138 X- §. 12. Die größten Philosophen des heidnischen MerthumS. der Sehnsucht nach unvergänglichem Heil, die sinnliche Natur be¬ kämpfen, das Verderben in sich und um sich überwinden, und zu dem Urquell aller Wahrheit hindurchdringen. Das Schönste und Er¬ habenste, was ein heidnischer Mund über das Wesen Gottes und das Heilsverlangen der menschlichen Seele gesagt hat, findet sich in Plato'ö Dialogen. Manches erinnert uns fast an Aussprüche des geoffenbarten Wortes Gottes. Der griechische Denker hat eine Ahnung von Sünde und Erlösung. Aber auch nur eine Ahnung. Die Sünde erscheint ihm noch als ein Jrrthum des Verstandes, und kein anderes Mittel der Erlösung ist ihm bekannt, als die Verstandesauf¬ klärung mittelst der Philosophie. Aristoteles ließ sich auf solche theologische Fragen wenig ein, sondern war zufrieden, die Ge¬ heimnisse der irdischen Natur bis in's Einzelste hinein mühsam und scharfsichtig zu durchforschen, und urtheilte, daß es dem Menschen doch nimmer gelingen könne, das Unbegreifliche zu begreifen. Seine Moral reichte nicht weiter, als daß er bestimmte tugendhafte Hand¬ lungen namhaft machte, aus denen, wenn sie mit Vernunft und freiem Willen vollzogen würden, die Glückseligkeit hervorgehe. Dem großen Philosophen Aristoteles hatte Philipp seinen fünf¬ zehnjährigen Sohn Alerander zur Erziehung übergeben, und das leb¬ hafte, umfassende und tiefe Gemüth dieses ausgezeichneten jungen Mannes sog begierig den Honig ein, der ihm von seines verehrten Lehrers Lippen zu fließen schien. Wie viel einzelne Gegenstände des Wissens er in dieser Schule gelernt und sich zu bleibendem Besitze angeeignet hat, brauchen wir nicht zu untersuchen. Aber das Streben nach großen und edlen Thaten, den Adel der Gesinnung, den Abscheu vor sittlicher Rohheit, die begeisterte Liebe für Kunst und Wissenschaft, den freudigen Stolz auf die Errungenschaften und Leistungen des griechischen Volks hat er jedenfalls zum guten Theil den geistvollen Anregungen zu dan- ken, welche er im Umgang mit dem Aristoteles empfing. DaS wilde Feuer der Jugend wurde unter der ernsten Zucht des strengen Denkers gezähmt, die verzehrenden, leidenschaftlichen Triebe deS jungen Helden in die Bahn aristotelischer Tugendlehren gelenkt, und seine un¬ ruhigen und unbestimmten Entwürfe künftiger Regierungsthaten er¬ langten ihr bestimmtes Maß und Ziel durch die reifen Schilderungen einer Staatsverfassung nach aristotelischen Grundsätzen. So wohl vor¬ bereitet bestieg Alerander als zwanzigjähriger Jüngling den plötzlich erledigten Thron. Sein Vater war im Jahre 337, ^eben als ihm bei einem freudigen Opferfeste fast göttliche Ehre und Anbetung zu Theil wurde, von einem seiner Leibwächter mitten im Festzuge selber als Opfer erschlagen — ein neuer Beweis, daß Gott der Herr seine Ehre keinem Andern giebt, und der Mensch der sich zum Gott machen wist, am ehesten zu fühlen bekommt, daß er Staub und Asche ist.