but, den die sibirischen Völker in Fellen bezahlen,
und die Einkünfte aus den neuerworbenen Provin-
zen nicht gerechnet. Noch könnte aber Rußland
ohne große Bedrückung der Unterthancn weit mehr
eintragen, ohngeachtet schon jeht nach Abzug der
Ausgaben für Militär-und Civiletak, Stiftungen,
Geschenke u. f. w. welche vor etlichen Jahren
14305548 Rubel betrugen, immer noch ein be-
trächtlicher Ueberschuß (damals von 604im Ru» .
beln) bleibet. ¥
198 Russisches Reich
Kriegsverfaf. Als Peter der Große den Thron bestieg, wa-
sUng,»8and-ren fast keine andre Soldaten da, als Strelitzen,
macht. bereu Korps sehr viel Aehnl-ichkeit mit den Janit«
scharen in der Türkey hatte, und etwan 40000
Mann stark seyn mochte. Indessen hatte man be-
ständig einige Befehlshaber, welche, wenn cinKrieg
ausbrach, in ihren Bezirken Regimenter errichteten,
die meist nur Streitäxte und hölzerne Keulen führten,
und, wenn der Feldzug geendigt war, wieder nach
Haufe giengen. Die: Reuterey bestand aus dem
ganzen Adel, welcher nebst feinen Knechten, mit
Schießgewehr, auch Bogen, Pfeilen, Sabeln und
halben Piken bewaffnet, imNothfallaufsitzen mußte.
Schon Michael Fordorowitfch und fein Sohn Alexei
hatten die Absicht gehabt, ihre Armee zu verbessern,
und einige Regimenter unter ausländischen Befehls-
habern auf den Fuß der übrigen europäischen Trup-
pen errichtet; aber alle diese Verbesserurigen bedeu-
teten wenig, bis Peter die ganze Kriegsmacht
umschuf, und sie völlig so wie in andern Reichen
einrichtete. Dadurch, daß auf diese Art und
durch die wiederholten Verbesserungen seiner Nach,
folger, die gleich ihm fremde OfsicierS in ihren Dienst
zu ziehen suchten, Kriegsmacht und Disziplin ein-
geführt ward, gewann das russische Kriegswesen
immer mehr, und gegenwärtig gehören die russischen
Truppen, man mag nun auf persönliche Stärke und
Tapferkeit, oder Zucht und Geschick (vorzüglich im
Artilleriewesen) sehen, gewiß zu den besten in Europa.
Nach dem Schlüsse des letzten türkischen Krieges be.
stand die ganze russische Landmachtaus 16000 Mann
<§arden, 150C00 Mann Infanterie, 66000
Mann Kavallerie, 10000 Mann Artillerie, 90000
Mann ''Garnisonen, wozu noch gegen 200000
Mann Kosticken, Kalmycken und andere irreguläre
, Trup.
in Europa. 199
Truppen kamen, die, wenn auch nicht bey Feld-
schlachten, doch in Verwüstung des feindlichen Lan-
des und Beunruhigung der Armeen von sehr gros-
sem Nutzen sind. Ohngeachtet auch die Krone den
Officieren Knechte zugesteht, und für deren Unterhalt
sorget, auch die Soldaten Grütze, Mehl und Salz
bekommen, so soll diese Armee jährlich doch nur auf
6 Millionen und etliche 102200 Rubel zu stehen
kommen.
Seemacht besaß Rußland vor Peters Zeiten b) Seemacht,
gar nicht, und es hatte nur einige Schiffe zur Hand-
lung auf dem kafpifchen, afowfchen und weißen Mee-
re. Bey Petern aber war das Verlangen, seinem
Staat eine Marine zu verschaffen, so sehr herrschen-
de'Leidenschaft, daß man daraus viele seiner Unter-
nehmungen erklären muß. Erbrachte es auch wirklich
weiter, als man vermuthen konnte; denn da er 1714
erst vier Kriegsschiffe hatte, so hinterließ er dafür
bey seinem Tode zo Schiffe von der Linie, ohne die
Fregatten, und gegen 202 Galeeren, deren man
sich gegen Schweden mit großem Vortheil bedient
hatte. Seitdem ist die russische Flotte nicht immer
gleich zahlreich gewesen, bis sie unter der jetzigen
Regierung sehr vermehrt worden, und durch die
glorreichen Seezüge in den türkischen Gewässern sehr
in Ansehen gekommen ist. Nach dem Schluffe des
letzten türkischen Krieges soll sie aus 28 Schiffen
von der Linie, etlichen 60 Fregatten und andern Fahr-
zeugen, die Galeeren ungerechnet, bestanden haben,
und die dazu gehörige Mannschaft gegen 32002
Mann stark gewesen seyn. Man will übrigens ver-
sichern, daß der Mangel an geübten Matrosen, rmd
andre beym Schiffsbau befindliche Gebrechen, das
russische Seewesen immer noch von eillem hohen
Grade der Vollkommenheit sehr entfernt hielten.
N 4 Wir
200
Russisches Reich
Wir gehen nun zur Beschreibung des europäi-
schen Theiles von Rußland über, dessen Granzen
gemeiniglich sehr willkührlich angegeben werden, bey
welchen wir uns aber an die Methode und Ordnung,
welche Hr. K. K. R. Büsching beobachtet hat, hal-
ten, und also auch ebenfalls mit den westlichen Län-
dern anfangen wollen.
Einzelne Pro- Das-Herzockthum Livland, oder LLef-
vmzeii. kand, auch das (veneralgouvernement Riga,
liegt zwischen Kurland, der Ostsee, Esthland, (das
' 'im gemeinen Leben auch unter der Benennung Livland
mit verstanden wird) und mag etwan 1000 O.ua-
dratmeilen groß seyn. Es ist ein ebenes, wasserrei-
ches, morastiges und waldiges Land, dasoft neun
Monate lang Winter hat. Der Boden ist nur mit-
telmäßig guc, man sucht ihn aber dadurch zu ver-
bessern , daß man das Strauchwerk auf trockenen
Wrefengründen abhauet und verbrennet, oder sie
umpflüget, Holz dahin führet, Torf darüber legt
und ebenfalls verbrennet. Indessen könnte der Bo-
den noch weit mehr tragen, ohngeachtct schon jetzt
die Ausfuhr vom Getraide, welches durch das ein-
geführte Dörren zum Aufbewahren sehr geschickt ge-
macht wird, über Riga nicht geringe ist. Man hat
ferner Flachs, dessen aber ungleich mehr gebaut wer-
den könnte, Hanf, welchen man ebenfalls nicht sehr
würde verschiffen können, wenn nichtauöden benach-
barten Ändern Zufuhr davon wäre, und allerhand
Gemüsh'räuter und Obst. Man fängt auch jetzt an,
sich aussen Tabaksbau zu legen, und dieser sowohl,
als der Anbau der Farberröthe könnte mit der Zeit
ein nicht - unbedeutender Rahrungszweig werden«
Die Waldungen haben in den neuern Zeiten ziemlich
abgenommen, woran die Bauart, da Balken auf
Balken gelegt werden, die langen Winter, das hau-
201
in Europa.
sige Brannteweinbrennen und verschiedene Holzver-
schwendungen Schuld sind. Mineralien kann man
in einem Lande, das keine Berge hat, wohl nur sehr
wenige finden, zu denen Kalkstein, Gyps, Mergel,
Achat, etwas Schwefelkies mit Eisen, Schwefel
und Torf gehören. Der Viehstand ist ziemlich an-
sehnlich, doch sind Kühe, Schafe, Schweine und
Pferde klein. Von andern Thieren hat man Hir-
sche, Elennthiere, Hasen, Baren, Wölfe, welche
unglaublichen Schaden thun, Dachse, Luchse,
Füchse, Vielfraße, Hermeline und eine unglaubliche
Menge Federwild. Die Gewässer, als der PeipuS-,
und kleinere Seen, die Düna, Buller-Aa, Ewst,
Pernauström und andere enthalten fehr viel Fische,
die Ostsee auch Seehunde und in einigen Bachen
werden Perlen gefischet.
Die Einwohner dieses Landes, deren Anzahl,
die Russen und das Militär ausgenommen, aus
450000 Seelen geschaht wird, sind verschiedenen
Ursprungs: als Teutfche, Schweden, Polen und
Finnen; die eigentlichen und alten Bewohner aber
sind Lwen, Letten und Esthen, welche unter
einander verwandt, aber doch nicht ein und dasselbe
Volk sind. Die Liven, vermuthlich ein Zweig der
Finnen, sind meist mit den Letten und Esthen ver-
mischt, haben aber noch ihre eigene Sprache. Die
Letten sind zahlreich und machen mit den Litkhauern
einerley Nation aus. Die Esthen sind Finnen, aber
vermischter als die Liven, und bewohnen zween
Kreise nebst den meisten Inseln. Alle drey sind
völlig leibeigene Leute, und leben unter dem härtesten,
oft mit dem bittersten Mangel vergesellschafteten
Drucke, daher auch ihr tückisches faules Wesen sei-
nen Ursprung haben mag. Ihre Unwissenheit bst
sehr groß, doch zeigen sie genügsame Anlage, ge»
N 5 scheidter
202
Russisches Reich
fcheidter und bester zu werden, und wenn der Adel
erst von dem Vorurtheile zurück gekommen seynwird,
daß der Bauer nicht lesen, nicht schreiben können dür-
fe, wenn man Menschen nicht mehr um Pfeifenköpfe
vertauschen wird, dann steht auch gewiß dem Ka-
rakter wie dem Befinden dieser Leute eine heilsame
Veränderung bevor. Alle lieben starke Getränke,
Gesang und Musik, und Ausschweifungen sind un-
ter ihnen nicht selten; aber alle die Laster, die man
an ihnen wahrnimmt, alle die Betrügereyen, die sie
sich gegen ihre Herren, ihr Schicksal zu erleichtern,
erlauben, haben in ihrer Bedrückung und der schie-
fen Richtung ihren Grund, welche ihr Geist von
Jugend auf erhalt. Ihre Religion, so wie die im
ganzen Lande herrschende, ist die Lutherische, aber
ohngeachtet die Kandidaten des Predigtamts sich
verpflichten müssen, diese Lehre ganz rein vorzu-
tragen, so geht doch Gespensterglaube, Anhäng-
lichkeit an Hexerey und dgl. sehr stark bey ihnen im
Schwange, indem man die groben Reste des Hei-
denthums sehr deutlich entdecket, wohin auch sogar
noch Arten von Opferungen, und die Ehrfurcht ge-
gen heilige Baume gehören.
Der zahlreiche Adel ist meist teutschen, dem
kleinsten Theile nach auch schwedischen, dänischen
und polnischen Ursprungs, und er hat unter der rus-
sischen Herrschaft nichts von seinen Privilegien vcr-
loren. Man muß auch gestehen, daß dieser Adel
von jeher verdienstvolle Mitglieder gehabt hat, und
daß Kenntnisse, Feinheit der Sitten, Gastsreyheit,
Gefälligkeit gegen Jedermann, keine seltenen Erschein
nungen unter demselben sind.
So betriebsam auch die in den Städten woh-
nenden Teutschen (so nennt man hier alles, was
nicht Lette, Live oder Esthe ist,) und Russen sind, so
sind
S
in Europa.
20z
sind doch noch sehr wenig Manufakturen vorhanden.
WaS davon gefunden wird, besteht im folgenden:
Webereyen; diese find sehr gemein, denn jede Bauer-
frau webt ihre wollene Kleidung und gemeine Lein-
wand; Farbereyen, so gemein wie jene; Brannte-
weinbrennereyen, Glashütten, eine Fayanzfabrik,
Starke, Papiermühlen, Kupferhämmer, eine Kar-
tenfabrik, Tapetenfabriken und Gerbereyen. Aus-
geführt wird Korn, am meisten Roggen, Balken,
Breter und anderes Holz, Flachs, Hanf, Leinsaamen,
Mastvieh, Pferde, Branntewein, Haute, Talg,
gosalzen Fleisch, Butter, Hörner, Schweinsborsten
und Haare. Eingeführt wird dagegen Salz, Ei-
sen, Bley, Zinn, Wein, Gewürz, Fische (gefror-
ne, gesalzene und geräucherte) aus Rußland, Kaviar,
Pelzwerk, Tabak, Hopfen, Kupfer, Federn, sei-
dene, leinene und wollene Zeuge, Galanteriewaa-
ren, Kaffee, Zucker und dgl., welche Waaren
theils im Lande selbst verbraucht, theils weiter ver-
handelt werden. Riga treibt unter den livlandische»
Städten den wichtigsten Handel. Im I. 1771
betrug der Werth seiner Ausfuhr 2551560^ Thlr.,
die Einfuhr nur 1025455^- Thlr.
Wissenschaften stehen zwar nicht im höchsten
Flor, doch findet man wenigstens in jeder etwas be-
deutenden Stadt einige Gelehrte, und selbst bey den
Teutschen, die auf dem Lande wohnen, herrscht kei-
ne gänzliche Unwissenheit. Viele Edelleute besitze»
ausgebreiteke Kenntnisse, und wenn wenig livlän-
dische Gelehrte durch Schriften bekannt sind, so
kömmt dies daher, daß die wenigsten iht^AuSkom-
men auf dem so dornichten und mühsamen Pfad des
Schriftstellers zu suchen nöthig haben. Dies ist das
Urtherl, welches ein livlandischer Schriftsteller von
der Lirteracur seines Vaterlandes liefert. Er setzet
noch
204
Russisches Reich
noch hinzu, daß hier mancher ein Gelehrter heißt,
der nichts weniger als dieses ist; daß es Advokaten
giebt, die nie eine Akademie bezogen, Aerzte, die
bloß theologische Studien getrieben haben, und daß
der Mangel einer eigenen Universität Schuld daran
ist, daß so viele Livlander, welche nicht Vermögen
genug haben, eine auswärtige zu besuchen, da-
durch vom Studiren abgeschreckt werden. — Noch
sind auch Bücher sehr theuer, da mancher sin
Buch erst dreyßig Meilen weit von Riga oder Reval
her verschreiben muß; und für die Künste, wenn
man Baukunst und Musik auSnrmmt, wird noch
wenig Eifer gefpüret.
Seit Livland unter russischem Scepter ist, be-
findet es sich in einem weit glücklichern Zustand, als
ehedem, und genießet sowohl von außen als innen
einer weit ungestörteren Ruhe. Es wird jetzt durch
ein Generalgouvernement oder die Regierung,,
welches das höchste Policeygericht ist, und alle Be-
fehle erkheilet, und durch ein ^ofgericht, welches
in Civil-sowohl als Krimmalsachen entscheidet, re-
giert, von beyden aber gehn die Appellationen nach
Petersburg. AndreGerichtsstellen sind dieRirchen-
Gerichte, Rreißkommifsariate, Landgerich-
te u. s. w. Gesetzeskraft haben nicht allem die Uka-
sen (so nennt man alle von der Krone ertheilte Be-
fehle) unb Verordnungen, sondern auch die livla^
dischen Landesordnungen von 1671 und das schwe-
dische Landrecht von 1442. Die Kriminaljustitz
ist wie in Rußland. »Nicht die Rachübung an
» ohnAeih schon unglücklichen Verbrechern, sondern
»die möglichste Besserung ist die allgemeine Absicht
»unsrer.Gesetzgeber und Richter;« sagt ein Natio-
nalschriststeller. Die Abgaben sind unter der jetzigen
Regierung ungleich weniger worden, so daß alle
Krön-
in Europa. 205
Kronernkünfte aus Liv - und Esthland in Zöllen,
Abgaben von Privat-und Einkünften von den Krön-
gütern, Accise, Postgeld und in Stempelpapier be-
stehen; welches-zusammen aber doch über eine Mil-
lion Rubel ansmachen könnte, die aber durch Besol-
dungen, Garnisonen u. dgl. meist wieder ins Land
zurückfließet.
Was die historischen Revolutionen sowohl die--
ses als des folgenden Herzogthums betrifft, so ist die
alte Geschichte davon ganz mit Dunkelheit umgeben.
Die Esthen sollen Seeräuberey getrieben, und bald
von dänischen bald von schwedischen Königen, die auf
ihren Küsten kleine Festungen erbauten, dafür ge-
züchtigt worden seyn. Auch die russischen Fürsten
breiteten ihre Herrschaft nach und nach über einen an>
sehnlichen Theil dieses Landes aus, bis die Teutschen
und Danen (unter Kanuk VI.) im zwölften Jahrhun-
dert, das Christenthum und ihre Herrschaft dar-
innen zu befestigen anfiengen. Hiezu wirkte nun der
i2gi gestiftete Orden der Ritterschaft Christi, des-
sen Glieder sich nachher Kreuzherren nannten, am
meisten, der auch 1206 von Bischof Albert den
dritten Theil von Livland mir allen Rechten und der
Oberherrschaft erhielt, und 1346 Esihland von dem
König Waldemar III. von Dänemark für 18020 lö-
thigeMark kaufte. Nun war das Land unter den Orden,
die Bischöfe und eine Menge kleine Herrschaften ver--
thekket, welches sehr viel zu der innerlichen Verwir-
rung deffelben beytrug, die auch dadurch wenig ge-
hoben ward, als der Ordensmeister Walther von
Plettenberg 1521 sich von der Verbindung mit dem
teutschen Orden loS machte, und von Kaiser fcnl V.
zum Reichsfürsten erklärt wurde« Nicht lange dar-
nach unternahm der Zar Iwan Wasiljewitsch die
Eroberung des Landes, das nun selbst zu schwach
ao6 Russisches Reich
und zerrüttet, um sich mit Nachdruck widerseßen zu
können, feinen andern AuSweg sähe, als sich einer
auswärtigen Macht zu unterwerfen. So ergab
sich Esthland l z6i an Schweden, und der Heer-
meister Gotthard Kettler trat Livland an Polen ab,
dagegen ihm das Herzogthum Kurland als polnisches
Lehn überlassen wurde. Von dieser Zeit an bis
1660 wurden zwischen Rußland, Polen und Schwe-
den fast ununterbrochene Kriege über den Besitz die-
ser Herzogthümer gesühret, bis Polen seinen An-
theil im olivischen Frieden au Schweden abtreten
mußte, und dieses dergestalt alleiniger Herr des gan-
zen Landes wurde, in desien Besitze eö aber nur bis
zu dem im Anfänge dieses Jahrhunderts auSgebro-
chenen nordischen Kriege blieb, wo Peter 1. Esth-
und Livland eroberte, und 1721 durch den Nystäd-
ter Frieden dem russischen Scepter unterwürfig
machte.
Das Herzogthum enthält 7 Städte, i Flecken
und 110 Kirchspiele. Wir bemerken darinnen
Rjgñ- Ri§a, die Hauptstadt am Dünaflusie, welcheums
I. neo vom Bischof Albert erbaut worden ist.
Sie ist zwar nicht groß, hat aber über 20000 Ein-
wohner, ist gut gebauet und befestigt. Die Russen
haben hi.w so viel Kirchen als die Lutheraner, nämlich
sechs, die Reformirten eine, die Katholiken aber nur
ein Bethaus. Der Handel, welchen Riga im
Soinmer mit England, Holland, Dänemark,
Schweden u. f. w., im Winter aber vermittelst dek
Schlittenfahrt mit andern russischen Provinzen und
Polen treibet, ist der wichtigste und auSgebreitetste
in beyden Herzogthümern, da jährlich 6. bis 700
jawohl loco Schiffe hier ankommen, welche im-
mer eine Million und drüber mehr baares Geld als
Waaresi für die Produkte, welche sie holen, ins Land
bringen.
in Europa. 207
bringen. Daher giebt eö auch hier viele reiche Kauf,
ieute. Die Lebensart ist sehr angenehm und der Luxus
vicht geringe, wozu, so wie zu der hier mehr als in
andern livlandischen Orten herrschenden Theurung,
auch die Anwesenheit so vieler Personen von Range,
welche bey dem Landeskollegien stehen, sehr viel
beytragt. Ferner Dorpat oder Derpc 226 Dorpat.
Werst*) von Riga, an dem Flusse Embach, ohn-
gefahr 1030 von den Rüsten erbauet, welches ehe-
mals in sehr blühendem Zustande war, nachher aber
durch Krieg und Brand, vorzüglich durch den letzten
von i?75/ sehr heruntergekommen ist. Die Kaise-
rinn hat ihr aus zehn Jahr lOO^oy Rubel ohne
Zinsen vorgeschosten, auch 13000 Rubel zu Er-
bauung einer neuen Brücke geschenket. Wenn der
Handel ausgebreiteter, und die Universität, welche
im vorigen Jahrhundert hier war, wieder erneuert
würde, so könnte dieser Ort sich wohl bald wieder
erholen.
Zu der Provinz Oesel, welche mit zu dem ri- ProvirrzOefci.
gaischen Gouvernement gehöret, aber ihre eigene
Verfassung hak, gehört a) die Insel Desel in der
Ostsee , ohngefahr 14 Meilen lang und 6-11 breit,
sandigt aber doch an Getraide fruchtbar und sehr be-
vülkert. Der Haupkort darauf ist Arensburg, Arensburg.
eine kleine See-und Handelsstadt, b) Insel Moon,
welche Südwest an Oesel stößt, und Getraide,
Schafsucht, Waldungen und aridere Geschenke der
Natur hat. c) Die Inseln Ruun, Abdruck,
Paternoster, Reinast u. a. m.
Das Herzogthum Esthland auch das Ge- 3) Herzog,
neralgouvernement Reval genannt, mag ohn- khum Esih.
gefahr
*) oder russische Meilen, deren 104; fünfzehn lenk-
sche machen.
so8 Russisches Mich
>
gefahr 400 Quadrakmeilen groß seyn, und ist irr
Absicht der natürlichen Beschaffenheit dem obigen
vollkommen gleich. Die Eingebornen sind Eschen,
außerdem wohnen auch Schweden, Russen und viele
Teutsche im Lande. Die allgemeine Menschenzahl
aber wird ohngefahr aus 170000 geschähet. Was
wir bey Livland von den Einwohnern, dem Adel, der
Religion, den Wissenschaften und der Geschichte
gesagt haben, gilt auch hier; was den Handel aber
anbetrifft, so ist er geringer als der livlandische.
Es führt aus, Getrcnde, Malz, Branntewein, se-
mischLeder, Wachs, Flachs, Hanf, Leinsaat u.dgl.,
die Einfuhr übersteigt aber im Ganzen immer die
Ausfuhr, ohngeachtet einzelne Jahre, wiez. B. das
bey Livland angeführte A. 177k, wo die auege«
schifften Güter 479838, die eingeführten aber
414526 Rubel betrugen, davon eine Ausnahme
machen.
Die Regierungsvcrsassung und übrige Landes«
einrichtungen sind wie Ln Livland. Es ist hier ein
Gouvernement, ein Gberlandgcricht und ein
rTliederlandgericht. Die Einkünfte stießen aus
den wenigen Krongütern, Zöllen und den Abgaben der
Privatgüter.
Reval. Wir bemerken Reval, an der Ostsee, mit deren
Erbauung der dänische K. Waldemar II. mg den
ersten Anfang gemache hat. Die Stadt hat gegörr
1500 Hauser und über 20000 Einwohner, steht
aber Riga in jeder Betrachtung weit nach. Die
Befestigung ist ebenfalls nur mittelmäßig, aber der
Hafen sehr gut, in welchem auch ein Theil der rus-
sischen Flotte lieget. Sechs Meilen westwärts von
Baltische Reval liegt der Baltische Porr, eine Gegend,
Pott. die schon Peter der Große zu einem Hasen ersähe,
und der auch, wenn es möglich wäre, die angefam
gene
in Europa. 209
gene Arbeit fortzusetzen, wegen seiner Größe, Tiefe
und Sicherheit der erste in Europa seyn würde.
Jetzt ist die Arbeit liegen geblieben, und in dem
dabey gelegenen Flecken, der auö etlichen und sechzig
Halstern besteht, sind noch einige Gefangene, die
ehedem am Hafen arbeiten mußten.
'Eö ist hier der schicklichste Ort, der Stadt Narva.
r^arva zu gedenken, welche zwar in Esthland lie-
get, aber nicht von dem revalschen Gouvernement,
sondern bloß von dem dirigirenden Senat zu Peters-
burg abhanaig ist. In Ansehung des Raums ge-
hört dieser Ort zu den sehr mittelmäßigen, wegen
des Handels und der Befestigung aber zu den be-
trächtlichen Städten. Ihren Namen hat sie ver-
muthlich von dem Fluß Narowa, welcher aus dem
Peipussee kömmt, tmd zwo Meilen von der Stadt
in den finnischen Meerbusen fallt, und ihr Erbauer
solider dänische König Waldemar ll. im I. 12-3
gewesen seyn. Odngeachtet die Stadt keinen See-
hafen hat, so können doch die Schiffe mit voller La-
dung auf dem Flusse bis unter die Stadt gehen,
daher auch ihr Handel immer noch von Bedeu-
tung ist.
Gleich an Narva stoßet Iirgei mannland oder ?) Provinz
das pecersbm gische Generalgouvernement, Ingermanm
welches 30 Meilen lang, fast eben fo breit, mit^"^'
Äcker, Wiesewachs, Wildpret und fischreichenFlüs-
sen, als Ifchora, Luwa und Newa, gesegnet ist.
Die Narionaleinwohner dieser Provinz sind Finnen,
ein armes lüderltches Volk, dabey dumm, argwöh-
nisch und tückisch. Sie bekennen sich theils zur
lutherischen, theils zur griechischen Kirche; ihre Re.
ligion ist aber noch sehr stark mit Heidenthum ver-
mischt. Schon im dreyzehnten Iahrhundertgehörte
diese Provinz zum russischen Reiche, allein 16 7
11 Dans. 11 Abch. O ward
210
Russisches Reich
ward sie an Schweden abgetreten, denen es Peter
der Große 1702 wieder abnahm.
St. Peters- Der vorzüglichste Ort dieses Gouvernements
und Rußlands überhaupt ist St. Petersburg,
jetzt die Haupt, und Residenzstadt des weiten rufst-
scheu Reiches, und vor etlichen und achtzig Jahren
ein paar elende Füscherhütten. Peter der Große
bestinunte im Anfänge diesen Ort nur zu einem Waf-
fenplaß wider Schweden, und die Gebäude, welche
man aufführte, waren, wie alles, so beschaffen, daß
nicht viel dabey verloren gegangen wäre, wenn man
die Eroberung wieder fahren lassen mußte. Nach
der Schlacht bey Pultawa aber faßte Peter den
Entschluß, die Hauptstadt des Reiches hieher zu
verlegen, und nun ward die Festung von Steinen
erbauet, die Straßen abgezeichnet, und die Edelleu-
te mußten hier theils steinerne theils hölzerne Häuser
bauen. Gewiffermaaßen würde Moskau sich weit
besser zur Haupt-und Residenzstadt schicken, da es
der Mitte des Reiches naher lieget; allein wenn
man bedenket, daß Peters ganze Absicht dahin gieng,
sich Einstuß in die politischen Angelegenheiten Euro-
pens zu verschaffen, daß die Gründung und Bese-
stigung einer ansehnlichen Seemacht seine liebste
Idee war, daß ihm, bey der Umschaffung seines
Staates, in dem an den alten Sitten hangenden
Moskau, weit mehr Hindernisse in den Weg gelegt
worden waren, so wird man leicht einsehen, warum
er Petersburg das zu Verhandlungen mit dem übri-
gen Europa weit bequemer gelegen ist, das die
Ostsee in der Nahe hat, und das fein eigenes Werk
war, der alten Hauptstadt vorzuziehen, für gut befand.
So wie Petersburg gegenwärtig ist, liegt «S
theils auf verschiedenen Inseln des Newastroms,
theilSMf dem festen Lande, und. mag über eine
teutsche
In Europa.
2Il
teutsche Meise in der Lange und Breite haben, wie-
wohl dieser ganze Raum dock nicht durchaus mit
Hausern bebauet ist.. Die Gassen sind gerade und
breit, und die Hauser, unter welchen viele sehr
schön sind, meistaus italranische Art gebauet. Inh
I. 1762 zahlte man 4554 Hauser, welches abet
bloß Hauptgebäude waren. Hölzerne Gebäude
nehmen immer mehr ab, weil kein neues von Holz
erbaut werden darf. Kirchen sind hier 2 5 russische,
teutschlutherische 3 und außerdem noch eine schwe-
dische und eine finnische, 3 resormirte, eine englische und
römischkatholische Kirche. Die Stadt durchfließet
die Newa, welche von 4 biö 800 Schritte breit ist,
und sich in drey Arme, die große und kleine Neiva,
und die kleine Newka theilet, so daß also, wenn man
die kleinen Flüsse Fontanka und Moika mit ihren
Kanälen dazu rechnet, Petersburg in einer sehr was-
serreichen Gegend lieget. Ueber die große Newa ist
im Sommer eine große Schiffbrücke geschlagen, so
wie auch über die kleine und die Newka, die beyden
andern Flüsse und die Kanäle aber haben beständige
Brücken. Die Stadt selbst besteht aus folgenden
Theilen. i) Die petersburgistche Insel, wel-
che zwar stark, aber meist mit schlechten Häusern
bebaut ist. Hier ist auch noch das kleine hölzerne
Haus, welches Peter bewohnte, da er zum ersten-
mal hieherkam. Eö ist mit einer steinernen Mauer
1 und Dach eingefaffet, und die Einwohner haben die
stärkste Ehrfurcht dafür. Zu dieser Insel rechnet
man die kleine Insel, auf welcher die FestunF
lieget. Bey Erbauung der Stadt hakte man zur
Absicht, durch diese regelmäßige stark mit Kanonen,
besetzte Festung die Schweden abzuhalken. Gegen-
wärtig aber dient sie bloß zu einem sichern S-aatS-
gefangniß, zur Münze und zu Aufbewahrung des
alten Archives. Mitten darinnen steht die den Apo-
O 2 steln
an
Russisches Reich
steln Paus und Peter gewidmete Aarhedralkirche,
welche voll von türkischen Roßschweifen und andern
denselben im Kriege abgenommenen Siegeszeichen
ist, und worinnen die Grabmaler Peteröl, seiner Ge-
mahlinn Katharina I, seiner Kinder, wie auch der
Kaiserinnen Anna und Elistbeth befindlich Drd.
2) )VasüL Dstrow, die größte Insel unter
allen, von der aber auch bey weitem der größte Theil
Wald ist. Diese Insel durchschneiden der Lange
nach zwo gerade Gassen, die große und kleine Per-
spektive genannt, welches), wie die übrigen Gaffen,
sehr breit und zum Theil mit sehr prächtigen Gebäu-
den besetzt find. Hier find neben verschiedenen zur
Handlung gehörigen Hausern, alö dem Packhauö,
der Börse und andern, daö prächtige Gebäude der
kaiserlichen Akademie, wo diese ihre Versammlun-
gen hält, und die Bibliothek sowohl als das Kunst-
Naturalien - Alterthumö und Münzkabinet aufbewah-
ret wird. Der in dem Kabinet befindliche Gottor-
pische Globus, von welchem bey Dänemark schon
gesagt worden ist, ist zwar in den; großen Brande,
welcher 1747 dieses Gebäude traf, sehr beschädigt,
aber nachher wiederhergestellt werden. Die Biblio-
thek besteht auL etwan .36000 Banden, es find aber
wohl auf 2800 finefische Bücher darunter, deren
Seltenheit ihnen vielen Werth giebt. Ferner ist
anf^Wasili» Ostrow das herrliche Gebäude für
das adliche Laudkadecceilkorps und der Ga-
leerenhafen.
Der dritte Theil der Stadt heißt dieAdUüra-
litätsseire, welche auch unstreitig der prächtigste
Theil davon ist. Außer den vielen palastähnlichen
Privatgebäudeu, welche sich an den langen und aus-
serordentlich breiten Straßen sehr prächtig auöneh-
men, findet man auf derselben denGaleerenwerfr,
die
in Europa. ri;
die Admiralität, den kaiserlichen Winter«
Palast, ein sehr großes prächtiges Gebäude, den
Sominerpalajt, der nur von Holz und ein Stock-
werk hoch ist, aber sehr prächtige Garten hat. Fer-
ner die Asaakskirche, ggnz von russischem Mar-
mor, zu deren Erbauung und Ausschmückung neun
Millionen Rubel bestiinmt sind, die aber noch nicht
gänzlich vollendet ist; wie auch die Matrosenkir-
che , die vor Erbauung der vorigen die schönste in
Petersburg war. ImJ. 1782 hat die jetztrsgierende
Kaiferinn zum Gedachtniß Peters des Großen auf
einem freuen Platz bey der Admiralität, die Statue
dieses Monarchen zu Pferde, welche der Bildhauer
Falkonet gegossen hat, ausrichten lassen. Dieses
kostbare Standbild steht auf einem Ungeheuern Fel-
senstück, welches drey Millionen Pfund wieget, und
26 Werste weit, sechs zu fände und die übrigen zu
Wasser hieher geschafft worden ist. Wenn wir nicht
irren, so ist aus der Admiralirätsseite auch der präch-
tige Palast befindlich, weichen die jetzige Kaiferinn
dem Fürsten Orlow hat bauen lassen. Das unterste
Stockwerk ist von rauhem Marmor, in den benden
andern ist er polirt, statt des Holzes ist aber Elfen
und Marmor. Fensterrahmen und Thüren find von
vergoldetem Metall, und die Scheiben von geschliffe-
nem Spiegelglase.
Die übrigen Theile der Stadt sind 4) die
Moskowsche Seite, welche, wie sie folgenden,
festes Land ist, nnd nichts merkwürdiges enthalt.
5) Die Scückhofseite mit dem herrlichen italiä?
nlsc!)en Garten, und vielen andern kostbaren äf-
fenklichen und Privatgebäuden. 6) Die N?ibur^
gische Seite, wo das schöne Land-und See-
Hospital, die Zuckersiederei u. s w. befindlich
sind. Uebrigens wird Petersburg von Tage zu Tage
O z im-
«4 Russisches Reich
immer mehr verschönert, so wie auch seine Bevöl-
kerung und sein innrer Wohlstand beständig zuneh-
men. Gegenwärtig mag sich die Anzahl der Ein-
ner auf 140220 belaufen, welches nicht allein Rus-
sen, sondern wenigstens dem achten Theil nach auch
Teutfche und andere Ausländer! sind, daher auch
verschiedene Sprachen und Sitten hier gefunden
werden.
Eö sind auch hier verschiedene gute Manufak-
turen, und der Handel ist von großem Belange,
weshalb auch immer aus allen europäischen an die
See gränzenden Ländern viele Schiffe da sind.
Bey diesen Umständen ist es nicht zu verwundern,
wenn die Pracht des Hofes und der Großen ein an-
Deckendes Beyfpiel für den Kaufmann und überhaupt
für den Bürger wird, und überall, ohngeachtet der
großen Theurung der Bedürfnisse des Lupus, eine
außerordentliche Verschwendung in Absicht der Ta-
fel, der Kleidung, des MöblementS u. f. w. Herr-
schet. Uebrigcns wird ein Fremder, der einige
Empfehlungen hat, bey dem geselligen Wesen, der
Einwohner und der Menge von Vergnügungen,
welche Konzerte, Schauspiele, die Schlittenfahrten
im Winter und die herrlichen Gärten, nebst den
Lustfahrten auf der Newa lm Sommer gewähren,
gewiß seine Zeit so angenehm als möglich zu-
bringen.
Der Boden um die Stadt ist zwar niedrig,
dürr und meist mit Heidekraut bewachsen, doch hat
Mühe und Arbeit die geringe Anlage der Natur s»
zu benutzen gewußt, daß, wo man eine Wüste ver-
muthet, stolze Gebäude und treffliche Gärten szu
SarskoSelo. sehen sind. Dahin gehöret Sarsko Gelo, ohnge-
fähr fünf Stunden von Petersburg, von wo man
auf einem tief gemauerten, wohl gepflasterten mit
mar-
IN Europa. 21$
marmornen pyramidenförmigen Wegzeigem besetzten
Wege dahin kömmt; ein Lustschloß, das von außen
und innen durch seine fast zu weit getriebene Pracht
in Erstaunen .setzet. Der Garten ist ein Werk der
jetztregierenden Kaiserinn, und Kenner setzen ihn den
schönsten Europens an die Seite. Ein andres Lust-
schloß ist Peter Hof, am finnischen Meerbusen, der Peterhof.
gewöhnliche Aufenthalt des Hofes Lm Sommer,
welches zwar nicht so groß und prächtig als das vo-
rige ist, aber wegen seiner schönen Garten, die viele
große Fontaine«, Kaskaden, Grotten und dgl. ha-
ben, immer Bewunderung verdienet. An demselben
Meerbusen liegt auch Ouanieirbarrm, ein Lust. Oranim-
schloß, welches zwar nicht groß, aber inwendig bäum,
mlt vielem Geschmack ausgeziert ist und einen schö-
nen Garten hat. Der vorige Kaiser hat als Groß-
fürst sehr viel zu Verschönerung desselben beygetra-
gen, und nachher 1762 hier auf die russische Krone
Verzicht gethan. Andre kaiserliche Lustschlösser find
Aarharmerchofan der Newa, wo sie in die See Katharinen
fallt, tn einem sehr angenehmen häufig besuchten Hof.
Waide und Strelenhof am finnischen Meerbusen. Strekenhos.
Außer diesen kaiserlichen Lustschlösser!?, die aber auch
zum Vergnügen des Publikums offen stehen, haben
noch viele Einwohner Petersburgs vom Adel und
Bürgerstande angenehme Landhäuser, die nicht we-
nig zu Verschönerung der Gegend beytragen»
Noch müssen wir, ehe wir uns ganz vcm Pe- Kloster Aler
tersburg entfernen, des Alofters des heiligen Newsky.
Alexander Newsky gedenken, welches nahe bey
der Stadt liegt, und von Peter dem Größerer? 12
gestiftet worden ist. Es ist ein weitlausriges und
schönes Gebäude, in welchem auch der Erzbischof
von Petersburg feine Wohnung hat. Es werden
hier junge Leute, welche sich dem geistlichen Stande
, - O 4 widmen,
Kronstadt.
Kronfchlot.
Jamburg.
Sckküssel-
burg.
4) General-
gouverne
ment Wl-
burg.
2.6 RusMes Reich
widmen, in den Wiss'nschafken unterwiesen. Aus-
serdem wäre noch in diesem Gouvernement zu
bemerken Kroiifiaöc, eine Stadt und Festung
aus der im finnischen Meerbusen gelegenen Insel
Retusari. Die Befestigung ist sehr stark, die
Stadt selbst hat schöne aber ungepstasterle Gassen,
auch meist hölzerne Hauser. Die Einwohner beste-
hen auö Leuten, die zur Flotte gehören, Soldaten
und Handwerkern, und mögen ohne Weiber und
Kinder wohl 30000 Köpfe betragen. Es find hier
drey Hafen für Kauffartheyschiffe, Kriegsschiffe und
zur Ausrüstung und Abtacklung der Kriegsschiffe.
Alle drey Hafen find stark befestigt, auch groß,
sicher und bequem. Das süße Wasser in denselben
ist aber den Schiffen sehr schädlich. Zur Ausbesse-
rung der großen Kriegsschiffe ist ein tiefer steinerner
Kanal angeleget, welcher sich 417 'Faden Ln die
See erstrecket, und ioo Fuß breit ist. Kronstadt
sowohl als das feste Schloß 2vronscl)lc>t, welches
aus einer Sandbank etwan einen Kanonenschluß weit
vor dem Hafen angelegt ist, sind die Schuhwehren
von Petersburg. Hamburg ist eine artige Stadt,
in welcher sehr viele Teutsche wohnen und verschie-
dene Manufakturen blühen. Schlüst'elburA, eine
Festung, in der Newa, deren beyde Ufer sie bestrei-
chen kann. Ehemals hieß dieser Ort Nöteburg;
Peter der Große aber, der ihn als den Schlüssel zu
seinen Eroberungen ansahe, gab ihm den jetzigen
Namen.
Das Generalgouvernement wiburg be-
stehet auö dem Theil von Finnland, welchen Schwe-
den im nystadtischen und aboischen Frieden an Ruß-
land hat abtreten müssen; die Granzen desselben sind
aber noch so wenig bestimmt, daß verschiedene
Baucrhöse seit 174z an keines von beyden Reichen
Abga-
in Europa. 217
Abgaben entrichten. Da das Land meist ans felsig,
ten Bergen, Morasten und Seen bestehet, so ist
die natürliche Fruchtbarkeit desselben nur geringe,
und das Getraide wird selten recht reif. Die vor-
züglichsten Produkte sind viele fchöne Marmorarten,
und eine Menge Fische. Die Einwohner sind luthe-
risch , und sprechen schwedisch. Dörfer giebt es
gar nicht, sondern die Bauern, deren etwa 42000
seyn mögen, wohnen in zerstreuten Höfen, und sind
freye Leute, welche der Krone bloß eine geringe Kopf,
sieuer bezahlen. Wir bemerken lVibttrcz, eine Wiburg«
ziemlich ansehnliche Stadt auf einer Halbinsel gele-
gen, die mit Bretern, Teer und Pech starken Han-
del treibet, und Frtednckwhamm, eine befestigte Friedrichs-.
Stadt mit einem guten Hafen am sinnifchen Meer- Hamm,
bufen.
Eine fruchtbare auch meist gut angebaute und 5) General-
bevölkerte Statthalterherrschafk. Die Hauptstadt gouvernem.
derselben heißt lTlowForod ehedessen Nowgorod ^wgorod'
weliki oder Groß Nowgorod, ein sehr alter berühm. 4 '
ter, aber nur hölzerner, auch schlecht bewohnter Ort.
Man glaubt, daß die ersten Slaven, welche in die-
se Gegend gekommen, ihn erbauet haben; so viel ist
gewiß, daß sie im neunten Jahrhundert der Wohn-
sitz des warägischen Fürsten Rurik gewesen ist.
Nachher maßte sie sich republikanische Freyheit an,
und ward durch Handel und ausgedehntes Gebiet
sehr mächtig, bis 1578 Zar Iwan Wasiljewitsch
sich dieselbe völlig unterwürfig machte. Andre Stad-
te und vorzügliche Oerter dieses Gouvernements,
sind Belosero am See gleiches Namens, eine Belosero.
Stadt von ungefähr 500 Häusern, und waldai, Waldai-
in dessen Gegend sich die auf 400 Werst langen da-
von benannten Gebirge anfangen, welche Steinkoh.
len, Alaun, Eisen, Kupfer u. s. w. enthalten. ^
O 5 Diescs^--^^^
218
Russisches Reich
6) General« Dieses Gouvernement, welches ehedem dev
gouvernem. Republik Nowgorod mit unterworfen gewesen, ist
Llrchangel. das nördlichste des europäischen Rußlands, daher
es auch kalt, mit ungeheuren Wäldern und Mora-
sten angesüllt, und meist zum Ackerbau ungeschickt
ist. Von Gartengewächsen kommen Rüben, Ret-
tiche, Weißkohl, Zwiebeln und Knoblauch sehr gut
fort, auch wird gutes Hornvieh, Pferde, Schafe,
Ziegen, Schweine, Hühner u. dgl. gezogen, und
der Vogel- sowohl als Fischfang giebt reichliche Aus-
beute. Von Baumfrüchten hat man nur Vogel-
kirschen und Eibischbeeren, außerdem aber Johan-
ms- und Heidelbeeren, nebst vielen andern gesun-
den Pfianzen. Man siedet auch viel Salz, und
brennet Theer aus den Fichten, mit welchen beyden
Artikeln sehr starke Handlung getrieben wird.
Unter den Einwohnern befinden sich auchLap-
pen und Samojeden, von denen wir hier etwas
umständlicher sprechen wüsten. Die kappen, wel-
che einen großen Distrikt bewohnen, dennoch aber
nur 1200 Familien auömachen, unterscheiden sich
wenig oder gar nichts von den schwedischen. Sie
haben dieselbe äußere Bildung, sind so friedlich, so
treu und so stolz wie jene, ziehen hernm und leben
und wohnen wie jene. Unter den Berglappen findet
man welche, die wohl 6oq bis rcooRennthiere und
überdem noch baares Geld und Srlbergerathe besi-
tzen. Der größte Theil der russischen kappen be-
kennt sich zwar zur griechischen Kirche, allein sie
beobachten dabey noch alle ihre alten heidnischen Ge-
brauche. Diejenigen, welche noch Heiden sind,
glauben ein höchstes Wesen, nehmen aber dabey
doch eine Menge guter und böser Untergottheiten an,
die sie unter heiligen Baume«,, an derien allerhand
Figuren geschnitzt sind, mit Gebet und Opfern ver-
ehren.
in Europa. 219
ehren. ' Sie haben auch Zauberer, welche sich bey
ihren Possen einer eyförmigen Trommel bedienen.
Die Samojeden, deren Ursprung unbekannt ist,
und sich selbst rTinez d. L. Männer nennen, woh-
nen bis nach Asien hinein, sind größtentheils von
der Größe der Lappen, haben kurze Füße, platte
Gesichter mit kleinen Augen, eingedruckter Nase,
einem großen Mund, dünnen Lippen, wenig Bart,
großen Ohren, und einer Farbe, die in ein schmuzigeS
Gelb fallt, welches wohl daher kommen mag, weit
sie sich niemals waschen. Ihr Haar ist schwarz,
hart und hangt gerade auf die Schultern herunter.
Beyde Geschlechter sind an Gestalt und Kleidung
wenig zu unterscheiden, denn ein Stückchen Tuch
am Ende des Pelzes, und bey unvcrheuratheten
Mädchen die hinken herabhangenden Zöpfe machen
das ganze Unterscheidungszeichen des werblichen Ge.
schlechtes aus. Die Vielweiberei) ist unter ihnen
Sitte, doch hat wohl keiner über fünf Weiber, wel-
che sie von ihren Vätern für Rennthiere kaufen.
Eben diese Rennthiere mast-en auch ihren ganzen
Reichthum; Fischfang und Jagd ihre Beschäfti-
gung aus. Rennthiersteisch und Fisä-e essen sie
roh, und das warme Blut der erstern trinken sie,
andre Fleischarten aber die sie nicht ekel auswahlen,
werden gekocht. Sie wohnen in pyramidenförmigen
von Baumrinde gemachten, mit Rennthierfellen ge-
deckten zerstreutliegcnden Hütten, die bald hier bald
dort, wie es die Gelegenheit fordert, aufgeschlagen
werden. Zeitrechnung, Schrift oder irgend eine
Kenntniß, wodurch sich der Menfch Hber das Thiee
erhebet, kennen sie gar nicht, dennoch aber blicken
sie mit Verachtung auf die Russen herab. Ihre
Religion ist das schamanische Heidenthum, eine der
ältesten Religiomn Asiens, die auch die Mutter der
Lamai-
250
Russisches Reich
kamaifchen -j ist, lind zu welcher sich die meisten
der iu Rußland wohnenden Heiden bekennen. So
verstümmelt jede Religion unter einem so rohen Vol-
ke werden würde, die nicht Geist und Herz beschäf-
tigt und erweitert, so ist es auch diese worden. Sie
glariben —* wenigstens sind das die Begriffe dieses
Systems — einen allgemeinen Gott und Schöpfer
der Welt, der sich aber nicht um einzelne Handlun-
gen der Menschen bekümmert, der also auch weder
belohnet noch bestraset, ohngeachtet aus der andern
Seite der Glaube an Tugend und Unsterblichkeit fest
bey ihnen bestehet, ja die Vorstellungen von einer
künftigen Glückseligkeit bey manchen so weit gehen,
daß sich viele von ihnen freywillig ermorden, um die-
ser Glückseligkeit desto eher theilhaftig zu werden.
Einige stellen sich Gott als einen alten bärtigen Mann
in der Kleidung eines russischen Dragoneroffiziers
vor, der sehr viel Pferde hatte, von deren Auftreten
Donner und Blih entstünde; alle aber haben von
ihren vielen Untergottheiten, welche bey den Samo-
jsden durch plumpe Puppen, oder gar Steine vor-
gestellt werden, sehr verworrene Begriffe, und die-
jenigen, welche nahe bey Ruffen wohnen, rufen auch
wohl Maria und den heiligen Nikolaus an. Zhre
Priester sind zugleich Gaukler, und in Befragung
derselben, bestehen auch, wenigstens bey den Samo-
jeden, ihre ganzen gottesdienstlichen Gebrauche.
Ihr Tribut besteht in Pelzwerk, jede Mannsperson
jährlich für 25 Kopeiken, den sie auch ohne Weige-
rung entrichten.
# Zn
*) Die lamaische Religion ist in Thibet, bey den
Kalmycken und andern asiatischen Völkern im
Schwange. Hier ist der Orr nicht, ihrer weit-
laustiger zu gedenken.
221
in Eurdpa.
In diesem Gouvernement bemerken wir Arch- Archangel.
örtftd an der Dwina, eine Stadt von i200 meist
hölzernen Hausern, deren Gasten mit Dielen belegt
sind. Das Kaufhaus, ein großes vierecktes Ge-
bäude, ist von. Stein, und im vorigen Iahrhun-
dert meist von gefangenen Tararn erbauet worden.
Seit die Engländer 155z die hiesige Gegend zuerst
besticht haben, ist der Handel von Archangel immer
mehr gewachsen, bis er durch Erbauung Peters-
burgs einigermaßen wieder ins Abnehmen gekommen
ist. Indessen kommen jährlich dennoch »00 und
mehrere Schiffe hier an, welche Getraide, Leinsaa-
men, Thran, Theer, lichter, Pelzwerk, Honig,
Matten, grobe Leinwand und andre Waaren mehr
ausführen, und dagegen Zucker, Franzbranntwein,
Weine, Citronen, Seidenwaaren und dergleichen
einbringen, welche Dinge von hieraus meist nach
Sibirien vertrieben werden. Die Stadt hat übri-
gens weder Acker noch Viehzucht, daher ihr die Le-
bensmittel zugeführt werden müssen. Ein andrer
anzuzeigender Ort ist (sholmogory, ehedem die Cholmogory.
Hauptstadt des Landes, aus einer Insel der Dwina
gelegen , das aber gegenwärtig durch Archangel bey-
nahe zu einem Dorfe herabgesunken ist. Ujtjug Ustjug.
am Zusammenfluß der Suchona mit dem Iug, wel-
che dann Dwina genannt werden, eine der besten
Städte im Gouvernement, ohngeachret die meisten
Gebäude hölzern und die Gassen gedielt sind. Man
zählt hier iyz6zur Kaufmannschaft gehörige Per-
sonen, welche größtentheilö wohlhabend sind. Ihr
Haupthandel besteht in Getraide, Hanf, Rindstalg
tu s. w., welche Waaren sie selbst nclch Archangel
zur Versendung über die See führen. Ueberhaupk
läßt sich von den Einwohnern dieser Stadt sagen,
daß sie nicht allein zum Handel, «.sondern auch zu
andern Beschäftigungen Geschicklichkeit haben. Zum
Beweis
22Ü
Russisches Reich
Beweis dient die Email- und Silberfabrik, welche
Wologda. ansehnlichen Vertrieb hat. LVolo^da, eine Stadt
»mit 1727 Hausern und ohngefahr ivoov Einwoh-
nern, am Flusse gleiches Namens, welche sehr gute
Nahrung hat. Man macht hier Terpentinöl, Pa.
pier, Siegellack, Bleyweiß, Berlinerblau, Flit-
tergold, Juften, Talglichker, seidene Schnupftü-
cher und Bänder, womit die Stadt so wie mit ge-
salzenem und gefrornem *) Rind- und Schweinefleisch,
Geflügel u. s. w. nach Rußland, und mit einheimi-
schen sowohl als auswärtigen Waaren auch nach
Sina handelt. Es ist auch ein Salzmagazin in
Wologda, das jährlich auf 1 ooooo Pud absetzet.
7) General- Dieses Gouvernement liegt an den polnischen
Kvuvernem. und lieflandischen Granzen, und ist an Getraide,
Ples kvw. Wiefewachs, Gartengewächsen und dergleichen ein
sehr fruchtbarer Erdstrich. Der Hauptort darinnen
Alefkow. ist pleskow, welcher eigentlich aus drey Städten
bestehet, von denen eine die andere einschließet, und
jede mit steinernen Mauern umgeben ist, Sie han-
delt stark mit Hanf, Flachs, Harz, Wachs und
Juften.
8) General- Dieses und das folgende Gouvernement beste-
gouvernem. het aus Provinzen, welche 1772 bey der Theilung
Dolozk. Polens an Rußland gekommen sind, polozk, am
Polozk. Flusse Düna, ist die Hauptstadt desselben; andre
Witepsk. Städte sind wicepsk und Dünabrrrg, welches
Dynaburg. ehedem die Hauptstadt des sogenannten polnischen
Livlands war.
Der
*) Wenn man kn Rußland Fleisch durch den Frost
bewahren will, so legt man schichtweise Schnee da-
zwischen, nachdem man es zuvor in fteyer Luft
hat hart frieren lassen.
in Europa.
22Z
Der vorzüglichste Ort dieses Gouvernements 9) General«
ist ^Nohilew, an der Westseite des Dnepr gelegen, aouvernem.
Hier ist 178z ein Erzbistum für die im ReicheMohilcw.
wohnenden Katholiken errichtet worden, und es haben
die Jesuiten, deren Orden in Rußland fort dauert,
hier ein ansehnliches Kollegium. — Diese von Po-
len abgerissenen Provinzen mögen etwa i iov Oua-
dratmeilen betragen, und besitzen, wenn sie auch die
Güte des österreichischen oder preußischen Polens
nicht haben, dennoch einen sehr fruchtbaren Boden,
zu dessen noch mehrerer Vollkommenheit nichts als
Menschenhände nöthig sind. Es ist übrigens gar
keine Frage, ob die Einwohner dieser Provinzen un-
ter der gesetzmäßigen russischen Regierung nicht viel
bester dran sind, und viel mehr Gelegenheit zur Kul-
tur haben, als unter dem Drucke, unter welchem sie
bisher geschmachtet hatten.
Das Generalgouvernement Twer, ein T0) General-
sehr fruchtbarer und wohlbewohnter Erdstrich. Die
Hauptstadt desselben ist Twer, auf beyden Seiten
der Wolga wo die Twerza hineinfallt. Ehedem hatte
dieser große Ort nur sehr schleckte hölzerne Hauser,
seit aber 1768 ein schrecklicher Brand den größten
Theil derselben zerstört hat, ist aus dem Schutt die-
ser armseligen Hütten eine Stadt empor gestiegen,
die nach allen Regeln des Geschmacks angelegt, und
nach Petersburg die schönste im Reiche ist. Die
Einwohner haben von jeher einen starken Gekraide-
handel getrieben, und seitdem 1775 eine Wasser-
fahrt in die Twerza eröffnet worden, ist der Hündel
noch ungleich blühender worden, weil die Flüsse
Twerza und Msta bey dem wohlgebauten Flecken
Wyschnei Wolotschok, unter Peter des Großen Re-
gierung, durch einen drey Werste langen Kanal, mit
einander verbunden worden, und dadurch die Sckiss-
it) General
gouvernem.
Koluqa
Koluga.
12) General-
Houvernem-
Moskau.
Moskwa.
224 Russisches Reich
fahrt aus dem kaspischen Meer in die Ostsee möglich
gemacht ist.
Wir bemerken in diesem ebenfalls fruchtbaren
Gouvernement, 2\oiuga, eine große wohlbewohn-
te Stadt am Flusse Occa. Man macht hier ver-
schiedene Waareu, als hölzerne Triukgeschirre, Sat-
tel u. s. w. Es sind auch in diesem Gouvernement
ansehnliche Eisenwerke, eine Leinwandmanufaktur,
und Alaun- und Potascheusabriken.
Da wir nicht wissen, ob die i776u!tternommc-
ne Zergliederung dieses Gouvernements völlig zu
Stande gekommen, und in wie viele kleinere es zer-
theilt worden ist, so wollen wir bey der alten Ein»
(Heilung bleiben, da noch dazu ähnliche Verände-
rungen in Rußland weit häufiger als anderswo zu
seyn pflegen. Ohngeachtet der größte Theil desselben
von Natur nicht zu den fruchtbarsten im Reiche ge-
höret, so sind doch die Einwohner so arbeitsam, daß
sie weder Mangel an Getraide noch Gartenfrüchren
haben. Der Hauptorr und die alte Hauptstadt des
ganzen Reichs ist Moskwa oder Moskau, die
größte Stadt in Europa, welche, ohne ihre dreyßig
Vorstädte, fünf tentfche Meilen im Umfange, 26s
Kirchen, 29 Klöster, 22590 Hauser, aber nur
eine Bevölkerung von etwas über 150600 Men-
schen hat, wiewohl andre die Volksmenge sehr un-
gleich auf 400000 schätzen. Die Gassen.sind breit,
gut gepflastert und mit Laternen besetzt, auch steiget
die Anzahl der steinernen Hauser von Tage zu Tage
höher. Die eigentliche Stadt wird in vier Kreise
getheilet, von denen einer den andern einschließet.
Der innerste Kreis, Rreml genannt, ist mit sehr
hohen dicken Mauern, auch tiefen Graben umge-
ben. Er enthalt das alte kaiserliche Aestdenz-
schloß, welches weder vorzüglich prächtig, noch im
minde-
in Europa» 22;
mindesten schön ist. Vor demselben stehek die IKa*
rhedralkirchc, ein großes ehrwürdiges und inn-
wendig prächtig ausgeschmücktes Gebäude, in wel-
chem die kaiserliche Salbung und Krönung
zu geschehen pfleget. Für diese Kirche ward
17g6 eine große Glocke gegoflen, welche 400002
Pfund wog, bey einer Feuersbrunst aber einen Riß
bekam und also unbrauchbar ward. Der zweyre
Kreis führet den Namen Rltaiczorod, im welchem
eine aus zwanzig Kirchen bestehendeKirche ist. Der
dritte Kreis ist Bcloi Gorod, in welchem die Ge-
bäude der 17 s 5 gestifteten Universität hestndlich sind.
Der vierte Kreis ist endlich Somlanoi Goieod.
Eö befinden sich auch Ln Moskau verschiedene Ma-
nufakturen, ein Fmdelharw, mit welchem eine
Erziehungsanstalt verknüpft ist, eine mathemati-
sche Schule und zwey Gymnasien.
Die Vorstädte find alle sehr dorsmaßig, das
teutfche Quartier ausgenommen, welches viel stein er«
ne Hauser und auch das kaiserliche ^ojpiral-ent-
halt, worinnen einige 100 kranke Soldaten verpfle-
get, und 5o junge Leute in chirurgischen und medi-
cinischen Wistenschaften unterwiesen werden. Ein
neuer aber ansehnlicher Handelsort ist Gfchats:
kaja pristan, in welchen die besten Kaufleute aus
den benachbarten Städten verseht werden, und wo
mit Getraide, Eisen und andern Waaren ein wich-
tige^ Handel getrieben wird. TroizLot Sererrerv
Isoster, das größte und prächtigste in gan; Ruß-
land, 60 Werste von Moskau, ein viereckres mit
Wall, Mauer und Graben umgebenes Gebäude,
welches io Kirchen, sine zahlreiche Bibliothek und
ein Seminar hat, worinnen hundert junge Leute un-
terrichtet werden. Eö ist auch hßer ein kaiserlicher
Pallast, und um das Kloster her stehen wohl tau«
11 K-wd. 11 Adrh. P send
GschaEaja
Pristan.
Troijk. S.
Kloster»
226 Russisches Reich
send Höfe, deren Bewohner alle dem Kloster (je*,
hören, wie denn ehedem auf ic6oco Bauern Un-
terthanen desselben gewesen find. Andre merkwür-
Kostroma. dige Oerter dieses Gouvernements find Rostroma,
L eine mittelmäßige Stadt an der Wolga, welche aber
mit Getraide, Iuften und Leinwand starken Han-
Wolodomer- del treibet; wolodirner, eine kaum aus 2co höl.
zernen Hausern bestehende Stadt, in der aber doch
25 Kirchen und 2 Klöster sind. Die Einwohner
gerben, machen Seife, handeln mit Getraide und
Fischen, ihr stärkstes Nahrungsgewerbe aber sind
Pie vielen umher liegenden Kirschgarten, wiewohl
die Früchte nicht viel besser als Vogelkirfchen find;
Murom. Murom, am Flusse Ocea, welcher hier einige
Goldkörner mit sich führet, eine Stadt von fast
iooo Häusern mit 18 Kirchen und 2 Klöstern.
Wohlhabende Kaufleute sind wenig da, aber viel
Gerbereyen, Seifensiedereyen nnd Lederfabriken.
Die Einwohner erzeugen auch viel Küchengewächse,
Gurken, Obst und Melonen.
13.14) Gene. Wir bemerken in diesen Gouvernements IAros-
ralgouvern. lawl, eine große Stadt an der Wolga, mit einer
Jaroslawl». Festung. Im Jahr 1768, wo sie ganz abbrannte,
.. hatte sie 84 Kirchen, 3 Klöster, 18 Armenhäuser,
.jaro gg steinerne und 6000 hölzerne Häuser nebst mehr
als 200ÖG Einwohnern. Auch war ihr Manufak-
turwesen sehr wichtig, und noch, da sie sich von ihrem
Unglück in etwas wieder erholt hat, wird mit Ge-
traidf, Fischen, Flachs, Leinwand, Iuften, Hanf
Tula. und Leinöl starker Handel getrieben. Tula, eine
große Stadt mit etwan 30000 Einwohnern am
Flusse Upa. Sie hat sehr viel steinerne Gebäude.
In der- Nähe derselben sind wichtige Eisenwerke,
und in der Stadt selbst, eine der Krone gehörige
Gewehrfabrik, in welcher an 6-200 Menschen arbeiten.
in Europa.
227
Das Gslivernemeiir Nischnei Nowgör»;) General
rsd ist an Gekraide, Viehzucht, Fischfang, Wild, ^ouvemem.
pret, Salz, Eisen und Kupfer sehr gesegnet, ciud> Nowgorod,
stark bewohnt. Unter ihren Einwohnern sind auckj
Mordwinen, ein Volk finnischer )lbkunft, da^
über fast gänzlich zum christlichen Glauben bekehrt
und außer ferner alten Sprache und einem Unter.«
schied in der weiblichen Kleidung in nichts von den
russischen Landleuten zu unterscheiden ist. Sie sind
steißig im Ackerbau und gute Bielienwüthe, vott
Karakter aber ehrlich und freundschaftlich. Die
wenigen, welche noch Heiden sind, glauben einett
höchsten Gott, eine Göttermutter und Kinder und
Verwandte derselben. Sowohl diese als die böwn Göt-
ter und Göttinnen verehren sie auf freyen heiligen mit
Baumen oder Zäunen umgebenen Plahen, wo sie ihnen
allerley Thiere, auch Kuchen, Meth, Bier, Brann-
tewein und Honig opfern. Ferner wohnen auch etli^
cheTfcheremiffen und Tschuwaschen hier. Bey«
de sind finnischer Abkunft, und jehk meist Christen,
vhngeachtet die heidnischen Opferseste selbst von den
Getauften Mit gefeyert werden. Eine genauere
Nachricht von ihnen kann man hier nicht erwarten,
da der arößte Theil derselben im asiatischen Theile
des rufififd>en Reiches wohnet.
Die Hauptstadt ist LTkifchnei 1 L7^owtzörö9 , Mschnei-
an der Wolga, ein großer Ort mit gs Kirchen und Nowgorod.
5 Klöstern, welche ansehnliche Handlung tkeibet»
Eben so beträchtlich ist diL Handlung aus der Messe
des Klosters Makariew, wo jährlich etliche kau- MatärieM
send Russen, Ta ta rn, Buchartr, Kalmycken, Per-
ser riud Armenier zusammen kommen. Gegen die«
fem Kloster über liegt der große Flecken Llskowü, ZiskotVS.
in welchem die beste russische Leinwand verfertigt
Wird. Andre Orte sind Arszamas, am Flusse Ärsztimal.
P %
Tjvscha.
228 Russisches Reich
Tjofcha. Die Gebäude sind zwar, die Küchen
und 2 Klöster ausgenommen, a.lle von Holz, es ist
aber ein sehr nahrhafter, volkreicher und wohlhaben-
der Ort, dessen meiste Einwohner Seifensieder,
Blaufarbcr, Baumwollenzeugmacher, Gerberund
Schuhmacher sind.
16.17) Gene- Darinnen ist Smolensk, eine ziemlich große
ralqouvern. wohlbefestigte Stadt an Dnepr, welche starke Hand-
fui°foro ^ U* reibet; und Charkow, ebenfalls groߧ aber
Smslenfk, n*$t jo nahrhaft wie Istrm, eine Festung beym
Charkow. ^Fluß Donez. Hier ist auch die berühmte ukraini-
Jfuin. fche Linie, welche von 1731 bis 1738, um die Ein-
falle der Tatarn abzuhalten, angelegt worden ist»
Sie geht voin Dnepr zum Donez, und die daran lie-
genden Forts, außer denen noch viele Redouten an-
gelegt sind, sind in sehr gutem VertheidigungSstan-
de, und wurden von siebenzehn Regimentern Dra-
gonern, und vier Regimentern Infanterie vcrtheidigk.
2n der Folge wird dieses Werk wohl eingehen, da
die Unterwerfung der krinnfchen und kubanifcheu
Tatarn unter russische Herrschaft, die Ursache, war-
um es angelegt worden, aufgehoben har.
iS. 79) Gene» Beyde Gouvernements sind sehr fruchtbar, vor-
ralgoiwern. züglich das erste, wo viele Gegenden alles, was
Woronesch u. nur pflanzet, hervorbringen, wo Wein und
Belgorod. ^aid trefflich fortkommen, sehr guter Spargel wild
wächst, eine Art Kochenille gefunden wird, welche
sehr schön und dauerhaft färbet, und überhaupt die
schönsten Felder und Wiesen die Fruchtbarkeit des
Woronesch. Bodens bezeugen. Wir bemerken woronesch, eine
große undvolkreicheStadt am FluffegleicheS Namens.
Sie hat einen Wall und Pallifaden zu ihrer Ver-
teidigung. Es wohnen hier viele Kaufleute, und
das Mannfaktnrwefcn steht auf sehr gutem Fuße.
Ostrogotschk. Oftrogolfchk, ein kleiner Ort, den wir einer Ko.
lonit
in Europa. 229
ssnre wegen anzeigen, die 1768 in der Nahe dessel-
ben von 72 teutschen Familien, meist protestantischen
Pfalzern und Würtenbergern angelegt worden ist.
áxasimof, eine weitlauftige, aber hölzerne schlecht- Kastmof.
gebaute Stadt an der Oeea. Es wohnen hier ohn-
gefahr 200 muhamedanische Tatarn, die auch einen
Metschet oder Bethaus haben. Man findet über-
haupt in der ganzen Stadt viele Ueberöleibsel der ehe-
maligen tatarischen Herrschaft. Tairbow, ein an- Tanbotv.'
sehnlicher Ort, in und bey welchem sieben Tuchfa-
briken, eine Segeltuchmanusaktur, eine Glashütte
und Salpetersiederey befindlich sind. Belgorod, Belgorod.
um Ursprung des Flusses Donez, ein wenig bedeuten-
der Ort.
Dieses Gouvernement, welches auch die 2©) Gouv.
Ukraine (d. i. Grenzland) genannt wird, weil es - Ruß«
an den polnischen und türkischen Grenzen lieget, i{rßn '
eine sehr fruchtbare wasser- und holzreiche Ebene,
welche Getraide, Hülsenfrüchte, Tabak, Honig,
treffliches Vieh,und sehr viele Fische hat. Auch
Wein wird gebauet, allein der Most wird schon
nach Verlauf von drey oder vier Tagen getrunken,
und die Kasaken, welche die eigentlichen Landesein-
wohner find, hören nicht eher, als bis keiner mehr
übrig ist, zu trinken auf. Eben die Nachlößigkeit
herrscht in Absicht des Ackerbaues, denn statt den-
selben, wieder mit Salpeter geschwängerte Boden
an die Hand giebt, noch mehr zu vervollkommnen,
bleibt viel Getraide ans dem Felde liegen, und'wenn
man den Kasaken Vorwürfe macht, entschuldigen
sie sich damit, daß sie den Ueberfluß nicht zu verkau-
fen wüßten.
Da der Kasaken in Büchern, welche von Ruß-
land handeln, sehr oft Meldung geschiehst, und die.
Ukraine, als der HauptsiH derselben angesehen wer-
P z den
330
Russisches Reich
den kann, so wollen wir hier ein für allemal von
ihnen sprechen. Die Aastrken sind mit den Ruf.
sen ein und dasselbe Volk, und Nachkommen der
slavischtn Kolonie, welche sich auf ihrem Zuge
nach Rußland am Dnepr sehte. Die Malorujseir
(so nennr man die in Kleinrußland, welches russisch
Malaja Roßia heißt) haben sich auch in Neuruß-
land, im charkowschen, smolenskischen und bielogo-
rodischen Gouvernement auögebrcjtet. S>e waren
-rst tatarische dann polnische Lsnterthanen, und un-
terwarfen sich - 65 - dem Zar Alexei Muchailowiksch.
Gestalt, Sitten, Gebrauche und Sprache stehen
zwischen dem Russen und Polen mitten inne, und
ihr Gejsteskqrakter verrath ebenfalls, daß sie zwey
Jahrhunderte polnische Unterthanen gewesen sind.
Die Narjon besteht aus Adel, Miliz, Bürgern und
Bauern. Der Adel stammt meist von polnischem
Geblsite ab, dem kleinsten Theil nach hat er seinen
Ur>prun(}*hiilitarischen Verdiensten zu danken. Die
Miliz ist das Vorzüglichste, nach ihr wird das Land
in Regimenter yerthejlet, von denen jedes eine
Hauptstadt, Landstädte und Dörfer hat. Als sich
hie Malorujjen Rußland unterwarfen, stellten ste
40000 Krieger; gegenwärtig mögen sie wohl noch
einmal so stark seyn, ein Theil davon, etwa 3 0000
Mann, sind in neuern Zeiten in reguläre Husaren
verwandelt worden. Der Bürgerstand ist frey, die
Bauern aber gehöken theils der Krone und theils
dem Adel.
Ackerbau und Viehzucht sind die Hauptgewer-
he der Malorusien. Den Kiew und Pnstawa hat
man neben dem Wein- auch den Seidenbau anqefan-
gen. Die Städte handeln mit Getraide, Vieh,
Flachs, Wolle, Tabqk, Branntewein und Sal-
petep. Speisen nnd Getränke sind russisch, ihre Häu-
in Europa. szi
ser aber besser, als die gemeinen russischen, sowie
ihr HauSrath. Sradteinwohner kleiden sich teutsch,
russisch und polnisch. Die Kasaken gehen alle pol-
nisch, nur ohne geschornen Kopf. Frauenzimmer
die etwas bedeuten wollen, nehmen immer mehr die
französische Mode an. Gemeine Weiber gehen des
Sommers im Hemde, das einen bunt ausgenahten
Kragen hat, und schlagen statt des Rocks ein Stück
Zeug unter die Hüften. Da ihre Religion die grie-
chische ist, so sind auch die Gebrauche, auf welche
die Religion Einfluß hat, die der griechischen
Kirche.
Von ihnen, und zwar von Malorussianern, die
zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts zu Bede-
ckung der Grenze befehliget waren, entstanden die
sapouoger Rasaken, die auch Haidamaken ge-
nennt wurden und 1764 aus 27117 dienftthuenden
Männern bestanden. Ihr Land lag im Gouverne-
ment Neu-Rußland und ihre ganz besonderere Ver-
fassung ward 1775 erst aufgehoben, da sie mit Be-
gehung vieler Grausamkeiten sich im letzten Türken-
kriege unabhängig zu machen suchten. Sie hatten
mit den Kasaken eine gleiche Einteilung; und Sol-
datenleben und Ehelosigkeit waren ihre ersten Gesetze
Deshalb nahmen sie die Verlaufenen von allen Na-
tionen auf, stahlen Knaben, wo sie nur konnten, und
wurden ein böser zügelloser Haufen, der weit ent-
fernt , irgend ein Geschäfte des Friedens zu treiben,
sich durch Raubereyen auf türkischem, tararischem
und polnischem Gebiet zu nähren suchte. Ihr Haupt-
sitz, dm sie Setscha nannten, hatte hölzerne Befe-
stigung mit Artillerie, und nur wenig hölzerne Hau-
ser, denn die meisten Wohnungen waren Erdhütten,
Die Setscha war Ln 38 Kuren oder Kompagnien
getheilt, welche alle unter dem Koschewoi Attamann
P 4 standen,
2)1
Russisches Reich
standen) welcher jährlich von neuem gewählt ward.
Jetzt sind die meisten von ihnen ruhige und fleißige
Ackerleute worden.
Die Konischen Rasaken, von denen die fol-
genden Kolonien sind, bewohnen die Ebenen und
Wüsten an beyden Seiten des Don, von Woro-
ne sch bis ans ajowsche Meer, weiches eine Strecke
von 50 Werst in der Länge und 4co in der Brei-
te auSmacl/t. Sie haben ihre Eirtstehung zufam-
rnengekaufenen Russen zu verdanken, welche sich
nachher- mit tatarischem Blute vermischten, und 1570
ihre Hauptstadt Tscherkask erbauten. Eö sind nieist
wohlgewachsene schöne Leute, deren Geist zu gros-
sen Unternehmungen sehr geschickt zu seyn scheint.
Sie können gegen 50C00 Mann stellen, die sie aus
eigne Kosten beritten, bekleidet und bewaffnet ma-
chen. Tscherkask ausgenommen, wohnen sie in
Stanißen oder schlecht befestigten Dörfern, deren
Häuser und Hausrath, vornehmlich feit dem letztem
preußischen Kriege, recht artig worden sind. Wenn
nicht Krieg ist, nähren sie sich vom Ackerbau, Viehs
zucht und Fischfang; haben sie dann etwas übrige
so vertauschen sie es gegen Eisen, Kleider und dergl.
Ihre Kleidung granzt an die polnische, und ist bey
Vornehmen sehr reich. Frauenzimmer tragen lange
Hosen sind darsiber ein Hemd mit bunt genähetem
Krageg. Von ihnen stgmmen ab: j) die
kroßowschen, etwan jo¿o Familien, an dev
Mündung des Kubanflußes, bisher dem Chan dep
Krim, jetzt also auch Rußland unterworfen. 2) Die
Grebenskischen oder Tlereksche, weil sie ani Te-
rek wohneri. 3) Die Wolga ischen und Astra-
chanischen, welche, außer dem Dienst, von dev
Viehzucht und Fischerey leben. Alle diese Kasaken
Mchen zusiunmm etwa» ioqoo Mñlui ÑUS; un,
' gleich
in Europa. sz;
gleich starker' aber sind 4) die Orenburgischen, wel-
che leicht 20000 Mann können aussitzen lassen, und in
allen Festungen des orenburgischen Gouvernement 6
den größten Theil der Einwohner ausmachen. s)
Die UralskLschen, bis 1774, wo sie wogender
Empörung des Putgakschew ihren Namen verändern
mußten, jetzt dieJarkschen,bewohnen meistdas breite
und fruchtbare Gestade des Uralfluffeö. Ohngeach-
tet sie sich auf Seiten des genannten Aufrührers ge-
schlagen hatten, hat ihnen die Kaiserin» doch die
freye Fischerey am Ural, die Freyheit, ihr Salz aus
den nahen Salzseen unentgeldlich zu holen und
andere Vortheile gelassen, aber ihren Namen muß-
ten sie verändern und ihre politische Verfassung er-
hielt eine umschranktere Gewalt. Sie sind fri-
sche, muntere und starke Leute, roh, stolz, aber
entschlossen und tapfer. Ihre Nahrung besteht meist
in der Fischerey und Viehzucht. Ackerbau haben sie
wenig, aber schöne Obstgärten. 6) Die SlbirL^
sehen sind die Eroberer und ersten russischen Anbauer
Sibiriens, und auch noch seine zahlreichsten Be-
wohner. Die wenigsten von ihnen thun Dienste, son-
dern leben meist theils wie Russen, theils so schlecht
als die Ureinwohner dieses merkwürdigen Erd-
strichs.
Alle diese im europäischen und asiatischen Ruß-
land wohnenden Kasaken, machen die eigentliche ir,
reguläre und Landmiliz aus, und müssen, die sibi-
rischen ausgenommen, beständig aus eigene Koste»
marschfertig seyn; Besoldung aber erhalten die Ge-
meinen nur so lauge sie dienen. Jeder muß zwey
Diei'stpserde haben, und sich polnisch oder morgen-
ländisch kleiden. Ihre Waffen sind, ein einer Span-
ne langer Spieß, mit einem 1| Klafter langen
Schafte, Sabel, Flinten, Kugelbüchsen, Pisto-
P 5 len,
sj4 Russisches Reich
len, oder auch Pfeil und Bogen. Ihre Marsche
geschehen seht schnell, da sie keine Artillerie, Gezel-
te und Bagage mit sich schleppen, und wenn sie auch
wider reguläre Truppen keine großen Dinge thun,
so sind sie doch zu Abschneidung der Lebensmittel,
bey Uebersallen u. dgl. von sehr gutem Nutzen.
Nach dieser Abtheilung, die gewiß nicht am
Unrechten Orte stehet, kehren wir wieder zu unserm
Gouvernement Kleinrußland zurück. Die Haupt-
Aew. stadt desselben ist Riew, am Dnepr, ein stark be-
festigter, eigentlich aus drey Städten bestehender
Ort. Die erste, petscherskische Festung genannt, ent-
halt verschiedene schöne Gebäude, und unter andern
das reiche Mönchskloster Petscherski. In der Un-
ter- oder Neustadt ist eine Universität, die gewöhn-
lich mehr als 22OO Zöglinge hat. Noch vorzügli-
Reschin. cher an Bauart und Gewerbe ist L7?esct)in, welche
sehr viel steinerne Hauser hat, und deren Einwohner
nach der Türkey, Polen und Schlesien handeln.
Baturin, Gluchow, perigaslawl, sind unbe.
• lpultawa. deutende Oerter. pulcawa liegt am Flusse Worskla,
ist regelmäßig befestigt, und hat wohlhabende Ein-
wohner. Dieser Ort ist in der russischen Geschichte
auf ewig merkwürdig, weil 1709 Karl XII König
von Schweden in der Nahe desselben völlig geschla-
gen ward. Wie wichtig aber diese Niederlage für
Rußland war, haben wir zum Theil schon in der
schwedischen Geschichte gesehen.
2i) General. Dieses 1764 zuerst errichtete Gouvernement,
gouverncm. begreift i) L^eu-Gervien, welches seinen Na»
Neu'Rußr men von den 1754 hier angesetzten Serviern hat,
land. welche in Husaren- und Pandurenreqimenter abge-
Gt. Elisa-kheilt sind. Sc. Elisabeth, eine kleine Festung
hech. und Tor, eine feste Stadt am Fluß gleiches Na-
Tor. mens, in einer Steppe oder Wüste, wo ein Salz-
fee
in Europa. sH
see ist, find die merkwürdigsten Orte. - s) Das ehe*
malige Eand der Gaporoger Rasaken, von de-
nen wir oben schon gesprochen haben. Es liegt am
untern Dnepr und erstreckt sich längs diesem Strom,
an welchem zwischen den Flüssen Bog und Jnguleß
eine neue Stadt Namens Cherson angelegt worden, Cherson,
welche sehr gut gebauet und befestigt ist, viele Hand,
lung treibt, von welcher man aber noch keine ganz
genauen Nachrichten hat.
Von Natur ist dieses Gouvernement einer der22) General,
schönsten Erdstriche im Reiche, in welchem das ^ ^J*™*1*.
traide, edle Früchte und Tabak sehr gut fortkommen,
auf den fetten Weiden Hornvieh, zu welchem hier
auch Büssel gehören, und Pserde sehr gut gedeihen.
Wenn dieß Land daher nur mehr Einwohner, und
mehr ansässige Einwohner als gegenwärtig haben
wird, so wird es gewiß sehr bald die großen Vorthei-
te zeigen, die es von der Natur erhalten hat. Wir
bemerken Afow, eine Festung am Don. Rußland Asolv.
nahm sie den Türken schon 1696, mußte sie aber
1711 wieder abtreten. Im Jahr 1736 eroberten
sie die Russen aufs neue, und in dem belgrader Frie-
den ward ausgemacht, daß sie gänzlich geschleift
werden sollte. Im letzten Kriege aber ließ sie die
Kaiserinn wieder Herstellen, und behielt sie auch in
dem Frieden, nebst einem großen dazu gehörigen Ge.
biete. Ehe die Russen Herren der Krim waren,
mußte ihnen Asoiv, als der einzige ihnen in der Nä.
he des schwarzen Meeres zustehende Hafen, unend-
lich wichtig seyn, und noch ist es als Hafen und we-
den der vielen benachbarten Wälder als Schiffswerft
von großem Belange. Tscherkafk ist die schon Tfcherkask.
oben genannte Hauptstadt der donischen Kafaken,
liegt am Don und hat wohl auf 8000 Häuser. Von
hieraus wird mit den Griechen> den Krimern und
Kuba,
2)6 Russisches Reich
Kubanern ein nicht unbedeutender Handel getrie-
WachmuL- den. Bachmut, am Flusse gleiches Namens, ein
befestigter Ort, in dessen Gegend wichtige Salzwer--
' ke sind. Im Sommer trocknet dieser Fluß aus,
und da alle Brunnen, die man grabt, bloß gesalze-
nes Wasser führen, so ziehen die Einwohner dann
fast alle nach ihren Viehhöfen, oder fie müssen ihr
Wasser sieben Werst weit aus dem Donez holen.
In diesem Gouvernement ziehen auch verschie-
dene mohamedanifche, tatarische Horden oder Hau-
fen umher, welche zusammen wohl auf 8200c Fa-
milien ausmachen, und meist von der Viehzucht
leben.
2;)DerLau« Seit der Khan von der Krün sekne Staaten
rische Cher so- 1783 an Rußland förmlich abgetreten hat, hat die
/fi* $mfermn dieselben in verschiedene Gouvernements
ncm Zu chor v^heilet. Diese Länder, welche aus der eigentli-
chen Rrim, jetzt dem Taurischeu Cherscmes,
dem östlichen L^oczaj, Iedisan und Budjak be-
stehen, wozu noch in Asten die Rttban kömmt,
waren die einzigen Ueberreste des großen Staates,
welchen Dschingis Khan und feine Nachfolger grün-
deten, und nun unter russischer Herrschaft haben sie
ausgehört einen eigenen Staat zu bilden, wird mit
der Zeit selbst das Andenken, daß sie eigene Beherr-
scher gehabt haben, verschwinden. Zugleich aber
auch wird sich ihr Wohlstand unter einer gesetzmäßi-
gen aufgeklärten Regierung sichtbar vermehren, und
nach Verlauf eines Jahrhunderts wird man wahr-
scheinlicher Weise alle Künste des Friedens in diesen
von Natur größtentheils so begünstigten Erdstrichen
in vollemWachsrhume finden.
a) Eiqentli- Das Hauptland ist die eigentliche Krim oder
d)ec Cherfv' xam'i'sche ^crlbinstl/ zwischen dem schwarzen und
ncs. > asow-
in Europa. '237
asowschen Meer mit der östlichen Nogas durch eine
Landenge, welche etwan eine teutsche Meile breit ist,
zusammenhängend. Ein etwan r7oQuadratmeilerr
großes, meist ebenes Land, in dem man fast die
Hälfte durchreisen kann, ehe man einen Fluß gewahr
wird, daher die Einwohner der Dörfer auf jedem
Hofe einen Brunnen haben. Diese Ebene erstreckt
stch bis in die Mitte der Halbinsel. Ganze Flächen
derselben sind mit Salzgründen angefüllt, und nir-
gends stndet man Wald oder Gesträuche; selbst
Kräuter sind selten, welches aber nicht von der Un-
fruchtbarkeit des Bodens herkömmt, sondern den
großen Viehheerden znzuschreiben ist, durch deren
beständiges Herumtreiben alles Gras niedergetreten
und abgefressen wird. In der Mitte des Landes
heben sich Gebirge empor, welche in Form eines
halben Mondes bis Kaffa ans schwqrze Meer stof-
sen, und ein ganz andres Land, aks der nördliche
Theil ist, zu seyn scheinen. Hier ist alles, was
jenem Theile fehlet, Flüsse und Seen, Wälder und
fette Fluren; eine glückliche Gegend, der es nur
an Menschen, die sie benutzen und genießen könnten,
fehlet. Aus diesem Gebirge entspringen über fünf-
zig stschreiche Flüsse, deren Gestade, so wie die
Thaler mit dem schönsten Grün, mit Tulipen und
Lilien, Cypressen und Obstbäumen besetzt ist. Auf
den Gebirgen selbst wächst das herrlichste zum
Schiffbau taugliche Holz, und ihr Innres enthält
gewiß Gold, Silber, Eisen und Kupfer, von
welchen beyden letztern Metallen auch einiges ge-
wonnen wird.
Die Produkte der Halbinsel sind überhaupt
Getraide, wozu auch Mais gehöret, Mein, von
dem wir schon in den allgemeinen Nachrichten über
Rußland geredet haben, und welcher sowohl in die
Ukraine
,j8 Russisches Reich
Ukraine als die türkischen Lander ausgesührt wird,
Obst und edle Früchte, Honig und Wachs,
Hornvieh, Büffel, Pferde, deren Fleisch auch
zur Speise dienet, Schafe, Wildprec, Feder-
wild, und außer den Flüssen in dem schwarzen und
asowschen Meere eine ungeheure Menge von Hausen,
Stören u. s. w. Das Klima kann be?) so großer
natürlicher Fruchtbarkeit nicht anders als glücruch
feyn. Die Hiße wird durch die häufige Nord - und
Seewinde gemildert, und wenn auch der Nordwind
oft kalte Wintertage machet, so ist die Kälte doch
immer erträglich.
Vor dem letzter» türkischen Kriege war die
Halbinsel auch noch sehr gut bebaut und bevölkert;
an den Flüssen schienen die Dörfer gleichsam anein-
ander zu hangen; alles war mit Häusern, Obstgär-
ten, Weinbergen, Ackerfeldern bedeckt; man zählte
auf i2OO Dörfer, und die Volksmenge ward auf
40000s Seelen geschähet. Jener Krieg aber war
für die Krim sehr verwüstend. Die meisten Ein-
wohner unterwarfen sich, da ihre Wohnungen zer-
stört waren, entweder der russischen Herrschaft, oder
flüchteten zu den Tscherkassiern nach Asien hinüber,
und im I. 1782 schaßte jemand die sammtlichen
Einwohner nicht über 50000 Köpfe. Wenn auch
diese Anzahl zu gering seyn sollte, so ist doch so viel
gewiß, daß dieses Land eine gewaltige Entvölkerung
erlitten hat, so wie im Gegentheil wieder zu hoffen
ist, daß unter dem mächtigen Schutze der russischen
Regierung, welche schon jetzt fremde Kolonisten un-
ter den besten Bedingungen zum Anbau einlädt, be-
kannter mit dem Werthe der Arbeitsamkeit, An-
bau und Bevölkerung neben einander zunehmen wer-
den. Uebei Haupt hat man sich, zum Theil verführt
durch alte Sagen von den ehemaligen Verwüstungen,
welche
in Europa.
239
welche die Tatarn als Hülfsvölker der Türken ange-
richtet haben, sehr irrige Vorstellungen von dem
Karakter dieses Volkes gemacht, und es für einen
Haufen ieute gehalten, die durch nichts als die
menschliche Gestalt von den Thieren des Feldes
unterschieden waren. Die krimischen Tatarn, sagt
im Gegentheil ein gelehrter Mann, sind ein Zweig
des großen türkischen Völkerstammes, obgleich mit
Mungln stark vermischt. Sprache, Gesichtöbildung
und Geschichte zeugen davon. >,Sie sind nicht mehr
»das rohe, schmutzige, räuberische Volk, das man
„vormals mit so abscheulichen Farben schilderte.
„Sie wohnen alle, einige in die Krim versetzte
„Nogajer ausgenommen, in Hausern (von Fachwerk,
„welches theils mit Ziegeln, theils mit Rasen auS-
„gesetzt ist), in Dörfern (welche meist mit Cypresten-
„Hainen umgeben sind) und Städten. Sie treiben
„den Ackerbau, den Weinbau, den Gartenbau und
»die Viehzucht. Sie sind zwar meistens von mit-
„telmäßiger Größe, aber dabey regelmäßig und
„schon gebildet; die Seele liegt auf ihren Zügen, in
„ihrem Gesicht liefet man ihre Ehrlichkeit und ihre
„Gutherzigkeit. Sie lieben die Menschlichkeit und
„die geselligen Tugenden, sind simpel und leichtglau-
„big, demüthig, dienstfertig, gefällig und gelehrig,
-Haben einen sehr guten natürlichen Verstand und
„einen geschmeidigen Geist, der des höchsten Gra-
bes der Ausbildung fähig wäre. Neberhaupt ha-
uchen sie viel von der wilden Tapferkeit verloren,
„welche sie bey ihrer ersten Erscheinung in Europa
«so fürchterlich machte. Die Vornehmem unter
„ihnen thun es den andern in Artigkeit und guten
„Sitten noch sehr zuvor. Sie tragen sich in ihren
„Kleidern, welche ^bequem und gut in die Augen
„fallend sind, reinlich, ordentlich, und, wenn sie be-
„mittelt sind, sogar, prächtig." — Ihre Nahrung
besteht
S4<> Russisches Reich
besteht aus Waizen - nnö Hirfenbrod, Hlrfebrey,
Reiß, Datteln, Rind-und Schaffleisch, Wild-
prkt, Fischen, Milch, Butter.' und Honig. Der
Gebrauch des Pferdefleisches nimint immer mehr
unter ihnen ab. Ihr Getränke ist Wein, Rack,
Meth, Scherbet, gegohrne Mllch und Brannte-
wein. So gern sie auck) schmausen, so können sie
doch den härtesten Mangel ertragen, und jeder Rei-
sender, von welcher Religion er auch seyn mag , kann
auf ihre Gastfreyheit Rechnung machen, so daß
man in der Krim eben so sicherund ungleich wohlfeiler,
als in den kultivirtesten Ländern reisen kann. Ihre
Sprache ist ein türkischer Dialekt, in welchem aber
viele arabische und mogolische Worte eingemischt
sind. Ihre Religion ist die mohämedanische, von
der wir bey dem türkischen Reiche umständlicher spre-
chen werden, und in deren sreyen Ausübung sind sie
auch von der russischen Monarchinn bestätigt worden,
welches sie durch die friedliche Duldung, die sie den
unter ihnen lebenden Christen angedeihen ließen, ge-
wiß verdient haben.
Ehe die Krim unter russische Herrschaft kam,
hatte sie einen Regenten, welcher bis 1774 unter
türkischem Schutze stand, und sich Groß - Rhatt
der großen Horde des Reichs von Rrim und
Der holder von R^ptschak nannte, uut> den der
türkische Hof gewöhnlich nach seinem Gutdünken ein-
und absetzke, so daß es etwas außerordentliches war,
wenn diefeWürde sieben bis acht Jahre von einer und
derselben Person bekleidet wurde, wiewohl die Khane
doch beständig aus dem Geschlechke Gjerai genom-
men wurden. Nach der eigentlichen hergebrachten
Einrichtung aber, welche auch 1774 wieder einge-
furt ward, gehörte die Wahl eines Khans dem Vol-
ke allein, und ward durch vier Bevollmächtigte des.
selben
in Europa.
241
selben vollzogen. So groß aber auch die Ehrerbie-
tung war, welche ihm seine Unterthanen bewiesen,
so war doch seine Gewalt äußerst eingeschränkt, und
er durste ohne den Willen der Großen nicht da6 min-
deste vornehmen. Sein Hofstaat war weit ansehn-
licher und die innre Landeöverwaltung viel regelmäs-
siger, als man sich beydeö dachte, wenn man von
Tatarkhan und Tatarey sprach. Die Prinzen von
Geblüt führten den Titel Sultane, und hatten an-
sehnliche Einkünfte. Der zahlreiche Adel oder die
Mucsen theilt sich in verschiedene Klassen. Die
Ryrirn Begjleri waren die Oberhäupter der ein-
zelnen Stamme, und wurden aus den übrigen Mur-
sengewählet. — Die Einkünfte des Khans wurden
1 :69 auf 3 Millionen Fl. geschähet: vormals aber,
da die Tatarn noch Raubereyen trieben, und Ruß-
land sowohl als Polen (im vorigen Jahrhundert)
dem Khan jährlich ohngefähr für 100000 Rthlr«
Geschenke machten, waren diese Einkünfte weit an-
sehnlicher. Seit die christlichen Mächte Kriegskunst
bey ihren Truppen eingeführt hatten, konnten ihnen
die Tatarn gar nicht mehr fürchterlich feyn. Diese
Leute verstunden gar nichts von Kriegsübungen, und
bloß weil sie alle zu Pferde dienten, und ihre Flüch-
tigkeit unübertrefflich war, wurden sie einigermaßen
gefährlich. Ihre Waffen waren hölzerne im Feuer
gehärtete Spieße, Bogen und Pfeile, Säbel und
Feuergewehr, mit welchem lehtern die meisten aber
nur sehr schlecht umzugehen wissen.
Nach den Tatarn sind die Armenier, welche
Christen sind, und zween Bischöfe in der Krim ha-
den die zahlreichsten. Ein faules, betrügerisches
und sehr schmutziges Volk, das bey seinen Mahlzei-
ten weder Messer und Gabel, noch Löffel gebrauchet.
Griechen leben viele in dem südlichen Theile des
II Band. II Abrh» O Lau-
S42 Russisches Reich "
Landes, so wie Italiener in Kassa, Juden und
Zigeuner, beyde in großer Menge»
Was nun die Geschichte dieses Landes betrifft/
so waren seine ersten Bewohner die RimrNerier,
weiche nachher von den Scythen ihrer meisten Best-
Hungen beraubt wurden, aber doch im Gebirge unter
dem Namen Cötinet sitzen blieben. Noch vor
Christus Geburt stengen auch die Griechen an, sich
hier niederzulassen» Alanen, Gothen, Hunnen,
Ungarn, Chazaren, Petschenegen und Mungln wur-
den nach und nach Herren und Besieger der Krim«
Im dreizehnten Jahrhundert breiteten die Genueser,
welche bisher bloß nach den Hafen der Krim ge-
handelk hatten, ihre Herrschaft immer weiter darin-
neu aus, erbauten Kassa, eroberten verschiedene andre
Platze, und waren den munglischen Beherrschern
des Landes meist überlegen. Im I. 1475 aber
eroberten die Osmanen den größten Theil der Krim,
verjagten die Genueser, und setzten die krimischen
Khane nach und nach zu Vasallen herab. In dem
letzten Frieden zwischen Rußland und der osmani«
scheu Pforte, ward ausgemacht, daß die Kriin ein
unabhängiger Staat seyn sollte; da aber der Khan
' ' ■ überhaupt mehr auf russische als türkische Seite
a neigen schien, und dieser Verlust den Türken oh-
nehin empfindlich fallen mußte, so währte es nicht
lauge, als ein durch sie erregter Aufstand wider ihn
losbrach, der aber in Kurzer Zeit durch russische Hül-
fe gänzlich gedämpftt ward. Nun stengen aber die
russischen Truppen an, sich im Lande festzusetzen,
und den Khan in verschiedenen von ihm an diePforr
te gemachten Forderungen zu unterstützen» Sie
nahmen auch in Gemeinschaft mit den Takarn die
Insel Taman in Kuban weg, und endlich trat der'
Khan, mit Vorbehalt einer gewissen Pension, deren
auch
in Europa. 243
«uch die Punzen von Geblüt genießen, sein ganzes
Land feyerlichst an die russische Kaiserinn ab, die es
unter dem Namen des canrischen Chersones als
eine Provinz ihren Staaten einverleibte.
Mr bemerken BachtschL - Saraj (d. L Bach kW»
Garkenpalaft) wegen der vielen diese ehemalige Re^ Saraj.
sidenz der Khane umgebenden Garten so genennet,
eine der größten Städte des Landes, mit ohngefahr
7000 Hausern, welche meist zerstreut aus einander
liegen. Eine halbe Stunde davon liegt ein ganz
von Juden bewohnter Flecken von 120 Hausern,
nebst einem Schloß auf einem Felsen. Ziavafii* Karasm
Basar, eine große in einem Thale gelegene Stadt, Basar,
deren meiste Einwohner Armenier, Griechen und
Juden sind. Gaffer, die wichtigste Stadt der Kassa.
Krim> am schwarzen Meere gelegen» An ihren ho-
hen Mauern und Thürmen, welche zwar hie und
da verfallen sind, stehet man noch, wie in verschie-
denen Ruinen von Kirchenpalasten und dgl. die dleber-
bleibsel der ehemaligen genuesischen Herrschaft.
Sie hat zwey Kastelle, viele Metscheds und christ-
liche Kirchen, 40.0 Hauser Und einen sehr guten
Hasen, bereinige hundert Kaussm-theyschiffe fassen
kann. Ihre Einwohner sind Armenier, Juden,
Griechen, Tararn, Jtalianer und nun auch Russen»
Außer dem Handel mit gesalznen Fischen, Salz,
Waizen, Hirse, Butter- Wein, Wolle, Lämmer«
fellen, Rindfleisch, Talg u» st w. brachten auch
selbst die Tscherkasster ihre Töchter und Söhne zum
Verkaufe her. Drey teuksche Meilen von Kassa liegt
Eski-Arim, (Alt-Krim) jetzt nur ein Flecken von Oöki-KnM.
etwan 6oo schlechten Hausern, ehemals aber. unter
hem Namen Solgat, die größte Stadt der Halb-
insel, welche prächtige Gebäude hätte, und einen
wichtigen Handel trieb. BcrlukLaVä, zwar nur BallMtzA
Ü i hin
244 Russisches Reich
ein kleiner Ort, der aber einen der sichersten Hafen
auf der ganzen bekannten Erde hat. Einst war es
Gosleve. auch eine blühende Stadt. Gosleve, eine Stadt
mit 2Zoo meist steinernen Hausern, welche starke
Handlung treibet, und in deren Nahe wichtige
Or. Salzseen sind. Ör oder Perekop, eine Stadt und
Festung, welche auf der nach der Nogaj führenden
Landenge lieget. Mit ihr hangt eine Linie zusammen,
die aus Schanzen und Thürmen bestehet, und die
ganze Landenge von einem Meere zum andern durch-
schneidet. Zm I. 1782 sah man von der Linie so-
wohl als der Stadt mir noch Ruinen. In der
Nahe derselben sind ebenfalls zwey ergiebige Salz-
Kertsch. sten. herrsch, eine kleine Stadt mit steinernen
Hausern und einer herrlichen Rhede. Sowohl diese
Jengi'Ka- Stadt als Iengi-Raleh wurden den Russen schon
ich- 1774 in dem Frieden von Ktuschuk Kainardschi
abgetreten»
Dies sind die vorzüglichsten Städte der Krim.
Im Alterthum hatte sie ungleich mehrere und wich-
tigere. Dahin gehörte Cherson Trachea, welche
im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt angelegt
ward, und die größte und schönste Stadt in diesen
Gegenden war, jetzt aber so zerstört ist, daß man
nur einige Ruinen und eine Wasserleitung, deren
Röhren von gehauenen Steinen sind, stehet.
Ferner Theodor!, ebenfalls eine reiche und blühen-
de Stadt, Gothien u. a. m», deren Namen in
Vergessenheit gekommen sind. Wird dieses Land,
wie man das mm bald erwarten kann, von einsichts-
vollen Gelehrten bereiset, so werden gewiß manche
schätzbare Alterthümer entdeckt, und manche Lücken
in unfern historischen Kenntnissen auögefüllt
werden.
Diese-
in Europa. 245
Dieses bey den Russen unter dem Namen der b) Oestliche
krimischen Steppe bekannte Land, ist etwan zweymal Nogaj«
so groß als der Chersones, und durchaus eine Ebe-
ne, worauf kein großer Baumund selten ein kleiner
Hügel zu sehen ist. Der Boden ist indessen einer
der schönsten und fruchtbarsten. Spargel, Knob-
lauch, Zwiebeln, Süßholz und Tulipen wachsen
wild, das Gras hat mehr denn Mannshöhe, und
alle Arten von Getraide würden vortrefflich fortkom-
men, wenn die Nogajer mehr als Hirse und Gerste
bauen wollten. Wilde Thiere find hier sehr häufig,
als Bare, Wölfe , Büffel, Elennthiere *), Füchse,
Dachse, Schweine, Hirsche, wilde Pferde und wil-
de Schafe. Die Pferde find weit schneller und star-
ker als die zahmen, gehen heerdenweife und laffen
sich sehr schwer fangen. Die Schafe haben Reh-
haare, krummgebogene Schafököpfe, sind schneller
noch als das Reh, und sehr wohlschmeckend. Ha-
sen und Haselhüner sind so häufig, daß man sie mkt
Händen fangen kann. Man findet aber auch Heu-
schrecken und Tarantuln.
Die Schicksale und Bewohner dieses Landes
sind dieselben wie im Cherfones gewesen. Seitdem
vierzehnten Jahrhundert hat es feine ihigen Einwoh-
ner, welche abgcriffeneZweige der Nogajer sind, die
in der astrachanifchen Steppe gewohnt haben. Von
den krimmischen Tatarn unterscheiden sich die Nogaj-
Tatarn durch kleine tiefliegende Augen, eingebogene
Nasen, wenig Bart und ihre unstate rohe Lebensart.
Q 3 Sie
*) Ein Thier, so groß als ei» Manlesel, mit langen
starken Beinen, einem zweytheiligen Huf und einem
estlahnlichen Kopf. Die Elennochfen haben hinter
den Augenliedern zwey Hörner. Am Halse haben
sie Mahnen. Ihre Farbe ist eselgrau.
946 Russisches Reich
Sie wohnen nicht in Dörfern, sondern in zirkelrun»
den Hütten, welche etwa» acht Fuß im Durchschnitt
haben, und auö kreuzweise in einander befestigten
Hölzern bestehen. Von außen ist alles mit Nohrdecken
und über diesen mit einem braunen Filze bedeckt;
oben aber ist ein rundes Loch von zw-en Fuß im Durch*
schnitt, das sowohl zum Fenster als zum Schorsteine
dienet. Eine Rohrdecke, zwey mit Haaren gefüt-
terte Polster, Sabel, Bogen und Pfeile, oderauch
Flinte lind Pistolen machen das Hausgerathe aus,
In einer Hütte von gleicher Bauart find Frau,
Kinder und das Küchengerath. An diesen Zeltern,
welche, sowie sie sind, auf Wagen von einem Ort zum
andern gebracht werden können, sind Stalle und
Scheunen von Rohr mit Mist beworfen. Hirse,
Gerste und Vuchwaizen, Pferde, und ander Fleisch,
auch von gefallenen Thieren, sind ihre Speisen, Pfer-
demilch, frisch und gegohren, undMeth ihr Geträn-
ke; ihre Religion die mohamedanische, von deren
Lehren sie aber sehr wenig wißen, und welche noch
mit vielen heidnischen Gebrauchen vermischt ist.
Sie tragen kurze baumwollire Hemden, weite Bein-
kleider von grobem Tllch oder Schaffellen, cattunene
Röcke und einen Mantel von Schaffellen. Sogast-
srey sie auch sind, so stehlen und rauben sie doch, so.
bald sie köilneu. 2» die Krim bringen sie ihre Lan-
desprodukte, und bisher auch Sklaven. Aleschki,
Aslan und Rilburtt sind drey kleine Festungen.
Durch ihr ganzes Land findet mail sehr viele von
Erde aufgeworfene, ziemlich hohe Grabhügel, auf
deren Spitze Bildnisse von Gppsstein zu siheu find,
Zn den Gräber find Knochen, Schwerter, Frauenzim-
merzeug und arabische sowohl als griechische Münzen,
Dieses zwischen dem schwarzen Meere und
sher Westliche Polen gelegene Land hat ohngefahr dieselbe natürliche
in Europa. 247
Beschaffenheit, wie das vorige, nur ist der nördliche
und östliche Theil voller Berge und Thaler, welche
fast ohne alle Holzung und ohne Wasser sind. Die
Einwohner, welche von den östlichen Nogajer in
nichts verschieden sind, nähren sich vom WildpM,
ihren Kameel-und Viehheerden, und dem Anbau
her Hirse, Gerste und des Buchwaizens»
Bessarabien oder Budschjak liegt zwischen dem ch Budschjak.
Dniestr und der Donau, dem schwarzen Meer und
der Moldau. Ein Theil desselben, so wie der west,
lichen Nogaj, steht unter osmanischer Herrschaft.
