Samuel tritt als Reformator auf. 71 Treue einem Berufe lebten; sein Beruf aber war, eine Refor¬ mation des ganzen Volkes im Geiste des ans Sinai geschlosse¬ nen Bundes zu bewirken. So an der geoffenbarten Wahrheit festhaltend, fand er in dem Priesterthume, welches er bekleidete, und in einer erhabenen Selbstaufopferung, die er für das ge¬ summte Volk übte, Stütze und Beruf, den Götzendienst aus¬ zurotten und das Volk auf jene Höhe der Gesinnung zurück¬ zuführen, welche das Gesetz verlangte. Eben deshalb ward er würdig befunden, die Reihe jener gottbegeisterten Männer zu eröffnen, welche nach den Tagen der Richter unter dem Namen der Propheten auftraten, und in allen wichtigen An¬ gelegenheiten der Nation die fortwährenden Verkündiger des göttlichen Willens^ waren. Während die heidnischen Völker an ihre Orakel sich wandten, um den Willen ihrer Götter zu er¬ fahren, vernahmen die Israeliten durch ihre Propheten die Rath¬ schlüsse Gottes und ward von nun an aller Welt offenbar, daß kein Volk sich einer ähnlichen Größe und Bedeutung ^rühmen dürfe. Die unmittelbare Verbindung mit Gott, die auf Sinai versprochen worden war, ging jetzt vor aller Augen in Er¬ füllung. 6. Samuel's Bemühungen scheitern an dem Verlangen des Volkes nach einem weltlichen Oberhaupte. Die Hauptabsicht Samuel's, die in dem Gesetze begrün¬ dete Theokratie herzustellen, scheiterte jedoch an dem Umstande, welcher gleich bei der Eroberung Kanaan's die vollständige Aus¬ führung des Gesetzes verhindert hatte. Die Schonung der Ka¬ naaniter hatte nicht blos den Götzendienst und die Unsittlichkeit bei den Israeliten hervorgerufen, sondern machte in ihnen auch die Lust zu einem weltlichen Königthume rege, welches noth- wendig die Freiheit der Einzelnen beeinträchtigen, und eine gänz¬ liche Veränderung ihrer Verfassung herbeiführen mußte. Sa¬ muel , dessen prophetischer Sinn die grenzenlose Ausartung der späteren israelitischen Könige ahnen mochte, suchte sie, jedoch vergeblich, von diesem Gedanken abzubringen. Als er sich dem Willen des Volkes fügen mußte, salbte er Saul, dessen Eigen¬ schaften dem weltlichen Sinne des Volkes am meisten zusagten, zum Könige.