200 ihre Kühnheit aber auf dem Scheiterhaufen gebüßt. Doctor Martin Luther war glücklicher als sie. Er entging den Händen seiner Verfolger, und erlebte das Glück, seine Grundsätze und Lehren von halb Deutschland angenommen und noch viel weiter auswärts verbreitet zu sehen. Luthers Eltern lebten zu More, einem Dorfe zwischen Eisenach und Salzungen. Seine Mutter, die schon im neunten Monate ihrer Schwangerschaft war, sich aber ihre Niederkunft noch nicht so nahe dachte, ging mit ihrem Manne auf den Jahrmarkt zu Eisleben, und wurde hier ganz unvermuthet am 10. November 1483 von einem Söhnchen entbunden. Dies war unser Martin Luther. Der Vater ließ es den Tag darauf am Martinifeste in der dasigen Stadtkirche Laufen; darum erhielt es in der Taufe den Namen Martin. Der Geistliche, dessen Hände das Wasser über das Haupt des Kindes ausgegossen, ahnete nicht, daß er den gefährlichsten Gegner des papistifchen Glaubens zum Christen weihete. Luther wurde von seinen Eltern, ungeachtet ihrer Dürftigkeit, sorgfältig zur Schule angehalten, und in seinem vierzehnten Jahre nach Magdeburg auf das dortige Gym¬ nasium geschickt. Von da kam er nach Eisenach, wo er sich als armer Schüler kümmerlich seinen Unterhalt durch Singen vor den Thüren erwerben und sich oft mit harten Worten absertigen lassen mußte. In seinem achtzehnten Jahre ging er auf die Universität zu Erfurt, um die Rechte zu studiren. Hier kam ihm einmal auf der Bibliothek eine voll¬ ständige lateinische Bibel unter die Hände. Es war die erste, die er sah, denn vorher war ihm nichts von der heiligen Schrift bekannt, als die Evangelien und Episteln, die an den Sonn- und Festtagen in der Kirche verlesen werden. Er freute sich darüber, durchblätterte sie, und