Auch dieses Land ist eben, ohne Berge und Wal,
düngen, hat äußerst fruchtbaren Boden, und
bringt asierley Getraide in Menge und Güte hervor.
Auch wird einiger Wein gebauet. Die Tatarn hal-
ten große Viehheerden, legen sich auf die Bienen-
zucht, und haben schöne Pferde. Man ßndct hier
dasselbe Wildprek, wie in der Nogaj» — Die
ersten Einwohner dieses Landes waren Thracier,
nachher wurden die Scythen, Sarmaten, Ge-
ren , Jazygen, Gothen, Hunnen, Slaven,
Avaren, Petschenegen, Kumanen, Wlachen und
endlich die Osmanen Herrn desselben. Diese ver-
setzten 1569. gegen 30000 nogajische Familien da-
hin, welche jetzt budschiaksche Tatarn genennek
werden. Doch wohnen auch noch Wallachen und
Kumanen im Lande. Die Budschiaktakarn sind ein
unruhiges Volk, und die meisten derselben haben
1770 sich ins russische Gebiete begeben, weil sie bey
jeder Gelegenheit gesucht haben, sich des Jochs der
Osmanen und des krimischen Chans zu entledigen.
Der Hauptort dieses Landes ist Rsusshsil, eine Kauftham
kleine schlechtgebauete Stadt».
Q 4 Noch
248
Russisches Reich
Noch besitzt Rußland Ln Asien die Königreiche
Kasan, Astrachan, Sibirien, Kamtschatka und
andere Staaten, die wir aber hier, wo wir uns
bloß auf Europa einschranken, nicht beschreiben
konnten.
-H- -H»
Gtaatsver. Die ganz alte Geschichte dieser Länder ist durch-
änderunqen. jn dickste undurchdringlichste Nacht verhüllet.
*J c™°5 ftüt* die Griechen und Römer waren die meisten öst.
clicffct? ltd>en Gegenden, was für uns das mnre Afrika w,
tenbis Iwan und selbst von dem ihnen etwas mehr bekannten
Wafilst 1462. Rußland sind nur sehr unvollständige Nachrichten auf
unsgekommen, wißen wir nur so viel, daß im nörd-
lichen Theile Rußlands die Tschjuden, in den
südlichen unter andern die Roxolanen gewohnt
haben, und daß überhaupt alle diese Völker mit
dem allgemeinen Namen Scythen und Sarinaten
belegt worden sind. Zur Zeit der großen Völker-
wanderungen, welche dem ganzen Europa eine andre
Gestalt gaben, (im fünften und sechsten Jahrhun-
dert unsrer Zeitrechnung) kamen die Slaven nach
Rußland, wo sie Kiew, Nowgorod und andere
Orte mehr angelegt haben sollen. Gothen, Van-
daln, Alanen, Hunnen, Avaren und andere Völ-
ker, von denen man aber ebenfalls nichts sichres
anzugeben weiß, blieben auf eine längere oder kür-
zere Zeit in diesen Gegenden, bis mit der Erschei-
nung der Chazaren und Waräger die eigentliche
sich auf Zeitrechnung gründende Geschichte ihren
Anfang nimmt.
Die Chazaren hatten anfangs im kaukasischen
Gebirge gewöhnet, breiteten sich im achten und
neunten Jahrhundert in Rußland aus, und machten
sich
in Europa. 249
sich die um Kiew wohnenden Slaven unterwürfig;
die Waräger kamen um dieselbe Zeit aus Skandi-
navien zur See im nördlichen Theile Rußlands an,
dessen flavifche Einwohner sie eben so, wie die Cha-
zaren die südlichen, mit Tribut belegten, und mit wel-
chen der Name Russe und Rußland zuerst bekannt
wurde. Indessen empörten sich die nowgorodschen
Slaven, vertrieben die Waräger größtentheilö aus
dem Lande, und stengen eine Art demokratischer Ver-
fassung unter sich einzusühren an, die aber mit so
vielen Verwirrungen vergesellschaftet war, daß die
warägischen Russen bald wieder zurückgewünscht wur-
den. Man sagt auch wirklich, daß die Nowgoroder
sich die Waräger Rurik, Sineuo und Truwor,
welche Brüder waren, zu Fürsten erbeten hätten.
So viel ist gewiß, daß diese drey im I. 862, m
Begleitung einer Menge ihrer Landsleute, in Now-
gorod ankamen, und daß Rurik, als seine Brüder
von den aufs neue misvergnügten Nowgorodern er-
schlagen worden waren, umö I. 865 wirklicher
Herr und Gebieter von Nowgorod wurde, und 879
mit Nachlassung eines Sohnes dem er einen
seiner Verwandten Glecz zum Vormund setzte, da-
selbst starb. (Dleg regierte bis 912, ohne daß er
die Regierung dem Igor eher als bey seinem Tode
übergeben hatte. Er unterwarf sich Smolensk und
Kiew, wie auch verschiedene Völker, die vorher den
Chazaren Tribut gegeben hatten. Ob er, wie eini-
ge alte russische Kroniken besagen, einen Kriegszug
nach Konstantinopel gethan, ist nicht völlig bewiesen;
einen Handelsvertrag hat er aber gewiß mit den
Griechen geschlossen. Sein Nachfolger Igor
Rurikowirsch fuhr fort, dieHerrfchaft der Rus-
sen immer mehr zu verbreiten, und unternahm auch
im I. 941 einen Krieg wider die Griechen. Seine
Flotte (denn er schiffte auf dem schwarzen Meere
Q 5 nach
250 Russisches Reich
nach Konstantinopel zu) bestand aus einigen tausend
Fahrzeugen, von denen jedes mit 40 Mann besetzt
war; aber Mangel an Lebensmitteln und häufiger
Verlust nökhigten ihn nach drey Monaten, wieder
nach Hause zu gehen, wo er 94 5 von den Drewlanen,
die er zu Verdopplung des Tributs zwingen wollte,
erschlagen ward, wofür aber seine Gemahlin» Olga
empfindliche Rache nahm, die Stadt der Dren>
lanen verbrannte, viele von ihnen zu Sklaven und
das ganze Volk sich völlig unterwürfig machte.
Gwäcoslav Itzorowicsch, dem sie 955 die
Regierung übergeben hatte, ein Eroberer, wie sein
Vater Igor, starb auch den Tod desselben, indem
ihn die Pekschenegen, welche ohngefahr um Woro-
nesch und Bielogrod wohnten, im I. 97z, als er
von einem siegreichen Feldzug wider die Griechen
zurückkam, erschlugen. Er hatte seine Staaten
unter seine drey Söhne getheilet; allein jeder strebte
nach dem Erbtheil des andern, und ÜNadimir
ward endlich der alleinige Besitzer von dem nördli-
chen, westlichen, östlichen, weiß und roth Reußen.
Dieser Fürst, welchen man auch den Großen ge-
nannt hak, bezwang verschiedene benachbarte Völ-
ker , und breitete seine Eroberungen sogar bis zu dem
heutigen Kroatien und Siebenbürgen aus. Er
nahm auch den Griechen Theodofia und Cherson in
dem taurischen Chersones, und machte, wie man
sagt, auf keine andre Bedingungen Friede, als daß
ihm die Griechen ihre Prinzessin« Anna zur Gemahl
linn geben, und christliche Geistliche in sein Land
schicken sollten. Wirklich heurathete er diese Prim
zessinn, nahm 987 die christliche Religion an, und
befahl auch, daß sich jedermann an besondern Ta-
gen taufen lassen sollte. Nach einer langen und
glücklichen Regierung begieng Wladimir endlich den
großen Fehler, seine Staaten unter seine zwölf Söh-
in Europa. 251
ne zu vertheisen, worüber noch bey seinem leben blu-
tige Kriege ausbrachen. Er starb 1015; aber nach
seinem Tode stengen Unruhen an, welche nicht Jahre,
sondern Jahrhunderte hindurch wahrten, und Ruß-
land ganz in die Barbarey zurückstießen, aus der
es, durch Frieden und Ruhe begünstigt, herauögegan,
gen seyn würde.
Ein Bruder war nun wider den andern, jeder
bemühte sich den andern umö leben und ums Erb-
theil zu bringen. So ließ Gwatopolk gleich nach
des Vaters Tode zween seiner Brüder tobten r ward
aber von ^aroslaw, der zu Nowgorod herrschte,
völlig überwunden, der auch *936 den größten
Theil von den Staaten seines Vaktrs, durch Erobe-
rungen und Sterbefalle an sich gebracht hatte, aber,
unbelehrt durch eine eigene traurige Erfahrung, sie
ebenfalls unter stine Söhne theilte, welche nun ge-
rade dasselbe Schauspiel aufzuführen ansiengen, da6
man nach Wladimirs Tode gesehen hatte. Zu den
innerlichen Kriegen kamen noch die Verwüstungen
der Polowzer, welche zu wiederholtenmalen in Ruß-
land einfielen, und alles mit Feuer und Schwert
verheerten. Durch Wladimir II, Monomach
genannt, welcher im I. 1114 den Kiewschen Thron
bestieg, schien einmal das Glück des Friedens und
der Eintracht in dieses unglückliche Land zurückzukeh-
ren. Dieser Prinz stillte die unter den abgetheilten
Fürsten entstandenen Zwistigkeiten durch Wort und
That, zwang den griechischen Kaiser Zohatznes
Komnenus zu einem schimpflichen Frieden, nahm
den Genuesern Kassa weg, und machte das Reich
sowohl innerlich als äußerlich stark. Neue Theilun-
gen erzeugten nach seinem Tode auch neue Bürger-
kriege; Andrei Jurjewitsch zu Wladimer be-
hauptete Jwar ein. gewisses Ansehen über die andern
* rus-
2?2 Russisches Reich
russischen Fürsten, allein erwarb dennoch 1175 er-
mordet, und unter seinem Enkel Jurje erschien
endlich ein neuer Feind, der allen vorhergehenden
Greueln das Siegei der Vollendung aufdrückte.
Dies waren die Mungln, ein wildes asiati-
sches Volk, welche unter dem Khan Tschutschi, dem
Sohndes großen DschingisKhan, der ihren Staat
gestiftet hatte, nachdem sie die Polowzer, welche am
afowfchen Meer wohnten, geschlagen hatten, und
unter dem Khan Baku, des Tschutschi Sohn, 12 38
in Rußland einbrachen, eine Armee nach der andern
zu Grunde richteten, und eine Stadt nach der an-
dern verbrannten. Jurje blieb in einem Treffen;
Kiew, welches damals allein 300 steinerne Kirchen
gehabt haben soll, ward mit stürmender Hand ein-
genommen mrd zerstöret, und die russischen Fürsten
mußten nun den Khanen von Kiptschak einen jähr-
lichen Tribut erlegen, Jaroslaw II. war der erste
tatarische Vasall, ein Fürst, der sich viele Mühe gab,
dem verwüsteten fände wieder aufzuhelfen, und die
Schwerdtbrüder sowohl als die Schweden, welche bey
den Zerrüttungen Rußlands im Trüben zu sischen
suchten, besiegte. Auch er vertheilte das Land wie-
der unter seine Prinzen, von denen Alexander mit
dem Zunamen Newsky, durch seine Siege und
weisen Anstalten in den russischen Jahrbüchern sich
vielen Ruhm erworben hat. Es ist für den Zweck
dieses Werkes unmöglich, die Regierungsgeschichte
dieser Fürsten umständlich zu verfolgen, und es wird
genug seyn, wenn wir überhaupt sagen, daß zwar
verschiedne von ihnen, wie z. B. Iurje Danilo-
rvitfch, der 1317 zur Regierung kam, glückliche
Kriege mit den Schweden führte, daß aber dennoch
Kiew von den Litthauern, und Haliß und Wladimir
von den Ungarn abgerissen wurde, auch keiner als
Dmitri
in Europa. 2;;
Dmitri Irvanowicsth das schimpfliche Joch der
munglischen Khane abzuschütteln bemüht war. Er
richtete zwar wenig wider die Uebermacht derselben
aus, aber seine Unternehmungen dienten doch dazu,
den Geist der Freyheit wieder unter der Nation zu
erwecken, und da innerliche Uneinigkeitenden Staat
zu verwirren anfiengen, so gelang.es endlich den
Rüsten nach einer Knechtschaft von 226 Jahren,
sich des Jochs ihrer Unterdrücker zu entledigen, und
endlich gar die Trümmer ihrer Macht zu erobern.
Iwan Wasiljewicsch I, der sich durch Er- Zrvote Pe»
rettung seines Vaterlandes, und seine übrigen großen riode. Don
Thaten, den Beynamen des Großen erworben hat, Iwan Wafil-
ward der Wiederhersteller Rußlands» Nachdem er ^
sich die übrigen russischen Fürstentümer unterwürfig Romanow
gemacht hatte, führte er seine Truppen wider die ioig. Iwan
Tatarn, und kündigte nach verschiedenen über sie er- Wasiljewitsch
fochtenen Siegen dem Khane der Krim den Gehör- L ^62 «*»
sam auf, schlug seine Armeen und wurde im ,3.1477 I^°5'
unumschränkter Herr des russisches Reiches. Er
bezwang auch das stolze Nowgorod, unterwarf sich
das tatarische Reich von Kasan, Permien, Lapp-
land, Jugorien, einen Theil von Litthauen und an-
dere Gegenden mehr. Auch die innre Wohlfahrt
des Reiches suchte er auf alle Weise zu gründen, be-
günstigte die Ausländer, welche zu ihm kamen, und
bestrebte sich durch weise Gesetze die Rohheit seines
Volkes zu bändigen. Er starb, 1505, nachdem er
etliche Jahre vorher in einem Kriege wider den
teutschen Orden in Livland nicht zum glücklichsten
gefochten hatte.
Dieser Fürst, der schon bey des Vaters Leben WastleL
Antheil an der Regierung gehabt hatte, fuhr fort Iwanowirsch
durch Krieg und Eroberungen sich bey seinen Nach.
barn furchtbar zu machen. Er bezwang die Republik
Pleökow,
254 Russisches Reich
Pleökow, nahm den Polen Smolensk, und schlug
auch die Tatam, welche während seiner polnischen
Kriege Rußland auf das schrecklichste verheert hatten
zu verschiedenen malen.
Iwan Wasil. So verschrieen auch Iwan wasiljewirsch lt
jewitsch n. bey den altern ausländischen Geschichtschreibern sei-
1533—1584. ner Grausamkeit wegen ist, und so wenig man ihn
auch durchaus von diesem Vorwurse srey sprechen
kann, so behauptet er doch immer unter den altern
russische,, Regenten eine der ersten Stellen, und bey
aller seiner Wildheit leuchtet auch wieder so viel Ein-
sicht und Seelengröße aus seinen Handlungen her-
vor, daß es schwer wird, ein bestimmtes Urtheil
über ihn zu fätlkM Er war nur drey Jahr alt, als
sein Vater starb, und wahrend seiner Minderjährig-
keit ward das Reich eben nicht zum besten regieret;
aber kaum hatte Iwan selbst die Staatsverwaltung
übernommen, als er mit allem Eifer auf die innere
und äußere Verstärkung desselben bedacht war.
Seine erste wichtige Unternehmung war wider Kasan
gerichtet, welches schon sein Großvater gedemüthigt
hatte, das sich aber der russischen Obergewalt, jetzt
zu entledigen suchte. Er schlug die Tatarn zu ver-
schiedenen malen, eroberte endlich ihre Hauptstadt
1552 mit Sturm, und machte das ganze König-
reich zu einer russischen Provinz. Zwey Jahr dar-
auf eroberte er auch das letzte tatarische Königreich
Astrakan, worauf er sich zuerst des Titels Zar und
% Großfürst aller Reußen bediente. Minder glücklich
war er aber in seinem livländischen Feldzügen. Ee
verheerte zwar einen großen Theil des Landes, und
bemächtigt? sich der Städte Narva, Dörpt und an-
derer. Da aber Polen und Schwedechdieselben Ab-
sichten auf Livland zu äußem anfiengen, und, wie
wir m den historischen Nachrichten von Livland gese-
hen
in Europa.
hen haben, auch wirklich erreichten, so sah er sich
nun in einen blutigen Krieg mit diesen beyden Mach-
ten verwickelt, der bis 1582 mit abwechselndem
Glücke fortgesetzt ward, in welchem Jahre er end-
lich genöthigt war, Frieden zu schließen. Wahrend
dieses Krieges fielen noch andre Vorfälle vor, die
wir nicht durchaus mit Stillschweigen übergehen
können. Dahin gehört erstlich die Ankunft engli-
scher Schiffein Archangel 155z, welches die ersten
in einem russischen Hafen einlaufenden fremden
Schiffe waren, daher auch der Zar einen für Engel-
land sehr vortheilhaften Handelsvertrag mit der Kö-
niginn Elisabeth schloß. Im I. 1569 rückte der
türkische Sultan Selim II. mit einer Macht von
beynahe 200000 Mann gegen Astmkan an, allein
die ganze Unternehmung scheiterte: was dem Schwert
der Russen entkam, mußte für Hunger umkommen,
und von der ganzen fürchterlichen Armee sollen nicht
mehr als etliche taufend Mann wieder in ihr Vater,
land zurück gekommen ftyn. Schrecklicher war
1571 ein Einsall der krimischen Tatarn, welche bis
Moskau vordrangen, einen Theil der Stadt ver-
brannten, und viele Einwohner mit sich in die Skla-
verey schleppten. Die letzte Begebenheit, deren wir
gedenken müssen, ist der Anfang von der Eroberung
Sibiriens, zu welcher in den Jahren 1578 bis
1 584 der Grund gelegt ward. Zwey Jahre vorher
hatte ein gewisser Jermak Tiinofejew mit etlichen
tausend donischen Kasaken die Gegenden an : der
Wolga durch seine Raubereyen sehr beunruhigt.
Der Zar schickte Truppen gegen ihn aus, und Jer-
mak, der ihre Ankunft zu erwarten nicht für rathsam
hielt, gieng in Kähnen die Kama hinauf. Hier
fand er etliche Russen, deren Voreltern sich Bedrss
ckungen halber in Permien niedergelassen hatten:
diese machten ihm eilte so vortheHafte Beschreibung
s;6 Russisches Reich
von Sibirien, und stellten ihm so reizend vor, wie
viele Verdienste und Belohnung er sich erwerben
würde, wenn er dieses jand für den Zar eroberte,
daß Iermak von ihnen weg sogleich nach Sibirien
marfchirte, wo er die Truppen deö Zaren von Si-
birien schlug, die Hauptstadt Sibir wirklich eroberte,
und nun eine Menge Gefangne und Beute nebst ei-
ner Gesandtschaft an den Zar Iwan schickte, die
aber erst nach seinem Tode in Moskau ankam.
Feodor I. Feodorl. warein gutherziger, aber andächteln-
Iwanowitsch schwachsinniger Fürst, der bloß dem Namen
*584 1598- ngch Regent war, alle Staatögeschafte aber seinem
Schwager Boris Ghodunow überließ. Dieser
feine, aber arglistige Mann, muß schon damals die
Idee dereinst den russischen Thron zu besteigen ge-
faßt haben; denn da Fcodor, welcher mit des Boris
Schwester keine Kinder harte, sie in ein Kloster thun,
und sich eine andre Gemahlin« beylegen lasten wollte,
widersehte sich Boris, soviel er nur konnte, indem er
Krieg und andre aus dieser Scheidung entstehende
Unfälle prophezeihte, auch noch hinzu sehte, daß des
Zaren Bruder Dmitri ein Herr sey, in dessen Per-
son man einen tüchtigen Thronfolger erwarten könnte.
Kaum aber sah sich Boris von dieser Furcht befreyek,
als er mit der größten Grausamkeit wider alle die-
jenigen zu wüten ansieng, die ihm nicht auf seiner
Seite zu scyn schienen. Verschiedene Große wurden
gefoltert, erdrosselt, enthauptet oder wenigstens ins
Elend verwiesen, und endlich ließ er (wie man sagt)
selbst dem Dmitri, der der eigentliche Thronfolger
gewesen wäre, umbringen. Feodor starb sieben Jahre
nach dieser Mordkhat, und hinterließ das Reich zwar
von außen beruhigt, (denn 1595 war mitSchweden
ein beständiger Frieden geschlossen worden) innerlich
aber voll desto größerer Gährungen.
Denn
-
in Europa. 257
Wenn auch die Sage, daß Feodorvom Boris Boris Gho.
vergiftet worden sey, keinen Grund hat, so ist doch dunow 1593
soviel gewiß, daß dieser nach des Zaren Tode kein l6o>
Mittel ungebraucht ließ, welches ihm den Weg zum
Throne erleichtern konnte. Geschenke und Verspre-
chungen halfen ihm die Herzen vieler Großen gewin-
nen, sein herablassendes Betragen erwarb ihm die
Kebe des Volks, und diejenigen , welche ihm i nun er
noch hinderlich zu feyn schienen, ließ er heimlich aus
dem Wege raumen. Endlich brachte er e§ fo weit,
daß daö Volk ihn um Uebernehmung der Regierung
ersuchen mußte, und auch da weigerte er sich noch
so lange, als es nur thunlich war, bis er denn dem
allgemeinen Verlangen nachzugeben schien, und sich
öffentlich krönen ließ. Seine Regierung war besser,
als sie von einem Mann zu erwarten war, der nichts
gescheut hatte, wenn <?r nur dadurch seinen zügellosen
Ehrgeiz befriedigen konnte, aber sie war auch zu
kurz , alö daß man genau bestimmen könnte, ob die
Freygsbigkeit und Milde, welche er blicken ließ,
bloß Politik, oder wirklich Karakter feines Herzens
war. Im I. 1604 nämlich, als gerade eine mit
ansteckenden Seuchen vergesellschaftete HungerSnoth
in Rußland wüthete, breitete sich aus einmal das
Gerücht ans, Dmitri Iwanowstsch, welchen Boris '
hatte uinbringen laßen. Habe sich nach Polen
gesiüchtet, von woher er bald, sein väterliches Reich
in Besitz zu nehmen, wieder kommen würde. Was
wir durch russische Geschichtschreiber t>on diesem
Dmitri oder Demetrius, den wir bald eine großes
Rolle werden spielen sehen, wissen, ist folgendes:
Er war der Sohn eines russischen Edelmanns und
sein Name Jurje (Grischka) Gcreprew. Sein
geringes Vermögen nöthigte ihn ein Mönch zu wer-
den) da er denn schon tn der Kutte daö Projekt entwor-
fen haben soll, die Rolle yeö ermordeten Dmitri zu
H Bgns. ü Abth. R spielen.
258 Russisches Reich
spielen. Aus dem Kloster entfloht er nach Polen,
wo er auf einmal sich für Dmitri, den Sohn de6
Zaren Iwan Wasiljewitsch II. auSgab, und als sol-
cher von dem Fürsten Wischnewezky dem König
Sigmund vorgestellt ward. Grifchka spielte entwe-
der seine Rolle so gut, oder das Versprechen, Smo-
lensk und Severien an Polen abzutreten, und dle
katholische Religion in Rußland einzuführen, wirkte
so stark auf König Sigmund, daß er, ohngeach-
tet verschiedene Personen Grifchka für einen Be-
trüger erklärten, ihn dennoch aus allen Kräften zu
unterstützen versprach. Wirklich ward die Gefahr
bald großer, als man sie vielleicht im Anfang geach-
tet hatte. Grifchka rückte mit einem Korps Polen,
welches durch Kasaken verstärkt war, wirklich in
Rußland ein, und viele Städte, welche sich durch
seine schmeichelhaften Manifeste verführen ließen,
öffneten ihm ohne Schwertstreich die Thore. Er
ward den 2 osten Jänner 1605 geschlagen, brachte
«ber bald eine andre Armee zusammen, und rückte
aufs neue gegen Moskau vor. Alles fiel ihm nun
zu, und Boris Ghodunow sähe endlich keine andre
Rettung vor sich, als daß er, um nicht von dem
unzufriedenen Volke der Gewalt feines Feindes
ausgeliefert zu werden, seinem Leben mit Gift ein
Ende machte.
Feeder 11. Bons Ghodunsws SohnFeodor bestieg zwar
Dorissowitsch nun denj russischen Thron, aber die wider Grifchka
l6o5* ausgefchickte Armee wollte ihm nicht einmal den Hul-
digungseid leisten, vielmehrgieng der größte Theil zu
demGrischka über, der nun, ohne weitern Widerstand
zu finden, in Moskau einrückte, und sich huldigen
ließ, nachdem er vorher den Zar, der zween Monate
regiert hatte, hatte umbringen lassen.
Etliche
in Europa. 259
Etliche Wochen lang zeigte sich der falsche Dmitri oder
Dmitri von einer fehl- liebenswürdigen Seite, besuch- GrffchkaOtre.
te die Rathöversammlungen, drang auf mehrere *606.
Wissenschaften und Fertigkeiten bey dem Adel, und
schien alles mit Ernst befördern zu wollen, waö dem
Reiche wirklich nutzbar feyn könnte. Aber bald steng
er an nur solche Handlungen zu begehen, die, statt
ihm Liebe zu erwerben, ihm notwendig den Haß
der ganzen Nation zuzieben mußten. Er suchte die
russischen Kirchen in katholische zu verwandeln, heu«
rathete die Tochter eines polnischen Woiwoden, wel-
che sehr viele ihrer Landsleute und guch katholische
Ordensleute mit inö Reich brachte, und nahm in
feiner ganzen Lebensart polnische Sitten an. Durch
dieses Benehmen und die zügellose Aufführung seiner
Polen erbittert, sagte das Volk nun öffentlich, Dmi-
tri fty ein Betrüger, und bereitete sich allmalig zu
einer Revolte vor, die durch das Gerücht zum
Ausbruch kam, daß er die vornehmsten russischen
Herren zu ermorden beschlossen habe. Der ganze
Anschlag war so heimlich gehalten worden, daß
Grischka nicht das mindeste davon ahndete, bis an
einem Sonntag plötzlich mit allen Glocken in Mos-
kau gestürmt ward, und das Volk den Palast zu
stürmen anfieng. Er versuchte anfänglich die Ruhe
wieder herzustellen, da aber die wüthende Menge
schon einen seiner Lieblinge Basmanow und viele
seiner Leibwache niedergehauen hatte, sprang er zum
Fettster hinaus, brach ein Bein, und ward erschla-
gen. So endigte sich die eilsmonatliche Regierung
dieses Mannes, der mit mehr Schonung der Na-
tionalvorurtheile gewiß den Thron ruhig besessen ha-
ben würde, und über dessen Person dann gewiß kein
Zweifel aufgeworfen worden wäre.
R 2 Der
26o
Russisches Reich
Wasilei Der Fürst wasilei Schuiskoi war einer
Jwanowitsch der größten Beförderer dieser Staatsrevolution ge-
Schuiskoi wesen; aus Dankbarkeit also, und weil er durch sei-
ne Abstaminung von dem Großfürsten Iaroslaw
Wstwolodowitsch einiges Recht zur Krone hatte,
ward er zum Zaren erwählet. Er hatte aber nur
erst sehr kurze Zeit regieret, als neue Abentheurer
unter der Hülle des ermordeten Dmitri ihr Glück
zu machen suchten. Einer von ihnen ward in Tula
gefangen, und mußte den Galgen zieren, aber ein
gewisser Iwan,.der zuvor in Litthauen Schulmei-
ster gewesen seyn soll, stürzte , das Reich in dieselbe
Verwirrung, auö der es kaum heraus war. Dieser
Mensch kam mit einer polnischen Armee nach Ruß-
land, schlug die ihm entgegengeschickten Truppen,
und rückte gerade vor Moskau, wo der Zar, um die
Wuth der Polen zu besänftigen, alle gesungene
Polen, und also auch die Gemahllnn des Grischka
mit ihrer Familie in Freyheit sehen ließ, eine Feig-
heit, die seine Lage noch weit schlimmer machte.
Denn die Wittwe des Grischka, welcher die Aussicht
auf den Thron zu schmeichelhaft seyn mochte, erkannte
den Iwan augenblicklich als ihren ermordeten Ge-
mahl, und viele Russen (so gleichgültig war es ihnen,
wer ihr Herr sey) eilten sich diesem Betrüger zu un-
terwerfen- In dieser Verlegenheit sähe Wasilei kei-
nen andern Ausweg, als bey dem König Karl IX.
von Schweden um Hülfe anzusuchen, der ihn auch
mit 4020 Mann unterstützte. Im Anfang schien
es auch wirklich, als wenn Wasilei die Oberhand
über seinen Feind erhalten würde, bis das Treffen
bey Kluschin 1609, in welchem die russisch,schwe-
dische Armee völlig von den Polen erschlagen ward,
alle seine Hoffnungen vereitelte. Die Schweden
gjengen wieder nach Hause, und die Sieger verfolg-
ten
s6r
in Europa.
fett die Russen nach Moskau, wo nun ein Aufruhr
wider den Zar ausbrach, und er doch ohne weitere
Gewaltthatigkcit des Thrones entsetzt ward-
So war Rußland ohne Zar, der falsche Dmi- Anarchie
tri sowohl als die Polen standen vor den Thoren von *610—13.
Moskau, und die Bojaren waren höchst unschlüs-
sig, ob sie den erster» oder den polnischen Prinzen
Wladislav auf den Thron setzen sollten. Endlich
siegte die Parthey des letzter», und die polnische Ar-
mee ward in die Stadt gelasten, wo sie, so wie in
den übrigen Provinzen, die schändlichsten Greuelkhs-
ren verübte; aber der falsche Dmüri ward zu Kaluga
von seinen Tatar» erschlagen. Au Vergrößerung
dieser Verwirrungen, steng auch der König von
Schwede»/welcher seinen Prinzen Karl Philipp auf
den russischen Thron zu bricen suchte, feindseligzu
handeln an, eroberte Nowgorod, und ließ seine
Truppen immer werter Vordringen. Das brachte
denn endlich die noch patriotifchgesinnten Russen zum
Selbstgefühl; der Fürst Poscharskoi zog eine Armee
zusammen, schlug die Polen, nahm ihnen Moskau,
und nöthigte sie, nach wiederholten Siegen das
Reich zu verlassen.
Die Nation hatte nun drey schreckliche Jahre Dritte Perls-
hindurch zu stark empfunden, welchen Verwirrungen £,*.
sie bey Erledigung des Thrones preis gegeben sty,
als daß sie nicht so bald als möglich bedacht gewesen H^ses Ro.
wäre sich ein Oberhaupt zu geben, welches das Reich manow bis
von innen und außen vollends beruhigen möchte» Peter drnGr.
Rach einigen Zwistigkeiten vereinigten sich endlich ¡^85*
alle Stimmen zum Besten des Michael -8-^^^dorowickch '
rowicsch aus dem Hause Romanow, welcher 1613—45
von mütterlicher Seite der nächste Verwandte des
Zaren Feodor Iwanowitsch war. Noch waren abo
dadurch die Unruhen nicht gestillet» Im Innern
§? Z des
skr Russisches Reich
des Reichs wüteten immer noch Faktionen, und die
Polen sowohl als die Schweden waren beyde noch
wider Rußland in den Waffen. Mit der letzter«
Macht ward r6i 7 zu Stolbowa Frieden geschlossen,
durch welchen Jwangorod, Jamburg und andere
Städte an dieselbe überlassen, Nowogorod aber wie-
der an Rußland abgetreten wurde; mit Polen aber
das folgende Jahr zu Diwilina ein Stillstand auf
vierzehn Jahr eingegangen, wahrend dessen die Po-
len im Besitz von Smolensk, Severien und Czerni-
chew bleiben sollten. Als dieser Stillstand abgelau-
fen war, erneuerte Michael den Krieg, und ließ
Smolensk belagern, war aber bey dieser Belagerung
so unglücklich, daß er in dem Frieden vonWiasmajene
Städte und Provinzen förmlich abtreten mußte.
Alexi Michdk- Doch sein Sohn Ad Nachfolger Alexei, rfn
lowmch. ruhmwürdiger Fürst, war nicht so bald aus dem
1653—76. Throne befestigt, als er diesen für Rußland so schimpf.
liehen Frieden brach, und nicht allein jene Provin-
zen wieder eroberte, sondern auch die Schweden,
welche ebenfalls Eroberungen in Polen machten, feind-
lich angriff. In dem 1656 zu Niemez geschlosse-
nem Stillestande, wurden ihm auch seine polnischen
Eroberungen gelassen, mit Schweden aber sähe er
sich genöthigt, 1661 den Frieden zu Kardis einzu-
gehen, der eine bloße Erneuerung deö stolbowischen
war. Ehe noch aber dieser Friede geschlossen war,
brach 1659 ein neuer polnischer Krieg aus, in wel*
chem die Russen zwar verschiedene Niederlagen er-
litten, aber dennoch alle die Eroberungen durch den
dreyzehnjahrigen Stillstand zu Andrußow 1667 be-
hielten, welche ihnen vorher waren abgetreten wor-
den. Dieser Stillstand war auch für Rußland de-
so nöthiger, da in demselben Jahre die donischen
Kasaken unter Anführung deö Stenka Razin einen
gefah»
in Europa. 26;
gefährlichen Aufstand erregten, Astrakan und andre
an der Wolga gelegene Städte eroberten, und unter
graulichen Verwüstungen 1671 sich Moskau zu nä-
hern anfiengen. Zum Glück erlitten sie jetzt nicht
allein eine harte Niederlage, sondern ihr Anführer
ward selbst gefangen genommen, und in Moskau ge-
viertheilt, wodurch denn die Ruhe wieder hergestellt
ward. Den Ausbruch des Krieges mit den Türken,
welcher wegen ihrer vorgeblichen Ansprüche auf die
Ukraine entstand, erlebte Michael nicht völlig.
Unter dieses Zaren Regierung aber, dessen Ge- Feodor lir
lindigkeit, Sanftmuth und Menschenliebe von den
russischen Geschichtschreibern sehr erhoben werden, sie- ö
len die Türken in die Ukraine, kamen aber nicht
weiter als bis Tschigirin, wo sie gänzlich geschlagen
und zu einem Waffenstillstand auf 20 Jahr genö-
thigt wurden, durch welchen^ ihren Ansprüchen ent-
sagen , und ihre Bundesgenossen, die Tatarn, einige
Landstriche abtreten mußten. Feodor starb aber noch
vor gänzlicher Bestätigung dieses Vertrages, ohne
leibliche Erben nach sich zu lassen.
Da Iwan nicht einmal den vollen Gebrauch Iwan in unk
seines natürlichen Verstandes hatte, so war auch Pe- Peter I Ale/-
ter allein von dem letzten Zaren zum Thronfolger er-
nannt worden, allein diese Verordnung ward durch IJ° ^
die Sciiwester des Zaren und dieser beyden Prinzen,
die stolze und herrschsüchtige Sophia, welche einen
Aufruhr der Strelitzen erregte, bald umgestoßen, und
beyde Brüder zu gemeinschaftlich regierenden Zaren,
Sophia aber zur Mitregentinn erkläret. Indessen
war sie auch damit noch nicht zusrieden: vielmehr
sah sie mit dem äußersten Verdruß, daß Peter sich
um alle Reichsangelegenheiten bekümmerte, und ihr
sowohl als ihrem Liebling Golizin (einem übrigens
verdienstvollen Manne, der 1687 einen eigenen Frü
R 4 den
>
264 Russisches Reich
den mit Polen schloß, auch 1687 und [1 äZZzwey ver-
heerende Feldzüge in die Krim that) gar nicht alles was
sie wollten, zu thun erlaubte. Nun ward Peters Ver-
derben beschlossen,aber etliche vonden 600 Strekitzen,
welche gedungen waren, ihn,seine GemahLinn Eudoxia^
und seine Schwester Natalie zu ermorden, entdeckten
das ganze Unternehmen. Sogleich gab Peter dem
Adel und Senat Nachricht von der Verschwörung;
Sophia nxuö in ein Kloster gebracht, Golizin an
einen einsamen Ort verwiesen, und Peter trat nun,
da fein Bruder freywitlig abdankte, in seinem steberr-
zehnten Zähre die Alleinherrschaft feines Reiches an.
Vierte Perio< Wenn irgend ein Monarch Epoche in der Ge-
de, ftitPeker' schichte machet, irgend einer des Beynamens des
^mGrosien. G^ßcn würdig gewesen ist, so gilt dieß von pe-
^ ter I. Mal, denke sich einen Staat von dem Um»
V,J fange de6 Russischen, ohne Gewerbe, Fabriken,
Handel, Künste, Wissenschaften, ohne innere und
äußere Starke, ohne Einfluß in die europäischen
StaatSo.eschafte, dessen Regierungösorm wild und
barbarisch, dessen Kriegsmacht ohne Disciplin ist,
und dessen Einwohner meist das stärkste Vorurtheil
wider die geringste Annahme besserer Sitten und grös-
serer Landeskultur empfinden, und dann entscheide
man, ob der Mann nicht Epoche macht, nicht groß
ist, der die Idee, einen solchen Staat umzusorrnen,
nicht allein fasset, sondern auch über alle Erwar»
tuug ausführ et. — Die Veredlung seines Vol-
kes, und ty'e Kultur seines Reiches, ist der Plan, der
unleugbar bey allen feinen Handlungen zum Grunde
lag. Deswegen rief er Fremdein sein Land, er»
munterte den jungen russischen Adel zur Bereisung
andi^r Staaten, und deshalb suchte er seine Unter»
than'en Turch manche jetzt sonderbar scheinende Ver-
ordnungen, an mildere Sitten zu gewöhnen. Zu
Emch»
m Europa-. 265
Errichtung einer völlig auf europäischen Fuß gescß»
ten Landmacht., ward durch eine Kompagnie von-
fünfzig jungen Edelleuten, welche ein geborner Gen-
fer, Le Zort, kommandirte, und bey der der Zar (um
seinen- Unterthanen ein Beyspiet der Kriegszucht zu
geben) einige Zeit als Trom molsch Läger diente,
der Anfang gemacht. Perer schuf nun auch eine
Seemacht, die aus verschiedenen kleinen Schissen
bestand, und durch deren Hülfe er die Festung Asow
nach einer blutigen Belagerung 1696 eroberte. In-
dessen, so froh auch wahre Patrioten über Peters Un-
ternehmungen seyn mußten, so war doch die Parthey
derer, welche gern gesehen hatten, wenn die Russen
in ihrer ehemaligen Unwissenheit geblieben waren,
nicht klein; und die arglistige Sophie, ob sie schon
im Kloster war, wußte dennoch Mittel zu finden,
das Murren, welches m allen Standen gemein war,
noch weiter zu treiben. Sie spann eine neue Ver-
schwörung wider Peters beben an; aber die bestimm-
ten Mörder selbst entdeckten den gefaßten Plan, und
Peter war gwßmüthig genug, seiner Schwester ih»
ren fruchtlosen Versuch noch einmal zu verzeihen,.
Noch in demselben Jahre-1697 verließ Peter unter
einem angenommenen Namen in dem Gefolge seiner
Gesandtschaft seine Staaten, nicht um die Laster und
Narrheiten des Auslands wieder in dieselben zurück
zu bringen, sondern in der edkern Absicht, fremde
Kunst und Wissenschaft zu erlernen.
Da auch vorzüglich das Seewesen eine der
Hauptabsichten seiner Reise war, so hielt er sich eine
geraume Zeit in Holland auf, ließ sich in Saardam
unter die Schiffszimmerleute einschreiben, und ar-
beitete da in allen Theilen der Schiffsbaukunst.
Hier erhielt er auch die Nachricht von Erledigung
des polnischen Thrones, und von hieraus erkheilte
R Z er
266
Russisches Reich
er dem Kurfürsten von Sachsen die Versicherung,
ihn mit ZOOVO Mann- zu unterstützen. Aus Hol-
land gieng er nach England, wo er sich in der Schiffs-
baukunst vervollkomnete, und, wie überall, wo er
hinkam, geschickte Leute in seine Dienste nahm. Er
hatte sich auch vorgenommen Italien zu besuchen, aber
aus Wien ruste ihn die Nachricht, daß die nimmer
ruhige Sophie einen neuen Aufstand unter den Stre-
litzen erregt hätte, nach Moskau zurück. Dießmat
kam er als unerbittlicher Richter; die Strelitzen wa-
ren schon vor seiner Ankunst von den Generalen Gor-
don und Schein geschlagen worden, und nun wur-
den auf 3000 von ihnen hingerichtet, die übrigen
aber im ganzen Reiche zerstreuet, bis 17a;, da sie
sich in Astrachan auss neue empörten, das ganze
Korps völlig aufgehoben wurde. Verbesserung deS
Finanzwesens, Milderung der Narionalsitten durch
Anlegung nützlicher Schulen und andere Anstalten,
Einschränkung der Geistlichkeit beschäftigten Petern,
bis das achtzehnte Jahrhundert seinen Talenten eine
neue Laufbahn eröffnete.
Die Türken hatten zar in dem karlowitzer Frie-
den Asow abtreten müssen, aber Peter harre auch
gern eine Seemacht an der Ostsee gehabt, und diese
zu erlangen, war der Besitz von Jngermanland und
Karelien, war ein Krieg mit Schweden nothwendig.
Wir haben in der schwedischen Geschichte gesehen,
wie er, mit August von Polen und Friedrich von
Dänemark vereinigt, den jungen König von Schwe-
den Karl XIl angriff, und wie der letztere der russi-
schen ungleich stärkern Armee bey Narva, eine em-
psindliche Niederlage beybrachte. Dieses Treffen
würde für Karl entscheidend gewesen seyn, hätte er
einön ändern Gegner als Peter, für den jede Nie-
derlage Weg zum Siege war, gehabt. Peter fand
in
*
in Europa. 267
in feinem Geiste so viel wichtige Hülfsmittel, wußte
den geringen Vortheil, den seine Truppen erfochten,
so geltend zu machen, daß sie an Fechten und Sie-
gen gewöhnt wurden, und er sich bald Meister von
Jnqermanland, einem Theil von Livland und Kur-
land sähe. Nun baute er Petersburg, und zu der-
selben Zeit, da er die Beschwerden des Krieges zu er-
dulden hatte, fuhr er auch unermüder fort, durch
Ansetzung neuer Kolonisten, Verbesserung der Schaf-
zucht, Errichtung verschiedener Manufakturen, neue
Gesetze und dergleichen, an dem Wohlstand seines
Reiches zu arbeiten. Mit sehr wankelmüthigem
Glück ward der Krieg indessen fortgesetzt, bis Karl
XII, nachdem er den König August zum Frieden
gezwungen hatte, den stolzen Gedanken faßte,
den Zar vom Throne zu stoßen, und in dieser Ab-
sicht durch Polen in Rußland einbrach. Schon hak-
te er die meisten Schwierigkeiten überwunden, und es
war noch um etliche Marsche zu thun, so war er in
einem mit allen Bedürfnissen versehenen Lande.
Mazeppa aber, ein Attaman der Kasaken, verleite-
te ihn, seinen Weg nach der Ukraine zu nehmen, wo
er mit einer starken Armee zu ihm zu stoßen versprach.
Zum Unglück fürKarln verabscheuten aber die Kasa-
ken diese Verratherey,und verließen ihren Feldherrn,
der nun als ein Flüchtling genöthigt war, bey den
Schweden eine Zuflucht zu suchen; und damit nicht
ein Unglück allein käme, so wurde der General Lö-
wenhaupt, welcher mit i 5000 Mann und einer
Zufuhr von Lebensmitteln bey der königlichen Armee
erwartet wurde, von den Russen geschlagen und ihm
Lebensmittel, Kanonen und Gepacke abgenommen.
Endlich kam eö 1709 zu dem berühmten Treffen bey
Pultawa, welches den Zar und das ganze russische
Reich errettete. Karl ward völlig geschlagen, der
Rest seiner Armee mußte daö Gewehr strecken, und
Peter
4
sêF Russisches Reich
Peter harte auf einmal den König August, Preußen
rmd Dänemark zu Bundesgenossen, welche alle den
günstigen Augenblick zu benutzen suchten. Eine Er-
oberung folgte nun der andern, und Karl gab sich
indessen in Bender, wohin er geflohen war, alle
Mühe, die Osmanen zu einer Kriegserklärung gegen
den Zar zu bewegen. Wirklich kam es 1711 zwi-
schen beyden Machten zum Kriege; der Zar führte
seine Truppen in die Moldau, ward aber am Pruth
von 250000 Türken und Ta tarn, (er hatte aufs
höchste etliche gv000 Mann unter seinem Komman-
do) dergestalt emgefchlossen, daß ihm nichts weiter
übring war als sich durchschlagen, oder Hungers
sterben, oder das Leben mit Einbuße der Freyheit
erkaufen. Die meisten Generals stimmten für das
erste, aber die Uneinigkeit, welche zwischen dem er-
sten Visir und Karl herrschte, die friedliebenden Ge-
sinnungen des türkischen Sultans, und die weifen
Anschläge, welche Peters zwote Gemahlinn Aarha-
rckna, die ihn bey diesem Feldzuge begleitet hatte,
gab, retteten den Zar aus dieser schrecklichen Lage»
Der Friede ward den 2 z sien.Julius zu Faltschij un-
rerzeichnet, und kostete Petern die Rückgabe von
Asow, die Schleifung von Taghanrogh' und das
Versprechen, dem König von Schweden bey der
Rückreise in seine Staaten nicht hinderlich zu styn»
Nunmehr setzte Peter den Krieg wider Schweden
mit verdoppeltem Eifer fort; seine Truppen siegten in
Pommern und Finnland, und seine Flotte schlug die
schwedische in der Ostsee: so sehr hatte dieser einzige
Mann seine Nation schon umzuschassen gewußt»
Vielleicht wäre er 'noch Bundesgenosse von Schwe-
den geworden, hätte nicht der Tod Karls XI! den po-
lichschen Angelegenheiten des Nordens eine andre
Wendung gegeben. Der schwedische Minister Ba-
ron von Görz soll näinlich mit dem berühmten spa.
r. uischen
in Europa.
269
Nischen Kardinal Alberoni einen Plan entworfen haben,
nach welchem Anglist des polnischen Thrones, und
auch Georg I König von Großbritannien des seini-
gen entsetzt werden, und den letztern der Prätendent
wieder besteigen, überhaupt aber das ganze System
unrgeschmolzen werden sollte. Peter soll auf
der Reise, welche er 1716 in Begleitung seiner Ge-
mahlinn nach Holland und Frankreich gethan hatte,
viel mit GörZen darüber unterhandelt haben; Karls
Tod aber zerstreute, wie gesagt, die Entwürfe, wel»
che etwari im Werke seyn mochten und Peter setzte
nun den Krieg gegen Schweden fort, bis ihm 17's1
ganz Liv » und Esthland, Jngermauland und ein
Theil von Finnland abgetreten wurde, worauf er
den Titel Rarster zum erstenmale annahm. Auch
die letzten Jahre dieses Krieges war er nicht nachläs-
sig in der Kultivirung feines Reiches geblieben. Er
verschönerte Petersburg, rief Handwerker, Fabri-
kanten und Bergleute in seine Staaten, bauete Ka-
näle und suchte den Handel auf einen soliden Fuß zu
setzen. Leider mußte Peter sehen, daß stein Sohn
erster Ehe Alepej, den er mit einer braunschweigischen
Prinzeßinn vermahlt hatte, noch durchaus der alten
Barbarey seines Vaterlandes ergeben war, daß er
noch bey Lebzeiten und nach dem Tode seiner Gemah»
linn, die er ächt altrussisch behandelt hatte, sich den
schändlichsten Ausschweifungen überließ, und überall
einen halb aus Blödsinn, halb aus Wildheit zusam-
mengesetzten Karakter zeigte. Deshalb hatte ihn
der Kaiser von der Thronfolge ausgeschlossen, abep-
hart war es, wenn anders keine Unrichtigkeiten bei-
den Erzählungen dieser BegebKiheit Vorkommen, .
daß dieser mehr beklagens- als strafwürdige Prinz,
als er von seiner Entweichung nach Neapel wieder
zmHckgebracht war, als ein Verbrecher der beleidig-
ten Majestät, 1718 in der Festung von Petersburg,
a7o Russisches Reich
wirklich enthauptet ward. — Peter war groß in
jedem Betracht, aber nicht selten wandelte ihn ein
Ueberbleibsel von Barbarei) an, daö ihn zu Hand-
lungen hinriß, die nicht das Gepräge der Güte tru-
gen. — Die Besitznehmung der persischen Provin-
zen Daghestan, Schirvau, Ghilan, nebst den
Städten Baku und Derbend, war die letzte in et-
was kriegerische Unternehmung dieses Monarchen.
Die eigentliche Ursache dazu war, weil er gern den
wichtigen persischen Seidenhandel an sich ziehen woll-
te, die angebliche, weil in den damaligen Unruhen,
wodurch Persien zerrüttet ward, eine Gesellschaft
russischer Kausteute umgebracht worden war, wegen
deren Ermordung Pe^er vergeblich Genugthuung ge-
fordert hatte. Er hatte dem Feldzüge selbst beyge-
wohnet, aber seine Gesundheit ward von Tage zu
Tage schwacher, und der 8te Hornung 172 z war
der Todestag eines Mannes, der, man mag nun
auf die Talente feines Geistes und Herzens, auf die
Beschaffenheit seiner frühem Bildung, oder auf die
großen Dinge sehen, die er ausführte, wenige sei-
nes gleichen in der Geschichte hat.
Katharina I. Die Nachfolgerinn Peters des Großen war von
1725—27. geringer Herkunft, wahrscheinlicher Weise ein Kind
der Liebe. Sie ward bey Einnahme des Städtchens
Marienburg in Livland 1704 eine russische Gefan-
gene, und gesiel dem Zar dermaßen, daß Fürst
Menschikow, der sie bey sich hatte, sie ihm überlast
fen mußte. Durch ihr klug eingerichtetes Betragen
setzte sie sich immer mehr in der Gunst des Monar-
chen fest, bis er >711 die vor etlichen Jahren ge-
fchloffene heimliche Vermahlung mit ihr bekannt
machte, und sie als Gemahlinn mit in die Moldau
nahm, wo ihr kluger Geist Rußland von der großen
Schmach,
in Europa. 271
Schmach, die ihm bevorstand, besreyte. Sie be-
gleitete ihn auch auf seiner zwoten Reise, und er-
warb sich überall allgemeine Liebe und Achtung, und
im Jahr 1724 wurde sie in Moskau mit der größ-
ten Feyerlichkeit zur Kaiserinn gekrönt. Diese Krö-
nung war auch der Grund, auf welchen Menschikow,
Iaghufhinskoj und der holsteinische Minister von
Baffewitz ihr Recht zur Thronfolge bauten. Ehe
noch Peter starb, ward in der Stille daran gearbeitet,
sie mit ihren Töchtern in ein Kloster zu stecken, und
Peters Enkel, den Prinzen Peter Alexjewitscd, auf
den Thron zu sehen. Iaghushinskoj erfuhr dieses
Vorhaben, und nun wurde ein so ferner Gegenplan
angeleget, daß sie ohne Aufsehen als unumschränkte
Herrscherinn des Reiches erkannt ward. Menschi-
kow, ebenfalls ein Mann den Peter aus der Niedrig-
keit zu sich empor gehoben hatte, ein feiner, listiger,
stolzer und ehrsüchtiger Kopf, war die Seele dieser
Regierung, die zu kurz war, als daß wichtige Bege-
benheiten in derselben Vorfällen könnten. Das Wich-
tigste, was hier etwa« zu bemerken wäre, ist die Ver-
mahlung der Prinzesstnn Anna mit dem Herzog Karl
Friedrich von Holstein, dem die Kaiserinn sowohl
die Thronfolge in Schweden, als die Rückgabe fei-
nes Antheils von Schleswig, welchen Dänemark im
Besitz hatte, zu verschaffen bemüht war. In dem-
selben Jahr 1725 vermehrte sie auch ihre persischen
Besitzungen. So sehr sie sich übrigens aber angele-
gen seyn ließ, durch Verbindung mit Oesterreich und
andern Mächten sich von außen gefürchtet,^ und
durch gelinde Regierung bey ihren Unterthanen be-
liebt zu machen, so gab es doch so viel Misvergnüg-
te, daß man sogar bey ihrem Tode behauptete, sie
würde wahrscheinlicher Weise gestürzt worden seyn,
wkm sie länger gelebt hätte. '
272
Russisches Reich
Peter n. Peter II, ein Sohn des unglücklichen Alexej,
$727— 30, bestieg nun vermöge des letzten Willens der Kaise-
rin!! den Thron« Da er-aber nur erst zwölf Jahr
alt war , so verwaltete Meuschikow die ganze Regie-
rung, der auch den Kaiser mit seiner Tochter ver-
lobte, und nun fest auf dem Gipse! des Glücks zu
flehen glaubte. Indessen ward eben der Stolz, mit
Hem er jedermann als Schwiegervater des Monar-
chen begegnen zu können glaubte, die Ursache seines
-Falles ; der Kaiser ward mißtrauisch, und seineFem-
de, unter denen die Fürsten Dolgorukoj oben an stan-
den, wußten dieses Miskrauen so sehr zu erhalten und
Zu vermehren, daß er noch 1727 im September m
Ungnade kam, und den Rest seinesLebens zu Be-
rezow in Sibirien zuzubringen verurtheilt ward, wo
er 1731 aus Vollblütigkeit starb» Die Dolgorukoj
traten nun an Menfchrkows Stelle, ste genossen das
unumschränkte Vertrauen des jungen Kaisers, sie
leiteten alle seine Schritte, und ste verwickelten ihn
in so viele Zerstreuungen, daß man wohl sähe, ih.
re Absicht sey, ihm alle ernste Geschäfte zu verekeln,
und sich aus die Dauer der Herrschaft über ihn zu
bemeistern. Deswegen ward auch die Vermahlung
des Kaisers mit der Prinzessrnn Katharina Dolgo.
-rukoj entworfen, einem schönen und edlen Mädchen,
das aus den Armen eines geliebten Gegenstandes
gerissen ward, um das Schlachtopfer des Ehrgeizes
zu werden. Die Verlobung war schon vollzogen,
und in kurzem sollte die Vermahlung erfolgen, als
der Kaiser im Anfang des Jahres ,730 die Pocken
bekam, und Ln wenig Tagen starb. Ein Grenz.
. vergleich mit Sina, und die Rückgabe der ineisten
persischen Eroberungen, sind übrigens die einzigen
politischen Denkwürdigkeiten unter Peters II Regie-
rung, von dessen langerm Leben man sich mit Recht
Hie schmeichelhaftesten Hoffnungen machte.
Mit
in Europa.
27;
Mit Peter II war der Mannsstamm des Hau« Anna
ses Romanow erloschen, und da niemand geneigt
schien der kaiserlichen Braut die Krone anzutragen,
so wurde die Tochter des Zaren Iwan Alepjewitsch,
Arma, verwiktwete Herzoginn von Kurland, erwäh-
let, ihr aber zugleich eine Kapitulation vorgelegt, m
der sie nur durch den höchsten Rath, der aus dev
Familie der Dolgorukoj und ihren Verwandten be-
stand, zu regieren versprechen mußte. Anna ver-
sprach alles, aber kaum war sie in Moskau ange-
kommen, als sie sich um Anhänger bemühte, die
Leibwachen zu gewinnen und Uneinigkeit unter den
Großen auözustreuen suchte. Alles gerieth ihr näch
Wunsche, und etliche Wochen nach ihrer Thronbe-
steigung war die alte unumschränkte Macht völlig
wieder hergestellet. Diese Veränderung war der
Sturz der Dolgorukys: sie kamen zwar mit dem
Leben davon, wurden aber ihrer Würden entsetzt
und in entfernte Gegenden des Reiches verwiesen.
Im Jahr 1732 schloß die Kaiserin« gleichfalls einen
Traktat »nit Persien, wodurch die übrigen Provin-
zen, da deren Behauptung zukostbar fiel, und die
Russen sich an jenes Klima nicht gewöhnen konnten,
gegen einige Handelsvortheile zurück gegeben wur-
den. Der Tod König Atzgusts II von Polen ver-
wickelte Rußland, welches die Wahl seines Prin-
zen unterstützte, in die polnischen Unruhen, von
denen wir in der polnischen Geschichte zu sprechen
schicklichere Gelegenheit haben werden. Die,Kai«
serinn schickte auch 10020 Mann zu Unterstützung
der österreichischen Waffen wider Frankreich an den
Rhein, deren Annäherung die Wiener Prälimina-
rien eben so stark beförderte, als der Kurfürst von
Sachsen die Erlangung der polnischen Krone «tn«
zig und allein der russisches Hülse zu verdan
ken hatte. Frankreich halte indessen alles an-
. II Land. II 2lbtb, S gewandt
274 Russisches Reich
gewandt, sowohl Schweden als die Türkei wider
Rußland aufzuwiegeln, da aber daL erste 1795 den
Alliauztrakrat von 1724. erneuerte, so beschloß Anna,
welche schon mit dem römischen Kaiser einverstan.
den seyn mochte, selbst mit den Türken zu brechen,
da diese noch dazu wegen der Streisereyen der krimi-
scheu Takarn sich zu keiner hinreichenden Genugtu-
ung verstehen wollten. Zu Ende des Jahres 17z;
rückte ein Korps russischer Truppen in die Nogaj,
allein die einbrechende Kalke nöthigte dieses Korps,
nachdem es wohl 1 cooo Menschen und eben so viel
Pferde verloren hatte, in die Ukraine zurückzu keh-
ren. Im solgendeu Jahre, da man den Krieg wider
die Pforte, wider die Meynung der meisten StaatS-
rathe, erklärt hatte, rückte ein Therl der Armee vor
Afom, welches auch bald übergeben wurde, und
die Hauptarmee drang unter dern FAdwarschall
Münnich in die Krim ein, und verwüstete dieselbe,
mußte aber ebenfalls wieder in die Ukaine zurückkeh-
reu, nachdem fast zoooo Mann meist durch Be- /
fchwerden und Krankheiten darauf gegangen waren-
Der neue Feldzug ward wider Otfchakow gerichtet,
diese Festung erobert, und so wohl in diesem als dem
folgenden Jahre der Krieg zwar mit Glücke, aber
doch ohne Vortheil fortgesetzt. Im Jahr 1739
gierigen die Rußen nach der Moldau, schlugen die
Türken bey Stawutschan, eroberten Chotschin, be-
setzten die Moldau, und waren nun erst im Begriff
Len Krieg nützlich zu führen, als ihre BundeSgenost
sen, die Oesterreicher, einen besondern Frieden schlos-
sen, und Rußland, daö in Schweden allerley ihm
nachtheilige Bewegungen verspürte, diesem Bey-
spiel «achzufolgen genörhigt ward, ohne daß e6 mit
allen seinen Siegen mehr als Afow ohne Festungs-
werke, und ohne die Erlaubniß eine Flotte zu hal-
ten, erlanget hatte- Gegen das Ende des Iahreö
*739,
in Europa» 275
i ' ■ /. '
*739/ wurden zwo Konspirationen entdeckt, davon
die erste von den DolgoruckyS wider die Kaiferinn
selbst, die zwote aber- an deren Spiße der Kabi-
netsniinister Wolinsky stand- wider den Herzog von
Kurland Biron, und den Grafen Ostermann ge-
gerichtet war. Die Missverständnisse mit Schwe-
den, welches eifrigst einen Krieg mit Rußland
wünschte, wurden imnler ernsthafter und die Kaiser
serinN ließ schon alle dazu gehörigen Anstalten Mää
chen, als sie im Octöber des Jahres 1740 mit Tös
de abgieng;
Die Kaiferinn hacke ihrer Schwester, der Hör- Iwan iist
zöglNn von Mecklenburg Tochter- Anna/ mit t>ent
Prinzen Anton Ulrich von Braunfchweig. Wolfen-
büttel vermählet; aus dieser Ehe war 174.0 im Au-
gust der Prinz geboren worden- der nun unter dem
Namen Iwan III, und bis zu feinem siebenzehn-
ten Jahre unter der Aufsicht des Herzogs von Kur-
land , Johann Ernst von Biron, den russischen
Thron besteigen sollte. Kaum hatte aber dbr Her-
zog Regent fein Glück drey Wochen genossen - als
er durch Hülfe des Generals von Münnich von dev
Mutter des Kaisers gestürzt, in Verhaft genommen-
sie selbst zur GtoßfürstinN Und Regentinn erklärt,
und er mit seiner Familie nach Sibirien verwiesen
wurde. Rußland war nie mit mehr Gelindigkeit
beherrscht worden alö wahrend dieser Regentschaft,
allein sie selbst ließ sich zu sehr von ihrer Vertrau-
ten- Juliane von MengdeU, beherrschen/ wäre um
thätig- und ließ sich so übel leiten- daß die Revo^
lution, die dem russischen Reich einen andern Be-
herrschergab- desto leichter von Statten gehen muß-
te. Während daß am Petersburger Hofe sich alles
in Faktionen zertheilte- brach Schweden voll von
ipänmerifchen Eroberungsprojekteu, und verleitet durch
S 3 Franko
276 Russisches Reich
Frankreich, welches Rußland gern abhalten wollte
Oesterreich zu Hülfe zu kommen, auf einmal im Au-
guft 1741 mit einer Kriegserklärung los, die aber,
wie wir in der schwedischen Geschichte gesehen haben,
von schlechter Wirkung war, ohngeachtet die Be-
freyung der Russen von dem Joche der Fremden
schwedischer SeitS als ein wichtiger Grund des
Kriegsausbruches angegeben ward. Was indessen
die Regentinn nicht von den schwedischen Waffen zu
befürchten hatte, das bewirkte die Prinzeffinn Elisa-
beth, PeterS des Großen Tochter, die in. der Nacht
vom 5ten zum 6ten Christmonats durch Beyhülfe ih.
res Leibarztes l'Estocq und der preobraschenkischen
Leibwache, nach Arretirung der Regentinn, ihres
Gemahls und deö jungen Kaisers, so wie der Grafen
Ostermann, Münnich und Golowkin, sich des Thro-
neS bemächtigte. Die Großfürstin« und ihr Ge-
mahl starben beyde zu Cholmogori, der junge Kaiser
aber ward 1764 zu Schlüffelburg ermordet.
Elisabeth So war Elisabeth, eine Dame von fast zu
1741—62. mildem gütigem Karakter, russische Kaiferinn. Sie
setzte den Krieg mit Schweden fort und nöthigte es
zu dem Frieden von Äbo, in welchem außer der
Abtretung eines Theils von Finnland auch ausge-
macht ward, daß der Herzog AdolfFriedrich von Hol-
stein die schwedische Krone erlangen sollte, weil Eli-
beth den bestimmten Kronerben Karl Peter Ulrich
von SchleSwig.Holstein, unter dem Namen Peter Feo-
dorowitfch, zu ihrem Nachfolger bestimmt hakte, der
stch 1745 wie der jetzt regnendenKaiferinn, damals
Sophie Friederike Auguste von Anhalt. Zerbst ver-
heurathete. Bis zum Jahr 1756 genoß Rußland ei-
neö tiefen äußern Friedens, damals aber nahm Eli-
sabeth an dem in Teutfchtand ausgebrochenen österrei-
chisch-preußischen Kriege den lebhaftesten Antheil,
tn Europa. 277
und ließ den General Apraxin in Preußen einrücken.
Die entgegengestellte preußische Armee ward geschla-
gen, und die Russen, an Statt weiter vorzudringen,
giengen, vermuthlich weil sie von dem Thronfolger
solche Anweisung hatten, wieder nach Kurland zurück.
Nun schickte die Kaiserinn den General Fermor,wel-
cher bis in die Mark vordrang, aber ebenfalls zurück
berufen, und durch Soltikow abgelöfet wurde, der das
Treffen bey Kunnerödorf gewann, dann ebenfalls
unthatig ward, und seine Stelle dem FeldmarschalL
Butturlin überlassen mußte. Man versprach sich viel
von seinen Unternehmungen, als durch den Tod der
Kaiserinn das politische System Rußlands auf ein-
mal verändert wurde.
perer III war der eifrigste Verehrer des Königs Peter in
von Preußen und aller preußischen Einrichtungen: die 1762.
erste Handlung seiner Regierung war also auch, daß
er nicht nur Frieden mit Preußen schloß, sondern so-
gar seine Truppen zu denen des Königs stoßen ließ.
Er rüstete sich auch gegen Dänemark, um die An-
sprüche des holsteinischen Hauses wider diese Krone,
mit den Waffen zu unterstützen; zum Ausbruche eines
Krieges konnte es aber um so weniger kommen, da er
nur etliche Monate auf dem Thron saß, und seine
Nachfolgsrinn das gute Vernehmen zwischen Rußland
und Dänemark wieder herstellte. Peterö Seele war
im Grunde nicht leer von großen Ideen und Entwür-
fen, und er gab wirklich manches Gesetz, traf manche
Einrichtung, die dem Besten der Nation sehr angemes-
sen waren, aber sein oft so niedriges Betragen, seine
Unkenntniß des russischen Nationalkarakters, seine
Verachtung deö Adels und ber Geistlichkeit, seine Vor-
liebe für seine Holsteiner und für preußische Einrich-
tungen, die er überall einführen wollte, und die unbe-
sonnene Erklärung, sich von der Kaiserinn scheiden zu
4 S 3 lassen
Russisches Reich
lassen, und feine Matresse die Gräfin» Woronzow zu
Heurathen, beförderten seine Absetzung. Ehe eresver-
muthete, hatte die Kaiserinn schon ein Korps von
25000 Mann unter ihren Befehlen, und wie Peter
die ihm drohende Gefahr erfuhr, war er so verwirrt,
daß, statt nach Teutfchland zur Armee zu gehen, er sich
arretiren ließ, und die Akte seiner Absetzung Unter-
zeichnete»
Katharina II- So schnell diese Revolution vor sich gieng, so
M ^762. wenig machte sie Aufsehen, und es waren im Gegen-
gentheil gewiß die meisten mit der Thronbesteigung
einer Dame zufrieden, die durch ihre Klugheit und
Sanftheit sich allgemeine Liebe erworben hakte. Auch
ist ihre ganze bisherige Regierung eine Reihe großer,
zum Besten ihrer Reiches abzweckendes Handlungen
gewesen, und Rußlands Ansehen ist nie so hoch als un-
ter ihrem Zepter gestiegen gewesen.— Sie bestätigte
zwar den Frieden mit Preußen, aber sie zog zugleich
pie russischen Truppen von der preussischer, Armee,
zmd beförderte dadurch den allgemeinen Frieden. Sie
half den Grafen Poniatowsky nach Augusts Ill Tode
auf den polnischen Thron fetzen, und unterstützte die
Gerechtsame der Dissidenten in diesem Reiche (man
s. d« poln. Gesch.) mit ihren Waffen, wodurch 176^
-in Krieg mit den Qfmanen ausbrach, der mit dem
größten Glücke geführt und beschlossen ward. Otscha-
ifow, Bender, die Krim, die Moldau und Walachay
purden, nach wiederholten Niederlagen der Türken,
von ihren Armeen erobert, und ihre Flotten, die ersten
russischen, welche durch die Straße von Gibraltar ge-
segelt waren, bemachtigt/n sich verstl-iedener Inseln
des Archipelags und verbreiteten Furcht und Entse-
tzen bis nach. Konstantinopel. Waren damals di-
Europäischen Machte einstimmig bey Unterdrückung
der Türken gewesen, hatten die Siege Rußlands
iit Europa» 279
nicht alterley Besorgnisse bey ihnen erreget, so würde
Katharina gewiß dem Reiche der Ofmanen in Eu-
ropa ein Ende gemacht haben. Indessen erhielt die
Kaiserin« doch in dem 1774 zu Kutfchuk Kainard-
schi in Bulgarien geschlossenen Frieden verschiedene
Festungen, eine ansehnliche Summe Geldes und
die fteye Schifffahrt in den türkischen Gewässern,
auch ward die Krim unabhängig erklärt, und 1772
hatte sie, ihren Ansprüchen an die Republik Polen ¿u
Folge, einen Theil von Lithquen in Besitz genom-
men. Während dieses Krieges war 1773 in dem
südlichen asiatischen Rußland ein gefährlicher Auf.
rühr ausgebrochen, da ein Kasak Namens Iemelka
Pugatfchev, der sich für Peter Hl ausgab, an der
Spitze von mehr denn 30000 Mann, schreckliche
Greuelthaten verübte, und nicht nur viele Fabriken
und offene Plätze, sondern auch die beträchtliche
Stadt Kasan verwüstete, bis er durch den Obersten
Michelson, der ihn vorschiedeuemal mit einem un-
gleich kleinern Korps geschlagen hatte, aufs äußer-
ste gebracht, von seinen eigenen Leuten ausgelieferk
und in Moskau hingerichtet wurde. Im Jahr
1780 bewirkte Katharina die unter dem Namen der
bewaffneten rTkeutralität bekannte Verbindung
der nordischen Machte, zu welcher auch Oesterreich
und Preußen traten, welche den Endzweck halte§
Handlung und Schifffahrt wider die Eingriffe der
kriegführenden Machte zu schützen. Die Unruhen,
welche in der Krim ausbrachen, und die darauf fol-
gende Unterwerfung dieses Landes, ließen 178;
einen neuen Türkenkriea befürchten, allein die Pfor-
te, welcher auf der einen Seite Rußland auf der
andern Oesterreich drohte, wollte lieber im Anfänge
des Jahres 1784 einen Vergleich eingehen, in wels-
chem sie, außer der Genehmigung der Unterwerfung -
der Krim, Rußland noch eine Menge wichtiger
f S 4 -- Handels--
280 Russisches Reich in Europa.
Handelsvortheise zugestand, als sich dem muthmaß-
!ich schlechten Erfolge eines Krieges aussetzen. —<
Was Katharina übrigens für die Bevölkerung, den
Landbau, Handel, die Erziehung, die Wissenschaf-
ten und Künste gethan, wie sie unablässig daran ge-
arbeitet hat, ihr Land gesittet und ihre Unterrhanen
glücklich zu machen, das haben wir meist schon hier
und da angedeutet. Uebrigens wird ihre Geschichte
unstreitig ein wichtiges Stück in der allgemeinen Ge-
schichte der Menschheit bleiben; ihr Geschichrscdrei-
ber müßte aber ein edles empsindungsreiches Herz,
eine lichtvolle Seele haben, um aus den Handlun-
gen dieser großen Frau den Geist überzuziehen,
der sie auf eine so merkwürdige Weise unterscheidet.
%
vir. Preus-
P r e rr s s e ri.
i
S 5
P
Hülföquellen zu Preußen.
Büschings Gesgraphie.
Europens Produkte.
Natargeschichte vs» pkeoßen. 4 Theil. 8.
1784^
L.
Deffdu
SB
in vieler Rücksicht glückliche Königreich MgemeL,
Preußen gränzt gegen worden an Gcha- LanbesSe-
maiten, gegen Osten an die Woiwodschaft Trock '^^enhett.
tm Groß-Herzogthum Litthauen, und Podlachien m
Polen, gegen Süden an polen, gegen XVtften
und Nordwesten an Pommern und die Ostsee;
und befaßt im Umsange, seitdem es seine Granzen
im Jahr 1772 durch die Besitznehmung von West-
preußen und den Netz-Distrikt weit ausgebreitet
hat, gegenwärtig ungefähr 121z geographische
Ouadratmeilen. Die Natur hat dieser Gegend in
ihrem verhaltnißmaßigen Umfange so viel Güter de6
Lebens mitgetheilek, daß diejenigen keiner weitern
Widerlelegung bedürfen, welche sie als eine ungün-
stige, rauhe und unfruchtbare Gegend geschildert^
und nichts gut gefunden haben, wenn es nicht eben
so, wie in ihrem Lande, anzutreffen war» Alle Vor-
rheile, die man in einem guten und glücklichen Lande
erwartet, vereiniget es mit einander: von einem
günstigen Klima angerechnet, bis auf alle einzelne
Theile des Bürgers herab, siehtman, dqßeinLand«
selbst bey Indiens Schaßen, arm ist, wenn es nicht,
wie Preußen und ihm ähnliche Länder, unter einem
weisen Beherrscher seine Vortheile erhält und
vergrößert»
Ohngeachket Preußen beynahe das wasserreichste
Land, und also nicht immer der besten Luft und Witte-
rung unterworfen ist, so, schwindet doch bey den sicht-
baren Beweisen der gesunden und starken Leibesbe-
schaffenheit der Einwohner, hie öfters das höchste
Alter
284 Preußen.
Alter erreichen, dieser Verdacht ganz, und ihre
Kalte und Hitze ist sich völlig angemessen, auch er-
träglich, ob es gleich unter die mitternächtlichem
Länder gerechnet wird. Im Ganzen genommen, ist
es ein fruchtbares, an nichts Hauptmangel leidendes
Land, und feine Garten wie feine Aecker tragen
durchgängig mannichfaltigen Schmuck der Natur
zum ausgebreitesten Vortheil der Einwohner. Zu
dieser Fruchtbarkeit kragt auch die glückliche Bewäs-
serung des Landes von der Menge der großen und
kleinen Flüsse, großen und kleinen Seen ungemein
viel bey, von denen , ohne sie alle anzuführen, wir
nur die ansehnlichsten von ihnen nennen, als z. B.
den großen schiffbaren Fluß Memel, die Weich-
sel, die von der andern Seite Preußens gegen Po-
len stießt, und vierzehn Meilen oberhalb Crakau im
Fürstenthum Teschcn aus dem Gebirge Schalka,
so für den Anfang des karpatifchen Gebirges gehal-
ten wird, von dessen Spitze sie mit großem Geräusch
herabfließet, entspringt. Der pregel, der Tan-
ge<, gleichfalls ein schiffbarer Fluß, ob er gleich aus
einem Morast in Schamaiten entspringt, und noch
in einer kleinen Entfernung von Memel so seicht
ist, daß man seinen Boden sehen kann. Er um-
fließt größtentheils die Stadt, und wird allda so
tief und breit, daß die größten Schiffe darauf gehen
können. Die passarge, 6ie Alle pflegen bey
Sturmwetter, oder zu gewissen Jahreszeiten, sich
gewaltig zu ergießen. Noch sind, außer den großen
Flüssen, die vielen theils flfchreichen, theils auch die
Verbindung der Städte und ihren Handel beför-
dernden großen Gewässer berühmt, von denen wir
das frische-Haffoder See, sovon einerzudreyMri-
len Breite und zwölfMeilen Lange hat, und mit derOst-
seezusammenhangt, welch^Meerenge man das Gatt
nennt, anführen. Ferner der kn rische Haff, dreyzehn
Meilen
Preußen. 285
Meilen' lang und auf sechs Meilen breit, in
welchem sich Untiefen und Sandbänke befinden, das
auch der heftigen Stürme wegen zuweilen gefährlich
wird. Die Ufer sind fast überall mit Fischern be-
wohnt, denen man einen allgemeinen Namen Au-
ren gegeben hat. Unter den Landseen, die 1, z bis
8 Meilen in die lange und eine bis zwey Meilen in
die Breite betragen, nennen wir nur den Drausen-
see, Reinische, Angerburgische u.a.m. Un-
ter den Kanälen, deren Nutzen uns noch einleuch-
tender werden wird, befindet sich erstens die neue
Gilge, die neue Deine, der kleine Friedrichs-
graben , der große Friedrichsgraben re. Auch
die sogenannten versteinernden oder inkrustiren-
den Bache und Quellen, deren Wasser eine aufge-
löste, tropfsteinartige Materie bey sich führet, mit
welcher die darinn eine Zeit lang liegenden Körper
überzogen werden, sind in Preußen anzutreffen,
und würden uns noch zffmancher Beschreibung Stoff
geben, wenn wir uns nicht genöthiget sähen, zu ei-
ner nähern Bekanntschaft und vorzüglich zu ihren
Naturerzeugniffen überzugehen/
Bey der vortrefflichen Güte des Bodens em- Produkte,
pfängt Preußen aus dem Pflanzenreich besonders viel
waizen, Roggen, Hafer, Buchwaizen,
Hirse, Erbsen und diese in vorzüglicher Güte,
Flachs in großer Menge, Hanf, Hopfen, Ta-
bak, Garcengewächfe, Schwadengrütze,
und marskann immer behaupten, daß Preußen, wd ?
nicht eine der fruchtbarsten Landschaften in Europa
doch auch' gar nicht so unfruchtbar ist, als es
V^n manchen angesehen wird; denn es besitzt nicht
nur mehrentheilö alle Naturschätze, welche die Po-
len, ihre Nachbarn, haben, sondern auch noch einige
andre, die jenen nicht beygelegt worden sind. Der
Boden
286 Preußen.
Boden reicht bey dessen tüchtigem Ackerbau, sammt
der damit in gleichem Verhältnis auSgebreitetenVieh^
Zucht die unentbehrlichsten Nahrungsmittel imblebe»
fluß, nicht nur sich selbst zu unterhalten, sondertt
auch andre Lander damit zu versorgen, und gegen
ihre eignen, viel nöthwendigern, die ausländischen
entbehrlichen Waaren eintauschen zu können. Die
von vielen Flüssen durchschnittenen Ebenen, Wiesen
und Werder liefern die gesundesten und nützlichsten
Rrauter, die schönsten Blumen des Feldes, den
nahrhaftesten R.lee und (Bvaeavtcn, nebst vielen
hundert andern Arten pflanzen. So wie die nie-
drigen Gegenden mit dem bunten Schmuck des Gra-
ses prangen, so sind die Berge ebenfalls mit den
gesundesten Krautern für die Schafe undZiegen, mit
nutzbaren Gewächsen angefüllt, so wie überhaupt
an beträchtlichen Maldungen und Baumfrüchten
kein Mangel ist.
In den ältesten Zeiten war über ganz PreußeN
ein äneinanderhangender Wald ausgebreitet, bis,
wie in andern Orten Teutfchlandes, da die Zahl der
Einwohner sich vermehrte, diese ihnen ehrwürdigen
Wälder, die auch der Aufenthalt ihrer Götzen wa-
ten, nach und Nach niedergehauen wurden, jedoch
immer mit möglichster Schonung^ Noch ist das
ganze Ostpreußen mchrmtheils an den Granzen mit
Haiden und Wäldern umgeben, welche ihre Benem
nung von den nahen Städten, oder den durch sie
strömenden Gewässern erholtem Aber auch mitten
im Lande stndet man ansehnliche und große, theils
königliche, theils auch dem Adel gehörige ansehnliche
Waldungen, in welchen nebst dem Feuerholz auch
anderes zum Schiffbau angetroffen wird, wovoU
die zwölf Meilen lange Johannisburgische Hal-
be ein Bepfpiel übgiebt- und in einigen Waldun-
Lech
Preußen. 28?
gm, die oft auch der Aufenthalt der Räuber waren,
sieht man noch große Holzhaufen, oder auch andre
Merkzeichen und Wegweiser, welche den Reisenden
die Wege andeuten , ingleichen verschiedene Denk-
würdigkeiten, als z. B. die Vier-Brüderjaule
in der kapornischen Haide, der ehemalige Auer-
schoppen im Baumwalde-gegen Taplacken, allerley
ausgeworfene Befestigungen, auch wohl überbliebns
Mauerstücke von Waldschlöjfern und bgl.
So reichhaltig als das Pflanzenreich, ist das
Mineralreich nicht, weder an Mineralien selbst-
noch an Bergwerken. Preußen hüt nur etwas
Eisenerde und Mooreisen, welches zwar aufs
beste benutzt, aber doch fremdes eingeführt und verar-
beitet wird. Ein andres Produkt, den Bernstein,
hat die Natur desto reichlicher hieher verwiesen, welcher
zum Theil aus den Sandhügeln an der See heraus-
gegraben, der mehrste und beste aber an den
samländifchen.Küsten gefunden wird. Dieses Er-
genthum Preußens, und auch fein Schatz, ist schon
taufend Jahr vor Christi Geburt, und vielleichk
noch früher, vielen Ausländern bekannt gewesen, wie
denn auch die ältesten Schriftsteller das ganze Zand
sogar die Bernsteininsel genannt haben, wiewohl
es im eigentlichen Verstände keine Insel ist. Auch
unter den ältesten Völkern war er von großem Werth
und öfters höher als die Edelsteine geachtet, nicht
allein feiner natürlichen Seltenheit wegen, sondern
auch wegen der daraus verfertigten Drüge. Ob schon
von der Ostsee, an ihrer ganzen Küste in Pommern,
Preußen Kur-und Ziefiand/auch in Schweden-
Bernstein ausgeworfen wird, so geschieht dieses doch
in viel geringerm Maaße. Die unruhige See wirft
ihn unter kleinen Steinen, Muschelschalen, See-
schilf und Meermooßarten, die allezeit für glückliche
288 Preußen.
Vorboten des folgenden Steines sind, ans Land. Bey
stiller Witterung wird er mit Handnetzen, die an
lange Stangen befestiget sind, und Käscher genannt
werden, von den Fischern und Strandbauern, inson-
derheit in einigen Busen und Krümmungen aus den
Wellen und Brandungen geschöpft, aufs trockne
Ufer geworfen, und daselbst aus dem Unrath hervor-
gesucht. Dieser aufsolche Weise gesammelte Bernstein
wird Schöpfguc genannt.
Daß dieser Stein nicht allezeit hart, sondern
weich gewesen fey, beweisen die unzählig in ihm ein«
geschlossenen Körper, Erde, Gand, Wasser«
rropfeir, Luftblasen, Moos, Fichten«und
Tannennadeln, Gras, Holzsplitter, Stroh,
Blätter, am meisten aber kleine Insekten, als
Spinnen, Ameisen, Raser, Fliegen, Mü-
cken, und äußerst selten Wasserinsekten, welches
viele auf die Vermuthung gebracht hat, daß dieses
Produkt nicht in der Tieft des Meeres, sondern vom
Harz der Fichten«und' Tannenwälder seine Entste«
hung genommen habe. Die rohen Stücke erscheinen
in mancherley Figuren und Gestalten, theils in grös-
ser» Klumpen, theils in kleinen Brocken oder auch
als Körner, so wie das Harz in größerer oder geringerer
Menge zusammengehäuft, abgestossen und erhärtet ist.
Die Farben desselben sind mannichsaltig: man fin«
det ihn ganz klar und durchsichtig, oder dunkel,
theils ganz oder halb klär, gelb, bräunlich und
rökhlich, welcher am häufigsten, grünerund schwarzer
aber am seltensten gesunden wird. Außerdem daß
allerhand künstliche Sachen daraus gedrechselt wer-
den, hat er noch beym Verbrennen einen angenehmen
Geruch, Wd dienet zur Bereitung deö Firnisses,
wie zu viàn andern nützlichen Dingen mehr. Es
ist dieses Produkt in Preußen ein Regale, und
wurde
Preußen. 289
wurde im Jahr 1777 zur Verpachtung ausgeboten
allein es blieb beym alten. Vor Zeiten beliefen sich
die baaren Einkünfte von dem preußischeir Bernstein
auf etliche zwanzigrausend Mark/ je nachdem die '
See unruhig war, und ihn auswarf oder nicht; in
neuern Zeiten ist diefe Summe aus vier und zwan-
zigtaufend Thaler angemachfen; nur feit dem in den'
neuesten Zeiten die Menge der Steine abgenommen,
belaufen sich die jährlichen Einkünfte des Königes
von diesem Eigenrhum nicht leicht über fechszehn bis
achtzehntaufend Thaler.
Noch gedenken wir unter den natürlichen Schä-
tzen von Preußen, daß an einigen Orten Torfund
Steinkohlen gegraben werden, jedoch ohne fonder-
iichen Ueberfiuß. Allein die Viehzucht ist zugleich
auch ein interessanter Theil für die Bewohner, so--
wohl Horn-und Schafzucht, als auch der Pferde
und übrigen Thierarren, von denen es so wenig an
einer Gattung mangelt, als an wilden Thieren,
Schweinen, Elennthierey, pirschen, Auer-
ochsen und dergleichen, und ihre vielen Landfeen
und Flüsse enthalten mancherlei) fische, welche
zum Theil aus andern Landern hieher gebracht wor-
den sind, und sich vermehrt haben, abgerechnet der
Seefische, als Dor sche, Schollen, Butten rc»
Ehe wir aber dieses Kapitel verlassen, gedenken wir
nur noch des nützlichen Infektes der Bienen, welche
jn den Wäldern und in den Garten eine sehr an-
sehnliche Menge Honig liefern, der'Heils im lande
verbraucht, theils in fremde Lander, wie der aus Honig
gebraute Mech, verführet wird»
wenn und unter weichen Umstanden die er- Einwohner,
sten Völkerschaften nach Preußen geGmmen, hat
man nicht mit Zuverlaßigkeit bestimmen rönnen, da
sich Äe Geschichte aller Völker in ihrem ältesten
u Sano. U Abch. , L Zu»
Preußen.
290
Zustand in Dunkelheit verliert. Einige leiten sie von
den Gothen her, welche lange vor Christus Geburt
sich an den Seestrand nach Preußen begeben, daselbst
den Bernstein haußg gesammelt und mit diesem Lan-
deöfchatz gehandelt haben. Andre glauben, sie wa-
ren ein Theil der großen wendischen Nation. Allein
es lasten sich die Wanderungen jener alten Völker
eben so wenig bestimmen, als die Gränzen, wie
weit sie gezogen sind. Im sechsten Jahrhundert
hießen die Bewohner dieses Landes, wenigstens ein
großer Theil derselben, Aestier, und nur erst nach
dem neunten Jahrhundert ist die Benennung preust
sen entstanden, die von einigen prilzen, pruzier
und dgl. ausgesprochen wurde. Es ist eben so un-
gewiß, woher dieser Name entstanden sey, und nur
Wahrscheinlichkeit ist das einzige, was man als
Ursache anzugeben vermag, nämlich, da sie genö-
thiget wurden, ihre Granzen zu erweitern, und die
Gegend, wohin sie sich lenkten, oder das Erweitern
selbst in der fremden Sprache eine gleich ähnliche
Bedeutung führte, so kann auf diese Weise sehr oft
den neuen Ankömmlingen, oder der ganzen Nation
dieser Name beygelegt worden seyn. Daß auch
Preußens älteste Granzen sich viel weiter erstreckt
haben, als itzt, und die alten Einwohner wirklich
bis an die Granzen von Reußen sich auödehnten,
von welcher Nachbarschaftauch die Russe, ein Arm
des N7emelstromo den Namen empfangen zu ha-
ben scheint, weil vielleicht von diesem Fluß an die
neue Kolonie sich auf und sÄtwärtS Reußen gezogen
hat, ist um so glaublicher, da Gchamatren noch
mit dem preußischen Lithauen einen aneinanderhan-
genden Landstrich auSmacht, der von einem Volke
bewohnt wich, so einerlei) Sprache, nämlich die
lithauische, bis itzt noch spricht. So wie sich in
den altern Zeiten fremde Kolonien bey ihnen einfan-
Preußen. 391
den, so von ihnen ausgenommen wurden und diesel-
ben Rechte genossen, so hat sich auch nach und nach
eine so große Vermischung geäußert, daß man nicht
von allen Einwohnern Preußens sagen kann, daß sie
von teukschen Voraitern abstammen. Eine größere
Mannichsaltigkeit der Kolonien, alle so unter sich
vereint und naturalisiret, dürfte mau wohl schwerlich
in einem andern lande antreffen, und um uur einige
zu nennen, welche durch die Kriege im dreyzehnten
Jahrhundert dahin gebracht worden, gehören dahin
Bayern, Hessen, Oesterreicher, Schwaben, Fran-
ken , Thüringer, Sachsen, Böhmen, Schlesier,
Braunschweiger, Westphalinger, Pommern u.f.w»
Irr Rücksicht de6 gemeinen Mannes und des Land-
Volkes ist die preußische Nation, besonders nach der
großen Pest 17 9, sehr merklich verändert worden,
durchweiche nicht nur ein ansehnlicher Theil Men-
schen, ja im östlichen Preußen beynahe eine viertel
Million aufgerieben, vornehmlich aber lithauen und
die polnische Gegend von den mehpesten Einwohnern
entblößet wurde, sondern es nun auch mit mehr als
zehntausend fremden Familien bevölkert werden
Mußte. Eö kamen nach der Zeit ans allerr Gegen-
den von Teukschlanh, auS Böhmen, Schweiz und
Frankreich Familien dahin, und insonderheit unter
dem König Friedrich Wilhelm im Jahr 732 zwan-
zigtausend Salzburger, so wie nur neuerlich 1780
und 1781 viele hundert Familien anö dem Würten-
bergischen in Westpreußen angesetzt worden sind.
Wie viel Nutzen dem Staate durch diese Anpflan-
zungen erwachsen seyn muß, ist einleuchtend, aber
eben so ungewiß iß es, zu unterscheiden, was wirk-
lich ursprüngliche Preußen seyn mögen oder nicht.
In dieser verschiedenen Abstammung der Na-
tion ließe sich daher auch der Grund finden, warum
Ts dis
Prcußm.
292
die Verschiedenheit der äußern Bildung so sichtbar
ausgezeichnet sey, als z. B. Farbe der Augen und
Haare, der Größe, Neigungen und des eigentlichen
Gemüthskarakters. Die Anzahl der Einwohner im
Königreich Preußen ist bey den oben genannten Um-
ständen eben so schwer zu bestimmen, und es ist vor-
züglich nöthig, uns einen Begriff von des Landes
Haupteintheilung zu verschaffen. Das Königreich
bestehet seit 1772 aus zwey Haupktheilen, welche
Ost 5 und Ni)estpreußeu genennet werden'; der
letzte hat diesen Namen 1773 bekommen. Ost-
preußen hat nach der Angabe de§Hrn. O. K. R.
Büschiug 62 Städte, 116 königliche Aemter, Zz^
Kirchspiele; ^estpreußen hingegen 48 Städte
und 50 königliche Aemter, worinnen inan im
I. 177 5 zusammen oder im ganzen Königreich
1,20262z Menschen antras.
Wer kann zweifeln, daß bey einer so großen
Anzahl Menschen, uitter den heilsamsten Verordnun-
gen, und bey der Güte des Landes der Land-und
Ackerbau nicht ebenfalls einen Beweis von dem
Fleiße der Einwohner abgeben muffe? Ueberhaupt
genommen, kann Preußen, seiner Getraideund
Fruchtacker wegen, den besten Ländereyen in Europa
an die Seite gesetzt werden, und ein allgemeinerMiß-
wachs gehört bey ihnen fast unter die unmöglichen
Dinge. Sie bauen einen so großen Vorrath von
allerlei) Getraide, als irgend ein andres in Europa,
und sie gewinnen nicht nur durch den eigenen Acker-
bau eine große Menge allerley Getraides, sondern da §
Land befindet sich überdem in der vorteilhaftesten Lage,
daß ein großer Theil der Feldsrüchte des Königreichs
Polen nach Preußen muß gebracht, und diirch das-
selbe erst gn andre des Getraides bedürftige Länder
verführet werden. Dieser glückliche Vertrieb hat
Preußen- 29z
nicht erst in den gegenwärtigen Zeiten seinen Anfang
genommen, sondern ward dem Lande schon vor viel
hundert Jahren zu Theil. Auch ist es im Gegen-
theil eben so klar, daß der Ackerbau nebst der Vieh-
zucht vornehmlich seit siebenzig Jahren in Preußen
durch landesvaterliche Veranstaltungen und großen
Aufwand ganz besonders vervollkomnet, auch un-
ter andern durch die ins Land gezogenen fremden Kolo-
nisten, als Schweizer, Anspacher, Magdeburger,
Salzburger und andre um ein beträchtliches verbes-
sert, und zu gegenwärtiger Höhe gebracht worden ist,
dazumal der einheimische Landmann vieles Vorkheil-
haste von den neuen Kolonisten erlernte, und man-
ches Gewächse nun mit dem besten Erfolge anbauet,
von dem er ehedem keinen Gebrauch machte.
So ungemein erweitert der Ackerbau samt
allem, was dazu gehört, seit einem Jahrhundert ge-
worden ist; so laßt sich jedoch in Absicht der Ma-
nufakturen nicht dasselbe sagen, und es scheint,
daß dieselben ihren Flor noch künftig vielleicht von
der Handlung zu erwarten haben, zumal solche Fa-
briken mehrentheils den besten Fortgang haben, wel-
che von einsichtsvollen und begüterten Handelsleuten
getrieben werden. Wohlfeilere Preise, bey völlig
gleicher Güte und Schönheit der gangbarsten und
nützlichsten Waaren, können allein den Manufakturen
bey den Auswärtigen Absatz verschaffen, und dies
scheint mehrelrtheils bey den innlandischen Fabriken
noch sehr zu fehlen. Die ältesten und noch beste-
henden Fabriken im Lande sind, außer den B ernstem-
rvaaren und Tuchmanufakturcn, die Eisen-
schmelzen, Eisen-, Rupfer und Messingham-
mer, Papiermühlen, Glashütten und einige
andre, von d^nen in neuern Zeiten manche einge-
gangen oder andre von gleicher Art angelegt worden
T 3 sind.
294
Preußen.
sind. Die innere Güte des preußischen Bodens in
Hervorbringung allerlei) unentbehrlicher Güter,
samt der Lage und Verhältniß des Landes gegen
andere Lander, sowohl in Ankauf als Absah der al-
lenthalben nöthigen Waaren, ist nicht nur von Fremden
eingesehen, sondern diese haben auch zur Erweite-
rung der bürgerlichen und ökonomischen Glückseligkeit,
wie zur Vergrößerung des Einkommens, sowohl
für den Landesherrn , alö die Nnterthanen, mancher-
lei) Vorschläge gethan. Zur Ausnahme des Wollen-
manufakturwesens gehöret, daß in großen Städten
Gchc uanstaIren errichtet worden, in welchen die
Tüchtigkeit eines jeden Stücks untersucht lind nach
Befinden mit einem oder mehrern Zeichen bemerkt
werderl muß. Ferner, alle Manufakturen, die sich
auf das Schisfbauwestn beziehen, und der
Schiffbau selbst, machen die lebhafteste Hoffnung
zum aiisehnlichsten Gewinn, zumal daS Laiid mit
allem verseheil ist, was dazu ersodert wird, so wie
auch in den vorigeil Zeilen ein viel größerer Verkehr
mit Masten und andern Materialien getrieben wurde.
Die Anzahl der Schiffe preußischer Nnterthanen in
den Hasen zu Königsberg, Pükau und Memel ist
jtzo auf 9 von verschiedener Größe von zz bis 300
Roggen lasten angewachsen, worunter n?an eine Last
von 4560 Pfund verstehet. Alle einheimische Waa-
ren, welche an auswärtige Kaufieute verhandelt und
durch Schiffe ausgeführet werden, bestehen also in
Mastbättmen, E^der, Bernstein, Wachs,
Honig, Schwaden, Hanf, Flachs, Fijchen
und bgl. Viele von diesen Waaren werden im
Frühjahr aus dem Großherzoglhkun Likhauen ans
den schiffbaren Flüssen und Kanälen nach Königs-
berg gebracht, woselbst auch, die Niederlage der
preußischen Waaren ist. Diese Waaren holen die
Ausländer jährlich ungefähr mit 6-oder 8<?o Schis-
Preußen. 295
fen von da ab, und bringen für Preußen und Likhanen
wieder ein, Wein, Salz, Gewürze, Tücher,
Seidenzeuge, geringe, Zinn, Rupfer,
Reiß, Raffee, Thee u. dgl. Um dieses Glücks-
rad des Handels zu bewegen, bedienen sie sich der
preußischen Geldsorten, deren wir hiebey mit ge-
denken wollen. Sie bestehen in 1 preußischen
Pfennig, welches aber eine eingebildete Münze ist,
6 gehn aus i preußischen Schilling, und z Schil-
linge machen l Groschen, uns Z Groschen
machen 1 Dütchen, 6 Groschen i Sechser,
18 Groschen i Achtzehncr, 20 Groschen
1 Mark preußisch, welches aber keine wirkliche
Münze ist: 30 Groschen machen 1 preußischen
Gulden, welcher 8 Groschen sächsischen Geldes
gleicht und Z Gulden einen Rthlr. Ein branden»
burgifcheö 2 Groschenstück wird in Preußen ein
Achthalber genannt. DaS polnische Geldbeträge
nur halb so viel als das preußische.
Nachdem wir so manches über Preußen gesagt
haben, bleibt uns immer noch die nähere Bekannt»
schaft mit den Einwohnern selbst übrig, und dieses
glauben wir nicht geschwinder abtragen zu können,
als wenn wir uns zuförderst die Fähigkeiten ihres
Geistes, ihre Stärke oder Schwäche kennen zu ler-
nen bemühen. Eigentliche Gelehrsamkeit muß man
in Preußen vor der Ankunft der Teutschen so wenig,
als in den meisten Landern von Europa suchen.
Krieg, Jagd und ökonomische Geschäfte waren
Uebungen der Einwohner dieses Landes, nicht aber
der Anbau der Wissenschaften; allein wir verstehen
auch nur hierunter den ältesten Zustand, der uns
wenig intereßirt. Ware es aber der Maaßstab des
rhigen Zustandes, oder nnr der neuern Zeiten, so wä-
re die Anzahl der wirklich großen Männer nur ein
T 4 neuer
296 Preußen.
neuer Beweis, daß Preußen mit allem Rechte Vor-
züge zugestanden werden müssen. Preußen hat
Männer hervorgebracht, die man den verdienstvollsten
Männern in England und Frankreich an die Seite
setzen kann. Gemeiniglich pstegt man den Ge-
schmack einer Nation nach der Anzahl und dem Werth
der litterarischen Produkte und Kunstwerke, die von
ihr kommen, zu wiegen, oder, um noch bestimmter
zu seyn, nach der Menge und Beschaffenheit der
Bibliotheken ssnd Buchladen. So sicher dies aber
im Allgemeinen auch seyn muß, so würde Preußen
in dein Fall zu verlieren scheinen, da es seltsam ist,
daß so wenige von preußischen Gelehrten geschriebene
Werke die Büchersale ansüllen. Allein hier leidet
es einige Ausnahme, und die Menge der Bücher ist
gewiß selten der einzige richtige Maaßstab; da es
unstreitig um jeden Zweig der Wissenschaft, wie um
diejenigen, so sie trecken, besser stehet, wenn ße das
Augenmerk des Fürsten sind, und sowohl von ihm,
als von dem Vermögen der Reichen rinterstützt und
belohnt werden, als wenn es an beyden fehlet.
Können die Namen preußischer Gelehrten dieser
Wahrheit Gewicht geben, so nennen wir zuforderst
Arnold, Bartsch, Bayer, Blank, Casar,
Deutsch, Elsner, Zlocrwell, Goldbach,
Gottsched, Grabe, Güncher, Helwich,
Herrmann, Hohendorf, Maskan, Bock,
1Vil!ainor>, Aant, und wir würden ein ganzes
Register ansüllen müssen, um sie alle zu nennen,
von denen die meisten außerhalb ihres Vaterlandes
Nutzen gestiftet haben. Man wähle welche Wissen-
schaft man will, so werden auch in ihr verdienst-
volle Mannes anzutreffen seyn. Inglerchen hat es
nicht nur kn dem eigentlichen Umfange der Gelehr-
samkeit, sondern auch in den bildenden und aus-
übenden Künsten viele hervorragende Männer
4 ' geliefert,
Preußen. 297
geliefert, die alle zu . nennen uns zu weld abführen
würde.
So leicht es war, Preußens Verdienste in Ab-
sicht ihrer Gelehrten zu schildern, so schwer ist e6
auf der andern Seite, die Schilderung eines ganzen
und großen Volkes nach seinen herrschenden Neigun-
gen, seinem sittlichen Karakter und Gemüthszustande
eben so treffend darzustellen. Die Triebe, Sit-
ten und Fähigkeiten einer Nation, die noch dazu so
gemischt ist als diese, sind viel zu verschieden, als
daß diese Urtheile mehr als flüchtige Bemerkungen
seyn könnten. Es laßt sich auch von den heutigen,
besonders, teutschen Einwohnern Preußens
nichts anders sagen, als was die Schriftsteller im-
mer von den Teutschen urtheilen, und wie diese Ur-
theile unzählige Ausnahmen bedürfen, so muß daffelbe
auch bey den Preußen Statt finden. Hiezu kömmt
noch, daß der alte preußische Stamm mehrentheilS
ausgegangen, mithin auch Karakter und Sitten
eine Mischung fremder Kolonien ist.
Von der teutschen Nation in Preußen, so viel
den höheru und Mittelstand betrifft, läßt sich Ln ge-
wiffer Absicht urtheilen, daß sie den beyden andern
an Höflichkeit und der sogenannten Lebensart zuvor
komiuen. Ihre Haupteigenschaften find, Frey-
müthigkeit, Dienstfertigkeit, Ernst, und doch
Gefälligkeit; sie lieben die bildenden Künste und
nützliche Wissenschaften, ingleichen Musik, Tanz,
Jagd; und das Lob eines fröhlichen Muthes,
vergellschaftet mit Tapferkeit, hat ihnen nie streitig
gemacht werden können. Das Frauenzimmer hat
alles Empfehlende, was man unter dem Begriff von
Schönheit verstehet: sie sind meist schönen Wuchses,
weißer und zarter Haut, und eben so willig wie an
andern Orten, der Göttinn Mode zu dienen, ob sie
T 5 «¡5
298
Preußen.
cö gleich darinnen noch eben zu keinem hohen Grad
gebracht haben; denn so-gefallend ihr ganzes Betra-
gen nebst dem ganzen Bau ihres Körpers ist, so sind
sie wenigstens noch nicht in die Geheimnisse dieser
geweihten Künste eingedrungen, sich das zu verschaf-
fen, was man mit einem sehr künstlichen Namen,
»sich nach der großen Welt kleiden,« beleget.
Wir übergehen die Fehler, welche einige an ihnen
haben finden wollen, weil das Land wohl nicht in
unserm Europa anzutreffen seyn möchte, wo nicht
ebenfalls Ausschweifende, Sauser, Falsche, und wie die
Hefen der Menschheit mehr heißen, auch so gut
wie bey ihnen unter einer gewissen Klasse von Men-
schen angetroffen werden mögen. Kann man übri-
gens behaupten, daß ein Volk in irgend einem Lan-
de Liebe für seinen König hege, und diese Liebe an den
Tag zu legen vermag, so verdienen die Preußen ge-
wiß nicht die niedrigsten Stufe darinnen; und sucht
man ferner Beyspiele edler, gemeinnütziger Hand-
lungen, Mitleid, Milde und Bereitwilligkeit nütz-
liche Unternehmungen zu unterstützen, so wird es
hier gewiß nicht schwer fallen, dergleichen aufzufin-
den, jedoch daß auch nicht auf sie die Bemerkung
eines Schriftstellers passe, eben so gut wie auf mehr
Länder in Teukschland, mögen wir hier nicht unter-
suchen, wenn er sagt: »Menschenfreunde giebt eö,
»Dank sey es unsrer Politesse, noch genug, wenn eS
»auf eine Bewegung der Lippen ankömmt; aber so-
»bald reelle Dienste verlangt werden, so ist der
»Menschenfreund verschwunden, und der Oekonom
„steht an seiner Stelle.«
vnd bürger. ch^n sie ebenfalls ihren teutschen Vorfahren, itzt aber
liche Verfaß ^nddie meisten Einwohner evangelisch lutherisch,
und wohnen übrigens mit ihren anders denkenden
Kirchliche
Brü-
Preußen. *99
Brüdern in friedlicher Stille, ohne auf Verfolgung
unb Verketzerung zu denken. Weil unter den ost-
preußische!» -Kolonien viel Reformirte gewesen, so
haben dieselben nicht nur in Städten, sondern auch
auf einigen Dörfern ihren freyen Gottesdienst, ja
in einigen Orten lassen ste die Lutheraner willig an
ihren Kirchen Theil nehmen. Auch die Katholiken
/haben ihre Kirchen in den Städten und auf den
Dörfern, und weil Preußens erhabner Beherrscher
zwar die Pflichten eines getreuen Unterthanen ver-
langt, aber niemanden zwingt, den Glauben seiner
Vater zu verläugnen, so wohnen, außer diesen ge-
nannten beyden Gemeinen, Hieselbst auch noch ver-
schiedene andre Religionsverwandten, die ohne Rück-
sicht auf Meynungen die geforderten Pflichten zu er-
füllen sich bemühen. Gegenwärtig sind die gesumm-
ten lutherischen Kirchspiele in Ostpreußen unter 24
Erzpriester oder Inspectdreö vertheilet; in Westpreus-
sen sind die meisten Einwohner der katholischen Kir-
che zugethan, und die ersten geistlichen Personen
bestehen in zwey Bischöfen. Die Lutheraner haben
68 Kirchen und Gemeinden, welche unter sechs
geistlichen Inspektoren stehen, in Ansehung der kirch-
lichen Rechte aber verstehet Vas Konsistorium zu
Königsberg alle geistliche Sachen entweder allein,
oder sie werden unmittelbar von der Regierung be-
sorgt, es hat auch nichts mit äußerlichen Kirchensachen
zu rhun, sondern nur mit Dingen, die bloß und
allein die Kirche angehen. Unter der Aufsicht dieses
Konsistoriums stehen auch alle Schulen zu Königs-
berg, nebst der dasigen Universität, die übrigen
aber, sowohl in den kleinen Stadtezr, als auf
dem Lande, sind einer Special. Kirchen'und Schul-
kommission, die zu Königsberg ihren Sitz hat,
untergeben.
