92 Diese Beschuldigung blieb nicht ohne Wirkung. Bald versammelte sich das Volk auf öffentlichem Markte, um über ihn zu richten. Aristides, der sich seiner Unschuld bewußt war, wohnte dem Gerichte selbst mit bei. Die stimmfähigen Bürger schrieben den Namen des Beschul¬ digten, wenn er verbannt werden sollte, auf muschelartige Scherben, die abgegeben und nachher gezählt wurden. Waren 6000 Stim¬ men wider ihn, so wurde er aus dem Vaterlaude — gewöhnlich auf 10 Jahre — verwiesen oder verbannt. Ein des Schreibens unkundiger Bürger, der den Aristides nicht kennen mochte, überbrachte ihm seine Scherbe, mit der Bitte, doch den Namen „Aristides" darauf zu schreiben. „Der Mann muß Dich sehr beleidigt haben," sagte Aristi¬ des zu ihm, „daß Du ihn verbannt wissen willst." „Gar nicht," entgegnete ihm der Bürger; „ich ärgere mich aber darüber, daß er der Gerechte heißt." Aristides schrieb seinen Namen auf die Scherbe, ohne den geringsten Unwillen zu erkennen zu geben. Selbst als er mit dem Beschlüsse seiner Verbannung bekannt gemacht wurde, blieb er ge¬ lassen und verließ endlich, ohne Nachsucht im Herzen, die undank¬ bare Stadt, die Götter bittend : sie möchten das Glück seiner Vater¬ stadt erhalten und es ihr nie bereuen lassen, ihn verbannt zu haben. Diese Reue trat leider nur zu bald ein. Der Perserkönig, Terxes, siel, wie bereits bemerkt worden ist, mit einer Ungeheuern Macht in Griechenland ein. Diese, sowie sein Gold, das er brauchte, um die Anhänger der griechischen Partei zu bestechen, drohten Griechenland den Untergang. Die Athenienser, nun einsehend, was sie an Aristides ver¬ loren hatten, beschlossen, ihn, nach fünfjähriger Eutfernung aus seiner Vaterstadt, wieder zurückzurufen, und das um so mehr, weil sie fürchteten, er könne, durch Gold bestochen, leicht auf die Seite der Perser treten. Diese Furcht war aber, bei der großen Recht¬ lichkeit des Aristides, ganz unnöthig. Ihm, der sich auf der Insel Aegina aufhielt, that es in der Seele wehe, daß er, durch seine Verbannung gehindert, nicht thä-