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Aegypten.
Verstand man auch noch nicht sogleich, Fensterscheiben, Spiegel, Trink¬
gefäße rc. aus Glas zu bereiten, so gewährte diese Erfindung den Phö-
niciecn doch einen wichtigen neuen Handelsartikel.
Ein Hirt, der am Ufer weidete, bemerkte, daß sein Hund mit
Blut befleckt aus dem Schilfrohr zurückkam. Bei näherer Betrachtung
aber ergab es sich, daß die rothe Farbe nicht Blut war, sondern daß
sie sich durch Zartheit und Schönheit vor allen bekannten Färbestoffen
auszeichnete. Der Hirt untersuchte nun, woher sie komme und fand,
-aß der Hund am Strande kleine Schnecken zerbissen habe, in denen
jener schöne hochrothe Saft enthalten war. Solche Schnecken, Pur¬
purschnecken genannt, wurden nun gesammelt, man lernte auf eine
leichte Weise den Saft gewinnen und färbte damit die wollenen Stoffe,
welche damals schon von phönicischen Webern in außerordentlicher Güte
bereitet wurden. Wegen der großen Kostbarkeit dieser Farbe wurden aber
in der Regel nicht ganze Gewänder mit Purpur gefärbt, sondern nur
durch Purpurstreifen verziert. Ein Purpur-Gewand zu tragen war ein
Zeichen der Wohlhabenheit; deshalb wird auch vom reichen Mann im
Evangelium (Luc. 16, 19.) ausdrücklich erwähnt: er kleidete sich mit
Purpur und köstlicher Leinwand.
II. Die alten Aegypter, das merkwürdigste Volk in Afrika.
§ 6. Wendet man sich von Phönicien aus südlich an der Küste
des mittelländischen Meeres hin, so gelangt man zunächst in das jü¬
dische Land, von welchem in der Folge erzählt werden soll; weiter im
Süden ist die schmale Landenge Suez, welche die beiden Erdtheile
Asien und Afrika mit einander verbindet. Sie führt zunächst nach
Aegypten. Jetzt begreift man mit diesem Namen ein Land von sehr
großem Umfang. Das alte Aegypten war weit kleiner, bot aber des
Merkwürdigen so viel dar, daß es nicht mit Unrecht das Land der
Wunder genannt wurde. Ein großer Strom, der Nil, fließt durch
dasselbe. An beiden Seiten des untern Nils befindet sich in einer Aus¬
dehnung von ungefähr 100 Meilen ein schönes fruchtbares Thal, gegen
drei bis vier Meilen breit. An dieses hat man zu denken, wenn von.
dem alten Aegypten die Rede ist. Der Nil entspringt in den höheren
Gebirgszügen des innern Afrika, von denen er auch viele Zuflüsse er¬
hält. Die Länder der heißen Zone, welche er durchströmt, haben keinen
Winter mit Schnee und Eis, sondern dafür regelmäßigen starken Re¬
gen, der längere Zeit anhält. In den Regenmonaten schwellen die
Flüsse an und treten über ihre Ufer. Gegen Ende des Juni bemerkt
man in Aegypten ein allmähliches Steigen des Nil, das bis zum