2»
3oo
Preußen.
In Absicht der bürgerlichen Verfassung ver-
tritt die Stelle eines Statthalters in Preußen, der
kommandirende General aller Truppen im König-
reich, welcher dem ganzen Kriegswesen verstehet
und zugleich Gouverneur der drey Festungen zu seyn
pfleget. Unter die königlichen Gerichte in Ostpreus-
sen, so ihren Sitz in Königsberg haben, gehören
erstens das Tribunal-oder (vberappellarions-
gericht, das Hofgericht, das Pupillenkolle-
gium, das eben genannte Ronftstorium. DaS
ostpreußische Finanz. und Kameralwesen besorgen
zwey Rriegs - und Domainenkammern, in Stad-
ten aber versehen es die Magistrate. Für West-
preußen ward »772 ein (l)berhof-und Eandge-
richt errichtet. Die königlichen Einkünfte des Kö-
nigreich Preußens betragen jährlich ohngefähr vier
Millionen Thaler, wovon die Salzkafsen zu Kö-
nigsberg und Gumbinnen,- allein, auf etliche hun-
derttausend einnehmen mögen.
Seit 1772 nennt sich der König einen Rö-
nig von Preußen, da vorher der Ausdruck
Rönig in Preußen gewöhnlich war, den übrigen
ganzen Titel haben wir schon bey Brandenburg mit-
getheilet. Das Wapen bestehet in einem schwar-
zen ausgebreiteten und mit einer goldnen Krone ge-
zierten Adler in silbernen Felde, und der schwarze
Adlerorden, welchen König Friedrich I. am Ta-
ge vor der Krönung zu Königsberg stiftete, hat zum
Zeichen ein goldenes blauemaillirteö Kreuz, in dessen
Mitte aus der eine» Seite des Königs Name bll.
zusammen gezogen, in jeder von den vier Mittel-
ecken aber ein schwarzer Adler mit ausgebreiteten
Flügelngebildet ist, Die Ritter tragen diesesKrenz
an einem orangenfarbenen breiten Bande von der
linken Schulter über die Brust. An der linken
* Seite
Preußen.
30J
Seite haben sie einen auf das Kleid gestickten silber-
nen Stern, in dessen Mitte sich ein schwarzer flie-
gender Adler befindet, der in einer Klaue einen Lor-
beerkranz, in der andern einen Donnerkeil halt, mit
der Umschrift 8uumeuigue. Der König bleibtalle-
mal Großmeister, und die Anzahl der Ritter erstreckt
sich, ohne das königliche Haus, auf go. Nächst
diesem hat der König Friedrich II. 1740 den Orden
pour le merke gestiftet, von welchem auch bey
Brandenburg hinlängliche Nachricht ertheilt worden
ist. Noch gedenken wir des preußischen KriegShee-
reö, in so fern in Ostpreußen 27 und in Westpreuf-
sen 12 Bataillons Infanterie, und in beiden Thei-
ten des Königreiches 70 EsguadronS Dragoner, Husa-
ren und BoSniaken liegen. Jedes Regiment hat
seinen angewiesenen Distrikt oder Canton, in wel-
chem die junge Mannschaft ausgeschrieben wird»
Ehe wir uns zu den einzelnen Theilen dieses Königrei-
ches selbst wenden, gedenken wir nur noch mit ein
paar Worten der Sprache, die, wie wir schon
oben angeführt haben, durch die Vermischung so
verschiedner Nationen, vieles, wo nicht alles, von
ihrer ursprünglichen Mundart verloren hat. Heuti-
ges Tages werden drey Sprachen in Ostpreußen,
diereutsche, polnische und lichauische; und
zwey in Westpreußen, nämlich die polnische und
retttsche gesprochen, und überhaupt hat die lit-
hauische, von welcher Landschaft weiter unken be-
sonders gehandelt wird, die meiste Verwandschaft
mit der alten preußischen, und gegenwärtig auch die
meiste Vermischung mit den gewöhnlichen preußischen
Sprachen.
Ehedem bestund dieses Königreich attS' drep I-Ssipreußen»
Haupttheilen, welche Samland, ^arangen
und Oberland genannt wurden, und zu welchen
noch-
j©2 Preußen.
poch kleinere Distrikte gehörten; heutiges Tages
theilt es sich in das teursche oder königsberZrscde,
und in das lirhauische Departement. Da
uns aber eine so speeielle Abtheilung der Departe-
mente nicht obliegt, und öfters noch bis itzt Veränderun-
gen Statt sinden, so bleiben wir bloß bey der einfachen
Eintheilung stehen, und zeigen zuförderst die in Ost-
preußen gelegene und berühmte Stadt Königsberg an.
Diese Hauptstadt des ganzen Königreiches und
Königsberg, einer der vornehmsten Handelsorte in Europa, liegt
am Flusse Pregel, über welchen sieben Brücken ge-
hen. Ihr Umfang betragt über zwey Meilen, die
Anzahl der Hauser ohngesahr 5800, und die Sum-
me der Einwohner aus 40000, die Besatzung und
Fremden ungerechnet. Was Königsberg zu einer
der vorzüglichsten Städte erhebt, hat die Natur ge»
than: sie hat so viel Annehmlichkeiten zusammen,
gestellt, die dem anschauenden Auge allein in ihrer
ganzen <Sd)6ntx?ie t>ertldut>iid> seyn können, und in
der vollständigsten Beschreibung verlieren würden.
Allmälig sich erhebende grasigte, bebuschte oder be-
stete Anhöhen ohne fürchterliche unter den; Wolken
sich verbergende Alpenspitzen; kleine grüne in die
Lange gestreckte und leicht zu ersteigende Hügel, blu-
menreiche Thaler, von Bachen durchschnitten, wal-
digte Stellen, und darinn natürlich bedeckte Gange
und Alleen, weit umher fruchtbare Aecker, Feld,
stücke, und mit Küchengewachsen oder Obstbaumen
bepflanzte ländliche ' Garten, Wiesen, Dörfer,
Höfe, Mühlen, Teiche und so weiter, wechseln in
der schönstenMannichfaltigkeit miteinander ab, und
sind so kunstlos von der Natur durch einander ge-
mischt, daß sie dem Auge nicht nur ein gefallendes,
sondern ein entzückendes Anschauen gewahren.
Die Stadt öffnet in ihrem auswendigen Umkreise
einen
Preußen. zoz
einen Anblick, der fast alle Vorstellung übertrifft,
die sich die Einbildungskraft in optischen Bildern
zu verschaffen sucht; und da ihr Boden mehren,
theils aus einigen Hügeln bestehet, wovon sich
sieben besonders auszeichnen, so darf man nicht erst
auf die höchsten Gegenden steigen, uj» diese Schön-
heiten zu übersehen, sondern manche Wohnungen
in der.Stadt liegen so vortheilhast, daß sich das
Auge in diesen malerischen Schönheiten verlieret.
Um diese in aller Betracht schöne Stadt naher ken-
nen zu lernen, führen wir zuförderst an, daß sie
aus drey Städten bestehet, nämlich Altstadt,
Löbenicht und Rneiphof, davon die Heyden
ersten in Samland liegen, die dritte aber in Natan-
gen; ingleichen daß noch die Festung Friedrichs-
burg und vierzehn Vorstädte dazu gerechnet werden.
In der Altstadt befinden sich sechszehn Sraßen
und gegen 550 Häuser, unter welchen über hun-
dert Brauhäuser sind. Unter den öffentlichen Ge-
bäuden zeichnet sich besonders aus, die Nicolaikirche,
die Pfarrfchule, woselbst die Stadtbibliothek ist, das
Rathhaus und andre, wo die Bürgerschaft ihre
Versammlungen zu halten pflegen. Als Vorstädte
sind der sogenannte Gteindamm, so am besten ge-
bauet ist, der neue Voßgarten, auf welchem sich
viele gute Häuser, besonders das Wittwen-und Wai-
senhaus befinden. Die Laake, die Lastadie, eine
Gegend voll schöner Gärten, Plähe und Häuser,
endlich der Dakrim, auf welchem eine Strumpf-
Wollen-und Ledermanusakrur angelegt wurde.
In dem zweyten Theile der Stadt sind, außer
einigen Kirchen, Schulen und Armenhäusern, keine
ausgezeichnete Gegenstände. *
< Der dritte Theil ist eine vom Fluß Pregel for>
mirte Insel, und wegen des unsichern Grundes
meist
3©4 Preußen.
meist auf Pfühlen erbaut. Urcker den Gebäuden
zeichnet sich die Dsmkirche, so wie unter den drei-
zehn Straßen die lange Gaste aus. Neben der
Kirche befindet sich die Universität mit ihren Gebäu-
den, oder das sogenannte Kollegium. Das Schloß,
ein länglichkes Viereck, innwendig i 36 Schritt lang
und 15 breit, besaßt eineMenge verschiedner Gebäu-
de, nebst den sogenannten Freiheiten oder Vorstädten^
Das Merkwürdigste in der welche die Burgsreyheit
genannt wird, ist die königliche Münze, die teutsch-
reformirte Kirche, die neue französische Kirche, der
Versammlungsort der polnisch - resormirten Gemeinde
auf dem Saal der teutschen Schule, die Zudenschule-
und das Kollegium Friderieianum, so meist nach
dein Plan des höllischen Waisenhauses eingerich-
tet ist.
Die Festung Friedrichöburg macht ein regel-
mäßiges Viereck, nnk breiten Wassergraben und
dem Pregel rings umgeben; es besindet sich darinn
eine Kircho und ein Zeughaus. Was übrigens noch
von Königsberg überhaupt gesagt werden kann, ist,
daß seine Straßen des Abends mit Laternen erleuch-
tet werden, daß der Handel höchst vortheilhaft und
die Schifffahrt ansehnlich ist, und (was den Ein-
wohnern besonders zur Ehre gereichet) daß außer den
Armen, welche in den Hospitälern und Armenhäu-
sern ihren Unterhalt finden, noch gegen 800 wö-
chentlich aus der Genetalarmenkaste verpfiegt wer-
den. Nicht allein durch den Landhandel ziehen die
Einwohner ansehnlichen Gewinn, sondern die Na-
tur hat ihnen zum Vortheil die Ostsee geöffnet, die
alleih handelnden. Nationen den Weg zu ihnen bah-
net. Die Schiffe kommen aus dem frischen Haf
durch die Mündung des Pregels, bis an die Brücken
und Bollwerke der Stadt und können ihre Waarerr
ohne Beschwerlichkeit, mit ganz geringen Kosten, in
* den
Preußen. zo;
den am Pregel zur Landung angebaueten Krahnen,
Winden, Wäger», Asch- und TheerHöfen, Herings,
brücken, Weinböden, mit welchem allem diese Stadt
vor de», übrigen Hátrdelsstadten in Europa vorzüg.
lrch versehen ist, aus- und einladen. 2tuf jolchs
Weife sieht man hier Schiffe aus Holland, Frank-
reich, England, Jrrland, Spanien, Dänemark,
Norwegen, Schweden, Pornmern, Meklenburg,
Holstein, Liefland, Petersburg, Hamburg, Lübeck,
Bremen, Stettin, Danzig und andern Orken zu.
sammen. Sachkundige aber wollen versichern, daß
durch die 1772 Ln Polen vorgefallene Veränderung,
da ein großer Theil von Weißrußland, oder zwey der
reichsten polnischen Provinzen, dem ruffischen Zep-
ter unterworfen wurden, auch die Handlung in Kö-
nigsberg einen empfindlichen Stoß erlitten habe,
wert eben diese Landereyen gerade die besten Gattun-
gen von Produkten nach den preufsifchen Handels-
städten und vorzüglich nach Königsberg lieferten;
ein anderer einleuchtender Umstand aber kann dieser
feyn, da 1769 der große Brand, die Kaufmann-
schaft nicht nur schwächte, sondern auch die mehr-
sten Handlungsspeicher, mit Kaufmanttsgükern und
Niederlagen, ein Raub der Flammen wurden und
einen Verlust von vielen Millionen verursachten. Nur
der polnische Handel ist stets für fie eine Quelle
des Goldes, Utid es dürfte daher im Ganzen kaum
ein Land zu finden feyn, vermin feiner Lage die Nach-
barschaft fo vorteilhaft Ware, und daher zum aus-
wärtigen Handel fo begünstiget würde, als Preuf-
sen. Selbst die in einem großen Theil, und hier m
Königsberg vorzüglich übliche polnische Sprache, er-
leichtert und befördert diesen Handel, indem deshalb
die Polen die preußische Nation alseinen Zweig ih-
res eignen Volks, und als ächte Sarmaten anfihen,
Ha ste mit ihnen einerley Sprache redem Es würde
USand. HiAvch. U * ”, f§k
zo6 Preußen.
für unsere Leser eben so ermüdend seyn als für uns, alle
die Aemter und kleinern Städtchen zu nennen, in
denen sehr oft wenig Interessantes a/izutreffen ist, und
deswegen bleibt uns das lithauische Departement nä-
her zu betrachten übrig.
Das lithaul« Das lithauische Departement enthalt zu-
fcke Deparle» förderst zwanzig Städte, drey und sechözig königli-
meni* cheDomainenämter und 105 Kirchspiele. Derje-
ge Theil, so Rlein-Lithauen genennt wird, und
vier und zwanzig Meilen lang, acht bis zwölf Mei-
len breit lst, wurde 1710 fast zum größten Theil
durch die Pest seiner Einwohner beraubt. König
Friedrich Wilhelm zog, von 1712 an, viel tausend
Schweizer, Franzosen, Pfälzer und Franken, auch
Lm Jahr 1733 und 1734 mehr als 20000 Salz,
burger ins Land, welche diesen öden Distrikt in kur-
zem zur fruchtbarsten Gegend umschufen, und die
vielen Millionen Unkosten, so der König aus diese
Anbauung verwendete, wurden durch die fleißige
Arbeit der Einwohner reichlich wieder ersetzet. In
Absicht der Güte und Fruchtbarkeit des Bodens, der
trefflichen Weiden, der ansehnlichen Viehzucht,
Fischfang und Holzungen, auch Wildprek, hat es
mit dem sogenannten teutfchen eine und dieselbe Be-
schaffenheit, ja in manchen Fällen dürfte e6 wohl
Vorzüge besitzen; allein in Rücksicht mif die Ein-
wohner selbst läßt sich unter den wirklichen Lithau*
tzrn, so wenig deren ar/ch sind, ein wesentlicher Un-
terschied finden. Man würde sich aber eine ganz
irrige Vorstellung von ihnen machen, wenn man sie,
wie einige glauben, für ganz rohe, an den Stand
Lev«Natur gränzende Leute ansähe, oder nur für
ganz Einfältige hielte, die zu irgend einem arbeit-
fordernden Geschäfte untauglich waren; sie sind
nicht nur keines von beyden, sondern zeichnen sich
Nur t»r einigen Stücken vor den übrigen Preußen
Preußen. 307
aus, haben auch ihre rühmlichen Eigenschaften so
gut wie andre, wenigstens haben sich ihre alten
und zum Theil auch rohen Sitten, unter den Köni-
gen Friedrich Wilhelm und Friedrich II, sehr geän-
derk. Um einige ihnen wesentliche Züge und Ge-
wohnheiten zu schildern, sinden wir sie als ein Volk,
Das zuförderst stolz auf feine Sprache ist. Seilte
Kleidung ist noch nicht der Mode zinsbar geworden,
sie hat das Gepräge ihres Alkerthums völlig erhal-
ten, und ist, obgleich einfach, doch immer von ei-
ner gewissen gefallenden Schönheit. Das weibliche
Geschlecht wechselt in gewissen Gegenden sehr in der
Art sich zu kleiden ab, und laßt öfters bald errathen,
zu welchem Distrikt es gehöret. Auch sind die
Frauen mehrenkheils stark vom Wuchs, nrehr als
die Männer, und verrichten auch mit denselben gleiche
Arbeit, sie sind keineSwegeö fühlloö für Schmerz,
aber sie überstehen ihn mit einer seltnen Starke, und
harten auch ihre Kinder von den ersten Lebenslagen
dazu ab, ihre Körper der größten Kalte und Hitze preis
zu geben. Ihre Jugend übertriffr die teutfche und
polnische in Absicht der Geisteskräfte bisweilen, so
wie es die Weiber in Absicht des Spinnens und Wir-
kens ebenfalls den altdern zuvorthun. Sie verferti-
gen nicht nur allerlei) Sachen au: Zwirn und Wolle,
als Strumpfbänder, Leibgürtel, in welchen sie Zah-
len, Buchstaben oder Reime einwirken, sondern sie
bereiten sich auch ihre Kleidungsstücke meistens selbst,
und dieses mit allem möglichen Anstand und Geschicke.
Zeichnet sich die Klasse der niedern Geburt durch
Müßiggang, Völlerey, Faulheit und Vernachläs-
sigung seiner Pflichten aus, so trifft dieser Vorwurf
doch bey weitem nicht Die ganze Nation^
So wie die städtischen Einwohner, wer-
den noch verschiedene Klassen in Eximirte und Bür-
gst, undchiefs wieder in Groß, und Kleinbürger
U a ein-
zog Preußen.
eingetheilet,' auf welche der gemeine Mann von Ar«
beitsleuten, Dienstbothen und dergleichen folget; so
sind auch über den Bewohnern des platten Lan-
des mancherlei) Klassen. Eigentliche Bauern
find diejenigen, welchen ein oder mehrere Hufen an-
vertrauet find, von welchen sie einem angeschlagenen
Zins bezahlen und bestimmte Frohndienste oder
-Schaarwerk leisten müssen. Diese sind Erb-Un-
terthanen, die, wenn sie königliche Husen haben,
unmittelbar zu den königlichen Domainen gehören.
Dergleichen Bauern empfangen entweder herrschaft-
lichen Besaß an Vieh, Pferden, Acker und Wirth-
schaftögerath, Aussaat und dergleichen, oder sie ha-
ben auch ihren eignen Besaß. Der Herzog Albert
erklärte zwar in seinem Testament alle preussische
Bauern für frey, allein es kam nicht eher zur Erfül-
lung, bis Friedrich Wilhelm 1719 die Lerbeigen-
schaft aufhob und gleiche Verordnung auch 1720
den Lithauern zu Theil ward. Ueberdieß werden die
königlichen Bauern auch noch in Domainen-
Amtsbauern und in Chatoullbauern eingetheilet;
wohin noch eine andre Benennung, die adlichen Erb-
Unterthanen, Hochzinfer, Erbzinfer und dergleichen
gehören. Ueber alle diese niedrigen Klassen von
Landleuten erheben sich die Freien oder, wie sie im
Lande heißen, Cöllmer, welche für die urfprüngli-
chen alten Geschlechter aehalten werden, die sich end-
lich der Uebermacht detz teutfchen Ordens unterwer-
fen, und ihre eigenthümlichen Güter von demfel,
ben als ein Lehn annehmen mußten. Doch wir
werden in der Folge mehr über Lithauen zu sagen
Gelegenheit haben, und begnügen uns nur noch, mit
dieser Anzeigung des preufsifchen Antheils, welches aus
zwanzig Städten und 6 z königlichen Domainenam-
len, auch ic>s Kirchspielen bestehet, wie oben ange-
führt worden ist, und unter denen wir zuförderst der
Hand«
Preußen. 309
Handlungsstadt, Festung und guten Stadt Memel,
gedenken.
Die Stadt Memel, die wohl bewohnt und über Memel.
40s Hauser hat, ist eine, wenn auch nicht schöne,
doch gute Handelsstadt am kurischen Haff; die Städ-
te Angerburg, Lyk und Johannesburg, sind Angerburq,
kleiner und überhaupt nicht beträchtlich. Lyk, Iohan-
Als West-Preußen vomZahr 1454 bis 1772"*^»^
einen eigenen und besonder» Staatskörper ausmach. ipvcugcn. *
te, und von Ost-Preußen getrennt war, so hatte es
mit Polen nichts, als den König und dessen einzige
Person gemein, und war mit der Krone, nur kraft
eines gewissen Bündnisses verknüpfet. Es behaup-
tete also immer als ein freyer Staat alle die Vor-
rechte mit Polen und Lithauen, einen König zu wäh-
len, der nach der Krönung den Preußen ihre Privi-
legien zusichern mußte und alsdann erst die Hul-
digung empfieng, auch ohne Zuziehung der Stän-
de in Sachen des Landes nichts vornehmen
durfte, und diese Stande waren geistliche, näm-
lich der Bischof von Ermland, Präsident des Land-
raths und vornehmster Landstand, und der Bischof
von Culm; die andern Stände waren weltliche,
nämliche die adlichen, oder drey Moiwoden, der
eulmische, marienburgische und pomerellische, drey
Lxaftellane, drey Unterkämmerer und endlich
die drey großen Städte Thoren, Elbing und
Danzig, aus diesen bestand der Eandrarh.
In diesem Zustande blieb das Land bis 1772,
wo es wieder mit Preußen verbunden ward, außer
die Städte Danzig und Thoren, welche mit Po«
len in Verbinduug blieben. Friedrich II gründete
seine Anfoderung an Pomerellen auf das Recht der
Erbfolge und auf das Recht der Oberlehns-Herr-
fchaft, und die übrigen Provinzen des Herzogthums
Preußen nahm er wegen des fernen Vorfahren lan-
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Preußen. 3«
behelfen. Uebrlgens ist die Bienenzucht nicht
ganz ohne Vortheil, auch an zahmen und wilden
Thieren, ingleichen an Fischen kein Mangel. WaS
die Einwohner der Werder betrifft, so sind sie jeder-
zeit sreye Bauern gewesen, und königliche Untersas-
sen oder werdersche Leute genannt worden. Ihre-
Sprache ist teutsch und polnisch, so wie in ganz
West. Preußen. Die Religion größtentheils luthe-
risch und katholisch, Resormirte sind wenig, desto
mehr aber Mennoniten. Die Städte ^euterich
und Marienburg sind die einzigen erheblichen
Orte.
Unter psmerellen wird das Land Zwischen
der Weichsel, Netze, Ostsee und den brandenburgi«.
schen Pommern verstanden, und die Anzahl der Ein-
wohner ist bisher noch viel zu geringe gewesen, in-
dem noch allenthalben (die Niederungen ausgenom-
men) Aecker genug auzutreffen sind, welche ohne
Wartung ruhen. So viel väterliche Vorsorge auch
der König getragen hat, durch Kolonisten aus dem
Mecklenburgischen und Würtembergischen diesem noch
sehr in Unthatigkeit ruhenden Winkel Geist und
Leben zu gewähren, so zeigt doch der sichtbare Man-,
gel an Menschen, und der noch lange nicht ausge-
breitete Ackerbau nur zur Gnüge an, daß noch vie.
les gethan werden muß, ehe diese Landschaft sich auf
die Stufe der übrigen preußischen Länder schwingen
kann. Die Einwohner»dieser Provinz wurden ehe-
mals, zum Unterschied von den andern, pommc*
rmken genennt und hatten zu den Zeiten,, da sie
noch zu Polen gehörten., einen Worwoden.
In dem Kreisamt Danzig befindet sich ein be-
rühmtes Kloster, Oliva genannt, welchss wegen Oliva,
der mit aller Pracht ungefüllten Kircbe vorzüglich be-
kannt ist. Der jetzige Mafien der Weichsel, der
in Ansehung des Eigenthums dem Kloster, und in
U 4 Anse«
;ir Preußen.
Ansehung der Landeshoheit dem Könige von Preuf-
sen als Fürsten von Pommerellen zugehöret, hat zu 1
verschiedenen Streitigkeiten mit der Stadt Danzig,
welche noch sortdauern, Anlaß gegeben. Als näm-
lich der alte Hafen durch Sand verstopft worden und
die Stadt Danzig mit dem Vorhaben umgegangen
den itzigen Hafen anzulegen, habe sie 164 g mit
der Abtcy Oliva einen Vertrag errichtet, in welchem
ihr die Abtey den Boden, aus welchem er nachmals
angelegt worden, aus 9 z Jahre gegen einen jährlichen
Zinö von s Oo Thalern abgetreten, und die Stadt
habe dabey erkannt, daß der Grund und Boden der
Abtey, sich bis ans Ende des Seestrandes anfbey-
den Seiten erstrecke, und mehr noch, der König
könne diesen Vertrag aufheben und vernichten. Der
König fordert daher alle Abgaben, die die Schiffe
und Maaren, welche in denselben kommen, entrich-
ten, und da§ Geld, welches unter dem Namen Pfal-
geld der König von Polen gezogen, und wovon dieStadt
Danzig die andre Hälfte für Unterhaltung des Hafens
genommen, höre von selbst auf, da die Vorsorge dafür
vom König abhange, auch die Stadt ohnmöglich jan
einer Sache Foderungen machen könne, die nicht in
ihrem Gebiete liege. Speciellere Nachrichten dieser
Begebenheit verbietet uns der Raum. Die Städre
Schönetz,Ko»^chöneck, Ronitz und Schwetz sind vonkei-
mtz, Schwetz« ner Erheblichkeit.
Der vierte Theil, Ernreland, ist ganz von
Ost-Preußen umgeben, daher auch.die zwölf Städ-
te desselben ihr unter der KöniZöbergischen Kriegs-
Bkaunsburg. und Domainenkammen stehen.'Die Stadt Brauns.
bürg, eilie ziemlich große und gute Handelsstadt,
ist unter den vielen unbeträchtlichen noch die einzige
erhebliche.
Zu diesen beschriebenen, der Krone Preußen ge-
hörigen Lardfthaften, gehört noch der Nerz-Di-
strikt,
Preußen. zi;
strikt, der seinen Namen von der Netze hat, aus
deren beyden Seiten er liegt, und aus Stücken der
großpolnischen Woiwodschaften Posen, Gnesen, Jn-
owrohlaw und Brzesc bestehet, welche dem König
1773 von der Republik Polen abgetreten wurden.
Dessen Granzen sind 1777 festgesetzt worden, und er
ist in so ferne zu West-Preußen gerechnet, daß er
unter der west-preußischen Regierung und Kriegs«
und Dömainenkammer zu Marienwerder stehet, je.
doch als ein besonderes Land, daher auch demselben
zu Bromberg eine Kammerdeputation vorgesetzt ist.
Bey Bromberg fangt in der Brohe ein neuer schiff-
barer Kanal an, der eben so nach seinem Entste-
hungsorte benennt wird. Die Stadt BronrberF,
hat nichts erhebliches, man müßte denn das da-
für annehmen, daß sich hier Jesuiten aufhalten, de-
nen sieben Dörfer gehören. VXafd, EabifchlN
und Zinn sind kleine unbeträchtliche Oerter.
So sehr wir auch darauf rechnen können , daß Geschichte,
unsre Leser aus dem Obigen den kurzen Jnnhalt der
Geschichte stch selbst abgezogen haben, so kurz, und
uninteressant die wirkliche Geschichte desselben auch
endlich allsfallen muß, so können wir doch nicht um-
hin , wenigstens die Haupcbegebenheiten kürzlich zu
berühren. Wir lassen alles ununtersucht, was der
älteste Zustand dieses Landes für eine Gestalt gehabt
habe; wir raumen ohne Streitigkeiten ein, daß ihre
Abstammung von der und jener nordischen Völker-
schaft hergeleitet werden müsse, bey dem allem es
Loch erldlich auf Müthmaßung ruhet, und erinnern
nur nochmals, daß d^r Name Preußen erst im
zehnten Jahrhundert bekannt geworden, und hie ei-
gentliche Geschichte von Preußen, nur erst zu der
Zeit anfangt glaubhaft zu werden als die Könige
von Polen, sich alle Mühe gaben die heidnischen
Preußen zum Christenthum zu bringen, und, um ih?
U z rm
3H Preußen-
ren Endzweck zu erfüllen, sehr öfters mit der Scharfe
des Schwerdts darein, schlugen. Boleolans l ließ sie
Zuerst ihre Vergehung fühlen, da sie imJahryy/ den
heiligen Adalbert umgebracht hatten, ob er gleich zu
ihrer bestem Aufklärung mar zu ihnen gesendet wor-
den. Alle seine Nachfolger hatten Mühe ihr Vor-
haben ins Werk zu richten, und manche von ihnen
arbeiteten nicht ohne erheblichen Verlust daran, wie
z. B. im dreyzehnten Jahrhundert die Preußen an-
sehnliche Verwüstungen in Culm, Cujavien und
Masuren anrichteten, so daß der mafovifche Herzog,
Conrad, die durch Freundschaft mit ihm verwand-
ten Fürsten um Hülfe rufen nmßte, da denn denje-
nigen, so gegm diese Feinde des Christenthums zu
Felde zogen, Zeichen des Kreuzes dafür gegeben
wurden. Ohngeachtet die Mitttel sehr erheblich wa-
ren, und .alle von einem heiligen Muthe entflammt
zu seyn Vorgaben, die christliche Lehre zu vertheidi-
gen, so zeigten ihnen doch auch im Gegentheil die
Nicht-Christen, daß Liebe zur Freyheit in ihnen
dieselben Antriebe genährt hatte, und weil also jedes
Mittel vergeblich versucht wurde, so rief gedachter
Herzog die teutfchen Ritter oder Kreuzherren um
Hülfe, wenigstens die Granzen zu besetzen, die auch
iiZO und nach etlichen 20 Jahren, sich selbst
Meister der vertheidigten Landereyeu machten, und
innerhalb 5 3 Jahren mi^Hüsfe der Schwerdtrager
bas Land unter ihre Gewalt brachten, worauf die
Ordensmeister 1509 ihren Sik zu Marienburg
nahmen. Das Ansehen und de? Stolz dieses Or-
dens stieg zu gleicher Stufen allein der letztere wur-
de durch eine blutige Schlacht 1410 bey Tanneberg
sehr gedemüthiget, allwo der größte Theil Preußens
von den teutfchen Rittern abflel, und sich in den
Schutz des polnischen Königes Kasimir IV ergab.
Dieser dreyzehn Jahr darüber geführte Krieg ent-
kraftete
Preußen.
sis
kraftete Preußen aufs äußerste. Statt daß man vor»
her sicco Dörfer gezählt hatte, so waren ihrer
nach demselben nur 3013, ungerechnet, daß einige
hunderttausend Menschen dabey umkamen. End-
lich kam es dahin, daß im Jahr 1466 der Theil
von Preußen, so ißt West.Preußen heißt, alSein
freyer Reichsstand, in des Königs Schutz, der an-
dre Theil aber den Rittern und ihren Hochmei-
stern bleiben sollte. Es kam zwar 1519 wieder zu
einem Streite, den aber 152z der Friede zu Kra-
kau für immer endigte, in welchem der Markgraf
Albrecht aus einem Hochmeister ein weltlicher Her.
zog von Hinterpreußen ward, welches er von Po-
len zur Lehn nehmen, und dann durchs Erbrecht auf
feine Nachkommen bringen sollte. Auf diese Weise
nahm das Regiment der Ordensritter in Preußen,
so auf 300 Jahr gedauert hatte, seine Endschaft.
Diesem neuen Herzog war nun an nichts mehr
gelegen, als eine neue Reformation in seinem Lande
einzusühren, weswegen er auch 1544 die Universi-
tät zu Königsberg stiftete. Sein Nachfolger, Jo-
hann Friedrich, brachte das Herzogthum im Jahre
1618 au das Kurhaus Brandenburg, mit wel-
chem es von der Zeit an beständig, doch als polni-
sches Lehn, verknüpft geblieben ist. Die unruhigen
Zeitendes dreyßigjahrigen Krieges, worein die Re-
gierung Georg Wilhelms fiel, thaten dem Laude
großen Schaden. Sein Sohn, Kurfürst Friedrich
Wilhelm der Große, trat zwar anfänglich auf die
schwedische Seite, allein er kehrte sich gar bald zu
Polen und wurde''"165/7, durch den welauifchen und
brombergifchen Vertrag, von dem polnischen Kö-
nige Johann Kasimir, frey von der Belehnung,
und mit allen seinen männlichen Nachkommen für
einen unumschränkten Herren seines Antheils von
Preußen erklärt, erhielt auch die Herrschaften Lauen-
zi6 Preußen.
bürg und Bütow, auf die Art, wie sie vormals die
Herzoge von Pommern gehabt hatten. Sein Sohn
Friedrich gieng einen Schritt weiter und setzte sich
nebst seiner Gemahlinn am i7ten Januar 1701 zu
Königsberg die Krone auf. Ob schou alle andern
christlichen Prinzen nichts zu diesem Unternehmen
sagten, und ihn dafür erkannten, so weigerte sich
doch die Republik Polen. Allein diesen Verlust
würde Preußen leicht übersehen haben, wenn nicht
in den Jahren 1709 und 1712 eine grausame Pest
dasReich einer Menge Bürger beraubte: man zählte
in Preußen und Lithauen im Jahr 1409 gegen
59196 und 1710 188*37 gestorbene. Als Fried-
rich Wilhelm im Jahr 171g die Regierung antrak,
suchte er die große Lücke nach allen Kräften wieder
auszufüllen, indem er, wie schon gedacht worden ist,
alle fremde Kolonien mit väterlicher Güte aufnahm,
und besonders den mchr als 20000 vertriebenen
Salzburgern eine sichere Freystatt gewahrte. Ihm
folgte auf fo rühmlichem Wege in eben fo glänzenden
Unternehmungen sein Sohn Friedrich II, im Jahr
1740. Der Seehandel, das Finanzwesen, die
Justiz, dieß alles waren Gegenstände seiner Auf-
merksamkeit, die eines Beförderers, wie sie in ihm
fanden, bedurften. Von 1758 bis 1762 war Ost«
Preußen in den Händen der Russen, die sich auch
darinnen huldigen ließen.' Seine Rechte an West.
Preußen führte er 1772 in einer königlichen Schrift
aus und nahm von dem Lande wirklichen Besitz, indem
es ihm Polen am i8ten September 1773 förmlich
abtrat und Preußens königliche Würde erkannte.
Im Jahr 1773 legte er dem erlangten West-Preuf.
fen diefen Namen bey, und 1777 wurden die Gran,
zen zwischen Polen und Preußen auf immer be«
richtiget.
' , VIII. Po-
vin.
fr'
4>
Polen.
'
Hülfsquellen juin Kbnigreich Polen.
Büschings Erdbeschreibung.
Evropen« provokte rc.
Des Abr Boscowich Reife. k-ipzig ^779•
Barosi Keifen. Leipzig 1781 —83»
MrUrams Gtaatsvcrfassnng. Leipzig 1779.
Meuftls. Anleitnng;mc Erkenntnisi Europ. StgKs
êêKhistorie. Leipzig 1782.
Aügememe VOeitgeschichre von Gnthrre Gpüf-
Le Voyageur français par l Ahhê de h torts.
Ehrend daß andre Lander Europens nur zu MgemeK
sehr darauf bedacht sind ihre Gränzen zuer-"e Landesöe-
weitern, die Zahl ihrer Bewohner zu vermehren, schaffenheit»
und überhaupt den Geist des Kunststeißes und der
Aufklärung immer mehr feiner Fesseln zu entledigen;
sehen wir statt dessen das Rönigreich Polen in je-
dem Theile der Aufklärung zurückgefeßt, von fremden
Mächten getheilt, und da es sonst einen Umfang von
I Z, 872 Quadratmeilen befaßte, finden wir itzt nach
der Theilung und Zerrüttung feiner Gränzen, daß
es nicht viel über icooo teutfche Quadratmeilen
groß ist. Dieses Reich gränzet, die mit demselben
verbundenen Lander eingerechnet, an Rußland,
Preußen, das osmanifche Reich, Galizien und Lo-
domerien, Teutfchland und die Ostsee; jedoch so
groß der Verlust ist, den die Gränzen dieses König-
reiches, sowohl in dem vorigen als ißigen Jahrhun-
dert, erlitten haben, indem durch die Verbindung der
Kaiserin« Königin« von Ungarn und Böhmen,
der Raiserinn von Rußland und des Rönigs
von Preußen eine ansehnliche Zergliederung ent-
stand; so ist es demohngeachtet von beträchtlichem
Umfange, und könnte sich, wenn es in seinen in*
nern Triebfedern befestigter, und das nur zu
sehr mißverstandenen Gefühl von Freyheitsliebe ge-
mildert wäre, mit allem Rechte neben jedes blü-
hende Königreich in unsrer bekannten Welt zum Ver-
gleich darstcllen.
Ohngeachtet es ziemlich unangebauet und vom
Meer entfernet liegt, so ist doch das Rlima nichts
desto»
320 Polen.
destowenkger nicht ganz ungünstig; freylich kalter
und im.Ganzen das nicht, was es bey mehrerer
Kultur feyn würde. Ob schon die Luft kalt ist, so
ist sie doch rein und gesund; auch der Boden ist fast
allenthalben eben, ungemein fruchtbar an Feldfcüch-
ten und WiefewachS, von dem die häufige Ausfuhre
des erstem, und die seltene Fruchtbarkeit der Wie-
sen, z. B. in Podolien, auf welchen die Ochsen fo
tief im Grafe gehen, daß man kaum mehr als die
Hörner von ihnen sehen kann, Beyfpiele abgeben
können. So ergiebig auch der Boden feyn mag/ so
ansehnlich die Auöfuhre des Getraides ist; fo wenig
empfehlend ist es für den Reifenden, wenn er in ei-
nem Lande, wo alles im Ueberstuß anzutreffen feyn
soll, doch an feinen Granzen die nothwendigsten
Lebensmittel mikzunehmen ermahnt wird um nicht
an den nöthigsten Bedürfnissen Mangel zu leiden»
Ueberhaupt haben uns Reifende kein sehr empfeh-
lendes Bild von der Art zu reife»» in Polen, ent-
worfen; sie sagen, es waren fast nirgends WirthS-
haufer und Gasthöfe, wo man sich bequem aufhalten,
oder nur Betten zum Schlafen beks»nmen könnte.
Kehrte man in einem sogenannten Gasthofe ein, so
führte einen der Wirth in eineArt von Schuppen,
am äußersten Ende eines Stalles, wo man in der
Gesellschaft von Ochsen, Kühen und Pferden, die
;den übrigen Theil des Stalles einnehmen, schlafen
muß. Könnte »nan auch allenfalls in der Wohnsiu-
be des Besitzers Platz einnehmen, fo wählt doch der
Fremde immer noch lieber feine Nacht im Stalle
hinzubriygen, als sich von allen Gattungen Unge-
ziefern quaken und von unerträglichem Gestanke ver-
gifte zu lassen; a»n besten kömmt er durch, wenn
man ihrn, fo eö die Zahrözeit erlaubet, eine Stelle
auf dem Stroh in Der Scheune einraumec. Man sollte
mcynen, daß die große Meuge von Waldunge»», fer-
Polen. 321
mr d!e Entlegenheit dev Wohnungen von einander/
ingleichen die Gewohnheit, bey Tage wie bey Nachk
zu reisen, die Gleichgültigkeit gegen Sicherheit der
Straßen; dieß alles, sollte man denken, müßte einer
Menge liederlichen Gesindels, welches gleich aufge-
legt zum Betteln und Stehlen wäre, die Wege bah-
nen; und gleichwohl sind Exempel der Art oder
Straßenraub etwas sehr seltenes» Auch ist der
Auswand in den Wirthshausern noch ein sehr vor-
kheilhaftes Mittel zur Ersparung der Kosten, denn
das Quartier kostet sehr wenig» DerAdel glaubt
hier zu Lande, er sey über die Gewohnheit erhaben/
das zu bezahlen, was man verlanget, weswegen
auch der Wirch die Antwort, »es ist nicht da,« so-
gleich auf die Forderung bereit halt; und ob auch
Ausländer darinn Ausnahme machen, so sind doch
dafür der Reisenden in Polen nicht so viel, und
aus beyden Gründen schlechte Wege und schlechte
Wirthshauser»
polen ist, wie gesagt, ein ebenes und nicht
gebirgigkes Land, dasür hat es aber auch viele Wäl-
der, Seen und Moraste. Außer den Karpathen-
Vie seit seiner Trennung von Galizien säst ganz aus-
ser seinen Granzen liegen, giebt es in dem Mittlern
Theil des Landes noch einige Gebirge, von denen
man die höchsten in der Gegend von Krakau antrifft-
und unter den Zlüffen zeichnen sich besonders aus,
erstlich die Meichsel, die auch wegen der Schiff-
fahrt und Handlung erheblich ist, ferner die Me-
mel, die Düna, Warca, Dnieftev, BoA
Dnieper und Prs^piecsch»
Im Allgemeinen genommen ist Polen derjenige
Winkel von Europa, auf den keine einzige Revos
lukion, die sich in den Gebrauchen des übrigen Euro-
pens ereignet haben, einer;, merklichen Einfluß ge»
n Vand» 11 Abch. A habt
Produkte.
») Aus dem
Pflanzenrei-
che.
zrr Polen.
habt hatte, und wenn auch die Posen an den Kriegen, so
sich ereigneten, Theil genommen haben, so sind sie doch
weder von den Sitten ihrer Ueberwundenen, noch
von denen, unter deren Herrschaft sie geriethen, um
einen Schritt naher zur Vervolikomnung gerückt,
so daß sie sich allein unter den übrigen auszeichnen,
wie uns eine nähere Bekanntschaft in der Folge mit
mehrerm bezeugen wird.
So vortrefflich der Boden in den meisten Pro-
vinzen dieses Königreiches ist, so elend und mangel-
haft sieht es auf der andern Seite um die Oekonomie
desselben aus. Bey alledem tragt der Acker über-
stüßigeö Getraide, wovon die tausende von Schis-
sen und Flößen, so jährlich mit Getraide beladen
die Weichsel hinabgehen, Beyspiele abgeben. In
Podolien, Volhinien und der Ukraine, wachst es
säst ohne viel Zuthun der Einwohner, da hingegen
in Groß-und Klein-Polen schon mehr Arbeit dar-
auf verwendet werden muß; jedoch wird auch diese
Mühe durch desto reichlichere Erndten belohnet. Ein
einheimisches Produkt ist zunächst das polnische
illanim, so in einem. Kraut wachst und die Gestalt
der Hirsekörner hat, welches von den Landleuten auf
den Wiesen und sumpsigten Orten vom Monat Iu-
niuö bis Ausgang Julius gesammlet wird. Die pol-
nische Rermesbeere, so im May gesammlet wird,
wenn sie noch nicht völlig reif ist, und dann im
Julius Würmchen erzeuget, die Bläschen hinter sick-
lassen , die aber keicke feste Farbe geben, und ehedem
stark nach Genua und Florenz geführt wurden, itzt aber
unbenutzt in großer Menge, besonders in der Ukraine,
bey Warschau und Krakau, wachsen. Wie er-
heblich der ^>anf- und^lachsbair seyn müsse, be-
weiset zuerst, daß beyde Produkte häufig im Lande ,4
zu grober Leinwand, Segeltuch, Tauwerk, auch in
den
Polen. 323
den Städten an der schlesischen Granze, vorzüglich
in der Gegend Biala bis Krakau', zu gemeiner
Leinwand, Drell und dergleichen verarbeitet werden;
die Ausfuhre dieser Waaren sich aber, zmeytens, jähr-
lich auf 8,815,140 polnische Gulden, und des rohen
Flachses und Hanfes mit der Wolle gerechnet, auf
8,000,200 polnische Gulden, oder I,ZZZ,ZZZ
Reichöthaler belaufen soll. Vieles geht roh außer
Landes, und vorzüglich über Danzig, Elbing und
aus den übrigen Hafen an der Ostsee; hingegen bedarf
eS noch immer fremder Leinwand, Spitzen und an-
derer überflüßigen Nothwendigkeiten genug. Der
Hopfen könnte häufiger gebauet werden ist aber für-
itzt nur zum eignen Gebrauch im Lande vorhanden.
Ungleichen kömmt der wein Ln verschiedenen Ge-
genden gut fort, allein auch dieses Produkt ist noch
nicht sehr in Betracht genommen worden, und zeigt
ebenfalls sattsam an, wie weit ein Land zurücke seyn
muß, daß seine schönsten Schatze um sich her öde
und kraftlos liegen lasten kann. An Holz ist Ueber-
fiuß; statt daß andre Lander nur einen geringen
Vorrath an Tannen, Fichten, Buchen und
Eichen haben, so trifft man hier ganze Wälder
davon an. Alle übrige Pflanzen und Gewächse, von
denen so manches Land die herrlichsten Vortheile ge-
nießt, sind enttypder nur in sehr geringer Anzahl,
oder gar nicht zu finden , theils weil man die Mühe
scheuet den Boden tauglich dazu zu machen, theils
weil ihnen der Genuß derselben keinesweges reizend
scheint.
Ist die Frage, ob Polen an Mineralien d) Ans dem
Lleberfluß oder Mangel habe, so ist die'Antwort, Mineralrei-
keines von beyden; verlangt man aber eine genauere
Beschreibung von der Benützung ihrer Berggruben,
so sind sie das Ebenbild des Bergbaues Ln der Kind-
T 2 heit.
324 Polen.
heit. Sowohl in Groß - als Klein-Polen, im
Krakow! scheu, Sandomirschen, bey Kieloe u. s. w.
sind reichhaltige Listn-und Bleibergwerke. Ru-
pfer wird wenig geschieden, obgleich reichhaltige
Erze dazu vorhanden sind. Galmei wirb häufig
gewonnen und ist ein wichtiger Zweig der Handlung.
Auch an andern ^albMeralleu ist so wenig Mangel,
als an verschiedenen Steinarten, denn man findet
z. B. viele Arten von schönem bunten Marmor,
allein auch dieses Produkt hat fein Schicksal mit
dem ganzen Bergwesen gemein. Da der Bergbau
durchgängig seine Abhängigkeit vom Adel hat, und
dieser ihn nebst den mit Bergleuten bewohnten Dör-
fern an die Juden verpachtet, auch die Verpach-
Lung lange nicht verhaltnißmäßig ist, so ist leicht zu
erachten, daß diese Pächter schon alles gethan zu
haben glauben, wenn sie nur in den ehemals wichti-
gen Gruben wühlen, um ihren Vortheil davon zu
ziehen, ohne auf eine ordentliche Bearbeitung, oder
Anbau neuer Bergwerke bedacht zu styn. Daß je-
ne erstaunlichen Galzgruben zu Mieliczka und
andern Orten, die sowohl Nutzen als Betriebsam«
keit bis itzt mit einander vereinigt haben, hiervon ei-
ne Ausnahme leiden, darf wohl nicht erst erinnert
werden, und eine nähere Beschreibung davon wird
dieses mit mehrern sattsam erweisen; nur daß iht
Polen bloß einen Zuschauer davon abgeben muß, wie
Oesterreich Reichthümer daraus schöpfet, und sich
nichts weiter als erinnern darf, daß sie ehedem in
feinen Händen waren.
e) Aus dem Wird irgend ein Land von der Natur zur Vieh-
Thicrreiche. zuchr begünstiget, so ist es gewiß Polen, und schon
oben haben wir einmal der vortrefflichen Viehweiden
in Podolien gedacht, die den ansehnlichen Heerden
von Hornvieh zue Nahrung gereichen, wovon jähr.
iich
Polen.
32s
kich gegen 100,000 Stück Ochsen außer Landes,
und zwar größtentheils nach Teutschlano verführt
werden, abgerechnet de6 Vortherls der Einwoher
vom geschlachteten Vieh und der ebenfalls starken Aus-
führe an Talg, rohen und zubereiteten Hauten und
dergleichen. Ehedem gab e6 auch mehr Aueroch-
sen al6 gegenwärtig, von denen das Fleisch und die
Haut sehr geschaht, und die Hörner zu Trinkgeschirr
und dergleichen gebraucht werden; auch giebt es in
den südlichen Provinzen von Polen noch Büsfeloch-
sen. Ansehnlich und ein beträchtlicher Theil der Aus-
fuhre ist die Schafzucht, deren Wolle zwar nicht urn
der Güte willen empfehlend ist, und nur zu gemeinen
Tüchern, Zeugen und Filzen gebraucht, aber beson-
ders in Groß. Polen sehr stark ausgeführet wird, und
dieß vorzüglich nach den großen Weltmärkten nach
Breslau, Frankfurt an der Oder u. st w., auch lei-
det diejenige Wolle, so in einigen Gegenden von
Klein-Polen durch englische und spanische Böcke ver--
bessert worden ist, alle Ausnahme von der gemei-
nen polnischen, und vorzüglich die Lämmerwolle, si>
unter der nordischen den ersten Platz behaupten soll«.
Ueberall im Lande sind häufig Pferde alizutreffen,
aber nicht überall auch von gseicher Güte, zumal es,
außer der großen Anzahl von Stutereyen, noch sehr
viel wilde Pferde giebt. Zwar sind die polnischem
weder groß noch sehr ins Auge fallend, aber dafür
auch leicht, fest, dauerhaft und ganz zum Reiten
geschaffen. Viele europäische Mächte versehen
ihre Reuterey mit dergleichen Pferden, und wie
groß sind die Kuppeln, welche außerdem auf die
Märkte zum Verkauf ge führet werden. Außer der
großen Anzahl von Schweinen und Gänfen, die
beyde zum Ueberfluß vorhanden und Zweige des Han,
dels sind, hat Polen auch bey seinen großen Waldun.
gen eine ansehnliche Anzahl von N?ild, als: Bäs
T 3 ren-
Polen.
326
ren, Wölfe, Füchse, Luchse, Eichhörnchen,
Marder, Hasen, Kaninchen, Biber, Fischoc,
rern, wilde Katzen, Vielfraß, wilde Widder
mit einem Horn, im Braklauischen, Bison, einem
Ochsen fast ähnlich,nur am Leibe dicker, das Elenn-
thier, Hirsche, Rehe, zahme und wilde Ziegen
u. s. w. Sie wißen dabey die Thierfelle auf eine so
gefallende Weife zuzubereiten, auch selbst so viel
eignen Gebrauch davon zu machen, daß dieses Pro-
dukt für sie eins der einträglichsten wird, nur daß
sie, bey aller angewandten Mühe, der schädlichen
Menge von Bären und Wölfen noch nicht sattsam
Einhalt gethan haben. Bey der Menge von Land-
feen und Küsten ist leicht zu erachten, daß sie an
gutem und Hit länglichem-Vorrath von Fischen kei-
nen Mangel leiden, auch wissen sie dieselben so wohl
zu bentitzen, daß ihnen im Ganzen eben so beträcht-
licher Vortheil daraus erwachset, als aus dem Ab-
sätze ihres Honigs und Wachses, welche die Menge
von Bienen verschaffet.
Bevölkerung. Wem sollte es befremden, daß die Bevölke-
rung eines Landes in sehr armseligem Zustande seyn
müsse, wenn er liefet, daß man, unter andern eben
so der Absicht zuwider laufenden Grundsätzen, ge-
gen die Eingebornen auf folgende Weise verfährt.
Der polnische Adel und die Geistlichkeit geben vor,
daß diese unglücklichen Leute seit undenklichen Jah-
ren in einem leibeignen Stande gewesen, daß sie zu
den Ländereyen, die sie bewohnen, gehört haben, mit
denselben gekauft und verkauft worden, daß sie folg-
lich, als ein unbedingtes Eigenthum der Länderey-
en -Eigner anzusehen wären. Sie setzen ferner hin-
zu, daß ihre Gewalt über diese Leute seit mehr als
zweyhundert Jahren durch die polnischen Gesetze aus-
gemacht und dahin erläutert worden: daß sie dadurch
berech.
Polen. 32 7
berechtiget wären, sie mit den säudereyen gleich ih-
reu Schafen und Pferden zu ver kaufen, auch sie zu er.
schlagen, ohne dafür zu einer Strafe, als höchstens
zu einer kleinen Geldbuße, verpflichtet zu feyn. Seht
man zu diefem Gemälde noch hinzu, daß die mei.
sien polnifchen Städte schlecht gebaut, meist von Ju-
den und Teutfchen bewohnt sind, ferner fo viel an-
sehnliche Provinzen ihnen entrissen worden sind, so
wird man leicht glauben können, daß sich in gegen-
wärtigem Zustand etwa fünf bis sechs Millio-
nen Menschen darin»! beflnden, wobey Juden und
Teutfche noch mitgerechnct sind, von denen die ersten
leicht eine halbe Million ausmachen, und Inhaber
fast aller Wirthshäufer in Groß - und Klein-Polen
sind. Wie viel die bürgerliche Verfassung und die
gesetzgebende Gewalt hier Fehler verräth, lasten wir
für itzt unerwiefen, nur Wunder ist es, wie ein Volk,
das von gesittetern Nationen weder durch Meere noch
durch Welttheile getrennt ist, so viel Züge barbari-
scher Völker ídnger an sich zu tragen vermag.
Isis möglich, daß irgend etwas erhebliches im Landbau.
sandbau gethan werden kann, fo lange der The l dev
Menschen, der ihn im Gange erhalten soll, unttv
dem Druck erhalten wird, der, ob er zwar von al-
len Seiten überfchrien wird, doch gar wohl fühlt, er
habe gleichviel, ob er thätig, oder faul fey? Der
Boden ist, wie oben gesagt, in den meisten Proviu»
zen fett und gut; er bringt allerley Arten von Ge-
traide, vortreffliche Weide und alle Naturprodukte
hervor, die in den mitternächtlichen Klimaten erzeugt
werden. Es ist daher eine einleuchtende, und von
allen erkannte Wahrheit, daß nur eine mäßige An-
zahl Menschen ihre Kräfte vereinigen dürften, unr
den sandbau zu einer beträchtlichen Stufe zu erhe-
ben. Zu diesem Menschenmangel kömmt noch die
X 4 Ver.
MüNkfakiu.
m Md Han.
hl.
Z-8 Polen.
Verwüstung, welcher dieses Land seit den letztem
zwanzig Jahren ausgesetzt gewesen ist; ferner die
Barbarey der Einwohner, das durchgängig schlech-
te Ackergerathe, so nur aus Holz besieht, endlich der
geringe Absatz der Produkte selbst; Hindernisse, wel-
che alle überwunden werden könnten, wenn mau den
wenigen Beyspielen menschlicher Gefühle nachah-
men wollte, die besonders in dem Krakowischen an-
zutreffen sind, wo eine Menge Ackerland und eine
ansehnliche Bevölkerung zu finden ist, weit die, so
den Acker bearbeiten, auch den Lohn dafür arndten
dürfen, weil Freyheit und Eigenthum die Liebe zum
Leben, und Fleiß und Arbeitsamkeit als Mittel zum
Wohlstand angesehen sind.
So absichtsvoll das Gesetz auch seyn mochte,
welches im Jahr 1776 gegeben wurde, um den ein-
heimischen Manufakturen aufzuhelfen/ daß näm-
lich keine Person weder von dem einen noch von dem
andern Geschlecht, die nicht zum Adel gehört, Gold,
Silber, Perlen, Edelsteine, Spitzen und kostbares
Pelzwerk gebrauchen, jngleichen zur Bekleidung
kein andres Tuch oder Stoff, als inländisches, er-
laubt seyn, Gold und Silber zu Livereyen nicht ver-
stattet werden, auch ein gleiches von der Uniform der
Soldaten gelten solle; ingleichen kein fremdes Leder
zu Beinkleidern, Satteln, Geschirr rc. gebraucht
werden, auch keine auswärts gemachten Kutschen,
irdene Geschirre und Fayance einzusühren erlaubt
sey u-dgl.; so könnte dieses Gesetz, da vielleicht
kein gesitteter Staat in der Welt (das päbstlicho
Gebiet ausgenommen) anzutreffen ist, wo der Han-
hel so schlecht eingerichtet, wo die Fabriken so we-
nig geachtet, und für ihre Besserung so wenig Sor-
ge getragen wird, hier wohl nie seine ganze Starke
zeigen. Den Grundgesetzen des Reichs zu Folge,
jbatf kein Kaufmann« oder Fabrikant Landgüter
kaufen, und der Adel weiß bey jeder Gelegenheit
auch diesen O.uell der Aufklärung zu verstopfen»
Deswegen befinden sich au6) ihre Fabriken in einem
so schlechten Zustande, daher kömmt es, daß aller
inländischer Handel von Juden und Fremden geführt
wird. In einigen großen Städten findet man Ma-
nufakturen von feinen Tüchern und Zeugen, wo
Danzig vorzüglich die übrigen übertrifft. Grobe
Tücher und Zeuge, auch Strümpfe werden fast in
allen großen und kleinen Städten verfertiget; auch
haben pakriotifchgesinnte Polen hin und wieder heil-
same Schritte zur Aufnahme der Manufakturen ge-
than, allein es sind immer nur hingeworfene Steins
zu einem schönen Ganzen geblieben, und was sie
auszuführen genöthiget worden, sind immer nur rohe
Materialien, die der Summe der Ausgabe für nö-
thige und überfiüßige Produkte lange nicht das Ge»
wicht halten. Sie führen z. B. aus, allerlei) Ge-
rrarde, Flachs, -Hanf, Leinsaat, Hopfen,,
Honig, Wachs, Talg, Ochsenhäute, Irrs-
ten, Pech, Asche, Salpeter, waftbäuine,
Brecer, Schiff- und Bauholz, Ochsen,
Pferde und andre iändesprodukte, und holen dafüe
wein, Gewürze, Tücher, seidene und rei-
che Zeuge, feine Leinwand, perlen, Edel-
steine, Silber, Rupfer, Messing, ScahL
und dergl.
Die Trennung von der Ostsee im Jahr 177a
hat auf den polnischen Handel einen wichtigen Ein-
fiuß verursachet, und die Verbindung, die es zwar
noch durch Danzig hat, ist durch den' preußischen
Zoll von zwölf Procenk, für alle ein - und ausgehende
Waaren, sehr erschwert; jedoch hat der König von
Preußen den Maaren, so au 6 Wo len nach den preusi-
X 5 wm
33© Polen.
fischen Handelsstädten hin und hergehen, nurzwey
Procent Zoll aufgelegt, weswegen auch der Handel
in Elbing, Königsberg und Memel, sich auf die
Abnahme des Danziger gegründet hat. Kurland
und Rußland verstatten allen polnischen Maaren
freyen Aus-und Eingang, welchen die Polen auch
aufs beste zu benutzen suchen. Noch fügen wir zu
diesem imallerBetrachtunvollkommen Manufaktur-
und Handlungsmesen die Geldsorten, so bey dem
Handel am gewöhnlichsten sind, hinzu. Man rech-
net nämlich alles nach Gulden, da denn gemeinig-
lich achtzehn Pfennige auf einen Groschen, dreyßig
Groschen in Kupfer, oder vier Groschen Silber auf
einem polnischen Gulden gehen, und vier polnische
Gulden haben aufs genaueste den innerlichen Werth
von einem teutfchen Gulden; jedoch ist dies nicht die
einzige Geldmünze. Andre Münzen, so in diesem Kö-
nigreich ihren CourS haben, sind in Golde, Ducaten,
so acht und drey Vierkheil polnische Gulden gefetzt
smd. Speciesthaler, welche vier polnische Gulden
gelten. Vierthelspecies, so zwey polnische Gulden
gelten u. s. w. Die so genannten Tympfe, die ei-
gentlich zu einem polnischen Gulden oder 30 Gro-
schen polnisch geschlagen waren, und die in Polen
hernach bis zu acht und dreyßig Groschen gestiegen
sind, haben an innerlichem Werth nur ungefähr die
Hälfte davon. In Kupfer hat man Stücken von
drey uud von einem polnischen Groschen und Schil-
ling. Man will behaupten, es waren nicht über
82 Millionen polnische Gulden (igi Millionen
Thaler) baares Geld in Gold und Silber zu finden,
allein wir überlasten es weitlaustigern Beobach-
tern, und wenden uns mit den schon einzelnen karak-
teristischen Zügen zu der Gelehrsamkeit und den
Künsten»
Polen.
33i
Daß Gelehrsamkeit und Künste me auf einem Gelehefamkeik
Boden zur Reife kommen können, der von keiner und Künste.
Seite Zufluß und Unterstützung erhalt, und wo,
wenn ja einmal die ersten Strahlen der Morgenröthe
aufsteigen wollen, auch sogleich durch ein fürchter-
liches Kriegesungewitter die schönste Aussicht verdun-
kelt werden kann, ist eine zu erwiesene Wahrheit, die
wohl keiner nähern Bestätigung bedarf, und auch
wohl kein eben so schweres Geschäft auf der andern
Seite, diese Wahrheit beri Polen erwiesen zu fin-
den. Schon von den ältesten Zeiten her haben den
Wissenschaften und Künsten Hindernisse im Wege
gestanden, und ob gleich durch Einführung der christ-
lichen Religion eine Menge ausländische Geistliche
ins Land gezogen waren, die allen Geschmack an
Wissenschaften mit brachten, so haben doch Ver-
wirrungen und Unordnung, die stets mit Tumultui-
ren unzertrennlich verbunden sind, die schönsten Kei-
me schon in ihrer Geburt erstickt, und ihren Einfluß
selbst bis auf die Handwerke, wie wir bereits gesehen
haben, verbreitet. Die Zeiten der Könige Sigis-
mund I. bis aus Vladislav IV. waren der Aufklä-
rung am nächsten, und wenn man sagen kann,
daß in Polen die Wissenschaften je geblüht haben,
so war es damals, nach dieser Zeit aber giengen sie
wieder mit schnellen Schritten ihrer Vergessenheit
entgegen: und blieben auch darinn, bis man gegen,
wärtig, im Allgemeinen genommen, ihnen alle Ge-
rechtigkeit wiederfahren lassen muß, mehr dafür be-
sorgt zu seyn, als ihre Verfahren. Da wir keine
Ursache haben zu glauben, daß irgend etwas von
Partheylichkeit in dem Gemälde enthalten sey, wel-
ches uns Reisende hierüber mittheilen, so theilen
wir ohne Veränderung ihre eignen Worte mit. Die
Gelehrten find die einzigen Leute in Polen, diö eine«
Fremden, wenn sie sich zum Umgänge mit ihm Her-
üblassen,
zzr i Polen.
Massen, für das Abscheuliche, Leere, Langweilige
und so gar Ekelhaste, das man in andern Gesell-
schaften hier sindet, schadlos halten können. Man
Eann von ihnen sagen, daß sie sich in Absicht
der Sprache, der Gelehrsamkeit, der Vernunft,
Wahrheit, Geschmack u. s. w. alle gleich sind, denn
mail findet weder den Unterschied eines Franzosen,
noch Deutschen, noch Sarmaten, allein dies findet
man auch bey keiner einzigen andern Bürgerklasse im
Staat. Letztere sind mit tausend Dingen beschäfti-
get, die weder zur Vervollkomnung ihrer Beur-
theilskraft, noch zur Bereicherung ihrer Kenntnisse
dienen können, und sind daher weiter nichts, als
wozu sie Gewohnheit, Erziehung und Vorurtheil
gemacht haben. Man würde ain leichtesten ver-
fahren, wenn man dem Klima diese Schuld bci>*
messen wollte, allein hiewieder streitet nicht nur die
Wahrheit selbst, sondern Poluischpreußen, so unter
demselben Himmelsstrich liegt, und seinen 2<o-
pernikus,' -Hevel, Rluver, -Hanov, Leng--
md) re. hat. Was gegenwärtig von Polen
mit Wahrheit gesagt werden kann, ist, man sucht
die lateinische und polnische Sprache ganz in ihrer
Reinigkeit auf, in welchen beyden es auch Man-
rier von Verdiensten aufzustellen hat. Zaluski,
Jablonowski, potocki-^Rlonowitz, der Pa-
ter Ronarski, Dlugofsus, Ianolzki, Baczko,
dieses alles sind Namen, die jeder Nation Ehre
machen würden; zu denen man noch die V^lavne*
zewicz, Garbiews ki hinzusetzen kann, die sich um '
alle Zweige der Wissenschaften Ruhm erwarben, und
sowohl Weltweisheit, mathematische Wissellschaften,
Naturlehre, als auch die Landesgefchichte zu lver-
bessern, und die ältern brauchbaren Schriftsteller in
ein helleres Licht zu stellen sich bemühten, wozu die
auserlesene gräfliche zaluskische Bibliothek zu War-
schau
Polen. zzz
schau ihren höchst wichtigen Schaß eröffnet hak.
Kurz, man irrt in beyden Fallen, wenn man Polen
jn Absicht der Gelehrsamkeit zu strenge oder zu leicht
beurtheilen will, und ob es auch weniger als andre
Lander mit Arbeiten seiner Gelehrten eine Menge
Büchersale anfüllet, so sind doch hierinn nicht lauter
Mangel, und es ist schon manches gute Buch m
ihre Sprache übersetzt worden, so wie es unter seine
Gelehrten verschiedene Fürsten, Grasen und andre
Personen vom Stande zahlet. Jn Rücksicht der
Künste kann dieses zwar nicht so bestimmt gesagt
werden, ob gleich gänzlicher Mangel und Fühllosig-
keit dafür, beydes zwey Unwahrheiten seyn würden,
wofür verschiedene gute und sehenswürdige Samm-
lungen der Arbeiten von Künstlern, in Warschau
vorzüglich, nur zu redende Beweise geben, und einige
auswärtige Künstler, so sich daselbst aufhalten,
manches Mittel zu der Bahn brechen, die ganze
Nation nach und nach dieser vielen Vorwürfe zu ent-
laden, wie denn Lekowitz und Stoß als Maler
Und Bildhauer bekannt sind, und der große Kupfer-
stecher Lhodowiecki doch von polnischem Herkom-
men ist. Musik, Tanz, Schauspiel, kurz, alles,
wodurch der Bildung einer Nation am bequemsten
zu Statten zu kommen ist, hat bis itzt noch zu keiner
beträchtlichen Größe gelangen können. Man wollte
vor einigen Jahren noch ein Nationaltheater anle-
gen, allein die Arbeiten des Theaterdichters, und
die Schauspieler selbst thaten beide das ihrige, zwar
ohne Verschulden, aber unverfehlbar, nur den guten
Willen zu äußern. Am Ende dürfte der Vorwurf
wohl die gegründeste Hinderniß des nähern Schrit-
tes zur Aufklärung seyn: daß, da die polnische
Edelleute, (deren Einfluß uns unten sichtbarer
werden wird) so unwissend in Ansehung ihrer wahren
Vortheile, und durchgehende der Meynung sind.
Karakter,
Sitten und
Dergnügun-
gen.
334 Polen.
daß die Einführung der Künste und Handlung das
Volk zwar aufklaren, aber auch eine Nacheiferung
unter ihm erregen möchte, wodurch es dann
aussätzig werden, und ihre Güter großen Schaden
dabey leiden würden, also auch nicht eher etwas er-
hebliches gethan werden möchte, bis sie entweder
weniger die gebietenden Herren feyn, oder zuförderst
von dem Ungrund ihrer Meynung zurück kehren
werden.
Eine Nation, die so wenig Vermischung von
Fremden anzunehmen, geneigt gewesen, und noch ist,
muß auch in ihren Zügen das wirklich Karakteristifche
an Tag legen, und wir können auf ähnliche Weife,
wie bey Rußland, die starke und dauerhafte körper-
liche Beschaffenheit der Polen, geradezu an dem
Einfluß des Klima und der groben Speisen süchen,
die ihren Leibesübungen allerdings angemessen find.
So wenig man den Russen eine schlechte körperliche
Bildung andichten kann, so wenig ist auch den Po-
len der Vorzug abzustreiten, daß sie durchgehendS
länger und besser, und, wo nicht mehr, doch
eben fo zu den größten Beschwerden des Lebens
gebildet sind. Eine unbeschreibliche Unwissenheit,
so das gemeine Volk deckt, und eine eben fo erstaun-
liche blinde und abergläubische Nachfolge dessen,
was ihnen in der Religion gesagt wird, sind Ursa-
chen, daß man ihnen kaum Unrecht thäte, wenn
man sagt, sie hätten gar keine Religion, wenn das
nicht so genennt werdest muß, daß sie einige Gebete
an die Jungfrau Maria und an ihre Schuhheiligen
haben, oder an eine sklavische Befolgung der Fest-
und Fasttage, und Anhörung einer religiösen Cere-
monie in einer Sprache, von der sie kein Wort ver-
stehen, gewöhnt sind. Sittlichkeit und gesellige
Tugend sind bey ihnen Worte ohne Bedeutung, ja
Polen. 335
der Druck so ihr erstes Loos ist, sobald sie auf die
Welt kommen, und die Sklaverey, in der sie ihr
übriges Leben erhalten werden, zeigen untrüglich,
wie sehr alle Gefühle von sittlicher Tugend erstickt
seyn müssen, da sie sich nicht selten den rasendsten
Ausschweifungen überlassen, und zu Handlungen
herabsinken, die dem Adel der Seele gerade zuwider
laufen. Man irrt, wenn man die Zahl dieser Elen-
den für sehr geringe halt, denn derer, so von Lesen
und Schreiben, oder von einiger Erziehung nicht
die geringsten Begriffe haben, befinden sich doch
gegen fünf Millionen, und es ist nicht im mindesten
übertrieben, wenn man vom ihnen sagt, daß sie noch
das Wenige, was sie fasten, ohne allen Verstand und
ohne Bereitwilligkeit es aufs gemeine Leben anzu-
wenden, mechanisch behalten.
Wenn man die Polen in Klassen vertheilet, so
kann freylich vieles von der eben nicht vortheilhaften
Schilderung nur halb wahr seyn, weil überall eine
gewisse Klasse die ungefitteste ist; man theilt sie
aber i) in Magnaten und Adliche, 2) in die Geist-
lichkeit, g) in Kaufleuke und Bürger, 4) in Bauern,
Arbeitsleute und Soldaten; wie wäre e§ also mög-
lich, sie alle nach demselben Maaßstabe messen ? und
obige Schilderung muß daher immer nur allge»
mein bleiben. So viel ist gewiß, daß wenig Rei-
sende ihrem Karakter und Sitten Lobreden halten,
daß Unreinlichkeit vorzüglich, und alle die Gebre-
chen , welche Aberglaube und Unwissenheit zum Ge-
folge haben, hier im reichsten Maaße anzukreffen
sind, und daß überhaupt die Nation immer noch
am weitesten in den Gefühlen zurück ist, die wir
(vielleicht oftauch ohne Grund) Großmuth, Wohl-
thatigkeit, Theilnehmung u. dgl. nennen. Wunder-
bar ist es, das Frankreichs Gottheit, die Mode, noch
z;6 Polen.
so wenig über Polen vermocht Hot, Ittit dem es doch
noch vielen Umgang gehabt hat, da dieses Land häufig
von reisenden Polen besucht wird. Selbst das weib-
liche Geschlecht hat bey andern sehr wenigen Nach-
äffungen lieber ihre natürliche gesallende Gesichts,
färbe behalten wollen, als sie mit Schminke auö
Frankreich in Häßlichkeit zu verwandeln, so sehr sie
ihnen auch angepriesen werden mag. Ueberhaupt ist
Heldenmuth, Entschloffenheit und Thätigkeit bey
vielen Damen dieses Landes zu finden, und es
wird gewiß immer eine Seltenheit styn, viele
solche Damen zu finden, die in den Frühstunden,
oder auch den ganzen Tag, wegen Dünsten und
krampfigten Schwachheiten sich zum unerträglichsten
Geschöpf machten, und wirklich hat das polnische
Frauenzimmer mit Einschränkung viel Recht, auf
Schönheit und Verstand Ansprüche zu machen, da
das männliche hingegen durch eine zu schnell auf-
brausende Hitze, und ein oft mißverstandenes Ge.
fühl für Freyheit, öfterer zu übereilten Handlungen
verleitet wird. Wenn von den Sitten einer Nation
die Rede ist, so verstößt man nur zu oft wider die
allgemeine Regel, nicht vom Einzelnen auf alle zu
schließen, und so t|i es auch mit Polen sehr oft der
Fall. Entweder diejenigen, so sich durch Reisen in
. verschiedenen europäischen Königreichen Kenntnisse
gesammlet haben, fallen aus Liebe zu ihrem Vater-
lande ein zu vortheilhafkes, oder andre, die von den
Polen nur ihre schwache Seite haben sehen können,
dichten im Gegentheil wieder der ganzen Nation
Fehler an, deren sich doch nur vielleicht wenige schul-
dig machen. Wahr ist es, daß ihre Sitten frey
von allem Zwange und dem Gesetz der Mode find,
daß selten einige zu finden find , die nicht wegen ih»
veMgraden ungekünstelten Betragens sogleich für
Nordländer erkannt werden sollten, die weder im
Gange
Polen.
Gange, Sprache, Kleidung u. dgs. ihr Vaterland
verleugnen, aber eben so wahr ist es, daß noch
manche Rauhigkeit, in Geberden, Sprache, Klei»
dring, Umgang, mir einem Worte, in den Sit-
ten der Polen getroffen wird, und daß, wie schon
oben gesagt, viele von der nieder« Klasse nicht selten
bis zum Schändlichen sich herabwürdigen.' Sie sind
ferner nichts weniger als fühllos für die Vergnügun-
gen des Lebens, allein ihre Nerven sind auch lange
nicht so reizbar, um von vielen Gegenständen gereizt
zu werden, und auf diese Weise haben sie viel we-
niger Bedürft,iffe. Sie lieben den Tanz^ Musik,
Spiel, auch körperliche Uebunqen, aber ihr Blut,
so zu oft durch hitzige Getränke und durch leiden-
schaftliche Hitze in die größte Thatigkeit versetzt, und
darrnn erhalten wird, laßt sie eben so viel Vergnü-
gen in einer Gesellschaft wohl bezechter Trinker, oder
in einem hitzigen Zweykampfe finden. National-
Vergnügungen haben sie nicht, aber dann würden sie
auch einen Schritt zur Aufklärung näher seyn, als
wir sie bis itzt haben kennen lernen.
Die Sitten der Hauptstadt sind insgemein ein
Gemische von einheimischen und fremden Gebrauchen,
und kleinere von der Hauptstadt entlegene Städte und
Dörfer geben ein besseres Gemälde ab: z. B. sind sie
freymüthig und stolz, besonders aus den Gedanken
«nd das Recht Könige zu ernennen. In den Natio-
nalversammlungen find sie heftig und aufbrausend,
auch entscheiden sie keine Säche fast anders, als mit
dem Sabel in der Hand. Sie sind aus Tempera-
ment hitzig, aus Ehrgeiz gefällig, aus Eitelkeit
freygebig und aus Pralerey verschwenderisch, dabey
aber beherzt imö bis zur Tollkühnheit unerschroMn,
ja sie würden unüberwindlich ftyn, wenn sie Sub-
ordination ertragen könnten. Die Adlichen zeichnen
11 Land. U Adch, V sich
358 Polen.
sich in ihrer Tracht vorzüglich durch schwefelgelbe
Hnlbstiefeln aus, alsein Vorrechtvor andern, die
nur weiße oder rothe Stiefeln tragen. Eine mit
Pelz gefütterte Mühe, eine Weste, die ihnen bis an
die Mitte des Schienbeins herabhangt, und eben-
falls mit gutem Pelzwerk gefüttert ist, kostet ihnen
nicht selten bis an taufend Gulden; jedoch ist dies
nur eine Tracht an Ceremonientagen, und man sucht
si^ so gut zu erhalten, daß sie oft dorr dem Vater auf
den Sohn fort geerbt wird. Sie lasten sich die
Haare bis über die Ohren verschneiden und scheren
den Bart, jedoch mit Ausnahme des Knebelbarts,
den sie wachsen lassen. Den Sabel legen sie nie an-
ders ab, als bey Schlafengehen, ja selbst bey Beichte
und Abendmal nicht. Sie tragen ihn an einem
ledernen Gehenk, an welchem zugleich ein Schnupf-
tuch , ein Messer in der Scheide und ein Schleif-
stein herabhangt.
Die Liebe zur Tafel macht, daß sie bey
Gastmalern prächtig sind, wobey sie das am
meisten lieben, was ihnen die Natur versagt hat,
nämlich starke Getränke. Oeffentliche Angelegenhei-
ten werden daher nie anders, als mit dem Glas ich
der Hand abgethan, ja Trunkenheit ist fast eine
Art Tugend, und auf das Tractament folgt gemei-
niglich Zank, den der Säbel endet, wobey derjenige
die meiste Ehre erwirbt, der die meisten Wunden
«ufzeigen kann. Das Geld lieben sie in einem so
hohen Grade, daß es keine Demüthigung giebt, zu
der sie sich nicht, um es zu erlangen, herablassen
sollten. Mit diesem Durst nach Reichthum ist aber
nichts weniger als Geiz verbunden, da sie meist
Schulden häufen, um nur ihre Tracht, ihre Tafel,
ihre K?ller und dgl. zu verschönern. Doch sind sie
dabey umgänglich, gastfrei) und besonders höflich
V * gegen
Polen. z;s
gegen Fremde, ja man wird auch festen von Ver-
giftungen u. s. w. höreil. Des weiblichen Ge-
schlechtes Sitter, sind sanft, höflich unb ungekünstelt
in ihrem Putz. Sie tragen über einen ziemlich kur-
zen Unterrock von sehr reichem Stoff, ein Leibkleid
von eben der Arc gefüttert wie der Rock, unö zwar
mit Zobel, wozu noch eine Besitzung mit Edelstei-
nen den tiefherunrergehenden Rock verschönert; eben
so ist der Kops geziertt und mit reichen Mützen be-
deckt. Eine solche Dame wird außer dem Hause
nie anders als in einer sechsspännigen Kutsche gese-
hen, sey auch der Weg noch so kurz, so nehmen sie
doch Abends gegen 24 Fackelträger, und außerdem
allemal eine bejadrte Frau, Major domus genannt,
mit sich; ingleichen einen Stallmeister, der ihnen
beym Aus-und Eiristeigen den Arm reicht, und ei-
nige Mohren, die ihnen die Schleppe tragen.
Ihre Sitten bey Tische haben ebenfalls viel
Seltenes, und bestehenzufördcrst darinn, daß, wenn
sie ttactuen, so bringt allezeit jeder Gast sein Mes-
ser, Gabel, Löffel rc. mit sich: sind alle Gaste bey-
sammen, so werden die Thüren verschlossen, die
auch nicht eher als nach der Mahlzeit geöffnet wer-
den. Sobald man stch zur Tafel gefetzt hat, schnei-
det jedermann sein Brodchen halb durch, und giebt
eö seinen, Bedienten mit einem Teller voll Fleisch,
welches dieser hinter dem Stuhl seines Herren ste-
hend verzehret. Herr und Diener trinken gemein-
schaftlich aus einem Glase, und die Bedienten ver-
zehren nach der Mahlzeit allezeit das übrige, so wie
die Damen ihre Taschen voll Obst und Konfitüren
füllen; das Ende bekrönt ein Tanz. Der König
speiset nie anders als mit der Königinn, abqr auf
Reisen oder aus der Jagd mit den Edelleuten. Alle
t Morgen nehmen die Mannsperftznen und noch mehr
V 2 das
Pole«.
34o
Vas Frauenzimmer eine warme Biersuppe, ' mit
Ingwer, Eyern und Zucker versetzt, zusich; undbcy
alltäglicher Mahlzeit bestehen die Gerichte LnSchfen-
und Kalbfleisch re. Auf den besten Tafeln wird eine
große Schüssel voll Erbsen mit gelben Speckschnit-
ten bedeckt, aufgetragen, der gewöhnlichste Trank
vabey ist Bier, und nach der Mahlzeit Wein.
Dey Hochzeiten und Leichenbegängnissen wird besser
gespeiset und mehr Wein getrunken als gewöhnlich.
Ein Edelmann, fty er arm oder reich, muß
drey Tage lang offne Tafel halten: heyrathet er eine
Staatsfräulein, welche bey der Königin« ist, so
wird die Trauung bey Hofe vollzogen; dazu wird ein
großer Saal ausgelesen, auf welchen drey Tafelst
gedeckt sind; an der ersten siht der König mit dem
Brautpaar, und sobald das Essen vorüber ist,
nimmt wie gewöhnlich der Tanz feinen Anfang, den
die alten Damen anfangen und die jungen beschlies-
sen. Noch verdienen ihre Leichenbegängnisse einige
Erwähnung, welche fast nichts als Schauspiele
sind, und mit aller Pracht und Cerimonien vollzo-
gen werden. So viel sey genug über den Karakter
und die Sitten der Polen, der, wenn er auch im.'Eitt-
zelnen Ausnahmen leidet, doch im Allgemeinen, wenn
auch kein schönes, doch treues Bild darbietet.
Kirchliche Wenn die Vollkommenheit der christlichen
Verfassung, ligion bloß in den äußerlichen Hebungen, welche die-
3) Religions. vorschreibt, bestünde, so würden die Polen un-
zustand. streitig die vollkommensten Christen ftyn; allein so
lange dieses Volk in seiner alten Unwissenheit geblie-
ben ist, hat es andern Religionsverwandten nicht im
mindesten Unruhe verursachet; kaum aber hatte eS
dem Anschein nach üngefangen die Augen auszuschla-
gen, sAgerieth es auch aus den Unsinn, seine anders
denkenden Brüder zu verfolgen. Für beyde Beschul.
^ digun-
Polen.
341
Ll'gungen sind Beyspiele vorhanden, das ist gewiß,
aber wenn das Urtheil in folgenden Worten nicht
partheyifch ist, so ware es auf beyde die Beantwort
rung. Es heißt: »Die Polen waren stets von Frey-
heits. und Vaterlandsliebe beseelt, jedes Glied wae
hereit zum Wohl der Gesellschaft sein Leben aufzu-
opfern, und nichts wünschte es sehnlicher, als zur
Vertheidigung desselben zu fechten und zu sterben.
Als aber die römische Geistlichkeit festen Fuß in Po-
sen setzte, so veränderte sich auch die ganze Gestalt,
Anstalt die sanften Lehren her Christus-Religion zu
verkündigen, vereinigten sie sich mit dem, die sich
Edle nannten, und deren Hauptabsicht war, dem
Volk ein Joch zu befestigen, bey denen ihnen sowohl
war. Sie beraubten daher das Volk durch aller-
hand List ihres Eigenthums, und Adel und Geist-
lichkeit schmiedeten Gesetze, es zu Sklaven zu machen,
wie in neuern Zeiten den Dissidenten ein ähnliches
Schicksal wiedersuhr. So unterdrückt, ohne Mittel
sich zu helfen, sank dieses sonst unternehmende Volk
zu Trägheit und Verzweiflung herab, konnte fein
Vaterland nicht langer lieben, seine Mitunlerthanerr
sah es für seine Tyrannen, und sich für das unglück-
lichste Volk an««
So richtig dieses Urtheil übrigens scyn mag,
so ist doch eben so gewiß, daß Polen doch an allen den
so genannten heiligen Kriegen, wodurch fast ganz
Europa im früheren Jahrhunderten verheert wor-
den ist, überaus wenig Ancheil genommen, und
gewiß sind unter dieser dation am allerwenigsten
Menschen verbrannt worden, weil sie anders als
ihre Brüder dachten. Vielmehr gestattet man bis
jetzt noch alle Arten von Religion und Gottesdienst,
ja eö kann kein König zur Krone gelangen», ohne
vorher zu schwören, daß er sie dulden wolle. Ihre
P z Cere-
943 Polen.
Ceremonien Uq den öffentlichen Gottesdienst sind
äußerst streng und auffallend. Sie beten laut in der
Messe, schlagen sich oft grausam vor den Kopf, oder
ober mit dem Kopf wider die Banke, das Pflaster
oder wieder die Wand, je nachdem sie viel verdienst-
liches dabey glauben. Es werden meist Gesänge in
polnischer Sprache gefunden, und in allen Domini-
kaner-Kirchen wird der Rosenkranz des Abends in
eben dieser Sprache gebetet. Die Mannspersonen
sind in der Kirche auf der einen, und die Weibsper-
sonen auf der andern Seite; jene fangen das Ave
Maria an und beten die erste Halste davon her, und
dann beten die Weiber die andre Hal ste bis zu Ende.
Die römischkatholische Religion ist also die allein
herrschende im Lande, zu der sich der König und
die Königinn bekennen muß. Zu bewundern
ivar es, daß die Reformation in Teutschland, auch
in Polen so viel Eingang fand, indem zu den Zeiten
Sigismund Augusts im Jahr 1550 die Anzahl der
Evangelischen fast die Zahl der Katholiken überstieg,
wenigstens ihr gleich kam, und benamter König den
Evangelischen gleiche Rechte mit den Katholischen
eingestand, auch den Zutritt zu allen Ehren und
Würden erlaubte; bis 1573 zwischen allen Standen
des Reichs eine General-Konföderation geschlossen
wurde, die nachmals das Grundgesetz der Staats-
Verfassung der Republik Polen ward, und wo zu-
gleist) nach dem Beyspiel des Religionsfriedens in
Teutschland, zwischen allen vier christlichen Reli-
gionspartheyen ein beständiger Friede errichtet, und
den Katholischen sowohl als "Griechen, Lutheranern und
Reformirken gleiche Freyheiken und Rechte zugesi-
chert wurden. Seit 6em Pacificationöreichötage von
1.736 sind die Protestanten und Griechen mit dem
Namen Dissidenten belegt worden. Auf dem im
I. 1766 gehaltenen Reichstage lcistettn besonders
f . - Ruß-
Polen. 34?
Rußland, Dänemark, Großbritannien undPreus- '
fen den Dissidenten alle Hülfe, und nahmen sich ih-
rer dergestalt an, daß ihnen, nach manchem harten
Kampfe, durch eine förmliche Bestätigung, die
Verbesserung der alten Kirchen, in deren Besitz sie
nach den Gesehen der Jahre 1631, 1660 und 1717
geblieben sind, die Erbauung neuer Kirchen an die
Stelle der verfallenen, freye Religionsübung und
dergleichen zugestanden wurde. Seit dieser Zeit sind
viele von der griechischen Kirche zur römischen über-
getreten, oder haben sich mit ihr vereiniget, u"d
führen daher den Namen Untren, andre aber, so in
der Trennung beharren, heißen Dismmm.
In einem so ungünstigen Ausdrucke schon ein-b) Klmscy
mal der Geistlichkeit in Polen gedacht worden ist,
so zeigt e6 sich auch bey näherer Untersuchung, daß
eben sie die O.uelle mancher Verfolgung und Unruhe,
worinn das Reich verwickelt war, gewesen ist,
wenn sich auch iht ein günstigeres Urtheil von ihr fal-
len ließe. Man sagt, die Geistlichkeit sey znsörderst
nicht nur ungelehrt, sondern außerordentlich aber-
gläubisch, und habe eine große Herrschaft über den
gemeinen Mann nicht nur in geistlichen, sondern
auch in weltlichen Dingen. Im Geistlichen haben
sie sich stets bey dem Ansehen als Stellvertreter Ch.i-
sii zu erhalten gewußt; und im Weltlichen haben sie
auch den größten Theil der Güter des Staats an *
sich gerissen. Dieses beweisen die Güter und Ein-
künfte derselben, die so ansehnlich sind, daß sie fast
zwey Drittel der Göttin Polen ausmachen, wenn
man diejenigen noch mit rechnet, auf welche sie Gel-
der vorgeschojsen haben, und die sie als Unterpfänder
besihen. Abgerechnet andrer unzähligen Vortheile,
die ihnen zufließen, besitzt der König nur den dritten
Theil der Ländereyen des Reichs; und bloß die
Y 4 Zehnten,
Polen.
344
Zehnden, welche die Klerisey zieht, nehmen noch'
nach Abzug der Unkosten den fünften Theil der
Einkünfte aller Güter im Königreich weg.
Ueberhaupt behauptet die Geistlichkeit die erste
Stelle im Staat, als ein Vorrecht, welches ihr in
alten Zeiten aus einem mißverstandenen Gefühl von
Frömmigkeit zugestanden worden ist. Es hat auch
der Pabst den polnischen Bifchöfen, als Magnaten
und Fürsten des Reichs, durch eine Bulle die Ver-
günstigung erthcilet, daß ihre Stimmen im Kriege
und bey Todcsurtheilen Einstuß haben sollten. Der
Erzbischof von Gnescn ist, vermöge feiner Würde,
als Primas des Königreiches, das Oberhaupt, der
erste und vornehmste Staatsminister, und verrichtet
die Krönung deö Königes und der Königin», so wie
wahrend Erledigung des Thrones er unter dem Na»
men eines Interrex, die Geschäfte des Monarchen
verwaltet, und daher alle die Ehrenbezeigungen ge-
nießt , die zwar dem Amt eines geistlichen Seelsor-
gers zlnvider, aber doch der Hoheit feines Postens
angemessen sind. Wenn er ans feinem Palaste tritt,
tragt ihm ein vortrefstich berittener Priester ein gol-
den Kreuz vor, und fein Hastsmarfchatt reitet mit
hochgetragenem Marfchallsstab vor ihm her. Ec
hat so gut wie der regierende Monarch seine HauS-
officianten, eine zahlreiche Garde zu Pferde, feine
Pauker und Trompeter, die wahrend der Mahlzeit sich
hören lassen. Giebt er Audienz, fo fitzt er unter einem
Baldachin, und hat dann jedesmal seinen Kanzler
zur Seite. Man nennt ihl^ einen Fürsten und bey
der Anrede Ihro Durchlaucht; aber, wodurch er sich
vorzüglich bey der Nation wichtig macht, ist durch das
mir feiner Würde verbundene Recht, in die Geschäfte
des Königs zu dringen, dieselben auch nach Best»,
den zu tadeln, oder allenfalls gar auf einem Reichs-
Polen. 545
tage die nZthigen Bemühungen anzuwenden, den
König, im Fall er fehlte, zu seiner Pflicht zurück
zu führ"n. Endlich genießt er auch die Macht
Münzen zu prägen, eine Macht, die dem regieren-
den König selbst versagt ist. Der König nennt ihn
Lumme Reverende; und der Pabst, dessen stets
verordnter Gesandter (Legates natits) er in Polen
ist, echöht die Vorrechte dieses Prälaten, daß er sich
wie ein Kardinal roth kleiden, nur aber den rothen
Hut nicht tragen darf. Ferner vertritt der Bischof-
von Wladiölav in Kujavien, wahrend der Erledi-
gung deö erzbifchöstichen Stules von Gnesen, und
wahrend der Abwesenheit des Ezöischofes, die Stelle
d«6 Prälaten. Die Bischöfe von Rrakan und
plozk haben alle Gerechtsame regierender Herren,
jener in seinem Herzogchum Severien, (wo er sogar
Adeiöbriefe ertheilen kann) und dieser in dem pulto-
wischen Distrikte von Masuren, wo er die oberlan-
desherrliche Gewalt dergestalt hat, daß sich die da,
stgen Unterthanen von ihm nicht an den König wen,
den können; und so haben alle die übrigen Bischöfe
eine seltene Gewalt und Ansehen»
Alke Personen g-istlichen Standes stehen alfä
insgefammt unter den Bischöfen und den, ErzbL-
schof; was die Haupteinrichtung vom geistlichen
Gerichte betrifft, so verrichten solche die Bischöfe,
deren Stellen durch Verweser, oder Vikarien, in-
gleichen durch Kanzler und Hfficiale vertreten wer-
den, unter welchen letzter» der vornehmste dev
Haupt-oder allgemeine 9sffeial heißt; die übrigen
aber heißen Kriegöofstciale. Von den Bischöfen,
und denen, so ihre Stelle vertreten, beruft man sich aus
den Erzbischof, und von diesem an den Pabji. Die
geistlichen Richter bestrafen die Leute ihres Standes
unmittelbar, gegen weltliche aber muffen ste ßch zu?
V § Voll.
* $
346 Polen.
Vollstreckung ihres Unheils, den Dcystand der
Stabt-und Landbeamten auöbitten.
Was das lutherische Presbyterium U*
trifft, so besteht dieses aus den evangelischen Edeln,
oder Aeltesten der Gemeinde, und den Predigern.
Ehedem nannte man die vornehmsten gottesdienstli-
chen Personen Superintendent, itzt aber Gene-
ralsenior; auch die reformieren Gemeinden
haben, einen Generalsenior und drey geistliche
Seniors. Da nun unterschiedliche Religionöver-
faffungen eingeführt stnd, worein stch die Einwoh-
ner dieses Königreichs unter dem Namen Dissiden-
ten getheilt haben; so macht sich der König allezeit
anheischig dieselben zu schützen, nur mit Ausschluß
der Mennoniten, Widertauser, Socinianer und
Quaker.
Bürqerliche Alle europäische Staaten haben in ihrer Re-
Berfassang. gierungssorm manche Veränderung und Verbeffe-
3) Regie- rung vorgenommen; Polen ist das einzige Land,
rung form. Elches als eine Republik die königliche Würde bey-
behalten hat. Ehedem war es zwar ein Erbreich/
in der Folge aber gieng vor dem Antritt der Regie-
rung des neuen Königes die Erklärung deffelben zum
König von den Standen vorher, die Könige aber
nannten sich nicht bloß durch Bewilligung des Volks,
sondern zugleich durch Successionsrecht, Erben des
polnischen Reichs und der damit verbundenen Lander.
Nur nach dem Tode des Königs Sigismund August
ward das Gesetz gegeben, daß kein König mehr bey
Lebzeiten seinen Nachfolger bestimmen, noch zur
Wahl einen Reichstag ansetzen, sondern zu ewigen
Zeiten den Reichsstanden srey stehen solle, die
Wahl des Königes zu unternehmen; aus welche
Weise es nunmehr noch Hin Wahlkönigreich ist. Auf
diest Art wird Polen zwar von einem Könige be-
herrscht,
Polen. 34?
Herrscht, allein die Gewalt beruhet nicht auf seiner
Person, sondern im immerwährenden Reichsrarh und
dem übrigen Adel, welcher die Gesetze macht, und
der Monarch selbst hangt von diesen Gesetzen ab.
Er hat zwar bey allen Berathschlagungen den Vor-
sitz; da man ihn aber nicht anders als den Mund
der Nation ansteht, der die Gedanken aller Mitglieder
der Republik ausdrücken soll; so darf er nichts sa-
gen, was nicht ihren Gesinnungen entspräche. Die
Versammlung der Reichsstande wird ein ?\eid>e*
rag genannt, und entweder deswegen angestellt,
um über das gemeine Beste zu beratschlagen, oder
Gericht zu halten. Am gewöhnlichsten nennt man
sie ordentliche und außerordentliche: jene wer-
den nach den Gesetzen alle zmey Jahr erneuert, diese
aber im Nothsall verändert. Ein einziger Wider-
spruch eines Landboten reißt die ganze Reichstagsver-
sammlung danieder, und vernichtet augenblicklich
alles, was vorhin schon zur Gewißheit gebracht wor-
den war, daher die Anzahl der Reichstage in Polen
so groß, und Beyspiele vorhanden sind, daß unter
gewissen Königen, wie z. B. unter August 11!. kein
einziger zu Stande gekommen ist. Verbindet sich
aber der Adel, entweder bey Lebzeiten des Königes,
oder zu Zeiten der Thronerledigung, so wird
solches eine Konföderation genannt, und diese ist
schon oft die Quelle des größten Unglücks für den
Staat geworden.
Die Reichstagsgerichte sollen ferner stets zu
Warschau gehalten werden, und zu jeder Kadenz
sollen 24 Richter aus dem Senat und Mittelstände
erforderlich ftyn, daher auch allezeit 26 dergleichen
^ Richter dem Könige zur Seite bleiben, außer denen,
die zur Kadenz berufen Hnd, um im Nothsall die
fehlenden zu ersetzen. Diese Gerichte urtheilen zu-
348' Polen.
förderst über die Versetzung der Majestätsrechts,
über das Duetlverbrechen, über die Proceffe des un-
terdrückten Bürgers, über die Bescherden der Mi-
nister des Reichs, über die Glieder des beständigen
Raths rc. Ueberhaupt darf der König ohne Zuzie-
hung und Bewilligung der Reichsstände, weder
Krieg führen, noch Frieden schließen, noch Steuern
oder Schatzungen auflegen, weder Zölle noch Mün-
zen einführen oder verändern, weder Gesetze machen
noch Gerichte anlegen, keine Religionsstreitigkeiten
entscheiden, und auf dem Reichstage 1774 sind
nach dem Vorschläge und Willen der benachbarten
drey Mächte, welche den Staat eingeschränkt ha?
ben, der Gewalt des Königes noch engere Gränzen
gesetzt worden. Der König kann niemand einer ihm
ertheilten öffentlichen Bedienung entsetzen. Dis
Republik aber kann den König vom Thron stoßen,
wenn er die Gesetze des Staats Übertritt, also
kömmt die gesetzgebende Gewalt, und eigentlich alles,
was die Einrichtung des Staats betrifft, den all-
gemeinen Versammlungen der Nation, oder den
Reichstagen zu. Diese bestehen aus dem Neichs-
rath, und sehr vielen Edelleuten der zweyten.Klasse,
Die Reichöräthe sind Woiwoden oder Bischöfe; die
Landboten oder Abgeordneten des Adels einer jeden
Woiwodschaft machen die zweyke Klaffe aus, und
der Erzbischof von Gnesen, hat als Primas des
Reichs nnd der erste im Senat, nach dem Könige
auf deu .Reichstagen den Vorsitz. Die hohen Eh-
renstellen in der Republik begleiten zunächst den
Bischöfen die Woiwoden, deren Verrichtung
darinn bestehet, daß sie in den Feldzügen den Adel
aus ihrer Woiwodschaft anführen, und in Friedens*
Zeiten seine Zusammenkünfte besorgen, Ungleichen-
die Aufsicht über Gewicht und Maaß haben, und
die Juden in ihrer Woiwodschaft schützen und richten»
Polen- 349
Ahnen folgen die Rastellüne, welche in Friedens-
Zeiten weiter nichts als Reichsräthe sind und keine
Gerichtsbarkeit haben; in Kriegszeiten aber die
Stelle der Woiwoden, deren Generale sie sind, ver-
treten. Eigentlich werden sie in ihrer Sprache
Herren genannt, und in große und kleine ab-
getheilt; jene haben van den Woiwodschaften-
diese von den Distrikten, in welche sie vertheilt sind,
den Titel; jene sitzen mit den Woiwoden in einer
Linie und auf Stühlen, diese hinter den Woiwoden
auf Bänken. Endlich folgen die Staats-und
Rriegsbediente, als z. B. der RrSn-Groß-
niarfchall, derGroßmarfchgll vonLichauenZ
der Rron -(Vroß- Feldherr, der Groß.Feld?
Herr von Lithauen; der Rrdn. Groß . Ranz-
ler, der Mroß-Ranzler von Lithauen; der
Rron - Unter. Ranzler, der Unrerkanzler von
Lithauen; der Rron-Großschalzmeifter, der
Großschalzmeifter von Lithauen; der Rron«
Hofmarschall, der Hofmarschall von Li-
rhauen; der Rron. Unter-Feldherr, der Un-
ter. Feldherr von Lithauen; der Rron-Hof-
Gchatzmeister, der Hoffchalzmeister von
Lithauen. Alle diese Personen haben im Reichs-
rath den Vorsitz vor den großen und kleinen Kastella-
nen; ihre Macht und Ansehen ist ihrer Würde voll-
kommen angemessen, und ein jeder unter ihnen, kann
zu den höchsten Ehrenämtern im Reiche gelangen.
So vertritt ferner der Obersekrecair des Reichs
und der von Lithauen, bey Hofe und bey dem Hof-
staat, der Kanzler Stellen, in Abwesenheit derselben.
Ihnen folgen die Referendarien, deren Polen zwey
und eben soviel Lithauen hat, von denen einer geistlich,
der andre weltlich ist. Die sibrigen Beamten des
Reichs und des Großherzogthums Lithauen sind-
3«o Polen.
6« ©betfammew, der Hofschatzmeister, die
Aanzleydirekcoren, die Generalprokuratoren^
die Fahndriche, ^osfähndriche, Gchwerdc-
träger, Ober - und Uncerstallineister, Lü-
cbenmeister, Mundschenken/ Vorschneider,
Truchsesse, Uncertruchseffe, Wägermeister,
u. s. w.
Jeder Distrikt tmb Woiwodschaft hak ihren
Unterkämmerer, Fahndrich, Richter, Truchseß,
Obermundschenk, Unterrichter, Untertruchseß, Un-
termundschenk, Jägermeister, Rottmeister, Schwerdt-
träger re., welches meist aber nur Titel ohne Aemter
find. Unter diesen stehen die Gtarosten oder
Schloßamtöleute, welchen die Pflicht obliegt, nicht
bloß Aufseher über die königlichen Schlösser zu seyn,
sondern auch die öffentliche Ruhe und Sicherheit in ih-
ren Starosteyen zu haildhaben, und dieselben vor allen
gewaltsamen Eingriffen zu schützen. Jeder Sta-
rost hat einen Unterstarost, der in seinem Namen
die ganze Aufsicht führet, ingleichen einen Burg-
grafen, der die öffentliche Sicherheit erhält und
die richterlichen Aussprüche zur Erfüllung bringt,
auch bey den ordentlichen Gerichten einen Grod oder
Schloßrichter, einen (Verichrschrelber, so Gcod-
schreiber heißt. Indessen findet man auch Staro-
sten ohne Gerichtsbarkeit, deren Anzahl größer ist.
In den Städten find Bürgermeister und Rarhs-
manner, und auf den Dörfern Schulzen mit ihren
Gerichtsverwaltern nnd Schöppen. Jeder gemei-
ne Mann in Städten, Flecken und Dörfern,
steht theils unter dem Könige, theils unter den
großen Herren und Edelleuten, theils unter den
Geistlichen, die sämmtlich mehr nach Gutdünken,
als nach gewissen Gesetzen, herrschen.
So
Polen.
35i
Sü glänzend also das Ansehen des Königes im- d) Königs.
Mer seyn mag, und mit so viel Ehrerbietigkeit ihm ^bl, Titel,
auch begegnet wird, so ist doch hieraus leicht abzu- D^rorden^
sehen, wie sehr ihm von allen Seiten die Hände ge.
bunden sind. Es wird allezeit nach dem Absterben
des ersten ein neuer gewählt, und zwar unweit War-
schau bey dem Dorf auf einem freyen
Felde gelegenen und mit Graben und Wall umgebe-
nen Ort, welcher drey Pforten hat: eine für Groß-
Polen, gegen Morgen, eine für Klein-Polen, ge-
gen Mittag, und für Lithauen eine, gegen Abend.
Es wird daselbst zur Bequemlichkeit des Reichsraths
ein hölzernes Haus aufgerichtet, welches sie Scho-
pa heißen; die Landboten verfammlen sich außer-
halb desselben und ihr Ort heißt 'Sola d. i. Kreis,
worinnen ein Rath gehalten wird. Der übrige Adel,
der sich zur Wahl einsindet, halt sich weiter davon in
Zelten auf. Am Tage der Wahl erscheinen daher
die Senatoren und Landboten in dem Kola; und
dann rücken die gut berittenen Edelleute in den einer
jeden Woiwodschaft angewiesenen Plah naher an
Den Graben des Kola an, und stellen sich riugö um
denselben, um zur gehörigen Zeit ihre Stimmen
zu geben. Wem aber die Mittel fehlen sollten, we-
der ein Pferd, noch einen Sabel zu kaufen, der
kömmt zu Fuß, mit einer Sense bewaffnet, und
läßt sich in diesem Aufzuge mit eben so viel Recht
und Dreistigkeit sehen, als die Größten im Staat
mit der größten Pracht thun.
