14 dächtniß aufbewahrte. Diese Volksversammlungen wurden im Freien, aus Höhen, unter großen Bäumen, namentlich im Schatten uralter Eichen abge¬ halten. Auch die Gerichte hielt man unter freiem Himmel auf der Malstatt oder dem Thing. Zehn und später zwölf Männer von bewährter Recht¬ schaffenheit, vom Volke dazu erwählt, bildeten den Thing. Der Thingvogt führte bei den Versammlungen einen großen verrosteten Degen, der die höchste Gewalt des Volkes bedeuten mochte. Die Gerichtsplätze, meistens unter hohen Bäumen, waren durch große Steine umschlossen und vor Be¬ endigung der Sache durste Niemand bei Verlust seines Rechtes aus den Schranken weichen. Wahrscheinlich sind diese Thinge stets an denselben Oertern abgehalten worden, so daß diese oft darnach benannt wurden. Die Religion der alten Bewohner war natürlich derjenigen der nor¬ dischen und deutschen Völkerschaften verwandt. Sie umschränkten ihre Götter nicht durch Zwang der Wände; auch glaubten sie, daß es nicht passend sei, sie durch irgend eine menschliche Gestalt abzubilden. Das niedere Volk betete freilich auch Haine, Quellen und Steine an; aber die Weiseren scheinen die Gottheit -für eine große Weltseele gehalten zu haben, die sich durch das Ganze und durch alle Theile desselben ausbreite. So waren unsere Vor¬ fahren freilich nicht von der Blindheit des Heidenthums, wohl aber von manchen Gräueln heidnischer Völker frei. Ohne Tempel und ohne Bildsäule der Götter hatten sie keine andern Altäre, als die großen Hausen ungeheurer Steine, welche in den Wäldern und auf freiem Felde lagen, und ihr Gottes¬ dienst und ihre Religion schloß sich an den Gang der Natur. lieber die Verehrung der Hertha oder Nerthus (die Ernährende?), gleichsam die versinnlichte Naturkrast, wird uns Folgendes berichtet: „Es war ein liebliches Eiland im baltischen Meere gelegen. Eichen, so alt wie der Boden, aus dem sie entsprossen, und gewaltige Buchen beschatteten das¬ selbe, das nördliche Ende bildend des großen Herchnischen Waldes. Von be¬ moosten Hügeln umgeben lag nicht fern vom Rande der Insel im Schatten der Bäume ein klarer, fast cirkelrunder See. Am nördlichen User desselben erhob sich auf ihren hohen Wällen die Herthaburg. Sie war der Sitz der Göttin Hertha, der Geberin alles Segens in Wald und Feld. Uralte Buchen bildeten rund herum jenen heiligen Hain, dessen Innerstes nur der Fuß des Priesters betrat. Tiefe Stille herrschte in dem Schatten der Bäume, und kein Ungeweihter wagte das Flüstern der Untergötter zu unterbrechen. Selbst die kecken Urbewohner des Herchnischen Waldes, der gewaltige Ur (Auerochs), das riesige Elenn, der heulende Wolf, wie der grimmige Bär schienen scheu zurück zu bleiben von dem heiligen Ort, dem der Mensch nur in tiefster Ehr¬ furcht sich nahte. — Wenn aber im wiederkehrenden Lenz die erstarrte Erde erwachte, und die schlummernden Kinder des Frühlings von ihrem langen Winterschlaf erstanden; wenn Tausende von befiederten Sängern ihre Lieder erschallen ließen zum Lobe der schaffenden Hertha: siehe, dann tauchten ganze Schaaren riesiger Männergestalten aus dem Dunkel der Wälder hervor, in stiller Erwartung dem heiligen Haine sich nahend. Sie kommen, um das Frühlingsfest zu Ehren ihrer Göttin Hertha zu feiern. Schon ist diese — das haben die Priester geschaut und verkündigt — herabgestiegen auf ihren Wagen im heiligen Hain; schon haben die Priester den Wagen mit den ge¬ weihten Kühen bespannt und ihn mit köstlichen Teppichen bedeckt. Erwar¬