112 VII. Zeitraum. Das deutsche Reich unter Lothar III rc. Händen eines gemeinen Mörders, sondern von der heiligen Vehme ver- urtheilt, durch die Hand eines Wissenden gefallen. Die Sitzungen der heiligen Vehme wurden aber nicht immer heim¬ lich, sie wurden auch öffentlich gehalten, doch immer erschienen die Wissen¬ den vermummt. Um Mitternacht versammelten sie sich auf dem Kirchhofe des Ortes, wo sie gesonnen waren, Gericht zu halten. Mit Anbruch des Tages verkündete dann das Läuten aller Glocken den erschrockenen Einwohnern die Ankunft ihrer furchtbaren Gäste. Alles, Groß und Klein, mußte sich hinaus ins freie Feld begeben und sich in einem großen Kreise niederlassen. Der Freigraf saß mit seinen Schöppen in der Mitte, und vor ihm lagen neue Stricke und ein Degen oder Dolch. Befand sich nun Einer unter der Volksmenge, der im Rufe eines Mordes oder Diebstahls, oder eines andern von den schon genannten Verbrechen stand, so trat ein Schöppe zu ihm hin und sagte ihm ins Ohr: „Freund, es ist anderswo eben so gut Brod essen, wie hier." Das hieß: Hast du kein gut Gewissen, so stehe auf und gehe, so lange es noch Zeit ist. Der Mensch konnte nun, wenn er sich schuldig fühlte, ungehindert in die weite Welt gehen, aber sein Vermögen mußte Zurück¬ bleiben. Berührte der Schöppe Einen zum dritten Male mit seinem Stabe, so war dies ein Zeichen, daß er des Verbrechens nicht nur ver¬ dächtig, sondern ganz überwiesen sei. Er wurde dann gebunden und ohne weitere Umstände an den nächsten Baum aufgeknüpft. So empfing nun freilich gar mancher Bösewicht, der durch Be¬ stechung oder durch die Verwendung seiner Freunde den Händen der Ge¬ rechtigkeit entgangen zu sein glaubte, durch das unbestechliche heimliche Gericht doch den verdienten Lohn. Es ist aber leicht einzusehen, daß viele schuldlose Menschen auch aus Feindschaft, Rache, Bosheit von ge¬ wissenlosen Feinden fälschlich angegeben und ein Opfer der Tücke der¬ selben wurden. Manche Unglückliche wurden kurzweg zum Tode verur- theilt und erst nachdem sie aufgeknüpft waren, nahm man sich Zeit zu untersuchen, ob sie es verdient hatten. Allgemein wünschte man daher die Aufhebung dieser Gerichte; sie erhielten sich aber doch durch das ganze Mittelalter bis zu Anfänge des sechszehnten Jahrhunderts. Das letzte soll zu Celle im Hannöverscheu im Jahre 1568 gehalten worden sein. Im 14. und 15. Jahrhunderte waren sie am furchtbarsten. 5. Der deutsche Orden. Die Geschichte vom Ursprünge des deutschen Ordens führt uns ins heilige Land, wo im Anfänge des zwölften Jahrhunderts menschliches Mitleid in der Pflege armer, erkrankter Pilger und der Glaubenskampf gegen die Feinde Christi den zwei Ritterorden der Johanniter und und Templer ihre Entstehung gegeben. Im Jahre 1048 ließen nämlich mehrere Kaufleute aus Amalfi in Unteritalien in der Nähe des heiligen Grabes in Jerusalem ein Kloster mit einem Hospital bauen, in welchem kranke und hülslose Pilger unentgeldlich Aufnahme und Pflege fanden. Als Schutzpatron dieser frommen Stiftung wurde der heilige Johannes