Ist auf solche Weise alles verordnet und ver-
anstaltek, so halt der . Primas an die im Kola ver-
sammleten Stande eine Rede, worinnen er die
Kronwerber, so sich gemeldet haben und lm Vor-
schläge sind, mit lauter Stimme bekannt macht, rei-
tet sodann unter einer Bedeckung von etlichen Sena-
toren
v
352 Polen.
koren vor der Fronte jeder Division herum, dasselbe
kürzlich zu wiederholen, und stimmt hernach kniend
bas Veni Creator Spiritus an. Hierauf verfügen
sich die Senatoren und Landboten zu dem Adel, jeder
8n seiner Woiwodschaft, und empfehlen ihm den von
den Kronwerbern, dem sie Wohlwollen, oder nennen
ihm auch bloß die Namen; der Primas aber und
der Wahlmarschall bleiben in dem Kola, um den
Erfolg der Wahl abzuwartm»
Gemeiniglich verwandelt sich nun die Scene in
ein tumultuarischeS, tausendfältiges verwirrtes Ge«
scbrey, wo bald dieser, bald jener Name die Luft
erfüllt; und weil nicht selten entgegengesetzte Mey-
riungen ihr Blut in Hitze bringen, so folgen diesem
Auftritt gar bald Schimpfen, Säbelhiebe, Pisto-
lenfeuer auf einander, da indessen der Prim-as und
die Senatoren den Hansen durch gütliche Vorstel-
lungen zu besänftigen suchen. Endlich sammlet
der Wahlmarschall durch Umfrage die Stimmen;
und wenn sie einhellig find , so reitet der Primas im
Kola herum und fragt noch zu dreyen malen: «objeder-
mann emgewilligt habe, den oder jenen zum König
an zun eh men ?" Drückt sich Nun wenigstens die größte
Menge bejahend und mit den Worten ans: «Er le-
tze, er gefallt uns," so ruft ihn alsdann der Erzbi-
schof mit Namen feyerlich aus, worauf die Mac»
schalle von Polen rmd Lithauen ein gleiches thun;
und am Ende wiederholt der Krön- Großmarschall
die Ausrufung an allen drey Pforten des Kola» Da
W aber selten so einig zngehet, auch öfters zwcp Kö-
nige gewählt worden sind., ft. -ist diesem Hinderniß
schon in soweit abgeholfen, daß nur die Stimmen
der Landboten und GevollmM)tigten, nicht aber aller
einzelnen Edelleute, gegeben werden-.
Nach
i
Polen.
353
Nach der Wahl stimmt der Primas das Te
Deum an, welches die ganze Versammlung vom
Donner des Geschützes, dem Klange der Instrumen»
te, untermengt mitFreudengeschrey, knieend mitstngt.
AuS Vorsicht, falls eine Trennung zu befürchten
stünde, wird nach der Ausrufung sogleich das oben
gedachte hölzerne Gebäude, die Schopa, fammk
dem Graben und allem dem, was die Einfassung des
Wahlfeldes ausgemacht hat, niedergerissen und der Er»
de gleich gemacht, um den Widersetzlichen ihre Ab-
sicht zu erschweren. Gleich darauf wird der Wahl-
vertrag von den Gesandten des neuen Königes,
so er abwesend ist, beschworen; ist er aber gegenwar»
tig , so thut er es selbst. Den Tag nach dieser wich»
tigen Ceremonie kommen die Senatoren und jandbo-
ken auf dem Schloß in Warschau zusammen und se-
tzen daselbst die Wahlurkunde in lateinischer Spra-
che auf, unterschreiben dieselbe, um sieden König
darzulegen, und im Fall er abwesend ist, so wird er
durch eine Gesandtschaft in das Königreich' ein-
geladen. Ist der König angekommen, so hal»
ten die Kanzler alsdann in seinem Namen dis
Danksagungöreden, und derMonarch muß knie-
end schwören, die ^vorgeschriebenen Bedingun-
gen zu erfüllen. Hb ihm auch die Wahlurkunde
überreicht wird, so darf er doch vor seiner Krönung
noch keine einzige königliche Gewalt ausüben, welche
Krönung auch nicht eher geschieht, als bis der letzt
verstorbene König beerdiget ist, die alten Siegel bey
seinem Grabe zerbrochen und neue gemacht sind»
Dieses Leichenbegangniß soll, nach dem Herbringen
dieser Nation, gleichsam die Seele des Monarchen
an seinem Krönungstage eben am lebhaftesten 'mit
dem Gedanken erfüllen, daß im Tode aller Unter»
schied der menschlichen Würden aushöre, und dann
nur unsre Werke uns Nachfolgen. Uebrigenö aber
II »m. II Abch» Z ist /
354 Polen.
ist das ganze Ceremoniel der Krönung so lästig und
langweilig/ daß der Monarch den Augenblick feg.
nen muß, der ihn von diesem lästigen Zwange be-
freyet.
Der Titel des Königes lautet in teutscher Spra-
'che also: «Rouig in Polen und Großherzog
in Lithauen, Reußen, Preußen, LNasovien,
Samogiticu, Ryovien, Dolhynicn, podo-
lieu, podlachien, Liefland, Smolensko,
Severien und Tschernichovien rc.
Das IPapcn des Reichs ist ein silberner
Adler im rothen Felde wegen Polen, unb ein silberner
Reuter im rothen Felde wegen Lithauen.
Der einzige National-Ritterordrn ist der
vonr wcißeir Adler, welchen König August II im
Jahr 1705 erneuert hak, und der an einem blauen
Bande getragen wird. Das Ordenszeichen bestehet
in einem durchsichtigen roth enwillirten goldnen
Kreuz, mit einem weißen Rande, zwischen dessen
Spitzen vier Feuerstammen stehen. Aus der vorder-
sten Seite ist der polnische weiße Adler, welcher aus
der Brust ein weißes Kreuz-mit den Kurschwerdtern
tragt; mif der andern Seite steht in der Mitte des
Königs Namen A. R. mit deMmschrift: pro siäe,
rege et lege. lieber dem Kreuz ist eine mit Dia-
manten besetzte Krone.
c) Adel- Im ganzen Um sauge des Wortes ist der Adel
in Polen frey, und hangt von niemanden als sich
selbst ab. Er ist in zwey Klassen getheilet imb zwar
in den benamten Reichörathchnd die Ritterschaft,
welche eigentlich die Republik auchmachen, ohnge-
achtet sie einen König erwählen, und diese beyden
Stande theilen die Oberherrschaft mit dem Könige,
mit dem Unterschied, daß der Adel die Gesetze macht,
- , und
Polen. 355
und der König sie befolgt. Jedweder Edelmann be-
hauptet eigenmächtiger Werse eine persönliche und
erbliche Oberherrschaft über seine Lehnleute, und in
der That giebt es nichts in der Welk, was den Ge«
rechrsamen, und auf seine Freyheit eifersüchtigen
Adel in Polen, gleich käme. Er ist auf seinen Gü-
tern unumschränkter Herr; seine Wohnung ist eine
Freystatt, aus den man keinen Verbrecher mit Ge-
walk abholen darf, und er selbst kann weder selbst
gefangen genommen werden, noch ist für ihn ein an-
ders, als der Republik Urtheil gültig. Justinen
Händen ist das Schwerdt der Gerechtigkeit über jei-
ne Unterthanen; ihm steht es srey, nach Willkühc
Tribute aufzulegen, und im Fall er einen von sei-
nen Bauern zu Tode prügelt, so legt er fünfzehn
Gulden auf die Grube, worinnen der Todtgeschlage-
ne verscharret wird, und ohnlangft galt auch das
Gesetz noch, im Fall er einem andern Edelmann ei-
nen seiner Bauern erschlug, so verpflichtete ihn das
Gesetz der Ehre zu werter nichts, als daß er ihm ei-
nen andern Bauer gab. Er verkauft ferner ein
Dorf samt den Einwohnern, in derselben Absicht,,
wie mau das Gut sammc dem Vieh verkauft, daher
es denn ein nicht seltener Anblick ist, daß Menschen
und Vieh, an einer letz^Joch gespannt, einerlei) Arbeit
verrichten. Wer Gefühl für das Wohl oder Un-
glück hat, so unsre Nebenmenschen drückt, der wird
in dieser geringen Schilderung des Druckes, unter dem
sie seufzen, fast zu zweifeln anfangen, ob es Chri-
sten sind, oder ob wenigstens ihre geistlichen Hirten,
die diese Handlungen begünstigen und empfehlen,
nicht andre Verrichtungen im Staate verdienten.
Die Aermsten unter dcn Adlichen dienet! bey den Nei-
chen, und nehmen auch, ohne stell für beschimpft jii
halten, den Lohn gleich jedem Dienstboten otv Be-
geht ein Edelmann in Livre») Fehler; so kann ihm,
Zs die
z;6 Polen.
die Peitsche denselben abgewöhnen, und alles, was
man bey solchen Bestrafungen aus Rücksicht deS
Adels beoba6)tek, ist, daß er seine Hiebe auf einem
unter die Knie gelegten Teppich empfangt. Es hat
einmal eine Zeit gegeben, da einige, sich dieser Er-
niedrigung zu überheben, auf den Einsall geriekhen,
daß sie Handel treiben wollten; aber es wahrte nicht
lange, so wurde durch eine Reichstagskonstirution ent-
schieden, daß Handel den Adel beschimpfe; und so fiel
dieses Vorhaben wieder in Vergessenheit zurück.
Man sollte glauben, sie würden daher auf dieses
hochgepriesene adliche Vorrecht geiziger seyn, und eS
niemand für Geld angedeihen lassen : allein wenn z.
B. ein reicher Jude die christliche Religion an.
nimmt; so kann er mit einiger Unterstützung von et-
lichen Großen den Adel erlangen, und dann macht
er auf den Landtagen eben so viel Geschrey und Lär-
men, als könnte er zwanzig Ahnen zahlen. Um die
Ehre, polnische Edelleute zu seyn, haben sich zuwei-
len auch auswärtige Prinzen beworben, und man
Muß gestehen, daß wohl in keinem einzigen andern
Staate so viel Adel aus dem höchsten Alterrhume zu-
finden ist. Auf das Recht, feine Könige zu erwäh-
len, thuk stch der Adel am meisten zu gut, und
eben dieses Recht ist auch einträglich für ihn, da er
nicht selten seine Krone an den Kandidaten, der das
meiste Geld hat, verkauft. Um alles zusammen zu
fassen was über den Adel gesagt werden kann, so ist
er auf der einen Seite der aufgeklärteste Theil, so
wie er auf der andern Seite die stärkste Säule des
Staates und die festeste Mauer der Republik seyn
will. Was seiner Trägheit und Umhatigkeit viel
Nahrung giebk, ist bloß der Umstand, daß er sich,
der Geburt nach, allen denen gleich dünket, von de-
nen er an Rang und Würden übertroffen wird, und daß
jeder lediglich um des einzigen Adelörechts willen der
Reihe
Polen. 357
Reihe nach sein Glück machen will, ohne daß er sich
die Mühe gäbe das geringste durch persönliche Ver.
dienste zu erwerben.
Wir haben bereits gesehen, daß Polen und das ö) Iustizver«
mit demselben vereinigte Großherzogthum Lithauen/^m^'
eine und dieselbe Republik ausmachen, in welcher
der König zwar als das Haupt angesehen wird, der
Reichsrath nebst dem Adel aber daö meiste zu sagen
hat; und hier fügen wir in Absicht der Justizverfas-
sung noch hinzu, daß es damit dieselbe Bewandniß
habe. Die bürgerlichen Gesetze sind nicht nur un»
verkommen, sondern auch so drückend, daß, wie ein
gewisser Schriftsteller sagt, es ganz einerley sty, „ob
der gemeine Mann bey den Gerichten -um Gerechtig-
keit anhalt oder der tatarische Khan, wenn »r mit
keiner mächtigen Armee ins Land kömmt, darum M,
tet, wenn nur seine Gegner Edelleute sind, oder
Geld haben, Richter und Advokaten zu bestechen.»
Die Starosten haben, wie oben gesagt, die GeritchS-
barkeit über besondere Distrikte, und die Landgerichte
über eine ganze Provinz; sofern nun ein gemeiner
Mann eines Verbrechens beschuldiget wird, so ist ihr
Spruch entscheidend; nur ein Edelmann muß vor
der allgemeinen Versammlung der Nation angeklagt
werden. Unter die höhen Gerichte gehören erstens
das Rron-Tribunalundein gleiches für Lithau-
en; zweytens die Rechnungskämmer, ferner
das Tribunal der Gerichte der Kanzler, die
alle Sachen, welche die Städte betreffen, richten,
an welches auch in-Sachen der Juden appellirt wird;
das Tribunal der Referendarien; das Tribu-
nal der Gbermarjchälle, welches dem Hof folgt,
sich bis auf drey Meilen von der Residenz erstreikt
und in allen Saä-en richtet, die zur Erhaltung öf-
fentlicher Ruhe dienen; die Gränzgerichre, und
O „ ~ Arte,
358 Polen.
affé èie, so unter dem Namen Uncergerichte begrif»
fen sind. Die Gewalt, richterliche Sprüche zu
vollstrccken, steht ben ben Woiwoden, und wird
von ihnen niedrigen Beamten übergeben; allein so
mäßig die Pcoceßunkosten in diesem Lande sind, so
wendet sich der Arme doch nur im äußersten Norhfall
an die Gerichte, weil er weiß, daß seine Sache gewiß
unterli.Z- wenn sein Gegner reich ist. peinli-
che Sachen sind sie sehr gelinde, denn Lebensstra-
fen sind nicht nur selten, sondern man läßt auch dem
Beklagten die Freyheit, durch ein- n Eyd den Hän-
den der Gerechligkeit'zu entgehen; unb ist er ein Leib-
eigner, so sucht ihn sein Herr um so mehr zu retten,
weil er durch seinen Tod verlöre. Zst der Ange-
klagte ein Edelmann, so entgeht er gemeiniglich der
Strafe durch die Flucht, weil er nicht eher in Ver.
hast genommen werden kann, bis er verhört und
verurtheilet ist. Alle Hauptverbrechen wider den
Staat sollen, den alten Gesehen zu Folge, mit dem
Tode bestraft werden, doch bleibt es meist nur bey
einer ewigen Landesverweisung; allein kein Verbre-
chen wird harter und gewisser bestraft, als das wi-
der die Geistlichkeit begangen wird, darüber dieselbe
in ihren Gerichten das Urtheil spricht, und strenger
und schrecklicher ist nichts, als, die Sprüche eines
Konföderationsmarschalls, die unverzüglich vollzo.
gen werden.
Wir erlauben uns hier eine kurze Erklärung
dieses Nebels in der Republik, welches gemeiniglich
Konföderation genannt wird, und eine Verbin.
düng oder Bündniß ist, das unter dem Vorwand der
Sorge für das gemeine Beste wider die landesherrki.
che Macht geschlossen wird, und dessen Folge fast
jedesmal ein einheimischer bürgerlicher Krieg ist.
Man hat dxeyerley Arten von Konföderationen: die
Polen. 359
erste ist die unschuldigste und besteht darinn: wenn
z. B. ein mächtiger Feind dem Staate mit einem
nahen Einbrüche drohet, so beruft der König unter
dem Bande der Konföderation einen Reichstag, und.
erklärt damit einen jeden, welcher der gegenseitigen
Partey beytritt, für einen Feind des Vaterlandes.
Unzufriedenheit, Erbitterung und Herrschsucht, oder
irgend ein anderes Interesse giebt alsdann Anlaß zu
einer zweyten Konföderation, welche der Republik
den entsetzlichsten Zustand bereitet, und der dritten
Art gleich ist, wenn sich die Armee wider den Staat
empört, welches die Polen in ihrer Sprache Aokoß
auödrücken, ein bey den Polaken schreckliches Wort,
und das Signal zur abscheulichsten Unordnung.
Manchmal trägt es sich zu, daß zwey Konföderatio-
nen entstehen, von denen bald die, bald jene das
Uebergewicht erhält; eine jede aber ernennt einen
Marschall, der, wie oben gesagt, eine erstaunliche
Gewalt hat. Er nimmt Gesandten an, befiehlt
den Gerichten, verordnet ihre geistlichen und weltli-
chen Einkünfte, ja nach Befinden auch die Einkünf-
te des Königes. Die Armee fo er anwirbt, stehtganz
unter seinen Befehlen, mit einentz unumschränkten
Rechte über Leben und Tod; und diese unermeßliche
Gewalt so ihm bewilliget wird, kann auf keine Wei-.
se vermindert werden', als daß er verpstichtet wird,
einstimmig mit seinen Lieutenants zu verfahren, wel-
che auf sein Verhalten ein stets wachsames Auge ha-
ben muffen. Ein Bild des schauderhaften Entse-.
tzens sind die sogenannten unerlaubten Konföderatio-
nen , wo in solchem Zustande alles für erlaubt, alles
ungeahndet verübt wird. Die Bauern, denen alles
geraubt worden ist, rotten sich zusammen, um sich
durch Straßenrauberep schadlos zu halten, und der
gemeine Soldqt, dessen Freyheit überhaupt weit
gebt» sättiget dann alle seine Begierden von Hab-
Z 4 * * sucht
Z6s Polen.
sucht auf die grausamste Weise. Die Kirchen wer»
den entweiht, die Altäre umgerissen und an den Or-
ten, wo die neuen Konföderationen herum schwär-
men, richten sie alles das an, was nur schreckliches
gedacht werden mag. Alle Künste des Friedens sind
unterbrochen. Die Dörfer werden durch die Fluche
ihrer Bewohner zu Einöden, die Städte werden zu
Grunde gerichtet oder verbrannt, und die benachbar-
ten Machte rücken dann mit ihren Truppen in ein
Land eiir, das mit sich selbst uneins ist. Diese Un-
ruhen erreichen nur durch einen Pacisicationö-ReichL-
tag ihre Endschaft, wo die Schlüsse allgemein er-
wogen, bestätiget, aufgehoben oder aufs neue fort-
gesetzt werden.
5) Königliche Die zum Unterhalt des Königes und der könig.
Einkünfte lichen Würde bestimmten Einkünfte, wmden ehemals
und Abgaben, aus gewissen Kronländereyen, aus dem Ertrag der
Salzg'-uben und aus den Zöllen erhoben, die über-
haupt nur ein sehr mäßiges eintrugen. Seitdem
aber das Reich zertheilt worden, die Salzgruben
und einige Kronländereyen der Kaiserinn Königin»
von Ungarn zugefallen sind, die. preusjrfchen
Zölle in den Händen des Königes von-Preußen,
einige Kronländereyen und ein Theil der Zölle zu
Mohilow die Kaiserin» von Rußland an sich genom-
men hat, seitdem sind auch die Einkünfte noch mehr
verringert worden. Es wurde im Jahr 1775 eine
neue Verordnung in Absicht der Staatseinkünfte ge-
macht, und 1776 übergab man auf dem Reichstage
«in Verzeichniß der Ausgaben und Einnahmen, wo-
bey man sah, daß sich die ersten auf 34,820188
Gulden, hingegen die Einkünfte nur aus 15,07a175
Gulden beliefen, und, um diesen Mangel von
19,760008 ©uJben zu heben, setzte der Reichstag die
Ausgaben auf 16 Millionen 836569 £rnib, nach.
Polen. ;6r
dem der König, welcher jährlich ?, 666666 Gulden
haben sollte, freywillig eine Million abtrat.
* Zu dem Ende ist auf alles starke Getränke, auf
alle ausländische ins Reich eingeführte Waaren,
und auf alle Maaren des Luxus vorzüglich, auf
Salz, Gtempelpapier, Rarcen und Feuer-
wäuern eine Auflage verwilliget worden, die Ju-
den sollen dieRspfsteuer doppelt bezahlen; und die
Starosteyen, die sonst nur ein Viertheil ihrer jährli-
chen Einkünfte entrichteten, sollen künftig drey Acht-
theile abgeben; Und wenn sie nach dem Tode dek
gegenwärtigen Starosten der Republikzufallen, so
sollen sie auf fünfzig Jahre verpachtet werden und
eben die Abgabe entrichten. Auch die Geistlichkeit,
die sich vorher von allen Steuern losmachte, ist itzt
eben so gut als andre Stände geschäht worden. Die
Bischöfe sollen 360,00© Gulden zahlen, welches
ungefähr der dreyßigste Theil ihrer Einkünfte ist.
Kein Staat hat so viel Mittel in Händen sich Kriegsverfast
gegen seine Nachbarn zu sichern, allein auch keiner sung.
ist so wenig darauf bedacht, als die Republik Polen.
Die ansehnliche und zum Kriegsdiensten geschickte
Menge Pferde nicht in Anschlag zu bringen, könn-
ten die Polen durch gute Zucht und Einrichtung ein
streitbares, fürchterliches Kriegsheer aufbringen.
Die ganze Kriegöwiflenfchaft der polnischen Trup-
pen ist aber äußerst gering, und ihre herzhaften oft
wüthenden Angriffe, sind sogleich gedampft, wenn
sie nur im geringsten ihren Plan scheitern, oder sich
zurückgetrieben sehen, da alsdann der klügste Anführer
seine Kunst vergeblich anwenden würde, sie wieder
in Ordnung zu bringen. Die Ursache eines so schlech-
ten Vertheidigungsstandes ist auch keineswegeS
schwer aufzufinden, da zu Vermehrung der Trup-
pen neue Auflagen erfordert würden, und diese erst
3 5 auf
362 Polen.
«uf dem Reichstag bewilligt werden müssen', dieses
aber durch den Widerspruch eines einzigen vereitelt
werden kann. Auch wußte man ehemals nichts
von einer in Sold stehenden Miliz, sondern jeder
Einwohner war auch Soldat, und im Nothsall be.
reit sein Leben zu wagen. Lithauen ward ihr Bey.
spiel, welches 1551 anfieng zu seiner Granzen
Sicherheit eine beständige Armee zu erhalten und zu
besolden. Weil aber diese noch nicht hinreichend
waren, so wurden noch andre geworben und eine
Eintheilung in Fußvolk und Reuterey gemacht. Ge-
genwärtig schätzt man die Armee im Ganzen auf
1 8,42 5 , wozu sowohl die Rron- als lichauische
Armee gehöret. Unter der ersten versteht man so-
wohl einheimische als fremde Truppen; jene stnd
insgesammt polnisch gekleidet und machen lauter
Reuterey, deren Name Husaren oder Panzerträ-
träger ist. Die Husaren stnd eigentlich Kürassirer
und bestehen aus lauter Edelleuten, die Dfficierrang
haben und Towarstsch genannt werden. Ihr Gehalt
ist jährlich 448 polnische Gulden. Die Panzerträ-
ger aber stnd leichter bewaffnet, tragen aber doch
Panzer, sie haben ihren Rang nach den Husaren,
und jeder hat jährlich 372 polnische Gulden Sold;
zu beyden aber kommen noch leichte Truppen zu Pfer-
de, nämlich Tatarn. Die auf teutschen Fuß einge-
richtete Regimentern bestehen aus Fußvolk und Dra-
gonern, die so wohl auf teutsch gekleidet, als auch be-
fehliget werden, ob schon der größte Theil der Officiers
und Soldaten aus Polen bestehet, die mehrentheils
nichts vom Teutschen verstehen. Die einheimischen
Truppen werden in sogenannte Pulks, und die frem-
den in Regimenter abgetheilet.
Nach den alten Gesetzen muß der Adel bey
wichtigen Vorfällen zu Pferde im Felde erscheinen;
diese
Polen.
Z6;
diese große 2trmee, welche ^ospolite genannt wird,
ist nicht nur schlecht disciplinirt, sondern mit vieler
Schwierigkeit erst in Bewegung zu bringen, und ohne
Befehl von dem Reichstage gehr der Pospolite nie zu
Felde. Der König ist allemal Anführer der Armee,
die Städte liefern Wagen und andre Kriegögerath-
schasten, auch eine gewisse Anzahl Infanteristen.
Ist der Adel zwey Wochen lang auf dem Versamm-
lungsort gewesen, ohne daß sich Gelegenheit fand
auf den Feind loszugehen, fo kehrt er wieder nach
Hause; ja er ist auch nicht verpflichtet über die
Granzen zu gehen, freywillig aber ist es ihm zuge-
stände», zu thun. Allein feit ,672 ist kein solches
Aufgebot geschehen, und der Nutzen ist nie erheb-
lich, theilü weil der Feldzug nie über Monate dauert,
theilö weil allezeit an den wichtigsten, zum Krieg er-
förderlichsten Hülfsmitteln, Mangel ist. Man hat
gesehen, daß sich der polnische Adel im Felde mit
mehr Pracht zeigt, als in Städten. Ihre Gezel-
ter sind herrlicher geschmückt als ihre Hauser. Die
Reuterey har schöne Pferde und Geschirr, haupt-
sächlich ahinen die Husaren und Pancernen die Tür-
ken in ihrer Pracht nach und ziehen nie ohne ein Ge-
folge von Bedienten ^zu Felde, welche ihre schönen
Pferde führen. Um desto abfallender ist das Fuß-
volk, welches schlecht gekleidet, schlecht bewaffnet
und nicht selten ohne Uniform ist. Auel) verstattek
der Adel nicht, Festungen in dem Innersten des
Reichs anzulegen, weil er selbst die Mauer der Re-
publik se»)n null, ihre Brust die beste Mauer wäre;
ob aber hier mehr Stolz, oder mehr Interesse zum
Grunde liegt, brauchen wir nicht recht zu ent-
scheiden.
Der allgemeinen und schicklichen EiUtheilung von EinjelneWst.
Polen Zu Folge, versteht inan unter dem ganzen Kundschaften.
nigreich
364 Polen.
X. Troß.Po. nigreich, erstlich Groß-polen, zweykens Riems
polen, drittens Lithauen, und gemeinschaftlich
zu Polen und Lithauen gehören die Herzogthümer
Rurland und Semgallen. Das erste. Groß»
auch Nieder »Polen genannt, besteht im eigentlichen
Verstände nur aus den Woiwodschaften Posen,
Ralisch und Gnesen, (welches letztere erst in neu«
ern Zeiten von der zweyten abgesondert ist;) denn
der Starost dieser Woiwodschaften heißt der erste
Ober-Starost von Groß.Polen, und der Landtag,
welchen diese Landschaften zu Sroda halten, wird
der Landtag von Groß. Polen genannt; hingegen
versteht man auch zuweilen im weitlauftigern Sinn
einen Distrikt der zwölf Woiwodschaften unter dem
Namen Groß. Polen, in welchen nur sehr wenige
Städte erheblich sind und einige Anzeige ver-
dienen.
PsM». Poznan ist die Hauptstadt von Groß «Polen,
eine ziemlich große, an der Warta und Proöna zwischen
Hügeln gelegene Stadt, welche mit einer doppelten
Mauer und einem tiefen Graben umgeben ist, und
jenseits des FlusteS zwey Vorstädte hat, welche in
einem großen Sumpf liegen, und sowohl als die
Stadt selbst bey Überschwemmungen des austreten,
den Flusses, ansehnlichem Schaden unterworfen sind.
Der Handel mit Teutschland hat die Stadt in Auf.
nähme gebracht, und außer verschiedenen Kirchen
und Klöstern, auch einem akademischen Gymnasium,
ist sie in Polen noch als die erste Gegend merkwür-
dig, wo die christliche Religion bekannt zu werden
anfieng. Die Städte Wschowa, Lesziio und
Rawicz stnd meist von Teutschen bewohnt, und ob
sie auch weder schön noch ansehnlich sind, so treiben
doch die Einwwohßer einen guten Handel, und Leszno
vorzüglich hat eine ansehnliche Menge Juden in sich,
Pole». 365
da jedem ReligionSverwandten Freyheit in Glaubens-
sachen zugestanden ist, so bald er nicht die öffentli-
che Ruhe störet.
Die Hauptstadt der Woiwodschaft gleiches Na-
mens Ralift, ist eine große mit Morästen, Mau-Kalisz.
ern und Thürmen umgebene Stadt, und besonders
von der Natur durch die zwey Arme des ProSna
befestiget; auch war ehedem ein berühmtes Jesiiiter-
Kollegium hier.
Schöner und größer, auch die älteste Stadt
im Reich, ist die in der Woiwodschaft gleiches Na-
mens gelegene Stadt Gnesen, deren Lage in einer Gnrsen.'
Ebene, zwischen Seen und Hügeln, dem Auge eine
angenehme Ansicht gewahret, und waö ihr in Polen
noch mehr Werth giebt, so ist sie nicht nur groß,
sondern auch mit Mauern umgeben und der Sitz
eines Erzbiöthums.
Die Woiwodschaft N7asau, ist unter allen
die größte in Polen, und besteht auö zehn Ländereyen,
welche unter sechsztzhn Starosten vertheilet sind. In
ihr liegt die Haupt. und Residenzstadt des Königs,
Warschau, woselbst die Reichstage gehalten wer-Warschau
den, und die auch zugleich der Sitz des Woiwoden
von Masau, eines kleinen Kastellans, eines Staro-
sten , eines Landgerichts und eines Landtags ist. Die
Lage der Stadt trifft fast die Mitte von Polen, ist
in einer großen sandigen Ebene an der Weichsel und
besteht theilö aus der Stadt selbst, theils aus den
Vorstädten, und diese machen den Ort zu einer gros-
sen Stadt; sie sind schön, haben breite und rei-
ne Straßen, und man sucht auch hier beständig
ihren Glanz zu erheben. Das königliche Schloß in
der Vorstadt Krakau, welches der König Sigis-
kyund III auf einer Höhe erbauen und August II
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Danzig. Danzig ist eine der schönsten, festen, reich-
sten, am häufigsten von Fremden besuchten, und
den größten Handel treibenden Städte in Europa.
Sie liegt dicht am Weichselstrom, eine Meile von
Polen. 367
der Oftsee, und war schon um das Jahr 997 eine
nahrhafte Stadt, welcher izu die Kreuzherren
viele Verschönerung beylegten, iZ48 aber mit
Mauern und Graben beseftigten. Man sieht die
Stadtalseine freye Hanseftadt an, die sich selbst,
nach ihren eigenen Gesetzen, durch ihre eigne Obrig-
keit und durch einen Senat regieret, der den Na-
men einer Verzierung führet. ' Man rechnet die
Zahl der Einwohner, von denen die meisten luthe-
risch, die reichsten und vornehmsten hingegen refor-
mirt sind, (abgerechnet der vielen Franzosen, so des
Handels wegen dahin kommen) aus 60000, und
die Privilegien der Stadt sind allerdings wichtig.
Sie hat z. B. Sitz und Stimme auf dem polni-
schen Reichstag und der Königöwahl, darf Mün-
zen schlagen, Bernstein fammlen rc. Sie ist in
zwey Thcile in die Alt - und Neustadt getheilet, wo,
vorzüglich gegen Abend und Mitternacht zu, die
Natur ihre Festungswerke angebracht hat, und dev
Stadt durch sehr hohe Berge eine sichre Brustwehr
giebt. Die öffentlichen Gebäude sind schön, die
Privathauscr gut, nur im altvaterischen Geschmack,
die Straßen enge, dunkel und eben nicht sonderlich
rein. Das Zeughaus, die Börse ( Aintshof ge-
nannt) das Rathhalls und der S. Dominikusplatz,
verdienen alle Aufmerksamkeit. Es bestnden sich
darinn zwölf lutherische, Kirchen, zwey reformirte,
sieben katholische ohne eine Menge Klöster. Der
-Hafen an der Weichsel tß zwar nicht sehr tief, aber
desto sicherer und bequenl, und nimmt alle Jahre
über tausend Schiffe ans, welche Wolle, Leder, Zeu-
ge, Oel, Butter', Wachs und aildre Maaren ein-
bringen und abholen. Was die Streitigkeit dieser
Stadt wegen der freyen Durchfahrt der preussistben
Schiffe betrifft, so sind sie bis itzt nochmicht entschieden
Polen.
Lhvren.
368
und die Zukunft mied erst entscheiden, wer von bep-
den das Ucbergewicht behalten wird.
Thoren ist die zweyte große und älteste Stadt,
die um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts das
Joch der teutfchen Ritter abwarf, und sich unter
den Schutz der Könige von Polen begab, die ihr ver-
schiedene Privilegien zugestanden, und zwar unter
andern das Recht sich selbst zu regieren. Man lei-
tet ihren Namen von ihrem Erbauer her, welcher
durch diese Stadt gleichsam ein Thor oder Eingang
ins Land Preußen eröffnete; unvermerkt wurde sie
in der Folge eine berühmte Handels - und Hanse-
stadt, die man auch bald anfangs Ln die Alt. und
Neustadt eintheilte. Die Bürgerschaft schätzt man
auf tausend Mann, welche größtentheils evangelisch
sind; e6 sind aber den Evangelischen nach und nach
von den Katholischen ihre Kirchen abgenommen wor-
den, so, daß die Neustadter ihr ehemaliges Rath-
haus zu einer Kirche bereitet, die Alrstadker 175^
am Markt eine neue Kirche zu bauen angefangen
haben, die Katholiken aber haben in der Stadt drey
Kirchen nebst zwey Klöstern. Ob auch die Brücke,
so über die Weichsel führt, nur von Holz erbaut ist,
so giebt ihr ihre Lage von einer halben Stunde doch
gewiß ein gefallendes Ansehen, und wird für die
Stadt ein sehr kostbar zu unterhaltendes Work, weil
das Eiöjjjahrlich einen beträchtlichen Schaden ver,
ursirchet, der immer sehr ^nühsam und kostbar aus-
zubessern ist. Die Seite aber nach der Stadt zu,
wird die teutsche Brücke über die teutsche Weichsel,
und die andre Seite, die polnische Brücke über die
polnische Weichsel genannt. Man rühmt Ln dieser
Gegend, vielleicht nicht ganz ohne Grund, der be-
sonders schmackhaften Steckrüben, des khorner Ge-
Polen. r 369
würzpfefferkuchens u. dgl., bey den Gelehrten aber
hat sie ein andres Andenken, da sie der Geburtsort
des großen Sternkundigen àiklas Ropernicus
ist, welcher im Jahr 1472 hier geboren wurde, und
dessen Grabschrist noch bis itzt in der S. Iohan-
niskirche anzutreffen ist. Im Jahr 1724 entstund,
aus einer geringen Veranlassug, ein gewaltiger Tu-
mult in der Stadt, weil ein jesuitischer Student bey
einer Procession einige der evangelischen Zuschauer
beleidigte, so daß der Pöbel in die Schule und das
Jesuiterkollegium drang und allerhand Gewaltthatig-
keiten verübte, die nur durch einige Lebensstrasen wie-
der besänftiget wurden.
Die zweyte Provinz, R lein - auch Ober - pö? 11. à'in
len genannt, bestehet eigentlich nur aus drey Woi- Polen.,
wodschaften, als Rrakan,Sendomir und Lublin,
und diese Provinz hat im Jahr 1772 einen starken
Verlust erlitten, da das Halls Oesterreich aus den
davon abgerissenen Stücken ein ganzes Königreich
unter dem Namen Galizien imî> Lodornerien er-
richtet hat.
Die Hauptstadt, so in der Woiwodschaft Krü- Krakau»
kau und in einer fruchtbaren Gegend liegt, heißt
Rrakau, ist mit Mauern, Wall und Graben um-
geben , und enthält verschiedene Kirchen und Klöster,
unter welchen erstern die Marienkirche die vornehm-
ste ist. An der Abendseike ist eine Vorstadt, welche
durch schöne Gärten, Lusthäuser, Gebäude und Tei-
che noch mehr verschönet wird; auf der Süderseite
empfiehlt sich das königliche weitläufige Schloß, auf
einem Felsen erbauet, welches, mit Mauern, Thür-
men und Bollwerken umgeben, völlig die Gestatt
einer kleinen Stadt hat. Außer einer Universität
hat sie nichts Großes mehr, seitdem sie nicht mehr
die Residenz der Könige ist. Ihre kleinen Vorstädte
11 Bans. HiAdch. A a ohne
370 Polen.
ohne Mauern empfehlen sich wenig, und die Stadt
selbst blühete nur ehemals, ehe noch die beyden
schwedischen Kriege und die letzteil innerlichen Unru-
hen ihre Entvölkerung bewirkt haben. Gegenwa»
tig sollen in Stadt und Vorstädten nur 16000
Einwohner leben.
Zwischen dieser Woiwodschaft und Schlesien
liegt das ehemals zu Schlesien gehörige Herzogthum
Seltenen. Geverien. Der Bischof von Krakau, so sich hiervon
Herzog nennt, ist vollkommener Overherr desselben,
und selbst die darinn wohnenden Edelleute sind seine
Unterthanen; er ertheilt auch adliche Würden, wel-
che jedoch außer den Granzen seines Herzobtsiums,
für unacht erkannt werden, ja die Republik sieht das
Land nicht als ein ihr zugehöriges Stück an, und keiner
von dem polnischen Adel, würde sich überwinden kön-
nen, eine Brüderschaft mit einem Severier zu er-
richten.
In der Woiwodschaft Lublin merken wir die
Luölm Hauptstadt Lttblin, deren Lage sehr angenehm und
die außerdem mit Mauern, Graben und großen Seen
umgeben ist.
Die Woiwodschaft podol, im Teutschen
podolien genannt, verdient besonders ihrer natür-
lichen Produkte wegen für die fruchtbarste Landschaft
gehalten zu werden, und mir haben ihre Vorzüge in
Absicht der Weide, des Getraides, der Bienen-
und Viehzucht schon zw verschiedenen malen er-
Kaminiezk wähnet. Die Hauptstadt ist Raniiniezk, am
Dniester, Chotschin in der Moldau gegenüber, zwar
etwas verfallen, aber doch die beste Festung im
, Lande.
In der letzten Woiwodschaft, Tschernichow,
Zaleschijk. finden wir nur die einzige Stadt Zaleschzik erheb-
' lich;
Polen. 371
lich; auch sie ist erst noch im Wachsen, und hat ihren
Ursprung dem verdienstvollen Grafen Poniatowsky zu
danken. Sein Pallast steht auf einem großen Platz
und ringsherum die übrigen Gebäude. Die meisten
Einwohner der Sradt sind Fremde, und nur durch
des Grafen Vermittelung ist die Stadt zu dem ge-
worden, was sie itzt ist. Er ließ verschiedene Hand-
werker, Manufakturisten und andre Kolonisten aus
Teutfchland kommen, daher mau gute Tücher, Glas
und dergleichen verarbeitet; und es ist sichtbar, wenn
mehr dergleichen Wohlthater der Nation die Augen
öffnen wollten, so müßte bey allen Hinderniffen
doch bald ein sichtbarer Theil der Verbefferung zue
Wirklichkeit gebracht werden können.
Schon bey Rußland und Preußen ist dieses Hk- Das
Großherzogthums Erchauen gedacht worden, allein ^l-oßherzog.
hier zu Polen muß es mehr als alliirres Fürsten--")au-
thum, als eine Provinz angesehen werden, zumal
es mit Polen dieselben Rechte beobachtet, den drit-
ten Theil von den Truppen, so zur Kronarmee be-
stimmt sind, und den vierten Theil von allen Gel-
dern bezahlet, die zum Dienste des Krieges bewilli-
get werden. Ehedem war es ein Land voll Wälder
und unangebauker Gegenden, mit Sümpfen und
Morasten durchkreuzt, worunter eine Menge von
Landseen und Flüssen, voll von schmackhaften Fischen,
das einzige Vorzügliche waren. Man hat zwar der
Waldungen durch Anpflanzungen weniger gemacht,
man baut zwar viel Buchweizen, hat vortreffliche
Wiesen, gutes Vieh und Weide, Schafe, deren
Wolle sehr fein ist, und in den Wäldern, wilde
Schweine, Auerochsen re., allein so gut das Land
auch an lind für sich ist, so hat man immer nur ei- -
neti Theil desselben urbar gemacht und angebauet, da
der Boden doch alle anverkrauten Güter (nur Wein'
Aa 2 aus- 7
Wilna.
Grodno.
372 Polen.
ausgenommen) nicht nur tragen,' wenn es den
Einwohnern mehr Ernst wäre, sondern auch ihre
Mühe reichlich belohnen würde. Die große Menge
von Honig, die hier erzeugt wird, nutzt indessen zu
allerhand Getränken, und besonders den vortrefflichen
Meth davon zu machen, der bey vielen Einwohnern
die Stelle des Weins vertreten muß.
Sähe man hier chen so sehr auf die eigentlichen
Rechte der Menschheit, als man übrigens tolerant
gegen Meynungen ist, so würde Lithauen den pol-
nischen Provinzen zum Muster ausgestellt werden
können; allein die Rechte der Herren über die Gü-
ter, und was noch grausamer ist, über das leben
der Unterthanen, werden hier sehr oft noch in ihrem
ganzen schändlichen Umfange gehandhabt, und alle
die Nationalkarakterzüge, so wir schon einzeln von
diesem Volk entworfen haben, beweisen, daß sie bey
ihrer Gutherzigkeit und Ehrlichkeit ein besseres L00Z
verdienten. Die römisch-katholische Religion ist
zwar die herrschende, aber cs sind auch viele Luthe-
raner, Griechen, welche vor den Evangelischen vie-
les voraus haben, Juden, Socinianer, Mohäme-
daner rc. im Lande.
Jetzt besteht Lithauen noch aus sechs Woiwod-
schaften, von denen zwey das eigentliche Lithau-
en ausmachen, nämlich Xpiliia und Trozk- Im
eigentlichen Lithauen ist die Haupstadt Wilna, wel-
che sehr groß ist und in einer bergigten Gegend auf
vielen Hügeln liegt. Alles, was Erhsblichcö von ihr
gesagt werden kann, ist, sie treibt gutsn Handel.
Grodno ist nur mittelmäßig und unordentlich
gebaut, aber nach Wilna die beste Stadt in Li-
thauen. Sie liegt thells am Fluß Niemen aus ei-
nem Berge, theils im Grunde und mit vielen Ber-
,7 gen
Polen. 373
gen umgeben. Da nur wenige Straßen darinnen
gepflastert und auch nur wenige Manufakturen
seit einigen Jahren in Aufnahme gewefen find, so
ist leicht zu erachten, daß sie sehr mittelmäßig seyn
müsse. In Weiß-Schwarz-und lithauistch
Rußland, finden wir keine einzige erhebliche Stadt,
sie waren entweder vor Alters nur beträchtlich, oder
sie sind nur kleine Oerter, auf Bergen oder in Tha-
lern gelegen, ja die meisten nichts als Städtchen.
Rurland, in der lettifchen Sprache Rur- VI. Die Her?
Semme, soll so viel als ein Landlbedeuken, das^gthümer
sich an oder in die See erstreckt und auf Teutsch
Seeland heißen. Es granzt gegen Abend an die
Ostsee, gegen Mitternacht an den rigifchen Meer-
busen und Livland, gegen Morgen an das eigentliche
Lithauen, und gegen Mitternacht an Schamaiten;
und feine Lange betragt etwas über 50, die größte
Breite auf 30 Meilen, weil es gegen Osten ganz
schmal wird. Nur wenig Distrikte ausgenommen,
ist der Boden übrigens von einer fetten und thonig-
ten Erde, voll Wälder und Sümpfe, weswegen
im Herbst und Frühjahr die niedrigen Wiesen unter
Wasser stehen, so aber zu ihrer Fruchtbarkeit nichs
nachtheilig ist. Man trifft daher auch manche gute
Aecker, Wiesen, Flachsbau, einen Ueberfluß an
Seefischen, in den Wäldern allerley Wild, und in
der Ostsee viel Bernstein an, auch außerdem Eisen-
Stein - und Gipögruben, ingleichen manche gute
Gesundbrunnen. Diejenigen Flüsse so Kurland
durchlaufen, sind: die Windau, die Aa, Abcur,
Berste, Anger und andere, von denen die zwey er-
sten groß, die andern nur klein sind.
Die Einwohner des Landes find theils Teut-
sche, theils Letten, theils Liven, welche letztem aus
Livland gekommen zu steyn scheinen, zwar ihre alte
Aa z Sprache
Polcn-
374
Sprache unter sich beybehalteu, ihren Gottesdienst
aber in lettischer Sprache haben. Die teutsche und
lithauische Sprache sind die beydeu Hauptsprachen
in Kurland, und in beydeu wird Gottesdienst gehal-
ten. Man findet zwar keine sehr ansehnliche Städte
und Bauart, allein besser sind sie doch, als die
Wohnungen der ietten in Semgallen, die nichts als
niedrige, von über einander gelegten Balken und mit
Stroh oder Moos verstopfte Rauchstuben sind, und
gar leicht in Brand gerathen. Ihren armseligen
Wohnungen ist auch ihre übrige Aufklärung äuge-
messen; denn in Ermangelung der Schulen und einer
Anleitung zur Erziehung, können die wenigsten iet*
teu lesen oder schreiben, und leben als Leute, die bloß
dem Willen ihrer Obern zu gehorchen gewohnt sind.
Im Jahr 1533, als sich Kurland der Krone Po-
len unterwarf, war die lutherische Religion die allei-
nige; allein die nachmaligen Irrungen, so zwischen
den Herzogen und Eoelletiten entstunden, -brachten es
auch dah'.n, daß die katholische nunmehr dieselben
Rechte genießt, und nur die Resormirten von den
Ansprüchen gewisser Bedienungen im Staat ausge-
schlossen sind. Auch gab man 1754 ein sehr nach-
drückliches Gesetz, keinen Juden zu hegen; jedoch hat
man nie sehr strenge darüber gehalten. Alle Predi.
ger stehen unter dem sürsilichen Konsistoriunr und
unter der Aufsicht des Superintendenten, der Prob-
sie und der Kirchenvisitatoren; den erster» setzt der
Herzog allein, diese aber werden von der Land-
schaft vyrgefchlagen und vom Herzog bestätiget.
. In Absicht der Regierungsform der Herzog,
thümer Kurland und Semgallen, ist durch eine kö-
m'gliche polnische Kommission festgesetzt, daß im
Lande vier Mberrarhe, nämlich ein Landhyfmeistcr,
Kanzler, Oberburggraf und Laudmarschall, nebst
m noch
\
Polen. 37S
noch zwey RechtSgelehrten seyn sollen. AliS diesen
6 Personen besieht der Geheimerath des Herzoges^
wovon die Oberrathe in Abwesenheit oder nach dem
Tode des Herzogs die Regierung verwalten. Auch
sind noch zwey Oberhauptleuce, zwey in Sem-
gallen, nämlich zu Mitau und Seelburg, und zwey
in Kurland, zu Goldingen und Tuckum, welche den
Adlichen und andern in ihren Kreisen das Recht spre-
chen. Alles, was in dem fürsilichen Hosgericht über
600 Gulden vorfallt, gelanget zur Entscheidung an
de», König von Polen.
Der ersie Herzog Gothard nahm den bisher
beybehaltenen Titel an (ausgenommen, von Gottes
Gnaden) in Liefland, zu Kurland und Gem-
gallen, Herzog. Das wapen bestehet aus vier
Feldern: in dem ersten und vierten ist ein rother
Löwe mit einer goldncn Krone im weißen Felde
wegen Kurland; wegen Semgallen ist im zweyten
und dritten ein gekröntes halbes Elennthier mit
natürlich braunen Farben im blauer: Felde. In der
Mitte des Schildes liegt sonstein kleinesMitkelschild,
der sich aber nach dem regierenden Hause richtet; das
Wapen umgiebt ein Fürstenmantel von Purpur und
Hermelin, welchen zwey goldne gekrönte Löwen hal-
ten, oben mit einem Fürstenhut bedeckt.
Der kurlandische Adel ist nicht nur sehr zahl-
reich, sondern besitzt auch verschiedene Vorrechte,
außer daß er an den polnischen Reichstagen keinen
Antheil nimnit. Er hat aber zum Beyspiel ausden
Erbgütern seine Unterthanen zu seinen Diensten,
mit denen er Ordnungen anstellen darf wie er will,
giebt von den Erbgütern gar keine Stenern ab, son-
dern in Kriegszeiten den Roßdienst, der entweder
aus 200 Reutern, oder im ersten Jahr des Krie-
Aa 4 ^ ges
376 Polen.
ges aus 30,000, und in den folgenden aus 10,000
THaler n bestehet.
Die Einkünfte des Herzogs können nicht genau
gestimmt werden, sollen aber sehr ansehnlich seyn,
und fließen besonders aus den Domainen, so über
(in Drittheil des Landes ausmachen.
Ehedem gehörte Kurland zu Liefland, und hat
mit demselben bis ins dreyzehnte Jahrhundert einer-
lei) Veränderung gehabt. Als aber 1560 die Rus-
sen ins Land stelen, so trat der letzte keutsche Ordens-
meister, Liefland an Polen ab, und ließ stch dagegen
von demselben mit Kurland und Semgallen, als
weltlichen Herzogthüniern erblich belehnen. Unter dem
sechsten Herzog Friedrich Wilhelm, wurde das
Land im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von
den Schweden und Rußen sehr mitgenommen; er
vermahlte sich aber 710 mit der russischen Prin-
zesstnn Anna, die nach seinem 1711 ersolgten Tod,
tinver dem Schutz ihres Oheims des Zaren Peters I.
ihren Wittmensltz in Mitau nahm. Zwar kam die
Regierung des verstorbenen Herzogs Vatersbruder
Ferdinand zu, der sie auch antrat, allein -wegen
Streitigkeiten mit dem 2ldel, und seiner steten Ab-
wesenheit kam es 1726 zu Mitau zu einem außer-
ordentlichen Landtag, allwo des Königs in Polen
natürlicher Sohn, Grafen Moritz von Sachsen,
mit allen feinen Nachkommen zum Nachfolger,
nach Ferdinands Tode bestimmt wurde, dagegen
aber Polen noch verschiedene Einwendungen machte.
Als aber Anna Iwanowna nach Peters II. Tode
im I/1730 .dem russischen Thron bestieg, ver-
mahlte sich dee-Herzog Ferdinand im ?zstenJahre
seines Altexs, mit Johanna Magdalena, einer
Prinzessrnn von Sachsen-Weißenfels, undempsteng
1731 die ordentliche Belehnung vom Könige. Un.
terdesten
Polen. 377
kerdesseu ließ die Kaiserinn Anna, nach dem Tode
des polnischen Königes August LI ihre Truppen in
Kurland rücken, theils um es zur Errichtung eines
Waffenplatzes, theils zu einem Magazin zu brau-
chen. Als Ferdinand starb, so empfahl die Kaise-
rinn ihren Oberkammerherrn, Grafen Ernst Jo-
Hann von Biron, einen gebornen Kurlander, und
die wirkliche Belehnung des neuen Herzogs erfolgte
im 2» 1739' Allein nur kurze Zeit genoß er fein
Glück, denn die russische Großfürstinn ließ ihn 1742
mit seiner ganzen Familie in Verhaft nehmen, und
schickte ihn 1741 ins Elend. Hierauf wurde der
königlich-polnische und churfürstlich-sächsische Prinz
Karl zum Herzog ernannt, zu dessen Vortheil die rus-
sische Kaiserinn aufalle ihre Forderungen Verzicht that.
2"i Jahr 1762 erfolgte aber für Kurland eine neue
Scene, denn erstlich rief'Peter LH den Herzog
Johann und seine Familie wieder zurück, und setz-
te ihn in völlige Freyheit; alsdann hatte er Willens,
nach vorhcrgegangener Verzichtleistung Herzogs
Johann auf Kurland, seinen Oheim, den Herzog
Georg Ludewig von Holsteingottorp, zu der herzog-
lichen Würde zu erheben. Als aber seine Absetzung
und sein Tod diese Ausführung verhinderte; so gab
die Kaiserinn Katharina LI. nicht nur dem Herzog
Johann die ihm ehemals in Kurland zugestandenen
Güter zurück, sondern entließ ihn anch mit seiner
Familie nach Kurland, mit der Versicherung ihrer
Gnade. Johann ließ -von Petersburg ein Reskript
an die kurländischen Oberräkhe ergehen, darinn er
sich dem vom Herzog Karl angesetzten Landtag wi-
dersetzte und erklärte, daß er sich keines Fehlers be-
mußt sey, und nie seine Rechte auf Mrland fahren
lasten wolle. Hierauf grenz nicht nur der Landtag
zurück, sondern Johann kam von Petersburg und
nahm wirklichen Besitz vom Herzogtum, und Karl
Aa 5 mußte
I. Das ei«
gentlicheKur«
land-
Windau.
Libau-.
Mitau.
Z/8 Polen.
mußte weichen. Polen fehle fest, daß der Herzog
die Belehnung wieder vom König von Polen neh-
men, oder, wenn fein Alter ihn verhindere, sein
ältester Sohn Peter für ihn, und für sich selbst als
Nachfolger solches thun sollte. In; Jahr 1768
trat der alte Herzog die Regierung des Landes seinem
Erbprinzen Peter ab, der 1770 die Huldigung
einnahm; und der alte Herzog starb im I. 1772.
Kurland und Semgallen sind beyde in (Dbev*
hauprmannschafcen, und diese in gewisse Kreise
oder Distrikte, welche Airchspielegenennt werden,
abgeeheilet. Auch nennt man Kurland und Sem-
gallen im Gegensatz des pilteiischen Distrikts,
das Grdensche, und diesen letzten Distrikt das
GriftLjche. Im ersten eigentlichen Kurland liegt
die Stadt
Lindau, eine mittelmäßige mit einem Ha-
fen versehene Stadt, die der folgenden, Eibatt, nicht
bey kömmt. Diese ist eine fürstliche See. und Han.
delsstadt an der Ostsee, zwar ossen und von mittel-
mäßiger Größe, auch von lauter hölzernen Hausern,
aber doch unter den wenig guten Städten eine der
besten.
Die Hauptstadt und fürstliche Residenz ist
Mitau, am Flusse Aa, ziemlich weitlauftig durch
Garten und ledige Platze; außer zwey lutherischen
Kirchen giebt es noch eine reformirte imb eine katho-
lische, und außer der Schule ist noch ein Gymna-
sium, so von seinem Stifter, Herzog Peter, im
Jahr 1775, eingeweiht wurde, und von ihm den
Namen führet. ..
Noch gedenken wir als einen Anhang des pil-
renschen-Distrikts, welcher ehedem das knrlan-
Polen. 379
dische Bisthum oder Gcifc genannt wurde, und
seine»! Namen von dem alten Schloß pilten herlei--
tet, welches der dänische König Waldemar II. im
Jahr 1220 erbauen ließ, da er in dieser Gegend
zur Bekehrung der ungläubigen Einwohner ein Bis-
thum errichtete. Dieser District hat seinen eignen
Superintendenten, sein eigen Konsistorium, stehen
Kirchspiele, aber keinen erheblichen Ort.
Ohne uns bey den dunkeln, in lauter Fabeln Ctaatsver-
gehüllten Erzählungen aufzuhalken, womit man das Änderungen,
hohe Alter der polnischen Nation, und ihre Abstam- ^
mung zu erweisen gedenkt; scheint es genug gesagt zu
se»)n, »Denn wir dem allgemeinen Unheil beytrete»» l^6.
und die Polen als ei»» Volk beschreiben, welches am
wahrscheinlichsten von de», am schwarzen und asost.
scher» Meer gesessenen Eaziern seinen Namen her-
leitet, außerdem aber schon in der ältesten Geschich-
te, theilö durch unbändige Wildheit, theils durch
siebe zur Unabhängigkeit, vor vielen andern Völkern
ausgezeichnet gewesen ist. Auch scheint es, daß ei-
ne eigentliche Regierungsform erst gegen das sechste
Jahrhundert christlicher Zeitrechnung eingeführt
worden sey, und daß die Oberhäupter dieser damals
höchst wilden Nation, anfänglich weiter nichts, als
eigentliche Herzoge waren, worunter sie sich Heer-
führer oder Feldherren dachte»'. Diesen folgten zwar
Könige, allein sie bekamen wiederum Herzoge zu
Nachfolgern, bis an dieser Stelle wiederum Könige
traten, deren Titel und Würde seitdem unverändert
geblieben ist.
piast, ein Ackermann aus dem Flecken Krus-
wig, wurde im Jahr 840 zu dem ersten Herzog
in Großpolen erwählt, dessen männliche Nachkom-
men bey sechsthalbhundert Jahr lang als Beherr-
scher des Reichs bestanden-, und Heiden waren.
Seine
380 Polen.
Seine Tugenden scheinen ihn aus dem Schooß der
Niedrigkeit erhoben zu haben, wenigstens zeigt seine
Regierung, daß er den Thron würdiger besessen als
der Fürst, der demselben vor ihm gehabt hatte; auch
seinen Nachkommen glückte es noch eine Zeitlang das
Scepter zu führen, und ihre Nation zu gesitteten
Menschen zu machen, wovon einer, Boleslav,
(den wir weiter unten kennen lernen) einen großen
Schritt zur Aufklärung unternahm, und diesen mit
der königlichen Würde unterstützte.
LIAecislaus I, der vierte nach Piast und
desselben Großenkel, trat dieRegierung im Jahr 964
an, und gleich im folgenden nahm er auch auf vieles
Zureden eines Kardinals die christliche Religion an,
welche er sich auch in der Folge zum Hauptgeschäfte
machte und eifrigst an ihrer Verbreitung arbeitete.
Dieser erste christliche Herzog erhielt sein Land als ein
Lehn von dem teutschen Kaiser, der auch unter seinem
Sohn und Nachfolger, Boleslaus I, das Erzbis-
thum Gnesen, das BiSkhum Krakau, nebst einigen
andern Stiftern im J. 1200 errichtete. Sein Sohn
Boleslaus hatte den königlichen Titel angenom-
men, den feine Nachfolger, Miecislaus II, Käst-
mir I und Boleslaus II, beybehaltcn haben, mit
dem letztern aber gieng er zu Ende, und wurde erst
am Ende des dreyzehnlen Jahrhunderts von Pre-
mislaus wieder erneuert.
Boleslaus III bezeichnte feine Regierung mit
vielen kriegerischen Unternehmungen: theils suchte
er seinen Bruder aus dem Wege zu raumen, theilS
errichtete er mit dem König von Ungarn ein freund-
schaftliches Bündniß, und siel mit einigen Hülss-
völkern im Jahr 08 in Böhmen ein. Allein
durch diesen Einfall in Böhmen machte er sich auch
das teutfche Reich zum Feinde, und Heinrich V be.
Polen. z8k
schloß auf der allgemeinen Zusammenkunft in Frank-
furt den Krieg, der sogleich im folgenden Jahr er-
folgte. Die Schlacht auf dem sogenannten Hunds-
fcld, eine Viertelstunde von Breßlau, entschied die
Sache dahin, daß Boleölaus den Frieden vorn Kai-
ser annehmen mußte. Die Hartnäckigkeit, womit
dieser Krieg geführt wurde, und die große Anzahl
der Erschlagenen machen diese Schlacht zu einer der
merkwürdigsten in der polnischen alten Geschichte.
Kaum aber war diese Unruhe gedampfet, so führte
er schon aufö neue Krieg mit den Russen, Preußen
und Pommern, bey denen e6 ihm mehr gelang, und
vorzüglich die letztem mit der christlichen ^Religion
bekannt gemacht gemacht wurden. Auch gegen
Böhmen suchte er die Feindseligkeiten zu erneuern;
allein sie wurden auch zeitig beygelegt. Vor seinem
Tode 1i 38 theilte er die Landschaften unter seine vier
Söhne; allein der jüngste, Kasimir, wurde ganz
hintangesetzt; doch diese Eintheilung zog üble Folgen
nach sich, Polen wurde dadurch ein Schauplatz vie-
ler Zerrüttungen und Verwüstungen, theilö durch
Familienkriege der Nachkommen, theils durch häu-
fige Einbrüche benachbarter Völker, die sich diese
Unruhen zu Nutze machten.
\ ■
Nach manchen Kriegen und Einfällen fremder
Völker setzte sich ^Vlcrdislaub I in den Besitz von
Groß-und Kleinpolen, und ob schon die Marggra-
fen von Brandenburg die Landschaft Pomerellen feind-
lich anfielen, sich der Stadt Danzig.bemächtigten
und daö Schloß belagerten, so wurden doch beyde
wieder in Freyheit gesetzt, und ganz Pommerellen, nebst
dem Danziger Schlosst dem Könige von Polen ver-
pfändet. Im Jahr 13C9 wolste auch die Stadt
Krakau ihren Abfall von seinem Vorgänger behaupten,
und verschiedene Städte ihrem Beyspiele folgen; ak-
z8r Polen.
fein die Starke seiner Waffen, und die Klugheit sei-
nes Verstandes wußte sie wieder zu ihrer Pflicht zu-
rück zu führen. Den letzten Krieg führte er in
Schlesien; aber kaum hatte er ihngeendiget, so starb
er nach seiner Zurückkunst im I. 1333 auf dem
Schlöffe zu Krakau.
So viel dieser verstorbene König gethan hatte
sein Land durch Waffen zu beglücken, so viel that
auch sein Sohn Rastmir der Große, welcher
durch noch klügere Mittel die weisen Fußstapsen sei-
nes Vaterö verfolgte, in der sich auch mit allem
Rechte den Namen eines Großen erwarb. Sein
erstes Bemühen nach feiner Thronbesteigung war,
den Waffenstillstand mit den teutfchen Ordensrittern
zu verlängern, den seiwVater geschloffen hatte, und
sich dabey die Könige von Ungarn und Böhmen als
Bundesgenossen zu verbinden. Ingleichen eignete
er sich 7xoth-Aeußen, welches von feinem Her-
zoge entblößt wurde, im I. 1340 durch das Reche
deie Verwandschaft zu, und machte dieses erledigte
Heirzogthum zu einer polnischen Provinz; und drey
Jahre darauf erfolgte auch der längst gewünschte
Friede mir den teulschenOrdensrittern. Ueberhaupt
such te er aus alle Weise seinem Reiche die Ruhe wie-
der zu geben, die es größten Theils nicht kannte,
oder verloren hatte, und ihm allein hat Polen fei-
nen Wohlstand in Absicht weiser Gesetze, Gerichte,
Polieey und väterlicher Anstalten zu verdanken;
durc!) seine Veranstaltung hoben sich Städte, Schlös-
ser u nt' kostbare Gebäude aus ihren Trümmern em-
por; alles, was Sitten und Gelehrsamkeit zeigte,
ward von ihm ausgenommen;und geschätzt; ohne
Unterschied der ReligionSmeynungen rhar er den Un-
rerhanen wohl, und ;vürde, wenn ihn nicht der Tod
übereilt hätte, noch manche heilsame Veranstaltung
Polen. z8;
zu Stande gebracht haben. Er starb im I. 1370
ohne männliche Erben, und mit ihm starb der Pia-
stische Stamm aus, weswegen er seiner Schwester
Elisabeth und Karls, Königs von Ungarn, Prinzen,
Namens Ludwig, zu seinem Nachfolger bestimmte.
Dieser Ludwig, Sohn Königs Karl Ro-
bert von Ungarn, aus dem Hause Anjou, trat ohne
Anstand im I. iZ7v eine Reise nach Polen an,
und wurde zu Krakau vom Erzbischof zu Gnesen
öffentlich gekrönet. Allein kaum hatte er von den
Feyerlichkeiten ausgeruhk, so erhielt er die Nachricht,
daß der Fürst von Siebenbürgen wahrend seiner
Abwesenheit einen Misbrauch von seiner Statthal-
terschaft gemacht habe, die Lehnspflicht ausgehoben,
und von ihm abgefallen sey; dieser Vorfall zwang
ihn, sogleich nach Ungarn zurück zu kehren , und die
Reichsangelegenheiten seiner Mutter als Oberhaupt
zu übergeben. Da aber manche innerliche und aus-
jerliche Unruhen seine Regierung erschwerten, so fühlte
er die Last zwey Kronen zu tragen, zu schwer; die
Polen leisteten daher aus Verlangen des Königs,
dem Sigismund Marggraftn von Brandenburg,
als ihrem künftigen Oberhaupte, den Huldigungs-
eid, den steauch hernach mit sich nach Polen brachten,
der aber nachher die Bedingungen der Stande nicht
eingehen wollte. Kurz darauf starb Ludwig im
I. 1382, und hinterließ zwey Prinzessinnen, Ma-
ria und Hedwig.
Zwey Jahre verfloffen, ehe man zur Entschei-
düng gelangen konnte, wer den kö-uglichen Thron
besitzen sollte, da man-nach dem Tode des vorigen
seinen erwählten Nachfolger nicht anzunehmen ge-
sonnen war. Endlich kam es im Jahre 1384 da-
hin, daß die ungarische Prinzessinn -Hedwig nach
Krakau
384 Polen.
^Krakau kam, und daselbst sogleich gekrönt wurdet
Kaum hatte sie sich auf dem Thron befestiget, so be-
mühten sich auch die Gesandten des Iagello, Groß-
herzogs von Lithauen, und der Herzog von Oester-
reich, um die Hand der Königinn, und Hedwig
gab sie mehr aus Liebe zur Glückseligkeit ihres Lan-
des, als daß sie hier ihre eigne Neigung um Rath
befragte, dem ersten, weswegen eximI. 1386 nach
Krakau eingeladen wurde.
II. Periode. Sobald IAgello im gedachten I. ig^6
Krakau kam, und öffentlich seinen Einzug hielt,
vom Jahr" f° war das erste, woraus er bedacht war, sich taufen
j3g6—1572. ¿u lassen, wobey er den Namen Uladislaus an-
WladiSlav nahm; gleich nach seiner Vermahlung stillte er die
Iagello rz86 Unruhen in Großpolen, und that eine Reise nach
*—*434« Lithauen, um seine heidnischen Unterthanen zur Tau-
fe zu bewegen. Seine herablassende Theilnehmung
und Güte gewann ihm die Herzen der meisten, so
daß sich eine erstaunliche Anzahl taufen ließ, und
dann durch christliche Lehrer unterrichtet wurde. Li-
thauen war von jeher ein sreyeö und erbliches Herzog-
thum und 1235 eine. Zeitlang Großherzogthum
heldischer Religion gewesen, mit Jagello ward e6
nunmehr eine zur Krone Polen gehörige Provinz;
allein Unruhen, die sich zwischen ihm und feinem
Vetter Alexander oder Witold ereigneten, verursach-
ten, daß Jagello ihn, die Oberherrschaft übertrug,
und den Titel Großherzog zugestand, wobey Lithauen
an und für sich nichts verlor, weil Witold feine
Granzen gegen Rußland ungemein erweiterte. Strei-
tigkeiten aber, die ihn mehr beunruhigten, waren
die sich in Lithauen immer mehr auöbreitenden Kreuz-
herren , welche sich damals so furchtbar machten,
daß man an allem Widerstand zweifelte, und mit
Nachtheil manchen Vergleich eingieng. Zm Jahr
rg 10
A
Polen. 385
1410 sammelten der Großherzog von Ljthauen und
der König von Polen wider die Ordensritter ein zahl-
reiches Kriegesheer mit Beyhülfe der Tatarn, wor-
auf sie nach Preußen rürrtcn^. die Ordensritter an-
griffen, und sie bey Tannenberg völlig schlugen. So
stark der Verlust aber auch gewesen, so wenig lies-
stn sie ihren Muth sinken, und brachten bald wieder
durch Unterstützung aus Bestand verschiedene Oerter
an sich, bis es zu Thorn 1411 zu einem bleibenden r
Frieden kam, und Polen auszuruhen ansi'eng. Doch
nur kurze Zeit genoß Iagello die Ruhe in einem Lan-
de, das sie so weriig liebte, und bis an seinen Tod
rm I. 1434 mußte er seine Unterthanen kämpfen,
und seine Staaten verwüsten sehen.
Ihm folgte von seinen zwey nachgelassenen Wladislaw
Prinzen, Wladislaw und Kasimir, der erste, und *434 ““
weil er sich erst im zehnten Fahre seines Alters be» l'^°
fand, so wurde beschlossen, wahrend seiner Minder-
jährigkeit solltet! aus verschiedenen Woiwodschaften
die ansehnlichsten Männer die Neichsaugelegenhei.
ren verwalten. Fedoch die Religronöstreitigkeiten m
dem Königreich Böhme«, ist Absicht der Hußiten^
welche die lKatholischen mit allem möglichen Eifer zn
vertilgen suchten, nahinen immer mehr überhand, und
da sich die Böhmey im F. 14z8 in zwey Partheyen
(heilten, so wählten einige dett jungen RasnnlUp
den Bruder deö Mlndislaus, zu ihrem Könige,
die andern begaben sich uilter den Schutz Albrechts^
Erzherzogs vou Oesterreich. Poleu schlug sich daher
jns Mittel, und schickte ein zahlreiches Kriegsheer
nach Böhmen, um für den jungen Kasimir den kö-
niglichen Thron zu behaupten. Der jlliige Prinz
Wladislaw unterstützte seinen Bruder, und drang
zugleich mit ihm in Schlesien ein, welches Herzog.
(hum eü, Gegenstand der Rache und des Raubes
e 11 Hand, ii Abch Bb -wurde.
386 Polen.
wurde. Kaum hatten sie die Grauzen von Böhmen
erreicht, so ließ Wladislaw seinen Brud-- U{TI
die Krone Böhmen streiten , er stlbst aber kehrte ei-
lend nach Posen Zurück. Als Wladislaw das fünf.
Zehnte Jahr erreichte, so wurde er für fähig erklärt,
der Regierung vorzustehen, und brachte es im I.
1440 dahin, daß die Reichsrathe feinem Bruder,
dem die Krone von Böhmen zweifelhaft gemacht wur.
de, doch das Großherzogthum Lithauen zufprachen,
welches durch die gewaltsame Ermordung desSigis.
mund erledigt war. Hierauf wurde dem König von
Polen das erledigte Königreich Ungarn angekragen, cm
Anerbieten, welches er sogleich annahm und eineReiss
dahin antrat. Kaum aber sah er sich in dem Besitz
seines vermeynten höchsten Glückes, als er, wiewir
in der Geschichte Ungarns sehen werden, mit den
Osmanen in einen Krieg verwickelt ward, und in
dem Treffen bey Varna sein Leben einbüßte.
Kasimir III Ob man gleich den Großherzog von Lithauen
£444—1492. und Bruder des verstorbenen Königs, Rastmir zum
König ernannte, fo suchte dieser doch ansanglich die«
ser Ehre überhoben zu seyn, bis er selbst nach wie.
derholten Anträgen heimliche Mittel ergriff, sich der
ausgeschlagenen Krone zu bemächtigen. Kasimir
bestund immer auf der Freyheit der Lithauer, die
Polen aber wollten keines von ihren Rechten aufge.
ben, und trieben ihre Empfindlichkeit endlich so weit,
daß sie dem Könige ganz frey sagten, »sie würden sein
Ansehen nicht langer erhalten, wenn er nur im ge-
ringsten die Vorrechte der Nation angreisen wollte,"
und Kasimir mußte nachgeben. In der Folge be.
gab sich Preußen, das von der Tyranney der teut«
schen Ritter gedrückt wurde, unter polnischen Schutz,
und Kasimir ließ sich von seinen neuen Unterthanen
zu Thoren undLlbing huldigen. Allein die Rir.
rer
Polen.
387
1er brachten bald eine große Armee zusammen, und
glaubten durch den Sieg bey Marienberg Meister
der Polen zu seyn. Indem Kasimir seine Truppen
in Preußen wider die teutschen Ritter anführte, em-
pörten sich die Lithauer und bemächtigten sich Podo-
lienö; und nur der Friede mit den Ordensrittern
endigte diese schreckliche Unruhen, die zwölf Jahr
gewähret, daö Land arm gemacht i^nh einer Menge
Bürger beraubt hatten. So regierte Kasimir bis
ums Jahr 1492, und starb wenig bedauert. Die
Geschichte schildert ihn alö einen schwachen, tragen
Mann, dem Polen zwar verschiedene Vortheile zn
verdanken hatte, die ader mehr Werk eines günstigen
Geschickes, als seiner Klugheit waren.
Nach dem Tode dieses Fürsten kam sein dritter Johann Al.
Sohn, Johann Albert, zum Throne. Er hatte sich bert 1492 —
in den Kriegen der Polen gegen die Tararn unge-^vi.
mein hervorgethan, und dadurch die Zuneigung des
Volkes erworben, dessen allgemeiner Beyfall mehr
zu seiner Wahl beytrug, als die Einwilligung der
Senatoren und Abgeordneten des Adels, auch
mehr als aller Anhänger seiner Brüder, Alexanders,
Herzogs von Lithauen, und Wlaoislaws, Königs von
Ungarn, des Herzogs von Masooien, Johann re.
Alles was in der Regierungszeit dieses Königes vor-
gefallen ist , verdient keiner besonder» Aufmerksam-
feit, er starb im I. 1501 am Schlage, und das
Volk hatte sich in seiner Meynung von des Prinzen
Muth und Wirksamkeit sehr betrogen.
Nun wurden die Polen mehr ihres Nutzens Alexander
wegen, als aus Staatöklugheit genöthiget, Alegan- 1501-— izc>6.
Vorn, der schon Großherzog von Lirhauen war, auf
den Thron zu setzen; aber dies war es auch alles,
was sie für ihn thaten; übrigens regierte er wie sein
Vorgänger unter vielen Unruhen mit seinen Nach.
Bb 2. barrí,
388 Polen.
Barn, und (Tdt6 im I. 1506 im 4;sie» Jahr seines
Alters.
Sigismund I Nach dessen Tode ward fein Bruder Gltzis-
i;o6—1548. mlMd I, der schon von dem Adel zum Großherzog
von stithauen ernennet war, ohne einige Widerse--
Hung oder Stimmentheilung zum König von Polen
gewahlet. Die ersten RegierungZjahre dieses Prin-
zen zeichnen sich durch keine besondere Handlung aus,
aber im Jahr 1544 schloß er einen merkwürdigen
Traktat, welcher damals dem polnischen Interesse
unstreitig schon sehr nachtheilig war, und es in der
Folge immer noch mehr gewesen ist. MargrafAl-
bert von Brandenburg beredete nämlich den König,
die Länderzu theilen, welche den Ritern in dem letztem
Tractaten abgetreten waren; und dies ist auch eigent-
lich der Grund, aus welchem das Haus Brandenburg
denjenigen Theil von Preußen besitzt, über welchen
es den königlichen Titel angenommen hat. So vä-
terlich dieser König übrigens sein Reich vorwalrete,
so sehr er darauf sah, daß die Städte blühend, die
Anzahl der Festungen vermehret, die Künste und
Wissenschaften im Reiche erweitert, die Sitten des
Adels gewissermaßen sanfter rrnd feiner gemacht, der
Druck der Landleute gehoben, der Landbau verbesiert
würde, und ül>erall Wohl und Glück in feinem Kö-
nigrcich die möglichste Vollkommenheit erreichte; so
konnte er doch auch nicht verhindern, daß ihm der
Großfürst von Rußland ansehnlichen Verlust zuzog,
und seine Ruhe störte. BasiliusJwanowitsch (den
wir schon bey Rußland haben kennen lernen) war
eben so roh in Sitten und grausam in Kriegen, als
es seine Unterthanen waren, daher Polen und dessen
angranzende Lander Beweise ihrer Grausamkeit
aufstellen konnten. Smolcnsko gieng im I. 1514
für Polen verloren, und so herzhaft die Gefechte
Polen. 389
von beyden Sekten waren, so viel e6 Rußland
Menschen kostete, so blieb doch für Pole» der ge.
ringste Vortheil übrig, die Provinz Smolensko
ward rußischen Antheils, und noch war man ge.
zwungen, mit dem Großfürst einen 5 jährigen Still-
stand zu schließen. Sigismund I starb im 1.1348
von allen seinen Unterthanen aufrichtig beweint, und, ,
ohne alle seine glanzenden Tugenden zu nennen, war
er in wenig Worten Vater des Vaterlandes.
Sigismund August II, der bey feines Va- Sigismund
ters Lebzeiten zum König erwählt und gekrönt wor- August 1548
den, bestieg ohne Widerspruch den Thron. Die ~l572°
Thaten und Vorfälle dieses Regenten sind zahlreich,
und unter diesen vorzüglich, daß er der polnischen
Krone ein Recht aus Liestand verschaffte, und wirk,
lich Besitz von einem Theite dieses Landes nahm, in
welchem seitdem Anfänge des igten Jahrhunderts
dieSchwerdtbrüder, derteutfcheOrdenömeister, und
einige Heermeister, die auch den Titel teutfcher
Reichsfürsten führten, die vornehmsten Herren ge-
wesen sind. Günstige Umstande verschafften der
Krone noch einen andern Vortheil: z. B. in Liestand
entstand 1556 ein innerlicher Krieg zwischen dem Erz-
bischofvon Riga und dem Hochmeister der Schwerdt.
träger, wo Polen Gelegenheit nahm, dem ersten
durch Hülsstrup^en das Land zu besetzen und die
Unruhen beyzulegen; hieraus entstund ein Bündniß
zwischen Lithauen und Llefland gegen die Russen, ihre
gefürchtetsten Feinde, mit denen sie einen Waffen-
stillstand hakten. Eben als die Schwerdtritter durch
die «Russen und viele innerliche Unruhen bereits
schwach geworden waren, so wußte es Sigismund
tzahin zu vermitteln, daß sie sich und ihr Land im
I. 15 6 l durch ein schriftliches Verbindniß der
IHothmaßigkeiL des Königes von Polen unterwarfen,
B b 3 jedoch
39o Polen.
jedoch mit Vorbehalt ihrer Rechte und Freiheiten.
Ahr Heermeister Gotthard von Kettler ward daher
für sich und seine männlichen Nachkommen mit den
Herzogthülnern Kurland und Semgallen belehnt,
und auf diese Weise der letzte Ordensmeister in Lief-
land, und der erste Herzog von Kurland; so daß
mit dieser merkwürdigen Veränderung dieSchwerdt-
ritter ein Ende nahmen, wegen welcher das Land
von mancher innerlichen Unruhe zerrüttet worden
war. Rußland sah neidisch auf den WachSthUm
von Polen, und kündigte ihm daher den Krieg an,
that aucd verschiedene verwüstende Einfälle in Lief-
land, ehe es 156z zu einem Stilstand kommen
konnte. Auch Schweden machte sich die Unruhen
in Liefland zu nutze, und nahm Reval nebst mehre-
ren Orten in Esthland ein; ward aber in seinem
Fortgange durch den Einsall der Dänen gehindert,
mit welchen August zum Nachtheil für Schweden
ein Bündniß errichtete. So lange die Ordnung
zwischen Lithauen und Polen nicht völlig hergestellt
war, so lange hatte Polen auch mit Rußland im-
merwährende Kriege, welche mit abwechselndem
Glück geführet wurden, wobey aber das Land am
Meisten verlor. Gegen das Ende des Jahres
1568 tarn Albert Friedrich von Brandenburg nach
Lubiin zìi dem König und der Republik, die Beleh.
nung zu suchen. Auf diesem Reichsrage zu Lublin
wurde auch beschlossen, daß Volhynien und Podo-
lien, weswegen man sich so lange gezankt haste, nebst
Kiow und Podlachien auf das genaueste vereinigt
werden sollten. Hiermit kam also auch Liefland an
die Krone Polen, welches sich Lithauen bisher allein
angemaßet hatte. In Ansehung der Preußen à>urde
beschlossen, daß sie, unter die Reichsstände vertheilet^
künftig zugleich auf dem Reichstage über die Ange-
legenheiten ihrer Provinz rathschlagen ^ sollten, und
Dslk'n.
591
der Her^^ von Preußen und Kurfürst von Bran-
den.hurg empfieng die öffentliche Belehnung über das
Herzogthum Preußen von der Krone Polen.
Schweden blieb auf diefe Weife stille, und mit Ruß.
land wurde der Waffenstillstand auf drey Jahr ver-
längert. Im Jahr 1572 starb Sigismund
August von seinem Volke geliebt und beweint.
Er hatte Fehler, aber seine großen Tugenden, und
die weisen lehren seines Vaters lehrten ihm, sich die
Liebe und Hochachtung seiner Unterthanen zu erwer.
L>en und zu erhalten. Zu einer Zeit, da Unwiffen.
heit ein Kennzeichen der Größe zu seyn schien, be-
schuhte und ermunterte er die Künste und Wissen-
schaften in seinem Reiche; und mit ihm starb die
männliche Linie des Iagellonifchen Hauses aus,
welches beynahe zweyhundert Jahr den Thron be-
kleidet hatte.
Weil Sigismund August keine männliche Er-
ben nach sich ließ, und wahrend seiner Regierung
kein Nachfolger bestimmt wurde, so mußte daraus
ein fürchterliches Uebel für die Republik entstehen,
welches zu vermeiden, die Reichörathe in Groß-
und Kleinpolen, Lithauen, Reußen und Preußen
befondre Landtage anfehten, um die Sicherheit des
Landes durch eine kluge Wahl zu befestigen. Unter
den übrigen Kronwerbern erhielt Heinrich von
Valois den Vorzug, ein Prinz, der doch zu nichts
weniger als zur Regierung eines solchen Reiches ge.
schickt war. Auf dem Reichstage, der zur Wahl
dieses Prinzen angeseht ward, finden wir auch des
Namens der Dissidenten gedacht; ein Name, der
allen denen gegeben wurde, die sich von der römisch-
katholischen Religion trennten. Auch wurden nun
zuerst die schriftlichen Vertrage der Könige mit der
Republik errichtet, da die Könige vorher nur münd-
Bb z lich
IH- Periode.
Könige aus
verschiedenen
Hausern vom
Jahr 1^72.
Heinrich von
Valois.
Dritter Prinz
K. Heinrichs
ll von Frank-
reich 1573 —
1575*
Polen.
392
lich oder stillschweigend ihren Unkerthanen versprä-
chen, sie noch den Gesetzen oder Gebrauchen des
Staats zu regieren; und vorzüglich wurde dieser
Punkt hinzugefügt, daß, wenn der König eine Ver-
bindung mit dem Volke brechen sollte, auch das
Volk seines Eides loß sey. Alle Urkunden sind seit
dieser Zeit nach demselben Muster gebildet, so daß
sich das Volk allezeit dieser Vorrechte bedienet hat,
sobald ihre Könige nicht der Verpflichtung nachleb-
ten. Heinrichs Regierung in Polen war indessen
von kurzer Dauer, ersah, daß die innerlichen Unru-
hen aus einer Quelle kamen, die er nie verstopfen
konnte, und da er noch die Nachricht erhielt, sein
Bruder der König von Frankreich sey gestorben,
so dachte er aufs geschwindeste darauf, ein Land zu
verlassen, in welchem er es nie zu einem ruhigen
Leben bringen würde, und floh zur Nachtzeit aus
Krakau nach Schlesien. Ob man sich gleich alle
Mühe gab, ihn wieder cinzuholen und alles ver-
sprach, um ihm zur Rückkehr zu bewegen, so traue-
re er doch den Launen der Polen nicht, und setzte
seinen Weg ruhig nach Frankreich fort. Eine so
schnelle und heimliche Erledigung des Thrones
glaubten die Reichsstande mit nichts Harterm zu stra-
sen, als den Thron für ledig zu erklären und Hein-
rich abzusetzen; allein dieser erreichte nur dabey seine
Absicht, und die Polen näherten sich einem Uebel,
Las ihnen Furcht und Schrecken erregte. Die Tatarn
sielen mit einem ansehnlichen Kriegsheer in Reußen,
Volhinien und Podolien ein, und, aller angewandten
Mühe ungeachtet, verwüsteten sie diese Landschaften
aufs grausamste, ohne gegen dkeyßigtausend Men-
schen zu rechnen, die sie zu Gefangenen machten.
Unter solchen Umständen hatten die Polen alle Ur-
sache, die Wahl ein^s Königes zu beschleunigen,
welches dann zwar auch erfolgte, aber ebenfalls
nicht
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Kenntniß vom Seewesen zu wenig kannten. So
viele heilsame Unternehmungen er für das Land noch
würde gethan haben, so sehr er von seinem Volke
geliebt und unterstützt wurde; so schwanden doch alle
diese glanzenden Hoffnungen mit seinem schnellen
Tode im Jahr 1586.
Sigmund Kaum war der Thron erlediget, so fanden sich
III Prinz von wieder neue Kronwerber, und mit ihnen neue Unru-
Schweden hen ein. Die eine Par'chey wählte auf dem Reichs«
*586—1632. emxti Sohn des Königes in Schweden« Sigis-
mund, die Gegenparthey aber rief den Erzherzog
Maximilian aus. Nur ein unglücklicher Feldzug
des letztem, dem die Entsagung seiner Ansprüche
folgte, bestätigten die Wahl Sigismunds, der
sogleich nach Polen kam, um die Krönung zu em-
pfangen. Kaum aber waren die innerlichen Unru-
hen beygelegt, so hatte er es wieder mit auswärtigen
Feinden zu thun. Auf die Nachricht von dem Tode
des Königs in Schweden ward ihm die Erlaubniß
der Reise in dieses Reich gegeben, wobey er ver-
sprechen mußte, in Jahresfrist wieder zu kommen.
Der Erfolg seiner Reise war in so weit glücklich,
daß er im I. 1594 mit seiner Gemahlinn vom Erz.
bischof zu Upsal als König von Schweden gekrönt
ward, wolauf er seinem Oheim, Karl, Herzog von
Südermanland, Gustav Adolphs Vetter, die Regie-
rung übergab, und mit einer Flotte von 24 Schiffen
nach Polen segelte. Schweden war mit diesem Be-
tragen keineswcges zufrieden, und ruhte nicht eher,
bis es den Herzog von Südermanland zum König
erhielt. Sigmund aber konnte aller angewandten
Mühe ungeachtet es nicht verhindern, und auch
Polen zu keiner Unterstützung bereden: endlich ga-
ben die unglücklichen Streitigkeiten beyder Könige
z"
Polen.
395
zu einem Kriege Aulaß, der 1604 In jiefland aus-
brach, lind in welchem diese reiche Provinz schreck-
lich verwüstet wurde. Selbst in seinen eignen Staa-
ten entstanden im I. 1606 hartnäckige Streitig-
keiten zwischen ihm und dem Adel, wo schon von
beiden Seiten die Schwerdter gegen einander blitz-
ten, und Sigiömund leicht des Thrones entsetzt
werden konnte. Kriege mit den Russen, Türken,
Tatarn und vorzüglich mit Schweden (s. Geschichte
von Schweden, Rußland und den Osmanen,) setz-
ten daö Land in stetes Schrecken und Verwirrung,
zumal Gustav Adolphs kriegerischer Geist, damals
für ganz Europa furchtbar, die Stadt Danzig be-
sonders zu seinem Gegenstand wählte, und Polen
wechselsweise den Städten Danzig, Thoren,
und andere mehr zu Hülfe eilen mußte, da-
her es nicht eher zur Ruhe kam, bis ein
sechsjähriger Stillstand, in welchem Gustav seine
meisten Eroberungen behielt, geschlossen wurde,
Sigismun!» aber im I. 1632 starb. Er hinter ließ
fünf Prinzen und eine Prinzessinn, und seine Re-
gierung ist in polnischen Jahrbüchern besonders merk-
würdig, weil sie voll von unglücklichen Begeben-
heiten ist.
Zum Nachfolger wurde sein Sohn Uladiölaus Uladislaus
gewählt, ein König, dem es glückte, was seinem r6Z2—1648-
Vorgänger versagt gewesen, nämlich die Ruhe des
Reichs zu befestigen, und hie und da weise Einrich-
tungen, besonders in Religions. und Gewissens-
fachen zu veranstalten. Rußland unterließ jedoch
nicht die alten Feindseligkeiten zu erneuern, allein
es kam unter dieser Regierung zu keinem erheblichen
Ausbruch; wohl aber erregten die Kasaken einen,
großen Aufstand. Schon oben ist gesagt worden,
Laß dieses Volk zur Vormauer wider die Türken
396 Polen.
und Ta kam dienen sollte, und zu dem Ende von
Stephan Bathori einen ansehnlichen Strich Landes
Ln der Ukraine, nebst vielen Vorrechten und Freyhei-
ten der Religion erhalten hatte. In der Folge
wurde das Land eine Zuflucht für alle polnische
Bauern und Tagelöhner, welche in der größten
Unterdrückung lebten, und das Joch der Sklaverey
abwerfen wollten. Um also die Leibeignen wieder
Zurück zu bekommen, beschloß man die Kasaken mit
zu unterdrücken, und auf diese Weise kam es zu
hartnäckigen Gefechten, von welcher Zeit an fie stets
darauf dachten, sich ganz unabhängig von Polen zu
machen. Auch suchte Uladislaus die Religions-
streitigkeiten, so zwischen den Katholischen, Griechi-
schen, Lutheranern und Kalvinisten entstanden, und
viel Unruhe im Lande erregten, zu stillen. Zu Tho-
ren wurde eine Versammlung gehalten, wo jede t
Religion ihre Meynung vortragen sollte, allein es
wurde nichts erhebliches beschlossen, weil Zänkereyen
und Wortspiele der Geistlichen die schönste Absicht
des Königes vereitelten. Unter die nützlichen Ein-
richtungen in seinem Königreich kann man auch
das Postwesen rechnen, welches im I. -1647 von
ihm angelegt wurde; er selbst aber starb im I. 1648
. im Z2sten Jahr seines Alters als ein Freund und
Liebling seines Volkes.
Johann II Dieser Todesfall war das Losungszeichen zur
Kasimir 1648 Empörung der Kasaken, sie wählten sich ein Ober-
£-1608- Haupt, und richteten, besonders unter dem Adel, die
erstaunlichsten Verwüstungen an. Man wählte zum
König von Polen des vorigen Bruder Johann H
Kasimir, der zwar ein guter Gemahl, ein Freund,
ein unverzagter Krieger, ein unpartheyischer Rich-
ter und. ein ehrlicher Mann war; aber dem es an
Bemühung und Thätigkeit fehlte einen solchen Staat
zu
Polen.
397
zu regieren, und der zu jehp. an das Privatseben gewöhnt
war. So bald er gekrönt war, mußte er an der
Spitze einer zahlreichen Armee den entsetzlichen Eu^
fallen der Kasaken entgegen gehen, allein sie konn-
ten weder durch Waffen noch durch Güte gebändigt
werden, und ruhten nicht eher, bis ihnen alle ihre
Privilegien wieder zugestanden wurden; doch auch
diese Vertrage ruhten nur aus schwachen Stützen und
endlich begab sich die Landschaft der Kasaken völlig
unter Rußlands Schuß. Auch war dieser König
im Kriege gegen Schweden, seiner persönlichen Ta-
pferkeit ungeachtet, so wenig glücklich, daß er im oft-
vischen Frieden von *660 Liestand an dasselbe ab-
treten mußte. Kurfürst Friedrich Wilhelm von
Brandenburg hatte sich, als Herzog von Preußen,
dieses Krieges so nützlich bedient, daß er durch den
Welauer Vertrag die Souverainitat von Preußen,
und durch den Bromberger Vertrag, die Distrikte
Lauenburg und Bütow zu Lehn, und das Pfandrecht
auf Elbingen, nebst andern Vortheilen erlatMe-
Auch die Russen Warenwegen des Abfalls der Kafa--
ker, jenseits des Dnepers, wahrend des schwedischen
Krieges in Lithauen eingefallen, aber in verschiede-
nen Treffen zurückgetrieben worden. Weil aber die
Kasaken theils zu Rußland übertraten, theilö sich
den Türken unterwarfen, und dadurch die Tatarn
ins Reich zogen, so ward in dem dreyzehnjahrigen
Stillstand zu Andrussow ausgemacht, daß Rußland,
nebst Smolensk, Severien, Tschernichow, Zugleich
die Ukraine jenseits des Dnepers, behalten, Kiow
aber .nach zwey Jahren gegen Vergütung
zurückgeben sollte. Hierauf bequemten sich
auch die Tatarn wieder zum Frühen, und
die Kasaken zum Gehorsam. Müde der Unruhen
und des Verdrusses, der den König auf dem Thron
umgab, beschloß er die Krone im Zahr ¡668 nie.
\
398 Polin.
derzulegen und berief einen Reichstag, wo er dm
Reichsstanden in einer sehr klugen und geschickten
Rede die Reichsangelegenheiten znrückgab und t die
Krone wirklich niederlegte. Er gieng nach Frank-
reich in die Abtey St. Germain, wo er nach etli-
chen Jahren 1672 starb.
Michael Diese Abdankung öffnete allen' fremden Prin-
Wiesnowizki zen, die sich des Thrones würdig achteten, den Weg
1668—73» dazu; allein nach manchen heimlichen Bestechungen
und nach demEigenstnn desAdels wurde der Fürst Mi-
chael zum König erwählet,ein Mann, den wohl eigene-
ljch z» dieser Würde nichts, als seine Herkunft, em-
pfehlen konnte. Er hakte wahrend seiner kurzen Re-
gierung mancherley Verdruß, theils wegen der eifer-
süchtigen Magnaten, theils wegen neuer Unruhen
mit den Kasaken, mit Einfällen der Tatarn, und
dem Krieg mit den Türken und starb im Jahr 1673,
eben an dem Tage, als er eine Schlacht wieder die
Türken gewann.
Johann Co- Ihm folgte der Großmgrschatl und Großfcld-
bieski 167z— Herr Sobieski auf dem Thron, ein Hsrr, der, so.
96. bald er die königliche Macht bekleidete, von einem
Siege zum andern übergieug, dem Stolz der Tür-
ken Trotz bot, und seine Eroberungen eben so sehr
seiner Geschicklichkeit als seinem Murh zu verdanken
hatte. Mit Rußland wurde ein ewiger Friede ge.
schlossen, und 1683 verewigte er seinen Ruhm durch
die Hülse, so er dem Hause Oesterreich leistete, da
die Türken W>'en so sehr in Schrecken gesetzt halten,
daß fast alle Hoffnung verschwand, wenn nicht So-
bieski die Stadt mit einem Heer von 20002 Mann
entsetzte. 'In der Folge trug er noch einige Siege in
Ungarn über die Türken davon, unb nahm alsdann
, mit feiner Armee den Rückweg wieder nach feinen
Staaten. Die ersten Augenblicke der Ruhe, nach
der
Polen. 399
der er sich so lange gesehnt hatte, wurden hierauf
angewendet, die Besatzungen wieder in Ordnung zu
bringen, die Festungen zu verstärken, eine Allianz
mit den Rüsten zu schließen, und die ReligionSstrei.
tigkeiten bcyzulegen. Die übrige Lebenszeit des
Monarchen aber ward ihm durch tausendfältige Ver-
drüßlichkeiten verbittert, und so starb er im Jahr
1696 von seinen Unterthanen verkannt, obgleich
vom Auslande geschätzt, wie denn Karl XH, als er
sein Grab sah, unter Thranen sagte: »ein so großer
König hatte nie sterben sollen.«
Nach deck'Ableben dieses Königes, regten
sich wiederum alle die Unruhen, die wahrend eines
Interregnums hier gewöhnlich sind; unterschiedliche
europäische Prinzen suchten ihre Ansprüche auf die
Krone geltend zu machen, und diese waren die Söh-
ne des verstorbenen Monarchen (besonders der älte-
ste, Prinz Jakob) der Kurfürst von Bayern, der
mit der einzigen Tochter Sobieski's vermählet war;
der Kurfürst Friedrich August von Sachsen, der
Großseldherr von Lithauen, der Herzog von Lothrin-
gen rc. alle diese traten auf und verschafften sich jeder
eine Partey durch Konföderation; hingegen schlug
der französische Gesarwte zu Warschau, Abt von Po-
lignac, den Prinzen von Conti zum Könige vor,
und brachte es anfänglich auch dahin, daß derselbe
dafür ausgerufen ward. Auf einer andern Seite
wurde der Kurfürst von Sachsen katholisch, erhielt
die meisten Stimmen und wurde wirklich gewählt.
Zu allem Unglück für den Prinzen Conti war er selbst
abwesend; indessen trat er den Weg nach Polen an,
allein Friedrich August II befand sich bereits an
der Gränze des Reichs, bot feinem Nebenbuhler Trotz
und ließ sich 1697 krönen.
August
400 Polen.
Friedrich Nu- August beschwor Key seiner Thronbesteigung
gust III Kur nicht nur die Pacta conventa, sondern verpflichtete
furstzuSach« ^ch auch, Kaminiezkzu erobern und die reiche Pro-
*733^ Bestand, die damals in schwedischen Händen
war, der Republik wieder zu verschaffen. Er brach-
te auch wirklich das, was ihr König Michael ver-
loren hakte, was Sobieski in zwey blutigen Kriegen
nicht wieder erobern konnte, wieder an die Krone,
ohne feister Unterthanen Blut zu vergießen; denn
im Jahr 1699, im karlowiher Frieden, trat die of-
manische Pforte an Polen die Festung Kaminiezk
und alle die Orte ab, weiche sie in Podolien und in
der Ukraine besaß.
Im Jahr 1700 eröffnete sich ein großer Schau-
platz in Norden, (S. schwed. Geschichte) der die
Alrfmerksamkeit von ganz Europa auf sich zog. Au-
gust hatte versprochen, Lrestand der Republik wie-
der zu liefern; er mußte eö aber erst Schweden weg-
nehmen, zu dem Ende schloß er ein Bündniß mit
dem Zar, Peter I, und mit dem König von Däne-
mark, belagerte auch Riga, aber ohne Erfolg. Im
Jahr 1704 wurde 2lugnßen bekannt gemacht, daß
der polnische Seiutt gesonnen fey eine Gesandtschaft
an Karl XJI zu senden, allein der König sah zu wohl
ein, daß dieser Streich auf fein 'Ansehen gerichtet
sey, und beschloß daher durch daö Glück der Waf-
"fen zu entscheiden, was heimliche Feinde im Sinne
führten. August sah nur zu wohl ein, daß er sich
wenig auf die Treue der Polen zu verlaffen habe,
wovon die unglückliche Schlacht bey Cliffow ein deut-
licher Beweis war. Nach dieser Schlacht berief
August einen außerordentlichen Reichstag zu Lu-
blin, auf welchem der Kardiiral PrichaS feinen
Groll laut zu erkennen gab, sich für Schweden er-
klärte, und Augusten für unfähig zum Throne, den
Thron
Polen.
401
Thron selbst entledigt erkannte. Man schickte von
der Versammlung zu Warschau S ranislau m Le-
jzczinski an Karl XU und dieser fand durch seinen
natürlichen empfehlenden Verstand, sogleich bey
Karln alle die Zuneigung, die ihm die Liebe des
schwedischen Monarchen versicherte, und den Weg
zum polnischen Throne bahnte. Der Pabst aber
trat auf die Seite von August und sandte Breven an
alle Bischöfe in Polen, worinn er sie mit dem Bann
belegte, wenn sie sich bey der Krönung Stanislav
einfanden. Im folgenden Jahr kam Karl seinen
Entwurf naher, und der Kardinal Primas, der sich
nach Danzig begeben hatte, wurde zurück gerufen,
die Krönung des neuen Königs Scanislav zu voll-
ziehen ; allein er war eben so feig als unverschämt,
und wußte sich dieser Handlung zu entziehen, um
des PabsteS Breve nicht zu brechen; er würde auch
gewiß noch mehrere innerliche Zwistigkeitel, angespon-
nen haben, wenn ihn nicht der Tod zu schnell abholte.
Als Karl XIL von den Gesinnungen, die wider Au-
gusten giengen, vergewissert worden war, rückteer
mit seiner Armee Warschau naher, um die Wahl des
neuen Königes mit seiner Armee zu unterstützen. Man
zögerte zwar mit der Wahl deö Königes, lind schloß
ein feyerliches Bündniß, die Ansprüche Augusts
nach Möglichkeit zu erhalten; allein bald gieng die
Krönung deö Königes Scanislav vor sich, und Au-
gust wurde des Thrones beraubt. ' -
Mit Ausgang des Jahres 1704 trat August
die Reise nach Sachsen an, um neue Anstalten zu
treffen, allein Karl verfolgte ihn auch bis dahin,
und verhinderte diesen Anschlag durch Bemächtigung
eines großen Theils der Lande, und der ungeheuren
Summen von Schatzungen; und wollte August sein
Kurfürstenthum retten, so war er genöthiget einen
II Band, 11 Abrh. Cc Frie«
402 Polen.
Frieden einzugehen, und der Krone schriftlich zu ent-
sogen. Nachdem Karl seinen Plan in Sachsen aus-
geführt hatte, kam er nach Groß-Polen zurück und
schlug sein Lager beym Dorfe Slupka auf, woselbst
er Verstärkung aus Schweden erwartete. Im Jahr
1708 hob er dieses Lager auf, und nun sah man erst
seinen ganzen Entwurf, nämlich den russischen Zar
abzusetzen; ein Vorhaben, das eben so kühn als
unglücklich ablief, wie die schwedische Geschichte be-
zeugt, und durch die große Niederlage der schwedi-
schen Armee bey Pultava, Augusten wieder zum
polnischen Thron verhalf. Die Polen sahen ein, daß sie
einen König verlaßen hatten, an dem sie selbst das
meiste verloren, und Stanislaus sah eben so wohl,
daß er die Krone nicht ohne Vergrößerung der Un-
ruhen und des Elendes seines Vaterlandes würde
kragen können; daher entließ der Pabst die Polen ih-
res Eydes, und Stanislaus entsagte der Krone.
August bestieg also als König von Polen und
Großherzog in Lithauen den Thron aufs neue, Sta-
nislaus hingegen behielt den bloßen Titel eines Kö-
niges in Polen und Großhcrzogs in Lithauen, wur-
de aber mif eine andre Art schadlos gehalten, indem
er auf Lebenslang den Besitz von Lothringen und
Bar erhielt; die Güter der Königinn und des Kö-
niges wurden demselben wieder zurück gegeben ; sei-
nen Anhängern verziehen und ebenfalls in ihre Be-
sitzungen gelaßen, und endlich alle Rechte und Frey-
Heiken fammtlicher Provinzen, Städte und Einwoh-
ner und Freyheiten, eydlich befestiget. Drey Jahr
lang ward Polen wiederum ein Raub der grausam-
sten Uneinigkeiten und Verwirrungen. Die neuen
sächsischen Truppen, welche August ins Reich ge-
bracht hatte, dienten den Mißvergnügten zum Vor-
wände, neue Konföderationen zu machen, und aller-
ley
Polen.
403
ley Unordnungen anzurjchten, doch ward durch einen
zu Warschau am gosten Januar 1717 Unterzeich-
neten Traktat alles beruhiget. Außer den Unruhen
und Trennungen, welche dieß unglückliche Reich fit
dem Anfänge dieses Jahrhunderts zerrüttet hatt-n,
und die noch nicht geenoiget waren, sienq die römi-
sche Gastlichkeit an, iiu Jahr 1718 eine Verfol-
gung der Dissidenten zu erregen. Aut dem Reichs«
tage 1733 wurde festgesetzt, daß künftighin alle
Dissidenten von Kronamtern und Würden, von
Landbotenstellen, von Gesandtschaften, Kommissio-
nen und Starosteyen mit Gerichtsbarkeiten, ausge.
schloffen werden sollteil, und der Reichstag von 1735
gab dieser Verordnung die Kraft eines Grundgesetzes.
Außer diesen Verfolgungen der Dissidenten, war
eS nachher in Polen ziemlich ruhig, außer
einer Streitigkeit, der wir noch gedenken müssen:
daß im Jahr 1724, das ganze Reich wegen einer
Schlägerei), diezwischen den Katholiken und lurhe-
ranern in Thoren vorgesallen war, in Aufruhr ge-
rieth. Die Katholischen der Stadt Thoren, welche
von den Jesuiten verhetzt wurden, führten auf dem
Reichstage zu Warschau wider die lutherischen Senü-
lec und wider einige aus dem Magistrat zu Thoren
wegen dieses Streits heftige Klagen, ohngeachret
der Rath sich, um Verdruß zu vermeiden, der Sa-
che gar nicht angenommen hatte. AusAnstiften der
Jesuiten wurden Kommisiärien ernennt, über die
vorgeblich schuldigen Personen zu urtheilen: diese
hörten alles au, was die Jesuiten und ihre Parthey
wider die Lutheraner sagten, aber die Gegenparthey
wollten sie nicht hören. Verschiedene lutherische
Studenten wurden zum Tode verdammt; der Prä-
sident und Viceprästdent sollten enthauptet werden,
weil sie sich nicht zu den Jesuiten geschlagen hatten ;
den Lutheranern wurden verschiedene Kirchen entzo-
C c 2 gen,
Polen.
404
gen, und es wurde eine Bildsause der Jungfrau
Maria an dem Orte aufgerichtek, wo in dem Auf.
lauf, dem Vorgeben nach, ihr Bild entheiligt war.
Der russische, preussische, englische und holländische
Minister thaten zum Besten der Dissidenten die
nachdrücklichsteti Vorstellungen; da hingegen die pol-
nischen Katholiken Anstalten zu einem bürgerlichen
, Kriege machten, wenn eine fremde Macht den Grie-
chen oder Dissidenten ihre vorigen Freyheiten und
Vorrechte wieder zu verschaffen suchen würde; allein
diese Bewegung blieb ohne schlimmen Erfolg. Au«
gust suchte nun seinem natürlichen Sohn, dem Gra-
fen Moritz von Sachse»,, das Herzogthum Kur-
land zuzuwenden, so daß ihn die kurlandischen
Staaten wirklich als Nachfolger des Herzogs Ferdi-
nand, des letzten männlichen Erben vom kettleri«
schen Stamm, wählten. Hiemit war aber weder
Rußland noch die Republik ganz zufrieden: jenes,
weil es aus Ursachen nicht wollte, diese aber erklär«
te die Wahl für nichtig. In den letzten Jahren
seiner Regierung gab sich August auch Mühe, sei-
nem Kurprinzen die Thronfolge zu versichern, die
aber dessen Tod vereitelte. August starb zu War-
schau im Jahr i?ZZ, von allen geliebt, bewundert
und beweint.
August Iil So wie die polnische Nation immer gewohnt
war, bey Erledigung des Thrones ihren künftigen
Regenten unter Streit und Partheyen zu wählen;
so gieng es auch jetzt: Ein großer Theil der Nation
erwählte Stanislcrum, und ein andrer, von den
Russen und Kaiserlichen unterstützt, rief Friedrich
Antzust III zum Nachfolger aus. Stanislaus griff
zu den Waffen und begab sich mit 200c Franzosen
nach Danzig, um diesen Ort zum Waffenplaß ZN
machen, w» er von einer machtigm russischen Armee
Polen. 405
belagert, tmb von seinen Freunden in Polen keinen
^eystand erhaltend, gedrungen war, heimlich aus
der Stadt zu entweichen. Hierauf wurde August
III zum König gekrönet; allein die Parthey des
Stanislaus, die noch mächtig war, sieng immer
unter der Hand an, Unruhen zu erregen, die aber
August durch Weisheit, Güte und Waffen ablenkte.
Inzwischen hatten diese polnischen Unruhen dem rö-
mischen Kaiser und dem teutschen Reick einen unver-
schuldeten Krieg mit Frankreich zugezogen, der durch
die wiener Präliminarien gehemmt ward, nach wel-
chem August als regierender und Stanislaus als
Titularkönig von Polen erkannt, und letzterm dis
Regierung von Lothringen unter französischer Ho-
heit verschafft ward.
Im Jahr 1737 starb der regierende Herzog
von Kurland, welches Herzogthum ein Lehn der Kro-
ne Polen ist. Dieftmnach wählten die Stände auf
Antrieb der Russen Ernst Buou, (wie wir bey
Kurland selbst gesehen haben) der aber feine Regie-
rung in kurzem verlassen mußte, und nur durch gün-
stige Umstände wieder zum Besitz desselben gelangte,
nachdem er wieder einen neuen Regenten, Augusts,
dritten Sohn Prinz Rar! verdrängte. Seitdem
der Adel und die Geistlichkeit eine unabhängige
Macht erhalten hatten, war ihre Regierung ein be-
ständiger Schallplatz von Unordnungen, Verwir-
rung, Unterdrückung und bürgerlichen Kriegen gewe*
sen, durch welche der Staat mehr als von allen aus-
wärtigen Kriegen erlitten hatte. Im Jahr 174a
schrieb also der König einen Reichstag nach War-
schau aus, auf welchem unter andern vorgeschlagen
wurde, die Beschwerden der Nation zu hören und
ihnen abzuhelfen. Allein so günstig der Anfang die-
ses Reichstags schien, so endigte er sich doch wie ge-
Cs z wähn-
4©6 Polen.
wohnlich in Verwirrung und Tumult, ohne etwas
ausgerichtet zu haben. Seit zehn Jahren wurden
fünf Reichstage gehalten, auf denen weder etwas er-
hebliches gekhan noch beschlossen wurde; der König
beschloß also einen außerordentlichen Gerichtstag zu
Petrikow zu halten, aber wie sehr verfehlte er seine
Absichten! auch dieser gieng nicht ohne Parchen und-
Feindseligkeiten ab, ja er zeichnete sich noch vor den
übrigen durch gewaltsamere Anmaßungen der Frey«
Helten des Adels aus. Eine Unruhe und Gährung
bot der andern die Hand, und Polen war ein Schau-
platz der Verwirrung. Im Jahr 1751 beschwer«
ten sich die Mennoniten, deren es in Danzig eine
beträchtliche Anzahl gab, über die Beraubung ihrer
Freyheiten-, und als sie beym dasigen Rach kein Ge«
hör fanden, so richteten sie ihre Klagen an den Kö«
mg von Polen; ihrem Beyspiel folgten die Wieder-
täufer, und noch ein andrer Sturm mit den Juden
yeroollkommte die ganze schreckliche Scene; ein gross
fer bürgerlicher Krieg würde hieraus entstanden feyn,
wenn nicht der König den Gesetzen völlige Starke
gab und die Abtrünnigen zum Gehorsam zurück-
führte.
Während ak§ Polen mit sich selbst kämpfte,
fiel der König von Preußen in Sachsen ein,
umringte die sächsischen Truppen im Lager bey Pir«
na und machte sie zu Kriegsgefangenen. August
begab sich nach Warschau, um Unterstützung von
dem Kaiser von Rußland zu suchen. Im Jahr
1760 ließ der König von Preußen seine Truppen in
Polen ernrücken, und 1762 errichtete der Adel in
Groß-Polen, der hauptsächlich ans preußischer Sei«
te war, eine Konföderation wider die russischen Trup-
pen, welche doch Augusten Helsen sollten. Der hu-
bertsburger Friede 170$ endigte jenen anhaltenden
Polen. 407
Krieg; aber eben zu einer Zeit, da die Republik Po-
len ihren König am nöthigsten gehabt hatte , starb
er zu Dresden im 67^1, Jahre feinen Alters«
Von Rußland und Preußen unterstützt, wurde Gtanislav
Stanislav Graf von pomatowsky, nicht ^"6ust, feit j
ohne Widerspruch, der sogar bis zu blutigen Auftritten 17
gieng, zum König ernennet, und wenn er durch eine
freye, nicht durch da6 Daseyn fremder Truppen ein-
geschränkte Wahl diese Würde erlangt hätte, so
würde er auch gewiß in kurzer Zeit den Frieden des
Reiches wieder hergestellt haben« Allein, sowie
die Umstände jetzt waren, Hey dem allgemeinen Miß-
vergnügen der Nation, die es sehr tief zu empfinden
schien, daß Ausländer ihrem Wahlgeschäft Gesetze
vorfchreiben wollten, konnte der König bey dein be-
sten Willen ohnmöglich viel bewerkstelligen, und da
die fremden Machte sich auch der Dissidenten und
Griechen annahmen, denen man die Wiedereinse-
tzung in ihre ehemaligen Rechte und Freyheiten ver-
weigerte, so bereitete sich alles zu einem bürgerlichen
Kriege, zu dem eine Menge Konföderationen und
Gegenkonföderationen des Signal gaben. Mau
glaubte durch eine Gegenkonföderation, so wie durch
den Reichstag von 1763 die Ruhe des Reiches be-
festigt zu haben, allein die Konföderation von Baap
in Podolien, Krakau und andern. Orten, welche sich
den Schlüssen dieses Reichstags geradezuwidersetzten,
zeigten bald, wie nichtig diese Hoffnung gewesen war».
Von nun an war das unglückliche Polen ein Schau-
platz der grausamsten Verwüstungen ; die Konsöde^
rirten, welche nicht stark genug waren den russischen
Waffen widerstehen zu können, riefen die Osmanen
zu Hülfe, und da sie sich auch hier durch die Siege
der Russen in ihren Erwartungen betrogen fanden-»
erklärten sie 1771 nicht allem den polnischen Thron
Cc 4 ' fü-
Polen.
408
für erledigt, sondern etliche Bösewichter wagten so-
gar den König mitten aus Warschau zu entführen,
den sie auch vielleicht ihrer Wuth aufgeopfert hatten,
wenn nicht ein Zusammensillß glücklicher Umstande
ihn aus ihren Händen gerettet hätte. Da auch zum
dl-bermaaß aller dieser Greuel noch eine Pestseuche
in Polen ausgebrochen war, so ließen schon 1770
die Kaiserhöfe und Preußen Truppen an die Grän-
zen marschiren, welche das folgende Jahr tiefer ins
5and hineinrückten, und allgemeines Erstaunen er-
regten, bis 1772 sowohl Oesterreich als Rußland
und Preußen ihren vielleicht schon längst verabrede-
ten Plan enthüllten, und ihre Ansprüche aufverschiedne
polnische Provinzen, die wir anderwärts schon ge-
nannt haben, oder noch nennen werden, durch öffent-
liche Manifeste bekannt machten. Der König und
die Republik proteftirten zwar anfänglich so sehr sie
konnten wider die Zergliederung des Reiches, alleiw
nach und nach sähe man sich zum Nachgeben gezwun-
gen, und die besondern Traktaten mit den drey Mäch-
ten wurden wirklich unterzeichnet. Seitdem har sich
der König alle Mühe gegeben Polen in einen blühen-
dem Zustand zu sehen, übrigens aber hat dieses
Reich durch sene Abreißring feiner schönsten Thei-
le alle politische Wirksamkeit verloren, und ge-
wiß herrschet die Erwartung einer dereinstigen gänz-
lichen Zertheilung bey einem großen Theil des Vol-
kes, das indessen gewiß nicht das mindeste dabey ver-
lieren würbe.
ix. Un-
/
Ungarn,
samt den daran grànzenden österreichi-
schen außerhalb Teuschland gelegenen
Staaten.
Cc 5
Hülfsquellen.
BLschings Erdbeschreibung.
Lroine pvodnkte.
-Herrmanns Abriß (s. bey Teutschland.)
V. N)indisch Erdbeschreibung des Lönigrerchg Utu
garn. öeipz. 780.
Ungarisches Magazin. Presburg feit 781.
Griselini Versuch einer Geschichte des Temesvarer
Bannacs. Wien 780. 2 B. 4.
Taube Beschreibung des Rönigreichs Slavonien.
Leipj. 777.
Sulzer Geschichte des transalpinischen ^ Daciens«
Erstes Buch. Wien 781.
Fortis Reise in Dalmatien, a. d. Ital.. 53^0776*
V windisch Geschichte der Ungar»- Presburg 778-
Jte Staaken, welche wir hier zusammengeschv
€^'' haben, und welche alle, ein Stück von Dal-
matien ausgenommen, das den Venetianern gehöret,
und etlichem der Folge noch zu beschreibende, dem
türkischen Scepter unterworsene Antheile, einen Theil
dev österreichischen Monarchie ausmachen, sind vor
Alters meist unter dem Namen Pannonien, nach-
her unter der Benennung Ungarn im wettern
Verstände begriffen worden. Es gehören dazu i)
das eigentliche Königreich Ungarn, 2) das Groß-
fürstenthlim Siebenbürgen, 3) das Königreich
Slawonien, 4} das Königreich Kroatien, 5)die
Könlgreick)e Galizien und Lodoinerien und 6)die
Vnko-wina. Alles immer noch sehr wenig bekann-
te, in jeder Betrachtung aber sehr merkwürdige Lan-
der, die wir nun einzeln in der hier angegebeum
Ordnung beschreiben wollen»
Das Königreich Ungarn»
Wenn man auf den inner» natürlichen Werth, ^ Königreich
und die Anlage zur Vollkommenheit stehet, so ist Un|^"e'racini.
Ungarn zwar noch in vielen Betrachtungen von der
währen Kultur zurück, aber doch unstreitig das wich- schaffenheit-
tigste der österreichische Lande, und man muß es dem
Patriotisme des Ungarn verzeihen, wenn er bey dev
Uebersicht der natürlichen Güte seines Vaterlandes,
zu dem AusrufUrsache zu haben glaubt, »daß außer
Ungarn nur halbes Leben sey.« Dieses schöne Land
liegt m einem der gemaßigsten und fruchtbarsten Erd-
striche, hat gegen Mittag Slavomm und Scrvien^
gegm
4T2 Ungarn.
gegen Mitternacht das reiche und rauhe karpathische
Gebirge, welches dasselbe von Galizien und Schle-
sien scheidet, gegen Morgen die Walachey und Sie-
benbürgen, gegen Abend Oesterreich, Mahren und
Steyermark, und befasset mit Einschluß deö ehemals
davon abgesonderten temeswarer Bannatö 2790
Ouadratmeilen. Außer diesen genannten Karpathen,
welche Ungarn nebst Siebenbürgen in Gestalt eine-
halben Mondes einschließen, und zum Theil an
Rauhigkeit und Höhe noch die Alpen übertreffen,
sind im Lande wenig Berge von einiger Bedeutung.
Der nördliche Theil ist daher auch viel rauher und
kalter, die Luft wegen der vielen Waldungen und
Quellen weit mehr zu Hervorbringung von Regen,
Hagel und Wind geneigt, als der mittlere Theil,
der des schönsten Klimats genießet, indem die zwar
noch warmern südlichen Gegenden wegen ihrer Strö-
me, Seen und Moraste sehr ungesund sind. Die
vorzüglichsten Flüsse in Ungarn sind die Donau, m
welche die Morowa, Waag, Gran, THeis,
Demes, Draw, ?>aab und überhaupt alle andre
ungarische Flüsse fallen. Auch giebt es verschiedene
Landseen, als den LTeustedler, die Seen auf den
Karpathen und den Plattensee, welcher aber jetzt
meist abgelassen und in tragbaren Boden verwandelt
worden ist. Ueberhaupt liegt es aus keine Weise an
der Güte des Bodens, daß Ungarn noch nicht im
Verhältnisse seiner Größe bevölkert ist, daß noch vie-
le Gegenden unangebauet liegen, daß die Aufklä-
rung hier noch so wenig allgemeinen Fortgang gehabt
hat. Die heftigen Kriege und innerlichen Unruhen
mögen wohl auch das, Ihrige bey dem Zurückbleiben
Ungarns gethan haben, aber eigentlich sind die
Grundsätze, nach welchen das österreichische HanS
bisher hier regiert hat, die Hindernisse, welche durch
diese Grundsätze der Vervollkommnung deö Landes
^ und
Ungarn.
413
und der Einwohner im Weg gelegt worden, der Re-
liqionshaß und die Bedrückungen, welche die Nicht-
katholischen erfahren haben : dieß zusammen sind die
eigentlichen Ursachen gewesen, warum dieses Reich
noch lange das nicht ist was es seyn könnte, und.
was eö hoffentlich bald werden wird, wenn die Vor-
sicht die Lebenstage Josephs des Menschenfreun-
des verlängert.
So wie Ungarn jetzt ist, hat es schon einen Produkte.
Reichthum allerley schöner und nutzbarer Erzeugnisse, ^ den;
weswegen es schon vor hundert Jahren ein österrei- ^an*€nr<<*
chischer Schrifsteller das gelobte Land von Europa
nannte. Dahin gehören aus dem Pflanzenreiche:
Getraide von allen Arten, und ohngeachtet des
nicht zum besten bestellten Ackerbaues in solcher Men-
ge, daß nicht allein nach Oesterreich jährlich auf
60000© Metzen geführt werden, sondern auch nach
Italien ein fast noch stärkster Absatz gemacht wird;
Reis in den südlichen Theilen des Landes, Gar-
tengewächse, von denen Kürbisse und treffliche
Melonen wild wachsen, Süßholz, Saffian, der
aber, so wie die Farbekräuter, Flachs, ^anf
und Hopfen, noch weit mehr erzeuget werden könnte.
Tabak ist eines der vorzüglichsten Produkte, der
aber meist roh, vorzüglich nach Teutschland und
Italien ausgehet. An schönem Dbffe, auch Fei-
gen, Mandeln, Rastanien, Nüssen ist nir-
gends Mangel, ohngeachtet die Natur das meiste
dabey thun muß, und der Ertrag dieser Früchte durch
etwas mehr Fleiß noch weit höher getrieben werden
könnte. Der ungarische wein, dessen erste An-
pflanzung in diesen Gegenden ins vierte Jahrhundert
fallt, ist genugsam als ein köstliches Getränke be-
kannt; der beste unter den vielerlei) Arten desselben
ist der Tokaier, welcher in einem Distrikt von et-
wan K
1 ' " ' -A
414 Ungarn.
man fünf keukschen Meilen wachset. Holzungen
sind nicht allein auf den Karpathen, sondern auch
im Lande selbst häufig zu finden; zur Zeit benutzt
man sie in Absicht der Ausfuhr meist nur zur Pot-
afche. Der Linbamn (der mit den Kiefern viel
Aehnlichkeit hat) und dasRrummholz (eine kleinere
Art desselben) geben ein vortreffliches Harz, das un-
ter dem Namen des ungarischen BalfamS bekannt
ist. Da auch die Anzahl der weißen Maulbeerbau-
me sehr groß ist, so hak man auch seit zwanzig Jah-
ren etwan den Seidenbau zu heben gesucht, und
1781 wurden wirklich schon 8* Centner reine Sei-
de gewonnen, die aber nicht alle im Lande verarbei-
tet wurde.
b) Aus dem Daß Ungarns Berge reich sind, haben wir
Mineralret- stetig angedeutet: es kömmt nun darauf an,
zu wissen, in welchen Metallen und andern Minera-
lien dieser Reichthum bestehet. Da finden wir denn
erstlich Gold, welches im Silber, gediegen, und in
Flüssen gefunden wird. Das güldssche Silber wird
rn Kremniß geschieden, und 1779 sind aus Kremnih
und Schemnitz 2429 Mark Gold geliefert worden,
so wie allein im ehemaligen temeewarer Bannat
jährlich auf 1200 Dukaten Waschgold gefunden
wird. Silber ist noch in größerer Menge. Im
Jahr 1779 sind aus den zwo obbenannten Berg-
stadten 92267 Mark Silber geliefert, und daraus
3043000 Fl» Geld gefchlageu worden. Ueber-
Haupt aber rechnet man, daß in Ungarn und Sie.
benbükgen jährlich 7 Millionen Fl. an Gold und
Silber gewonnen werden, wovon der reine Gewinn
400000 Fl. ausmachen soll. Man hat ferner
Rupfer, welches durchgängig sehr silberhaltig ist,
und jährlich gegen 34000 Centner betragen mag,
Elsen, welches hie und da auch gediegen gefunden
wird
Ungarn.
4*5
wird, Dley, (Quecksilber, Gpießglas, Au-
ripigment, Schwefel, Vitriol, Magnet,
Asbest, Salpeter, Steinkohlen, Farbe-und
Porzellanerde, Edelsteine, worunter den orien-
talischen sehr nahe kommende Diamanten, und
ganz vorzüglich schöne Opale sind, Marmor,
Alabaster, Salz, welches an vier Orten gegra-
ben, und an fünf Orten gesotten wird. Die größ-
ten und reichsten Salzgebirge sind in der maramaro-
scher Gespannschaft, wo jährlich Z bis 40000c Cent-
ner Stein- und zu Sovar Zoc00 Centner Sudsalz
erzeugt wird. Auch fehlt es endlich nicht an Mine-
listhen Mastern, warmen und kalten Badern,
Gesundbrunnen, Sauerbrunnen, versteinernden, gif-
tigen und tödtlichen Quellen.
Ungarn hat auch einen Ueberstuß von allerley^) Aus dem
Thieren. Wegen des schönen oft mannshohen Gra-^^^eiche.
ses ist die Viehzucht von sehr großer Wichtig-
keit. Die ungarischen Ochsen sind größtcntheils
weiß oder grau, vom schmackhaftem Fleische, und
«6 werden derselben jährlich über 1 50000 aus dem
Lande getrieben. Die Schafzucht ist zwar in
neuern Zeiten, zum Theil auf Kosten der Hornvieh,
zucht, erhöhet worden, allein die Wolle hat immer
noch wenig vorzügliches. Pferde werden in gros-
ser Anzahl gezogen; sie überkreffen an Dauerhaftig-
keit und Flüchtigkeit alle andre europäische Pferde-
arten, ohngeachtet übrigens sowohl die Pferde-als
Maulesel- und Efelzucht, sehr verbessert wer-
den könnte» In den vielen Eichenwäldern wird ei-
ne ungeheure Menge Schweine gemästet, von de-
nen jährlich wohl 40000 Stück außer Land getrie-
ben werden. Die Zucht des zahmen Gesiügels
ist nicht weniger beträchtlich, und die Anzahl der
Hühner, Kapaune u. si w., welche jährlich ausge-
führh
416 Ungarn.
führt werden, belauft sich auf Millionen. An Wild
giebt esBäre, IVölfe, Füchse, Biber, Dachse,
wilde Schweine, Gemsen, Hirsche u. s. w.,
so wie an wildem Geflügel, als Fasanen, Drap*
pen, auch Adlern und Falken, kein Mangel ist.
Fische, welche sowohl frisch als geräuchert zum
Theil ausgesührt werden, und unter denen es auch
Störe und Hausen giebt, enthalten alle Küsse und
Seen im Menge, auch flndet man hie und da
Schildkröten. Endlich sind wilde sowohl als
zahme Bienen häufig; die Kultur der zahmen ist
aber noch mangelhaft, und den wilden thun die Bare
sehr großen Schaden.
Bevölkerung. Bey allen diesen natürlichen Vorzügen, welche
in wenig Landern im gleichen Maaße mit einander
vereinigt find, ist Ungarn dennoch kaum niittelmaft
fig bevölkert, und die Anzahl aller Einwohner wird
sich nicht über z 170000 belaufen, ohngeachtet es
weder an Städten noch Flecken und Dörfern fehlet,
und das Land gewiß zwey bis dreymal so viel Men-
schen ernähren könnte. Es bedarf auch keiner scharf-
sinnigen Untersuchung, die Ursachen dieses Menschen«,
mangels ausfündig zu machen, sie liegen vielmehr
so klar am Tage, daß sie niemand abzuleugnen im
Stande seyn kann, wer nicht irgend euren Eigen-
nutzen dadurch zu gewinnen vermag. Erstlich hat
Ungarn durch die bis in die ersten zwanzig Jahre
dieses Jahrhunderts dauernden sowohl türkischen als
innerlichen Kriege unsäglich viel Menschen verlohren:
und Menschen wachsen bekanntlich nicht wie die
Pilze; dann hat die Regierung dem Landbau und
und allen möglichen Nahrungszweigen nur sehr wenig
Unterstützung angedeihen lassen, sie hat vielmehr,
wenigstens vor 50 und mehr Jahren, daraus los ge-
arbeitet, dieses Reich auf alle mögliche Weise zu
entkräft
Entkräften - tirtb eö durch Fremde auszusaugen- die
nicht viel besser als türkische Paschen darinnen wirth-
schäfteten^ Sie that noch mehr als das: statt die
Protestanten- welche viel wohlhabender als ihre fa*
tholischen Mitbrüder waren, zu unterstützen, wen-
dete sie alle Mittel an- und ließ die Mönche alle
mögliche Kräfte brauchen- diesen bessern Theil der
Nation zu unterdrücken- Und durch die kläglichste
Pfafferey, durch den schädlichsten Religionszwang alle
fremde Protestanten von den ungarischen Granzett
«bzu schrecken. Freylich suchte man Kolonisten in§
Land zu ziehen, aber dies war denn die Hese an§
Bayern- Schwaben und den Rheinländern- eirt
faules, lüderliches Gesindel - das rheils durch seine
Lüderlichkeit wie Fliegen dahin fiel- theils sich wieder
nach Teutschland zurückbettelte - und dann die Schuld
seines Wiederkommens aus das Klima schobt Doch
diefe Tage sind denn nun wohl vorüber- und «der
--größte Trost für einen ungarischen Patrioten- sagt
--ein scharsdenkender Schriftsteller, ist, daß Io-
i,seph die Verbindung seines Interesse mit jenem
„des Landes vollkommen kennt- den Werth der natür«
glichen Freyheit und die Menschheit zu schätzen weiß-
-,von keinem Vorurtheil geblendet wird, sich von keinen
--verjährten Misbräuchen die Hände binden läßt, und
,»Muthund Stärke genug hüt-diesen so wichtigen Theil
L>seiner Besitzungen aus seiner Wildheit zu reißen."
Ehe wir aber weiter Zehen, müssen wir unsre Leser
wenigstens in etwas mit den Menschenarken bekannt
machen - welche das Königreich Ungarn bewohnen^
Diese sind Ungarn- welche Abkömmlinge der ScytheN
und spater der Hunnen sind, Und zu welchen auch dieIa-
Z^gen Und 2vn maneN gerechnet werden. Dann SlaZ
Den, wozu die Böhmen, Kroaten- Serben oder RaiZ
zen- Wenden Und Russen gehören- welche meist im nsrd^
n KKnd. iiAht^ Dtz lichtzii
Landwirth-
schaft-
418 Ungarn.
lichen und östlichen Theile des Reiches wohnen.
Ferner Deutsche, die zu eben der Zeit zuerst nach
Ungarn gekommen seyn mögen, als die Sachsen sich
in Siebenbürgen niedergelassen haben, wlachen
oder Ulalachen, die sich selbst Kölner nennen,
Griechen, Juden, Türken und Zigeuner,
die erst seit 141 8 hier gesehen worden sind. Ungarn,
Slaven und Teutsche werden sür einheimisch, alle
andre für fremd gehalten.
Ohngeachtet Ungarn den Ausländern eine an-
sehnliche Menge Getraide ablassen kann, so könnte
es desselben doch auch bey itieit stärkerer Bevölkerung
gewiß noch weit mehr ausführen, wenn der Acker-
bau Ln bessermZustande wäre. In vielen Gegenden
lieget noch der ergiebigste Boden wüste und öde,
bloß mit wild wachsenden Kramern bedecke, lind das
2and, welches dem Anbau unrerworsen ist, wird
bey weitem nicht so benutzt, als es benutzt werden
könnte, da man weder die Düngung gehörig ver-
sieht, noch den Gebrauch des Mergels kennt,
zu viel brach liegen laßt, das Getraide siatt es zu
dreschen durch Ochsen austreten und die Fahrwege
mitten durch das besäte Feld gehen laßt. Eben so
jsi es mit den übrigen Zweigen der Landwirthschafr:
überall ist dieselbe Vernachlaßigung, dieselbe Unbe-
bekanntschaft nlit leichtern Handgriffen? und überall
auch dieselben Ursachen dieser schlechten Wirthschast:
Anhänglichkeit an verjährte Vorurtheile von Seiten
der Unterthanen und Hindernisse, die von der Re-
gierung bisher immer der größer» Aufnahme Ungarns
in den Weg gelegt worden sind. So ist z. B.
die Ausfuhr der Weine, die doch ein Hauptprodukt
des Hildes sind, mit ungelMern Auflagen beschwert,
weil man dadurch den österreichischen Weinbau zu
begünstigen sucht«/ ohne zu bedenken, daß der Aus-
länder,
Ungarn.
419
lander, dem nun der ungarische Wem zu theuer ge-
macht ist/ darum nicht nöthig hat zu dem öster-
reichischen seine Zuflucht zu nehmen.
Eben diese Maaßregeln, wodurch die Beherr- Manufaktu.
scher Oesterreichs Ungarn immer in Abhängigkeit ren und Han-
zu erhalten suchten, haben auch ihren Einfluß aufdel.
das Fabrikswesen gehabt, von dem man hier kaum
die ersten schwachen Umrisse erblicket. An Anlage
und rohem Materiale zu verschiedenen Manufaktu-
ren ist gar kein Mangel, aber noch zur Zeit weiß
man sehr wenig Gebrauch davon zu machen. Man
macht grobe Leinwände/ Tücher und Zeuge, auch
etwas Seidenzeug, Fayenze, Eisenwaaren und Kat-
tun, bereitet Leder, siedet Seife, schlagt Oes,
brennt Branntweine, verfertigt Säbelklingen und
fabricirt Tabak, aber die meisten dieser Artikel wol-
len nicht für den innern Landesgebrauch hinreichen/
und wenn Ungarn für feine Produkte: als Getraide,
Vieh/ Weine, Wolle, Pelzwerk, Talch, Wachs,
auch Leder und Pokafche «6 Millionen Fl. einnimmt,
so muß es wenigstens wieder für 4 Millionen Tü-
cher, für 5 Millionen Leinwände und seidene Waaren,
und überhaupt für 18 Millionen fremde Artikel ein*
führen. Daß Ungarn bey seinem auswärtigen Han-
del Einbuße leidet, beweiset die Armuth des Volks,
und die Schulden der Großen; daß aber auch die
innre Handlung nicht aufs beste eingerichtet ist, er-
hellet daraus, daß noch sehr wenig auf Erleichte-
rung des Transports durch Vereinigung schiffbarer
Flüsse und Anlegung guter Landstraßen gedacht ist,
und daß man herumziehenden Juden und Raizen
erlaubet Zucker, Kaffee, Oel, Ingber, Pfeffer
und dgl. in sehr kleinen Parthien an den LanWann
zu verkaufen, ohne zu bedenken, wie viel Gesund-
heit und Beutel der Landleute durch verfälschte imi>
Dd s über-
420 Ungarn»
übermäßig vettheucrke W-ioren leide». Vielleicht
Saß auch hierinnen bald eine Aenderung getroffen
wird, wenn es anders dem Wiener Hofe nicht poii*
tischer scheint, Ungarn so ohnmächtig als nur immer
Möglich 3** lassem
Zu den Geldsorten-, welche in Ungarn
gewöhnlich find, gehören im Golde die 2xrem-
rülzer und kaiserlichen Dukaten nebst den
Gouverains, in Silber alles in den tentsch-
österreichischen Landen übliche Konvenkionögeld,
nebst ungarischen Al., halben Al., Siebzehr
nern, Siebnern und Groschen, in Kupfer
Kreuzer, (Kröschel und Ungarisch, deren fünf
einen Groschen auömachen.
Wissenschaft Ehe wir noch etwas von dem Zustande der
■ui? Kün. Wissenschaften erwähnen, wollen wir erst der in Un-
garn üblichen Sprachen gedenken, welches folgende
s,nd> Die ungarische, eine nicht häßliche, wie.
wohl noch ziemlich ungebildete Sprache, deren
Wortfügungen merklich den astatischen Ursprung
verrathen, und welche mit der finnischen sowohl alö
wognlischen verwandt ist, auch hebräische und alte
persische Worte in sich hat. Dann die Deutsche,
von der sich verschiedene Mundarten hier finden,
und welche jetzt bey öffentlichen Verhandlungen an
die Stelle der ehemals dabey üblichen lateinischen
Sprache getreten ist, welche letztre auch sogarvon dem
gemeinen Mann ohngefahr wie in Polen geredet wird.
Ferner die slawomsche, walachische und die
Sprache der Zigeuner, die aus verschiedenen
Mundarten zusammengesetzt.ist. Ohngeachtet aber
die eigentliche Landessprache keine Büchersprache ist,
und wirklich überhaupt genommen die Ausbreitung
der Wissenschaften durch die vielen Kriege sehr ver-
hindert worden ist, so würde man doch irren, wenn
man
Ungarn. 42!
man Ungarn alle Gelehrsamkeit absprechen wollte
Vielmehr haben schon verschiedene seiner alten Kö-
nige sehr viel zu Ausname derselben gethan. Sir
verwendete z. B. Matthias l jahrlftl) bloß Zooco
Dukaten auf eine Sammlung griechischer und lates,
nischer Handschriften, die aber nach dek Schlacht
bey Mohatsch Ln die Hände der Türken siel, Fer-
dinand II stiftete die Universität ¿u Tyrnau, welche
1777 nach Ofen und 1784 nach Pesth verlegt wor-
den ist, und die verewigte Maria Theresia ließ sich
die Vermehrung wissenschaftlicher Kenntnisse beson-
ders angelegen seyn. Leugnen kann man indessen
nicht, daß die' Anzahl wahrer Gelehrten von jeher
nur klein gewesen ist, daß man tiefe und freye Dec-
ker vergebens unter den im Vaterlands lebenden
suchen würde, und daß eben der Umstand, daß dis
Nationalsprache keine Büchersprache ist, sondern
Latein und Teutsch dafür gebraucht werden, den Ein-
fluß der Wissenschaften auf ungelehrte Volksklas-
sen durchaus gehemmt hat. Geschichte und lateini-
sche Dichtkunst sind, auch die vorzüglichsten Zweige
der Wissenschaften, welche hier am meisten Wurzel
geschlagen haben, und unter einer Menge in diesen
sowohl als andern Wissenschaften bekanntgewyrdenen
Schriftstellern wollen wir nur folgende nennen'
Gzekely, Listhius, Istwa'nfi, Barzai, He-
neci, £?öc$y, Bonfinius, zwar ein Italiener
von Geburt, aber doch in Ungarn lebend und einer
der vorzüglichsten Schriftsteller. An diese altern
Geschichtschreiber schließen sich m neuern Zeiten dis
Horanyi, Dollar, p. s)ray, p» N)agncr>
Machias Bel und von windifch an, welcher
letztere sich um die ungarische Erdbeschreibung und
Geschichte durch eigene Schriften und Herausgabe
eines viele gute Sachen enthaltenden ungarischen,
Magazins sehr verdieut gemacht hcktt Außerdem
Dd 3 kann
4î2 Ungarn.
kann man noch die Dichter Sambttcus und Zu
notn, den berühmten Astronom den durch
verschiedne Schriften bekannten v. Großinvs, nebst
etlichen Schriftstellerinnen v. Mellenbach, Ba-
rhori und pctrotzy hinzusetzeu.
Auch den Künsten ist das hiesige Klima nicht
ganz ungünstig gewefen: man findet nickt allein viele
Liebhaber und Kenner der Kunst, wenn auch gleich
manche Beschützer derselben nicht den geläutertsten
Geschmack zu haben scheinen, sondern Ungarn hat
auch verschiedene wirklich große Künstler hervorge-
bracht, vahin die Oeser und andere
gehören.
Karakter und Da Ungarn nicht von einer, soudern ver-
bitten. schiedenen Völkerschaften bewohnt wird, so kann
man auch keine völlige Gleichförmigkeit, weder der
äußern Bildung, noch des inner» Karakters erwar.
cen, ohngeachtet viele besondere Nationalzüge, durch
Gleichheit der Regierung und Blutsvermischung in
eins zusammen geschmolzen sind. Im Ganzen ge-
nommen, sind die Ungarn ein gesunderund derber
Schlag Leute, mehr Knochen und Nerven als
Fleisch, gelblicht von Farbe, schwarz von Haar und
Augen, leicht und feurig in ihren Bewegungen, und
dabey zu aller Ertragung der härtesten Beschwerden
des Lebens geschickt. Ihre Kleidung hat mit der
Tracht andrer Natonen fast gar nichts gemein. Im
Winter bedecken die Männer das Haupt mit einer
Pelzmütze, im Sommer aber mit dem gewöhnlichen
teutschen Hute. Ihre Hemden reichen nur bis auf die
Hüften; das übrige aber bedeckt eine Hose von Lein-
wand, welche bis an dieFußknöchelgehet. Der eigent-
liche Rock (Dolman) liegt sestam Leibe, ist nicht viel
länger als das Hemde, und wird an den Lenden mit
einer Binde fest gemacht. Ueber diesen Rock wird
ein
Ungarn. 42?
ein etwas längerer getragen, der im Winter mit
Pelz, im Sommer mit dünnem Zeug gefüttert, be-
ständig aber mit Pelz aufgeschlagen ist. An den
Füßen haben sie entweder eine Art Schuhe, oder
Halbstiefeln, welche Tfchifchmen genennt werden.
Der gemeine Mann hat einen noch viel einfacher»
Anzug. Seine Kop-fdecke ist entweder ein runder
Hut, oder eine Filzkappe, welche einem stumpfen
Zuckerhute nicht unähnlich stehet; im Sommer trägt
er ein grobes Hemd, das oft nicht eher abgelegt
wird, bis es auf dem Leibe zerrissen ist, und leinene
Hofen; im Winter einen groben langen Tuchrock,
oder Lammspelz, starke Stiefeln mit eisernen Absä-
tzen, die Haare verschnitten, oder bis auf einen in
Knoten gewickelten Seitenzopfabgefchoren. Frauen-
zimmer, welche nicht französisch gekleidet stnd, tra-
gen Hauben mit Gold und Silber, die Haare in
einen Kranz gewickelt, der oft mit einer mit kostba-
ren Steinen besetzten Krone geschmückt ist, Ober-
hemden von feiner Leinwand, die mit Spitzen ver-
brämt sind, und lange Pelze. Gemeine Weiber
wickeln den Kopf in ein weißes buntgenähtes Tuch.
Dies ist aber nur die Kleidung der Ungarn; die
Raizen und Walachen haben eine Jupe, und eine
etwas weite Hose, ihre Weiber lange Hemden, lange
Oberröcke und eine Menge Klimperwerk von Mes-
sing, Glasstückchen und dgl. an sich hängen, das
ihre Ankunft schon von weitem verkündigt.
Was nun den Geisteskarakter der Ungarn be-
trifft, so ist Vaterlandsliebe einer der schönsten Züge
in demselben, und eine Quelle vieler Thaten, wo-
durch sich diese Nation in der Geschichte bekannt
gemacht hat. Sie war es, und nicht bloß blinder
Empörungsgeist, welche den Ungarn oft die Waffen
wider ihre österreichischen Beherrscher in die Hand
Dd 4 gab.
Ungam,
gab, und sie lieber die türkische Herrschaft ertragen
lehrte, als daß sie die Plackereyen, deren man sich
gegen sie erlaubte, hatten Dulden wollen. Gegen-
wärtig wird der Wiener Hof wohl keine Empörung
mehr zu fürchten haben, aber die siebe zum Vater-
lande ist auch meist bey den Ungarn verschwunden,
und mit ihr und au6 denselben Gründen hat auch
die Tapferkeit abgenommen, die noch jn dem ersten
Schlesischen Kriege den ganzen Adel für feinenjge-
drängten Txönig Maria Theresia bewaffnete.
Wenn man indessen der ungarischen Nation diese
Eigenschaften nebst der Fähigkeit scharf zu denken
und zu empsinden, der Großmuth, der Freygehig-
feit, dem edeln sich selbst gnügenden Stolze, und
«andern Vorzügen des Geistes und Herzens zuge-
steht, so beschuldigt maii sie im Gegentheil der Ver-
stellung, der Hinterlist, des Wankelmuths, der
Treulosigkeit, der Grausamkeit, der Vollerer) und
her Unreinlichkeit. Zn sofern diese Anschuldigungen
auf jedes noch halbrohe Volk passen, und das ist ein
sehr großer Theil der Einwohner Ungarns, in soweit
mag viel wahres bey demselben zum Grunde liegen,
aber ein großer Theil derselben konnte wyhl daher
entsprungen seyn, daß inan dasjenige, was gerech-
rer Haß und gerechtes Mißtrauen gegen die Tcut-
schen war, zu einem allgemein herrschenden Volks-
karakter gemacht hat. Von jeher scheint es der
Plan des österreichischen Hofes gewesen zu seyn, den
ihm wegen der türkischen Nachbarschaft so gefähr-
lichen Freyheitsgeist der Nation aus alle Weise zu
schwächen, und die Fesseln so unauflöslich als mög-
lich zu machen. Wirklich ist ihm auch Ungarn jetzt
nicht weiter fürchterlich, denn ohne daß etwan Gei-
stesaufklarung vorhergegangen oder damit verknüpft
wäre, ist der hohe Adel schon mit allen Verderbnis-
sen der großen Welt bekannt, uny seine alten rohen
Sitten sind zwar größkenkheils verschwunden, aber
er hat sie nur darum abgelegt, um sie gegen franzö-
sische Sitten, Thorheiten, Hüftweh und Schulden
zu vertauschen. Dieser Luxus mit seinem ganzen
Gefolge ist auch zu den Mittlern Standen hindurch-
gedrungen, die nicht selten das abentheuerlichste Ge-
misch von den Ursttten ihrer Vorfahren, und den
ausschweifendsten Lächerlichkeiten der Verschwen-
dung in allen möglichen Dingen an den Tag legen»
So verschwinden die Nationalsitten immer mehr,
ohne daß die Einwohner im mindesten weiser und
bester würden, und wenn man denn aus Palasten,
in denen Pracht und Ueberfiuß herrschen, auf
Strohhütten und unterirrdische Holen die Aussicht
hat, in denen Menschen gleich den Thieren leben, so
beweist dies gewiß nichts für die Glückseligkeit dieses
Landes, wohl aber, daß ein großer Thefl der Ein-
wohner vom Raube des andern lebet.
Ohngeachtet die Katholiken nur ein Driktheil Kirchliche
der Einwohner auömachen, so ist ihre Kirche doch Verfassung,
die herrschende in diesen*Reiche, und sie hat dieses
Vorrecht bis aus die Tage Josephs 11 mit der aus-
fersten Unduldsamkeit geltend zu machen gewußt.
Die gottesdienstlichen Freyheiten der Protestanten sind
zwar in den Gesetzengegründet, seitdem aber dieJesui
ten nach Ungarn gekommen waren, mußten sich jene
die größten Gewaltthatigkeiten gefallen lassen. Un-
begreifiich ist es, wie der Wiener Hof, der doch wis-
sen konnte, daß die Protestanten weit fleißiger und
wohlhabender als ihre katholischen Mitbrüder waren,
wenn sie auch in Fleiß und Religionsausklarung den
Protestanten andrer Lander nachstehen; daß derselbe
Hof, der so viele Projekte zu Beförderung der In-
dustrie und Klügermachung seiner Unterthancn ent-
warf, zulassen, oder wohl gar selbst dabey mitwn-
Ungarn.
426
ken konnte, wenn man ihnen nach und noch 300
Kirchen entzog, ihnen vorschrieb, von welchen Ma-
terialien sie ihre, mehr alten Scheunen als Bethäu-
fern ähnlich sehenden Kirchen erbauen mußten, ihre
Schulen soviel möglich einschrankte, ihnen die Ein»
bringung protestantischer Bücher erschwerte, sie von
allen Landesstellen verdrängte, und ihre Kinder
durch sehr niedrige Kunstgriffe zu Proselyten zu ma-
chon suchte. So sonderbar dies ist, so sehr es den
Regeln einer gesunden Staatskunst zuwider lauft,
so ist es doch die Geschichte der verflossenen Tage,
vom Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, bis in
die Regierungsjahre Mariens Theresienö, deren
Herz und Name oft von Dummheit und Bosheit
gemißbrauchet wurde. Ihr großer Sohn hat diesen
so schädlichen als schändlichen Begegnungen meist ein
Ende gemacht, Und die Protestanten sind wieder in
den Besitz ihrer Kirchen und Schulen, in den Ge-
nuß aller der Freyheiten getreten, die ihnen entzogen
worden waren. So große Rechte in geistlichen
Dingen übrigens aber die Könige von Ungarn
haben, so hat es doch bisher dem Kaiser mit seinen
Klosterreformen und andere Einrichtungen diefer Art
noch fehr wenig glücken wollen, und die ungarischen
Prälaten haben sich auseine Art widersetzt, die ihren
Einsichten sehr wenig Ehre macht. So lange aber
die äußerst unwissende und bigotte Klerisey nicht ver-
nünftiger und duldender wird, so lange der'katholische
Ungar nicht einsieht, daß dasjenige, was die Pfaf-
ferey Religion nennt, immer nur ihr eigener zeitlicher
Vortheil ist, so lange haben auch die Protestanten
keine wahrhaftig brüderliche Begegnung zu erwar-
ten. Die Furcht kann den Fanatismus in seine
Hole zurück scheuchen, aber bey dem geringsten
Schlummer seiner Wächter wird er gewiß mit
verdoppelter Wuth wieder Hervorbrechen.
Ungarn.
427
Die Bekenner der griechischen Religion haben
sich zum Theil mit der katholischen Kirche vereinigt,
d. h. sie erkennen die Obergewalt des Bischofs zu
Rom, und glauben nebst dem Fegefeuer an das Ausge-
hen des Geistes auch vom Sohne. Dagegen haben
sie sich die Priesterehe, den Kelch beym Abendmal,
nebst der ganzen Liturgie, Vorbehalten. Sie heißen
Unirce, die andern aber Schismatiker oder
glimpflicher Nichtunirte. Ihre Anzahl belauft
sich sehr hoch, ihre Kirchen haben Thürme und
Glocken, und ihre Klerisey, so wie die. der Unkten,
ist so unwissend als etwan die katholische Geistlich-
keit unter Karl dem Großen in Teutschland. Ju-
den werden hin und wieder geduldet, die Wider-
taufer aber sind vor etlichen zwanzig Jahren unter-
drückt worden.
Bis zum I. 1687 war Ungarn ein Wahl- Bürgerliche
reich, im genannten Jahre aber ward es in ein Verfassung.
Erdreich verwandelt, und 1722 wurde die Erbfolge y ^
auf die weibliche Nachkommenschaft erweitert. In
den altern Zeiten waren die Rechte des Königs ge-
waltig beschrankt, seitdem Ungarn aber österreichi-
sche Beherrscher gehabt hat, haben diese ihre Ge-
walt nach und nach immer weiter auszudehnen ge-
sucht. »So wenig, sagt ein aufmerksamer Beob-
achter, sich das österreichische Haus mit Verrathe-
»rey und Blut besudelt hat, so hat doch seine
»Staatsverwaltung in Rücksicht auf Ungarn immer
»einen Zug von List und studirter Unterdrückung ge-
»habt/' Wirklich ist die Hosparthey, welche die
Macht des Königs zu erweitern fucht, immer starker
geworden, und seitdem die Srini, Nadasti, Fran-
gipani und andere in fcem Kampfe wider die souve-
räne Gewalt erlegen sind, hat man den Adel, der
doch nebst der Geistlichkeit im Grunde allein frey ist,
durch
428 Ungarn.
durch Ehrenstellen, Vcrheurathungmit teutschen Da-
men, so ohnmächtig zu machen gewußt, daß dev
Hof jetzt so leicht keine Empörung wieder befürchten
darf. Wenn man, bey dieser Unterdrückung eines
hier dem Fürsten so sehr als dem Lande schädlichen
Standes, zugleich darauf bedacht seyn wird, dis
nieder» Volkslassen mehr zu Menschen zu bilden,
wenn den meist leibeignen oder doch armen Bauern.
Mittel an die Hand gegeben werden, ein glucksest-
geres Leben zu führen, wenn der Hyder der Intole-
ranz ihre unzählbaren Köpfe abgeschlagen sind, dann
wird Ungarn bey dein Verlust seiner eingebildeten
Freyhert sich gewiß bester befinden, als wenn seine
Edelleute keine Abgaben entrichten, willkührlich
mit ihren Unftrthaneu verfahren dürfen, und bey-
nahe von aller Gerichtsbarkeit frey sind, während
daß das arme Volk in Elend schmachtet, und
die Ungebundenheit des Adels mit der, bittersten
Knechtschaft erkaufet.
b) Titel, DeS ungarischen Titels brauchen wir weiter-
Wapen, Rit-^jcht zu gedenken, da er mit in dem schon bey.
morden. Teutschland der Lange nach angeführten österreichi--
fcl)en enthalten ist; nur müssen wir wir noch hinzm
fügen, daß der König den Beynamen katholisch
und apostolisch führet. Das Wapen ist ein in
die Länge herab geteilter rother Schild, dessen rech-,
te§ Feld durch vier silberne Streifen gespalten
in dein linken aber ein silbernes erzbischöfliches Kreuz-
aus einem dreyfachen grünen Hügel stehet. Der
Ritterordens welchen Vlaria Theresia 1764 erneuere
hat, führt den Namen vom heil. Stephan«
Sein Zeichen ist das ungarische Kreuz, welches an
einem rothen Bande, das auf beyden Seiten einen
grünen Streifhat, getragen wird,
Ungarn. 429
Dä wik schon hie und da das nothwendigste, ^ _ c) Adel,
WUS wir über den ungarischen Adel zu sagen hatten/ Reichsstände,
«ngeführt haben, so setzen wir hier nur noch hinzu,
daß der Adel überhaupt sehr zahlreich ist, daß eö Qjcn<
viele Edelleute ohne Landgüter, und manche andre
giebt, die unbeschadet ihrer Vorrechte Handwerke
treiben. Der Adel macht auch die zwote und dritte
Klasse der Reichsstände aus, welche überhaupt in
folgende vier Klassen getheilt sind. j) Prälaten,
dahin gehören die Erzbischöfe von Gran und Koloz«
scha, die Bischöfe, Aebte und die vornehmsten
Pröbste. 2) Die N7agiiaren oder Reichsb^r-
rone. 3) Die Ritter oder Edel!eure. 4) Die
königlichen Fre^stadte. Diese Neichsstande
kommen gewöhnlich alle drey Jahr auf ein vorher-
gegangenes königliches Ausschreiben zu Preöburg zu-
sammen, wo sie dem König oder dem königlichen
Großgraf (Palatinus regni) ihre Angelegenheiten vor-
kragen , und die Propositionen, die ihnen gemacht
werden, bewilligen» Andre HeichStribunale sind:
die hohe ungarische Hofkanzley. Sie iss zü
Wien und fertigt die Edikte des Königs aus. Fer-
ner die hohe königliche Statthalter^ zu Pres-
bnrg hat den Palatin zuni Präsidenten, und besteht
aus 23 Rathen/ Sie besorgt aus königlicher Ge-
walt die öffentlichen bürgerlichen Sachen, und steht
unter der vorigen. Die königliche Schatzkam-
mer, welche die königlichen Güter, Einkünfte und
Rechte besorgt, und in die Hoskammer und Berg-
werkskammer abgetheilt wird. Das ganze Zand iss
in Gefpanschaften oder kleine abgemessene Pro-
vinzen, die wieder aus kleinern Bezirken bestehen,
abgetheilt. In jeder ist ein Obergespan, der mit
seinen Beysitzern und Beamten einen besonder«
Magistrat anömacht, mit dem er besonders Rechts-
Civil, und Wirkhschaftssachen besorget; ein Unter*
gespan,
430 Ungarn.
gespan, Steuereinnehmer, Notar und acht Stuhl*
richten. Die Verwaltung des Rechts in Civilsa-
chen geschieht im Namen des Königs nach Vorschrift
des Gesetzes und Herkommens. Von dem Gericht
der kleinen Städte gelangen die streitigen Sachen
entweder an das Gericht der Gespanschaften, wenn
sie Freystadte sind, oder an die Herrschaft des Ge*
bietes. — Das Oberappellationsgericht heißt die
Sepcemviraltafel. Man beschwert sich übrigens,
daß viele der teutschen Beamten (denn wo die Reichs-
verfassung nicht ausdrücklich Landeseingeborne hei-
sichet, hat man so viel Teutsche als möglich eingescho-
ben) bloß auf Füllung ihres Beutels bedacht sind,
und die Gerechtigkeitspftege nicht immer nach den
strengsten Regeln des Rechts gehandhabt wird.
d) Einkünfte. Die Einkünfte bestehen in den RcmtrLbutic^
nen, welche 4 bis 5 Millionen Fl. betragen, den
Zöllen, Bergwerken, Salzwerken, königlichen
Domänen, und den Gütern und Rechten,
welche dem königlichen FLfcrrs beygelegt sind.
Die ganze Summe aller Einkünfte machte 177s
18004153 Fi. 181 Kreuzer aus.
Einzelne Pro- Das Königreich Ungarn wird in vier Kreise
vinzen. und drey unv fünfzig Gespanschaften eingetheilt.
Ober« Ungarn begreift die östliche, Nieder-Ungarn
die westliche Hälfte des Reichs. Jenes erstreckt sich
bis an die mährischen Granzen und begreift in zweyen
Kreisen, diesieit und jegseit der Donau, 24 Ge-
spanschaften, Zs Städte, 179 Marktftecken und
g 510 Dörfer. Dieses besteht ebenfalls aus zweyen
Kreisen, diessiit und jenseit der TheiS, und enthält
29 Gespanschaften, in welche»! zi Städte, 175
Marktftecken und g 144 Dörfer befindlich sind. Oh-
ne unö »veiter an die zu partikulare, uuserm Zweck
nicht angemessene Eintheilung in Gespanschaften zu
binden.
Ungarn. 4Zi
binden, w-llen wir nur die Abtheilung in Kreise
zum Grunde legen.
In LFLederungarn diesseit der Donau be-
merken wir also zuförderst presburg, ungarisch
poson^, die erste, schönste und volkreichste Stadt in
Ungarn. Sie liegt in einer angenehmen sehr gesun-
den Gegend, zehn Meilen von Wien, an der Donau,
und ihre Einwohner, welche meist Teutsche sind,
mögen sich wohl auf 27-28000 belaufen, ohnge,
achtet die eigentliche Stadt nicht über 200 Häuser
enthält, dagegen aber die Vorstädte desto weitläufti-
ger sind. In dem dabey aufeiner Anhöhe gelegenen
befestigten Schlosse wurde bis 1784 die alte golde-
ne mit rohen Edelsteinen besetzte Krone verwahrt,
welche nun nach Wien abgeführt worden ist. Die
Lutheraner haben hier ein Gymnasium und in den
Vorstädten eine sehr schöne steinerne Kirche, welche
1776 vollendet worden ist. Tornau, ungarisch
r^agy-Szombath, eine wohlgebauete Stadt auf
beyden Seiten des Flusses Tyrna. Die 1635 9e*
stiftete Universität ist 1777 nach Ofen verlegt wor-
den. Gchemnitz, ungarisch Sclmetz-Banya,
in einem ganz mit-Felsen umgebenen Thal, und so
unregelmäßig gebauet, daß manche Gassen auf
1000 Schritt, und noch weiter, von einander ent-
fernt sind. Sie ist übrigens eine der vornehmsten
aller ungarischen Bergstädte; die hiesigen Gruben
sind sehr reich, ohngeachtet sie.ehedem dreymal mehr
Ausbeute, (die Woche 33 4000 Mark Silbers) als
gegenwärtig, gegeben haben. Man rechnet, daß auf
5000 Menschen in den Bergwerken arbeiten, und
der Hof jährlich über 520000 Fl. Unkosten darauf
wenden muß. Ueberhaupt mag tzie Zahl der Ein-
wohner 7.8000 seyn, wovon die Protestantenzwey
Drittheile ausmachen. Eine andre vorzügliche Berc^
stadt
Niederun.
garn diesseit
der Donau.
Preöburg.
Tyrnau.
Echemnitz.
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Ungarn.
43}
ebenfalls an der Donau in einer fruchtbaren Gegend«
Wir führen sie deswegen an, weil die verewigte K. K.
1768 hier eine nützliche Anstalt (Collegium The»
iefiauum) zu Erziehung jungerungarischer Edelleute
angelegt hat- (Anaii, (Estergom) beym Einflüsse Gran-
des Flusses gleiches Namens in die Donau, ein
großes aber nicht sehr bevölkerter Art, mit einem
festen Schlosse und guten warmen Badern. 3« die-
sem Kreise bemerken wir noch die RömerschMze,Römekfch<W
ein erstaunenswürdigeö Werk, das sich in einer
Strecke von etlichen Meilen von der Donau bis an
die Theis erstrecket. In dem Winkel, welchen diese
deyde Ströme machen, findet man so viel römische
Schiffsschnäbel, Anker und dgl., daß matt dadurch
aus die wahrscheinliche Vermuthung gekommen ist,
daß die Römer hier ihren Schiffbau gehabt haben.
Auch jetzt wohnen in diesem Winkel die österreichi-
schen Tschaleisten oder Schiffösoldaten auf der -
Donau. Die Tschaiken, auf denen dieses Korpr
dienet, sind eine Art Galeeren, mit Segeln unv
Rudern, welche vier bis zwölf Kanonen führen.
Die Mannschaft ist mit einem Pallasch, einer kur-
zen Flinte und zwo Pistolen bewaffnet, alle Illyrier
und Wallachen, 1113 Mann stark, wenn sie voll-
zählig ist. Zu diesem Kreise gehört auch noch die
Landschaft Rleiii--Rumänien (Ais-Rumack),
deren Bewohner noch zum Theil bis i4ic»Heidel1
waren und in Zelten wohnten.
Zu dem Klreise jettseit der Dsllütt gehört L ll. Nieberun-
Gedenburg, ungarisch Goprdny, eine artige garn jenfeik
wohlgebaute Stadt mit 11600 meist teusschen Ein» der Donau-
wohnern, die sich vom Weinbau und der^uchwebe.
rey ernähren. Aäab, (Györ) eine alte, starke Naab.
Festung in einer fruchtbaren Gegend, da wo die
Donau, die Raab und RabnLz zusammenfließen,
liBanS- UsAbch. Ee von
4M Ungarn.
von denen sie völlig umgeben ist. Sie hat durch,
gängig steinerne Häuser, breite gerade Gassen und
20000 Einwohner. Im I. 1750 ist hier eine
Akademie angelegt worden, in welcher Gottesgelahr-
heit, Rechtsgelahrheit und Philosophie gelehret wird.
Komorn. Äomorn, beym Zusammenfluß der Donau und
Waag, ein befestigter Ort, der durch Erdbeben un-
Stuhl -Weis« Feuersbrünste sehr in Verfall gerarhen ist. Stuhl-
ftnburg. Meißenburg, (Gze kes, Feje u-Va'r) eine star.
ke Festling in einer sehr morastigen Gegend gelegen.
Auch dieser Ort ist kaum mehr der Schatten von dem,
Fünf.Kir. was er ehemals war. Fünf-Kirchen, (Pirsch)
chen. ehedem gleichfalls eine ansehnliche Stadt mit einer
sehr stark besuchten Universität.
Ul. .Oberun- In diesem Kreise bemerken wir Äaschau,
garn diesseit migaristl) ^xasa, eine Festung am Flusse Hernach,
derTheis. welche der Sitz verschiedner Kollegien ist, auch eine
Kaschau. ^he Schule und ein gut eingerichtetes Zeughaus hak.
Szelitze. Szelirze, zwar nur ein geringer Flecken, aber merk-
würdig wegen einer wunderbaren Höhle, die sich bey
demselben in einem Berge befindet, welche 50 Klaf-
ter tief, 26 weit, bey kalter Winterwitkerung lau
und im heißesten Sommer eiskalt ist. Sobald der
Schnee bey Annäherung des Frühlings schmelzt,
schwitzt aus der innersten Wölbung der Höhle ein kla-
res Wasser, das dann zu Ungeheuern Eiszapfen frie-
ret , und seltsame Gestalten bildet. Mit diesem
Eise, welches den ganzen Sommer hindurch
zunimmt, kühlen die Einwohner !ihr Wasser ab.
Co wie die die äußere Lust kalt wird, sangt das
Eis in der Höhle <rn auszurhaucn, und im Winter
trifft man dann ganze Schwarme Insekten, Fleder-
mäuse, Eulen, auch wohl Hasen und Füchse on,
welche hier einen warmen Aufenthalt suchen-
Ungarn. 435
In der Zipfer Gespanschaft, wo das karpa-
chische Gebirge am höchsten ist, ist Lemschau, Leutschau.
(Lotse) eine Stadt, welche mit starkem «Mauern
und festen Thürmen umgeben ist, mehrentheils
Teutsche zu Einwohnern hat, übrigens aber sich im
äußersten Verfalle befindet. Wichtiger ist Räs- KäsmarL
mark, eine der alten Städte des Reiches, deren
Einwohner viel Gewerbe und Handel treiben. Die
Provinz der sechszehn Zipferstadre, von denen
13 von 1412 bis 1772 an Polen verpfändet waren/
lieget mit in dieser Gespanschaft. Es sind eigent-
lich nur Marktflecken, unter denen keiner sehr merk-
würdig ist. Tokaj ist zwar auch nur ein Marktfle-- Tokaj.
cken am Zusammenfluß der Theis und BodrogS,
aber wegen feines köstlichen Weines überall, wo Wein-
kenner sind, genugsam berühmt. Es giebt vier
Arten desselben, nämlich die Essenz, zweyerley Aus-
brüche, und gemeinen Wein.
In dem Kreise! jenfeit der Theis ist (§roß-ss^- Obern,is
^Mardern (Nag^^arad), eine Festung
Flusse Körösch. Neu - Wardein ist ein wohl bewohn-. Gxoß. War-
t-er Marktflecken, welcher von dem vorigen Orte dein/
durch den Fluß geschieden wird. Temesva r, eine-Tewesva^»
gebauete Stadt und regelmäßige Festung am
Flusse Bey, in einer morastigen Gegend» Ihre
Gassen sind gerade und breit, die Hauser im italie-
nischen Geschmacke und die Zahl der Einwohner,
welches meist Teutsche sind, mag sich auf 6.7000
belaufen. Dieser Ort war bis 1779 die Haupt-
stadt des von ihm benannten Bannats, welcher
1718 im Passarowitzer Frieden von den Türken ab-
getreten werden mußte. Im genannten I. 1779
wurde dieser Vannat in die Gespanschasten von Te-
meövssr, Torontola, Krafchow und den Distrikt der
Granzsoldaten gecheilet. Dieses Land ist zum Theil
E e 2 gebir-
4)6 Ungarn.
gebirgige, zum Theil eben, der erste Theil macht
zugleich die Gränze gegen Morgen, und ist mit vie-
len Waldungen bedeckt, so wiedasInnre der Berge
Kupfer, Eisen und andere Mineralien enthalt. Der
ebene Boden ist zwar wegen der vielen Moräste,
von denen doch verschiedene ausgetrocknet worden
sind, ziemlich ungesund, aber doch dabey an Wein,
Wiesewachs und andern Produkten sehr ergiebig.
Wahrend der türkischen Oberherrschaft war dieses
Land, das sich doch 22 Meilen in die Lange und
15-16 in die Breite erstreckt, in den kläglichsten
Verfall gerathen. Viele Oerter waren gar nicht
mehr vorhanden, Moräste und stehende Wässer, in
denen sich schädliche Insekten entwickelten, und auS
denen schädliche Dünste aufstiegen, bedeckten den
schönsten ergiebigsten Boden, Fruchtbäume waren
selten, der Ackerbau war höchst unbedeutend, und
Manufakuren waren gar nicht vorhanden. Der
Graf tlleucy, erster österreichischer Statthalter
dieser Provinz, ward auch der Wiederhcrsteller der.
selben. Er suchte durch teutsche, italienische und
spanische Kolonisten der Bevölkerung aufzuhelfen,
beförderte den Acker, und Seidenbau, legte Manu-
fakturen und Fabriken an, verschönerte TemeSva>,
und that alles, was auf irgend eine Weise zur Auf.
nähme des verwilderten Landes dienen konnte. Der
1737 ausgebrochene Türkenkrieg hemmte zwar den
Fortgang dieser Anstalten,. da die neuen Kolonisten
vor den eindringenden Türken entflohen, aber nach
wiederhergestellten Frieden wuchs die Bevölkerung
wieder zusehends, und man rechnete, daß 1770
450000 Einwohner jm Bannate waren, von de.
nen die Walachen die größte Zahl ausmachten. —
Lippa, am Fluß Marosch, Meadia und Rani-
scha sind einige unbedeutende Eränzfestungen.
t* Dieses
Ungarn.
437
-H- Hfc- Hör
Dieses Land, von dem'wir bis jetzt zwar nur Etaatsver,
«ine kurze, aber doch getreue Beschreibung geliefert anderungen.
haben, bestand in den ältesten uns bekannten Zeiten, ^c”0'
nebst den benachbarten Ländern aus verschiedenen besten "zei!
Provinzen, von denen Pannonien auch fast ganzfen bis jum
Oestereich, Steyer, Karnthen, Krain, Kroatien, I. iooo,
Bosnien und Slawonien in sich begriff. Dacien
hatte auf der einen Seite die Theis, auf der andern
das schwarze Meer zu Granzen; Marahanien oder
Großmähren erstreckte sich von der Elbe bis an die
Flüffe Gran und Morawa; das Land der j
ger aber war zwischen der Theis und dem karpathi-
rhischen Gebirge. Das war also Ungarn im wei-
testen Sinne des Wortes; in der engern Bedeutung
aber waren feine westlichen Bewohner Pannonier,
seine nördlichen, Jazyger, beyde aber stavischen Ur-
sprungs. Der Aufruhr welchen die schon unter rö-
mischer Herrschaft stehenden Dacier erregten, brach-
te auch Pannonien um seine Freyheit, denn da sich
die Bewohner desselben mit den Daciern vereinigt
hatten, und der nachherige Kaiser TiberiuS diese
wieder zum Gehorsam brachte, so drang er auch in
Pannonien ein, bemächtigte sich des ganzen Landes,
und verwandelte «S in eine römische Provinz. Im
vierten Jahrhundert kamen die Vandalen hieher, de-
nen nach etlichen und sechszig Jahren die Gothen
folgten, welche noch in demselben Zeitraum von den
Hunnen verdrängt wurden.
Dieses Volk bewohnte in den ältesten Zeiten
die nördlichen Gegenden von Sina, wo es Hiong-
NU genannt ward, und den Sineftn so fürchterlich
schien, daß sie sich wider seine Einfalle durch eine
lange Mauer zu schützen suchten. Doch wurden die
Sinesen endlich Meister der Hunnen, und ein gros-
Ee- 3 str
438 Ungarn.
fei* Theil derselben schwärmte nun an der Wolga,
um asowschen und kaspischen Meere herum, bis sie
im I. 374 nach Europa kamen, und 377 beyde
Pannonien einnahmen. Unter ihrem König?ittíía
wurden sie dem ganzen Europa furchtbar, und nicht
nur Teutschland, sondern auch Italien uni? Gallien
empfanden die schreckliche Geisse! dieses Volkes, das
die damaligen Schriftsteller mit den gräßlichsten
Farben mehr als einen Haufen böser Geister als
Menschen schildern. Mit Attilas Sohne Dengi-
zich aber gieng ihre ganze Herrschaft zu Grunde,
denn nun wurden sie (490) von den Gepiden und
Gothen, die sich Pannoniens bemächtigten, wieder
an den Don und Dniestr zurückgetrieben. Doch
diese letzter«, welche in dem eigentlichen Pannonien
sitzen geblieben waren, mußten bald den Langobar-
den weichen, die, als sie auf Einladung des grie-
chischen Generals Narses nach Italien giengen, den
ebenfalls aus Asien herübergekommenen Awaren ihre
Wohnsitze überließen, wo diese in wenig Jahren so
mächtig wurden, daß sie das ganze Land vom
schwarzen Meer bis zur Elbe, und von der Ens bis
zum Savestrome beherrschten. Karl der Große
machte sich dieselben im I. 791 unterwürfig, und
nöthigte sie zur Annehmung des christlichen Glau-
bens , in welchem Zustande sie bis zur Ankunft der
Ungarn blieben.
Diese Ungarn wärest wahrscheinlicherweise ein
munglischer Stamm, die erst an den sinesischen
Granzen und nachher im jetzigen russischen Gouver-
nement Orenburg wohnten, von wo aus ein Theil
nach Persien gieng und der Stamm der heutigen
Türken ward, die andern aber über Kiew nach Pan-
nonien kamen, die Iazyger bezwangen, sich mit den
Awqren vereinigten und den Grund zu dem ungari-
schen
Ungarn. 439
sitzen Reiche legten. Arpad ward hier ihr erste«
und vorzüglichstes Oberhaupt; er sowohl als die an.
dern Häupter bekamen Distrikte, und jeder Ungar
überhaupt ein Stück Land, zu dessen Anbau ste
die. Landeseinwohner brauchten. Sobald sie sich
einigermaßen festgesetzt hatten, fiengen sie mit dem
zehnten Jahrhundert an, die benachbarten Lander
aus das schrecklichste zu verwüsten, fielen in Italien,
Bayern, Mahren, Sachsen, Thüringen und in die
griechischen Provinzen ein, und nichts konnte bey-
nahe ihrer ungestümen mit der äußersten Grausam-
keit verbundenen Tapferkeit widerstehen. Kaiser
Heinrich der Finkler war der erste, der sich ihnen
mit Nachdrrick widersetzte, und eine ihrer Armeen,
welche man auf i ocooo Mann stark angiebt, 9g z
bey Merseburg dergestalt zu Grunde richtete, daß
nur wenige wieder in ihre Heimath kamen. Otto I
schlug sie ebenfalls zu verschiedenenmalen, so daß
ihnen endlich die Lust zu Teutschland vergieng, und
sie 971 einen beständigen Frieden mit Otto schlos-
sen. Geysir, welcher um diese Zeit Oberregent
geworden seyn soll, bemühte sich tum sie von ihren
Grausamkeiten zu entwöhnen, verstattete den christ-
lichen Mißionarien zu predigen, zog viele teutsche
Ritter ins Land, und ließ sich endlich 980 mit sei-
ner ganzen Familie taufen. Er starb 997, nach,
dem er vorher seinem Sohn Stephan die Nachfolge
in der Regierung hatte bestätigen lassen»
Stephan fuhr fort sein Land aus der Barba-Zwote Perio,
rey und dem Heidenthume zu reißen, nahm auch im Könige
Jahr i Ovo vom Kaiser Otto III die königliche Wür-^^?^ av’
de an, wozu Pabst Sylvester II eine nach dem Mu- Stammes
ster der griechischen Kaiserkrone verfertigte Krone izor.
überschickte. Er vereinigte auch Siebenbürgen mit
Ungarn, da dessen Fürst Gyula, ein eifriger Anhan-
E e 4 ger
440 Ungarn.
ger des Götzendienstes, einen Krieg angefangen hat*'
te, der aber so unglücklich für ihn ablief, daß er
selbst gefangen ward, und, ohngeachtet er den christ-
lichen Glauben annahm, doch nicht wieder in sein
Land zurückkehren durfte. Eben so glücklich war
Stephan in seinen Kriegen gegen die Bulgaren und
Bosnier; so weise Veranstaltungen er aber auch in
seinem Reiche traf, so entstanden doch gegen das
Ende seines Lebens allerhand Unruhen, während de-
nen er *038 an einem hitzigen Fieber starb, bedauert
von seinen rechtschaffenen Unterthanen, von der Kir-
che 1083 selig gesprochen, und noch bey jedem Men-
schenfreunde in Ehren» Ihm folgten noch zwanzig
einheimische Könige, von deren Regierung wir hier
nur überhaupt etwas anführen wollen. Stephans
Nachfolger und Schwestersohn, Peter, ward wegen
seiner ausschweifenden Lebensart zweymal vom Thro-
ne gestoßen. Das erstemal setzte ihn Kaiser Hein-
rich III wieder in den Besitz der Regierung, das zweete-
mat aber wurden ihm die Augen ausgestychen, und
1046 Andreas I an seine Stelle erwählet. Im
Anfang dieser Regierung schien es als ob die christliche
Religion gänzlich in Ungarn unterdrückt werden wür-
de, da eine Menge heidnischen Pöbels, an deffen
Spitze des Königs Bruder Bela stand, einen öffent-
lichen und sehr gefährlichen Aufstand erregte. Nun
stellte zwar Andreas die öffentliche Ruhe her, be-
sänftigte auch den Kaiser, der Peters Tod durch
einen Einfall zu rachen suchte, durch Leistung der
Lehnspsticht; aber das Miötrauen zwischen ihm und
seinem Bruder nahm immer mehr zu, bis Bels
mit polnischer Hülfe den König in einem Treffen
überwand und sich 1060 der Regierung bemächtigte,
die er auch dreyIahre sang mit großem Ruhme ver-
waltete.. Ihm folgte Salomo der Heilige, ein
Sohn Andreas 1, der aber dadurch, daß er Belas
Söhne
Ungarn. 441
Söhne hinterlistiger Weise aus dem Wege zu räu-
men suchte, 1074 von Belas Sohn cVeysa L der
Thrones entsetzt ward, auch aller wiederholten Ver-
suche ungeachtet, weder unter GeysaS, noch dessen
Bruders Wladislavs Regierung, denselben wie-
der besteigen konnte. WladiSlav vereinigte Ober-
Slavonien, Kroatien und Dalmatien mit dem Rei-
che, schlug auch die ihm nach Absetzung Heinrichs IV
angebokene teutsche Kaiserkrone aus ynd starb 1093.
Sein Sohn und Nachfolger Roloman, ein tapfrer
und staatskluger Fürst führte viele Kriege mit den
Russen, Venetianern und Teutschen, die aber dem
Reiche wenig wesentlichen Vortheil brachten. Ganz
unglücklich waren fast immer die Kriege, welche sein
Sohn Stephan II führte, und dieß sowohl als sei-
ne lüderliche Lebensart erwarb ihm die Verachtung
der ganzen Nation. Belall, Kolomanö Bruders
Sohn, kam nun zur Regierung. (1131.) Er ver-
mehrte seine Staaten mit dem Königreich Bosnien,
und ob er gleich blind war, so regierte er doch mit
vieler Weisheit. Unter Geystr II (starb 1161)
wurden viele Teutsche in verschiedenen Gegenden des
Reichs angesetzt, von denen die Sachsen alle nach
Siebenbürgen giengen, und dort Hermanstadt er-
bauten. Die Regierungen Stephans III, wla-
diolavs II, Stephans IV und Bela III, welcher
letztere doch Halitsch den russischen Fürsten abnahm,
find zu wenig merkwürdig, als das wir uns bey ih-
nen aufhalten sollten. Des letzternSohnEmcrich
kam 1196 zur Regierung und war ein sehr guter
Fürst, der den Frieden über alles liebte, ohngeach-
tet er auch einen Theil von Bulgarien eroberte.
Sein Sohn wladislav III (starb 1205) regierte
nur kurze Zeit, fein Oheim Andreas II folgte ihm
Ln der Regierung. Er war der erste und einzige Kö-
nig, der einen wiewohl fruchtlosen Kreuzzug wider die
E e 5 Sara«
442 Ungarn«
Sarazenen that, und unter seiner Regierung kamen
auch i2gz die Mungln zum erstenmale nach Un-
garn. Diese Einfälle wiederholten sie tusch schreckli-
cher während der Regierung seines Sohnes Bela IV.
Im Jahr 1241 näherten sie sich wohl 500000
Mann stark b«i Granzen, schlugen den König, und
verwüsteten das unglückliche Land drey Jahr auf die
schrecklichste Weise. Wie Bela zurückkam, fand er
kein Vieh, und wenig Einwohner im Lande, ja Her-
zog Friedrich II v'on Oesterreich hatte sogar drey Ge-
spanschaften abgerissen und das Reich, trotz den
Mungln verheeret. Bela schlug ihn, vereinigte die
Gespanschasten wieder mit Ungarn, und trieb auch
nun 1261 die Mungln zurück, welche aufs neue ei-
nen Einfall gethan hatten. Er starb 1270 den
Ruhm hinter sich lassend, daß er das Reich vom
Untergange gerettet, und einer der größten Könige
desselben gewesen war. Einen unglücklichen Krieg
mit dem böhmischen König Ottokar ausgenommen,
war die nur zweyjährige Negierung seines Sohns
Stephans V vollkommen ruhig, fein Enkel U)la-
dislav IV §ber versetzte Ungarn in einen sehr un-
glücklichen Zustand. Seine Liederlichkeit war ohne
alle Schranken; die Anverwandten seiner kumani-
schen Bulermnen wurden zu den höchsten Ehrenstel-
Len befördert, und da sie meist Heiden waren, so be-
dienten sie sich ihrer Gewalt zum Verderben der
christlichen Religion, bis ihn endlich die Magrrateu
mit Gewalt zu einem regelmäßigen Betragen nöthig-
ten. Die Klrmaner, welche nun die Waffen ergrif-
fen, wurden auch geschlagen, allein sie reizten nun
die Mungln zu einer neuen Verwüstung, die der
vorigen an Greuel nichts nachgab, aber so wenig
Eindruck auf Wladislav machte, Paß er, da der
Feind das Reich kaum verlassen hatte, völlig wie-
der in seine vorigen Laster verfiel. Die benachbarten
Prin-
Ungarn. 443
Prinzen machten sich auch diese schlechte Regierung
nur zu gut zu Nutze» Albrecht von Oesterreich
machte sich von dreyßig Städten Meister; die Ve-
netianer nahmen Dalmatien weg, UroS Fürst von
Siebenbürgen warf das Joch ab, und so viel mäch-
tige Edelleute im Lande waren, so viel wurden auch
Tyrannen. Daher wurden auch die patriotischden-
kenden Magnaten ihn abzusetzen schlüßig, als einige
unzufriedene Kumanen ihnen zuvorkamen und ihn
1290 mit vielen Wunden ermordeten. Ihm folgte
Andreas III ein Enkel Andreas II, der aber zween
Mitbuhler Karl Martell, und in der Folge seinen Sohn
Karl Robert von Neapel und Albrecht Herzog von
Oesterreich, wider sich hatte. Mit Oesterreich wurde
indessen ein baldiger Vergleich getroffen, Karl Ro-
bert aber war schon im Besitz vonJllyrien und viele
der Vornehmsten des Reichs nahmen seine Patthey,
als Andreas 1301 für Kummer starb, und mit
ihm das Geschlecht der alten ungarischen Könige
verlosch.
Nun waren zwo Faktionen im Reiche, die eine Dritte Perko-'
ließ den König Karl von Neapel zu Gran krönen, de. Könige
die andere wählte den böhmischen Prinzen Wenzel, ^kttn^Läu"
welcher erst dreyzehn Jahr alt war, und zu Stuhl- sern biSrss^
weißenburg unter dem ZIamen wladislav gekrönt Wladislav
wurde. Da aber der Pabst sich für den König von aus Böhmen
Neapel erklärte, und, den meisten Großen der böh- rzro—-1304.
mische Prinz zu jung zur Regierung zu seyn schien,
so kam der König sein Vater mit einer starken Armee
1304 nach Ungarn, und nahm seinen Sohn nebst
den Reichsklernodien mit sich nach Böhmen, wo er
1307 auf einer Reise nach Polen ermordet ward»
(S. poln. Gesch.) J-
Da immer noch nicht alle Stimmen über Karl Otto auS
Robert von Neapel einig waren, so wählten die Geg- Bayern 1301
ner 1307
444 Ungarn.
ner desselben nun Otto von Bauern, einen Gikel
Bsia IV von seiner Tochter Maria. Allein auch
diesem vergieng die Lust sich mit einem Nebenbuhler
zu messen, der, außer vielen kriegerischen Talenten,
auch die päbstlichen Bannstrahle zu seinem Befehle
hatte, und so gieng er wieder in sein Herzogthum
zurück, ohne sich im mindesten mehr um die Angele-
genheiten Ungarns zu kümmern.
Kar! I von Nach Ottos Entfernung blieb das Reich etliche
Neapel Igo/Monate lang ohne Oberhaupt, bis endlich Rarl
l^2' von Neapel fast einstimmig erwählet ward, indem
sich niemand als Matthäus Graf von rTrentschin wi-
derfehte, der aber so wie die Mungln und der slawo-
nifche Fürst UroS bald gedemüthiget wurde. Nicht
so glücklich war Karl wider die Wallachen, die ihm
bey seinem Rückzuge aus ihrem Lande, wo seine Ar-
mee aus Mangel an Lebensmitteln nicht länger be-
stehen konnte, eine empfindliche Niederlage beybrach-
ten. Doch waren seine übrigen Unternehmungen
mit keinem Umfalle bezeichnet. So schlug er 1335
die Tatarn, und 1336 die Herzoge von Oesterreich,
versicherte seinem Sohn die Erbfolge in Polen und
Ungarn, und starb 1342 von allen seinen Untertha-
nen beklaget.
Ludwig! der Ludwig, ein kriegerischer, siegreicher, aber
Große, 1342 auch milder Fürst, verdiente unstreitig den Namen
—* 1382. des Großen, den er sich nichl^bloß durch blutige Lor-
beern, sondern auch Gerechtigkeitsliebe und Beför-
derung der Aufklärung in seinen Staaten erwarb.
Nach einigen kleinen Kriegen mit den benachbarten
Völkern, rückte er nach Neapel, um seines Bruders
Andreas Tod zu rächen, . den dessen Gemahlinn hat-
te erdrosseln lassen. Er unterwarf sich auch das gan-
ze Königreich, aber kaum war er nach Ungarn zu-
rück, als die Parthey der Königinn wieder die Ober-
Hand
Ungarn.
445
Hand erhielt, und Ludwig 13 50 abermals nach Nea-
pel mußte, wo es zwey Jahr darauf zu einem Ver-
gleich kam, in welchem er sich bloß mit dem Fürsten»
thum Salerno begnügte. Im Jahr 1356 brach
ein Krieg wider die Venetianer aus, die auch nach
wiederholten Niederlagen sich endlich zu Abtretung
des ganzen Dalmatiens verstehen mußten. Im
Jahr 1370 ward er auch König von Polen, dessen
Krone ihm, wie wir gesehen haben, schon sein Va-
ter versichert hatte. Seine; übrige Regierung war
eine Reihe glücklicher Kriege gegen die Lithauer,Wa-
lachen und Venetianer, und bey seinem Tode be-
herrschte er alle Lander die zwischen der Ostsee, dem
schwarzen und adriatischen Meere liegen, so daß er
der mächtigste Fürst Europens genannt, werden konnte.
Ihm folgte seine Tochter Maria auf dem un. Maria
garischen Throne. Entweder die Ungarn hielten es 1382.-87.
sich für schimpflich, von einem Weibe beherrscht zu
werden, oder sie begieng selbst mit ihrer Mutter, welche
die Vormundfthast hatte, so viele Regierungösehler,
daß das Jahr nach ihrer Thronbesteigung wirklich
ein großer Aufruhr wider sie ausbrach, der sich mit
Absetzung der Königin» endigte, an deren Stelle
Karl von Neapel zum König erwählt wurde. Mark,
graf Siegmund von Oesterreich, ein Sohn Kaisers
Karl IV, der Mariens versprochener Bräutigam war,
eilte, um die Vermählung zu vollziehen, und die
Rechte seiner Gemahlin« mit gewaffneter Hand aus.
zuführen. Ehe er aber mit seiner Armee aus Teutsch.
land kam, hatte die Königin» Mutter den neuen
König mit verstellter Freundlichkeit zu sich bitten las.
sen, wo ihm ein gedungener Mörder eine tödliche'
Wunde beybrachte, an der er binnen wenig Tagen
starb. Dennoch rief nun seine Parthey den jungen
neapolitanischen Prinzen Ladislav zum Könige aus,-
446 Ungarn.
tmb nshnr auch Marien gefangen, die aber ihr Ge-
mahl, der indessen gleichfalls gekrönt worden war, wie-
der befteyte.
bkegmund Sie^NlUnd, derselbe, welchen wir schon in
rz8?—i4Z/k>er Reihe der teutschen Kaiser erblickt haben, ließ es
nun sein angelegenstes Geschäft seyn, die Parthey zu
zerstreuen, welche Ladislav noch in verschiedenen Ge-
genden des Re/ches hakte, und noch war er damit
beschäftigt, als er Nachricht von dem Tade seiner
Gemahlinn erhielt, und also schleunig, um den ge-
fährlichen Folgen dieses Todes vorzubeugen, nach
Hause eilte. Indessen war die Gefahr doch nicht
so groß, alö der König gedacht haben mochte, denn
ob schon König Wladislav von Polen wegen seiner
Gemahlin«, einer Schwester der Maria, Ansprü-
che machte, so gelang es doch Siegmunden bald ihn
davon abzubringen. Gefährlicher waren die Unter-
nehmungen der Osmanen, welche sich in Europa
festgesetzt hatten, und durch ihre Streifereyen die
meisten ungarischen Lander bedrohten. Siegmund
verband sich derhalb mit dem griechischen Kaiser Ma-
nuel und greng 1396 mit einer 100000 Mann star-
ken Armee dem Sultan Bajasid bey Nicopolis in
Bulgarien entgegen, ward aber dergestalt geschla-
gen, daß er, nur von etlichen wenigen beglei-
tet, nach Konstantinopel siüchcen mußte. Mir der
Nachricht von dieser Niederlage verbreitete sich auch
das Gerücht, daß Siegmund rrms Leben gekommen
sey, worauf sich sogleich Siebenbürgen, Kroatien,
Dalmatien und Bosnien der ungarischen Herrschaft
entzogen, und in Ungarn selbst eine starke Parthey
sich fu^Ladislav vvn Neapel erklärte, die auch, voll
Haß gegen Sigmunds Grausamkeit und Ausschwei-
fungen, durch die Gewißheit, daß er noch lebe, so
wenig von ihrem Schluß abgebracht wurde, daß sie
Ungarn. 447
ihn vielmehr, als er nach Ungarn zurückkam, 1407
auf ein festes Schloß gefangen fetzte. Doch dauerte
seine Gefangenschaft nicht langer als achtzehn Wo-
chen, da er, nach einigen durch Gewalt, nach andern
durch Unterhandlungen des Niklas von Gara, wie-
der zur Regierung gelangte. Siegmund wurde
bald darauf 14*0 zum Kaiser erwählet, und be-
schäftigte sich nun so sehr mit den böhmischen und
teutfchen Angelegenheiten, daß er wenig mehr nach
Ungarn kam. Doch führte er Krieg mit den Ve-
netianern wegen Dalmatien, da er, zu Bestreitung
der Kriegvkcsten, die Zypstr Städte für 740000
Fl. an Polen verpfändete, und mit den Ofmanen,
wider die er aber so wenig als wider die ersten aus-
richtete.
Siegmunds Schwiegersohn Albrechr regierte Albrecht von
mit seiner Gemahlinn gemeinschaftlich, ward auch Oesterreich
Kaiser und König von Böhmen, starb aber 1459, ""^Echabeth
als er eben im Begriffwar feine Armee den Türken ent- *2*
gegen zu führen, welche in Siebenbürgen und Ser-
vien eingefallen waren. Elisabeth aber fühlte
bald, daß sie nicht im Stande fty, ein Reich allein
zu beherrschen, das von außen und innen noch so we-
nig ruhig war. Sie nahm daher den Antrag der
Magnaten sich zu verheurathen ohne Weigerung
an, und Wladislav, König von Pohlen, ward ein-
stimmig zu ihrem Gemahls ausgefehen. Allein da
sie einen Prinzen gebahr, so änderte sie ihren Ent-
schluß, ließ diesen Prinzen krönen, und machte sich
zu einem Kriege gefaßt, da Wladislav bereits in
Ungarn angekommen war, und sich ein großer Theil
des Reichs für ihn erklärt hatte.> Indessen kam e6
nach etlichen hitzigen, nichts entscheidenden Gefech-
ten zu einem Vergleiche, in welchem aufs neue die
Vermahlung verabredet wurde, die aber nicht zu
Stande
448 Ungarn.
Stande kam, da Elisabeth plötzlich, nicht ohne Ver-
dacht beygebrachten Giftes, starb.
Wladislav v Nun war wladislav zwar einziger aber nicht
*442—'45* ruhiger Besitzer des Thrones; denn es entstand nicht
allein im Reiche selbst eine Parthey des jungen Prin-
zen, dessen sich Kaiser Friedrich annahm, sondern
Sultan Murad II drohte auch mit einem gefährli-
chen Kriege. Die Siege des ungarischen Feldherrn/
Zohann Hunyad, brachten indessen ein Bündniß
zwischen dem Pabst und andern italienischen Staa-
ten, dem griechischen Kaiser, den Fürsten von Epi-
ruö und Ungarn zu Stande, dessen Ausbruch zuvor
zu kommen, Murad einen zehnjährigen Waffenstill-
stand mit Wladislav schloß. Da aber die übrigen
Bundesgenossen dem König wiederholte Vorstellun-
gen thaten, die günstige Gelegenheit zu Demüthi-
gung der Osmanen nicht zu verabsäumen, auch ihn
der pabstliche Legat Julian von der Verbindlichkeit
des Friedens losgesprochen hatte, griff er aufs neue
zu den Waffen. Wirklich wäre es damals die rechte
Zeit gewesen, die türkische Macht noch in ihrem Auf-
keimen zu ersticken, wenn die Bundesgenoffen mit
Eifer zu Werke gegangen waren, oder wenigstens
Wladislav nicht so unbesonnen gewesen wäre, mit
nicht mehr denn 19000 Mann vorzurücken. Mu-
rad befand sich sreylich in Asien, und die griechische
Flotte sollte sein Herüberkommen verwehren, aber ein
Sturm zerstreute sie und hie Türken kamen nun
dem Wladislav, der bey Varna am schwarzen Mee-
re stand, so unvermuthet über den Hals, daß seine
ganze Armee zerstreuet und niedergehauen, und er
selbst mit einem Pfeile gelobtet ward.
Wladislavvr AlbrechtS Sohn wladislav, den Elisabeth
1442—57. nach des Vaters Tode zur Welt gebracht hatte, ward
aufö neue in der königlichen Würde bestätiget, zu-
Ungarn. 449
gleich aber Hunyad wahrend der Minderjährigkeit
desselben zum Reichsstatthalker ernannt. Hunyad
machte sich auch dieser Würde vollkommen werth,
er schlug die Türken, nöthigte den Kaiser Friedrich
zur Auslieferung des jungen Königs, starb aber zu
früh sür sein Vaterland, im Zähe 1455., Wla-
diSlav war indessen gegen das Andenken und die Fa-
milie dieses großen Mannes sehr undankbar. Denn
da der Graf von Cilley, ein Todfeind des hu-
nyadifchen Hauseö, der auch den König durch die
schändlichsten Erdichtungen wider dasselbe einzuneh-
men suchte, von dem ältesten Sohne des Johann
Hunyad, wider den er doch den Sabel zuerst gezo-
gen hacke, niedergehauen worden war, that er zwar
anfänglich, als wenn er diese rasche That vollkom-
men vergeben hatte, ließ ihn aber auf eininal in Ver«
Haft nehmen und enthaupten. Eine Mordthat dieser
Art mußte norhwendig den größten Abscheu erregen,
und es brach auch bald ein so gefährlicher Aufstand
aus, daß Wladislav sich nicht mehr sicher in Un-
garn glaubte, sondern nach Prag flüchtete, wo et
an einer epidemischen Krankheit starb.
Kaiser Friedrich Ikl und der König von Polen Mathias!
waren die mächtigsten von denen, die sich um die Hunyad
ungarische Krone bewarben; die Wittwe Johann *457 90<
Hunnadö aber und ihr Bruder Silagy wußten es
dahin zu bringen, daß ihr Sohn und Neffe, Ma»
thias Hunyad, zum König erwählt wurde. Indes-
sen hatte Friedrich 111 immer noch einen starken An-
hang, und da Mathias etliche Große beleidiget hak-
te, so ernannten sie 14ZH den Kaiser wirklich Zum
König von Ungarn. Mathias lich den MuK nicht
sinken, und 146z söhnte e/sich vollkommen mit sei-
nem Nebenbuhler aus, der ihm nun sogar seine Hül-
fe wider die Türken anbot, Welche Bosnien verwü-
H L6NS. ii Abch, Ff ' stet
450 Ungarn.
siet hatten, das ihnen auch wieder entrissen wurde»
Am Jahr 1468 überzog er seinen Schwiegervater,
König Georg Podiebrad von Böhmen, aufpabstli-
ches Anstiften mit Krieg, eroberte Mahren, einen
Theil Schlesiens und der Lausitz, unt> verglich sich
endlich, da ihn die Pölert und Türken immer beun-
ruhigten, 1478 mit Georgs Nachfolger zu Ollmüß
dahin, daß der letztere das Königreich Böhmen,
Mathias aber Schlesien, Mahren und die Lausitz auf
^Lebenszeit besitzen sollte; würde er aber den König
von Böhmen überleben, so sollte er ganz Böhmen
von ihm erben. Nun brach aber der Krieg mit dem
Kaiser, der schon vor einigen Jahren durch gegen-
seitige Streisereyen seinen Anfang genommen hatte,
mit verdoppelter Heftigkeit los. Mathias eroberte
Wien und viele andre Orte, in deren Besitz er auch
bis an seinen Tod blieb, welcher 1490 zu Wien er-
folgte. Mathias war nicht immer gerecht gegen fei-
ne Nachbarn, er war höchst undankbar gegen seinen
Wohlthater Georg Podiebrad, er war aber ein tapf-
rer, staatskluger Fürst, ein Freund und Beschützer
der Gelehrten, und waö mehr als alles ist, ein Va-
ter feines Volks»
Madislav So viele Mühe sich auch Johann Korvin, ein
VII König v. natürlicher Sohn des Mathias, um die Erlangung
Böhmen Krone gab, so erklärte sich die Wahl doch für
14-0-^1516. wladislav von Böhmen, den Sohn des Po-
diebrad, den Mathias gerne seiner Staaten berau-
bet hätte. Ein träger und schläfriger Fürst, gegen
den sich von allen Seiten Unruhen und Kriege erho-
ben^ Max I nahm ihm Oesterreich, und bedung
sich in dem Frieden die Thronfolge in Ungarn, wenn
Wladislavö männlicher Stamm erloschen seyn wür-
de. Die Türken griffen zu verschiedenen malen die
ungarischen Länder «n^ und bloß der Tapferkeit eben
UtujiU'lt. 451
jenes Johann Körvin, der die Krone weit eher vor»
dient hatte, hatte man eS zu danken, daß sie einen
siebenjährigen Waffenstillstand einzugehen genöthigt
wurden. Eben die Sorglosigkeit mit der sich Wla-
dislav bey allen Regierungsgeschäften verhielt, wae
auch Ursache, daß der Erzbischof von Gran erlaub»
ke eine Kreuzbulle bekannt zu machen, in welcher aU
ien denen Ablaß versprochen wurde, welche wider
die Türken zu Feldeziehen würden, mit denen der
Erzbischof jetzt am leichtesten fertig zu werden glaubte
da ihr Staat durch innerliche Kriege zerrüttet ward»
So wie das Gerücht dieses Kreuzzuges im Lande er-
scholl, kam eine Menge lüderlicheö Gesindel auf den
Sammelplätzen zusainmen, und die Bauern stengeN
an haufenweise davon zu gehen, diese heilige Rotte
zu vermehren. Die Cdelleute suchten denn natürli-
cherweise ihre Unterthanen mit Güte und Gewalt zu-
rück zu halten, aber die Kreuzfahrer fanden sich da»
durch so beleidigt, daß sie, statt wider die Türken zu
ziehen, Ungarn selbst auf die unmenschlichste Werse
zu verwüsten anfi'engen, bis sie nach erlichen Mona-
ten geschlagen, auf 40000 derselben niedergehauen,
und das ganze schöne Projekt vereitelt wurde»
War Wladislav schläfrig gewesen, so war sein
Sohn Ludwig gar ein zügelloser Verschwender,
ein durch eine schlechte Erziehung verdorbener Weich-
ling, an dessen Hofe man nichts als Turniere, Bäl-
le und Liederlichkeit gewahr wurde, und der alle Ge-
schäfte seinen Ministern überließ, ohne sich wei-
ter im geringsten um den Gang derselben zu
bekümmern. Mitten in diesem Taumel von Zer-
streuungen, von welchem das ganze Reich mit er-
griffen wurde, siel der türkische Kaiser Soliman,
dessen Gesandten, die eine Verlängerung des Waf-
fenstillstandes anbieten sollte, man in Verhaft ge«
§f 2 nomms«
Ludwig Ifs
1516*«- 26.
452 Ungarn.
iiommen hatte, mit einer starken Armee in Ungarn
ein und eroberte Belgrad, ohne daß Ludwig Geld
oder Truppen gehabt hatte, ihm Widerstand zu lei-
sten. Paul Tomori, Erzbischof von Kolozfcha, und
Frangipani, BanvonJllirien, schlugen zwar die Tür-
ken, aber der Hof blieb immer in seiner Untharigkeit
versunken, und nur als Soliman 1526 mif2ooooo
Mann gegen Ungarn anrückte, steng man an, aus dem
Schlummer zu erwachen. Dennoch waren die An-
stalten so verkehrt und der Eifer so gering, daß die
ungarische Armee bey Mohatsch, mit einem Verlust
von 2 2soo Mann völlig geschlagen wurde. Lud-
wig ertrank auf öer Flucht in einem kleinen Wasser,
der Sieger aber verwüstete Ungarn bis an die oster-
reichischen Gränzen, und kehrte, ohne in irgend ei-
nem Orte Besatzung gelassen zu haben, nach Kon--
stantinopel zurück.
Vierte Pe. Johann von Zapolya, Graf von Zipö und
riode, Haus Woywode von Siebenbürgen, ward zwar von einer
Oesterreich Parthey als Köiu'g erkannt, allein das Glück
Ferdinand I. Waffen entschied für Ferdinand von Oester.
1526—64/reich, und Johann ließ sich nun bereden, die Hülfe
des türkischen Kaisers anzuflehen, die ihm auch so-
gleich zugesichert wurde. Soliman drang ohne Wi-
derstand bis Ofen vor, eroberte es, und brach nach
Wien auf, welches er 1529 einen Monat lang ver-
gebens belagerte, und dann nach Konstanrinopel zu-
rückkehrte, nechdem er eine Besatzung in Ofen ge-
lassen und auf 60000 Einwohner als Gefangene
mitgenommen hatte . Der Krieg dauerte indessen mir
abwechselndem Glücke noch immer fort, die Türken
kamen noch zweymal nach Ungarn, bis endlich 1558
zwischen Ferdinand und Johann ein Friede zu Stan-
de kam, nach welchem beyde den königlichen Titel
führen, jeder aber dasjenige, was er inne habe, be-
*, halten
Ungarn.
453
halten sollte. Johann starb 1540, und die Vormün-
der seines eilftagigen Sohnes riefen denselben, dem
Vertrage mit Ferdinand zuwider, als König aus,
begaben sich auch unter den Schuh der Ofmanen,
deren Sultan Soliman nach Ösen kam, den klei-
nen Prinzen mit seiner Mutter nach Siebenbürgen
schickte und e6 deutlich genug spüren ließ, daß er Un-
garn zu einer türkischen Provinz zu machen gedach-
te. Dieses unglückliche Land ward nun abermals
auf das schrecklichste mitgenommen, denn der 1547
geschlossenene Waffenstillstand war von sehr kurzer
Dauer, weil Ferdinand sich halb mit Güte, halb
mit Gewalt von dem Fürstenthum Siebenbürgen
Meister machte, welches einen neuen bis 1 562 wah-
renden Krieg zuwege brachte, in welchem Jahre So-
liman zwar einen achtjährigen Stillstand eingieng,
Ferdinand sich aber verbindlich machen mußte, ihm
jährlich 30000 Fl. zu bezahlen.
Maximilian hatte indessen kaum die Regie. Maximilian
rung angetreten, als er auch schon in einen neuen 1564 ?6.
Krieg mit Soliman verwickelt wurde, während des.
sen der letzte im Lager vor Sigeth, dessen Erobe-
rung den Türken gegen 36000 Mann kostete, ohn-
geachtet die unter dem tapfer» Srini fechtende Be-
satzung nur 2800 Mann stark war, starb. Sein
Nachfolger Selim schloß ^inen achtjährigen Still-
stand, auf welchen auch 1571 ein beständiger, aber
doch nicht dauerhafter Friede mit Johann Skeg--
mund von Siebenbürgen folgte.
Ungeachtet der Waffenstillstand mit den Tür- Rudolf
ken noch nicht zu Ende war, so freisten sie doch un-1576—160g.
aufhörlich im Lande herum, und man sähe wohl,
daß, so friedfertig auch Murad III war, doch seine
nach Krieg begierigen Bassen ihn zum letzter» bewegen
würden. Der Krieg brach auch wirklich aus, und
Ff 3 ' wurde
Ungarn.
454
wurde noch weit aussehender, als Siebenbürgen,
dessen Herrschaft wie ein Ball aus einer Hand in die
andre siog, wieder mit ins Spiel kam, und die un-
garischen Protestanten den jesuitischen Bedrückungen
Gewalt entgegen zu sehen anstengen. Im Jahr
1606 kam es aber doch endlich zu einem Vergleich,
nach welchem der von dem Türken eingesetzte Fürst
von Siebenbürgen im ruhigen Besitze bleiben, den
Protestanten freye Religionsübung zugestanden, und
mit den Türken alles auf dem alten Fuße bleiben
sollte. Nun entstanden aber zwischen Rudolph und
seinem Bruder Mathias allerley Zwistigkeiten, die
endlich so weit gediehen, daß der letzte zu den Waf-
fen griff, und Rudolphen zu Abtretung von Ungarn,
Mahren und Oesterreich, hernach auch von Böh-
men nöthigte,
Mathias ri. Mathias Regierung war ziemlich ruhig: in
16$« ■*— ig. Siebenbürgen äußerten sich zwar einige Unruhen, da
der neue Fürst desselben sich verschiedene Streisereyen
nach Ungarn erlaubte, die aber so wie die deshalb
entstandenen Streitigkeiten bald wieder aufhörten, da
Gabriel Bethlen von den Türken auf den dasigen
Fürstenstuhl gefetzt wurde. Mathias starb zu Wien,
und erhielt das allgemeine Bedauern seiner katholi-
schen uud protestantischen Unterthanen.
Ferdinand 2hm folgte Ferdinand II, ein ganz von jesui-
??, 1619 ^ tischen Grundsätzen eingenommener Prinz, von best
1673, fen Regierung sich, wie in Teutschland so auch hier,
die Protestanten wenig Gutes versprechen konnten«
Ohne die Niederlage des Kurfürsten von der Pfalz
Hey Prag, würde er auch wahrscheinlicher Weise den
ungarischen Thron nicht behauptet haben, in-
dem Gabriel Bethlen (auch Bethlen Gabor ge-
nannt) das ganze Reich schon erobert hatte, und
wirklich zunr König auSgerusen war. Nachdem
» „ -ber
Ungarn.
45 s
über Ferdinand sich jenes Feindes entledigt hatte,
gieng er auch auf Bethlen los, der aber doch unter
sehr vortheilhafken Bedingungen, die ihm sieben un-
garische Gespanschaften, nebst dein schlesischen Für-
sienthümern Oppeln und Ratibor verschafften, einen
Frieden erhielt, weil Ferdinand nun seine ganze
Arrfmerksamkeit auf die teutschen Angelegenheiten
richten mußte. Zu bewundern ist es, daß Rakotzi,
dss Bethlen Nachfolger, wahrend deö teutschen Krie-
ges nicht einen Versuch auf Ungarn wagte, denn
aller Wahrscheinlichkeit nach wäre diesi der rechte
Zeitpunkt gewesen, sich des ungarischen Thrones za
versichern,
Zwar versuchte er es im Jahr 1644, eroberte Ferdinand
auch verschiedene sesie Platze, allein der glückliche IIla l637“~r
Augenblick war vorüber : Oesterreichs und Schwedens *
Waffenglück standen wenigstens wagerechk in Teutfch'
land, und so mußte er auch damit zufrieden seyn,
daß Ferdinand unter denselben Bedingungen als mit
Bethlen, 1 646 Frieden mit ihm schloß. Dennoch
aber genoß Ungarn keiner vollkommenen Ruhe, in-
dem die Türken bis zu Ferdinands Absterben nicht
aufhörten, durch widerholte Streifereyen viele Ge-
genden desselben zu verwüsten»
Kaum saß Leopold auf dem ungarischen Leopold 1.
Throne, so wurde die Aussicht auf einen nahen Tür- ^57" J7°5‘
kenkrieg immer gewisser, ohngeachtet man zu Wien
an keinen Krieg dachte, wahrend daß die Türken
nicht allein die fürchterlichsten Zurüstungen dazu
machten, sondern auch in und an den Granzeu von
Siebenbürgen schon verschiedenemal mit den österrei-
chischen Truppen handgemein worden waren. Was
diese Gefahr noch vergrößerte, waren die Klagen,
welche die ungarische Nation selbst über die vielen
ins Land verkheilttn Truppen, die Hintansetzung der
Ff 4 Landes-
456 Ungarn.
Landeskinder, und besonders die Protestanten über
die Religionsbedrückunqen führten. In diesen Um-
ständen, und da Leopold nicht mehr als etwan 22000
Mann schlechkbeivaffneter Truppen in Ungarn hatte,
zu denen noch 12 bis l 222s Ungarn kamen, rückte
der erste Vizir 1663 mit 142200 Mann ungehin-
dert bis Gran herauf, und nahm Neuhäusel, Neu-
tra und andre Orte weg. Einige kleine Partheyen
erfochten zwar Vortheile über die Türken, aber ehe
der Pabst Geld, das teutsche Reich und sogar Frank-
reich aber Hülsstruppen hergaben, blieben die Tür-
ken immer Meister. Mit dem ¿afjr 1664 neigte
sich das Glück auf Leopolds Seite, und seine Trup-
pen gewannen endlich das wichtige Treffen bey St.
Gotthard, in welchem 16002 Osmanen auf dem
Platz blieben, ohne daß Leopold dies-n so lockenden
Sieg zu etwas mehr als zu Schließung eines zwan-
zigjährigen Stillestandes benutzte. Auch waren die
Ungarn gar nicht damit zufrieden, um so mehr, weil
hie Krone dabey einbüßte, ihre Nationalmiliz ab-
gedankt, das ganze Land mit teutschen Truppen be-
setzt wurde, welchen man bey allen möglichen Aus-
schweifungen durch die Finget» sähe, und die Bedrü-
ckungen der Protestanten von Tage zu Tage zunah.
men. Im Jahr 1670 ward auch schon eine söge-
nannte Verschwörung entdeckt, da sich verschiedene
Große verbunden hakten/ ihre Klagen nochmals
nachdrücklich vorzustellen, und wenn dieß wie ge-
wöhnlich nichts fruchten sollte, sich selbst Recht zu
verschaffen. Leopold, statt mit Gelindigkeit zu
Werke zu gehen, verfuhr mit der äußersten Härte,
und erbitterte durch seine Edikte sowohl als durch
das schreckliche Verfahren seiner Generale, die Ge-
müther dergestalt, daß endlich das Feuer des Auf-
ruhrs in Helle Flammen schlug. Graf Emmerich
TMy stellt? sich an die Spitze der Misvergnügten,
Ungarn. 45?
und es war nun zu spat, als LeopoO 1651 auf dem
Oedenburger Landtage seine harten Maaßregeln meist
widerrief, und alle Freyheiten der Nation bekräf-
tigte. Tököly wendete sich nun an den türkischen
Hof, der auch augenblicklich 200000 Mann nach
Ungarn abschickte, welche den zweyten Julius i6g?
die Belagerung von Wien unternahmen. Leopold
befand sich in den kläglichsten Umstanden: seine Ar-
mee war nicht über zcoov Mann stark; Geld hatte
er gar nicht und Freunde beynahe eben so wenig;
aber Wien hatte einen tapfern Kommendanten, der
sich so lange vertheidigte, bis Johann Sobiesky,
K. von Polen, die türkische Armee völlig in die
Flucht schlug, und sie mit Verlust von Mann
und ihres ganzen reichen Lagers zu Aufhebung der
Belagerung nöthigte. Ein Sieg folgte nun auf
den andern; Gran, Neuhaufel, Eperieö, Ka-
schau und andere Orte wurden erobert, und 1686
ward auch die Hauptstadt Ofen, nachdem sie 160
Jahr in den Händen der Osmanen gewesen war,
mit Sturm eingenommen. Diesem wichtigen Ge-
winn folgten bald andre Vortheile, und in eben der
Gegend, wo Ludwig Ib bey Moha'tsch umö Leben
gekommen war, erlitten die Türken 1687 eine fo
empfindliche Niederlage, daß sie fast ganz Ungarn
räumen mußten, wo TökölyS Anhang nun immer
mehr in die Enge getrieben, auch >688 das feste
Schloß Munka'tfch, welches feine Gemahlinn drey
Jahr vertheidigt hatte, eingenommen ward. In
demselben Jahre nahm der Kurfürst von Bayern
auch Belgrad, die Hauptstadt von Servien, weg,
und die österreichischen Truppen drangen schon in
Bulgarien ein, als der König von Frankreich den
Türken durch einen Einfall in Teutfchland Luft mach-
te, und Servien riebst Belgrad und andern Festun-
gen wieder verloren gieng. Doch wurden sie bey
Ff 5 Salau-
4s8 Ungarn.
Salankemen vom Markgraf von Baden, und 1696
beyZentha am Theißflusse von; Prinzen Engen, dem
der Hofkriegörath den Proceß machen wollte, weil
er ohne Ordre sich in ein Treffen eingelassen hatte,
völlig geschlagen, und durch diefe leßtre Niederlage,
die ihnen zcoco Todte, ihr ganzes Lager, Bagage
und Geschütz kostete zu dem Karlowitzer Waffenstill-
stand (1699) genöthigt, durch welchem sie alles,
was Leopolds Generale erobert hatten, abtreten muß-
ten. Wahrend dieses Krieges war Ungarn 1687
in ein Erbkönigreich verwandelt worden, und dies
erregte bald wieder neue Unruhen, da noch dazu die
alten Maaßregeln des Wiener Hofes gegen Ungarn
aufs neue sichtbar wurden. Franz Rakotzi, des Tö-
köly Stiefsohn, war das Haupt der Misvergnügten,
und ohngeachtet Leopold zeitig genug davon Nachricht
davon erhielt, so siengen die Feindseligkeiten dennoch
im I. 170g an, und da Leopold wegen des spani-
schen Erbfolgekrieges nur wenig Truppen in Ungarn
brauchen konnte, so war er nicht im Stande die
Empörung zu tilgen.
Jofebh I Auch unter feinem Sohn und Nachfolger Io-
Z50Z—1711. seph dauerten diese blutigen Unruhen mit ^derselben
Heftigkeit fort. Rakotzi hatte fast ganz Ungarn in
seiner Gewalt, und ein Heer von 50000 Mann
unter seinem Kommando, da ihm der Kaiser kaum
2 coco entgegenstellen konnte. Indessen wußte
Joseph so viel Uneinigkeit unter den Misvergnügten
selbst zu erregen, und durch oft wiederholte Ver-
gleichövorfchlage so viele, wo nicht ganz auf seine
Seite zu bringen, doch kälter gegen das gemeine
Interesse zu machen, daß seine Truppen verschie-
dene wichtige Vortheile über sie erhielten, und der
Vergleich dadurch sehr erleichtert wurde, welcher bald
nach Josephs Tode geschlossen wurde.
Ungarn
Ungarn. 459
Ungarn hatte sich kaum in etwas von den Karl IL
Wunden, die ihm die türkischen und innerlichen Kriege *711—174®-
geschlagen hatten, erholet, als 1716 ein neuer Krieg
mit den Ofmanen ausbrach. Da aber Prinz Eu-
gen den Großvizir gleich im Anfänge schlug und
Temesva'r eroberte, im folgenden Jahre ihm noch
eine Niederlage beybrachte, und Belgrad wegnahm,
so schloffen die Türken 1718 zu Paffarowitz einen
vier und zwanzigjährigen Stillstand, kraft dessen
dem Kaiser alle gemachten Eroberungen verblieben.
Die Drangsale ausgenommen, welche die Protestan-
ten unter dieser Regierung erdulden mußten, genoß
Ungarn nun einer vollkommenen Ruhe, biö Karl,
welcher mit Rußland ein Bündniß geschloffen hatte,
1757 den Türken den Krieg ankündigte. Die ersten
Unternehmungen waren wirklich glücklich, allein bald
wendete sich das Kriegöglück auf türkische Seite;
die Qesterrcicher wurden 1739 bey Grotzka völlig
geschlagen, und die Generale Neuperg und Wallis
schlossen nun einen Frieden, in welchem Belgrad
und ganz Servien, nebst der österreichischen Wala-
chey, wieder verloren giengen.
Dies war der letzte Krieg, welchen Oesterreich Maria The^
über Ungarn und von da aus geführt hat. Maria resta 1740***
Theresia genoß der innigsten Liebe der ungarischen r7S°4
Nation, und als sie in der Bedrangniß, in die sie
ihre Feinde gesetzt hatten, den jetzigen Kaiser auf
dem Arm in die Versammlung der Stände trat,
schlug jeder Ungar auf feinen Sabel, rief die ganze
Versammlung laut: XViv wollen für unfern
2\onig Maria Theresia sterben. Der ganze
ungarische Adel saß auf, und seiner Tapferkeit hatte
die Königin» sehr viel zu verdanken. Bey den in»
»erlichen polnischen Unruhen, da sie 1772 ihre An-
spräche auf ein Stück dieses Reiches ausführte,
wurden
460 Ungarn.
wurden auch die Zipserstadte zu Ungarn geschlagen,
und 1777 von der Pforte ein an Siebenbürgen glän-
zendes Stück Moldau abgetreten.
Joseph II Seit Joseph II auf dem Throne sitzt, hak
fett 1780. Ungarn derselben innerlichen und äußerlichen Ruhe
genossen. Es schien zwar 1783, als ob ein Krieg
mit den Türken ausbrechen würde, aber die Nach»
giebigkeit der Pforte)'so wie andre politische Wen-
dungen haben, diesen Krieg wenigstens für jetzt noch
sufgefchoben. Die Protestanten dieses Reiches ge-
nießen nun alle ihre Rechte wieder, die ihnen nach
und nach entrissen worden sind, und es ist überhaupt
zu hoffen, daß das ganze Reich nun in einen weit
glückseligem Zustand kommen wird.
«. Gr°m. GroHsürstenchum Siebenbürgen-
stenthumSie-
Lenbürgen. Das Großfürstenthum Siebenbürgen, wel«
») Land. cf)eö ein Stück des alten Daciens ist, liegt Ungarn
Ostwärts, ist 1056 Ouadratmeilen groß und fast
ringsum mit Bergen umgeben, daher es auch eines
gesunden KlimatS genießet, und von vielen schönen
Flüffen bewässert wird, unter denen die Szamos,
die Maros und die Aluta die vornehmsten sind.
Die höchsten Berge sind immer mit Schnee bedeckt,
mitten im lande aber endigen sie sich in fruchtbare
Hügel, weiche so wie die hie und da zerstreuten nicht
mit Wald bewachsenen Ebenem viele Gewächse her-
Vorbringen. Man baut hier Maizen, Roggen,
Gerste, -Hafer und sehr viel türkischen Mai-
zen, die Landwirtschaft steht auf einem weit bessern
Fuß als in Ungarn , und der Ackerbau wird in den
meisten Gegenden sehr gut betrieben. Die Einwoh-
ner geben sich auch viele Mühe andre Hülsenfrüch-
re,
Ungarn.
461
{£, Gbft und Gartengewächse zu erzeugen, die
aber wegen des kalten KlimatS nicht überall sortkom-
men wollen, so wie auch der wein nicht allent-
halben gedeihet. Spuren von Metallen trifft man
in allen Bergen an. Es sind hier nicht allein be-
trächtliche Goldtsange, sondern auch Goldwä-
sichereren vorhanden, welche letzter« aber meist von
Zigeunern; und also nicht zum^ besten betrieben wer-
den. Silber wird fast in allen Rupfergruben
gefunden, so wie Eisen, Bley, C^ueckstlber-,
Schwefel, Auripirlmenc, Virriol, Spiöß-
glas, Alaun, Rristalle, Granaten, Achate,
Jaspis, Alarmor und Salz (jährlich mehr als
eine Million Centner) häufig gewonnen wird. Es
fehlt endlich auch nicht an mineralischen Wassern,
alö Gesundbrunnen, Sauerbrunnen, versteinernden
Quellen. Was das Thierreich betrifft, so leidet
Siebenbürgen an Produkten desselben nicht den min-
desten Mangel. Die Viehzucht ist beträchtlich
und die Wolle der hiesigen Schafe wird ihrer Güte
wegen der ungarischen weit vorgezogen. Auch zieht
man viele Büffel; und wildpret, Zische und
Bienen sind überall häufig zu finden. Mit einem
Worte, Siebenbürgen leidet an keinem der Güter
Mangel, deren Besitz ein jand gut und fruchtbar
machen, und e6 ist zzi hoffen, daß nach und nach
sich fein Zustand noch mehr verbessern, und e6 unter
Josephs väterlicher Regierung zu einem hohen Grade
des Wohlstandes steigen wird.
Wie Ungarn, so wird auch dieses siand von ver- d) Ejnrvoh
fchiedenen Nationen bewohnet, die an Sitten, Spreu "er.
che und andern Dingen von einander verschieden,
selbst durch gewisse bürgerliche Vorzüge von einander
getrennt, nicht immer gemeinschaftlich mit eurander
zum
462 Ungarn.
zum Besten des Landes gewirkt haben, daher auch
vor kurzem die meisten Unterscheidungen derselben
völlig aufgehoben worden sind. Es sind indessen fol-
gende: i) Ungarn, 2) Zekler, Szekelyek
(d. i. Achter), mit welchem Namen diePetschenegen
belegt worden seyn sollen, welche als Hüter oder
Granzbewohner hier gewohnt haben. Jetzt nähern
sich ihre Sitten den ungarischen, doch haben sie in
der Sprache noch viele ihrer alten Worte beybehal-
ten. 3) Sachsen. Mit welchem Namen alle
Nachkommen der teutschen Kolonisten belegt worden
sind, die unter Geysa II und vielleicht noch vorher
jnö Land gekommen sind. Sie haben von jeher vie-
le Freyheiten genossen, sind ein arbeitsames etwas
ernstes Volk, dessen Sprache mit der niedersächsi-
schen viel übereinkömmt. Daß die Erzählung von
dem Rattenfänger der die Kinder aus Hameln, wie
ernste Kindermuhmen erzählen, unter der Erde
hieher geführt haben soll, ein abgeschmacktes Mahr-
chen ist, brauchen wir wohl nicht erst zu beweisen.
Dies sind die drey Hauptnationen, und jeder Frem-
der, welcher des Bürgerrechts thetlhaftig werden
wollte, war bisher gehalten, sich zu einer derselben
-zu halten. Solche Fremde sind i) deutsche.
2) IValachen, die sich für Nachkommen der al-
ten römischen Kolonien halten, daher Bumunj,
d. i. Korner nennen, welche auch mit dieser Na-
tion in Absicht ihrer Lebensart Übereinkommen, vom
Ackerbau leben, griechische Christen, aber dabey ss
unwissend und roh als möglichsind, z) Armenier,
welche sich meist auf die Handlung legen. 4) Bai-
Zen. 5) Griechen. Es giebt auch Juden und
Zigeuner im Lande, und die letzten sind nicht so
faul als die ungarischen, sondern treiben Handwerke,
handln mit Vieh und Pferden, oder sind Goldwa-
- - . ' ' scher.
Ungarn. 46;
sch<r. Die Summe aller Einwohner aber wird sehr
verschieden von einigen über eine Million, von an*
dern nur Gocooo angegeben.
Ohngeachtet die Bauern alle leibeigen sind, so c) Kultur,
steht doch, wie wir schon angeführt haben, die Land-
wirthschaft hier auf einem ungleich bessern Fuß als
in Ungarn; Acker-und Wiesenbau wird sehr gut be-
trieben, die Pferdezucht ist 'ungemein beträchtlich,
und der Seidenbau sangt wenigstens an allgemeiner
bekannt zu werden. Manufakturen sind noch wenig
zu finden. Eö werden zwar hie und da einige grobe
Tücher, Zeuge und Leinwände gemacht; sie reichen
aber kaum hin, die Nothdurft des gemeinen Mannes
zu befriedigen. Indessen hat Siebenbürgen doch
einige Glashütten, Vitriol, Alaun und Kochfalz»
fiedereyen; man brennt auch Potafche, und machk
Schwefel, Schießpulver und Salpeter, so wie auch
die Eisen. und Kupferhammer beträchtlich sind.
Man macht ferner allerhand eiserne, kupferne und
messingene Maaren und Papier, braut Bier und
Essig, fabricirt Tabak, und hat gute Lederbereitun-
gen. Die Handlung hat ebenfalls noch wenig zu
bedeuten, und bloß die Menge von edeln Metallen,
Und der Rcichthum an Salze ist Ursache, daß Sie-
benbürgen noch nicht ein armes Land geworden ist,
da es für sein Salz, Antimonium, Eisen, Getraide,
Tabak, Flachs, Hanf, Pferde, Vieh, Wolle,
Haute, Felle, Wachs und Honig, alle Arten vor?
Manufaktur- und Galanterie-, Gewürz-und Spe-
cereywaaren wieder Anfuhren muß.
Mit den Wissenschaften sieht eö hier noch ziem-
lich dürftig aus: Katholiken und Nichtkacholiken
haben zwar verschiedene Gymnasien, die erstern
auch eine hohe Schule zu Klausenburg, aber diese
Anstalten haben noch sehr wenig zu bedeuten, und dis
464 Ungarn*
Entfernung von Zündern, wo die Wissenschaften
schon besser Wurzel geschlagen haben, ist zu groß,
als daß man große Gelehrte, oder überhaupt nur
sichtbaren Einstuß der Wissenschaften erwarten könn-
te. Indessen hat Siebenbürgen doch einige Männer
hervorgebracht, die sich weit über das Gewöhnliche
erhoben haben, und von denen wir hier die Namen
der Bethlen, Benkv, Felmer, Töppelc, die
sich um die Geschichte ihres Vaterlandes verdient
gemacht haben, und einen unsrer scharfsinnigsten
Philosophen, den verstorbenen Hißmann, trennen
wollen. Wo wederManufakturen, nochHandel, noch
Wissenschaften blühen, da kann man mit Recht keine
sonderlichen Vorschritte der Sitten, keine große Ver-
feinerung des KarakterS und der Lebensart erwarten.
-Indessen haben doch die des Handels oder Studiereus
halber reisenden, die Garnisonen und Skaatöbedien-
ren wenigstens auf die ansehnlichsten Städte keinen
geringen Einstuß gehabt; die alten rohen, aber rei-
nen unschuldigen Sitten weichen immer mehr unter
das Landvolk zurück, und der Städter hat schon sich
viele Bedürfnisse machen lernen, hze für ihn um so
mehr unter die erkünstelten gehören, da er die Be-
friedigung derselben mit nicht geringem Aufwands
rrkaufen muß.
1' ' / f
«0 Kirchliche So wie die Einwohner in Siebenbürgen vom
und bürger- verschiedenen Ursprünge sind, so auch die Religionen,
iiche Verfaßi)enen |-(e sich bekennen. Zur katholischen Kirche,
welche mit der in Ungarn einerley Rechte und Frey,
heiren hat, bekennen sich Ungarn Zekler und ein
kleiner Theil der Sachsen. Nach ihr folgt vermöge
der Reichsgesehe die resormirte, zu welcher bloß
Ungarn und Zekler gehören. Sachsen und einige
Ungarn sind lutherisch. Diese beyden Gemeinden
sind überhaupt so stark, daß man allezeit fünf und
zwan-
Ungarn. 465
zwanzig Protestanten gegen einen Katholiken rechnen
kann. Eine vierte auch durch die Gesetze bestätigte
Gemeinde ist, die der ilnitatitv, oder, wie man
sie von ihrem Stifter nennt, Socinianer. Alle
diese drey Gemeinden haben immer unsäglich viele
Bedrückungen von der unaufgeklärten und unduld-
samen katholischen Klerisey zu erdulden gehabt; man
hat ihnen Kirchen und Kinder genommen, und so
viel List und Gewalt, als nur Möglich gewesen, ange-
wandt, irgend ein Glied derselben zur alleinseligma-
chenden Kirche zu bekehren. Die griechische Kirche
wird durch ein besonderes Privilegium geschützt, und
auch hier war Freude über Freude, wenn die Jesui-
ten einen dummen walachischen Bauer bereden oder
bestechen konnten, daß er wenigstens zur unirten
Kirche übertrat. Von den Armeniern haben einige
ihre eigene Liturgie, andre sind katholisch; der Wie-
dertäufer aber werden immer weniger.
Die siebenbürgische Regierung ist von der unga-
rischen völlig unterschieden, und durch gemeinschaftliche
Bewilligung des Fürsten und Volks monarchisch - ari-
stokratisch eingerichtet. Seitdem Siebenbürgen dem
österreichischen Scepter unterworfen, und zu einem erb-
lichen Großfürstenthume gemacht worden ist, sind frey-
lich die Rechte dep Nation ansehnlich beschnitten und
vermindert worden, doch sind wenigstens der Reget
nach viele zeither immer rechtskräftig geblieben. Die
Stände werden in Ungarn, Zeckler und Sach-
sen; in Rarholik^r, Reformirre, Luthera-
ner und Unitarier; in Prälaten, Magnaten,
Edelleure nnd königliche Würger, welches
allein Sachsen sind, eingetheilt/ Zur Landesregie,
rung gehören i) die Landtage, welche von dem
Landesherr» nach Hermanstadt ausgeschrieben, und
in die obere und untere Gerrchrstafel getheilt
ii Bans, il Abch. G g wer-
466 Ungarn.
werden; welchen beyden ein königlicher Konrmissar
vorstehet/ durch welchen die Vortrage an die Stande
gethan werden. 2) Die hohe siebenbürgische
Ranzlev,' die sich zu Wien befindet, z) Das
hohe Gouvernement zu Hermanfiadt, welches
ans einein Gouverneur und aus Rathen der drey
Nationen bestehet. 4) DieRammer zuHerman-
fladt. Ueberdies werden die Nationen, von denen
die ungarische in Gespanschafien, die andern aber in
Stühle vertheilt'smd, von Grafen, Vire-Grasen
und Richtern regieret. Das höchste Gericht ist die
königliche Tafel, ohngeachtet von ihr noch alle
zweifelhafte Sachen ans Gouvernement gebracht
werden müssen.
Die Einkünfte fließen aus den Steuern,
Zöllen, Metall, Mineralien, Domänen und
dem FlscnVi»zuerkannten Gütern, und betrugen
1770, 3941707 Fl. Kr., die Ausgaben aber
Z74Z67S Fl. 8 Kr. * .
e) Einzelne Da wir nicht wissen, ob Siebenbürgen schon
Orte. völlig eine neue politische Gestalj erhalten hat, so
wollen wir bey der alten bleiben, m welcher cs aus
vier Theilen bestehet, von denen der erste ist:
1) Land der Das Land der Ungarn, welches 1768 nicht we-
Ungarn. niger denn 1602 Städte, Marktflecken und Dörfer
Zalatna. enthielt. Wir bemerken darinnen: Zalarna, ein
Bergflecken, in welchem reiche Gold-und Queckfil-
bergruben find, die schon zu Zeiten der Römer be-
Nagyag. kannt waren. Ein andrer Beflecken ist k^agyag,
auf einem Berge an der Maros, mit einem Gold,
und Silberbergwerke, in welchem nämlich zwei)
Theile der Exze Gol8 und'ein Theil Silber ist. Im
I. 1770 wurde nach Abzug der Kosten monatlich
eine Ausbeute von L- bis 20000 Fl. an die Gewerk-
schaft anögetheilet. * In diesem ganzer, Lande findet
° - . mar,
Ungarn. 467
man überall römische Alterthümer, als Münzen und
dergleichen, in der Erde und'dem Schutt alter Ge-
bäude. Der zweyte Therl ist das Land der Ze-
kler, welches 413 Orte enthalt, worinnen aber
weiter kein merkwürdiger Ort bestndlich ist.
Dafür bemerken wir im Lande der Sachsen,
in welchem 262 Orte waren, Hermanstadt,H<.rmanstadt°
die Hauptstadt deö ganzen Großfürstenthums,
auf einer fruchtbaren Ebene am Flusse Zibin gele-
gen; ein großer, wohlgebauter, und wenigstens wi-
der den ersten Angriff hinlänglich befestigter Ort.
Gchäßburg, ist ebenfalls eine königliche Freystadt, Schaßburg«
welche aber in Absicht der Bevölkerung, der Größe
und Schönheit ^ronffadcnachstehen muß. Dieses Kronstadt,
lehtre liegt am Fuß eines steilen mit Holz bewachse-
nen Berges, ist mir Mauern, Thürinen und Gra-
ben umgeben, und treibt einen ansehnlichen Handel.
Andre Städte sind Medwisth, Ästrirz und
L^üllenbach. Den vierten Theil deö Landes ma-
chen die sogenannten, au8 76 Orten bestehenden
Fiskal-Güter aus. In denselben ist Aarlsburg, Karlsburg.
eine wohlgebaute Festung, nicht weit vom Flusse Ma-
roö. l\ lausenbürg, am Fuß eines aus Thonschiefer Klausenburg,
bestehenden, ziemlich hohen und ganz frey liegenden
BergeS. Sie istweitlauftig undvolkreiü), hat viele
steinerne Gebälche, und ist mit Mauern und Thür-
men umgeben.
In den ältesten Zeiten war Siebenbürgen, wie 5) Ueberstckt
wir schon angeführt haben, ein Stück von Dacien, der Geschich-
welcheö von den Römern vom Trojan bis zur Regie- te.
rung des Aurelianbeherrscht wurde. Gothen, Hun-
nen, )lvaren lind Ungarn machten sich nach und
nach Meister desselben. Die letztem wurden zwar
889 von den Pecfchenegen vUtcieben, allein K.
Stephan I stellte 1002 die ungarische Herrschaft
Gg 2 . wieder
Ungarn.
468
wieder her, und Nun wurde das Land durch Wok*
woden regieret. Als der K. Ludwig II im Treffen
bey Moha'tsch geblieben war, erwählte, wie schon
erzählt worden ist, ein Theil der ungarischen Nation
den siebenbürgischen Woiwoden Johann vonZapolya
zu ihrem Könige« Den daraus entstandenen Krieg
haben wir ebenfalls in der ungarischen Geschichte
berühret, hier sehen wir nur noch hinzu, daß
1538 in dem Wardeiner Frieden ausgemacht wor.
den war, daß, wenn Johann stürbe, seine sämmtli-
chen Lande dem K. Ferdinand I zusallen sollten.
Dennoch besaß sein Sohn Johann Sigmund, durch
Hülfe der Türken Siebenbürgen als ein Fürsten-
thum. Nach ihm wurde Stephan Bathor von
Somlya, der auch 1575 den polnischen Königs-
thron bestieg, Fürst, deffen Vetter Sigmund Ba-
thor sich von den türkischen Verbindungen los mach-
te, und auf ungarische Seite trat. Er versprach
dem Kaiser Rudolf II Siebenbürgen'gegen Oppeln
tmb Ratibor, und eine jährliche Pension von zovOo
Thalern abzutreten/ hielt aber den Vertrag nicht,
sondern nahm Siebenbürgen wiedck in Besitz, und
überließ es seinem Vetter Andreas Bathor, welcher
Kardinal gewesen war. Da dieser aber die Verbin-
dungen mit den Osmünen erneuerte, half Kaiser
Rudolf dem Woiwoden der Walachey Michael zur
Erlangung des Fürstenthums, der sich aber ebenfalls
verdächtig machte, Und daher von den österreichi-
schen Truppen mit Gewalt vertrieben wurde. Dar-
über entstanden nun sehr gefährliche und blutige Un-
ruhen, denn die siebenbürgische Nation, welche so
wenig mit Michael, - als mit dem General Basta,
den der Kaiser über sie gesetzt hatte, zufrieden war,
ergab sich lieber an ihren alten Fürsten Sigmund
Bathor, der sich aber wider die Uebermacht des
Kaisers nicht behaupten könnte, sondern das Fürsten.
i thum
Ungarn. 469
lhum gegen ein Aequivalent in Schlesien abtreten
mußte. Dieser Vergleich stellte indessen die Ruhe
auf keine Weise her: vielmehr erwählte die Nation
den Bethlen Gabor, und, als man sie zu Anneh-
mung der pabstlichen Religion zwingen wollte, den
Stephan Botskay, einen lutherischen Herrn, zu ihrem
Fürsten, welchen der Kaiser 1606 auch wirklich an-
erkennen mußte«
Ihm folgte Sigmund Rakotzy, der aber nach
einer jährigen Regierung 1608 wieder abdan^ke,
worauf Gabriel Bathor nach dessen Ermor-
dung aber Bethlen Gabor 16^3 das Fürstenthum
erhielt. Dieser letztre eroberte Ungarn und starb
1629. Ihm folgten abermals Rako tzys, von de-
nen der zweyte, durch seine feindlichen Unternehmun-
gen gegen Polen, sich die Türken auf den Hals zog,
die ihn 1658. zu Niederlegung der Regierung zwan-
gen. Franz Redey kam an seine Stelle, allein
Rako^tzy hatte seine Ansprüche noch nicht aufgegeben,
sondern setzte den Krieg aufs neue fort, so daß auch
der neue von den Türken eingesetzte Fürst, Barökay,
ihm das Fürstenthum überlaßen mußte, bisRako'tzy
in einem Treffen bey Klausenburg tödlich verwundet
ward, und an seiner Wunde sterben mußte. Dko
Stande wählten nun den Kemeny, an dcffen Stelle
aber die Türken 1661 den Michael Apaffi setzten,
welcher auch in seiner Würde unter dem Schutz des
teutschen und türkischen Kaisers bestätiget ward»
Im I. 1687 bemächtigten sich die österreichischen
Truppen des ganzen Fürstenthums, doch ward dem
Fürsten Apafsi fürseine Nachkmnmen die Nachfolge
bestätigt. Sein Sohn Michael war .aber der letzte
dieses Geschlechts, und also kam Siebenbürgen
1715 unter österreichische Herrschaft, unter welcher
es auch bisher ruhig verblieben ist»
Gg Z ... König-
470
Unzarn.
-H-
C. König« *
reich Slavo»
nien.
Königreich «lavomen.
2) Land.
Slavonien, dessen östlicher Theil ehedem
Syrmien genennt wurde, und ein desondres Herzog-
tum auömachte, gränzet gegen Abend an Kroatien,
gegen Mitternacht an die Flüsse Drave und Donau,
welche eö von Ungarn scheiden, gegen Morgen an
Servien und gegen Mittag an den Savestrom, über
welchem Bosnien lieget. Der Flächeninhalt dieses
Landes mag etwan 331 Quadratmeisen betragen.
Das Klima ist hier viel gemäßigter als in Teutsch-
land, und wenn auch in den Gebirgen, welche das
Land der Länge nach durchfchneiden, und von denen
die höchsten 2748 Schuhe über die Oberfläche des
Bodens erhaben flnd, der Winter sehr strenge ist,
so dauert er doch nur zween Monate, und diese kältere
Beschaffenheit der Atmosphäre wird durch die reine
gesunde Luft, welche man hier athmet, vollkommen
vergütet, da im Gegenrheil in den ebenen Gegenden
die großen Moraste, welche wohl den achten Theil
des Königreiches einnehmen, eine^fföchst ungesunde,
bösartige Fiebererzeugende Luft, und eine ungeheure.
Menge von Mücken und anderm Ungeziefer hervor,
bringen. Ueberhaupt ist Slavonien ein Land, das
erst vor zwanzig Jahren aus dem Chaos hervorge.
zogen zu feyn scheint, das zwar, im Ganzen genom-
men, einen ungeniein guten und fruchtbaren Boden
besitzt, aber doch allenthalben grundlose Sümpfe,
unwegsame Gebirge, ungeheure von keinem Sou-
nenstrahl erleuchtete Wälder, oder weite und flache
Ebenen HÄ, die das Auge nicht' zu übersehen im
Stande ist. Indessen scheint hier die Natur viele
ihrer wilden kunstlosen Reize vereinigt zu haben: die
acht Monate des Jahres grünenden Wälder, der
Reichthum immer wieder hervorwachftnder Blu-
men,
Ungarn. 47®
mm, die ehrwürdigen Trümmer alter Schlösser,
und die Weinstöcke, welche die Hügel krönen, alles
giebt dem Lande ein gewisses romantisches Ansthen,
bürgt aber auch zugleich dafür, daß, wenn die Volks,
menge, und mit ihr Fleiß und Betriebsamkeit zu.
nehmen werden, Slavonien eines der sciwnsien Län«
der der österreichischen Monarchie werden kann.
Schon jetzt sind feine Produkte von großer
Wichtigkeit, ohngeachtet die meisten Theile der Land»
wirthschaft auf eine sehr elende und schläfrige Art
betrieben werden. Man bauet Warzen, Mais
(hier Rnkuruz genannt), Roggen, Laster,. Erb-
sen, Linsen und andere Hülftnsrüchte, Flacbs,
Hanf, Tabak, der hier so vortrefflich wächst, daß
er dem türkischen nichts nachgiebt, herrlichen Mein,
Mbst, welches, jedoch dis pflaumen, Mandeln
und Feigen ausgenommen, meist wild ist, ohnge»
achtet mit etwas Kultur die köstlichsten Früchte gezö»
gen werden könnten. Ferner einige Gartengewächse,.
alS: Zwiebeln, Rnoblauch, Melonen und
Blumenkohl. An allerley Holzarten ist nirgends
Mangel, vornehmlich findet man Eichen,. Bu-
chen, Pappeln, Erlen,, Weiden, Süß-
holz, zahme und wilde Rastamen, und sehr viet
weiße Maulbeerbaume. Alls Apotheken in
Teutfchland könnten von hier aus mit Krautern und
Wurzeln versorgt werden; da das Krautersuchen aber
viel zu mühsam für die Illyrier ist, so müssen die
hiesigen Apotheker,, was sie brauchen ,, aus Teutsch^
land verschreiben. Trüffel und andere Erd»
schwämme, sckwie auch verschiedene Farbckrau-
rer, sind im Ueberflusse vorhanden; Hopsen, Safran,
Färberröthe und Baumwolle, die doch gut fortksm-
men würden, fehlen aber gänzlich» Mineralien
giebc es zur Zeit noch sehr wenige , weil die Aufsir»
Gg 4 chuug
4^r Ungarn.
chung derselben noch kein Gegenstand der Aufmerk-'
samkeit worden ist. Doch findet man verschiedene
Farbenerden, Marmor, Alabaster, Porzel-
lanerde, Steinkohlen, Torf, Salpeter, und
sehr guten und vielen Eisenstein, wiewohl das Ei-
sen immer noch aus Bosnien eingeführt wird. Die
Gebirge enthalten gewiß edle Metalle,-da die von
ihnen kommenden Flüsse Gold bey sich führen, man
hat aber die Beförderung des Bergbaus deswegen
vernachlaßigt, weil man geglaubt hat, die andern
österreichischen Bergwerke würden dadurch Schaden
leiden, und die Türken möchten auch Appetit bekom-
men, sich einen Theil der Ausbeute zueignen zu wollen.
Kein Land ist endlich fo sehr mit mineralischen
wässern gesegnet, als der gebirgigte Theil von
Clavonien, allein jetzt sind außer den Badern zu
Lipuk, Daruvar und Pakracz fast keine andern be-
kannt. Da die Viehzucht der Hauptreichthum die-
ses Landes ist, fo findet man auch gute Pferde,
viele Ochsen, Büffel, Schweine, Schafe,
Ziegen, aber wegen der großen Menge Stoßvögel
nicht viel zahmes Geflügel. Eßbare wilde
Thiers findet man wenig in den Wäldern, wohl
aber Wölfe, Bare, Luchse, Dachse, Füch-
st, Trappen, Fasanen, Rohrdommeln, Rei-
fer, schwarze und weißeAdler, und anderes wilde-
Geflügel. Die Flüsse sind alle an Fischen ergiebig,
unter denen die sausen, Lampreten, Neunau-
gen und Zitteraale, (welcher die Eigenschaft des
amerikanischen Krampffisches besitzet) vorzüglich zu
bemerken sind. Endlich giebt es auch viele Rrebst,
Land - und Wasserschildkrören, Bienen, Sei-
denwürmer, aber auch Schlangen, Eydexen,
welche über drey Fuß lang find; Skorpione, flie-
gende Wanzen, Heuschrecken und dergleichen
schädliches Ungeziefer.
» Bey
Ungarn. 47?
Bey allen diesen reichen Geschenken der Natur b) Einwoh
ist Slavonien doch so äußerst gering bevölkert, daß ner.
bey der Zahlung im I. 1777 nicht mehr 235000
Menschen, die hier garnisonirenden reutschen und
ungarischen Regimenter ausgenommen, gesunden
wurden. Als Ursachen dieser schwachen Volksmen-
ge giebt man an, daß Slavonien viele Jahre unter
türkischer Botmäßigkeit gestanden, und der Schau-
platz anhaltender Kriege gewesen ist. Ferner mag
auch die Abtretung von Servien und Bosnien an die
Pforte dieses Land merklich entvölkert haben, weil
viele Einwohner aus Furcht für der türkischen Nach-
barschaft, und aus Mangel an Nahrung bey ge-
hemmter Ausfuhr nach Servien und Bosnien, das
Land verließen, und endlich kann man Ln verstärken
Kontribution, und der unmäßigen Größe der adli-
chen Besltzungen, einen Grund dieses Menschen-
mangels auffinden. Es find zwar in neuern Zeiten
Illyrier aus dem venetianischen Dalmatien, und
ziemlich viele Teutschehieher gekommen; weil fie sich
aber selbst haben Hauser bauen müssen, die Edelleute
ihnen nur drey Fryjahre gegeben, ja fie nwhl gar
zu Leibeig«,engemacht haben, so sind sie größtentheils
wieder davon gegangen.
Die jetzigen Einwohner Slavoniens bestehen,
außer den wenigen eigentlichen, aber mit den folgen-
den zu einem Volke geschmolzenen Slavoniern,auS
Illyriern, mit denen sich auch vielewalachen
vermischt haben; aus deutschen, welche etwan
den zehnten Theil der sammtlichen Einwohner ausma-
chen, aus Zigeunern, welche aber nicht im Lande
herum ziehen dürfen, und aus wenig Ungarn.
Die Hauptfprache des Landes ist daher auch die illy-
rische, nicht die alte sondern eine mit türkischen
Worten vermischte slavomsche Mundart. Auch
Gg 5 breitet
474 Ungarn.
breitet sich die teutsche Sprache immer mehr aus,
da hingegen die ungarische von Zeit zu Zeit immer
mehr abnimmk. In Absicht der physischen Beschaf-
fenheit sind die Illyrier starke gesunde Leute, die
theils aus Gewohnheit, theils aus Armuth gegen
alle Beschwerden des Lebens abgehärtet sind. So
sehr sie auch unter dem türkischen Joch verwildert
sind, so fehlt es ihnen doch nicht an gesundem na-
türlichen Verstände, an Treue gegen ihre Obern,
Gastfteyhcir, Liebe zur Gerechtigkeit und kriegerischem
Muthe. Dabey sind sie aber im höchsten Grade
abergläubisch, träge, zum Rauben, zurVöllereyund
allen daraus entstehenden Lastern, als Unkeuschheit,
Sorglosigkeit für die Zukunft und dergleichen, geneigt,
rachgierig, arglistig und in allen Dingen, die nicht
gerade zur Befriedigung der ersten thierifchen Be-
dürfnisse gehören, fo sehr alö möglich unwissend.
Wie ihre'Sprache so haben auch ihre Sitten und
Gebrauche viel türkisches an sich. Dahin gehört die
Bauart ihrer Hauser, das Sitzen mit kreuzweis
geschlagenen Beinen, die Kleidung, welche mehr
türkisch als ungarisch ist, der Hang zur Vielweibe-
rey und andere Dinge mehr»
Kultur. Nach dem, waswirgesagt haben, werden unsre
Leser schon ziemlich errathen können, wie elend es
mit allen Theilen der Landes-und Menschenkultur
in Slavonien aussehcn mag. Der Ackerbau z. B»
wird wohl nirgends nur mehr Nachlaßigkeit betrie-
ben als hier. Von Dünger weiß man gar nichts,
und die eingeerndteke Frucht bleibt, weil sie keine
Scheunen haben, bis zum Winter inaufgethürmten
Hausen unter freyem Himmel liegen, da sie denn
nicht gedroschen, sondern vom Vieh ausgetreten wird,
nachdem vorher durch die Schweine, Ochsen, Sper-
linge und andere Vögel, imfc durch »feuchte Wicte-
■ rung
Ungarn. 475
rung ein großer Theil gänzlich verdorben ist. Eben
so werden auch andre Zweige des Landbaues vernach-
läßigt, und selbst die Viehzucht, welche doch dee
größte Schatz des Landes ist, könnte noch auf man-
cherlei) Weife verbessert werden. Zu krage Stalle
zu bauen, lasten die Illyrier Sommers lind Win-
kers ihr Vieh auf dem Felde, wodurch nicht allem
der Dünger verlohren geht, sondern auch das Vieh
den reißenden THLeren preis gegeben, und durch
Nässe und Kälte sein Wachskhum gehindert wird»
So ansehnlich dieRindviehzucht ist, so versteht man
doch wenig vom Butter, und Kasemachen, und selbst»
das Melken der Kühe ist nicht sehr im Gebrauche»
Schwerlich würde man auch so große Nachläßigkeit
vollkommen erklären können, wenn man nicht wüßte,
daß über die Hälfte des Königreichs dem Adcl gehö-
ret, daß die adelichen Herrschaften unmäßig groß
sind, und die Entfernung der Gutsherren, welche
meist in Wien oder Ungarn leben, zu allen schäd-
lichen Folgen der Verpachtungen und Miethlingsver-'
waltungen Anlaß geben»
In einem Lande, wo es sogar an Maurers
und Zimmerleuten fehlet, wo das Volk lieber faul-
lenzen und kümmerlich, als arbeiten und gut leben
will, da ist bey allem Rerchkhume roher Materialien
an keine Vollkommenheit oder Menge der Manu-
fakturen zu denken» Alle hiesige Manufakturen und
Fabriken waren im Ir' 178 k folgender Einige Ser-
denspinnereyen und Seidenmanufakturen, etliche
Tuchmacher, welche Teutsche sind, und Tücher, Fla-
nelle unt> dergleichen für den Landmann verfertigen,
eine Glashütte und eine Potafchenbrennerey» Die
beträchtlichsten Manufakturen aber sind die der
Bauern selbst, deren Weiber spinnen, weben, gro-
be Leinwände, Tücher, Schuhe, Mützen und der-
.* gleiche»
476 Ungarn.
gleichen machen, und mit Wurzeln und Blumen s-
schön als dauerhaft zu färben wissen.
So geneigt auch die Illyrier zum Handel sind,
so vortheilhaft ihr Land dazu gelegen ist, so hat die
Handlung dieses Landes doch bis jetzt noch wenig zu
bedeuten, woran die schlechten, jetzt erst in etwas ver-
besserten Landstraßen, die Unbequemlichkeit und Un-
sicherheit der Schifffahrt, und der Nichtgebrauch
des Wechselrechts sehr viel Schuld haben mag.
Jetzt geht der slavonische Handel hauptsächlich nach
Deutschland und Italien, nach der Türkey aber sehr
wenig; weil den türkischen Unterthanen die öffentlichen
Jahrmärkte fehlen, und Semlin ausgenommen, gar
keine Handlung im Lande verstattet wird. Die vor-
nehmste Ausfuhr besteht in folgenden Artikeln: Och-
sen, Scheine, ungegerbte Felle, Wachs, Honigs
eingesalzenen Hausen, Süßholz, Eichenknobben,
Getraide (meist nach Italien), gegen 5000 3 Centner
Tabak ^auch meist eben dahin), Branntewein, Bau-
und Brennholz. Da sich nun die Slavonier meist
mit ihren eigenen Landcserzeugmssen begnügen, so
ist auch die Ausfuhr, zu welcher Tücher, Eisen-,
Stahl Kupfer - und andere metallene Waaren,
Papier, Salz, Wolle, Baumwolle, Kaffee, Ge*
würze, Wildpret u. s. w. gehören, sehr geringe, und
beträgt jährlich wenig mehr als eine halbe Million
Fl., dahingegen der Werth der Ausfuhr auf eine
und eine halbe Million Fl. geschähet wird.
*
Ob sich schon die österreichische Regierung Mü-
he gegeben hat, durch Anlegung illyrischer Landschu»
len wenigstens in etwas die ganz dicke Finsterniß zu
zertheilen, welche über Slavonien lieget, fo ist doch
die ganze Arbeit, so wie auch bey den Katholischen,
in den Händen einer völlig unwissenden Geistlichkeit,
und so hat denn noch nicht einmal die Morgenrörhe
Ungarn.
477
-er Erleuchtung aufgehen können. An Anlage fehlt
es der Nation nicht, vorzüglich zur Dichtkunst, wo-
zu auch die illyrifche Sprache gebildet zu feyn scheint:
die wenigen hier lebenden Gelehrten aber, als der Dom-
Herr Rerkseliks, die Exjefniten Bedekovich, und
Boskowich, der eigentlich ein Ragufaner ist, nebst
einem gewissen (Drfelm, haben ihre Wissenschaft
einzig und allein dem Auslande zu verdanken.
Die Einwohner Slavoniens bekennen sich theilö 6) Kirchliche
zur griechischen, theils zur katholischen, theils zurund bürger-
unirten Kirche, ohne daß übrigens eine Religions-^^ Verfas«
parthey in Ansehung der Aufklärung viel Vorzüge'"'^*
vor der andern hatte. Die Katholiken haben nur
einen Bischof und sechzehn wohlgebaute stark besetzte ,
Klöster. Die Griechen haben einen Patriarchen zu
Karlowitz, einen Bischof und achtzehn Klöster. —
Bis zum Z. 1745 bestand Slavonien bloß
aus Soldatenbezirken, jetzt aber hat mehr als die
Halste des Landes eine bürgerliche Einrichtung, das
übrige aber wird durchaus auf militärischen Fuß re-
gieret. Der Landesherr ist auch nur in dem letzten
Theile unumschränkt, in den Gespanschaften aber
durch die große Macht des Adels und der Reichs-
stände vermindert. Diese Reichöstände sind: der
katholische Bischof von Slavonien, nebst den
Fürsten, Grafen, Freiherren, gemeinem Edel-
leutcn und der königlichen Freystadt j)osega.
Alle Bauern, ja auch Bürger und viele begüterte
Kausteute sind leibeigen, wiewohl die Leibeigenschaft
durch die Landesgesetze ziemlich gemildert worden ist.
Zn jeder Gespanschast sind, so wie Ungarn und Kroa-
tien, ein Obergespan, ein Untergespan, Rentmei-
ster, Einnehmer, Sekretär, vier Ober, und Unter-
stuhlrichter. Zn Justiz-und Rechtssachen stehen
die Gespanschaften unter der königlichen ungarischen
* Stark.
478 Ungarn.
StatlhMersy, in allen übrigen Dingen aber unter
Ler königlichen Skatthalterey zu Agram in Kroatien.
Betrifft aber die Sache das Rcligionöwestn oder die
Privilegien der illyrischen Nation, so gehört das für
die illyrische Hofdopurarion Zu Wien. Die Verwal«
kung der Gerechtigkeit ist nicht auf weitlaufkig ge-
schriebene Gesetze, sondern bloß auss Herkommen
rmd dis natürliche Billigkeit gegründet; Ln den Sol-
Datenbezirken aber besorgen die Ofstciers die Justiz
und alle Angelegenheiten des Landes, daher auch
alles ordentlicher, geschwinder und mit mehr Nach-
druck als in den Gespanschaften geschiehek, auch die
Polizey, wenigstes in etwas, bester eingerichtet ist
als in dem übrigen Lande, wo man fast gar nichts
von allen den Dingen antrifft, ohne welche auch
rücht einmal eine mittelmäßige Polizey bestehen kann.
Eben fo verhalt es sich mit den Asntribu-
rionen, welche die Haupkquelle der landesherrli-
chen Einkünfte und in den Soldatenbezirken nicht
so drückend als in den Gespanschaften ßnd. Je
fleißiger hier der Landmaun ist, je besser er seinen
Acker und Weinberg bauet, je mehr er sich die Ver-
vollkommnung seines Viehstandes angelegen stylt
kästet, desto höher sind die Abgaben, welche er ent-
richten muß. Eine Einrichtung, welche gewiß nicht
zur Aufnahme des Landes gemacht worden ist.
Uebrigens mag das Königreich jährlich etivan
eine Million Fl. einbringen, von welcher aufs
Höchste die Halste für den Civil - und Militaretat
wieder- verwendet wird.
Um endlich noch etwas von der Milrtareinrich-
kling zu erwähnen, wollen wir noch folgende kurze
Nachricht, von der das meiste auch auf die andern
österreichischen Granztruppen pastet, mittheilen. Die
slavouisch'im NatioualreHimenter sind j) das Peter.
war-
Ungarn. 479
rvardeiner, 2) das Broder, 3) das Gradiskaner
und 4) dasHufarenregiment. Jedes von den ersten
besteht aus 4800, das letzte aber aus 2000 Mann.
Alle diese und andre österreichische Granzsoldaten be-
kommen in Frredenszeiten statt des Soldes Landei-
genthum, ausgenommen dieOfflcierö, die aber ei-
nen geringern Sold als bey andern Regimentern
haben, weil ihnen ebenfalls gewisse Grundstücke an-
gewiesen sind. Diese Regimenter haben Oester-
reich gute Dienste geleistet, und können ohne Mühe
dergestalt verstärkt werden, daß sie (es sind ihrer 19
in allem) leicht ein Heer von 8 000 Mann auSma-
chen. Ueberdies liegen auch noch keutsche und unga-
rische Regimenter in Slavonien, welche die Festun-
gen besetzt halten.
Niemand muß in Slavonien Meisterstücke der e) Einzelne
Baukunst erwarten; die Bauart ist-hier eben so elend Orte,
als in dev übrigen ungarischen Landern, in denen
man nichts als elende unsaubere Städte antrifft, de-
ren Hauser nicht mehr als ein Stockwerk haben.
Peterwardein lind Essek ausgenommen , sind nicht
einmal die Gassen gepflastert, die meisten Hauser von
Holz und Leim, und mit Rohr oder Schilf gedeckt.
Auch die Wohnungen der Edelleute find in diesem
Geschmacke, und die Dörfer sind noch ungleich eleu-
der. Wir bemerken indessen als wenigstens in et-
was merkwürdig: Essek, vormals die Hauptstadt Essek.
des ganzen Königreichs, eine starke Festung am
Dravestrom, aus deren beyden Seiten Moraste sind,
über welche sowohl als über den Fluß eine hölzerne
Brücke (1566 von Soliman) geballt war, welche
bis nach Ungarn reichte und 8565 Schritte lang
war. Diese Brücke ist aber in den ungarischen
Kriegen gestört, und dafür ein Damm über die
Moraste angelegt worden» Zn der Stadt/rnv nicht
v mehr
480 Ungarn.
mehr als 82 Bürgerhäuser, die öffentlichen, beson-
ders die militärischen Gebäude sind aber desto zahl-
reicher, auch alle dauerhaft und schön gebauet. Ohn.
geachtet Effet indessen die beste Stadt des König-
reiches ist, so ist es doch ein stiller und ungesunder
Ort. Die Zahl ihrer.Einwohner, welches meist
teutsche Katholiken sind, mag sich auf80Oo belau-
fen. In der Nahe dieses Ortes findet man viele
römische Alterthümer, welche aus die Vermuthung
bringen, daß hier die Hauptstadt des slavischen Panno-
niens, Mursia oder Nlnrsa, gestanden haben mag.
Posega. posega, ebenfalls eine römische Pflanzstadt Ini-
cernum genannt, jetzt ein offener Ort ohne Befe-
stigung, mit 600 zum Theil recht gut gebauten
Bürgerhäusern, und etwan z6vO durchaus katho-
Pakracz. lischen Einwohnern, pakracz, ein wohlgebauter
und sehr angenehmer Marktflecken von 282 Hau-
sern und 1800 meist griechischen Einwohnern, wel-
che größtentheils leibeigen, aber durch ihre Hand-
lung sehr wohlhabend sind. Es ist hier der eigent-
liche Sitz des griechischen Bischofs von Slavonien.
Wukovar. IVukovar, ¡eine ziemlich große gut bewohnte
Stadt von 700 Hausern, die einen wichtigen Han-
del nach Siebenbürgen treibet, und unter deren Ein-
wohnern überhaupt weit mehr Fleiß und Arbeitsam-
keit als im übrigen Königreiche gespürt wird.
Peterwar- peterwardein, die Hauptstadt des Regiments
dem. gleiches Namens, eine starke Festung an der Do-
nau gelegen. In der Stadt und den Vorstädten
sind etwan 650 Hauser, und nebst der 2cvOMann
Karlowitz. starken Besatzung 5 Zoo Einwohner. Rarlowitz,
ein volkreicher Marktflecken an der Donau, in wel-
cher der griechische Patriarch seinen Sitz hat. Die
Anzahl der Hauser ist 845 , in welcher etwan 5600
Semlin- Menschen leben. Seknlin, ein wichtiger Handels-
erc am Zusammenfluß der Save und Donau, mit
HZ0
Ungarn. _ 48t
1130 Hausern und 6800 sßhaften EiiWohnern.
Hier ist die Hauptniederlage alter teutschen und tür-
scheu Waareu, und zwischen Semlin und Belgrad
wird aus den Wiesen ein wichtiger Markt gehalten»
Der Platz ist mit Pallisaden eingefaßt, die Belgra-
der Kaufleute stehen auf der einen, die Semliner auf
der andern Seite. Beyde dürfen einander nicht an-
rühren, und wenn ein Belgrader Zahlungen in baa-
rem Geld zu machen hak, muß er es ln ein Gefäß
mit Essig werfen, welches alles aus Fürsorge geschie-
het, daß die Pestseuche nicht aus den türkischen Lan-
dern herüberkomme. Brod und^aksthcr sind kleine
Festungen» Die Granzen sind überhaupt beständig
mit Schildwachen besetzt, undangewissen Orten Thür-
me erbauet, in denen eine kleine Besatzung lieget.
Ehedem gehörten diese Gegenden zu Pannonien, f) Aeschj
als sich aber im siebenten Jahrhundert nach Christus
Geburt die Slaven hier festsetzten, erhielt das Land
den Namen Slavonien, und wurde von eigenen Für-
sten oder Königen regieret. Im ejlften Jahrhundert
wurde Slavonien mit Ungarn vereinigt, und die un-
garische Herrschaft breitete sich immer mehr in diesen
Ländern auö, bis die Ostnanen^i^i zuerst hier ein-
sielen, und eine schreckliche.Verwüstung darinnen
anrichteten, auch endlich nach wiederholten Einfällen
Ferdinand! 1562 nicht,nur zu Abtretung Slavonienö,
sondern auch Serviens, Bosniens, Kroatiens und
eines ansehnlichen Theilö von Dalmatien nöthigten.
Jin Karlowitzer Frieden 1699 kam es wwder an
Oesterreich, bey welchem es auch seitdem ununterbro-
chen geblieben ist. Allein das Lond war ohne Ein-
wohner, ohne bewohnbare Platze und fast-durchaus
jn eine Wildniß verwandelt. ZklF' Wrederanbaunng
desselben wurden nun Illyrier genommen, weiche
auö allen türkischen Provinzen haufenweise hieher ka-
men, aber das Land doch noch nicht so bevölkert ha-
ben, als es vor 1471 war.
u L>and. II Abch» H h Kö-
482 Ungarn.
««jjr -&■
o. jtomgr. Königreich Kroatien.
Kroatien.
-) Land. Dieses Land, worunter Dalnratten mit begrif-
fen wird, granzt gegen Osten an Slavonien und
Bosnien, gegen Süden an da6 venetianische Dalma-
tien, von welchem wir ebenfalls in der Folge noch
sprechen werden, gegen Westen an das adriatifche
Meer und Krain, und gegen Norden an Steyermark
und Ungarn, und mag ohngefahr 477 Quadrat-
Meilen groß feyn.
West-und südwärts ist es voll rauher steiler
Gebirge, unter denen die Bergkette Kapella die
schrecklichsten in sich enthalt; gegen Norden und
Osten giebt es zwar schöne Flachen, der Boden ist
aber zu Hervorbringung von vielen Erzeugnissen wenig
geschickt, weil ein großer Theil aus hitzigem Sande,
ein andrer aus Sümpfen und Morasten bestehet.
Uebrigens sind hier vier Hauptstöße zu merken, wel-
che die Drave, Save, Unsta und Rulpa sind.
An Produkten ist Kroatien bey weitem so
reich nicht als Slavpnien; doch bringt es die gemein-
sien Getraidearren, Flachs, Hans, Tabak,
Obst?, etwas Mein und am adriatischen Meer
auch Maulbeer-, Zitronen-, Pomeranzen - und
Oclbäume hervor. Mineralien sind hiergar nicht,
wohl aber sehr viele mineralische Ouellen. Vieh-
zucht und Pferdezucht sind nicht so beträchtlich,
als sie feyn könnten, und Mrldpret giebt es wenig,
weil die Kroaten die Jagd außerordentlich lieben;
die Fischereien sind ergiebig; die Bienenzucht
ist wenigstens bekannt und der Seidenbau fangt
immer mehr an ins Aufnehmen zu kommen.
k) Cinwoh« Die Bevölkerkmg dieses Landes wird auf
ner. Z67O0O Seelen geschähet. Eigentliche Einwohner
sind die Rroaren, eigentlich Hrwaken (d.i. Berg.
bewoh-
Ungarn. 483
bewöhner), ein slavisches Volk, das sich umsI. 650
nach Vertreibung der Awaren hier festgesetzt und
Unter eigenen Herzogen gelebt hat, bis sie sich Karl
der Große unterwürfig Machte, dessen Herrschaft sie
sich aber entzogen, griechischen Schutz suchten, ein
eigenes Königreich bildeten, und endlich unter un-
garische Botmäßigkeit kamen. Es sind starke,
muntre und tapfre Leute, die von Kindesbeinen an
in den Dassen geübt werden, und noch Meist die ein-
fachen Sitten der Vorwelt besitzen. Man hat ihr
Kriegswesen auf einen regulären Fuß zu setzett ge-
sucht: Kenner wollen aber behaupten, daß ihre wilde
Tapferkeit und ihre Standhaftigkeit bey den größten
Gefahren gänzlich dabey verloren gegangen sey. Man
muß sie übrigens nicht, wie gemeiniglich geschiehet,
mit den Panduren verwechseln, welche keine
Nation, sondern die Knechte der slavonifchen
Edelleute sind.
Hier haben die Künste' des bürgerlichen Lebens c) Kultur-
noch wenig Eingang gefunden, und nur die gemein-
sten Handwerker werden von ihnen getrieben.- In
Fiume aber sind schöne Zuckerrafsinerien, Potaschen-
siedereyen, Seiden. Tabak und andere Fabriken , und
zu Bukari ist eine gute Leinenmanufaktur» Diese
Plätze nebstZeNg und Poktore" machen auch den HaN.
del immer lebhafter, ohngeachtetdieWaareNauöfuhr
Kroatiens, wenn selbst von erzeugten Produkten dieRe-
de ist, wenig zu bedeuten hat, da sie sich bloß auf et-
was Tabak, Felle und Haute, Vieh, Potasche und
Holz einschränket, wozu noch die Kunstprodukte von
Fiume: Zucker, Syrop, Pöckelsteisch, gesalzen^
und getrocknete Fische, Seile, Stricke , Holzkohlen
und verschiedene Holzarbeiten, gesetzt werben können»
Eingeführt wird dagegen Salz, Getraide, Gewürz,-
Specereyen, Tuch, Leinwand, Eisen, Stahl ti, a»-
Dinge, wobey Kroatien , wie die Armukh und der
H h 2 ällge-
484 Ungarn.
allgemein verbreitete Geldmangel beweiset, unwider-
sprechlich verlieren muß.
Gelehrte, Bibliotheken, Künsilerund derglei-
chen darf man in einem solchen Lande nicht suchen,
vielmehr herrscht die gröbste Unwissenheit, und selbst
Geistliche verrathen allenthalben, daß sie außer ih-
rem Cerimoniel mic wenig andern Dingen bekannt
sind. Doch wird jetzt die tcntsche Sprache und mit
ihr die Liebe ^ur Lektür wenigstens unter dem?ldel
gemeiner.
6) Kirchliche Wie in Slavonien, so auch hier findet man
und büraerli griechische, unirte und katholische Christen, und wie
rUt' dort, ist bey keiner dieser Religionsparkheyen nur
ein mittelmäßiger Grad von Aufklärung anzu-
treffen. Die übrige Verfassung ist ebenfalls ohnge-
fahr dieselbe, und der National'-egimeneer sind
nämlich 8 Infanterie nnd g Husaren.
che Versas
su»g.
11
e) Einzelne Als merkwürdige Orte führen wir aitIDaras^
One. din, an der Drave, eine befestigtes Stadt, die an
Warasdin- stch pur klein ist, aber große Vorstädte hat, auch
nach dem letzten großen Brande 1776 viel moderner
sagrad. erbaut ist. oagrab oder Agranr, an der Save,
eine artige Stadt, mit weitläufigen Vorstädten und
einer Universität, die aber kaum dem Namen nach
Karlsstadt, da ist. A arle stad t, ein fester Ort an der Kulpa,
1^72 vom Erzherzoge Karl erbaust. Dies ist ein
für Kroatien wichtiger Handelsplatz, theils wegen
seilrer Markte, theils wegen der Kulpa, welche hier
schiffbar zu werden an sangt, theils endlich wegen der
herrlichen Karolincrstraße, welche von Fitime bis
hieher auf6zooO Schritte mit großer Mühe cmd
Fiume. Kosten 1720 angelegt worden. Diests Fiume ist
eine sehr angenehme Stadt am adriatischen Meer,
welche ztl einem Freyhafen erklärt worden, und de.
ren Handel auch immer ansgebreiteter wird. Mit.
tclst der Karolinerstraße werden die Waaren von
hier
Ungarn: 48s
hiev nach Karlsstadt gebracht, und dann auf der
Kulpa und Save bis an die äußersten Granzen von
Ungarn verschiffet. Bukari, ein Marktflecken, Vukari.
hat ebenfalls einen bequemen Hafen, und treibt mit
Vieh, Fischen, Holz und grober Leinwand einen
ansehnlichen Handel. Die Hafen von Povtove
und Zeug haben weniger Zn bedeuten.
Es dünkt uns hier der schicklichste Ort, wo
wir die Beschreibung des der Republik Venedig in
.Italien unterworfenen Dalmatiens anschieben kön-
nen, theils weil e6 ehedem mit jenem Lande ein und
dieselben Schicksale gehabt hat, theils weil es unter
der Rubrik Italien an einem unschicklichen Orte
gestanden hatte.
Venetianisches Dalmatien.
Es ist dieses meist ein steinigtes und unfrucht« Venetiam-
bares Land, welches meist" von Morlacken, oderfckes Dal-
wie sie sich selbst nennen, Ulassen bewohnt wird.nva ,en‘
Dies Volk ist zu merkwürdig, als daß wir nicht
unsre Leser mit einigen Zügen desselben bekannt ma-
chen sollten. Ihr Ursprung ist wahrscheinlicherweise
slavifch, doch zeichnen sich die Bewohner deö See-
gestadeö von denen, die tiefer ins Land hineinwohnen,
so sehr aus, daß man sie unmöglich für ein und das-
selbe Volk halten kann. Die im Gebirge lebenden
sind gute redliche etwas einfältige Leute, unter denen
sich die natürliche Unschuld nndFreyheit der Schäfer-
zeiten noch erhalten hat, die sich von Milch, Käse,
Wurzeln, gebratenem Fleische, Knoblauch und nach
patriarchalischer Art auf heißen Steinen gebackenen
Kuchen nähren, in hölzernen, aber doch mit Schiefer
oder Ziegeln gedeckten Hausern leben, und eine sim-
ple einfache Kleidung haben, die aus einerMütze von
Scharlach und über derselben einer Art von cylindr i-
schem Turban, einem gegürteten Wams, einem
H h 3 Man-
Ungarn.
486
Mantel, Beinkleidern, gestrickten Strümpfen und
Schuhen bestehet. Sie haben Hang zur Musik und
Dichtkunst, und ihre alten Romanzen sind wirklich
nicht ohne Reize. Sie sind gute tapfre Soldaten,
lieben ihre FreyheZt, und hassen bey aller Ergeben-
heit für dis Republik die Italiener von ganzem Her-
zen, die durch ihre Kniffe, welche sie sich gegen die
Einfalt dieses Volkes erlaubten, diesen Haß nicht
ganz unverdient tragen.
Aara. Die besten Orte diefer Zandschaft sind; Zara,
die Hauptstadt, ganz vom Meere umgeben, mit
dem festen Lande durch eine Zugbrücke zusammen-
hängend. Sie wird für eine der stärksten Festun,
gen in Dalmatien gehalten, und hat einen schönen
Gthktiico- wohlverwahrten Hafen. Sebonico, am Meer, in
einer sehr angenehmen Zage, nach! Zara am besten
gebaut, und von vielen adlichen Familien bewohnet.
Im sechszehnten Jahrhundert blühten hier Wissen-
schaften und Künste, und verschiedene Gebäude zeu-
gen noch von einem sehr gereinigten Geschmack in
der Baukunst. Sie hat vier Citadelle und einen
Trau- guten geräumigen Hafen. Trau, auf einer kleinen
durch die Kunst verfertigten Insel, die mit dem
festen Lande durch eine Brücke, mit der Insel Bua
aber durch einen gemauerten Damm, der zur Be-
quemlichkeit der Durchfahrt eine Zugbrücke hat,
verbunden ist. Ihr Hafen ist sehr bequem und
Oglona- fischreich. Saloua, ehemals die Residenz der
alten illyrischen Könige, auch nachher unter römi-
scher Herrschaft die Hauptstadt. Jetzt sind nur
bpglatro, noch lleberbleibsel von ihr zu sehen. Gpalatro,
auf einer Halbinsel, welche im siebenten Jahrhun-
derte von den Einwohnern des zerstörten Salona er-
baut worden ist. Sie ist der Sitzeines Erzbischofs,
und ein Sta-elork, daher die Waaren, welche aus
der Türkey kommen, oder aus Italien dahingehen
sollen,
Ungarn.
487
sollen, hier niedergelegt werden müssen. Es sind
hier noch verschiedene römische Alterthümer. Sign, Sign.'
eine wichtige von den Türken erbaute, ihnen aber
r686 abgenommene Bergfestung. Noch eine wich-
tigere Festung ist Rastel nuovo, auf dem felsig. Kaste!nuovo.
ten Grunde eines hohen Hügels an einem Meerbu-
sen erbauet, aber mehr durch die Natur als die
Kunst befestiget.
Von den zu dem venetianifchen Dalmatien ge- Osero und
hörigen Inseln sind, die vornehmsten: Osero mit andere In«
einer kleinen Stadt gleiches Namens, deren Ein-^-
wohner meist vom Holzhandel und der Schafzucht
leben. Sie scheint durch Vulkane entstanden zu
seyn, weil man viele vulkanische Produkte darauf
findet. Durch eine Brücke hängt sie mit Cherso
zusammen, einer meist felsigten unfruchtbaren Insel.
In dem angebauten Theile gewinnt man jährlich
auf ZQOO Tonnen treffliches Baumöl. Mortero
und Arbe, tragen guten Wein, Oliven und Fei-
gen; >?ago hat viel Salz, Selve und Ulibo
Marmor, Bua gutes Iudenpech, das theils aus
den Felsen quillt, theils in Kalksteinen gefunden
wird. Liestna ist felsicht, hat aber gute Feigen
und einträgliche Sardellenfischereyen. Curzola ist
voller Gehölze, und dienet daher den Venetianern
statt eines Schiffwerftes.
Da wir dieses schreiben, enthalten die öffent-
kichen Blätter traurige Nachrichten von einer in
Dalmatien ausgebrochenen Pestseuche, und man sa-
get sogar, daß der Senat Befehl gegeben habe, um
den Fortgang der Seuche zu hemmen, die Stadt
Spalatro von ihren Einwohnern zu entblößen, und
dann im Feuer aufgehen zu lassen.
Nach dieser kleinen Ausschweifung wenden wir
uns nun zu den 1772 von Polen abgerissenen Pro«
H h 4 vinzen,
Ungarn.
488
vinzen- welche unter dem Namen GaliziM und Lo-
dowerien (.chclitsch und lVladimir) den österrei-
chischen Staaten einverleibt worden sind.
i-. sin... Königreich Galizien und Lodomerien.
+ Galizien
d tc-i omc Dieses Land, welches aus einem Theile dek
n . b Woiwodschaften Krakow, Sandomir, Lublin, Wo»
lyn und Podol, einem Theile des Landes Chelm,
den ganzen Woiwodschaften Belcz und Roth.Reuft
sen, und dem Lande Halitsch bestehet, wird ohnge-
fahk i ZOO Quadratmeilen groß seyn, und granzet
gegen Abend an das österreichische Schlesien, gegen
Mitternacht und Morgen an Polen, gegen Mittag
6n Ungarn, Siebenbürgen und die Bukowine. Ge-
gen Ungarn hat es hohe und rauhe Gebirge, daher
auch die Luft sehr kalt, und Viehzucht der fast einzig
mögliche Nahrungszweig der Einwohner ist; der
nördliche Theil ist zwar auch voll Berge, hat aber
doch guten Boden, der aber von den östlichen Ge-
genden, welche aus fetter Erde bestehen, noch über-
troffen wird. Vorzügliche Flüsse sind die XX) cid) i
sei, welche aus Teschey nach Polen gehet, der Bug,
welcher mitten im Lande entspringt, und in die Weich-
sel fallt, der Dniester, der ebenfalls im Lande ent-
springt und in§ türkische Gebiet geht, und der prut,
den wir auch in der Moldau wieder finden werden.
Die Produkte sind so wenig als das ganze Land
hinlänglich untersucht, im Ganzen genommen aber
find sie meist denen in Polen gleich, werden sich aber
Unstreitig in der Folge vervielfältigen, da die Lall--
deskultur unter der jetzigen Regierung gewinnen
muss Aus den, Pflanzenreiche hat man die mei-
sten (Nctraidoarten, deren Ertrag noch weit grös-
ser seyn könnte, wenn der Ackerbau mit mehrerern
Fleiße getrieben würde. Der Boden ist auch zu
allen
Ungarn.
489
allen Arten von Hülsenfrüchten, Obst und Garten-
gewächsen geschickt, allein außer Erdäpfeln, et«
was -ch-anf, Flachs, Tabak und pflaumctt-
baurireir wird wenig dergleichen erzeuget; Holzun-
gen aber smd noch zur Zeit,im reichsten Ueberfiuste
da. Die hiesigen Mineralien kennt man vorjetzt
noch wenig, doch sind hier sehr wichtige Salzwerke,
von denen wir in der Folge umständlicher sprechen
werden, auch hat man Eisen gruben, deren Bear-
beitung aber großer Verbesserung fähig ist, Mar-
mor, Bergrheer, viele Rreidehügel und Gold,
Silber, Bley, und Rupferspuren weil man an
einigen Orten entdeckt haben Die Viehzucht ist
besonders in dem nördlichen Theile von ungemeiner
Stärke; die Schafzucht ist ebenfalls beträchtlich,
und Wolle ein wichtiger Gegenstand der hiesigen
Handlung. Ferner hat man vortreWche Pferde,
Schweine, Ziegen, Geflügel, Wüdpret,
auch Bären und Wölfe, Fifche und eine große
Menge Bienen.
Seitdem diese Provinzen unter österreichischer b) Ejirwoh.
Herrschaft stehen, nimmt ihre Bevölkerung immer ner. Kultur
mehr zu, welches eine Folge der vielen Menschen ist, u‘ f* ^
die aus Polen und Teutfchland sich hier neue Woh-
nungen suchen. Im I. 1776 sollen 2^4 Städte,
57 Flecken, 6397 Dörfer, 2580796 christliche
und 144200 jüdische Einwohner im Königreiche
gewesen seyn; 1780 aber wurden 261 Städte, 67
Flecken, 6429 Dörfer, nebst 2627817 Christen,
Katholiken, Protestanten, Griechen, und 151302
Juden darinnen gezählet. Die Nationaleinwohner
sind völlig Polen, die vielen teutschen Kolonisten aber
fangen nun an, teutsche Sprache und Sitten gemei-
ner zu machen, werden auch gewiß die Kultur des
Landes zu einem hohem Grade der. Vollkommenheit
bringen.
5
490 Ungarn.
Bisher ist diese im äußersten Stande der Kind-
heit gewesen, doch hat man schon verschiedene Ma-
nufakturen von groben Tüchern und wollnen Zeugen,
Leinwand lind Leder angeleget. Zum Handel sind
diese Lander überhaupt sehr gut gelegen, und die
Regierung hat auch keine Mühe gesparet, ihn so
blühend alö nur immer möglich zu machen. Dahin
gehören die Handelsverträge mit Polen, und neuer-
lich mit den Ofmanen, die Erklärung der Stadt
Brody zu einem freyen Handelsort, die Anlegung
von Podgurze und andere Anstalten mehr, welche,
wenn sie mit Eifer fortgesetzt, und durch Aufhebung je-
der Unterdrückung, Aufmunterung des Fleißes,
bessere Einrichtung der Straßen, Verbesserung der
Schifffahrt unterstützt werden, dieses Land auf den
höchsten Gipfel der Vollkommenheit empor heben
können. Gegenwärtig besteht die Ausfuhr in Salz,
Korn, Pferden, Ochsen, Schafen, Häuten, Fel-
len, Wolle, Leder, Honig, Wachs, Holz, Flachs,
Hanf u. f. w. So beträchtlich aber auch der Werth
dieser Ausfuhr ist, fo wird das Land, welches fast
alle Fabrikswaaren, und viele rohe Produkte haben
muß, doch immer bep seinem Handel verlieren, bis
die Industrie auSgebreiterer und der Einwohner
nicht mehr genöthigt ist, so viele Waaren, die er
eben so gut machen könnte, von den Ausländern
zu kaufen.
Da Galizien und Lodomerien einen besondern
Staat auSmachen, so haben sie auch ihren eigenen
Statthalter und Laudeöstelle, welche zu Lemberg
ihren Sitz hat. Polen brachten sie 3800774 pol-
nische Fl. ein, unter österreichischer Herrschaft aber,
ist diese Summe um iozz2745 poiiufd^e ver-
mehrt worden, wobey die Zölle, die milirdrifd;e
Kontribution, und die auf Erbgüter gelegte Abgabe
von 1 r Procent nicht einmal mitgerecbnctseyn sollen.
Zu
Ungarn.
49i
Zu den wenigen Orten, welche wir hier anfüh> b) Cinzelrtt
ren können, indem die wenigsten durch irgend etwas &rie-
interessant sind, gehören Lemberg (Lwow), die AmberA
Hauptstadt des Landes am Fluß Peltew, ein grof.
fernicht schlecht gebauter, auch etwas befestigter Ort,
in welcher die Landesregierung, ein katholischer und
armenischer unirter Erzbischof, ein griechischer unirter
Bischof ihren Sih haben, auch verschiedene Anstal.
ten zu Unterweisung der Jugend befindlich sind.
Die Einwohner, welche aus verschiedenen Nationen
bestehen, treiben ansehnliche Handlung, wieliczka, WiMezks»
eine Stadt, welche eine Meile von Krakow liegt,
und durch ihre Salzwerke berühmt ist. Der hiesige
Salzstock ist bereits über i rvo Ouadratklafter in die
Lange und Breite, Ln die Tiefe aber mehr als 80
Klafter durchgearbeitet, daher auch nicht nur die
ganze Stadt untergraben, sondern die Gruben auf
jeder Seite noch einmal so weit hinausreichen, als sie
groß ist. Man fahrt durch zehn Schachte hinein,
und nachdem man durch verfchiedne dunkle Höhlen
hindurch ist , findet man auf einmal eine Art unter,
irrdifcher in Salz gehauener Stadt, die wegen der
bunten Farben, welche das Mineral hat, und bey
den allenthalben' brennenden Lampen ein aus bloßen
Edelsteinen zusammengesetzter Feenpalast zu seyrr
scheinet. In vielen der unterirrdischen Straßen sind
hin und wieder Altäre und Kapellen in das Salz
eingehauen, in denen Kruzifixe oder andre Heiligen-
bilder stehen. Die Oerter, wo das Salz auSge.
hauen worden, nennet man Kammern, und sie
werden zu Salz-und Heumagazinen, oder zu Stal,
len für die Pferde gebraucht, darinnen io-bis 15
Paar Pferde, die man zur Arbeit braucht, beyfam.
men stehen. Das Salz ist von verschiedener Güte,
und in demselben sowohl als in dem Flözgebirge fin.
den' sich einzelne Stücken eines schwarzen Holzes.
Man rechnet, daß jährlich 7^0020 Centner Salz
gewon«
Ungarn.
492
gewonnen werden, und der Ertrag zwo Millionen
Kaisergulden ausmachen möge. Ein anderes Salz-
Bochm'a. . werk ist zu Bochnia, welches wie das vorige 1231
entdeckt worden seyn soll. Die hiesigen Salzgruben
machen nur einen langen und schmalen Strich aus,
der ungefähr 75 fünfelligte Lachter breit, 1000 lang
und 120 und etliche 20 tiefist. Bey Jaroelarv und
Drohobicz sind ebenfalls Salzwerke.
Vrody. Brody, eine fíeme fchlechtgebauete Stadt,
in welcher viele Juden wohnen, die, als das Land
noch polnisch war, der Hauptsitz des polnifchtürkifchen
Handels war, nachher unter der österreichischen
Herrschaft zu einer freyen Handelsstadt erklärt, 178 Z
aber fast gänzlich vom Feuer verwüstet wurde.
Podgurze. podgurze, eine kleine Stadt, nicht weit von Kra-
kow, die aber feit einem Jahre etwau, so sehr ins
Aufnehmen gekommen ist, daß sie dem Handel von
Krakow sehr schädlich ist, daher auch die meisten
dasigen Kausiente um sich dein gänzlichen Untergange
zu entziehen, hier Komtoire angelegt haben.
6) Geschichte. ^alitsch und Wladimir ist ehemals dem
russischen Scepter unterworfen geweseu, unter Wla-
dimir des Großen Wickeln aber wurde es in verschie-
dene Fürstenkhümer zertheilet, von denen die unga-
rischen Könige seit dem Ende des eilsten Jahrhun-
derts ein Stück nach dem andern an sich zu bringen
siichten. Romanas, Herzog zu Wladimir, brachte
zwar ums I. 1200 das meiste wieder zusammen,
nach seinem Tode aber entstanden so viele Unruhen,
daß die Könige von Ungarn das Land immer als eine
Art Eigenthum ansahen, dem sie nach Belieben zum
Herrn gaben, wen sie wollten. Im 1.13 5 2 soll es
unter der Bedingung von Polen abgetreten worden
seyn, daß es, wenn König Kasimir von Polen
männliche Erben bekäme gegen 122222 ungarische
Fl., hätte er keine Erben, ohnentgeldlich.au Ungarn
zurück-
Ungarn.
493
zurückfallen und K. Ludwig von Ungarn die polnische
Krone bekommen sollte. DaS letzte geschah 1370
und Roth - Reußen bekam nun einen ungarischen
Statthalter. Hedwig, Ludwigs Tochter aber, wel-
che Königin» von Polen ward, entriß e6 der Krone
Ungarn, worauf es bis 1772 bey Polen blieb, in
welchem Jahre Maria Theresia von ihren nie auf-
gegebenen Rechten Gebrauch machte, und es als ei-
net! besonder» Staat ihrer Monarchie einverleibte.
-%r -$r-
Die Bukowina F. Die ®u«
kowine. ; '
Die Bukowine (von Bukow, slavisch
Eichbaum) oder Bttkreine, hat zum Theilehe-
desten zu Siebenbürgen gehöret, ist aber von Fürst
Stephan V an die Moldau gebracht und 1777 aus
ewig von der Pforte wieder an Oesterreich abgetre-
ten worden. Sie gräuzet an Siebenbürgen, an
Galizien und Lodomerien, und an die Moldau, ist
178 Quadratmeilen groß, und enthält in vier Städ-
ten, zween Flecken, 284 Dörfern und vielen einzel-
nen Häusern, i ZOOOOgriechische, jüdischeundnun
auch teutsche Einwohner. Flüsse darinnen sind der
Lzeremes, Dniéster, welcher die mitternächtliche
Gränze macht, prnrh, Sirech, Stttschawa,
^7olbawa uiid goldene B'lstritz, welche allehurch-
lausen, und erst außerhalb der Provinz sich mit an-
dern Flüssen vereinigen. Da das ganze Land meist
waldrgt und bergigt ist, so hat es zwarUeberfluß an
Holz, und gewiß anch viele Mineralien, wie denn
der Name goldene Btstritz von dem Goldsande, den
dieser Fltiß mit sicstsühret, herkommt, pud aus rei-
che Minen in den Gebirgen schließen lastet: zum
Ackerbau aber ist wenig Gelegenheit, ausgenomen
in einer Strecke zwischen dem Dniéster und Pruth,
welche schöne Felder hat. Hornvieh, Pferde,
Schaf.
494 Ungarn.
Schaf- und Bienenzucht, Jagd und Fischfang sind
die einzigen Nahrungszweige der Einwohner. Ma-
nufakturen giebt es gar nicht, und der Handel,
welcher ehedem sehr beträchtlich gewesen seyn soll,
schränkt sich bloß auf Absetzung der rohen Landespro-
dukte ein. Was sich weiter über dieProdukte, über
die Einwohner, ihren Karakter u. s. w. sagen ließe,
müssen unsre Leser bey Beschreibung der Moldau er-
warten, da alles, was wir dort sagen werden, auch
auf die Bukowine angewcndet werden kann.
Der vornehmste Ort dieses Landes ist gegen-
Hfchernowitz. wärtig Tscheriiowitz, eigentlich Tschemcrutz, am
Pruth, wo ein kaiserlicher Generalseldzeugmeister,
der die Angelegenheiten des Landes besorget, mit
Sutschawa. einigen Truppen sein Standquartier hat. Sur-
schawa, am Fluß gleiches Namens, ehedem die
Haupt-und Residenzstadt der moldauischen Fürsten,
bis sie im fünfzehnten oder sechszehuten Jahrhundert
nach Zafch verlegt worden. Noch sieht man Rui»
nen von der ehemaligen Schönheit dieser Stadt,
welche 40 Kirchen, viele Paläste und 16000 Häu»
ser in sich gefaßt haben soll.
x. Os-
x°
Osmanisches Reich
in Europa-
Hülföquellem
Büschingñ Erdbeschreibung.
Lrome Produkte.
Stövers historisch - statistische Beschreibung des
osmanischen Reiches. Hamburg 784.
Lüdeke Beschreibung des türkischen Reiches. Leipz.
77'—80.
Björnstahls Briefe.
i
Pococke Beschreibung des Morgenlandes, a- d. E.
Erlangen 771—73 2 und zter B. 4.
Lhandlers Reise nach Griechenland, a. d. E. L. 777.
Reise durch Griechenland von Lhoiseu! - Goufstcr,
a. d. Fr. Gotha 780—82.
Bemerkungen eines Reisenden Durch die Levante
(v. Riedesel), a. d. Fr. t 774.
Klachat Untersuchungen zu Beföederung der -Hand-
lung u s u>. auf seinen Reisen angestellt, a. d. Fr.
L. 767—68.
Rantemir Beschreibung der Moldau. Frkf u. §. 77t.
Snlzer Geschichte des transalpinischen Daciens.
Wien 781 — 82.
Tour liefert Relation d'un Voiage du Levant. Lyon 717
Miguot Hiß, de 1’ Empire Ottoman, á Paris 771.
>enn sich irgendwo die Idee von dem Kreisläufe Mqemei,
der menschlichen ?lufklärung, und ihrer all- -e Laweobe.
maligen Wanderung von einem Klimate zum andern, shaffenl-eü.
dem Geiste, so zu sagen, gleichsam anfdringr, so
geschieht dies bey Betrachtung des weitlanftigcn
osiuanischen oder türkischen Reiches. Seins Pro-
vinzen sind gerade die Lander, aus denen ernst
Wissenschaften, Künste und Sitten in die übrige
bewohnte Welk ausgiengen, wo das Gefühl für
Freyheit, wo Dichtkunst, Philosophie, Geschichte
rmd alle Künste des Lebens, durch große Männer, in
blühenden Staaten, ihre erste schöne Ausbildung er»
chielcen. Und das alles ist nun vorüber, davon ist
im Reiche selbst nicht die geringste Spur mehr da,
als Ruinen ehemals prächtig gewesener Gebäude ; und
Barbaren, Sklaverei) und Unwissenheit sind an die
Stelle jener hohen Kultur getreten. Das herrliche
Land wird nicht halb so gut benutzt, als es benutzt
werden könnte; die Einwohner schmachten unter dem
Druck einer Staatsverwaltung, die in keinem Theile
so musterhaft ist, als sie von manchen gemacht wird,
und auch die aNßere Starke des Staates ist ineist in
eine Ohnmacht verwandelt, die es den christlichen
Mächten leicht machen würde, sich für die Gewalt-
thatlgkeitm zu rächen, die dieser Staat in seiner
Jugendstarke an ihnen begangen hak, wenn sie nicht
selbst zu eifersüchtig auf einander waren, um bey
einem der Menschheit so wichtigen Unternehmen mit
Nachdruck verfahren zu können.
Das was die Türken seit dem vierzehnten Jahr-
hundert nach und l,ach. in 'Europa an sich gcrssstn
il Land. H Abrh. Ji haben.
498 Osmanisches Reich
haben, besteht zum Theil aus Provinzen des ehema-
ligen griechischen oder orientalischen Karserthums,
zum Theil auö Stücken, die ehedem zu Ungarn ge-
hört haben, und mag überhaupt immer volle ioooo
O.uadratmeilen betragen. Die Granzen dieses gros-
sen Landes sind gegen Osten das schwarze Meer und
der Archipelag; gegen Süden das mittelländische;
gegen Westen das adriatische Meer und Dalmatien;
gegen Norden Ungarn, Polen und Rußland. Flüsse
darinnen sind die Donau, Save, Dniéster,
Dnepr, Prnth, Sireth und andere, welche wie
in der Folge zu nennen Gelegenheit haben werden«
Hie und da sind beträchtliche Gebirge, als der Ha-
mus (Tschengje) in Rum.Ili, das skardische
Gebirge in Makdonia und andere, die aber wenig
rauh und unwirthbar sind, so wie das Klima meist
allenthalben sowohl die Ergiebigkeit des Bodens,
als die Gesundheit der Einwohner befördert. Süd-
wärts vom Gebirge Hamus ist die Luft heiß und kro«
Lken, wobey doch die so oft schnell nach Norden her-
umspringenden Winde nach vorhergegangener Hitze
eine plötzliche und empsindliche Kalte erzeugen. Im
Norden des gedachten Gebirges aber ist die Witte-
rung weit gemäßigter, ob schon (welches eine Folge
der schlechten Benutzung des Landes ist) weit kälter
als in andern Ländern, die unter demselben Himmels-
strich liegen. Ein Uebel dürfen wir indessen nicht
mit Stillschweigen übergehen, das uns aber eben
sowohl seine ganze Furchtbarkeit durch übelverstan-
dene Religionsgrundsätze und schlechte Polizeyanstal-
ten beyjweitem mehr erhalten zu haben scheint, als
durch die Beschaffenheit des Kklmats: wir meynen
die slestseuche, welche fast alle Jahr bald in dieser
bald in jener ^Gegend des Reiches unsäglich viele
Menschen austeibet. Diese schreckliche Krankheit,
die wir in dem übrigen Europa nur noch Namen
nach
V
in Europa. 499
nach kennen, weit bessere Einsichten in die Natur des
Uebels, und bessere Polizeyanstalken den Verwü-
stungen, die sie ehedem auch unter uns angerichtet
hat, Einhalt gethan haben, scheinet ein alkalisches
Gilt zu ftyn, das sich an den Nerven anseht und
die Feuchtigkeiten im menschlichen Körper verderbet,
bey den Türken aber um desto unheilbarer ist, da sie
sich bey dem hausiuen Gebrauch des Kaffees, Ta-
baks, Reifes, Zwiebeln, alles Dinge, die mit Al-
kali angefüllcsind, der scharfen und ausiösenden Mit-
tel wenig bedienen. Nur in Konstantinopel hat
man oft in einem Tage 120: Menschen an der Pest
dahinfallen sehen, und was das Sonderbarste ist, so
geschieht e§ oft, daß eine ganze Familie völlig aus-
stirbt, wahrend in dem Hause darneben nicht eine
Person ihr Leben verlieret. Wenn sich die Seuche
bloß durch heftiges Kopfweh, Rücken und Nieren-
schmerz äußert, so ist der Kranke unausbleiblich ein
Kind des Todes. Entstehen aber Pestbeulen, so ist
sein Schicksal ungewiß, und wenn diese Beulen auf-
gehen, so ist die Gefahr vorüber. Es mag sehe
wahr feyn, daß der kalke Nordwind, der den ganzen
Sommer in Egypten (wo die Pest immer ihren An-
fang hat) wehet, sie in den türkischen schon dazu ge-
neigten Körpern erzeuget, indem er die durch die
Hltze geöffneten Schweißlöcher verstopfet, und auf
einmal das Ausdünsten dieser schwammichten Körper
dergestalt verhindert, daß die durch die Hitze schon
in Gahrung gebrachten Feuchtigkeiten in Faulniß
übergehen muffen, daß aber das Uebel in diesen Läw-
dern noch so schrecklich wütet, und daß es ungleich
mehr Türken als ClMstcn wegrafft, daran ist nichts
als der übelverstandene Satz schuld, daß alle unsre
Schicksale von Ewigkeit her bestimmt sind. Dies
ist die Ursache, warum sie sich der Gefahr, angesteckt
zu werden, mit aller möglichen Dreustigkeit aus-
I i 2 setzen.
500 OsmanischeS Reich
fetzen, allen Beystand der Arzneykunst verachten,
und durchaus keine Vorkehrung treffen, welche
dem Fortgang der Seuche Einhalt zu thun im
Stande wäre.
Dies also ist das Hauptübel, welches einigen
tnit diesem Klima verbunden zu seyn scheint, das
aber, wenn es auch seine erste Quelle in der Be-
schaffenheit der Witterung hat, unter jedem an-
dern Volke nicht so gefährlich als unter diesem seyn
würde, weil jedes andre Volk die natürlich mögliche
Vollkommenheit des Reiches durch politische Bildung
desselben besser zu erreichen suchen würde.
Produkts So wie überall, herrscht auch hier, wie wir in der
s) aus dem Folge noch mehr sehen werden, bey Erzeugung und
Pnanzenrei- Benutzung der herrlichen Produkte, welche diese ge-
segneten Landschaften in so reichem Maaße Hervor-
bringen, eine fast unbegreifliche Nachlaßigkeit. So
viele Anlage der Boden ZumGerraidebau hat, so
ist derselbe doch sehr eingeschränkt. Malzen und
IVlaie wird noch am meisten gebauet, so wie auch
Gerste und <Sii'fe, aber dennoch sind viele Gegen-
den sehr oft der Hungersnokh ausgesehet. Reiß hat
man in den südlichen Provinzen und in Servien, wo er
auch ein Gegenstand derAusfuhre ist; man konnte auch
in der Walachey welchen bauen, wenn die Einwohner
nicht zu trage dazu waren. Obst und edle Früch-
te sind sehr häufig, allein die Benutzung derselben
ist elend. Die Religion untersagt zwar den Gebrauch
des Meines, dennoch aber kömmt er in vielen Pro-
vinzen sehr gut fort, vorzüglich ist er auf der Halb-
insel Morea, verschiedenen gr^hischen Inseln, und
in der Walachey, wo man in einem guten Jahre
5oocoqo Eimer gewinnet, von" dem einige Arten
bey der schlechten Kultur schon den ungarischen an
Güte übertreffen. Korinthen, deren Vaterland
die
in Europa. 501
die Halbinsel Morea ist, kommen jetzt meist von den
Inseln, und jährlich mögen etwan Sooooo Pfund
von den Europäern abgeholt werden. Der Safran,
der vornehmlich in Rum-Ili und Boschnah-Ili ge-
baut wird, ist von vorzüglicher Güte, zum Theil
auch Gegenstand der Ausfuhr, könnte aber in weit
größerer Menge gebaut und abge fetzt werden. In
den griechischen Provinzen wächst die Baumwol-
lenstaude *), Tabak aber wird in allen Provinzen,
doch vorzüglich in der Moldau und Walachey,
Rum-Ili und Griechenland gebäret, und ist eins
der wichtigsten kandesprodukte, wiewohl der bey uns
sogenannte türkische Tabak aus dem asiatischen Theile
des Reiches kömmt. Holz endlich haben die Moldau
und Walachey am meisten, allein dem ohngeachtet
ist der eigene Schiffbau der Ofmanen von sehr geringer
Erheblichkeit, und noch unbeträchtlicher ist der Ab-
satz des Holzes.
Da der Bergbau bey den Türken von geringeres) aus dem
Bedeutung ist, so haben sie auch ihre Gebirge noch Mineralrci-
zu wenig untersucht, als daß sie einen großen Ueber-
flüß von Metallen und andern Mineralien haben
könnten. Die mehresten Metalle ziehen sie von den
Ausländern, Gold und Silber aber aus ihren
asiatischen Besitzungen. In der Moldau und Wa-
lachey siud ebenfalls Spuren dieser letztem Metalle.
Rupfer-und Eifeugruben sind hie und da im
Gange; Marmor haben alle südliche Gegenden, der
Marmor von ParoS aber ist vorzüglich seit den alte-
Ii 3 sien
*) Baumwollstaude (GoiTipidium hevbaceum), eilt
Strauch mittlerer Größe, mir weichen wolligten
Plättern. Die Blüchen sind wie die Rosenknospen,
welche dann aufschwellen und die Baumwolle in
sich haben. Die Frucht ist eine Art S«amm in
Erbstngröße.
502 Osmanisches Reich
sien Zeiten berühmt gewesen; auf Lemnos wirb auch
die bekannte Sregelerdc gegraben. Steinsalz
ist im Ueberflnsse zu finden; vorzüglich haben die
Moldau und Walachey ungeheure Salzberge, und
aus einer Salzgrube des letztem Landes werden allein
jährlich über 300000 Fl. gewonnen. Minerali-
sche (Quellen haben die gebirgigten Gegenden in
Menge, sie werden auch hin und wieder vornehmlich
zum Baden benutzet«
ch aus dem Was zuletzt die Erzeugnisse des Thierreiches
Lhierrriche betrifft, so gehöret dahin: die Menge Hornvieh
und Büffel in der Moldau und Walachey, Bessa-
rabien, Bulgarien und andern Provinzen, die noch
größere Menge Schafe, deren Wolle durchgängig
gut ist, und deren Anzahl allein in der Moldau und
Walachey auf vier Millionen geschätzt wird, Zie-
len, Pferde von vorzüglicher Güte, Schweine,
die sich gemeiniglich selbst Ln den Wäldern ernähren,
und häufig aus dem lande getrieben werden, Mild-
prer, auch Baren, Wölfe, Füchse, Luchse,
Dachse, Auerochsen» Fische werden im Ue-
berflnsse gefangen, auch perlenmuscheln vorzüg-
lich im schwarzen Meere. Die Bienenzucht ist
von beträchtlicher Stärke, besonders in der Moldau,
wo mancher Edelmann oft iocqq Bienenstöcke hat,
in der Bulgarey, Makdonia, Livadien. und andern
Gegenden des alten Griechenlandes« Die Ökono-
mie ist aber so schlecht, daß noch viel Wachs aus
andern ländern eingeführt werden muß. Ohngeach-
tet auch allenthalben Maulbeerbaume in Menge wach-
sen, so ist doch die Seidenwürnierzucht nicht so
wichtig als sie seyn sollte, die südlichen Provinzen
ausgenommen, da allein aus Salonichi jährlich fast
für 500000 Piaster Seide ausgeführt wird.
Schon
in Europa.
So?
Schon aus dem was wir bisher von vom Zu. Bevölkerung,
stände des türkischen Reiches gesagt haben, werden
unsre Leser sehr leicht die Folgerung ziehen können,
daß die Bevölkerung dieses Staates sehr unbetrachk-
lich seyn müsse. Wirklich behauptet man auch, daß
die ganze Volksmenge der europäischen Provinzen
nicht höher als auf acht Millionen zu sehen, also
kaum ein Dritthei! der Einwohner da sey, welche
bey bessern Einrichtungen sehr bequem darinnen wür-
den leben können. Als die wirksamsten Ursachen
dieses Volksmangels kann man folgende ansehenr
Erstlich die Pest, welche nicht selten die volkreichsten
Städte wüste, und die schönsten Gegenden öde ge-
macht hat; dann die herrschenden entnervenden Wol-
lüste, dis Vielweiberey, welche die Ehen so unfrucht-
bar macht, daß ein Türk mit vier und mehrern
Weibern gewöhnlich nicht mehr als aufs höchste sechs
Kinder erzeuget; die fast immerwährenden auswär-
tigen und innerlichen Kriege, den schlechten Zustand
der Nahrungs. und Erwerbszweige, und die ab-
scheulichen Bedrückungen, welche die Unterthanen
von den Paschen, Kadis und dem ganzen Heer ihrer
immer nach Beute begierigen Tyrannen erdulden
müssen. Seit 1740 fangen auch nicht allein Grie-
chen, Armenier und Wlachen, sondern sogar wirk-
liche Türken an, das'Land zu verlassen, und Ln das
österreichische, russische, polnische und ragusanische
Gebiet auszuwandern, wodurch die Bevölkerung
nothwendig immer mehr abnehmen muß.
Die Verfchiedenheit der Einwohner § welche
durch scharfe Granzen von einander getrennt sind-
und daher beständig in einer Art bürgerlicher Ent-
fernung leben, trägt vielleicht auch das Ihrige Zn der
geringen Bevölkerung bey. Außer den eigemüchen
Türken, oder besser Osmanen, sind die übrigen
Ji 4 Ei-?.
504 Osmanisches Reich
Einwohner: (Bvlechen, welche fast noch zahlreicher
alt die Olmanen sind, Al men rer, deren Anzahl
neoji den Griechen dle stärkste in allen Landschaften
ist, VL lachen, JUyrier, Juden ebenfalls in
sehr großer Menge, die bey allen ihren Reichthü-
mern nicht anders als Hunde genennt werden, und
bey aller Verachtung doch den stärksten Handel des
Reiches an sich gezogen haben, und in den meisten
Fallen das Wohlwollen und Zutrauen ihrer Hasser
genwßen. Ueberhies wohnen auch-noch viele Euro-
päer in den ofmanifchen Staaten, die, von welcher
Nation sie auch seyn mögen, unter dem allgemeinen
Namen.prunken begriffen werden. Sie und alle
ihre wirklichen Bedienten, wenn sie auch Landesein-
geborne sind, bezahlen keine Kopfsteuer, haben die
Freyheir in Religionösachen den Gebrauchen ihres
Landes zu folgen, auch ihre eigenen Nationalobrig-
keiten, oder Konsuln, Ranzler u. f. w. Vor-
züglich haben in den neuesten Zeiten die Russen ih-
rer Nation sehr vortheilhafte Bedingungen gemacht,
und sogar in der Moldau und Walachey Konsuln
angefeßt, die, wie einige Vorfälle beweisen, noch
mehr als bloße Abgeordnete vorftellen. So groß
aber übrigens auch die Freyheiten sind, deren die
Europäer zu genießen scheinen. so dürfen sie doch
unter einem Volke dieser Art-nie auf den unge-
kränkten Genuß derselben rechnen. Nichts von dem
demüthigenden türkischen Hofcerimoniel zu erwäh-
nen,'dessen wir in der Folge mit mehrerm gedenken
werden, so wissen die Osmanen mancherley Vor-
wand, wenn sie Geld von ihnen erpressen wollen,
und es darf nur ein Krieg mit irgend einer christli-
chen Macht ausbrechen, so ist Vermögen und Leben
der andern Europäer nicht zürn besten gesichert. —
Was übrigens die Eigenheiten der verschiedenen ge-
nannten Völkerschaften betrifft, so werden wir unter
der
in Europa. 505
der Rubrik: Karakter und Sitten, weitlauftiger da-
von zu sprechen Gelegenheit haben.
Alles, was Jndüstrie heißt, darf man nicht, Laudwlrch-
wenigstens nicht in hohem Grade bey einem Volke schaft.
erwarten, das selbst, in stolze, wollüstige Trägheit
versunken, von Herrschaft und Obergewalt über alle
Nationen träumet, und eine Regierung über sich
hat, die Reichthum des Volks der Ruhe des Staa-
tes gefährlich achtet. Daher kömmt es, daß der
Ackerbau, der doch für dieses Reich besonders wich-
tig seyn könnte, nicht allein völlig auf morgenlän-
dischen Friß, d. h. ohne alle Methode, bloß mecha-
nisch getrieben, sondern sogar beynahe unterdrückt
wird. Es fehlt nicht allein an guten Ack'erwerkzeu-
gen, an den gehörigen Kenntnissen von dech Zuberei-
tung des Landes, der Einsammlung und Aufbewah-
rung der Früchte, sondern der Türk ist überhaupt
zu stolz ein Ackermann zu werden, die Christen aber
nehmen nur dann ihre Zuflucht dazu, wenn ihr Ver-
mögen zur Handlung zu gering ist, so daß die
schönsten Ländereyen aus Mangel an Anbauern
durchaus verödet liegen blleiben. Damit auch die
Ackerleute nicht mehr bauen, als sie zu ihrer Noth-
durst und zu Bestreitung der Abgaben nöthig haben,
hat die Regierung den Ackerbau mit hohen Auflagen
beleget, und die Ausfuhr völlig verboten, so daß
das wenige, Korn, welches Morea, und einige In-
seln absetzen, heimlich aus dem Lande geschafft wer-
den muß. Nicht besser steht es um die übrigen
Theile der Landwirthschaft aus. Durch eine hohe
Auflage, welche die Besitzer der Weinberge für die
Erlaubniß ihre Trauben einzusammeln entrichten
müssen, wird der so wichtige Weinbau außer-
ordentlich erschweret, und Tabaköbau und Vieh-
zucht stnd noch die einzigen Gegenstände, welche mit
2i 5 etwas
506 Osmanisches Reich
etwas mehr Aufmerksamkeit als das übrige behimdekt
werden.
Manuf-cktu« Eben so ist es mit den Manufakturen: Make-
ren rmd Han» nalierr sind dazu da, auch fehlt es den Türken nicht
an natürlichem Geschicke, aber die Unwissenheit der
Arbeiter und die verkehrten Maaßregeln der Regie-
rung haben bisher die meisten Anstalten rückgängig
gemacht. In dem asiatischen Theile des Reichs ist
der Zustand des- Fabrikswesens noch blühender als
in den europäischen Provinzen, wo, außer der Haupt-
stadt, einigen griechischen und wenig andern Provin-
zialstadten, keine Manufaktur von Bedeutung besind-
lich ist. In Konsiantinopel, Orotschuk, und der
Insel Chio sind Seidenmanufaturen, auf welche
man große Kosten verwendet hat, die aber bey wei-
tem nicht so schöne Waaren liefern, als die andern
europäischen ; eben da und in Servien wird eine an-
sehnliche Menge Baumwolle verarbeitet, und in Orot-
schuk in Bulgarien ist auch eine Rauchtabaksfabrik.
Wenn man hiezu noch fetzet, daß die Ofmanen sehr gu-
tes Leder zu bereiten wißen, und sich sehr gut auf Far
ben des baumwollnen Garnes verstehen, so hat man al-
les erschöpft, was sich in Absicht der Manufaktu-
ren von der europäischen Türkey sagen läßt. Aber
weder diese noch die asiatischen Manufakturen sind im
Stande für die Bedürfniste der Einwohner hinrei-
chende Waaren zu liefern, daher auch die Haudlung
noch gar auf keinem vortheilhaft gegründeten Fuße
stehet. In Betracht der Lage und des Reichthums der
Produkte könnte, wie einsichtsvolle Beobachter be-
haupten , dieses Reich fast der erste unter allen han-
delnden Staaken seyn. Der persische Meerbusen,
das rothe und das mittelländische Meer sind eben so
viel große Laufbahnen, welche den wichtigsten Han-
delsoperationen geöffnet sind, aber unbenutzt in einem
Staate
in Europa^ 507
Staate bleiben müssen, wo der Handel, die wenigen
großen Städte ausgenommen, der Unterdrückung
geiziger Despoten und zahlreicher Räuberbanden
preisgegeben ist, wo sich die Kausteute, so gut sie
können, selbst schützen, und nach Beschaffenheit der
Umstände Niederlagen wählen und verlassen müssen»
Gesellschaften, die oft aus vielen tausend Personen
bestehen, und die man Rarwanen nennet, treten
zusammen, und ziehen von einem Ork nach dem an-
dern mit Maaren beladen, und durch Bewaffnete
begleitet, weil außerdem für geringere Haufen die
Gefahr des Verlustes weit größer als die Hoffnung
des Gewinnes seyn würde. Von allen diesen Kar-
wanen ist die, welche von Konstantinopel nach
Mekka in Arabien gehet, die ansehnlichste. Eigent-
lich ist zwar die Besuchung der heiligen Orte jenes
Landes ihr Hauptzweck, zugleich aber wird, da sie
auf 60 bis 80000 Personen anwächst, und kein
Pilger ohne ein Päckchen Maare dahin gehet, ein
unermeßlicher Handel dabey getrieben, und so der
geistliche Vortheil mit dem irrdischen verbunden,
Ueberyaupt aber ist die eigentliche rafinirte Handlung
eine viel zu geringfügige Beschäftigung für den stol-
zen Osmanen. Bloß der Provinzialhandel, und
aufs höchste der mit den österreichischen Staaten
wird von ihm betrieben, die andern Handelsunter-
nehmungen überläßt er den Griechen, Armeniern
und vorzüglich den Juden. Es wird auch nur sehr
wenig aus eigenen Schiffen verfahren, sondern die
europäischen Nationen holen und bringen die Maa-
ren auf ihren eigenen Fahrzeugen. DemohngeachteL
aber sind der Dinge, welche aus diesen Gegenden ge-
zogenwerden, soviel, daß das Uebergewichr.des Nu-
tzens gegen verschiedene Staaten völlig auf türki-
scher Seite ist. So betrug z. B. die Einfuhr nach
Salonichi in Makdonien im I. 1776 aus Frank,
508 Osinanisches Reich
reich, England, Italien und Teutfchland 3 112000,
die Ausfuhr dahin aber 4190000 Piaster; Ungarn
führte zwischen 1778 und 79 nur für 24177z Fl.
in die Türkey, und zog für 1328337 Fi. wieder
zurück. Frankreich gewinnt noch am meisten bey
der türkischen Handlung, daher ihm auch die Han-
delsvHrtheile, welche die Russen in dem Traktat vom
Jänner 1784, der ihnen die freye Schifffahrt in
allen türkischen Gewässern, Erlassung der Zölle und
andere Dinge mehr versichert, erlangt haben, sehr
unangenehm seyn müssen. Die Waaren, welche
man auö der Türkey holet, bestehen in Seide,
Wachs/ Wolle, Kupfer, Baumwolle und Garn,
Tabak, Häuten, Wein, Levante. Kaffee, Terpen-
tin, Gummi, Opium, Galläpfeln, Siegelerde,
Früchten, Pferden, Buxbaumholz, persischen Zeu-
gen, schlechten weißen Tüchern und dgl. Einge-
führt werden dagegen Tücher, Seidenwaaren, Me-
tallwaaren, Glas, Papier, Uhren, Pelzwerk,
Gewürze, Kaffee, Zucker, Bley, Zinn u. f. w.
Auch wird hierein sehr beträchtlicher Menschenhandel
getrieben, nicht nur mit Unglücklichen, welche.das
Waffenglück um ihre Freyheit gebracht hat, sondern
auch mit Mädchen und Knaben, welche in Tscher-
fassien, Georgien und andern Orten aufgekauft,
und als Kaufmannsgut wieder verhandelt werden.
Was das Münzwefen betrifft, so gelten hier
die Sorten andrer Länder so gut als da, wo sie ge-
schlagen sind, und österreichische und sächsische Spe-
cieö und Gulden sind in den entferntesten ofmani-
scheu Städten bekannt. Die eigenen Landesmünzen
werden von den Juden gepräget, und sind folgende:
In Gold, Alciire oder Dukaten (zwey Thlr. 2 Gr.
an Werth), Zechmi (2 Thlr. l 5 Gr.I in Silber,
Piaster Fl. 8 Kreuzer), Golota (1 Fl.),
in Europa. 509
Kup (6 Gr.), Groch (3 Gr.), Para (9 Pf.)
und Asper, welche so dünn sind, daß man sie mit
angeseuchteten Fingern ausheben muß, (3 Pf.)
Die Beutel, von denen man oft liefet, sind nicht
wirklich, und machen 500 Rthlr. aus.
Wernureinigermaßen mit der Geschichkd des Missenfchaf-
Alterthums bekannt ist, nur etwas von dem Gange ten undKün-
weiß, den Wissenschaft und Aufklärung genommen ha- ^c* ^
ben, ehe sie zu uns nördlichen Völkern gekommen sind, ir *
der wird auch wissen, daß Griechenland, also doch ein
ansehnlicher Theil desosmanischen Reichs in Europa,
die Mutter unsrer Kenntnisse, das erste Land in
Europa gewesen ist, in welchem Wissenschaften und
Künste geblühet haben. Griechenlands Sprache
war die Sprache der Dichter, Philosophen und
Redner, seine Staaten waren ^der Wohnsitz der
Weisheit, der Kunst und der feinsten Kultur, und
die Gelehrten schmückten sich meist nur mit griechi-
schen Federn. Hier, und in den Pflanzstadten der
Griechen auf den jonischen Küsten in Asien drüben,
lebten Orpheus, der erste uns bekannte Dichter
dieses Volks, Linus, ^omer, der- größte aller
Dichter der Vorwelt, -^estodus, Anakreon, die
Sapho, Aesop, Gimonides, pindar, So-
phokles, Euripidcs, Aefchylus, Aristo-
phanes und andere Dichter; die Gesetzgeber Mi-
nos, Lykurg und Solon; die Philosophen
Dhales, Anaximander, Sokrates, placo,
Aristoteles, Demokrit, Christpp, Epikur,
Zeno, p^rrho und Aarneades; die Redner
Ifokrates, Lystas und Demosthenes; die Ge-
schichtschreiber -^erodoc, Thuc^dides, Teno-
phon, polyb und plutarch; die Strabo,
Euklides, paufanias, Longinus, Hippo-
krares, Galen, Diogenes, Lucran und andere
5io Osnianisches Reich
berühmte Schriftsteller mehr, deren Werke noch
mer die Muster, und oft unerreichbaren Muster
unsrer neuern Gelehrten sind. Hier erblickte man
überall volkreiche blühende Städte, prächtige Tem-
pel, herrliche Bildsäulen und Gemälde, die Werke
der Hippodamus, Ballikrates, Mnestkles,
Phidias, Praxiteles, Mikon, Archidamus,
Thrasimedes, Polygnorus, parrhastus und
Apelles, Musik und Schauspielkunst auf einer sehr
hohen Stuft der Vollkommenheit, ein Volk geach-
tet durch seine Aristides, Agestlaus, perikles,
Themistokles und Epaminondas, und liebens-
würdig durch seine Aspasten, Leoncium und
Aristippe.
Schon unter der römischen Herrschaft artete
griechische Weisheit und Kunst gewaltig aus; die
erste sank zum SophistengeschwaH herab, und die
zwote ward eine feile Dienerinn des Luxus, bis end-
lich mit der Herrschaft des Christenthums beyde
gänzlich verschwanden. Die unaufhörlichen Zauke-
reyen der Klerisey, welche leider von dem orientali-
schen Hofe mit allem möglichen Ernste behandelt
wurden, versinsterken die Köpft, und die tobende
Verketzerungssuchi, von welcher die verschiedenen
Partheyen, die doch oft nur um einen Buchstaben
stritten, angesteckt waren, mußten nothwendig die
übelsten Folgen für die; Wissenschaften haben. Als
die Kirche sich wieder beruhigte, oder vielmehr Feuer
und Schwert sie beruhigt hatten, hörten denn zwar
die theologischen Fehden auf, aber dennoch waren
die neuern griechischen Schriftsteller Zonaras,
(edrenus, VTLcephorus, Sttidas und andere
nicht mit den altern zu vergleichen, und wahrfchein-
llicherweift wäre das orientalische Kaiserthum nach
und nach von selbst in eine völlige Barbarey ge-
sunken,
in Europa. 5»
funken, wenn die Osmanen auch diesen Ausgang
nicht beschleunigt hatten.
Dieses Volk ist noch bis auf den heutigen Tag d) Türken.
Zn den Wissenschaften nicht viel weiter gekommen,
als es damals war, da es, gleich einem alles verzeh-
renden Heuschreckenheer, wild und unbändig auS
Asien herüber drang , und wird auch immer mit die-
ser Geistesfinsternisi bedeckt bleiben, bis seine Reli-
gion durch künstliche Ausleger weniger fanatisch ge-
macht, und der Despotismus seiner Regenten mehr
eingeschränkt worden ist. Außer der Religion, wel-
che fast alle menschliche Kenntnisse verächtlich machet,
und außer dem Despotisme, der überall ein Feind
der Aufklärung ist, liegen auch in ihrer Sprache
und Schrift sehr große Hindernisse der Geisteskultur,
da die erste aus der sehr armen türkischen, und der persi-
schen und arabischen zusammen gestoppelt, die letzte
aber so verschieden ist, daß in den Kanzleyen, in
Briefen, in Rechnungen und in Büchern überall
andre Schriftzeichen üblich sind. Alle Anstalten zu
Beförderung der Wissenschaften sind hier in äußerst
schlechtem Zustande; unter hundert und mehrern ge-
meinen .Leuten ist kaum einer zu lesen im Stande;
Zeitungen und andre öffentliche Blatter sind gar
nicht bekannt; die Geistlichen und Richter wissen
meist nichts weiter, als daß sie den Koran lesen kön-
nen, und Bücher sind äußerst selten, weil man bis-
her keine Druckerey hatte, und für Privatleute da-
her die Anschaffung einer Bibliothek zu kostbar ist.
Hie und da giebt es indessen einen Mann, der sich
über den großen Haufen seines Volkes wenigstens in
etwas durch mehrere Kenntnisse erhebet. Dahin ge-
hört ein vor achtzehn oder neunzehn Jahren verstor-
bener Großvizir, 2vaghib pafc^a, welcher eine
ansehnliche Bibliochekgesammeltund dem öffentlichen
5i2 Omanisches Reich
Gebrauche gewidmet hat, so wie Mahmud und
Emm EffendL, welche vor etlichen Jahren in
Konstancinopel lebten. IbrahimEffendi warein
zum mohamedanjscheu Glauben übergetretener Un-
gar, aber ein guter türkischer Schriftsteller, der
auch zu Anfänge dieses Jahrhunderts die erste Buch-
druckerey anlegte, die abersogleich nach seinem Tode
wieder eingieng. Im I. i So wurden wieder zwo
Buchdruckereyen angelegek, die sich auch bisher er-
halten haben. Indessen fehlt es den Türken an ei-
ner Menge Kenntnisse, die sie auch schwerlich eher
erlangen werden, als bis sie ihre Verachtung gegen
alles, was nichtmohamedanischist, ablegen, sowie
ihnen der freye Geist des Nachdenkens mangelt, der
lnit Religionö - und StaatSverfajsnng ganz unver.
traglich ist. Ihre Geschichtbücher sind zwar ziemlich
zahlreich, weil sie allezeit einen Reichsgeschichrschrei-
der haben, der die gleichzeitige Geschichte auszeich-.
net, es fehlt ihnen aber an Ordnung, Richtigkeit
nnd gutem Vortrag; sie haben auch Gedichte voll von
orientalischem Schwulste, und astronomische Kennt,
nijse, die sie doch fast allein zur Astrologie benutzen,
wie denn jedesmal zween Sterndeuter bey Hofe sind,
die bey wichtigen Staatsangelegenheiten um Rath
gefragt werden.
Noch weit mehr als in den Wissenschaften sind
die Osmanen in den Künsten zurück. Ihr Geschmack
ist äußerst roh, bunte scharf abstechende Farben,
reiche Vergoldungen, Aufeinanderhausung unsin-
niger Zierrathen tst alles, was sie bey den bildenden
Künsten schätzen. Figuren von Thieren und am
allerwenigsten von Menschen können sie gar nicht
leiden; deswegen haben sie die herrlichsten Ueber-
bleibsel des Alterthums zerbrochen- und daher be.
haupren sie, am jüngsten Gericht würden alle
Figuren
in Europa. 513
Figuren, welche ein Mahler gemacht hat, zu ihm
kommen und ihre Seelen von ihm fordern. Eil?
solches Volk kann wohl keine Mahler und Bildhauer
haben. Zn der Baukunst sind sie weiter gekommen,
und unter ihren Metfcheds und Badern sind ver-
schiedene, welche wirklich schön genannt werden kön-
nen. Ihre Musik ist ein abscheuliches Geheule,
und ihre Schauspiele dürfen kaum mit diesem Na-
men genannt werden.
Wo die Herren unwissend sind, da kann man <0 Griechen
bey den Knechten schwerlich große Weisheit erwar- und Ärms-
ten, und man würde sich sehr irren, wenn man furnm:‘
die Unwissenheit der Osmanen bey ihren christlichen
Unterthanen Entschädigung hoffte. „Das itzige
--Griechenland, sagt ein scharfsinniger Reisender,
„ist in Vergleichung mit dem alten ein Greis, der
„in seiner Jugend ein Held war, in seinem hohen
„Alter kindisch wird, und sich von dem Eigensinne
„seiner Magd regieren laßt.« Mit der Freyheit ist
auch fast der letzte Funke von Geisteskraft unter den
Griechen verschwunden, und alle ihre Gelehrten,
die nicht auf fremden Universitäten studiert haben,
sind so unwissend als ihre Priester, von denen nur
sehr wenige etwas, das einer Predigt ähnlich ist, zu-
sammenbringen können. Auf ihren sogenannten
Gymnasien wird weiter nichts als etwas altgrie-
chisch, scholastische Philosophie und Theologie getrie-
ben; die Geschichte, Mathematik und alle übrigen
Wissenschaften sind mit der greulichsten Barbarey
bedecket, und selbst die Arzneykunst, welche doch
4>on den Griechen fast ausschließlich in der Türkey
ausgeübt wird, ist in sehr kläglichen Umstanden.
Die Gelehrten dieser Nation, von denen Biörnstahl
Nachricht hatte, oder die er selbst kannte, waren
Meletios, Bischof von Athen, der im gelehrten
11 Band. H Abth. K k Gris-
;i4 OsmanischeS Reich
Griechischen ein geographisches Werk verfertigt hak,
Eugenio Bulgaris und Polykarp, welche bey-
de in der alten Sprache und der Mathematik gute
Kenntniß hakten, Nikolao Rarazia, welcher
verschiedene historische Schriften ins genreine Grie-
chische überseht hat, Joachim, Bischof von An-
chial, Rasim, Demetrius phalerius, Ana-
Mas, Bischof zu Zarko, Ambrosius Trikkio,
Erzbischof von Trikkala, Elkstarhius Nosima-
chus und Georgins Triandasilo. Allein alle
diese Männer erheben sich nur über ihre Landsleute;
und wenn inan sie mit ihren Vorfahren, oder an-
den europäischen großen Gelehrten vergleichet, so
verlieren sie gewiß bey dieser Vergleichung. Sie
besitzen noch viele, zum Theil gewiß auchgute Hand-
schriften, aber sie liegen unbekannt in den Klöstern
unter hundertjährigem Staube begraben, und nie-
mand giebt sich die Mühe sie zu lesen. Die Liebe
für die Künste ist unter ihnen erloschen, und die Bil-
der, welche ihre Heiligen vorstellen , zeigen genug-
sam ., daß sie keine alten Griechen mehr sind.
Eben so und fast noch kläglicher steht es um die
Wissenschaften der Armenier, die, außer ihrem
Lurch langwierige Kriege zerstörten Vaterlands zer-
streut, in blinder Anhänglichkeit an ihre Geistlich-
keit ohne alle weitere Kenntnisse als diejenigen, die
sie unumgänglich zur Handlung, welche ihr Haupt-
gewerbe ist, nöthig haben, leben.
Ka kalter, So schwer es auch ist, eine durchaus vollstan-
Sitten und hige Schilderung von einem Volke zu machen , wel-
Dergnügun- einige Schriftsteller mit den schwärzesten Farben
3) Türken Silbern, andre zu einem Gegenstand der höchsten
Verehrung zu erheben suchen, und das man aus
Mangel eines genauen Umganges nur wenig zu ken-
neu im Stande ist, so wollen wir doch versuchen,
unfern
in Europa.
515
r;nfern Lesern eine so genaue Beschreibung als möglich
zu liefern , da seine Sitten und Gebräuche, die ge-
rade das Gegerrrheil von den unsrigen sind, wirklich
unsre Aufmerksamkeit verdienen. Die Stammvater
der Osmanen, die Scykhen, mögen sehr häßliche
Leute gewesen seyn, ihren Nachkommen aber, die
nun unter einem milden Klima wohnen, und durch
meist schöne Mütter aus andern Nationen ihr Blut
veredelt haben, kann es niemand streitig machen,
daß sie in Absicht ihres Wuchses, ihrer Gesichts-
bildung, der Stärke und Behendigkeit ihres Kör-
pers wirklich schön genennt zu werden verdienen»
Auch ihr Karakter, der auö alten scokhischen, ara-
bischen und griechischen Bestandteilen zusammenge-
setzt scheinet, ist bey weitem so schlimm nicht, als
^hn viele vom Religionshaß hingerissene Schriftsiet,
ler geschildert haben, sondern aufs höchste eine fon-
derbare Vermischung von Tugend und Lasier. Ein-
genommenheit von sich selbst ist einer der Hauptzüge
in dem Karakter der Osmanen: ihrer Einbildung
nach ist kein Volk so weise und so glücklich, keine
Religion so trefstich, keine Staatsverfassuug so voll-
kommen als die ihrige. Daher entsteht ein großer
Theil ihres Zurückbleibens in allen Arten der Kultur;
daher kömmt e6 aber auch, daß sie jede andre Sta-
tion mit Schimpfnamen belegen, und Christen so-
wohl als Jude" mit der auffallendsten Verachtung
begegnen. Sie sind freygebig, vorzüglich gegen ihre
RcligionSgenossen, von denen man keinen betteln
stehet, auch gegen ihre Sklaven, die überhaupt weit
besser siehen, als die sogenannten Leibeigenen an vie-
len Orten der Christenhelt, und die man gar nicht
.— welches ja auch dem Vortheil ihrer Herren zu-
wider wäre — so unmenschlich behandelt, als die
fromme Dummheit uns zu bereden suchet; gasiftey,
wie denn viele Muselmänner (so nennt man die
Kks An-
5i6 Osmanisches Reich
Aichanger d?6 Mohämedifmus) öffentliche Herbergen
(Cl)ar. .) erbaut haben, in denen jeder Reisende freye
Wohnung und auch wohl Unterhalt empfanget^
demöhngeachket aber find sie wieder von dem schmu-
tzigsten Geize besessen, so daß man alles, waö sich
nur denken laßt, mit Gelbe erkaufen kann. Sie
sind trag und wollüstig, und dennoch feurig bey ihren
Unternehmungen, mitleidig sogar gegen daö Unge-
ziefer, das sich bey allem ihrem Waschen an ihnen
erzeuget, und grausam gegen die, mit denen sie Kriege
führen, dumm und abergläubisch, unb dennoch li-
stig und duldsam, ernsthaft im Umgänge, und doch
nicht fähig das geringste Geheimniß zu bewahren;
mit den höchsten Begriffen von ihrem Sultan erfüllt,
nnd doch bey dem geringsten Anlasse fertig ihn des
Throns und des Lebens zu berauben. Ihre Sitten
sind ganz orientalisch, den unfrigen, wie wir schon
erwähnt haben, in allem, selbst in Kleinigkeiten, ent-
gegen. Wir wollen wenigstens die vorzüglichsten
davon ausheben. Erstlich die Kleidung, welche in
der ganzen Türkey nicht den Gesetzen der Mode un-
terworfen , sondern so alt als die Stiftung des Rei-
ches ist. Sie besteht gewöhnlich aus Ober. und
Unterkleid, von denen dieses enge Ermel hat, und
um die Hüfte mit einem Gürtel gebunden ist, in
welchem eine Art Sabel, Pistolen und dergleichen
stecket, jenes aber von den Schultern herabhangt
und nach Beschaffenheit der Jahreszeit von leichter
oder wärmender Materie ist. An ihren Füßen tra-
gen sie leichte Pantoffeln, und diese auöziehen, ist
eben die Höflichkeit als bey uns das Abnehmen des
Hutes. Dazu kommt der Duldend (Turban),
ein mit Baumwolle auSgestopfker und mit Neffeltu-
che umwundener Kopfschmuck, aus dessen Gestalten,
Farben und Größe manille Stände von einander
unterscheiden kann, Beinkleider, welche so weit sind,
daß
in Europa. 517
daßzuweilen 40 Ellen | breite Leinwand zu einem Paa-
re erforderlich sind, und ein Knebel-oder langer Bart,
dagegen sie die Kopshaare alle glatt abscheeren. Die
Frauenzimmer unterscheiden sich wenig von den Män-
nern, statt des Turbans aber tragen sie gewöhnlich
eine gestreifte Haube mit vier Spitzen, unter wel-
cher daö Haar in Flechten über den Rücken herab-
hangt. Gold und Silber steht man an keiner Klei-
dung; selbst der Sultan unterscheidet sich blos durch
eine Menge Juwelen und einen Busch Reigerfcdern
auf seinem Turban, auch tragt er keinen gewöhnli-
chen Pelz, sondern eine Art Frak mit demantnen
Knöpfen und kostbarem Rauchwerk gefüttert, der
wohl 40 bis 50 Beutel (20 bitf 25000 Thlr.) Zu
stehen kömmt. So wie ihre der Gesundheit und
dem menschlichen Körper weit mehr als die unsrige
angemessene Kleidung, ohne jenes lächerliche Blend-
werk ist, wodurch man unter uns so leicht dle Augen
und die Achtung des großen Hausens auf sich ziehen
kann, so sind auch ihre HauSgerathschaften gewöhn-
lich nichts weiter als unentbehrliches Bedürfniß.
Der abgesondertste Theil in den großem Hausern
dienet zum Aufenthalte der Weiber, deren ein Türk
verschiedene haben darf, wie wir weiter unten anfüh-
ren werden; das untere Stockwerk wird fast immer
zu Waarenmagazinen, Stallen und Kellern gebrau-
chet; in den höhern aber lauft inwendig eine Gallerie,
die zum Spatzierengehen bestimmt ist. In den
Wohnzimmern ist rings an den Wanden herum ein
bequemer Sopha, auf welchem sie mit kreuzweise
über einander geschlagenen Beinen sitzen, und der
ihnen auch zum Bette dienet; übrigens aber sind we-
der Tische, Stühle, Schranke, Büsten noch derglei-
chen zu sehen. Auch ihre Nahrungsmittel find ein-
fach, nur sind sie im Gebrauch des Gewürzes und
deö Oeleö, dessen sie sich statt der Butter bedienen, >
Kk z ziem-
;i8 Osmanisches Reich
ziemlich unmäßig. Reis ist eine der gewöhnlichste»
Speisen, besonders pilio, wozu sie den Reis so
lange kochen lassen, bis alle Feuchtigkeit verdampft
ist, worauf sie Fett oder Oel darüber hergießen.
Fleischspeisen sind selten, gewöhnlicher BtMM-und
Gartensrüchte. Arme Leute essen Salz und in der
Asche gebackenes Brod, Knoblauch , Zwiebeln,
Oliven, Gurken und Melonen. Wenn sie essen
wollen, breiten sie ein rundes Stück Leder auf die
Erde, um welches sich die Gaste mit kreuzweise ge-
schlagenen Füßen oder auf den Knien herumlegen,
und dann mit hölzernen Löffeln, und mit den Fingern
zu essen anfangen. Wein ist ihnen durch ein Reli-
gionsgesetz zu trinken verboten, daher bedienen sich
Die Gewissenhaften starker gebrannter Wasser, des
0cbeirbcte und des Kaffees, den sie sehr stark oh-
ne Milch und Zucker den ganzen Tag zu trinken ge-
wohnt sind. Eben so lieben sie auch den Tabak,
und der Gebrauch des Opium ist so stark unter
ihnen, daß sie wirklich gewissermaßen davon be-
rauscht werden.
Ihr gesellschaftlicher Umgang ist äußerst ernst-
haft und trocken, denn da das weibliche Geschlecht
von allen Gesellschaften ausgeschlossen ist, so kommen
sie zusammen, trinken Kaffee, rauchen Tabak, sehen
einander an, ohne fast ein Wort zu reden, lassen
sickmit wohlriechendem Wasser besprengen, und mit
Rauchwerk berauchern, und gehen dann mit vielen
ernsthaften Zerimonien wieder aus einander. Er-
laubten sie den Weibern sich in die Gesellschaften zu
mischen, so würde dieser steife Zwang bald leichteren
Sitten Platz machen müssen, aber hier ist das Weib
bloß Opfer der Wollust; und selbst in die ökonomi-
schen Angelegenheiten darf es sich nicht mischen.
Eingesperrt, so lauge sie noch unverhcurathet sind.
in Europa.
5i9
eingesperrt, wenn sie Männer haben, oder, wenn sie ja
ausgehen, dicht verschleyert und mit Verschnittenen
umringt, zu Hause von der Eifersucht des ManneS
und dem Neid, oder der Verachtung ihrer Neben-
weiber gequält, ist ihr Loos so bedauernöwerth, als
sie selbst bloS belebten Maschinen gleichen. — ES
dünkt unö hier der schicklichste Ort zu seyn, ehe
wir weiter gehen und noch etwas über die Vergnü-
gungen der Türken hinzufugen, die Zerimonien zzu
berühren, welche bey Verheurathungen, Verstos-
sungen u. s. w. üblich sind. Die Che ist bey den
Türken nichts weiter als ein bürgerlicher Vertrags
den die Partheyen, wenn sie nicht mit einander zu-
frieden sind, wieder aufheben können. Diese achten
Ehen werden vor der Obrigkeit abgeschlossen, mb
dann das Weib zu Pferd in Begleitung männlicher
und weiblicher Sklaven in das Haus des Mannes
geschickt. Gemeiniglich sind sie bloß ein Werk deK
Interesse, und die Verehlichken haben sich nie in ih-
rem Leben gesehen. DerKoran erlaubt vier derglei-
chen rechtmäßige Weiber, die auch bey ziemlich
leichten Beschwerden aufdie Scheidung dringen kön-
nen. Männer können ihre Weiber dreymal verftos-
sen und wieder annehmen, das dritte mal aber muß
das Weib, ehe sie zu ihrem Gatten zurück kehren
darf, einen andern, gemeiniglich auf 24 Stundet»,
Heurathen. Außerdem kann man auch Weiber auf
eine gewisse Zeit miethen, und jeder darf so viel?
Keböweiber, welches geraubte oder von ihren El-
tern verkaufte Mädchen sind, kaufen als er zu ernäh-
ren iin Stande ist, deren Kinder mit den achteheli-
chen Nachkommen völlig gleiche Rechte genießen.
Diese den unftigen so gerade enkgegenlaufenden Ge-
bräuche, diese Herabwürdigung des weiblichen Ge-
schlechts sind völlig im Geschmack der Orientaler,.
Md.tzie Türkei wundern sich eben so sehr über die
Kk 4 Frey»
520 Osmanisches Reich
Freyheik, die wir den Weibern lassen, als es uns
befremdet, sie bey ihnen gleichsam nur als Haus-
thiere behandelt zu sehen.
Die Osmanen lieben das Vergnügen, aber die
Entfernung des weiblichen Geschlechts bringt auch
in alle ihre Lustbarkeiten eine unausstehliche Leere,
und ihre natürliche Trägheit hält sie von denen zurück,
wobey sie sich selbst viel in Bewegung setzen müssen.
Das Dscherid ausgenommen, welches eine Art
Kriegsübung zu Pferde ist, und im Spießwerfen
bestehet, haben sie selbst keine öffentliche Lustbarkeit,
die den Körper bewegte. Seiltänzer, Klopffechter,
Marionettenspieler, Musikanten und dergl. ziehen
zwar häufig im Lande herum, sind aber Griechen
und Juden, und der Muselmann sitzt bloß dabey
und sieht ihnen mit stummem Staunen zu. Karten-
und Würfelspiel ist ihnen durch den Koran verboten,
Schach aber und Mangala, wo sie Bohnen in die
Löcher eines dicken Bretes zahlen, sind ihnen erlau-
bet. Ihr liebstes Vergnügen aber ist , wenn sie am
Wasser und an der Landstraße beym Schall einer
schlechten Trommel und etlicher rauhen Blasinstru-
mente sitzen, und die Pseise im Mund ein paar
Stunden zubringen können. Zuletzt dürfen wir auch
den Gebrauch des Bades nicht mit Stillschweigen
übergehen, welches als Religionspflicht und Ver-
gnügen in sehr großem Werthe stehet. Ueberall
selbst auf den Dörfern sind öffentliche gewöhnlich von
Steinen erbaute, recht gut in die Augen fallende
Bäder, welche jedermann ohne Unterschied des Volks
und der Religion offen stehen. Man zieht sich erst
in einem Saale aus, wo man ein blaues leinenes
Tuch, die Mitte des Leibes zu bedecken, und ein
Paar Pantoffeln bekommt. Darauf wird man in
die Badestube geführt, um zu schwitzen, und wenn
in Europa. 521
der Schweiß ausbricht, wird man'von einem Auf-
wärter gewaschen, mit einem pferdehärnen Hand-
schuh gerieben, mit Seife beschmiert und wieder mit
Wasser begossen. Nachdem man nun ein andres
trockenes Tuch erhalten, geht man in einen andern
Saab, wo man; gewöhnlich viel Gesellschaft findet,
mit Scherbet, Tabak und Kaffee bedient wird, und
für die ganze Bedienung nicht mehr als ekwan sechs
Groschen zu bezahlen hat.
So sehr groß auch die Barbarey seyn mag,d) Grieche».'
in welche die griechische Nation versunken ist, so findet
man doch vorzüglich auf den Inseln des Archipe-
lags, oder sonst in der Entfernung von den großen
Städten, viele unverkennbare Züge der alten Grie-
chen in ihnen wieder. Erstlich find die schönen For-
men männlicher Kraft und weiblicher Schönheit,
von denen die alten Künstler ihre herrlichen Gestal-
ten entlehnten, immer noch nicht selten unter ihnen,
und alle Reisende sprechen mit Entzücken von den
griechischen Damen, deren jede in ihrer Kleidung
einer Juno, oder was für eine Göttinn sonst der
Künstler verlangte, zum Muster dienen könnte.
Denn nur die Männer haben, den Turban und die
grüne Farbe ausgenommen-, die türkische Kleidung
ganz angenommen, und die Weibertracht hat im-
mer noch sehr viel ähnliches mit der alten. Sie
tragen einen Pelz, und unter demselben ein Kleid
von Seide oder Baumwolle, welches oben dicht an
den Leib schließt, und unten eine Menge Falten
wirft; ihr Busen ist bloß mit einem Nesseltuch be-
deckt. Den Leib umgiebt ein reicher Gürtel, und
der Kopfpuh istganz simpel, mit Blumen und Per-
len geschmückt, das Haar in vielen Haarflechten den
Rücken herabfallend. Nur ihre Schuhe und Strüm-
pfe sind häßlich, denn statt der alten geschnürten
K k 5 Fuß.
522 Osmamsches Reich
Fußbekleidung tragen sie große weite Beinkleider,
an denen unten gelbe Halbstiefeln sitzen. Noch
herrscht die alte Sitte, weder Gutes noch Böses von
den Weibern zu reden; noch ist der Grieche so stolz
auf sein Vaterland, so prahlerisch, so eigennützig,
gewinnsüchtig und eitel, so fähig etwas zu begreifen,
aber auch jo flüchtig blos mit der Oberfläche zufrie-
den zu styn, so schmeichelhaft in seinen Ausdrücken,
so verschmitzt, so treulos, so leichtgläubig als uns
die Geschichte seine Vorfahren mahlet. Die Sit-
ten und Gebräuche sind eine Vermischung deö alten
Nationalgeistes mit Christenthum und Mohamedif-
mus. An den ersten erinnert außer der weiblichen
Kleidrmg, ihre Sprache, die sich zu dem gelehrten
oder alten Griechischen verhalt, wie das Italienische
zum Lateinischen; die Art Betrübniß zu bezeigen,
welche noch die alte Zerreißung der Kleider und
Stehenlassen des Barts und der Haare ist; ihre
Tanze, welche mit den alten uns bekannten Tanzen
eine auffallende Ähnlichkeit haben. Ihre innre
häusliche Einrichtung, ihre Nahrung und dergl.
ist völlig türkisch, und so sehr sie die Türken auch
Haffen, und so viele niederträchtige Begegnungen sie
f?ch von ihnen müssen gefallen lassen, so sind sie doch
sklavische Nachahmer derselben. Ihr Zustand iss
übrigens ziemlich erträglich, und die Stetten der
Dollmekscher so wie die Fürstenstühle Her Moldau
und Walachey werden allemal mit Griechen besetzet.
Die geringern der Nation sind Gärtner und Acker-
Leute, oder sie treten bey Christen und Türken in
Dienste; andre beschäftigen sich mit der Handlung,
Legen sich auf mechanische Künste, sindHandwerker
und Fabrikanten, und noch ein Theil arbeitet
im Arsenale und, , dient als Matroß auf den
Schissen.
in Europa. 523
Ohne Anspruch auf Gelehrsamkeit oder Witz, c) ArmeniU.
sind die Armenier doch ein gutes, sparsames, einge-
zogen lebendes uno arbeitsames Volk, das zum Han-
del gleichsam geboren zu seyn scheint, und Eigennutz
des Kaufmanns mit Billigkeit und Redlichkeit recht
gut zu vereinigen weiß. Ihre äußere etwas plumpe
geistlose Gestalt und Gesichrsbildung, und ihre harte
rauhkönende Sprache, sind so wenig empfehlend als
ihr? ü riaen Gebrauche, Ln denen sie unter allen im
Reiche wohnenden Nationen am meisten den Türken
nahe kommen. Diejenigen von ihnen, welche nicht
Kaufleute sind, nähren sich von Handarbeiten, Mas
nufakturen unb andern Gewerben; von öffentlichen
Bedienungen aber sind sie gänzlich ausgeschlossen»
Die Religion, zu welcher sich die Osmanen Religionszu»
bekennen, ist die Lehre Mohämeds, die sie selbst stand.^
Islam, den wahren Glauben nennen, und in wek-
cher sie dem Begriffder Sekte Sunni folgen. Die
Geschichte Mohämeds, die Beurtheikung seiner Per-
son, feines Karakters unb seines Werthes als weiser
und menschlicher Gesetzgeber gehören nicht hieher,
sondern in die Beschreibung Arabiens feines Vater-
landes; einen kurzen Begriff der mohämedanifchen
Lehre und ihrer Cerimonien aber muffen wir hier
um fo mehr mittheilen, da dieVorsteklungen, welche
sich viele Leute davon machen, höchst irrig und un.
gereimt sind. Mit so widersinnigen Erdichtungen
und Schimären auch der Txoran (neben welchem
die Osmanen auch noch die Sr-mnet, efne von
Abubckr verfertigte Sammlung von Mohameds
Reden und Thaten annehmen) oder das von Moha-
med verfaßte Glaubens - und Gesetzbuch angesülktist;
so sehr überall darinnen das Bestreben hervorleuch-
tet, der Sinnlichkeit und vielen Volksbegriffen seiner
Nation so wenig als möglich wehe zu chun, so erha-.
bene
524 Ofmanisches Reich
bene Begriffe von der Gottheit, sogeiunde moralische
und so nützliche bürgerliche Regeln enthalt dieses,
ehedem unter den Christen fast für ein Werk des
Teufels verschrieene Buch. Folgendes find ohnge-
fahr die Hauptsätze seiner Glaubens - und Sitten-
lehre: Es ist nur ein Gott und Mohamed ist sein
Prophet. Gott hat ehemals die Büche? des alten
und neuen Testamentes unter den Menschen bekannt
machen laffen, da diese aber mit der Zeit verfälscht
und unnütz worden sind, hat er denselben den Koran
beygefüget, und Mohamed seinen Geliebten erwe-
cket, die neue der menschlichen Schwachheit ange-
meßnere Religion bekannt zu machen. Es ist ein
einiger Gott, ewig, unveränderlich, allmächtig,
allwissend*), wahrhaftig, gütig und gerecht. Je-
sus ist nicht wahrhaftiger Gott, sondern ein Prophet
gleich Mohämed, an dessen Stelle die Juden einen
andern, der ihm gleich sähe, gekreuziget haben. —
Gott hat Himmel und Erde geschaffen, auch En-
gel, von denen diejenigen, welche sich weigerten dem
erschaffenen Menschen ihre Ehrerbietung zu bewei-
sen, aus dem Himmel gestoßen worden sind. Er
hat alle unsre Schicksale in seinen Händen, leitet
auch einige Menschen zur Tugend, andre zum Laster,
ob er schon gnädig ist, und Sünde vergeben will,
wenn er darum gebeten wird. Nur wer glaubet und
gute Werke thut, wird am Tage des Gerichts vor
Gott bestehen, und in das Paradies eingehen, wel-
ches ein Sammelplatz der höchsten sinnlichen Freuden
feyn wird. Das sind die Grundsätze des Mohäme-
dismus,
*) Diesen Lehrsatz drückt Mohamed mit folgenden
nach orientalischer Bildersprache höchst erhabenen
Gedanken aus: Wenn in der schwärzesten Nacht,
auf dem schwärzesten Marmor, die schwärzeste
Ameise kröche, so würde sie doch den Augen GottcS
nicht entgehen.
in Europa. 525
dismus, wie der Koran ihn vortragt, die man aber
freylich aus dem Schutt verunstalteter biblischer
Erzählungen, widersprechender Urtheile, und alber-
ner Mahrchen hervorsuchen muß, und die auch bey
Völkern, wie diejenigen sind, welche den Mohame-
dismus annehmen, keine weitere Ausbildung, Kri-
tik, Umformung u. st w. erfahren können. Die
Sittenlehre des Korans ist meist rein und lauter; sie
empfiehlt die Barmherzigkeit, die Versöhnlichkeit
sogargegen die ärgsten Feinde, und überhaupt alle
moralische Tugenden; nur in Absicht der Keuschheit
hat Mohamed seinem eignen und dem Temperament
seiner Landsleute geschmeichelt, dafür aber eine
Menge Dinge zu Religionöpflichten und guten ver-
dienstlichen Werken gemacht, die, wenn sie auch den
heißen Klimaten angemessen sind, doch eine be-
schwerliche Last für jeden seyn würden, der nicht
darinnen Mittel zu seiner Seligkeit zu erblicken
glaubte. Dahin gehört das Gebet, welches fünf-
mal des Tages, wo man sich auch befinde, zu ge-
wissen festgesehten Stunden geschehen muß, wobey
die Beugungen, daö Richten des Gesichts nach der
Gegend von Mecka in Arabien ebenfalls vorgeschrie-
ben sind, und welchem eine Waschung der Hände,
deö Gesichts, der Arme, Füße u. st w., die auch so
genau bestimmt ist, vorhergehen muß. Daher find
auch auf allen Landstraßen von frommen Muselmän-
nern Springbrunnen angelegt worden, ob schon
in Ermanglung des Wassers auch Staub zur Reini-
gung hinreicht. Eine andre Religionspflicht ist die
Almosensteuer, kraft welcher jeder verbunden ist,
jährlich eine gewisse Summe, meist den Zehnten,
zu Unterstützung der Armen, Erbauung von Met-
schedö und dergleichen auch zur Unterhaltung der
Thiere beyzutragen. Ein dritte^Gefetz legt ihnen
strenge Fasten auf, von .denen derRamastan, der
dreyßiy
526 Osmanisches Reich
dreyßlg Tage wahret, binnen welchen (wohl zu ver-
stehen, nur so lange bis der erste Stern am Himmel
sichtbar wird) keiner das geringste an Speise und
Trank zu sich nehmen darf, die längste ist. Den
Tag nach geendigtem Ramassan, nimmt das Dei-
ram, weiches zum Andenken der Opferung Isaaks
eingesetzt ist, seinen Anfang. Dies Fest darre» t drey
Tage, und nur da scheint der Türk seinen gewöhn-
lichen Ernst in laute Frölichkeit zu verwandeln. An-
dre Feste sind das Äurban-Beiram oder Opfer-
fest, an dessen erstem Tage jeder nach seinen Ver-
inögenSrrmstanden Fleisch unter die Armen vertheilet,
und das Meulud oder Geburtsfest des Propheten,
welches mit der stillsten Devotion begangen wird.
Viertens ist die Wallfahrt nach Mecka ein so wich-
tigeö Stück der Religion, daß sie jeder wenigstens
durch einen Bevollmächtigten einmal in seinem Le-
ben verrichten muß, und derjenige, weicher sie recht
oft macht, für einen des Paradieses vollkommen
würdigen Menschen angesehen wird. Nach diesem
heiligen Orte gehen vorzüglich fünf Karwanen, die
Kaaba, ein altes Gebäude der Araber, welche nach
Mohamed schon von Adam erbaut ist, zu besuchen,
einen eingemauerten schwarzen Stern zu küssen und
andere Zerimonien zu beobachten. Weniger zur
Seligkeit nothmendig ist die im Koran zwar nicht
befohlne, aber als ein ehrwürdiger Gebrauch beybe-
haltne Beschneidung, welche mit vielen Zerimonien
und Lustbarkeiten im dreyzehnten oder fünfzehnten
Jahre der Knaben vorgenommen wird; ferner die
Enthaltung vom Wein, pom Erstickten und vom
Schweinesteische, und die Heiligung des Freytags,
welches der ordentliche Feyertag der Mohamedaner
ist. Es ist zwar alle Tage Gottesdienst in den Met-
fcheds, wenn dieGebeczerten sind, allein der am
Frei-tage dauert langer, und es werden Stücke aus
dem
in Europa. 527
Hem Koran vorgelesen, auch wohl Predigten gehal-
ten. Im übrigen aber ist der Freytag den andern
Werktagen vollkommen gleich.
Die Metstheds, (nicht Moscheen oder gar
Mosqueen, wie man den Franzosen zu Gefallen
schreibet) oder gottesdienstlichen Versammlungöörter
derOstnanen sind prächtige Gebäude, alle von einer
Figur mit einer Kuppel, und aus den Seiten mit
runden Thürmen Mmnarers, von denen das Volk
zum Gebet zusammengerufen wird. Die Dächer
sind mit Bley; Wände, Boden und Gange meh-
rentheils mit Marmor bedeckt, und die Säulen in
den größer» ebenfalls!von gutem Gestein aufgeführt.
Statt Stühlen und Banken werden auf den Boden
Teppiche gebreitet, an den Wanden hangen kostbare
Lampen, und nach der Gegend von Mecka zu ist
eine Art Kanzel. Rings umher sind mehrentheils
kleine Alleen, und in der Nahe der kaiserlichen
MetschedS trifft man Hospitäler und andere milde
Stiftungen an. Diese Melschede sind weit reicher
als selbst die begütertsten katholischen Kirchen und
Klöster. Ehedem erhielten sie den dritten Theil der
eroberten Lander, noch find den kaiserlichen die Ein-
künfte ganzer» Provinzen angewiesen, und reiche Leute
geben noch täglich ihre Schatze der Kirche hin.
Die Sankt Sophienmetsched in Konsiantinopel soll
täglich 10000 Fl. Einkünfte haben, und die Reich-
thümer müssen sich um so mehr immer anhaufen,
da nicht das geringste — es sey denn sreywillig —
zu Staatöbedürsnissen verwendet werden darf, und
also nur die Unrerhaltukrgskosten der Gebäude nebst
den kleinen Besoldungen der ImanS oder Geistlichen
davon genommen werden.
Die ofmanifche Klerifey (Ulema) bestehet
aus vielen Personen, die aber, weil der Koran zu»
;r8 OsmanischeS Reich
gleich Gesetzbuch ist, soviel mit bürgerlichen Angele-
genheiten zu thun haben, daß eine geistliche Person
und ein Rechtögelehrter hier völlig einerlei) sind. Der
Mufti ist der vornehmste von allen, dessen Gewalt
nach des Sultans seiner die unumschränkteste ist, da
keine innere oder äußere Staatöverhandlung ohne
sein vorhergehendes Gutachten oder Fetfah unter-
nommen werden darf. Seine Wahl hangt von dem
Sultan allein ab, und seine jährlichen Einkünfte
müssen außerordentlich groß seyn, da er außer einer
Menge Nebenvortheile allein vom Sultan täglich
2000 Asper bekömmt. Wenn er auch schon bey
aller seiner Heiligkeit ein Sklav des Despoten ist, so
darf ihm doch, so lange er nicht abgesetzt ist, keine
Todesstrafe zuerkannt, und seine Güter dürfen
in keinem Falle konstscirt werden, sondern fallen
allezeit seinen Erben anheim. Nach ihm folgen die
Unter-Muftis in den großen Städten, die aber
durchaus von ihm abhängig sind. Weder diese noch
die beyden Radrllökier von Rum.Jli und Ana-
doli, welche Oberrichter über alle Privatpersonen
sind, noch die Mollas oder Provinzialrichter, noch
die Radis oder Stadt-und Dorfrichter haben et-
was mit gottesdienstlichen Verrichtungen zu thun,
ob sie schon alle Glieder der Klerisey sind, und also
säst das ganze Staatsruder von Pfaffenhanden ge-
lenkt wird.
Wirkliche Geistliche sind die Imams, welche
den Gottesdienst verrichten, die Kinder beschneiden,
nicht viel mehr verstehen als den Koran zu lesen,
oder aufs höchste ein unsinniges Geschwätz darüber
anzustellen, aber doch von dem Volke tief venerirt
werden, und was das sonderbarste ist, nicht von
dem Mufti, sondern von dem Vizir abhängig sind.
Die Derwische sind das, was, bey den Christen
die
/
in Europa. 529
-ie Mönche sind, und überhaupt genommen ein fau-
les stolzes Gesindel, die durch ihre spitzen Filzmü-
tzen, und ihre schweren Rosenkränze sich ein über-
irrdisches Ansehen zu geben wissen, übrigens mit
Betrug aller Art, nicht selten sogar mit Straßen-
raub sich zu nähren suchen. Sie theilen sich in ver-
schiedene Klassen, von denen die Mewelewireir
das große Talent besitzen, sich stundenlang ohne
Schwindel mit der größten Schnelligkeit herumzu-
drehen. Viele dieser Mönche bringen es durch un-
mäßiges Opiumessen soweit, daß sie völlig wahnwi-
tzig werden, da man sie denn für Heilige, und sich
für glücklich hält, sie anrühren und beschenken zu können.
Ohngeachtet nun die mohämedanische Religion
keine große Freundinn der Spekulation ist, so zählt
man doch etliche siebzig verschiedene Sekten, von
denen die 0tmni und Aedlyeh die vornehmsten
sind. Ihr wichtigster Zwist betrifft den Vorzug des
vsmanischen und persischen Mufti, den Genuß de6
Weines und Schweinefleisches, und die Auslegun-
gen des Abubeker, welche die Aedlijeh verwerfen.
Diese Zäukerepen haben den unbändigsten Reli-
gionshaß erzeuget, und beyde hassen und verfolgen
sich mit weit mehr Erbitterung, als sie es gegen völli-
ge Nichtmohämedaner thun. Ueberhaupt genießen
die verschiedenen christlichen Religionspartheyen,
welche in allön Provinzen des türkischen Reiches le-
ben, gegen Er legung eines Kopfgeldes von 5 Piaster,
über welches aber die raubgierigen Paschen immer
noch mehr erpressen, einer vollkommnen Gewissens-
freyheit, die aber freylich bey einer so tumultuari-
schen Staatsform mehr von der Laune des Sultans
und seiner größten Sklaven, als von festbegründeten
Gesetzen abhänget. Wenigstens ist das ein Irr-
thum oder eine vorsätzlich ausgebreitete Lüge, daß
n Land. II Abth. L l man
5JO Osmanischcö Reich
man die christlichen (Kinder mit Gewalt wegnehme,
um sie im Islam zu erziehen, da vielmehr, wenn
ein Christ Muselmann wird, seine Familie völlige
Freyheit in ihrer Religion behalt; und eben so un-
wahr ist e6, daß die Mohamedaner Iesum mit
Schmähungen belegen sollten, da sie ihn für einen
großen Propheten, für einen Freund Gottes und
Mohameds, und feine Sendung wirklich für gött-
lich halten.
d) Griechen Von den vielen christlichen Religionspartheyen,
und Arme« die im türkischen Reiche leben, gehören nur die aus
nier- hem europäischen Antheil hieher. Erstlich also die
griechische, oder, wie sie sich selbst nennt, die
rechtgläubige morgenländische Rüche, wel-
che bis zum neunten Jahrhundert mit der abendlän-
dischen im Glauben vereinigt war, von welcher Zeit
an die Uneinigkeiten zwischen beyden mit solcher Hef-
tigkeiten anfiengen, daß endlich im eilften Jahrhun-
dert eine völlige Spaltung daraus entstand, die noch
mit großer gegenseitiger Erbitterung fortdauert,
ohngeachtet der ganze Unterschied außer einigen Ze-
nmonien auf dem Grundsatz der Griechen, daß der
Geist bloß vom Vater ausgehe, der Oberherrschaft
des Pabsteö, den Priesterehen, dem Fegfeuer und
dem Gebrauch des Kelches beym Abendmal beruhet.
Bey der Unwissenheit, in welcher dieses Volk lebet,
darf man keine große Aufklärung in Religionssachen,
wohl aber blinden Glauben an das, was ihnen ihre
Geistlichen sagen, und ziemliche Verworrenheit in
ihren Begriffen erwarten. Gegen die Katholiken
und Osmanen hegen sie den heftigsten Abscheu, die
Protestanten aber können sie eher ertragen, und die
Freymaurer nennen sie Voltairianer, und wollen sie
aus Davids Psalmen widerlegen. In diesem Tone
hat der Patriarch von Konstantinopel einen Hirten-
in Europa. 531
Brief in die Moldau ergehen lasten, in welchem diese
ehrlichen Leute vor einer so gefährlichen Sekte^ auf
das beweglichste gewarnt werden. Ihre Fasten sind
häufiger und strenger als bey den Katholiken, ihre
übrigen kirchlichen Zerimonien säst unzählig und ihr
A-.eglauve so ungeheuer als mach sich denselben
kaum denken kann. Noch hört man häufig von Be-
hexungen, wider welche allerhand heilige Anhängsel,
Kreuze und dergleichen getragen werden; Wunder
geschehen säst täglich, und die Priester stehen in der
ausgezeichnetsten 'Achtung. Das Haupt derselben
ist der Patriarch von Ronftantinopel, dessen
Würde gemeiniglich ungescheut von dem Großvizir
an den Meistbietenden verkauft wird. Nach ihm
folgen die Bischöfe, welche von der Patriarchal-
synode gewählt, und auss höchste von dem Sultan
bestätigt werden. Von ihnen hangt die Wahl und
Weihe der eigentlichen Priester oder Papas ab,
deren Anzahl außerordentlich groß ist, und welche
außer dem Messelesen und der Besorgung andrer
Ceremonien weiter keine geistliche Geschicklichkeit
haben. Die griechischen Mönche und Nonnen
sind alle von dem Grven des heiligen Basi-
lius, und besitzen zu wenig Reichthum, als daß
sie so faul und müßig seyn könnten, als gewöhn-
lich bey Klosterleuten voraus gesetzt wird. Die größ-
te Anzahl wohnt in drey bis vier und zwanzig Klö-
stern auf dem Berge Arhoö in Griechenland, wo wir
noch etwas über diesen Gegenstand sagen werden.
Die armenische Rirche, welche sich durch
Verwerfung der Kirchenversammlung zu Chalcedon
im fünften Jahrhundert von der morgen - und abend-
ländischen getrennt hat, besitzt noch strengere Reli-
gionögebrauche als die Griechen, und ihre Anhänger
sind so unwissend als diese. Ihr Patriarch wohnt
Ll 2 zu
5J2 Osmcmisches Rcich
zu Edschmiazim in Armenien; in Konstankinopel ha-
ben fi'.e nur einen Titularpatriarchen, der wie die an«
dern Bischöfe und Priester aus dem Kloster Edsch-
miazim genommen wird.
Auch sind große katholische Gemeinden
ln den türkischen Landern, und in Konstankinopel
halt sich ein unter französischem Schutze stehender
Erzbischof auf. Protestanten wohnen hie und da,
und genießen die Freyheit ihrer Religionöübung,
und unter den Juden giebt es Karaiten, d. i. solche,
welche mit Verwerfung des Talmuds, sich bloö an
die alttestamentlichcn. Bücher halten.
Bürgerliche Da wo das Volk ununterrichtet über die ersten
Verfassung. Rechte der Menschheit, unbekannt mit jeder Art der
2) Regie. Aufklärung, und in die Fesseln einer fanatischen Re-
Su'tan ^ ligion geschmiedet ist, da ist der Oberherr gemeinig-
Thronfolge, lich ein Halbgott; aber eben dieser Mangel an Nach-
denken und Kenntnissen, eben diese Religion, deren
Diener nochwendig alles gelten müssen, untergraben
auch leicht die Grundfesten des Thrones, und der
vergötterte Monarch wird dann unter den Trümmern
desselben begraben. — Dies ist gerade der Fall im
vsmanischen Reiche. Der Sultan, j^adlschah,
oderRalser, wie man ihn etwas unschicklich nen-
net, ist völlig unumschränkter Gebieter; alle Staats-
bedienten sind Kreaturen von ihm, und ohngeacdtet
des, Korans, dessen Haltung er bey seiner Wahl-
feper beschwören muß, hangt im Grunde doch alles
von dem gefürchteten Despoten ab. Seine Aus-
sprüche, und wenn sie noch so unbillig waren, sind
die unverletzlichsten Gesetze, und der Pöbel halt den
für selig gestorben, der auf seinen Bk-fehl erwürgt
worden ist. Aber so gefürchtet er ist, so elend ist im
Grunde sein Zustand; denn wenn einmal Psassen
vdtt- Ianitscharen unzufrieden mit ihm werden, dann
'st
in Europa. ;zz
ist der Zauber, der seine Person umgab, plötzlich
gelöset; das Murren wird brausender Aufruhr, und
er hat von Glück zu sagen, wenn er sein Leben mit
ewiger Gefangenschaft loö kaufet. Dies ist auch
der Grund, warum der künftige vermuthliche
Thronerbe, (denn ausgenommen, daß Weiber dev
Regierung unfähig find, ist die Regierungsfolge
höchst unbestimmt) die elendeste Erziehung erhält.
Fest im Serail eingefperrt, von dummen Weibern
und niederträchtigen Verschnittenen erzogen, wird
er in nichts als dem Herbeten seiner Religionssor--
meln unterrichtet, zu allem Müßiggänge angewöhnt,
und alles vermieden, was ihm zwar Vorbereitung
zu seiner künftigen großen Bestimmung feyn, aber
auch dem regierenden Sultan Furcht einflößen könn-
te, einen gefährlichen Nebenbuhlerin ihm zu haben;
und nur in dem jetzigen Jahrhundert hat die grau-
same Maxime aufgehört, nach welcher aus eben die-
sem Grunde die Sultane ihre Brüder ums Leben
bringen ließen. Was kann man von einem so er-
zognen Regenten erwarten, der nun Millionen be-
herrschen und glücklich machen soll, und nicht weiß,
wie er das mache, in dessen Willkühr es beständig
steht, ob er selbst regieren oder seine Minister regle-
reu lassen, und sich wieder in sein Serail einschlief-
sen will? Gewöhnt an das letztre, wird er es Meist
den Staatsgeschäften vorziehen, sich dann und wann
bey den öffentlichen Staatsversammlungen einstnden,
wo er hinter einem Gitter alles hören und sehen kann,
ohne gesehen zu werden, sich dann und wann mit
aller Pracht öffentlich sehen lassen, und die Verwak-
rung seines Reichs der Habsucht und Despotie der
Minister überlassen. Es hat Sultane gegeben, die
mit großen Naturgaben ausgerüstet waren, alle Hin-
dernisse der Erziehung überwanden, und wirklich
Regenten waren, aber so viel Bewundrung sie ver»
Lk 3 diene».
5J4 Osmanisches Reich
dienen, so unglücklich mußte ihr Privatleben seyn,
das, wie wir in der Folge sehen werden, so traurig
und einförmig als möglich ist.
d) Wapen, Das Reichswapen besteht in einem wachsen-
Titel, Hof, den Monde; so klein aber dieses ist, so ungeheuer
siaat und Cc-iarig und schwülstig tönt der Titel des Sultans, dem
nmonlek. jeder eine andre Einrichtung giebt, und welcher »776
also lautete: wir Sultan Sohn eines Sultan,
Chakan Sohn eines Chakan, Sulran Abd-
ul-^hamed Chan, Sohn des siegreichen
Sultan Ahmed Chan, durch die unendliche
Gnade des Schöpfers der Welt und ewigen
Wesens, und durch die Vermittlung und
großen Wunder des Mohämed Mustäfa,
des vornehmsten unter den Propheten, über
welchem der Segen Gottes ruhe: Diener
und Herr der Städte Mecca, Medina und
Ruds (Jerusalem), gegen welche die ganze
Welt ihr Angesicht wendet, wenn sie betet,
padifchah der drcy großen Städte IstaM-
bol, Edrena und Brusa, welche alle Für»
sten mit VTeid anseheir, wie auch der Städte
Scham und Mysr (Damaschk und Kahira),
des ganzen Aerebistan, Maghrib (Arabien und
Afrika), Barka, Rairoan, Haleb, Irak,
Aereb und Argem, Basta, Lahfa, Dilcm,
Raka, Muful, parthien, Dijarbekir, Zül-
kädrije, Arzy-Rum, Suvas, Edena, Ras
raman, Wan, der Barbarei, Habeo (Abys-
sinien), Tunis, Tyrabolos, Rvbrys, Rodos,
Randia, Morea, Akden-yz, Raraden-yz
(mittelländische und schwarze Meer) und dersel-
ben Inseln und Rüsten, Anadoli, Rurnili,
Dägdhad, Rürdistan, Griechenland, Tür-
kestan, der Tatare^, Tscherkaßiens, bey-
der
in Europa.
535
der Landschaften Rabarda, Gürglsta», der
Ebenen von Raprfchak, des ganzen Um-
fangs der Landerder Tatarn, Tvaffa und
aller umliegenden Gegenden, und des gan-
zen Boschnah und desselben Zubehörs, der
festen Stadt Belgrad, Sief(Serwien), und
aller dazu gehörigen Schlösser, Festungen
und Städte, des ganzen Arnauth (Albanien),
Iflak und Boghdan (Walachey und Moldau),
und vieler andern Landschaften und Stad-
te rc. So acht orientalisch pomphaft diese sultanr-
sche Titulatur ist, eben so auch das ganze übrige
Hosteben, von dem wir hier wenigstens einige Nach-
richten mittheilen wollen. Was zum Hofe gehört,
besteht wohl aus acht, bis zehntausend Menschen,
unter denen die vornehmsten den Titel Aga führen
und folgende sind: Selikcar-Aga, welcher bey
de^ Tafel vorschneidet; Lhiohadar-Aga, derben
Mantel des Sultans tragt; Rekiabdar- Aga,
Steigbügelhalter; Marerogi - Aga, eine Art
Mundschenk und Remhoza - Aga, oder Garde-
robemeister. Andre sind die vier Hadfchas
oder geistlichen Lehrer des Sultans: der Dsche-
rcat Pascha, Hakim Effendi und Muned-
fchim Pascha oder Oberwundarzt, Oberleibarzt
und erster Sterndeuter u. s. w. Einen ansehnlichen
und zahlreichen Theil des Hofstaats machen auch die
Weiber aus, unter denen keine rechtmäßige Ge-
mahlinn ist, sondern welche meist Kriegsgefangne
oder Tributmadchen sind, und deren Anzahl sich oft
auf 2000 belaufen hat. Sie wohnen in einem ab-
gesonderten Theile des Serail, Harem genannt und
heißen Odaliken, die aber, welche den ersten Prin-
zen geboren hat, genießet des Titels Sultaninn.
Unter der strengen Aufsicht schwarzer Verschnittenen,
deren Oberhaupt Rislar-Aga genennt wird, füh.
Ll 4 ren
;;6 Osmanisches Reich
ren diese Schlachtopftr des morgenländischen Stolzes
das elendeste jeden, sehen niemand als sich unter
einander selbst, nebst ihrem Tyrannen, genießen kein
ander Vergnügen, als daß sie in den Garten des
Serails spahieren gehn, und in ihren Zimmern mit
Kinderspielzeug, wohin auch Nürnberger bleyerne
Soldaten gehören, sich die Zeit vertreiben dürfen,
und Haffen und verfolgen sich aus die abscheulichste
Weise. Außer den Verschnittenen gehören auch
noch die Stummen zu einem wesentlichen Theile
der osmanischen Hospracht, damit ja nichts die ge-
heiligte Stille unterbreche, welche den Thron des
Monarchen umgiebt. Wie die Prinzen erzogen
werden, haben wir schon gesaget, die Erziehung der
Prinzessinnen ist nicht besser, und der Sultan treibt
eine ArtsHandel mit ihnen, indem sie an alteVizire
oder Paschen verheurathet werden, welche die Ehre
des Sultans Schwiegersöhne zu seyn mit den ringe-
heliersten Geschenken erkaufen müssen. Bey aller
dieser Pracht des Hofstaats, würde ein Sultan um
so unglücklicher seyn, wenn er feiner dachte und
empfände; denn unter seiner ganzen Dienerschaft hat
cr keinen Freund, unter allen seinen Beyschlaserin-
rren keine, die ihn liebte, und sein ganzes jeden ist
leer von den Reizen, die das Menschenleben wün-
schenswerth machen. Seine Größe und der orien-
talische Begriff von seiner Erdengottheit verbieten
ihm allen nähern Umgang mit seinem Volke, und
schranken ihn blos auf die Vertraulichkeit mit seinen
dummen Werbern, und seinen sklavischen Günstlin-
gen ein. Nur der Großvizir, der Mufti, Kislar-
Aga, Bostandschi. Pascha (Ausseher des Serai),
der Leibarzt und wenige andre haben das Vorrecht
mit ihm sprechen zu dürfen; niemand darf mit ihm
speisen; niemand nähert sich ihm als mit niederge-
fchlagenen Augen und mit kreuzweise geschlagenen
in Europa.
537
Händen, und alle seine Wasserfahrten und Iagdbe-
lustigungen sind freudenlose Opfer, welche er der sul-
tanischen Würde bringen muß. Zum Beschluß die«
ser Nachricht über den Hof (den man auch die ofma-
nische Pforte nennt), wollen wir noch eine Nachricht
von den Audienzen der christlichen Gesandten bey
dem Sultan mittheilen, weil sie das Cerimoniel des
Hofes am besten schildern. Ehe sich der Gesandte
in den Divan verfügen darf, muß er das Gefolge
des Großvizirs unter freyem Himmel etliche Stun-
den erwarten. Sobald dessen Zug vorüber ist,
schließt sich der Gesandte hinten an, und reitet bis
zum Eingang des zweeten Schloßhofs im Serai,
wo er wieder warten muß, bis ihm und feiner Be-
gleitungdieErlaubnißinden Divan zu gehen gegeben
wird, wo die hohen Staatsbedienten schon versam-
melt sind. Hier fetzt er sich aufeinen Sessel und fein
Gefolge stchet hinter ihm; aber noch dauert es etliche
Stunden, ehe die Gerichtshandel abgethan und den
Janitfcharcn ihr Sold ausgezahlt wird, denn die
Audienzen werden gewöhnlich auf die Löhnungstage
verleget. Dann erscheinen die Köche mit soviel klei-
nen Tischen als türkische Minister da sind, worauf
in einer Art Porccllan das Essen aufgesetzt wird»
Der Gesandte ißt mit dem Großvizir, zu den an-
dern Großen fetzen sich zween oder drey von seiner
Begleitung. In einer halben Stunde ist die Mahl-
zeit vorbey, und nun werden endlich die Vorkehrun-
gen zur Audienz gemacht, welche darinnen bestehen,
daß der Gesandte wieder den Divan verläßt, auf
dem Hofe mir seinem ganzen Gefolge Kaftane erhalt,
und wieder warten muß, bis Cerimonienmeister kom-
men, von denen zween einen Christen unter die Arme
fassen, und fest geschlossen hinein führen. Der Sultan
sitzt auf einem prächtigen Sopha, den Großvizir zu
seiner rechten, zur linken etliche junge Verschnittene,
il 5 und
538 Osmanischcs Reich
und der Pfortendollmetscher platt auf der Erbe lie-
gend. Wenn der Gesandte nun seinen Antrag ge-
macht und dem Großvizir seine Briefe übergeben
hat, geht er mit dem Gefolge rückwärts hinaus
und in fünf Minuten ist die ganze Audienz zu Ende.
c) Staats- Die Osmanen haben keinen erblichen Adel:
bedienten,Ju. bfe vorgeblichen Nachkommen Mohameds (Emirs,
Sherifs) genießen zwar verschiedene Vorrechte,
sung- ^ einen grünen Turban zu tragen, vor keinem
Civilrichterstuhle verklaget zu werden und dergleichen;
allein auf Staatswürden haben sie drum keine größe-
ren Ansprüche als die der gemeinste Osman, wenn
er Glück, Gönner und Geld hak, darauf machen
kann. Denn so sehr es den Anschein hat, als ob
durch diese Gleichheit des Standes und gänzlichen
Mangel alles Familienvorzuges dem Verdienst fort-
geholfen werden müsse, so wenig wird in diesem
Staate darauf Rücksicht genommen, nnd die wich-
tigsten Aemter werden gewöhnlich aus den Idscho-
glans besetzt, welches im Kriege geraubte oder doch
arme Türkenkinder sind, die im Serai von den ge-
ringsten Lakayendiensten nach und nach zu den höch-
sten Stufen empor steigen. Wie wenig man
aber von solchem in der Sklaverey vollendeten Unge-
ziefer szu erwarten habe, das bedarf, dünkt uns, keines
weitern Beweises. An der Spitze aller osmanischen
Staatsbedienten stehet der oberste Vizir, gemei-
niglich Großvizir genannt, dessen Macht ehedem
so unumschränkt war, daß er über das Leben der
Paschen entscheiden konnte. Jetzt ist zwar seine
Gewalt durch die Klerisey etwas eingeschränkter wor-
den, er hat indessen'aber doch das ganze Staatsru-
der in seinen Händen. Mit dem Siegel des Sul-
tans, welches er beständig auf der Brust tragen
muß, wird er Herr über das Leben und Vermögen
in Europa.
539
von Millionen Menschen; er fertigt alle Edikte
und Reskripte eigenmächtig auö, ist Anführer
der Armeen im Kriege, (da denn so wie bey
jeder andern Abwesenheit ein Naimakan seine Ci-
vilgeschäste besorget,) Ausseher über das Militär im
Frieden, und der höchste Schiedsrichter aller Justiz-
und Po'.izeysachen. Der Glanz , der ihn umgiebt,
ist wirklich königlich und seine sestbestehenden Ein-
künfte werden jährlich auf 6oocoo Thaler geschähet.
Dennoch ist er nur Sklav, und selten genießt er
diese Herrlichkeit lange, denn eben der Umfang sei-
ner Geschäfte macht seine Verantwortung, und die
Höhe seines Postens die Zahl seiner Feinde größer.
Ehedem war sein Ende gemeiniglich der Strang,
jetzt aber wird er, wenn die Laune des Despoten,
oder das Geschrey des Volks seinen Ruin verlan-
get, gewöhnlich an einen entfernten Ort verwiesen,
und sein Vermögen fällt in die Schatzkammer des
Sultans.
Die Paschas oder Provinzialgouverneurs ha-
ben in ihren Statthalterschaften beynahe dasselbe
Ansehen, und deswegen ist ihnen auch ein vollständi-
ges Justizkorps, Mufti u. s. w. zugegeben. Unter
ihnen stehen die Begjen, Sandschjaken, Zaims
und Dimariocen, welche kleinere Distrikte regie-
ren, aber in vielen Fällen völlig willkührlich verfah-
ren können. Die Paschen haben zween oder drey
Roßschweife, die ihnen, da sie auch^ Generals vor-
stellen, vorgetragen werden. Andre öffentliche Be-
diente sind der Rapudan- Pascha (Großadmiral
und Oberaufseher der Marine), der Tefterdau
(Großschatzmeister), ReisrEffendi, welcher nebst
dem Pfortendollmetfcher die auswärtigen Angelegen-
heiten unter sich hat, die Agas, Radiläskier,
2^adi, N7olla, Riaja, v^aib und N?oslim,
alles
540 Oimam'schcs Reich
alles meist habsüchtige Leute, die, da einer den an-
dern so viel als möglich zu plündern sucht, auf nicht-
weniger als auf den Wohlstand ihrer Untergebenen
bedacht sind. In dem Gtaacsrath des Sultans,
welcher Gälebe Diwanj genennt und wöchentlich
zweymal im Serai gehalten wird, hat der oberste
Vizir den Vorsitz, und neben ihm befinden sich die
beyden Kadiiaskier, Mufti, Desterdar, Reis-Eft
feudi mit den übrigen Vorstehern der Rentkammer
und die hohen Kriegöbedienten darinnen. Mit die-
sem darf das höchste Gericht, Diwan Chane,
welches in des Vizirs Pataste gehalten wird, nicht
verwechselt werden.
Was nun die Justizverwaltung der Osmanen
betrifft, so haben sie außer dem Koran und den
Fetfahsammlnngen ein Gesetzbuch Deschifrah,
welches Sulejman II aus dem römischen Korpus
Juris hat zusammen tragen lassen, allein im Grun-
de ist die ganze Gerechtigkeikspflege in die Wiilkühr
der Richter gesetzt, und man «nag auch noch so glan-
zende Beyspiele von der Weisheit dieser Leute an-
führen, so sind dies doch blos Ausnahmen, und die
Mollas, Kadis, und wie der Schwarm der türkischen
Richter weiter heißen mag, sind zu unwissend und
geldgierig, als daß ihre Aussprüche nicht, immer von
Leidenschaften und Geiz gelenkt werden sollten. In-
dessen werden doch wenigstens alle Processe ohne viele
Weirläuftigkeit abgethan, und Klager sowohl als
Beklagte erfahren es ohne lange Furcht und Hoff-
nung, ob sie Recht oder Unrecht erhalten werden»
Ihr peinliches Verfahren ist eben so kurz, und, wie
das die Beschaffenheit her Regierung und des Volks
sehr nothwendig zu machen scheint, äußerst strenge,
Md fast ohne die geringsten Formalitäten, indem
Untersuchung und Gegenvertheidigung nur höchst
selten
in Europa. 541
selten Statt finden. Geringere Verbrechen werden
mit Stockschlagen unter die Fußsohlen oder mit Geld-
buße geahndet ; Mörder werden enthauptet, solche die
von der Religion abfallen oder andre abwendig jzu
machen suchen, verbrannt, andre gehenkt, geschleift,
gespießt, in ein Loch, das mit eisernen Spitzen und
Haken versehen ist, gestürzt u. s. w. Das Erdros-
seln gehört nur für Große, die sich den Strang
selbst um den Hals werfen, und ihn von den Stum-
men zuschnüren lassen. Die Polizeyveranstaltungen
der Osmanen verdienen in mancher Betrachtung als
sehr musterhaft angeführet zu werden. Selten er-
eignet sich in Konstantinopel ein Lärm, und noch sel-
tener wird eine Mordthat verübet; ein Kaufmann
kann ohne Besorgniß seine Bude auf einige Stun-
den verlassen, ohne die Thüren zu verschließen; der
Polizeymeister und selbst der Großvizir müssen bey
den Bäckern,Fleischern u. s. w. herumgehen und Maaß
und Gewicht untersuchen, und wehe dann dem Beutel
oder den Fußsohlen desjenigen, der als Betrüger er-
tappt wird. Wenn aber die Bader, die bekanntlich
Reiigionssache sind, ausgenommen werden, so ist
die Polizey in Absicht der Gesundheit desto sorgloser,
und Feuer sowohl als Pest können ungestört wüten,
weil der Grundsatz der unbedingten Nothwendigkeit
alle Maaßregeln für überstüßig hält.
Im eigentlichen Verstände ist der Sultan völ- d) Einkünfte»
liger Gebieter über das Vermögen seiner Unterthanen,
und seine Privatkasse ist immer so sehr angesüllet, da
dieStaatskasse hingegen immer leer ist, daß er auf
zwanzig Millionen Piaster von der letzter» zu for-
dern hat. Eigentlich bestimmt das Gesetz nur vierer-
ley Auflagen, als i) Mttkataattt oder die erober-
ten Landereyen, welche sich der Sultan Vorbehalten
hat, und welche an die Meistbietenden verpachtet
werden.
Z42 Osmamsches Reich
werden. 2) Avaris, eine Art Grundsteuer. Z) Ra-
ratsch oder da6 Kopfgeld der Nichtmufelmänner.
4)DfchelebkachanoderdasGeld, welches statt der
Kriegsfuhren entrichtet wird; allein die geizige Po-
litik des Hofes hak noch viele andre Taxen erfunden,
die in Abgaben auf Gebäude, Accifen, Zöllen
u. f. w. bestehen. Alle diefe Einkünfte stießen in die
Reichskasse, und sollen nach einer fehr wahrscheinli-
chen Berechnung jährlich auf 70 Millionen Pia*
ster ausmachen. Der oberste Verwalter dieser Kas-
se ist der ReichsschaHmeister, unter welchem eine
Menge andrer Unterbediente stehen, von denen jeder
vor allen sich selbst zu bereichern bemüht ist. Ganz
verschieden davon ist die Privackasse des Sul-
tans (Chasineh), welche außerordentlich reich ist.
An festen Einkünften zieht diese jährlich 1106666
Realen, ihr zufälliges Einkommen aber ist ungleich
größer und stießet aus konfifcirten Gütern, den Erb-
schaftsabgaben, den Geldstrafen, Gewinnst aus den
Bergwerken, Geschenken der Staatsbedienten, Ver-
kaufungen der öffentlichen Aemter und dergleichen.
Diefe Kaffe kann auch um so weniger schwinden,
da der Hofaufwand, für den sie eigentlich bestimmt
ist, nur wenig erfordert, und die Konsumtion des
Serai größtentheilö aus den Triburländern eingelie-
fert wird, da im Gegentheil die Reichskaffe jähr-
lich 7 Millionen Reichöch.aler auögeben muß.
Krie-Sver- So lange Arm und Säbel die Schlachten ent-
fassung. schieden, so lange war e6 den Ofmanen leicht, zufam-
«)8andmacht. mengelaufenes Landvolk, oder an Ruhe gewöhnte
Handwerker, die nach geendigtem Krieg wieder zu
ihrem Pstug und Werkstätten eilten, zu überwinden,
seitdem aber die Kriege nach Regeln geführt werden,
hört auch die Furchtbarkeit ihrer Truppen auf, die
ohne Subordination und ohne Waffenübungen sind,
und
in Europa.
54?
und deren Tapferkeit nur beym ersten ungestümen
Angriff ihre ganze Starke zeiget. Man spricht zwar
jeßtvon großen Verbesserungen, welche im Kriegs-
wesen vorgenommen werden sollen, allein wer es
weiß, wie groß bey den Osmanen das Ansehen des
AlterthumS ist, und wie wenig der Graf von Bon-
neval, der aus österreichischen Diensten zu ihnen
übergieng, nebst dem Franzosen Tott und dem Eng-
länder Kampbell noch vor etlichen Zähren mit ihren
Verbesserungen ausgerichtet haben, der wird auch
auf diese ganz neue Reform nur sehr wenig Hoffnung
sehen. Die großen Freyheiten der Ienjitscheri,
die wir Zanicscharen nennen, die, so mannigfach
sie auch eingeschränkt worden sind, immer noch so
großen Einfluß in die öffentlichen Angelegenheiten
haben, als ehedem die Strelzi in Rußland, sind
auch einer der wichtigsten Gründe, welche jede neue
Einrichtung so lange ohne Erfolg lassen werden, bis
hier ein Peter aufsteht, der mit diesem unruhigen
Korps den Garaus machet. Gegenwärtig sind sie
der beste Theil des türkischen Fußvolks, ohngeachtet
sie so wenig von militärischen Uebungen wissen, daß
sie in Friedenszeiten sogar ohne Gewehr stnd, und
ihre Zärtlichkeit im Felde so weit geht, daß, wenn Man-
gel an Reiß, Kaffee und frischem Brode einreißt, ge-
wiß Murren und Empörung von ihnen zu fürchten ist.
Ihr Oberhaupt ist der Ianitscharen-Aga; sie
bekommen Sold und Montur, und aus ihnen wird
ein Theil der Garde des Sultans genommen, außer
der aber noch die Boftandfchjy, welche eigentlich
das Serai bewachen, im Kriege in eine Art Leibgar-
de verwandelt werden. Nach ihnen macht die Ar-
tillerie das vornehmste Znfanteriekorpö aus; dann
folgen die Metherdschjy, welche die Einrichtung,
Ausschlagung und Fortschaffung der Läger zu besor-
gen haben, und die Gerradsche, welche das Ge-
544 Osmanisches R-'ich
packe bewachen, und zugleich zu einem Korps der
Reserve dienen. Wenn diese Infanterie so hoch als
möglich verstärkt wird, so möchte die Stärke jedes
einzelnen Korps etwan folgende seyn: Iamtschmen
i r 3400 Mann, Artilleristen 17000,
stand sch [2000, Merherdschji 6000, Ger-
radsche 6000, dazu noch die ^ülfstruppen ans
Egypten, der Moldau und Walachey 120^0, also
in allem 163400 Mann.
Die türkische Reuterey, oder die Gpahis
wird in solche getheilt, die im Solde stehet, und in
solche, welche von den Inhabern des Timars, oder
gewisser Ländereyen, die unter der Bedingung, eine
verhältnißmäßige Anzahl Soldaten davon zu stellen,
besessen werden, gestellt wird. Die erste macht ein
Korps von io bis 12000, die letzte eines von
iz20 54Mann aus, und das allgemeineOberhaupt
von beyden ist der Gpahilar-Aga. Andre Ar-
ten Reuterey sind die Dschjebedschji, eine Art
Küraßirer, etwan itzaooMann; die Geghban,
4000 Mann, welche das bey der Kavallerie sind,
was die Serradsche beym Fußvolk, die N7i-
kladschjv, eigentlich die Packknechte der Paschen,
welche im Nothsall aber ebenfalls dienen müssen,
ohngefähr 6000 Mann, und die Freiwilligen,
die aufs höchste zu 10000 Mann angeschlagen wer-
den können, so daß also die Reuterey 1800-4. und
gie ganze Armee 343454 Mann stark seyn würde.
Allein erstlich sind diese Korps selten vollzählig, dann
muß man für die Besatzungen und Kranken u. s. w.
wieder ein >40000 Mann abziehen, daß also die
stärkste Armee, wenn auch der Sultan mit seinen
Bostandschjy dabey ist, höchstens 20000 Mann
behält. Bey einem solchen Heere ist av?r ein zahl-
reicher Troß, der gewiß auf 5000s Menschen
gerechnet
in Europa. 545
gerechnet werden kann; die Bagage ist ungeheuer,
wie denn 1683 nach Abschlagung der Belagerung
Wiens im türkischen Lager 8002 Wagen, 22020
Ochsen und Büffel, 5.22 Kamele, 122 00
Malrer Früchte u. s. w. gefunden wurden. So viele
Mäuler ohne Hände, und ein so lästiges Gepäck er-
schweret nicht nur die Märsche, sondern beut mich
dem Hunger die Hand, und macht alle Operationen
schläfrig und langsam. Jetzt ist keine osmanische
Armee den Christen mehr fürchterlich; diese zusam-
meugelaufenen Truppen sind nicht im Stande, e6
lange gegen disciplinirke Soldaten auszuhalten; denn
so fürchterlich auch der erste Angriff vorzüglich ihrer
Reuterey ist, die in langen Linien einzubrechei, sucht,
sobald kühlt fiel) ihre Hitze ab wenn sie mit Stand-
Hastigkeit zurückgewiesen werden. Nur ein paar
Niederlagen hintereinander, so geht der größte Theil
der Armee auseinander, und plündert und verwüstet,
auf dem Heimwege die Provinzen feines eigenen Lan-
des, da er in dem feindlichen keine Beute machen kaan.
Seit dem letzten Kriege, der um Kandia mit h) Seemacht
den Venetianern geführt har, ist die einst so fürchter-
liche türkische Seemacht immer mehr in Verfall ge-
rathen, und so viele Großsprechereyen ei: ge Zei-
tungsschreiber von der jetzigen guten Bes-waffen-
heit derselben ausbreiten, so wenig dürste wohl an
allen diesen Sagen seyn. Im 1.176^ bestand die
ganze türkische Flotte au6 200 großen und kleinen
Kriegsschiffen, aber die besten davon sind plumpe
unlenksame Maschinen, die gegen die Schiffe andrer
Nationen nur wenig auszurichten im Stande sind.
Der oberste Befehlshaber der Seemacht ist der Ra-
pudan - Mascha, und die Seetruppen oder Levents
mögen zu jenen 222 Schiffen, Karavellen, Galee-
ren, Galioten etwan focoQ Mann ausgemacht
ü Abrh. * Mm haben.
546 Osmanisches Reich
haben. Zn Fei'edenszci'ken sind nur etliche tausend
dieser Truppen wahrend der Parade des Kapudan-
Pascha, dieerausdem Archipelage anstellet im Sold,
und die sammtliche Anzahl der Schiffe mag da 20
bis 30 betragen.
Einzelne Pro. Dies ist ohngefahr die Skaatskenntniß des
VMM. osinanifchen Reiches; die Landerkenntniß des euro-
päischen Theiles wird uu6 nun mit den einzelnen
Merkwürdigkeiten dieser schönen einer bessern Herr-
schaft würdigen Provinzen bekannt machen. Di<L
H-Num-Ili. evfe Provinz ist Rum - Ili, Romelien, Ro-
Manien, ans schwarze Meer, den Archipelag,
Bulgarien und Macedonien grunzend. Dieses
schöne, meist fruchtbare Land wurde zuerst von den
Thraciern bewohnt, welche vom Gebirge Taurus
und Kaukasus aus Asien herüber kamen, dann auch
nachher mit andern Völkern sich vermischten, und
der. römischen Herrschaft unterworfen blieben. Der
Hauptort so wie die Hauptstadt des ganzen Reichs
Konstantine. der Osmanen istRonftantinopel, auch'Jftambol
und Ronstanrinija von den Morgenlandern ge-
nannt. In den ältesten Zeiten hieß sie Byzanz;
da sie aber unterdem Kaiser Severus zerstört worden
war, ließ sie Konstantin im vierte» Jahrhundert
aufs neue erbauen, und verlegte den Sitz der Regie-
rung hieher. Sie blieb auch die Residenz der orien-
talischen Kaiser, bis sie 1453 von den Osmanen
erobert wurde. Wenn man die herrliche Lage dieses
Ortes zwischen dem Meer vom Marmorn, dem
schwarzen Meer und dem Hellespont, zwischen denen er
in dreyeckigter Gestalt allmalig gleich einem Amphi-
theater aufsteigt, die herrliche gegen über liegende
Küste von Anadoli oder Kleinasien, den schönen mit
tausend Wimpeln bedeckten Hafen, die MetschedS,
welche sich auf den Anhöhen mit ihren goldenen Spi-
- • ' » - tzen
in Europa. 547
ßen dem Auge darstellen, die Größe, welche auf
fünf teutsche Meilen geschaßt wird, betrachtet, fo
ist Konstantinopel die schönste Stadt in Europa;
aber um diesen Begriff zu behalten, muß man, wie
jener Engellander, der am Rande des Ufers feit»
Schiff umdrehte, keinen Fuß in dieselbe hineinsetzen.
Die ganze alte Pracht ist verschwunden, selbst die
alte Lage auf sieben Hügeln ist nicht mehr sichtbar;
nur eine einzige Straße ist leidlich gebauek, die an-
dernsind dunkel, eng, kothig und mit hölzernen Hau-
sern beseht, unter denen hie und da ein Ueberbleibset
ehemaliger Schönheithervorragek. Man schätzet die
Anzahl der Hauser auf 400000, von denen eine
Feuersbrunst oft etliche tausend verzehret, ohne daß
man große Acht darauf hat, und die Anzahl der
Einwohner auf eine Million, worunter etwa»
200000 Griechen, 40000Armenier, 60000Juden
und der Ueberrest Türken sind. Die Stadt ist mit einer
alten Mauer umgeben, hak etliche unbedeutende
Kastelle und zwey und zwanzig Thore, von dem
Serai oder satanischen Palaste aber, derbeynahe^eine
Stadt für sich ausmachet, wird sie durch eine sehe
hohe Mauer geschieden. Die Lage dieses Serai ist
trefstich, dicht am Hasen aufder Spitze des Dreyecks,
daher es selbst eine trianguläre Form hat, aber we-
der sein Aeußres noch Innreö können schön genannt
werden. Sultan Mohamed II hat den Anfang zn
seiner Erbauung gemacht, seine Nachfolger haben
nach ihren verschiedenen Einfällen neue Gebäude
hinzugefüget, daher es eigentlich eine ganze Samm-
lung von Palästen genennt werden kann. Der
Haupteingang ist zwar von Marmor, steht aber nur
sehr wenig dem Eingang zu einem Palaste ähnlich.
Durch denselben kömmt man in den ersten Hof, in
welchen jedermann gehen, aber keinen lauten Ton von
sich geben darf. Schöner als dieser ijl der zweyke
, Mm » Hof.
548 Osmanisches Reich
Hof, welcher auch der Hof des DlvanS genannt
wird, weil sich dieser in einem großendaransioßenden
Saal? versammelt. Rund um diesen Hof geht eine
schöne auf marmornen Säulen ruhende, mit Bley
gedeckte Gallerie, unter der man rechter Hand in das
innere deö Serai geht, wohin aber niemand zu kom-
men erlaubt ist. Gegen die Seite deö Hafens ist ein
reich geschmückter Kiosk oder Pavillon, von dem der
Sultan zuweilen der Aussicht auf die Schiffe genies-
set. In diesem Serai sollen über 10000 Menschen
leben, und jährlich gegen 30000 Ochsen, 20000
Kälber, 60000 Hammel, 16000 Kammer, 1000®
junge Ziegen und 450000 Stück Federvieh, ohne
das Wild und die Fische verbraucht werden. Vor
dem Serai ist, wie wir schon gesagt haben, der
Hafen, der unstreitig einer der größten und schönsten
in der Welt ist»
Keine andern schönen Paläste darf man Ln
Konstantinopel nicht erwarten, so reich auögefchmückt
übrigens die Wohnungen der Großen sind. Die
vorzüglichsten Gebäude muß man daher unter den
Medfchedö suchen, deren hier 300 gezählt werden.
Die berühmteste und prächtigste darunter ist der alte
vom Kaiser Iustinian erbaute Tempel der heiligen
Sophia, ein Gebäude, das allein der Peterökirche
zu Rom nachstehen darf. Die Kuppel desselben,
welche 86 Fuß im Durchschnitte hat, wird von vier
großen 47 Fuß breiten Pfeilern gestützt, und ihr
Gewölbe ist von geschnittenen mit eisernen Klam-
mern zusammengesügten Steinen. Die Galerien
sind 53 Fuß breit und ruhen auf 64, 18 Fuß ho-
hen Säulen. Ihre Gestalt ist ein X; ihre größte
Zange 290, die Breite 260 und die Höhe 185
Fuß. Boden, Wände und Gänge sind mit Mar-
mor belegt, und die vielen Säulen, deren Zahl man
auf
in Europa. 549
auf 176 schaßt, ebenfalls von Marmor, Porphyr
und egyptifchem Granit. Wo man ohne Gerüste
hat hinkommen können, sind alle Bilder weggeschafft,
und vier Thürme an die Ecken angebaut worden.
Man sagt, daß in dieferMetsched ganz bequem 100000
Menschen seyn können. Bey ihr sind etliche Kapel-
len, die zu Begräbnissen der sultauischen Familie
dienen. Die Sarge sind mir schlechtem Tuch bedeckt,
und es brennen eine ungeheure Menge Kerzen und lam-
pen darinnen. Alle andre Metschedssind größere und
kleinere Nachahmungen von dieser, und unter allen
verdient die von Sulejman II erbaute Solimanie,
welche die St. Sophia in dem äußern guten Ansehen
nochübertrifft, nebst der Validee, welche die Mutter
Mohameds IV gebaut hat, noch einer vorzüglichen Er-
wähnung. Die Griechen haben 2 3 Kirchen, von
denen allein die Patriarchalkirche gut in die Augen
fallt, und die Armenier drey, die alle unbedeutend
sind. Zu den übrigen Merkwürdigkeiten dieser
Stadt gehören die Bezesteins (so nennt man die
Gebäude, in welchen die Kaufleute ihre Buden ha-
ben) und die Raus oder Gasthöfe. Es giebt Ve-
zesteins von so ungeheuerm Umfange, daß sie von
verschiedenen Straßen durchschnitten werden, ohn-
geachtet sie nur ein Dach haben, so wie auch von
den Kans viele sehr weitläustig sind. Ferner die
schönen, reinlichen, mit Marmor gepflasterten, mit
artigen Kuppeln die durch viereckte Glasscheiben licht
hineinbringen, bedeckten Bader; und die sieben,
oder vielmehr^seitdem die andern 1754 und 1766
eingefallen sind, drey Thürme, die am Südende der
Stadt von guten Quadersteinen gebaut, und zu
Verwahrung der Staatsgefangenen bestimmt sind.
Alterthümer findet man nur wenige: die vornehm-
sten sind auf hem Hyppodromus, jetzt Atmeidau
genannt, wo die jungen Qsmanm am Freptag aller-
Mm Z Hand
550 OsmarMes Rcich
Hand Uebungen zu Pferde anstellen. Hier stehet eirl
Obelisk von einem einzigen Stück thebaischen Mar-
mor, 50 Fuß hoch, mit Hieroglyphen bezeichnet,
die seinen egyptischen Ursprung verrathen. Etliche
Schritte davon sieht man eine aus Ouaderstücken zu-
sammengesetzte Säule, und eine andre aus Erz ge-
gossen, die aus drey durcheinander gewundenen
Schlangen besteht, an denen aber die Köpfe fehlen.
Die Saul? des Arkadius steht in einem Hause, ist
147 Fuß hoch, und mit schönen Basreliefs ge-
schmückt, welche die Siege des Kaisers ArkadiuS
vorstellen. Kleinere Bruchstücke, Ueberreste von
Bildhauerarbeit und Inschriften finden sich an ver-
schiedenen Orten, aber die Türken haben nicht gerne,
daß Fremde viele Zeit auf ihre Besichtigung wenden,
weil sie in jedem, einem dem Reiche schädlichen Spion
zu erblicken glauben.
Als Vorstädte von Konstanrknopel betrachtet
Ealata. man Galata, aus der Nordseite des Hafens gele-
gen, mit alten Mauern und starken Thürmen um-
geben, auch sehr stark bevölkert, und vorzüglich
von den meisten europäischen Kausteuten bewohnt.
Pera. pera ist der Sitz der christlichen Abgesandten, und
die Lebensart hat dadurch, wie in Galata durch die
Kausieute, eine gewisse europäische Gestalt erhalten,
die man in der Stadt selbst nicht findet. Rasimi-
Kasirm-Ps» Pascha ist der Ort, wo das Zeughaus, dieSchissö
scha. feeö Sultans und die Getraidemagazine sind, und
Top-chana. Top-chana, wo die Kanonen gegossen werden. —-
Am ganzen Kanals, der hier Europa und Asien
scheidet, welcher 6 bis 7 Meilen lang und eine
Stunde breit ist, und Bosphoruö im Alterthum hieß,
siegen aus beyden Küsten eine Menge Landhauser und
Lustschlösser des Sultans zerstreuet, von denen
BtWk-dafch.Beschik-dasch eines der prächtigsten ist.
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55* Osmanisches Reich
ihren Hauptstadt Bvlgar noch zu sehen sind, kamen
aber nachher immer mehr westwärts, bis sie im
neunten Jahrhundert sich dieses und der benachbarten
Lander bemächtigten, und von da an mit den orien-
talischen Kaisern sehr heftige und blutige Kriege führ-
ten. Im eilften Jahrhundert wurden sie endlich
bezwungen, und ihr König mußte die griechische
Oberherrschaft erkennen. Im vierzehnten Jahrhun-
dert aber mußten sie sich der osmanischen Herrschaft
unterwerfen. Jetzt sind es meist Ackerleute, Hir-
ten und Kausteute, theils Mohamedaner, theils
griechische Christen, ihre Sprache ist die siawonische,
und ihre Sitten sind so ungebildet, daß sie sogar
noch rohes Fleisch essen sollen. Vorzügliche Orte
Sophia, dieses Paschaliks sind Sophia, eine offene, aber
volkreiche Handelsstadt an der Jfcha. Ihre Häuser
sind nicht schlecht, aber die Gaffen höckrig und ko-
Widdkn. thig. U^iddin, eine Festung an der Donau.
Oroslscturk. Mroftschuk, an demselben Flusse, ein großer volk-
reicher Ort, in dem Zeug, Tuch, Leinwand, Rauch-
Silistria. tabak und andereWaaren verfertigt werden. Gilt-
(tuet, auch an der Donau, eine befestigte Stadt,
Kutstbuft deren Mauern ihr Alter verrathen. Aurschuk-
Kainardschy. kainardschy, ein vier Stunden von Silistria
gelegenes Dorf, in welchem 1774 der Friede zwi-
schen Rußland und den Ofmanen geschloffen wurde.
In ganz Bulgar-Jli findet man noch viele Ueber-
bleiosel der ehemaligen römischen Herrschaft, als
Verschanzungen, Brücken und dergleichen; das be-
rühmteste derselben ist die Pforte des Kaiser
Trajans, welche in steilen Klippen lieget, und aus
zwo steinernen oben durch ein Mauerwerk verbundenen
Säulen bestehet.
Landschaft Zu Vulgär. Jli gehört auch die Landschaft
Dvhrutsche. Dobvurjche, welche sich von Silistria bis zu den
Aus-
in Europa.
553
Ausflüssen der Donau erstreckt, und eine völlige
Ebene ist. Die Einwohner sind tatarischen Ur-
sprungs, der Sage nach noch Heiden, und wegen
ihrer außerordeliklichen Gastfreyheit berühmt. Jeder
Reuende, von welchem Volke und Glauben er seyn
mag, der in eines ihrer Dörfer kömmt, wird auf
das herzlichste bey ihnen einzukehren gebeten, und
der, dessen Einladung er annimmt, bewirthet ihn
brey Tage lang mit allem, was er ihm zu geben
vermag. Sie richten sogar kleine Häuschen zu, welche
sie mit einem Feuerheerd und Ruhebetten darum her
Versehen, und in welchen der Reisende seine vollkomm-
ne Bequemlichkeit haben kann. — Ein solches Volk
wäre wohl einen Theil der Aufmerksamkeit werth,
mit welcher unsre gelehrten Reisenden die Ruinen des
alten Griechenlands, zu dessen gegenwärtigen Pro-
vinzen wir nun kommen, untersuchet haben.
Dem Bascha von Vulgär-Jli ist auch noch
unterworfen, erstlich das türkische Bessarabien Türkisch,Bes-
oderBudschiak, an dieMoldau, Donau, denDnie-sarabim.
ster »und das schwarze Meer gränzend. Darinnen
jst Akirman, eine große und befestigte Stadt, inAkirmam
welcher die Christen etliche Kirchen haben. RiliKill.
oder Neu-Bilia zum Unterschied des alten, wel-
ches diesem gegenüber liegt, und für den Verban-
nungsort des Dichters Ovid gehalten wird. Kilt
liegt an einem Ausflusse der Donau hat einige Be-
festigung, und treibt einen sehr starken Handel.
Isrnall, ein schlechtbesestigter Ort. Ferner in der Ismail,
westlichen Nogaj, am Ausflüsse des Bogs und
Dnepr, die starke und wichtige Festung Dtschakow. OtsÄakonx
Das alte Griechenland bestehet im weitern cMakdonia.
Verstände (ohne die Inseln) aus den fünf folgenden
Ländern, von denen Makdonicr, ZilibaVilaicti,
oder gewöhnlich Makedonien das erste ist. Dieses
Mm 5 von
SüEsvichr.
554 Ofmanisches Reich
von Natur so fruchtbare, obgleich bergigte, und
gegenwärtig hier und da verödete Land granzt an
Rum-Jli, den Archipelag, Theffalonien, EpiruS
und Albanien, und ist durch den berühmten Erobe-
rer Alexander aus der Geschichte der Vorwelt genug-
sam bekannt. Seine ältesten bekannten Einwohner
gehörten zu den Illyriern, Volk und Land aber wa-
ren nur sehr wenig bekannt, als der macedonische
König Philippus beyde durch seine Eroberungen auf
einen hohen Gipfel des Ruhmes brachte. Sein
Sohn Alexander ward der Zerstörer des großen per-
sischen Reiches, und der von ihm gestiftete Staat
begriff nebst Macedonien Kleinasiem Syrien, Per-
sien und Egypten Ln sich. Nach seinem Tode theil-
ten sich seine Generale in seine Staaten, und Ma-
kedonien kam endlich unter römische, dank unter
griechische und mit der Zerstörung des griechischen
KaiserthumS unter osmanifche Herrschaft.
Der ansehnlichste Ort ist Salonichi oder
Theffalonich, am Ende des davon benannten
Meerbusens gelegen. Die jetzige Stadt nimmt
nicht die Hälfte des Raumes ein, den ihre alten
Mauern umschließen; die Straßen sind schlecht ge-
pflastert, und die Hauser, welche meistens Garten
haben, von ungebrannten Ziegelsteinen gebauet.
Als Handelsstadt betrachtet, ist sie nach Konstan-
tinopel und Smyrna die vorzüglichste inu ganzen
osmanischen Reiche. Ihre vornehmste Ansfuhr ist
Seide, Wachs, Baumwolle und Tabak. Man
trifft auch hier einige Alterkhümer an, dahin
ein fast noch ganzer dem Kaiser Antonin zu Ehren
errichteter Triumphbogen, und andere Trümmer
gehören. Unter den Metscheds, welche meist christ-
liche Kirchen gewesen sind, ist die, welche ehedem
hm heil? Demetrius gewidmet war, die schönste.
Merk.
in Europa. 555
Merkwürdig ist auch der Bery Athss, (der Berg Alho-.
her!. Berg, von den Türken Refchistch Daghi
genannt,) ein Vorgebirge, das gleich einer Halb«
insel mit dem festen Lande nur durch eine schmale Erd-
enge zusammenhängend, sich ins Meer erstrecket, und
so hoch ist, daß es seinen Schatten 50 italianische
Meilen weit wirft. Außer einem unbedeutenden
Städtchen enthält dieser Berg rz griechische Klöster
und überaus viele Einsiedeleyen, in welchen auf
60 o Mönche und Einsiedler leben sollen. Die
Mönche sind nicht müßig, sondern machen Holzar-
beiten , treiben Handwerke, und sindOel-und Wein-
gartner. Da sie niemals Fleisch esten dürfen und
ihre Fasten häustg sind, so scheint ihre Lebensart sehr
strenge zu seyn, deunoch aber genießen sie einer fast
ununterbrochenen Gesundheit, und viele werden über
hundert Jahr alt. In jedem Kloster fmb zween bis
drey Mönche, welche eigentlich studiren sollen, auch
wirklich Theologie lehren, weil dieser Berg, so zu
sagen, die hohe Schule der Griechen ist. Ihre
Kirchen haben Glocken, welches sonst nirgends ver-
stauet ist, und ihre starken hohen Mauern sind wider
die Anfälle der Seeräuber mit Geschütz besetzt. Zn
dem Flecken auf dem Berge wohut auch deshalb ein
Aga im Namen des Bostandfchi Pascha, an wel-
chen die Bewohner des Berges und Fleckens, wel-
ches auch Mönche sind, jährlich 12 00, an den
Sultan aber wohl 20000 Thaker bezahlen müssen.
Gervttza, Giustendil und lNoschopolis sind
die übrigen merkwürdigen Orte.
Albanien oder Arnaur - Vihieti begreift d. Albanien,
das alte griechische Zllyrien und Epirus. Die Al-
banier sind Nachkommen der alten Illyrier, deren
Sprache auch noch auf den Gebirgen des Landes in
ihrer Reinheit gesprochen wird. Sie sind Ackerleute
und
556 Osmanisches Reich
lmd Hirten, ein muntres, starkes und tapfres Volk,
das einst unter seinem Fürsten Georg Kastriot, ge-
wöhnlich Stander-Beg genannt, selbst dem Ero-
derer von Konstantinopel Schranken setzte, und noch
immer bey jeder harten,Begegnung bereit ist zu
den Waffen zu greifen, und Gewalt mit Gewalt zu
vertreiben.
Wir bemerken in diesem zum Theil rauhen,
Durazzo. zum Theil sehr fruchtbaren Lande: Durazzo, auf
einer Halbinsel, dem Königreich Neapel gegenüber,
eine ansehnliche Handelsstadt mit einem guten Hafen
Dolcigno. und festen Schlosse; Dolcigno, Stadt, Festung
und Hafen, deren Einwohner durch ihre Seeraube-
reyen die Gewässer jener Gegenden zuweilen sehr un-
sicher machen. Der Republik Venedig ge-
?arta(venet.) hörten Larca, einegroße und wohl bewohnte Stadt
Dreveft n. a. an einem Meerbusen, s^revese, Btttrinto und
(venet.) Voinitza, auch hat sie Antheil an dem bergigten
Distrikte, welchen die Montenegriner, ein alba-
nischer Stamm und sehr kriegerisches Volk, bewoh-
nen, und Spicci, ein andrer Distrikt, ist noch zwir
schen ihr und den Ofmanen streitig.
L. Ianiah. Das alte Thessalien, das zwischen Macedo.
men, dem Archipelag, Livadien und Albanien lieget,
führt den Namen Janiah, und ist so voll frucht-
barer, Pomeranzen, Zitronen, Feigen, Melonen,
Mandeln, Oliven u. s. w. tragender Gefilde, hat
so schöne Viehheerden, Pferdezucht und andere schö-
ne Produkte, daß es- beynahe den Vorzug vor allen
andern griechischen Provinzen zu verdienen scheinet.
Unter seinen Gebirgen ist der pindus, der es von
dem alten Epirus trennet, jetzt Mezzonovo genennt,
und berühmt in der Fabelgeschichte des alten Grie-
chenlandes; der Olympus, jetzt Lacha, an der
Granze von Makedonien, ein hohes, Gebirge, das
in Europa. 557
nach den griechischen Dichtern der Wohnsitz der Göt-
ter mar: derpelioii, jetzt Petras, derVssa, jetzt
Kistavs. Zwischen diesen drey letztem Bergen liegt
das schöne Thal Tempe, welches etwan drey Stun-
den lang und wegen seiner reizenden Wäldchen, schö-
nen Wiesen, durch die sich der Fluß Peneuö, jetzt
Salampria, schlangelt, und der sich hausig hier auf-
haltenden Nachtigallen den Griechen ein so reizender
Aufenthalt schien, daß man es für den Garten der
Musen hielt. Aus diesen und den andern Bergen
deö Landes sind viele griechische Dörfer, deren Ein-
wohner mit Seide, Getraide, Baumwolle und ge-
färbtem baumwollnen Garn einen wichtigen Handel
treiben. Ambellaki, auf dem Offa, das auö z i c-
Häusern und 5 Kirchen bestehet, ist eines der vor-
nehmsten. Auch sind überall griechische Klöster,
welche auf senkrechten entsetzlich hohen Felsen liegen,
daher man zu vielen auf einer lorhrechk Hangenden
Leiter hinaufsteigen, oder sich in einem Nctze hinauf-
winden lasten muß. In alle, ein einziges ausge-
nommen, darf, wie in die auf dem Berg AthoS, kein
Frauenzimmer kommen.
Bemerkenswerthe Städte sind Larissa, tür- Larissa.'
kisch ^fen-^ischeher, am Flusse Peneuö, auf einer
angenehmen Ebene gelegen. Die Luft ist hier sehr
ungesund und das Wasser so schlecht, daß man, um ' •
e6 zu trinken, erst den Bodensatz setzen lassen muß.
Die Griechen sind hier zahlreich, haben aber in der
Stadt keine Kirchen, wohl aber sind vier und zwan-
zig Metschedö da. Der Ort treibt einigen Handel,
der aber bey weitem nicht so beträchtlich als der von
Volo ist, welches eine schöne an einem Meer- Dolo,
busen gelegene, zwölf Stunden von Larissa entfernte
Stadt ist. Aus diesem Ort und der umliegenden
Gegend werden 30-35200 Oka (75-bis 88002
' Pfund)
558 OsmanischeS Reich
Pfund)Seide ausgeführet, auch gehtviel baumwoll-
neöGarn von hier nach Venedig, Rußland und an-
Lirnava. &em Gegenden. Tirnava, eine ziemlich große
Trikkala. Stadt, in welcher viele Färberwohnen. Teikkala,
ebenfalls ein großer Ort, der aber in einer fo unge-
sunden Gegend lieget, daß die Einwohner, wollen
sie anders gefährlichen Krankheiten entgehen, im
Sommer aufs Land zu ziehen genöthigt sind.
k-Wadien. Was man jetzt Livadien nennet, macht da6
eigentliche alte Griechenland oder Hellas aus, wozu
Akarnanicn, Aetolien, Ozolöa, Lokris, PhociS,
Doris, Epiknemidien, Böotien, Megara und
Attika gerechnet wurden; alles Lander, die ihre
ehemaligen Bewohner in dem gegenwärtigen verwil-
derten Zustand durchaus nicht mehr erkennen wür-
den , da in ihnen felbst die Ruinen ihrer vormaligen
Größe, weil sie die Türken zum Bau brauchen,
immer feltener werden.
Lepanto. Wir bemerken Lepanto, ehedem LTsanpak-
Ms, eine Stadt auf einem Berge am Ufer des le-
pantischen, sonst korinthischen Meerbufens, in deren
Gegend auch ein paar unbedeutende Schlösser die
Einfahrt in diesen Meerbusen zu schützen besindlich
sind. In der Nahe derselben ist der Ort, wo 1571
die Venetianer und ihre Bundesgenossen die Osina-
ÄftfJrf* nen in einem Seetreffen schlugen» Rastri, ein ge-
ringer Ort von etwan 2«o Hausern, ebenfalls am
Meerbusen, oder vielmehr an einem kleineren auS
demselben ins Land tretenden Busen, welcher Golfo
von Salona genennet wird. Einst hieß dieser Ort
Delphi, und war die ansehnlichste Stadt in Pyo-
eis, ein heiliger Ort, in welchem Apoll einen be-
rühmten Tempel hatte, und aus dem Munde der
Pythia oder Priesterinn Orakelsprüche ertheilke. In
dem Bezirk des prächtigen Tempels wurden große
Schätze
in Europa. 559
Schatze aufbewahret, die aber, so wie der Kredit deZ
Gottes sank, immer weniger wurden, bt6 Konstan-
tin der erste christliche Kaiser, der ganzen Herrlichkeit,
ein Ende machte. Man sieht nur noch etliche ge-
ringe Spuren von allen jenen Schönheiten. Das
Wasser von Kasialich, welches der alten Sage nach
in dichterische Begeisterung versetzte, fließt durch eine
Kluft vom Gebirge Parnaß, das sich hinter Delà
phi erhebet, herab. Dieses Gebirge war die westli-
che Granze von Phocis, und war ebenfalls in dem
Alterthume heilig. Weiter am Meerbusen hinauf
ist der Helikon, einer der fruchtbarsten und wal-
digsten Berge von Hellas. Seine Beherrscherinnen
waren die Musen. Hier war ihr schattigter Hain
und ihre Bildnisse nebst Statuen von Apoll, Ba-
chuö, Linus, Orpheus und andern Dichtern. Hier
flössen die Quellen Aganippe und Hipokrene. Jetzt
ist alles wüste und öde; Konstantin hat den Hain
plündern lassen, die Bildsäulen sind verbrannt, und
alles, selbst Narziß, ist vergessen, obwohl die Blu-
me, indie er verwandelt ward, die ganze Gegend
schmücket. Livadia, das alte Lrbodia, eine LtvadkL
große aufzween schönen Hügeln gelegene Stadt, die
einigen Handel treibet. Einst hatte Jupiter hier
Tempel und Orakel. Thiva, sonst Theben, ein ThivL
im Alterthum sehr berühmter Ort, der aber schon,
seit ihn Alexander von Macedonien zerstört hat, nicht
wieder ins Aufnehmen gekommen ist. Von den
Trümmern ist nichts übrig, als einige kleine Reste
der Mauern. Jetzt hat er etwan i gOs Häuser.
Lestines , ein elender Ort, vormals aber unter dem LesiineL
Namen Eleusis eine reiche berühmte Stadt, in
welcher Ceres einen Tempel hatte, wo die sogenann-
ten eleusinischen Geheimnisse, (die Geschichte der
Ceres dramatisch vorgestellt,) gefeyert wurden.
Diese Mysterien hörten erst bey der Zerstörung auf,
welche
560 Osmanisches Reich
welche Alarich in Griechenland anrichtete; noch sieht
man Stücken Marmor, Fu gestelle und dergleichen
als die einzigen Zeugen, daß hier Eleusis war, her-
Athkniah. umliegen. Achiniah, ehmals Athen, und der
vorzüglichste Sitz der Weisheit und Kultur in Hel-
las. Der vorgegebene Stifter dieser Stadt war
Kekrops; zu Ehren der Pallas Achena ward sie
nach ihr benennet. Sie wuchs immer mehr an
Größe und Schönheit; der persische König TerxeS
steckte sie zwar in Brand, sie erhob sich aber aus ih-
ren Ruinen nur noch zu größerem Glanze. Alexan-
der von Macedonien nahm ihr ihre so lange behau-
ptete Freiheit; Sylla unterwarf sie den Römern;
doch war sie nachher mehr Alliirte als Unbertharnnn
derselben. Alarich mit seinen Gothen verwüstete
sie gänzlich, und sieben Jahrhunderte hindurch war
ste in Vergessenheit gerathen, bis wir sie bald den
Ofmanen, denSpaniern, dem HauseAcciaioli und
wieder den Osmanen unterwürfig sehen. Jetzt ist e6
ein offener Ort, in welchem etwan' 10000 Men-
schen leben, unter denen weder Fleiß, Kunst noch
- Handlung blühet, die aber immer noch die feinsten,
scharfsinnigsten, aber auch hinterlistigsten aller Grie-
chen sind- Die Häuser sind meist schlecht und ein.
zeln stehend, die Gaffen unregelmäßig. Von der
ehemaligen Schönheit der Stadt findet man nicht
nur einzelne Stücke, sondern auch beträchtliche
Ueberbleibsel. Dahin gehört die Burg (Akropolis),
jetzt eine Festung mit einer dicken Mauer, in vernicht
bloß viele Säulen und größere Marmorstücke zu sehen
sind, sondern auch ganze Reste des Minerventem-
pelö, des ErechrheumS, in welchem diese Görtinn
nebst Neptun verehret ward, und von welchen noch
die Säulen von dem Vordertheile und verschiedene
schöne Stücken Mauer von weißem Marmor stehen,
und des Odeum oder Musiksaals. Der Tempel des
TheseuS
in Europa. 561
Theseus hat sich, das Dach ausgenommen, noch völ-
lig ganz erhalten, und ist jetzt in eine griechische,
dem heil. Ritter Georg gewidmete Kirche verwan-
delt. Ehemals hatte Athen drey Häfen, den Pi-
räus, Munychia und Phalerum, von denen aber
der erste der vornehmste war. Jetzt heißt er Porto
Lione, von einem Löwen, der, in weißen Marmor
gehauen, auf einem Felsen mitten in der Einfahrt
saß, und jetzt in Venedig ist. Noch ist er präch- ■ \ ,
tig, und etwan zwo Stunden von der Stadt.
Phalerum, jetzt Porto Poro, ist meist unbrauchbar,
und der Munychische ist gar nicht mehkjvorhanden.
Morea, MoraVilaieti ist eine Halbinsel, 6. Mores-
welche mit Hellas oder Livadien durch einen schmalen
Strich Landes, der die korinthische Landenge genennt .
wird, zusammenhängt, übrigens rund um von dem
Archipelag umstofsen wird, im Alterthum Pelo-
ponnes hieß, und aus Sic^on, Argos, N^es-
senien, ixovintl), Achaja, Arkadien und La-
konien bestand. Das Land ist fruchtbar an vieler*
ley schönen Produkten, und hat jetzt etwan i goooq
christliche Einwohner. Die Osmanen wurden 1460
Meister davon, mußten es zwar im Karlowitzec
Frieden 1699 der Republik Venedig abtreten, er*
hielten es aber im Paftowitzer 1715 wieder.
Wir bemerken darinnen: Rorinrh (Gereme), Korinth.'
eine ehemals große und glühende Stadt auf der
Landenge, welche auf beyden Seiten Häfen, und
also die europäische und asiatische Handlung in ihren
Händen hatte; dies und die Jsthmischen Spiele
machten diesen Ort so reich als prächtig, und zu ei-
nem Wohnsitz der schönen Künste. Ein Streit mit
hen Römern verursachte die Zerstörung dieser schö-
nen Scadt; die zwar jnachher wieder auö ihren
Trüm mern erbaut, allein von den Gothen aufs neu?
H Sand. ll Abch. N n W*
562 Osmanisches Reich
verwüstet ward. Jetzt ist es noch von beträchtlichem
Umfange, allein die Hauser sind schlecht, und von
der ehemaligen Herrlichkeit sind nur noch wenige Rui-
Napoli di nen zu sehen. Napoli di Romania, ehedem
Romania. Nauplia, eine Stadt und Festung auf einer Halb-
insel. Sie war im Alkerthum der Hasen vonArgos,
welches ein reicher berühmter Ort und die eine Haupt-
stadt des Reichs der Argiven war. Die andre hieß
Misttra. Mycena, jetzt ein elendes Dorf. Misttra, im
Alterthum Sparta, eine Stadt mit einem festen
Kastel am Flusse Eurotas. Lange Zeit die Rivalin
von Athen, bewohnt von dem kriegerischsten Volke,
in ihrer Lanzen beyspiellosen Verfassung von jeder
Nation bewundert, ist jetzt ihr Ruhm völlig dahin,
und auch nicht ein Denkmal von ihr mehr vorhan-
Napoli di den. Napoli dj Malvesta (Menenotsche), sonst
Malvesta. Epidaurus, ist die stärkste Festung der ganzen
Ksron, Mo- Halbinsel. Boron, Modoir und Navarin
varin eben falls feste Oerter mit guten Hasen. Pa*
3)aira$. tras ist eine ansehnliche Stadt, in einiger Entfernung
von der See gelegen, welche 1770 von den Osma-
nen verbrannt ward, als die Russen Eroberungen auf
Langaniko. der Halbinsel machten. Langaniko, ehemals
Olympia, und eine berühmte Stadt, bey welcher
zu Ehren des Jupiters die sogenannten olympischen
Spiele, von deness die Griechen ihre Zeitrechnung
nach Olympiaden einsührten, gehalten wurden.
Der Gott hatte hier einen prächtigen Tempel, in
dem seine Statue von Elfenbein und Gold, das Mei-
sterstück des Phidias stand. — Auf dieser Halbinsel
ist auch die Landschaft Maina, die aus allen Sei-
len mit unzugänglichen Bergen besetzt ist. Ihre
Einwohner, welche 1 2000 Soldaten stellen können,
sind Nachkommen der alten Spartaner, die tapfer-
sten unter allen Griechen, die aller wiederholten Ver-
suche ungeachtet noch nicht von den Osmanen haben
bezwun-
in Europa. 563
bezwungen werden können, sondern frcy und ohne
den Karatsch zu entrichten leben.
Zur Statthalterschaft des Kapudan - Pascha Satthal-
oder Großadmirals, soweit sie europäisch ist, gehö- ^''l'chaft des
ret südwärts von Konstantinopel ein Theil des festen
Landes, nämlich die rhracisshe Halbinsel zwischen
dem Archipelag und dem Hellespont, oder der Meer-
enge, welche hier Europa von Asten trennet. Man
nennt diesen Strich Landes die Sandsc^akschafc. r- Sand«
(VaUipoli, nach der Stadt gleiches Namens, wel-^^schaft
ches die erste Stadt in Europa ist, deren sich die li>0^*
Osmanen bemächtigt haben. Es ist ein großer auf
einer Halbinsel liegender Ort, ohne Mauern, übri-
gens aber von geringer Bedeutung. An dem Ka-
nal, in welchen man nur mit Südwind hinauffahren
kann, liegen die berüchtigten Dardanellen oder fe- Dardanellen,
sterft Schlösser, welche sowohl aus der europäischen
als asiatischen Seite zu Verhinderung einer unwill-
kommenen Durchfahrt angeleget sind. Aus der eu-
ropäischenSeire sind zwey wie auf der asiatischen, beyde
mit einer zahlreichen Artillerie besetzt, die aber, wie
viele einsichtsvolle Reisende behaupten, in sehr schlech-
tem Zustande j ist.
Der zweete Theil dieser Statthalterschaft sind TI. Die In-
die Inseln im Archipelag, der sonst das ägäifcheim Ar-
Meer genennt wurde, und mit einer Menge Inseln, ä)ipe!ag.
die man ehedem in Cyklades (die in einem Cirkel
beysammen liegen,) und Sporades (die zerstreuten)
eintheilte, angefüllt ist. Hieher gehören davon:
i) Samondrachi, ehemals Ganiorhrake, o.i. i) Samonr
Land der Thracier, nicht weit von der Küste Rum- drachr.
Ili, mit einer Stadt gleiches Namens. D Stall-2) Stalime-
mene, ehedenr Lemnos, ein bergigkeö aber doch ue-
meist gut angebautes Land, den östlichen Theil aus«
Rn 2 genom-
564 Omanisches Reich
genommen, der wegen seiner geringen Bewässerung
sehr dürre und unfruchtbar ist. Man grabt hier eine
gewisse Thonerde, Lemnische, oder von dem aus die
daraus gemachten Kugeln gedrückte«, Siegel, Sie-
gelerde genannt, welche von den Griechen, die sie
unter vielen gottesdienstlichen Feyerlichkeiten auögra-
ben, für ein großes Arzneymittel gehalten wird,
z) Skyros. 3) Skyros wegen ihres rauhen felfigten Bodens so
benamt. Ihr Boden scheint Kupseradern zu ent-
halten, und hin und wieder findet man vulkanische
Materien. Ohngeachtet ihrer Felsen und der gerin-
gen Bevölkerung, die nicht über 300 griechische Fa-
milien betragen soll, ist sie doch ziemlich angebauet,
und ihre Einwohner treiben mir Wein und Käsen
einen nicht unbedeutenden Handel. Es ist nur ein
Flecken, und in diesem Flecken nur ein Osman, der
Kadi nämlich auf der Insel. Als eine befondre Art
des Luxus kann man den Gebrauch der Einwohner
ansehen, in ihren Hausern so viel Töpfe an hölzernen
Nageln aufzuhängen, daß die Mauern ganz davon
4)Negropont. überdeckt werden. 4) ncguoponr, das Euboecr
der Alten, die größte Insel des ArchipelagS, nur
durch eine Meerenge von dem festen Lande geschieden,
über welche eine Brücke geschlagen ist. Diese Insel
ist an Korn, Wein, Oel und a«,dern Früchten sehr
fruchtbar, und verschiedne ihrer Berge verrathen es
deutlich, daß sie ehedem Feuer auSgeworfen haben.
5) Andros Der Hauptort führt den Namen der Insel. 5) An-
droe, eine der fruchtbarsten Inseln dieser Meere,
deren größter Neichthurn der Seidenbau ist. In
ihren dreyßig bis vierzig Dörfern find etwan 5002
6) Zla. meist griechische Einivohner. 6) Zia, sonstReos,
im Alterthum wegen ihrer Schönheit und Volks-
menge sehr berufen, und mit vier großen Städten
gezieret, statt deren seht nur ein Schloß Namens
ßia darauf befindlich ist. Man findet noch ver-
schiedene
in Europa. ;6;
fchiedene Trümmer von der ehemaligen Pracht dieser
Städte, Reste eines alten Hafens, eines Tempels,
Theaters und dergleichen. Die Insel ist ziemlich
gut angebauet, und die Einwohner, welche Grie-
chen sind, treiben mit Feigen, Seide, und Velani
der Frucht einer Art Eichen, welche zu Farbereyen
rurd Lederbereitungen benuht wird, einen wichtigen
Handel. Auch hier sind Spuren feuerspeyender
Berge. 7) Tine, einst Tenos, eins der reich-7) Tine,
sten und angenehinsten Eilande von Griechenland,
das nur zwölf französische Meilen im Umfange, aber
doch eine Bevölkerung von mehr denn 20OOO Men-
schen hat. Seide ist vorzüglich der Reichthum die-
ser Insel; so viel derselben indessen gebaut wird, so
müssen die Einwohner doch noch welche aus Andros
holen, woraus sie fast für die ganze Levante Strüm-
pfe verfertigen. Man baut auch vielen und köstli-
chen Wein, und überhaupt wohnen hier die fleißig-
sten und arbeitsamsten von allen Griechen, so wie
sie die feinsten, artigsten und verschlagensten aller
dieser Inselbewohner sind. Die Frauenzimmer von
Tine verdienen das Lob der Schönheit, und ihr An-
zug erhöht ihre Reize unendlich. Handel und Ar-
beitsamkeit verbreiten einen allgemeinen Wohlstand,
und da sich diese Insel durch eine gewisse Summe
Geldes von dem Aufenthalt eines Aga los kaufet,
so haben ihre Einwohner ein- gewisses Gefühl für
Freyheit und Vaterland, das man anderwärts we-
-nig findet. Bimssteine, Lava und andre dergleichen
Materien bezeugen das Daseyn ehemaliger Volkane.
8) M^kone zeigt dieselben Spuren, und überhaupt 8) Mykone.
scheinen alle Inseln des Archipels durch unterirrdi-
sehe Entzündungen entstanden zu seyn. Die Jnjel
ist nicht sehr fruchtbar, und Holz fehlt gänzlich.
Die Einwohner, welche Griechen find, treiben mit-
unter auch ein wenig Seerauberey. Mykonum ist
Nn 3 ein
9) Delos.
566 Osmanisches Reich
ein Flecken mit etwan 1000 Einwohnern, und der
einzige Ort aufVder Insel. 9) Detoo, jetzt ein
ganz verlassenes Felsenstück im Alterthnm, aber eine
sehr berühmte Insel, die plötzlich, wie ihr Name im
griechischen andeutet, auf dem Meere erschienen
war, auf welche sich Latona geflüchtet, wo sie Apollo
und Dianen geboren, und ^wo der erste einen präch-
tigen Teinpel hatte, von welchem man noch eine un-
beschreibliche Menge Säulen und andre Trümmer
ro) Cyra. stndet. 10) S^ra, ehemals G^ros, bergigt,
fruchtbar, aber nur sehr, schlecht bebaut und bevöl-
kert. Die Einwohner sind Katholiken, und wohnen
alle, 4000 an der Zahl, in einer kleinen an einem
Berge gebauten Stadt. In dem Innern der Inset
trifft man. bloS Trümmer ehemaliger Wohnungen
n)Thermiä.an. n) Echermiä, sonst CFchorw, elne gut
bebaute, Gerste, Wein, Feigen, Honig, Baum-
wolle und Seide hervorbringende Insel. Sie hat
warme und heilsame Bader, die, wie die Ueberbleib-
sel alter Gebäude zeigen, ehemals bester als gegen-
wärtig benutzt worden sind. Jetzt sind zween Orte
darauf, in denen ohngefahr öc OO griechische Christen
rr) Serpho. wohnen. 12) Serpho, Geriphus, ein so rau-
hes Land, daß die alten Dichter den Perseus mit
seinem versteinernden Medusenkopf zu Erklärung der
schroffen Felsen zu Hülse nahmen. Es sind hier
viele Eisen-und Magnetminen , die aber um so we-
niger benutzt werden, da die Einwohner mit ihren
Werkzeugen kaum die Zwicbelselder bearbeiten kön-
nen , deren sie sehr viel auf ihrer Insel haben. Al-
terthümcr darf man auf diesem wüsten Felsen nicht
suchen, den die Römer als das härteste Exil für
rz) Ciphan-grobe Verbrecher ausahen. 13) Giphanro,
Glphnos, welches im Alterthum wegen seiner
Gold-und Silberminen bekannt war, die jetzt aber
in Vergessenheit gerochen sind. Die Insel genießt
einetz
in Europa. 567
eines herrlichen Klimats, und ihr Boden bringt
Getraide, Früchte, Seide, Feigen, Baumwolle,
Kapern, Honig u. s. w. hervor» Es sind hier sechs
Dörfer mit 5000 meist griechischen Einwohnern,
weiche über 500 Kapellen und 6 Klöster haben.
Der Oel-und Kapernhandei ist ihr wichtigstes Ge-
werbe, auch machen sie sehr schöne baumwollne Tü-
cher und Strohhüte. 14) Milo, Melos, eine 14) Mils.
kleine, aber ehedem sehr beträchtliche Insel, die ge-
genwärtig von ihren: alten Glanze nicht das mindeste
mehr übrig hat. Sie besteht fast ganz aus einem
hohlen fchwammigten Felsen, unter dem beständig
unterirrdisches Feuer brennen muß, da nicht allein
aus den Felsenlöchern eine ziemliche Warme heraus
kömmt, sondern auch ein Ort auf der Insel ist,
welcher brennet, und um den die Felder ohne Auf-
hören rauchen. Warme Quellen sind hausig, Alaun
und Schwefel sindet sich allenthalben, und wenn
auch der Boden, da wo die Felsen aufhören, Ge-
traide, Früchte, Wein, Feigen, Melonen hervor-
bringt, und allerlei) Vieh hier gut gedeihet, so ist
doch das Klima von höchst ungesunder Beschaffen-
heit. Ehemals war es nicht so, man glaubt aber>
daß der neue Volkan bey Santorin deren Schuld
sey, indem sich die unterirrdische Entzündung dis
hieher fortgepflanzt habe. Die Stadt gleiches Na-
mens ist nicht übel gebauet, aber von den 500a
griechischen Einwohnern, die sie noch zu Anfang die-
ses Jahrhunderts hatte, sind keine 200 mehr übrig,
welche gelb aufgedunsen aussthen und bald das Opfer
des KlimatS zu werden scheinen, wenn nicht das Feuer,
dessen schreckliche Wirkungen sich in so vielen'Gestalten
zeigen, den Untergang der ganzen Insel verursachet.
15) Argentera, Rimolis, hat ihren ersten Na« 15) Argem
men von französischen Seefahrern wegen der daraufticra.
entdeckten, jetzt verschütteten Silbermrnen erhalten.
Nn 4 Die
568 Osmanischcs Reich
Die ganze Insel ist eine raHe Felsenmaste, auf der
nur hie und da da ein Baum zu sehen ist. Nur
um-das einzige Dorf her, das ein Klumpen elender
Hütten ist, sind einige Gersten-und Baumwollen,
selber. Die Einwohner, welches Griechen sind,
*6) Antlpa- machen kaum 200 Personen aus. 16) Anripa.
r^t ros, ein Felsen, der nichts als Gerste und schlecht
-- ten Wein hervorbringt, und ein einziges elendes
Dorf hat. Dennoch ist dieser Felsen wegen einer
Grotte berühmt, die manche Reisende mit den
schönsten Farben malen, von der andre aber behau«
pken, daß alle ihre Schönheiten auch in der Bau-
rnannöhöle am Harze zu sehen sind. Man muß
sich an Seilep in diese Hole hinablassen, deren senk-
rechte Tiefe auf 252 Fuß geschähet wird, und an
einigen Stellen ist die Gefahr hinabzustürzen wirk«
lich nicht geringe. Kömmt man denn endlich her-
unter, so findet man einen großen Raum, in wel-
chem sich von oben herabhangend, und von unten
hinaufstehend, eine Menge Tropfsteine zeigen, die
wirklich allerhand seltsame Figuren gebildet haben,
worunter vorzüglich eine Stalagmite (so nennt man
was sich durch das Herabtropsen auf dem Boden er«
zeugt hat, Stalaktiten heißen die gleich Eiszapfen
herabhängenden Gestalten) von 24 Fuß Höhe,
und 2v Fuß im Durchmesser gerühmt wird.
17) Paros. Dieser Znsel gegenüber liegt 17) paros, vor
Zeiten eine reiche und machtigeZnfel, auch jetzt noch
an Korn und Wein, zahmen Vieh und Wildpret
fruchtbar, aber vorzüglich seit dem letzten russisch»
türkischen Kriege, da die ersten den Hasen Naussü
zum Aufenthalt ihrer Flotte gewählt hakten, sehr von
Einwohnern entblößet. Die Stadt parichia ist
der Hauptort, und steht auf den Ruinen des alten
Paros, von dem Man hier noch viele herrliche Ueber»
in Europa/ 569
bleibftl sichet. Auch im Innern der Insel, w»
noch etliche Dörfer, nebst sehr vielen geistlichen Ge-
bäuden befindlich find, giebt eS noch Trümmer.
Ein vorzüglich wichtiges aus dem Alterthum übrig«
gebliebenes Stück war die sogenannte Kronik von
Paros, eine Marmortafel, welche die Hauptepochen
der griechischen Geschichte von Kekrops, dem Stifter
Athens, bis auf die Zeiten Alexanders enthielt, und
von dem Grafen Arunde! 1627 nach England ge-
bracht worden ist, wo fie jetzt eine Zierde der Uni-
versität Oxford ausmachet. Der Marmor dieser
Insel war im Alterthume sehr berühmt, ohngeach«
tet er zu Bildhauerarbeiten nicht der beste seyn soll.
Man sieht noch die Steinbrüche, gegraben wird
aber keiner, weil die Osmanen den von Tine vorzie-
hen. 18) Naxia, tlajc00, wo der Fabel zu. *8) Naxia.
folge Bachus erzogen ward, und die vom Theseus
verlassene Ariadne zu seiner Gemahlinn erhob, die
fruchtbarste Insel M Archipelag, deren stl)öne Ge«
filde mit Pomeranzen-, Oel-, Zitronen-, Feigen-,
Maulbeer-uud Zederbaumen, mit Weingärten und
Kornfeldern, mit Viehheerden und Wildpret bedeckt
find. Diese Vorzüge haben ihr auch bey den Alten
den Namen Klein-Sizilien erworben, und ihre
Weine find mit dem Nektar der Götckr verglichen
worden. Auf der ganzen Insel sind aufs höchste
6ooo griechische und katholische Einwohner, welche,
da nur äußerst kleine Fahrzeuge hier landen können,
mitten im Schooß der Unterdrückung eine Art von
Freyheit genießen. Von dem Tempel des Bachus
fieht man noch die Hauptthüre. 19) Hto, Jos, 19) Nio.
eine unbedeutende Insel, auf welcher Homers Grab-
mal ist, welches ein russischer Officier, der Graf
Pasch diKrienen, 1771 entdeckt haben soll.
57°
I. Inseln im
mittellandi-
schen und jo
Nischen Mee.
re.
7) Kandia.
OsmanischeS Reich
Die übrigen Inseln, welche dem Kapudan-
Pascha in dem europäischen Gewässer unterworfen
sind, können bloö wir namentlich anführen. Es sind:
Embro, Thessus, ehemals wegen ihrer Gold-
grubenberühmt, pelagnist, Gkiacho, Pipen,
Ikos, Roluri, ehemals Salamis, wo die Grie-
chen einen glänzenden Sieg über die Perser erfoch-
ten, Aegina, sonst Myrmidoma, weil die
Einwohner wegen ihres Fleißes mit den Ameisen
verglichen wurden, poros, Ioura, Trago-
nisi, prepesinchos, Amorgos, Sikmo und
polikandro.
Noch sind uns einige Inseln übrig, welche
theils im mittelländischen, theils in dem ehemals so
'genannten jonischen Meere gelegen sind. Die vor-
züglichste darunter sist i) Rairdia, sonst Rrera,
eine der größten Inseln im mittelländischen Meere,
welche 70 Meilen in der Länge und 10 tn der Breite
hat. Mehr als die Hälfte derselben ist mit un-
fruchtbaren felsigten Bergen angesüllt, unter denen
der Ida, welcher den Freunden Homers be-
kannt ist, wegen seiner Höhe die erste Stelle ein-
nimmt. Alle diese Berge sind unfruchtbar, und
bringen aufs höchste die Staude Tragakantha, wel-
che das Gummi Adragantgiebt. Desto fruchtbarer
aber sind die Thäler und Ebenen, welche Korn,
herrlichen Wein, Oel, Seide, Honig, Ladanum*)
hervorbringen, und in denen auch an allerhand zah-
men und wilden Thieren kein Mangel ist, obgleich
unter der jetzigen Herrschaft ein großer Theil des Lan-
des
*) Eine zwey Fuß hohe Staude mit rosenfarbcnen
Blüten, hat.auf ihren Blattern einen klebrigten
Saft, welcher Ladanum gencnnt und in der Arzney.
kunsi gebraucht wird-
in Europa.
57i
des unangebaut ist. Die Volksmenge sott nicht über
ZOOvoO Seelen betragen, von denen zwey Drittel
Christen seyn mögen; alles schöne starke Leute, wel-
che immer noch wie ihre Vorfahren große Bogen,
schützen, aber nicht so bösartig und lüderlich sind.
Sietreiben Landwirthschaft, machen i grobe Tücher,
handeln mit ihren Landesprodukten, und leben in
ziemlichem Wohlstände.
Vor Alters hatte Kreta seine eigenen Könige,
unter denen Saturn, Jupiter und Minos der Ge-
setzgeber waren. Nachher waren hier Republiken,
dis die Römer die Insel eroberten, welche bey der
Theiluug des Reichs zum orientalischen Kaiserthume
geschlagen ward. Die Saracenen waren von 82z
bis 962 Herren davon, worauf sie zu Anfang des
dreyzehnten Jahrhunderts den Venetianern verkauft,
diesen aber 1669 von den Osmanen entrissen ward»
Wir bemerken darauf Randia, die Haupt- Kandis
stadt der Insel an der nördlichen Küste an einer schö-
nen Ebene gelegen. Unter venetianischer Herrschaft,
von der ihre Gasten, Hauser und Kramladen noch
Spuren zeigen, war sie eine reiche und so feste Stadt,
daß die -Osmanen sich 20 Jahr mit ihrer Belage-
rung beschäftigten; jetzt aber ist sie nur der Schatten
ihres ehemaligen Glanzes. Die Einwohner sind
Osmanen, Griechen, Armenier und Juden, zu-
sammen gooo Seelen. Ranea, der zweete Ort Kanea,
der Insel, und ein ziemlich befestigter Ort. Die
Anzahl ihrer Einwohner mag ohngefahr 3002 be-
fragen. Die Gegend umher ist ein herrliches Gefil-
de, wo hohe Olivenwalder mit Kornstücken, Wein-
bergen und schönen mit Myrthen bekränzten Bachen
abwechseln. Der dritte vorzügliche Ort istRetimo, Retkmo.
kleiner aber schöner als Kauea. Ein ehemals wich,
tiger Platz war Gorrvna, etliche Stunden vom Gortyna^
Berg
572 Osmanisches Reich
Berg Jda, in einer sehr kornreichen Gegend; jetzt
aber gänzlich zerstört, und mitten unter den herum-
liegenden Säulen, Kapitälern u. s. w. mit Getraide
besäet. In dieser Gegend ist auch das sogenannte
Labyrinth, eine unterirrdische Hole, deren Haupt,
gang 1200 Schritte weit führet, und sich in zwey
schönen großen Gemächern endigt. Unwahrschein,
lich ist es, daß dies das Labyrinth sey', in welchem
der Minotaurus war, und auö welchem Theseus mit
Hülfe der Ariadne den Ausgang fand.
Santorin. Die zwote dieser Inseln ist Gantorin, ehs»
malö THera, auf welcher etwan 8000 Einwohner
leben. Ein Theil derselben ist schrecklich aus Lava
und Bimssteinen zusammengesetzt, der andre trägt
einen starken geistigen Wein, Gerste, Waizen,
Oliven und Baumwolle. Der Sage nach ist diese
Insel unter einem heftigen Erdbeben als ein seuer-
speyender Berg auö dem Meere gestiegen, andre
glauben aber, daß sie vielmehr durch Vulkane ver.
wüstet worden sey. So viel ist gewiß, daß ein Theil
ihrer Küste ein Zoo Fuß über das Meer erhabener
Berg, aus Lava, Bimsstein und geschmolzenem Gra-
nit zusammengesetzt ist. Die erste Revolution dieser
Insel fällt ins Jahr 237 vor Christi Geburt, wo
sie von der kleinen Insel Therasta getrennt wurde.
Im I. 197 vor Christi Geburt erschien eine Insel,
die man ^Lera oder die heilige nannte, jetzt aber
grande Äammeni, die große verbrannte, heißt.
Im Jahr Christi 46 erschien die Insel Thia, die
in einer der folgenden Revolutionen entweder ver-
schlungen, oder mit Hiera vereiniget ward. Im
I. 1573 erschien eineJnsel, die kleine Bammeni
genannt, und 1707 erzeugte ein schrecklicher über
ein Jahr dauernder Ausbruch eine neue Insel zwi.
schen den beyden Kammeni. — Uebrigens findet
man
in Europa.
573
man auf Santorin noch Trümmer der alten Stadt
TheraS, unter denen man noch Ueberbleibsel eines
Tempels, verstümmelte Statüen, Grabmaler und
dergleichen erblicket.
Die übrigen Inseln sind: Z7?amphLo,Stam.
pala, Gkarpancho, Gtandia und etliche ganz
kleine unbewohnte Felsen. Zu denen im jonischen
Meer gehören le Sapienze, welche Modon in le Saplenze
Morea gegenüber liegen, und GN'ivali, zwo und Sttivali.
Inseln, welche von griechischen Mönchen bewohnt
werden.
Einige im mittelländischen Meer liegende In. Venetianische
seln sind noch unter venetianischer Herrschaft, und Inseln,
die einzigen Ueberreste von der Macht dieses Frey-
siaats. Es sind i)Rorfu, sonst Rorc^ra, aufKorftr.
7o^ital.Meilen lang, und, wo ste am breitestenist,
ZO derselben breit. Gegen Mittag ist ste unfrucht-
bar, felsigt und ohne Wasser, gegen Norden aber
bringt ste Getraide, schöne Weine, Oliven und an.
dere Früchte hervor. Auch hat sie wichtige Salz,
werke. Seit dem dreyzehnten Jahrhundert sind die
Venetianer im Besitze derselben, und weil sie dieselbe
alseine Vormauer ihres Staates ansehen, befindet
sie sich immer in gutem Vertheidigungöstande. Auf
der ganzen Insel sind gegen 1i o Flecken und Dör-
fer, und etwan 5OOoo Einwohner. DerHauptort
LstRorfu, eine wichtige Festung, mit einem gerau. Korfu;
migen stark besuchten Hasen, und sogar einer Aka-
demie der Künste j und Wissenschaften, potami
und Rastel S. Angeld sind die übrigen vorzüg.
lichern Orte. 2) Santa Nlaura, ehemals 2) Sarrts
riris, hieng sonst mit 2tkarnanien zusammen, die Maura.
Landenge ward aber von den Karthaginensern oder
Korinthern durchstochen, so daß sie nur etwan 5 o
Schritt vom festen. Lande entfernt ist- Sie bring-
574 Osmanisches Reich
Getraide, Wein, Oliven, Pomeranzen, Zitronen
und andere Früchte hervor. Ihre Einwohner find
Griechen, und Santa Maura heißt auch die von
526000 Menschen bewohnte Hauptstadt,^ welche
wegen ihrer hohen Mauern und vielen Thürme so-
wohl, als wegen ihrer morastigen Lage, eine jgute
3) Cephalo- Festung ist. 3) Cephalonia, nicht weit von der
nia. vorigen gelegen, ein an Wein, Oliven, Rosinen,
Zitronen und Getraide sehr fruchtbares Eiland, das
aber öfters, noch 1766 und 67 durch Erdbeben ver-
'4) Zante, wüstet worden ist. 4) Zance, ehedem Zakinthos,
nicht weit von Cephalenia, und, wie jene, häufigen Erd-
beben unterworfen. Sie besteht aus zwey oder drey herr-
lich angebauten Thalern, in welchen Wein, Oliven,
Zitronen, Pomeranzen, Melonen, Korinthen u.fiw.
fortkommen. Mit den letztem wird ein beträchtli-
cher Handel getrieben , und die Einwohner der In-
sel, welches meist Griechen find, glauben, man
kaufe fie, um sie beym Farben zu gebrauchen. Es
giebt hier auch Theer, der auf verschiedenen Brun-
nen als ein glanzendes Häutchen obenauf schwimmet.
Die Hauptstadt heißt Zante, und ist ein großer am
Meerufer liegender gut gebaueter Ort. passo und
Antipafso, zwischen Santa Maura und Korfu,
die Rurzolari, Val di Rompare, das ehema-
lige Ithaka, und Cerigo, zwischen Kandien und
Morea, eine unfruchtbare Klippe mit wenig Ein-,
wohnem, sind die übrigen der Republik unterworfenen
Jnfeln.
K. Serwien Das Königreich Serwien, welches an Ungarn,
oder Sief Boschnah - Ili und Bulgar - Ili granzet, ist ein
Ailaieti. schönes herrliches Land, dessen Einwohner, die Ser-
bier, ein altes flavifches Volk, unter dem Kaiser
HerakliuS in diese Gegenden kamen. Seit dem eilf-
trn Jahrhundert hatte Serwien eigene Fürsten, von
welchen
in Europa.
575
welchen der letzte Lazarus hieß, den die Osmanen
1305 seines Staates beraubten. Im Frieden'zu
Passarowitz 1718 mußten sie zwar den größten und
besten Theil an Oesterreich abtreten, allein im Bel-
grader Frieden von 1739 bekamen sie denselben wie-
der. Das Land ist seitdem ziemlich verwildert,
und viele der Einwohner, welches Serwier und
Raizen sind, wandern von Zeit zu Zeit in die benach-
barten Staaten.
Die Hauptstadt ist Belgrad, Griechisch. Belgrad. )
Meißenburg, eine große Stadt und wichtige Fe-
stung bey dem Einfluß der Save in die Donau.
Seit sie den Osmanen wieder gehöret, sind viele
Häuser aus Mangel an Einwohnern eingefallen;
dennoch aber ist der hiesige Handel, weil sie der
Mittelpunkt des türkischen und ungarischen Verkehrs
ist, von großer Wichtigkeit, und der osmanische Hof
hebt jährlich an 120000 Thaler von dem hier ange-
legten Hauptzolle. Die andern Orte sind Semen- Semendriah.
driah, eine altmodische Festung an der Donau,
und Nissa, eine etwas stärkere Festung, aber ein Nissa.
höchst elend gebauter Ort, in welchem man die Dä-
cher der Häuser mit der Hand erreichen kann,
passarowitz ist wegen deö 1718 hier geschlossenen Patzarowitz.
Friedens bekannt.
Das eigentliche Bosnien liegt westwärts von I« Bosch«
Serwien, hatte ehemals eigene Könige, kam aber uah'Jli oder
nachher unter ungarische und 1722 unter türkische^"""'
Herrschaft. Es ist so fruchtbar, aber auch so ver-
wildert wie Serwien, und seine Nationaleinwohner
sind ebenfalls griechische Christen und siavischen Ur-
sprungs. Man schätzet ihre Anzahl auf 82000.
Die Hauptstadt ist Sarajewo, Serajo, am Sarajewo.
Flusse Boschnah. Man schätzt die Anzahl der Hau-
ser aus 12000. Die dabey gelegene Festung ist
576 OsmanischeS Reich
weitlauftkg, und hat Mauern, welche zwo Klafter
dick sind» Der kommandirende Pascha wohnet, in
Trawnik. Trawnik, einer nicht sonderlich großen, aber wich-
Banjaluka. eigen Festung. Banjaluka, am Flusse Verbasch
gelegen, hat etwan 3000 Hauser, und ist eineziem-
lich starke Festung.
Zu Boschnah-Ili wird auch noch gerechnet,
1) das Stück Kroatien zwischen der Unna und
Verbasch, welches seit dem Karlowißer Frieden den
Wihitsch. Osmanen gehöret. Wir bemerken U?il)itsch, eine
Stadt, in einem See! gelegen, welchen der Fluß
macht. 2) Das Stück von Dalmatien, wel-
ches sich von Bosnien bis Albanien erstreckt. Der
Gkardona. vorzüglichste Ort ist Gkardona, nicht weit vom
Meere, übrigens ziemlich unbedeutend.
M. Tribut. Die tributbaren Schutztander sind das letzte,
känder. Kjag Ln dem europäischen Theile des osmanischen
Reiches noch unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehet-
Es sind dieses erstens: die herrliche gesegnete wa-
lache)?, welche an Serwien, Bulgarien, die Mol-
dau, Siebenbürgen und Ungarn granzer, und vom
Abend gegen Morgen auf 45 Meilen in die Lange,
von Mitternacht gegen Mittag auf 24 bis 42 Mei-
len in die Breite geschähet wird. Diefeö Land ist
eines der fruchtbarsten, das man sich denken kann?
seine Wiesen prangen mit hohem Grafe und den
schönsten Blumen; feine großen Waldungen sind
bezaubernd, und enthalten einen Schütz von Schiss-
bauholze in sich. Man erzeuget hier schönes Obst,
Melonen, Maiz, Warzen, Hirfe, Gerste, Tabak,
Wein, von dem allem aber unter einer andern sich
mehr um die Landesökonomie kümmernden Regie-
rung noch ungleich mehr gewonnen werden könnte.
Dies ist auch der Fall mit den Schätzen des Stein-
M'chs, deren Aufsuchung hier sehr vernachlaßiget
wird
V
in Europa. 577
Wird, ohngeüchket man haustge Gold-und andere
Erzspuren findet. Die Salzgruben werden noch
am meisten benutzet, und tragen dem Fürsten
jährlich gegen 500000 Fl. ein. In der Nähe die-
ser Salzgrnben stndet man Bergvl, welches die
Wlachen als Wagenschmiere gebrauchen. Auch sind
an sehr vielen Gegenden mineralische Wasser, aber
niemand sucht sie, und wenn eine heute entdeckt ist,
so hat man sie morgen schon wieder vergessen. Aus
dem Thierreiche hat man gute Pferde, welche frey
auf dem Felde herumlaufen, und mit Mühe einge-
sangen werden müssen, Rindvieh, Büffel, Scha-
fe, von denen es dreyerley Arten, mit zottigter,
ganz feiner und mittler Wolle giebt, und deren
Milch zu sechferley Sorten Käse, mit welchem man
Marken Handel treibt, benutzet wird, Ziegen,
Schweine, deren Zucht die ergiebigste unter allen ist,
allerley Flügelwerk, Hafen, Auerochsen, Baren,
Wölfe, allerley wildes Gevögel, eine unglaubliche
Menge Fische, Schildkröten, von denen alle Teiche
und Flüsse voll sind, wenige Seidenwürmer, aber
desto mehr Bienen, endlich auch Ottern, Heuschre-
cken und anderes Ungeziefer. Bey so vielen natür-
lichen Vorzügen ist die Walachey doch nur sehr schlecht
bevölkert, da sie aufs höchste 300000 Einwohner,
Wlachen, Servier, Griechen, Armenier und Ju-
den zusammen gerechnet, haben mag. Die Wla-
chen, welche man für Nachkommen der alten Thra-
zier halt, sollen unter römischer Herrschaft, die
Sprache und Sitten ihrer Gebieter angenommen
haben, wiewohl die Aehnlichkeit der erstern mit der
slavischen Sprache wenigstens oben so groß als mit
der lateinischen ist. Uebrigens ein kriechendes, be-
trügerisches, rachgieriges, geiles, schmutziges, aber
auch gastsreyes Volk. Ihr Hanörath ist schlecht
und elend, ihre Tracht meist türkisch, aber so kost-
11 Band. H Abch. O 0 bar,
578 Osmanisches Reich
bar, daßl einmal aus den Kleidern einer bloßen
Landedeldame 8000 Fl. gelöset wurden, und ein
Mannsgüetel auf 800 Löwenthaler zu stehen kömmt.
So gering die Kenntnisse dieser Leute sind, so haben
sie doch gedruckte Bücher, die aber denn freylich
meist theologische und nur in wenig Händen sind.
Von der Geschichte wußten sie sonst gar nichts, in
dem lehten russischen Kriege aber haben dieOfficierS
die französische Sprache auch hier gemein gemacht,
und seitdem liefet man doch Rollin und Voltare.
Mathematik kennt man nicht, die Arzneykunst wird
von unwissenden Griechen und noch unwissender»
alten Weibern getrieben; dennoch aver lebt der
Wlache sein unbekümmertes Leben bis in das späteste
Alter zufrieden hindurch Die Künste liegen gänz-
lich in diesem Lande darnieder. Ihre Religion ist
die griechische; ihre Unwissenheit in den Lehren der-
selben ist aber so groß, als man sie bey einem Volke
erwarten kann, das zwar ganze Schaaren Geistliche
hat, von denen aber wenige mehr Kenntnisse besi-
tzen, als daß sie ohne Anstoß lesen können. Jede
Art deö blödesten Aberglaubens geht hier im Schwan-
ge, und nur darinnen, daß ihnen die Russen im
lehten Kriege gelehrt haben, wie man auch in der
Fasten Fleisch essen könne, sind sie einigermaßen
freydenkender worden. Es wohnen auch Katholi-
ken im Lande, und noch vor einigen Jahren war in
der Residenzstadt Bukurescht eine lutherische kleine
Gemeinde.
Ueber die Walachey, wie über die nachfolgende
Moldau, herrschet ein Fürst, den man in beyden
Ländern Hospodar, oder LVoiwod nennet, der
diese Würde von der osmanischen Pforte erhält, und
nur durch Geld dazu gelangen, und darinnen bestä-
tigt bleiben kann. Wenn er denn vom Großvizir
dis
in Europa. 579
lié auf den Unkerbalbir seiner sultanifchen Majestät,
alles mit Geld zu seinem Vortheil gelenkt hat, dann
hat er die volle Macht über Güter und Leben seiner
Unkerthanen, dann steht es ihm frey, sie so lange
and so viel zu drücken und zu plagen, bis das Ge«
schrey wirklich Eindruck am Hofe des Sultans macht,
oder bis ein andrer den geizigen Osmanen mehr für
die Fürstenwürde beut, als er gegeben hat, da er
denn alle dem Gepränge, das seinen Fürstenstuhl
umgiebt, entsagen, und froh seyn muß, wenn er
jn Konstantinopel als Privatmann sein Leben be-
schließen darf. Die Einkünfte eines solchen Schak«
tenfürsten, bey welchem weder Wahl der Nation
noch Erbfolge statt findet, sind sehr beträchtlich,
und belaufen sich auf z Millionen Kaiserfi., wovon
aber beynahe 2 Millionen unter allerhand Titeln den
Osmanen gegeben werden müssen, die übrigens
so gerecht sind, sich nicht ein einziges Haus in der
Walachey und Moldau, oder sonst eine Freyheik,
anzumaßen, ausgenommen, wo und welche sie sich
ausdrücklich auöbedungen haben.
Beyde Fürstenthümer haben in alten Zeiten zu
Dacien gehöret, und sind nach Ueberwindung des
dacischen Königs Decebalus im I. 105 nach
Christi Geburt unter römische Herrschaft gekommen.
Gothen, Hunnen, Gepiden, Langobarden, Sla-
ven, Bulgarn und Ungarn wohnten nachher in die-
sen Ländern. Im zwölften Jahrhundert kam eine
starke; Kolonie Wlachen hieher, welche sich eineu
Woiwoden wählte, dessen Nachfolger ums 2.1415
unter ofmanifche Hoheit kamen.
Die vorzüglichsten Orte der Walachey sind:
Bukureschc, acht Stunden von der Donau an der Bukurescht.
DümbowiHe, die Residenzstadt des Hofpodars, ein
ziemlich großer Ort mit unordentlich liegenden schlech*
Oo » ten
580 Osmanisches Reich
fen Häusern und langen mit Dielen belegten Gassen«
Der Kirchen sind nicht weniger als etliche sechzig-
die Katholiken haben ein Kloster, und die Luthera-
ner eine Kirche mit Thurm und Gebäude; nur die
Souveräns des Landes, die Osmanen, haben keine
einzige Metsched, ohngeachtet sich viele hier aufhal-
Tirgowischte. ken. Tirgowischte war die ehemalige Residenz,
nnd liegt in einer angenehmen Ebene an demselben
Fluß, der bey Bukurescht vorbey stießt. Zhre Hau-
ser sind meist dem Ruine nahe, indessen ist es doch
nach der jetzigen Residenz der ansehnlichste Ort der
Orschawa. Walachey. Den Türken gehöret (Orschawa, eine
Festung, welche mit fünf wakachischen Distrikten
von 1718 bis 1739 in österreichischen Händen war.
Viurgcwo. Turnul, Giurgewo, offene große Städte. Bey
der letzten ist ein festes Schloß, welches im letzten
Braila- russischen Kriege bekannt worden ist. Braila,
eine Festung an der Donau, deren Einwohner einen
wichtigen Handel treiben»
li. Die Mol- Neben der Walachey liegt die Moldau, von
dau. welcher jetzt der bergigtste Theil, die sogenannte Bu-
kowine, abgesondert ist» Sie hat beynahe dieselbe
Beschaffenheit, als die Walachey, doch soll das
Klima nicht so gesund seyn, die Gebirge ausgenom-
men, auf welchen ungleich kältere, aber auch der
Gesundheit weit zuträglichere Luft, als aufden Ebe-
nen, wehet. In diesen Ebenen wächst Waizen,
Roggen, Gerste, Hirse, mi§ welcher Brod geba-
cken wird, Obst und Wein, und die Waldungen
sind so schön, groß und holzreich , als in der Wala-
chey. In den Bergen mögen verschiedene Mine-
ralien liegen, man findet auch Spuren ehemaliger
Bergwerke, aber niemand kümmert sich lim ihre
Wiederaufnahme. Die Salzbergwerke werden noch
am meisten gebauet, ob sie schon nicht so reich als
in Europa.
58i
die walachischen sind. Aus dem Thierrekche sind
hier dieselben Gattungen wie in jenem Lande, doch
jst die Pferde-und Hornviehzucht weit ansehnlicher,
die Schafzucht aber geringer. Hirsche, Rehe,
Wildschweine und Gemsen sind auch häufiger, und
Auerochsen will man in dm Wildnissen an der Bu-
kowlne gesehen haben.
In der Moldau mögen ekwan 200000 Ein-
wohner seyn, von denen alles das gilt, was wir
oben bey der Moldau angeführet haben; dieselben
Sitten, Sprache, dieselbe Kultur, Religion und
Regierungsform. Die gewöhnliche Einnahme des
Fürsten soll 115000, die jährlichen Abgaben an die
Pforte aber wohl 300000 Fl. betragen, die also der
Hospodar, der gerade auf denselben Fuß wie der
in der Walachey stehet, so gut er kann, von seinen
Unterthanen 511 erpreßen suchen muß.
Die Schicksale der Moldau und Walachey sind
in den äiresten Zeiten dieselben gewesen. Ein gewis-
ser Dragosch soll im vierzehnten Jahrhundert, da
die Moldau sehr von Einwohnern entblößt war, eine
neue Kolonie Wlachen aus Ungarn hishcr geführt,
und die fürstliche Würde bekleidet haben. Stephan
der Große, welcher ums I» 1500 lebte, war dev
letzte dieser unabhängigen Fürsten, da sein Sohn
Bogdan zu einem Vasallen des Sultans herabge-
setzt wurde.
Wir bemerken Jfasch, die Hauptstadt des Ja sch.
Landes nicht weit vom Flusse Pruth, ein ganz offe-
ner größtentheils zerstörter Ort, mit etwan i§oo
schlechten Häusern, und einer einzigen geraden mit
Bretern gedielten Gasse. Der fürstliche Hof ist
ein altes schlechtes Gebäude, und von den 40 Kir-
chen- die sonst hier gewesen seyn sollen, find kaum
Oo 3 20
582 Oslnanl'sches Reich
20 übrig, die vielen Klöster ungerechnet, unter de-
nen ein katholisches ist. Bey der Stadt liegt eine
Art Festung, welche dem Fürsten zu einem Zu-
fluchtsort wieder innre und außre Feinde dienet
Ealatz. eValatz, einer der vorzüglichsten Handelsörter an
der Donau, welche stark bewohnt ist, und wohin
nicht nur aus den am schwarzen Meer gelegenen Or-
ten, sondern auch aus Afrika sogar Schiffe kommen,
welcheHolz, Korn, Honig, Wachs, Salz, But-
ter und Salpeter einladen.
Chotschirr. Den Osmanen gehöret Chotschin, der pol-
nischen Festung Raminiezk gegenüber, eine wich-
tige Festung, die als die einzige Stadt in dem gan-
zen Fürstenthum angesehen werden kann. Als eine
Seltenheit führen wir hieran, daß man nicht weit
von diesem Orte am Ufer des Dniéster sehr viele von
der Natur selbst so rund geformte kleine eiserne Ku-
geln stnden soll, daß man ohne weitere Zubereitung
Bender, sich derselben zum Schießen bedienen könne. Ben-
der, eine andre Festung am Dniéster, klein , aber
mit hohen Mauern von Ziegeln, die mit massiven
Rundelen versehen sind, und vor sich einen tiefen
Wassergraben- den ein Arm des Flusses an-
füllt, hat.
Hl. Republik Das dritte und letzte in Europa unter osmani-
Ragusa. schem Schutz stehende Land ist der kleine aristokratische
Freistaat Ragusa, am adriatischen Meere. Sein
Gebiet ist klein, aber äußerst fruchtbar und gut be-
völkert. Die Einwohner sind fleißige, arbeitsame
Leute, welche verschiedene schöne Manufakturwaare»
verfertigen, und sich zur katholischen Kirche beken-
nen. Die Regierungsform ist nach dem Muster
der venetianischen eingerichtet, und die höchste Ge-
walt ist also in den Händen des Adels, welcher aber
sehr abgenommen hat. An der Spitze der Staats-
ge schäfte
in Europa. 583
Geschäfte steht der Rektor, welcher alle Monate
verändert wird, und auf welchen der Rath dec
Zehner folget. In den großen Rath kommen
alle Edle, die über zwanzig Jahr find, und die den
Rath der pregadi von sechözig Perfonen wählen.
Der engere Rath von 30 Perfonen, die fünf
Provisoren, die sechs Ronsules der Bann.oder
Dlutrichter, die fünfGestindheitsräche u.siw.
sind die übrigen obrigkeitlichen Personen dieses Frey-
staatS. Die Einkünfte betragen ungefähr eine Ton-
ne Goldes, an den Sultan aber werden alle drey
Jahr durch eine Gefandfchaft 12222 Zechinen
Schuhgeld geschickt, dafür die Ofmanen diesen klei-
nen Staat auch nicht im mindesten beunru-
higen. Der Hauptort ist Ragusa, eine wohlge- Magus«,
baute Stadt, welche rund um einen Meerbusen lie-
get, gesunde Luft hat und starke Handlung treibet
Stagno ist eine andre kleine, aber wohl befestigte Gtagno.
Stadt. Auf der JgselMelada ist auch eine Stadt Melada.
gleiches Namens, und sowohl.sie als die andern im
ragufaifchen Gebiet liegenden Inseln sind fruchtbar
und wohl bevölkert«
-fr
Alle diese bisher beschriebenen zum osmamschen Geschichte
Reich in Europa gehörigen Lander, deren ältere Ge- derOsmarien.
schichte hier zu werrlauftig werden würde, wurden
nach und nach meist alle, einen kleinen Theil der nörd-
lichen Provinzen etwan ausgenommen, dem römi-
schen Scepter unterworfen, und fielen, als Kaiser
TheodosiuS gegen Ende des vierten Jahrhunderts
das römische Reich unter Arkadiuö und Honorius
theilte, dem erster« zu, da sie alsdann ein Stück des
in Asien und Afrika ausgedehnten, orientalischen oder
griechischen Kaiserthums waren. Die Geschichte
dieses Staates ist unstreitig die abscheulichste und
Oo 4 greuel-
584 OlmarMcs Reich
grouekvollste, welche wie kennen; ein Gewebe Von
Empörungen, Vergiftungen, Mord, Lastern und
Niederträchtigkeiten, bey denen man ungewiß wird,
ob <6 Erdichtung oder wirkliche Wahrheit sey. Alls
die Kaiser waren meist schwach oder grausam, in
fcm Wollüsten ihres asiatifchgeformten Hofes ver-
sunken, oder große theologische Streiter, aber immer
pm di? Verwaltung ihres Staates unbekümmert.
Sw ftyerten prächtige Feste, oder wohnten Kirchen-
versammlungen bey, wo es oft nicht bester als auf
Kampfplätzen hergieng, wahrend hier die Bulgarn,
dort die Saracenen ein Stück nach dem andern von
Dem Reiche abristen, jeder Gouverneur that, was
ihm gut dünkte, und sich endlich gar in Trebifonde
ein eigenes Kaiserthum bildete. Die Kreuzfahrer
bemächtigten sich sogar zum Lohn für die vielen
Verrakhereyen, die sich die Griechen wider sie er-
laubt hatten, zu Anfang des dreyzehnten Jahrhun-
derts der Residenz Konstantinopel, und fünf grie-
chische Kaiser mußten daher zu Nicaa in Bithinien
residiren, und in demselben Jahrhundert fiengen
mich die Hsiuanen an, die griechischen Besitzungen in
Asien anzufallen, bis sie endlich gar nach Europa
herüber kamen, und dem orientalischen Kaiserthum
l?in Ende machten»
Erste-Periode. Die Osmanen, die man erst in den Mittlern
Von den öl- Zeiten mit dem Namen Türken belegt hat, der
c*n Na mp der tatarischen Völker überhaupt
Lerllng yyq geweftn seyn soll, gehören zu den Horden an der
Konstankmo-f Dstleite des kaspischen Meeres, und ihre älteste
pel Geschichte ist völlig in dunkle Finsterniß begraben^
Im sechsten Jahrhundert sehen wir einen Theil von
ihnen ein eigenes Reich errichten, das im achten Jahr-
hundert cheils den Sinest!), theils den Saracenen
unterworfen war» Ein Stamm von ihnen, die
Seid«
in Europa. ;z§
Seldschukeli, breitete sich nachher Ln verschiedenen Rei-
chen über die ganze vordere Hälfte des südlichen Asiens
auS, und als die Mungln den ftldschukschen Staat
zerstöret hatten, zog ein großer Haufe der Türken
unter dem Kommando eines gewissen Gsnran wei-
ter, und gründete! auf den Trümmern des Königs
reichs Jkonien ums I. 1302 eine neue Herrschaft»
Hsmanö Tapferkeit und seine Klugheit,, mit der er
die Ueberwundenen feinem Volk einverleibke, ver-
schafften ihm bald ein in die Augen fallendes Glücks
das unter seinem Sohne Ur-Ahan, gewöhnlich
Vrchsn, noch mehr befestiget wurde»
Ur - Khan verlegte zuerst die Residenz nach
Bursa, das er kurz vor seines Vaters Tode erobert
hatte, und wo er nun den Glanz eines Monarchen
um sich her zu verbreiten ansikNZ, ohne jedoch die
Rolle des Eroberers haben zu vergessen. Herr von
Natolien und dem MeercSufer, brannte er für
Begierde mit seinen Waffen auch in Europa vor-
zudringen, da er aber keine eigene Schiffe hatte,
wagte sich sein Sohn Sulejman mit einer Parthey
verwegener Leute in der Nacht auf einem Flosse hin-
über, und beredete dis Mannschaft einiger Schiffe,
4 0 Türken überzusetzen, mit denen er sich von
Gallipoli Meister machte. Er vermählte sich zwar
nachher sogar mit Theodoren, der Tochter deö grie-
chischen Kaisers Kantakuzenus, unterstützte auch
seinen Schwiegervater wider die Bulgarn, ohne
aber seine eigenen Vergrößerungen auf Kosten de§
orientalischen Reiches oufzugeben. Unter feinem
Sohn Morad breitete sich die ofmanifche Herr-
schaft auf allen Seiten immer noch mehr aus, die
Schattenkaifer zn Konstantinopel Wengen beynaho
als Vasallen von ihm ab, und viele asiatische Pro-
vinzen wurden ihm theilS durch Vertrage, theilK
Úq % ’ durch
586 OsmanischeS Reich
durch die Waffen unterwürfig. Lazarus, Fürst von
Serwien, widersetzte sich allein dem reißenden
Glück der Osmanen, und im I. 1389 kam es in
den Ebenen von Kaschau zu einem hitzigen Treffen,
das sich mit einer gänzlichen Niederlage der Christen
endigte, aber Morad das Leben kostete, den ein
Verwundeter, als er auf dem Schlachtfeld herum-
gieng, tödtete. Sein Sohn Bajastd I hatte im
Anfang das ganze Glück feines Vaters, bemäch-
tigte sich der Staaten seines Schwiegervaters Ker^
mian Ogli und verschiedner andrer asiatischen Län-
der, schlug auch den König Sigmund von Ungarn
bey Rikopolis; aber Timur, ein tatarischer Erobe-
rer, setzte seinem Glücke Schranken, indem er ihn
14.02 bey Angora völlig überwand und gefangen
nahm, und allen mohämedanischen Fürsten die ih-
nen von den Osmanen abgenommenen Staaten wie-
der gab, und ihn als Gefangenen mit sich herum-
führte, bis er das Jahr darauf für Hunger starb.
Sulejman verlegte nun die Residenz nach Adria-
nopel, allein Tl'mur hatte den Bruder desselben,
den Musa, zum Sultan der Osmanen erkläret,
und nach einem fünf oder sechsjährigen Kriege erklär-
te sich das Glück völlig für den letztem, der feinen
Gegner gefangen bekam und ermorden ließ. Dennoch
war Musa noch nicht ruhiger Besitzer der osmani-
scheu Staaten; denn, ob erzwar seinen jüugsten
Bruder Mohämed I als Sultan in Asien erkannte,
und sich mit den europäischen Provinzen begnügte,
so wollte -dieser doch alles besitzen. Die Griechen,
denen er mit großen Versprechungen schmeichelte,
gaben ihm Galeerew, um über den Boöphorus oder
die Meerenge bey Konstantinopel zu kommen, und
die meisten Großen, die bey Musa waren, hatten
ein geheimes Verstandniß mit seinem Bru-
der, der den vollständigsten Sieg u;n so leichter
davon
in Europa. 587
davon trug, da Musa an seinen Wunden sterben
mußte.
Mohämed l, den die türkischen Geschicht-
schreiber alö ihren fünften Sultan zahlen, da sie
wahrend der beyden vorigen Regierungen den Thron
als erledigt ansehen, gab dem Reiche alle den Glanz
wieder, den es verloren hatte, war ein Beschützer
des Verdienstes, in welcher Gestalt es sich ihm zeig,
te, und verband, was sich von keinem seiner Vor.
fahren sagen laßt, ein mitleidiges menschenfreundli.
ches Herz mit dem Eroberungsgeiste, den ihm Reli.
gion und Sitten seiner Nation eingeflößt hatten. Er
bezwang alle die unruhigen Statthalter, welche die
vor seiner Thronbesteigung herrschenden Unruhen zu
ihrer eigenen Vergrößerung benutzt hatten, machte
sich die Wlachen zinsbar, und ließ zum erstenmale
seine Truppen sogar, bis über die teutschen Grenzen
Streifereyen thnn. So glücklich indessen auch der
größte Theil seiner Regierung war, so wurde der
Glanz derselben doch durch einige Unfälle verdun-
kelt. Dahin gehört ein unglücklicher Krieg gegen
die Venetianer, welche, gereizt durch die Seerau.
bereyen der Ofmanen, seiner kaum entstandenen
Flotte eine empfindliche Niederlage beybrachten, —-
und dahin gehört auch, daß ein Pascha, dem er voll
Großmuth eine Empörung verziehen hatte, ihm die
letzten Jahre seines Lebens durch Unterstützung einer
Betrügers verbitterte, welcher für Bajasidö älte-
sten, in der Schlacht bey Angora gebliebenen Sohn
auögegeben, dessen Anhang aber doch endlich zer-
streut wurde. Indessen hatten die Griechen, ge«
schicktet mit Betrug' und Hinterlist als mit den
Waffen zu fechten, dem Betrüger einen sichern Zu.
fluchtsort gegeben, und kaum hatte MohamedS
Sehn, tTTouifc 11, den Thron bestiegen, als Must-
588
Osmanischcs Reich
Höfa mit mehrerm Glück als das erstemal wieder derr
Schauplatz betrat. Städte und Schlösser öffneten
ihm die Thore, tmb sogar unterwarf sich ihm eine
40000 Mann starke Armee, welche wider ihn aus-
geschickt war; aber zu schnell von seinem Glücke
trmrken, verdarb er es nicht bloß mit dem ohnehin
sehr schwankenden Hose zu Konstantinopel, sondern
Morad bekam auch Gelegenheit, den Pascha, dessen
Geschöpf Musthafa eigentlich war, in sein Interesse
zu ziehen. Nun folgte ein Unfall auf den andern,
und der Rebell wurde in der Walachey gefangen,
und in Adrianopel gehanget. Morad wendete dar-
auf seine Waffen wider die Griechen, die zu ihren
gewöhnlichen Hülfsmitteln griffen, und seinen Bru-
der, der auch Musthafa hieß, wider den Sultan
aufwiegelten; allein dieser kam dem völligen Aus-
bruch der Empörung durch Erdroßlung seines Bru-
derö zuvor, und verheerte dann mit Wegnehmung.
verschiedner thessalischen, macedonischen und thraci-
schen Städte die griechischen Provinzen. Nach dem
ungarischen Kriege und dem Treffen bey Varna, von
welchem wir an einem andern Orte gesprochen ha-
ben, stand ein Feind wider ihn aus, der, waren
seine Staaten so groß als feine Tapferkeit gewesen,
den Umsturz des osmanischen Reichs bewirkt haben
könnte. Dieß war Georg Zlcftriot (von den
Türken Fürst Alexander, Skander- Beg genannt,)
ein Sohn Johann Kastriots, Fürsten von Cpirus,
der. an dem türkischen Hose erzogen war, unter Mo-
rad gedient hatte, aber sich beleidigt fühlte, daß
man ihm sein väterliches Erbe nicht wiedergeben
wollte. Um es zu erlangen, zwang er nach dem un-
glücklichen Ausgang der Belgrader Belagerung den
Reis-Effendi, ihm einen Befehl auszufertigen, daß
der Pascha von Epirus ihm diese Provinz überlassen
.sollte, gieng damit in s§m Vaterland, wo niemand
in Europa. 589
Betrug argwöhnte, und setzte nun alles in den be-
sten Vertheidigungsstand. So lange er lebte, war
<6 den Osmanen unmöglich, diese kleine Provinz zu
erobern, da alle Armeen, welche sie wider ihn aus-
schickten, ohne daß er ihnen eine Hauptschlacht ge-
lieferthatte, durch kleine Angriffe zu Grunde ge-
richtet wurden.
Mohämed hatte kaum den Thron bestiegen Zweyte Pc-
als er sehr deutlich zu erkennen gab, was seine Ab- riode.
stchten wider das dem Untergänge überall so nahe Seit J453-
orientalische Kaiserthum waren, und indessen die ^yämed II»
Griechen sich mit der größten Heftigkeit stritten, ob
man wohl den Pabst um Hülse wider die Osmanen
angehen dürfe, erschienen diese 14 z g auf einmal
vor den Mauern von Konstankinopel, das zwar vie-
le Mönche und andere Geistliche, aber aufs
höchste 8oqo Mann wirkliche Soldaten zur Vesa«
Hung hatte. Dennoch und unbeachtet der innerli-
chen Miöhelligkeiten, welche zwischen den Griechen
und den Venetianern und Genuesern, die mit in der
Stadt waren, entstanden, vertheidigtö sich dieser
kleine Hause mit außerordentlichem Muthe, aber
in die Lange konnte er die wiederholten Angriffe ei-
ner ?trmee von 320000 Mann unmöglich aushal-
ten. Muthlosigkeit und Verzweistung nahmen die
Stelle der Tapferkeit ein; der Kaiser Konstantin
ließ den Osmanen Tribut und Unterwerfung anbie-
ken, allein Mohamed, der auf der gänzlichen Ver-
nichtung des griechischen Reiches bestand, ließ ei-
nen allgemeinen Sturm thun, in dem die Walle
erstiegen, der Kaiser selbst gelodet, und Konstan.
tinopel eingenommen wurde. So war der letzte
Rest des alten römischen Reiches zu Boden gesun-
ken, und die Osmanen glaubten vielleicht mit den
übrigen Landern der Christen eben so leicht fertig wer-
590 Ofmanisches Reich
Len zu können. Diese Eroberung mußte nothwen-
dig durch ganz Europa einen heftigen Eindruck ma-
chen, aber so tief war der Eindruck doch nicht, daß
die christlichen Fürsten sich mit vereinigten Kräften
bemühten, einen so gefährlichen Feind zu demüthi-
gen. Sie sahen vielmehr ganz ruhig zu, als Moha-
med Belgrad, wiewohl vergebens, belagerte, sich
das Fürstenthum Athen unterwarf, das sogenannte
Kaiserthum Trebisonde in Asien zerstörte, Kara-
manien wegnahm, dann wieder nach Europa zu-
rückkehrte, den Venetianern Negroponte entriß,
und nun alle Anstalten zur Eroberung von RhodiS,
welche Insel damals die Iohanniterritker inne hat-
ten , zu machen anfieng. Ußum Chaßan oder
Usong, Schah von Persien, that mehr für die Chri-
sten, als sie selbst thaten, indem er Karamanien an-
griff, und Bündnisse mit Venedig und andern eu-
ropäischen Staaten zu errichten suchte, die sich aber
alle damit begnügten, ihn mit Geschütz und Stück-
gießern zu unterstützen. Seine Armee ward vom
Mohamed geschlagen, und dieser kam wieder nach
Europa, die Genueser aus Kaffa zu jagen, und
die ganze Krim sich zinsbar zu machen. Im Jahr
1480 unternahm er endlich die so lange entworfene
Belagerung von RhodiS, und eine aus 160 gros-
sen und vielen kleinern Schissen bestehende Flotte,
welche igoooo Mann Landtruppen an Bord hatte,
schien wirklich einen glücklichen Erfolg zu weissagen.
Aber diese tapfern Ritter wehrten sich mit so großem
Muthe und so viel entschlossener Hartnäckigkeit,
Weiber und Kinder sogar thaten so sehr, was sie
thun konnten, daß die Osmanen nach drey Mona-
ten und vielem vergossenen Blute sich zurückzuzie-
hen genöthigk sahen. Mohamed, der die Belage-
rung nicht selbst kommandirt hatte, meynte, seine
Truppen waren nur dann unüberwindlich, wenn er
sie
in Europa. 591
sie selbst anführte, und machte sich bereit, Ußum
Ehaßan wieder anzugreifen, als er auf dem Marsche
vom Tode übereilt ward.
Kaum hatte Bajasid den Thron seines Va- Bajasid it.
terö bestiegen, alsZizime, sein Bruder, ihm dieRe- 1481-1512.
gierung streitig, und sich auch wirklich von einigen
astatischen Provinzen Meister machte. Das erste
Treffen zerstörte indessen seine Hoffnungen, und nö-
thigke ihn, zu denIohanniterrittern nach Rhodis zu
flüchten, von da er, weil Bajasid einen vortheil-
hasten Frieden mit ihnen schloß, nach Frankreich,
und dann nach Rom gieng, wo er von dem schänd-
lichen Alexander VI in einer Art Gefangenschaft ge-
halten, und endlich für erliche 100000 Dukaten,
welche Bajasid zahlte, mit Gifte vergeben ward.
Der Friede mit Rhodis hatte indessen den Großvi-
zier, einen Mann, dem Bajasid viel zu verdanken
hatte, sehr übellaunisch gemacht; sein Unwille brach
in laute Worte aus, und der Sultan glaubte nichts
bessers thun zu können, als seine Kühnheit mit dem
Strange zu strafen. Diese Mordthat aber empörte
die Ianitscharen, und Bajasid sah kein ander Mit-
tel sie vollkommen zu besänftigen, als ihnen wider
einen auswärtigen Feind zu thun zu geben, wozu er
die Mamlucken, welche damals Egypten beherrsch-
ten, wählte. Er erlangte auch wirklich nichts wei-
ter als Beruhigung seiner schwierigen Truppen; denn
nach einer zweymaligen Niederlage sah er sich genö-
thigt den Frieden anzunehmen, welchen ihm die
Mamluken anboten. Glücklicher war er in dem
Kriege wider die Venetianer, denen er, nach der
Niederlage ihrer Flotte, Lepanko, Modon, Koron,
Durazzo und andre Plätze wegnahm, die er auch in
dem mit ihnen geschlossenen Frieden zu behalten be-
rechtigt wurde. Bajasid gieng bald nach geendig.
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in Europa. 59?
Unter allen Beherrschern des osmanischen Reü Sulejman 1/.
ches verdient Sulejman II unstreitig die erste Stel- der Große,
le, und eö fehlte ihm, um den Namen Frost völlig 1521 — 66,
zu verdienen, nichts weiter als eine etwas vollkomm-
nere Ausbildung, Leute, die ihn groß zu seyn lehrten,
und ein Volk, das ihn zu rühmen und zu tadeln ver-
stand. Nachdem er den Thron bestiegen, den Auf-
ruhr eines Paschas von Syrien gedampft, und Bel-
grad, das feine Vorfahren oftmals vergebens bela-
gerten, erobert hatte, griff er 1522 auchRhodis an,
das zwar fo tapfer als wider Mohamed II verthei-
digr wurde, sich aber dennoch endlich ergeben mußte.
Die Ritter, und wer mit ihnen gehen wollte, erhiel-
ten einen freyen Abzug, und der Sultan versicherte,
als der Großmeister l'Isle d'Adam bey ihm Audienz
hatte, daß es ihm leid thue, ihn noch in hohem Al-
ter aus seinem Haufe zu verjagen. Verschiedene
innre zum Theil sehr weife Staatseinrichtungen folg-
ten diesen kriegerischen Unternehmungen, und zwey
Jahr lang war Sulejman bloß mit dem Besten fei-
nes Staates beschäftigt gewesen, ehe er wieder ei-
nen Krieg mit Ungarn anfieng, in welchem das für
die Ungarn fo unglückliche Treffen bey Mohatfch
Vorfiel, und Sulejman bis Wien vordrang, wie
wir in der Geschichte jenes Reiches gesehen haben.
Wovon wir dort nicht sprechen konnten, ist ein Krieg
mit Persien, der aber einen sehr unglücklichen Aus-
gang hatte, da die von einem weiten Marsch in ei-
nem vorsätzlich verwüsteten Lande abgematteten Öfi
manen am Berge Taurus von den Persern überfal-
len, und gänzlich geschlagen wurden. Nicht glück-
licher war er in Afrika, wo der Sultan aus Anrei-
zung eines > in der Geschichte jener Zeiten sehr be-
rühmten Mannes, des Hariaden Barbaroffa, de»
sein ganzes Glück sich und seinen Verdiensten zu ver-
11 Land, ii Adrh. Pp danken
594 Osmanisches Reich
Danken hatte, Tunis, das damals voll innerlicher
Unruhen war, erobert hatte, das aber Karl V teut-
scher Kaiser und König von Spanien wieder weg-
nahm. So groß diese Unfälle seyn mochten, so
schlugen sie Sulejman dennoch nicht wieder; viel-
mehr reizten sie ihn nur, sich seines Schadens in Eu-
ropa zu erholen, wo nach Johann Zapolyas Tode
sich in Ungarn ein neuer Krieg entspann, der sich
bald auch in andere Gegenden verbreitete. Frank-
reich und der Sultan schlossen ein Bündniß; Hara-
den Barbarossa segelte mit einer osmanischen Flotte
nach Marseille, wo er sich mit einer französischen
vereinigte, und wenigstens die Küsten Italiens mit
Furcht und Schrecken erfüllte. Der Waffenstill-
Kand mit Ungarn ward bloß zu einem Kriege wider
Persien angewendet, der eben so mühselig und eben
so unglücklich als der vorige war, daher auch Sulej-
rnan seine Truppen zurück und wieder nach Ungarn
führte, wo Ferdinand durch die Besitznehmung Sie-
benbürgens seinen Unwillen gereizt hatte. Wäh-
rend dieses Krieges, der eigentlich bis zu Sulej-
mans Tode bald heftiger bald schwacher fortgesetzt
wurde, unternahm Dragut welcher an des verstor-
benen Barbarossa Stelle getreten war, die Belage-
rung von Tripolis, in dessen Besitz damals die Mal«
teserritter waren. Die Ankunft eines französischen
Gesandten, der sich alle Mühe gab die Osmanen zu
überzeugen, daß die Ritter nicht, wie sie glaubten,
Unterthanen Karls V waren, konnte den Fort-
gang der Belagerung nicht hemmen, die Stadt
gieng über, und die Ritter wurden der Kapitula-
tion gerade zuwider in Ketten geschlagen. Dieser
Eroberung folgte nicht lange daraus 1565 eine Un-
ternehmung wider Malta, die aber eben so unglück-
lich ablief, als die erste wider Rhodis, ohngeachtet
die
in Europa. 595
die schrecklich zertrümmerte von Mannschaft entblöße
te osmanische Flotte, mit allem Siegögeprange in
den Hafen von Konstantinopel einlief. Voll Ver-
druß erneuerte Sulejman nun den Krieg gegen Un-
garn, wo er wahrend der Belagerung von Sigeth
durch ernen Schlagfluß sein Leben endigte.
Sulejmans Nachfolger Gelim befaß keine der Sei im II;
großen Eigenschaften seines Vaters, er war trag 1568—74»
und wollüstig, abgeneigt von allen Negierungsge-
schäften, uud vollkommen zufrieden, wenn er in
feinem Serai bey Possenreißern, Weinflaschen und
Weibern seine Tage verschleudern konnte. Daher
schloß er mit Oesterreich und Persien Friede, und
bloß die Unruhen, welche die Janitscharen erregten,
konnten ihn vermögen seine Einwilligung zu einem
andern Kriege zu ertheilen. Die Mauren in Spa-
nien , welche Philipps Gewiffenstyranncy zur Ver-
zweiflung gebracht harte, schickten damals einen Ab-
geordneten an Selim, der von ihm als den: mäch-
tigsten mohämedanischen Fürsten Hülfe verlangen
mußte, aberSelims Seele fühlte nicht, daß ein sol-
cher Krieg, den die Religion sogar zum Gesetz mach-
te, ihm auch zugleich der rühmlichste seyn würde,
sondern er brach vielmehr mtt der Republik Venedig,
der er des köstlichen Weines wegen den Besitz der
Insel Zypern misgegönnt haben soll. Spanien und
der Pabst ließen 77 Galeeren zu den 70 der Repu-
blik stoßen, aber, ehe das geschah, und man also mit
vereinigten Kräften stch der Laudung der Osmaner?
auf Zypern widersetzen konnte, . hatten diese schon
die Festung Nikosia eingenommen, und ehe die Ver-
bundenen, welche auf 220 Galeeren, 6 Galeaßen,
und 25 andere große Schiffe zusammen gebracht
hatten, ausgelaufen waren, befand sich scholl die
Pp 2 ganze
Morad in.
1574—95.
Mohám-d
m. 1595—
1603.
596 Osmanssches Reich
ganze Insel in Selimö Händen. Man will zwar,
daß die osmanische Flotte 1571 in dem Treffen bey
Lepanto gänzlich zu Grunde gerichtet worden sey, al-
lein der Erfolg zeigte wenigstens nicht, daß dieser
Sieg durchaus entscheidend gewesen seyn konnte,
da die Osmanen das Meer nicht räumten , und
Venedig 157z die Insel Zypern abzutreten genö»
thigt wurde. Sekim starb das Jahr darauf wäh-
rend eines Krieges mit dem Hospodar der Moldau,
von dem er doppelten Tribut verlangt hatte.
Morad hatte zwey Jahre ohne alle Unruhen
regieret, als er 1576 einen günstigen Augenblick,
in dem er Persien angreifen könnte, vor sich zu se»
hen glaubte, da dieses Reich damals durch bürger-
liche Kriege geschwächt war. Der Krieg ward bis
1590 fortgefeßet, und Morad bekam eine beträcht-
liche Strecke Landes abgetreten. Während dieses
persischen Krieges war es auch in Ungarn zwischen
den Osmanen und Oesterreichern zu Feindseligkeiten
gekommen, die sich nun in einen förmlichen Krieg
verwandelten, besten Ende aber Morad nicht be-
lebte.
Der vorige Sultan war höchst unbeständig in
seinen Entschlüssen und so geizig gewesen, daß man
wahrend seiner Regierung zehn Empörungen der
Ianitscharen zählet; Mohämed besaß bey einer
eben so großen Unfähigkeit, allein und gut zu regie-
ren , noch einen starkern Hang zur Grausamkeit,
den er auch gleich bey seiner Thronbesteigung durch
Ermordung seiner Brüder und verschiedener Skla-
vinnen, die sein Vater schwanger hinterlassen hatte,
ein reiches Opfer brachte. Der ungarische Krieg
dauerte seine ganze Regierung hindurch mit abwech-
selndem
in Europa. 59?
selndem Glücke fort, und im Reiche selbst wüteten
die schrecklichsten Unordnungen. Die Sultaninn
Mutter, welche ihren Sohn vollkommen beherrsch,
te, ein geiziges rachgieriges Weib, misbrauchte
das Ansehen, das der Sultan ihr elnraumte, auf
verschiedene Weise, und so gesellten sich zu der
Geißel der Pest, welche die osmanischen Provinzen
verwüstete, noch Aufruhr, Mord und Gewalttha-
tigkeiten jeder Art. Allenthalben floß das Blut
der Viziere und Paschen, die Mohamed entweder
einem oft ungegründeten Verdachte aufopserte, oder
die er, um eine allgemeine Empörung zu verhüten,
preisgeben mußte. So drängte sich ein Unfall an
den andern, bis Mohamed endlich nicht älter, als
37 Zahr an der Pestfeuche starb.
Ahhmed I war nur fünfzehn Jahr alt, als Ahhmed l.
er zur Nachfolge gelangte, aber so jung er war, so i6oz—>17*
erwachte doch die Hoffnung feines Volks auf bessere
Zeiten, als er feine Großmutter von der Theilneh-
mung an allen Staatsgefchäften entfernte, und ei-
nen allgemein geliebten Mann zum Großvizir mach,
te. Die Empörungen der Paschen von Erzerum
und Halep, welche die wider sie abgefchickten Trup.
pen geschlagen hatten, beförderten den zwanzigjah.
rigen Frieden mit dem Kaiser Matthias, durch wel-
chen den Ofmanen der Besitz verfchiedner in Ungarn
eroberten Orte bestätigt wurde» Der Großvizir
gieng nun auf die Rebellen loö, die auch in kurzer
Zeit völlig gedemüthigt wurden; allein die dadurch
wiederhergestellte Ruhe war nicht nach Ahhmeds
und feines Divans Gefchmacke, daher ihnen
die Unruhen, welche Ln der Moldau und Sieben-
bürgen auöbrachen, sehr willkommen waren. Dort
und hier setzten die Ofmanen einen neuen Fürsten,
Pp 3 aber
5<38 Osmanisches Mich
ober mit dem teutfchen Kaiser ward der Friede aufs
neue bestätigt. In dem letzten Lebensjahre Ahh-
inedö brach auch ein neuer Krieg wider Persien
aus , in welchem seine Truppen eine starke Nieder-
lage erlitten. Der Sultan schickte sich an, selbst zu
Felde zu gehen, aber eine heftige Krankheit be-
schleunigte seinen Tod, da er noch nicht alter als 30
Jahr war.
Muflháfa i. N7usthäfa war des vorigen Sultans Bru-.
1617—iL. der, ein äußerst schwacher Prinz, der, zu eigensin-
nig, andern die Züge! der Regierung zu überlassen,
doch auch nicht eigene Kräfte genug hatte, sie selbst
führen zu können, und nach einer vierteljährigen
Regierung vom Throne gestoßen wurde.
Oiman. II. Seines Bruders Sohn Osman wurde an
n-—22. j-ejne 0tf[(e jum Sultan ernennet, der aber so we-
nig als sein Vorgänger die Kunst zu regieren ver-
stand. Seine Kriege mit Polen und Persien schaff-
ten dem Reiche keinen Nutzen, vielmehr war er
wider das letztere so unglücklich, daß Erivan mit ei-
nem beträchtltchen Distrikte dabey verloren gieng,
und von dem polnischen Prinzen WladiSlav ward
er bey Chotschin geschlagen. Indessen vermehrte
sich das Misvergnügen, welches die Ianitscharen,
denen er mit vieler Verachtung begegnete, wider
ihn gefaßt hatten, von Tage zu Tage, bi§
es endlich zu einem allgemeinen Aufruhr wurde,
in welchem Musthäfa wieder aus seinem Gefäng-
nisse hervorgezogen, und an OsmanS Stelle, der
nach etlichen Tagen erdrosselt ward, auf den Thron
gesetzt wurde.
, Sein
in Enropa. 599
Sein vierjährige« Gefängniß hakte ihn der^^^ t
Regierung nicht würdiger gemacht, und er behaup- ,„m jWe,)W),
tete sich auch nur fünf Monate auf dem Throne, ma? 162z.
denn da die Verwirrung in den Staatsangelegen-
heiten immer mehr zu nahm, fo ward Morad, ein
Sohn Ahhmeds, zum Sultan ausgerufen; und
Musihafa, wie einige behaupten, im Gefängniß er-
drosselt.
Unter Morads thatiger wachfamer Regie- Morad IV.
rung ward die innere Ruhe des Staats, freylrch 1624 — 40»
nicht ohne abgeschlagene Köpfe und Gebrauch des
Stranges, bald wieder hergesiellet, er hatte sich
aber kaum von den häuslichen Feinden befreyet, als
er sich zu einem Kriege wider die Persier genöthigk
fahe, welche die Verwirrung des ofmanijcheu Rei-
ches benutzt hatten, und mit vier Armeen in die
Provinzen Desselben eingefallen waren. Indessen
war der Erfolg dieser Unternehmung bey weitem
nicht so als man gehofft haben mochte; zween un-
glückliche Feldzüge folgten auf einander, und Mo-
rad fah sich 1631 zu einem nachtheiligen Waffen-
stillstand genöthigt. Dieser Waffcnstilland war
aber nur von kurzem Bestände, denn Moradr des»
sen an Grausamkeit grenzende Strenge, die selbst
den Mufti mit der Todesstrafe belegt hatte, den
Ofmanen gar nicht gefallen wollte, fand kein bester
Mittel die allgemeine Aufmerksamkeit auf etwas an-
ders zu lenken, als Krieg und Eroberung. Fakar-»
din, Emir der Drusen, eines merkwürdigen asiati-.
scheu Volkes, war nach tapfrer Gegenwehr feiner
Uebermacht erlegen, und Morad beschloß nun selbst
wider die Persier zu gehen, um dasjenige wieder zu
erlangen, was er ihnen zu überlasten gezwungen
worden war» Seine Standhaftigkeit bey Erdul-
P p 4 düng
6oo
Osnianisches Reich
düng der härtesten Beschwerde, theitte sich auch
seinen Truppen mit, seine strenge Kriegszucht er.
stickte den Keim des Austuhrs, und dies war der
einzige von den bisher geführten Kriegen mit Per.
sten, in welchem die Osmanen die meisten Vortheile
erhalten hatten. Bagdad, das so lange der Gegen-
stand ihres Verlangens gewesen war, verblieb
ihnen in dem i6zy geschloffenen Frieden,
aber Erivan mußten sie an Persien abtreten.
Morad starb im ein und dreyßigsten Jahre sei-
nes Lebens an den schädlichen Folgen, die er
sich durch den unmäßigen Gebrauch des Weines
zugezogen hatte»
Ibrahim Da Morad keine männlichen Nachkommen
1640—48. hinterlaffen hatte, rief man seinen Bruder Ibra-
him zum Sultan aus, der, von Natur schwach und
furchtsam, beyde einem Monarchen so unanständige
Eigenschaften in seiner Gefangenschaft noch mehr
zur Reife gebracht hatte, und der auch seine ganze
Regierung hindurch sich so wenig als möglich um
Staatsgeschafte bekümmerte. Die Begebenheiten,
welche unter seiner Regierung vorsielen, und bey de.
nen er einen durchaus müßigen Zuschauer abgab,
sind die Eroberung von Asov, deffen sich die Kasaken
unter der vorigen Regierung bemächtigt hatten, und
Der Anfang eines ungleich wichtigern Krieges mit
den Venetianern, welcher 24 Jahre lang dauerte.
Die Maltheserritter hatten eine reich beladene nach
Egypten bestimmte Flotte, auf der, wie die Sage
gieng, ein Sohn des Sultans war, weggenommen,
und waren mit ihrer Beute in einen unbebauten
Hafen der Infel Kandia eingelaufen; darüber be.
schwerten sich nun die Osmanen, und da es dem
Divan rathsamer schien, diejenigen anzugreifen, von
welchen
in Europa.
601
welchen weniger Hiebe, aber mehr Raub zu hoffen
war, so wurde statt der Maltheser der Krieg wlder
Venedig beschlossen. Kanea und Retimo auf Kan-
dia wurden in dem ersten Feldzuge genommen, aber
Ibrahim war nicht weiter Zeuge von den Begeben-
heiten dieses Krieges: denn der gewaltsame Raub,
den er an der Tochter des Mufti begieng, und die
Grausamkeiten, die er sich erlaubte, erregten eine
heftige Empörung, die sich mit seiner Absetzung und
Erdroßlung endigte.
Die ersten Jahre vonMohamed IV Negierung Mobämed IV
wurden von allen den Unordnungen begleitet, die *648—87.
man in einem Staate erwarten kann, dessen Herr
ein Kind ist. Seine Großmutter und sechs Vizire
wurden erdrosselt, und wo man in diesem Zeiträume sein
Auge hinwendet, wird man nichts gewahr als Pa-
schen, die sich empören, Janitscharen und Spahis,
die sich untereinander erwürgen, und die osmanssche
Flotte zu verschiedenenmalen von den Venetianern
geschlagen. Kiupreli, der das Großvizirat mit
vielem Ruhme bekleidete, rettete damals das nach
dem Abgrund des Verderbens schwankende Reich,
dämpfte einen gefährlichen Aufstand, welcher in
Asien ausgebrochen war, züchtigte den Fürsten Ra-
kotzy, der sich für Schweden wider Polen erklärt
hatte, und wenn er auch 1664 in Ungarn (S. Ge-
schichte von Ungarn) bey St. Gothard j geschlagen
wurde, so ersetzte er diesen Verlust doch einige Jahre
darauf 160g durch die Einnahme der Festung Kan-
dia, der bald die feyerliche Abtretung der Insel
nachfolgte. Um diese Zeit im I. 1666 sah man,
was tief eingewurzelte Schwärmerey zu thun, und
wohin sie Menschen zu verleiten im Stande ist, die
in den Eingebungen einer kranken Einbildungskraft
P 5 diese
Lor Osmanischcs Reich
diese Stimme der Gottheit zu hören glauben. Ein
Jude Sabbatai Sevi steng nämlich auf einmal in
Palästina an, die Rolle des Messias spielen, und die
Art, wie dieser Betrüger sich dabey nahm, war
wirklich so künstlich, daß fein Anhang sich mit jedem
Tage vermehrte, daß aber auch Kiuprili alles thun
zu müssen glaubte, diese ansteckende Seuche zu
hemmen. Ern andrer Jude beredete den Sevi nach
der Hauptstadt zu kommen, wo sogar der Sultan
fast bereit sey, seine göttliche Sendung anzukennen.
So plump die Lüge war, welche dieser vom Groß-
vistr angestellte Mensch vorbrachte, so gieng doch
Srvr, dessen Kopf schon schwindelnd war, in die
Falle. Indessen ward seine Verhastnehmung nur
das Signal zu größcrn Gahrungen, und kaum dann
erst, alö der Messias, um der Todesstrafe zu entgehen,
den Islam angenommen hatte, verjagte Scham und
kalte Ueberlegung die feste Ueberzeugung, die seine
Parthey von ihm gehabt hatte. Diese Gefahr war
zerstreuet, und der Friede mit Venedig geschlossen,
als die zwischen dem Dnepr und Dniestr wohnenden
Kasaken, der Bedrückungen des polnischen Adels
müde, den Schutz der Osmanen anstehten. So»
gleich wurde ihnen ihr Verlangen zugestanden, und
Mohamed brach selbst an der Spitze von 150000
Mann wider Polen auf, das dainals voll innrer
Unruhen und also in schlechtem VertheidigungSzustan-
de war. Sobiesky schlug zwar die krimischen Ta-
rarn, welche 100000 Mann stark eingefallen wa-
ren, in verschiedenen Treffen, auch die Osmanen
bey Chotschin; aber, ununterstützt von seinem undank-
baren Vaterlande, konnte er Kaminiezk und Lem-
berg nicht retten, welche von den Osmanen erobert
wurden, und von denen ihnen das erste nebst einigen
kleinern Plätzen und der Oberherrschaft über die Ka-
in Europa.
6oj
faken 1676 abgetreten wurde. Kiuprilis Tod war
ein Verlust für die Pforte, den diefe Eroberungen
nicht vergüteten, und der auch bald feine schädlichen
Folgen zeigte. Denn da sein Nachfolger Kara
Musthäfa den Hetman der Kasaken durch Hochmuth
und Harte beleidigte, so unterwarf sich diefe Nation
nun dein russischen Schutze, schlug, mit ihren neuen
Beschützern vereinigt, die wider sie gefchickteArmee, und
blieb durch den darauf gefchloßnen zwanzigjährigen
Frieden Rußland unterworfen. Nicht lange dar-
nach brach 1681 der Krieg in Ungarn aus, der
nach der Niederlage bey Wien einen für die Ofmanen
so unglücklichen Fortgang hatte, daß sie erst den
Großvizir ermordeten, und/ da auch Venedig ihnen
den Krieg ankündigte, Morea wegnahm, und ihre
Truppen überall Niederlagen erlitten, selbst einen
Aufstand gegen den Sultan erregten und ihn ge-
fangen, seinen Bruder Sulejman aber auf den
Thron setzten»
Das osmanischA Reich befand sich in vieler SulesmanM
Betrachtung wirklich in mislichen Umstanden. Sei. 1687—9**
ne Finanzen waren erschöpft, feine Truppen muth-
loö und voll Empörungsgeist, und alle feine Bürger
überhaupt unzufrieden und miömuthig, und Su-
lejman hatte zum Unglück in feiner vierzigjährigen
Gefangenschaft nichts weniger als die Kunst zu re»
gieren lernen können. Zum Glück fand er in dem
Sohne des berühmten Kiuprili, der feinem Bruder
gedieh hatte, einen Mann, der die großen Talente
feines Vaters geerbt hatte, und auch bald die innre
Staatsverfassung auf einen bessern Fuß zu bringen
wußte. Sein erster Feldzug in Ungarn schien auch
eine gute Wendung der kriegerischen Operationen
hervorzubringen , da er Nissa und Belgrad eroberte
604 Osmanisches Reich
und dem General Veteran» bey Essek eine empfind-
liche Niederlage beybrachte. Sulejman starb das
folgende Jahr und überließ die Regierung seinem
Bruder Ahhmed.
Ahhmed U Die neue Regierung war nicht so glücklich, als
1691—95. t>te vorige sich geendigt hatte: Kiuprili blieb in dem
Treffen bey Salankemen, und die ganze übrige Le-
benszeit dieses Sultans hindurch wurde der Krieg
von beyden Seiten so schläfrig geführet, daß kein
Theil einen wichtige^ Vortheil über den andern zu
erfechten vermochte,
v,
Musthäfa n Nach Ahhmedö Tode bemächtigte sich Must-
1695—1702.^^^^ ejn Sohn des abgesetzten im Gesangniß ge-
storbenen Mohamed, der Regierung, von dessen
Thatigkeit, Muth und entschlossenem Wesen man
sich mehr versprechen konnte, als in der Folge wirk-
lich geschähe. Er selbst wollte seine Armee in Ungarn
ansühren, und da ein Korsar von Tunis den Ve-
netianern die Insel Skio weggenommen hatte, so
schmeichelte er sich gewiß mit einem glücklichen Er-
folge. Er schlug auch wirklich den General Vete-
rani, der ihm mit 8000 Mann den Eingang in
Siebenbürgen verwehren wollte; allein das Jahr
darauf nahmen nicht allein die Russen Asov weg,
sondern das Treffen bey Zentha raubte ihm auch
das Vertrauen seiner Unterthanen, welche so muth- .
loö wurden, daß sich der Sultan genöthigtfahe, den
Karlowitzer Frieden zu schließen, in welchem er auf
Siebenbürgen und Ungarn, den Vannat von Te-
rnesvar ausgenommen, Verzicht that, und den Ve-
netianern Morea und andre Orte, den Polen Podo-
lien, den Russen aber Asov abtrat. Ein den osma-
nischen Stolz so hemüchigender Frieden mußte
in Europa.
605
rwthwendig allgemeines Murren erregen, und
Ha noch andre Unruhen dazu kamen, so
hielt Musthäfa endlich für das Beste, freywitlig
der Regierung zum Besten seines Bruders zu
entsagen, ehe man ihn mit Gewalt dazu nöthigen
möchte.
Ahhmet war ein träger und wollüstiger Prinz, Ahhmet ln
der sich ganz von einer Mätresse regieren ließ, welche I702‘“"30*
die Gemahlinn des Großvizirs war, und der mehr
aus Erschlaffung, als aus Gerechtigkeitsliebe, weder
von dem Misvergnügen in Ungarn, noch von den
Unruhen, welche in Norden und Süden herrschten,
den geringsten Vortheil zu ziehen suchte. Als Karl
)£II durch seine Niederlage bey Pultawa genöthigt
war, in den osmanischen Staaten eine Zuflucht zu
suchen, die ihm auch mit seltener Großmuth und
Freygebigkeit (er erhielt täglich zDoThaler von der
Pforte) zugestanden wurde, ließ er sich endlich be-
wegen, mit Rußlandzu brechen, und sein VizirBal-
tadschi Mehemet war auch so glücklich, Peter den
Großen mit seiner ganzen Armee einzuschließen, und,
wenn er auch nicht wagte, wie weit ihn das Glück
führen konnte, wenigstens die Rückgabe von Asov,
und die Schleifung der Festung Taganrok zu erhal-
len. Um die Truppen zu beschäftigen, die wenig
Liebe für ihren Sultan außerren, 'ward ein Krieg
wider die Republik Venedig beschlossen, der man
ohnedem gern das abgetretne Morea wieder abge-
nommen hätte. Venedig war damals in schlechtem
Vertheidigungsstande, Morea, welches nur %ooo
Mann vertheidigten, ward daher in dem ersten Feld-
zuge 171; erobert, und ohngeachtet Karl VI das
folgende Jahr die Ofmanen angriff, sein Feldherr
Eugen sie bey Peterwaradem und Belgrad schlug,
1 auch
Georg-Eckert-lnstituT
für iniornetionafs
SchulbuchforschunQ
Braunschweig
-Schuibuchbibticihok»
Mahhmud I
*73©—54-
606 Osmanisches Reich
auch Temesvar und Belgrad eroberte, so mußte
die Republik 17g in dem Passarowitzer Frieden
dennoch Morea abtreten, dagegen sie die in Albanien
und Dalmatien eroberten Platze behielt, Karl VI
<rber feine gemachten Eroberungen behauptete. DaS
ofmanifche Reich blieb nicht langer als vier Jahr
im Genuffe deö Friedens, denn da die persischen
Anruhen die Russen gereizt hatten, etliche am
kaspischen Meere gelegene Provinzen Ln Besitz zu
nehmen, so bemächtigten sich auch die Osmanen
Georgiens und der Städte Erivan, Hamedan und
anderer. Persien sah diese Unternehmungen nicht so
gleichgültig als die russischen an, und da Kuli Khan,
der Feldherr deö persischen Schah, die innern Em-
pörungen gestillt hatte, so brach ein lebhafter Krieg
aus, der erst 1736 durch den Frieden von Erzerum
beendigt ward, Ln welchem die Pforte alle ihre Ero-
berungen wieder abtteten mußte. Wahrend dieses
Krieges kam es in Konstantinopel zu einem heftigen
Aufstande, der sich mit der Absetzung! AhhmedS
und Thronbesteigung seines Bruders Mahhmud
endigte.,
Noch war indessen der Aufruhr nicht gänzlich
gestillet, wenigstens nahmen sich die Anstifter dessel-
ben, Leute aus dem niedrigsten Pöbel, so viele Frey.
Heiken heraus, daß Mahhmud sich endlich genö-
<higt sähe, die allgemeine Ruhe durch ihrer Hinrich-
tung zu befestigen. Im I. 1736 brach der Krieg
mit den Russen und 1737 der mit Kaiser Karl VI
aus; beyde wurden 1739, wie wir in der russischen
und ungarischen Geschichte gefthen haben, geendigt,
und Mahhmud dachte edel genug, wahrend des
österreichischen Erbfolgekricges diesen Frieden streng
zu beobachten, so sehr sich auch Frankreich bemühte,
ihm
in Europa. 607
ihm die schmeichelhaftesten Aussichten zu zeigen,
wenn er jetzt, da Maria Theresia von allen Seiten
gedrängt und Ungarn von Truppen entblößt wäre,
einen Angriff auf dieses Reich thate. Eine so sel-
tene Edelinuth hatte wohl verdient, daß die Waf-
fen der Osmanen glücklicher in dem Kriege gewesen
waren / in welchen sie 174 z mit dem Schah Nadir
von Persien verwickelt wurden, ohngeachtet sie doch
bey dem höchst unglücklichen Fortgang ihrer Waffen
einem sehr leidlichen Frieden erhielten. Seit
diesem Friedensschlüsse war Mahhmud mit nichts
als der Aufrechterhaltung des inner« und äußern
Friedens beschäftigt, und wirklich genoß auch das
Reich einer Ruhe, die ihm lange ganz fremd ge.
wesen war.
Die dreyjahrige Regierung seines Bruders Osmaniri
Gstnan gieng eben so ruhig, von keinem denkwür-1754~57*
digen Vorfall bezeichnet, vorüber, und die Pforte
konnte jetzt umso weniger Neigung haben, sich in
die Kriege jener Zeit zu mischen, da Oesterreich und
Rußland, die wider sie allein etwas hatten unter,
nehmen können, Bundesgenossen ihres alten Alliir-
ten, der Krone Frankreich, waren.
Mttsthäfa, ein Sohn Ahhmeds III, be-Ätusthasa!ix
harrte bey den friedfertigen Gesinnungen seiner Vor-1767-"74°
fahren, und die Osmanen schienen ein ganz anderes
Staatssystem angenommen zu haben, als die pol.
Nischen Unruhen, oder vielmehr die Anreizungen
der Baarer Konföderation/ den Sultan 1768 zu
einem Kriege wider Rußland verrnochten. Allein
dieser Krieg ward einer der unglücklichsten, den die
Osmanen jemals geführt hatten. Ihre Armeen
wurden nicht allein geschlagen, die Moldau, Wa. -
II Land. II Abch« Q g lachey.
608 OsmanischeS Reich
lachey, die Krim, Bender, Otfchakow eingenom-
men^ sondern es erschienen auch im schwarzen Meere
und im Archipelag russische Flotten, welche die In-
seln und Küsten brandschatzten, und die Hauptstadt
mit Furcht und Schrecken erfüllten. Eine Flotte,
welche den Russen im Archipelag entgegenstellt wur-
de, ward verbrannt, eine andre geschlagen, und
was die üble Lage des Reichs noch verschlimmerte,
waren die Empörungen der Albanier oder Monte-
negriner, und noch mehr des Ali Beys in Egypten
und Scheik Dahers in Syrien. Bey so häufigen
Unfällen konnten die Osmapen ohnmöglich abgeneigt
seyn Frieden zu machen, allein zwo Unterhand-
lungen zerschlugen sich, und Musthafa hatte nicht
das Glück, die Ruhe in seinem Staate wieder her«
gestellet zu sehen.
Nbb.ul-chhs-. Musthafa mochte gefühlt haben, daß das
nnvseil^774-Reich in den gegenwärtigen Umstanden/ einen
Mann und kein Kind zum Oberhaupt haben müs-
se; er hatte daher mit Uebergehung seines minder-
jährigen Sohnes Gelim, seinen Bruder Abd-ul-
Hhamid selbst zum Sultan ernennet, in dessen
erstem Regierungsjahre auch^der Frieden mit Ruß-
land unter wichtigen Aufopferungen zu Stande
kam. (S. russische Geschichte.) Seitdem ist das
ofinanifche Reich durch keinen Krieg beunruhigt
worden. Schwach und entkräftet widersetzte es
sich meist nur durch Hofkünste, wenn Rußland
ihm ungeheure Forderungen verlegte, und einer sei-
ner Vasallen, Fürst HerakliuS in Georgien, sich
dem russischen Schutze ergab. Gegen die vereinig-
ten Kaiserhöfe, welche 178z und 84 eine freye
Schifffahrt und andere Handelsvortheile verlang,
tcn, betrugen sich hie Osmanen mit einer außeror-
dentlichen
in Europa.
609
deutlichen Nachgiebigkeit, wenn sie gleich dabey
die Mine machten, als wäre e6 ihnen, gleich, mit
der Feder oder den Waffen zu fechten. Jetzt giebt sich
Frankreich alle Mühe, die ostnanifche Land - und
Seemacht zu größerer Vollkommenheit zu bringen;
man spricht sogar, daß den Franzosen eine Nieder,
lassung am Meer von Marmora bewilligt werden
würde, und so ist es leiA. möglich, daß der Funke,
der vielleicht an Hollands Grenzen zündet, auch
hier in volle Flamme aufschlage.
Verbesserungen.
Durch Nachlaßigkeit der Abschreiber unsers Manu«
scrivts hatten sich im ersten Bande einige beträchtliche
Fehler cingeschlichen, welche der Anzeige werch sind.
Kleinere in jenem wie in diesem wird der Leser selbst
zu verbessern belieben
Seite 54 Z. 4 von unten statt noch einmal so viel le-ft
man so viel.
S. 89 Z. 8 — Philip III. lese man Philip II.
S. 130 Z. 17—- 1500000 — 150000.
S- 157 Z- 12 — 500 -— zoo.
S- 245 Z. 20 — 20000 — 200000.
G- 2g.2 3. 7 Don unten statt 266 lese man 26.
E 28Z Z. 9 nach Unterhaltung ist aller Schiss- >
zusetzen.
S. 393 3* r4 — dahin versetzt — Da bemerkt
S- 608 ist durch ein Versehen J. 3- Rousseau unter
den helvetischen Gelehrten anzuführen ergessen
worden.
I
/