Allgemeiner Ueberblick. 423 Wichtes auffassten und in Ausführung zu bringen strebten. Nach und nach huldigten alle Staaten Europas diesem Systeme, wodurch dieser Erdtheil aus einer Menge isolirter Staaten zu einem großen Staaten- verbande umgewandelt wurde. Die politische Triebfeder ward nun die Idee des Gleichgewichts. Dieselbe bestand darin, dass keiner der euro¬ päischen Staaten so mächtig würde, dass dadurch die übrigen in ihrer Existenz gefährdet würden. Einem so aufstrebenden Staate trat sofort ein Bündniss mehrerer kleineren Staaten entgegen, um jenen in seinen Schranken zu halten. Die also entstandenen Bündnisse waren aller¬ dings meist das Produkt eines Augenblicks und entbehrten im Allge¬ meinen noch der tieferen politischen Berechnung, vielmehr spielten Leiden¬ schaft und Kurzsichtigkeit der Staatsmänner eine nur zu wichtige Rolle, wesshalb wir oft mit einander in freundschaftlicher Verbindung stehende Staaten sich plötzlich trennen und einander in feindseligen, den früheren ganz entgegengesetzten Bündnissen gegenübertreten sehen, allein den ungeheuren Nutzen hat die praktische Ausführung der Gleichgewichtsidee dennoch gehabt, dass kein Staat mehr eine solche Macht erlangen konnte, dass die Errichtung eines Weltreiches, wie des römischen, mög¬ lich geworden wäre. Den Mittelpunkt dieses Systems bildete im All¬ gemeinen Deutschland, das sich sowohl durch seine Lage, als durch seine Verfassung am meisten dazu eignete. Da die Geschichten der neuern Zeit nicht nur viel reicher an Stoff, sondern auch unter sich viel inniger mit einander verbunden sind, so wird es nothwendig, die in den früheren Hauptperioden befolgte Weise der Geschichtserzählung, nach welcher die einzelnen Völker und Gegenstände nach der Reihe vorgeführt wurden, aufzugeben, und eine andere Weise, die synchronistische, nach welcher der Zusammenhang der gleichzeitigen Facten zwar mehr in's Auge springt, aber die Details der einzelnen Staatsgeschichten weniger ausführlich und speciell behandelt werden, zu adoptiren. In Bezug auf die Chronologie ist zu bemerken, dass seit dem Jahre 1582 die gregorianische Kalenderverbefferung allgemeine Verbreitung gewann und dass viele gelehrte Männer nach diesem Kalender mit un¬ säglicher Mühe eine richtigere historische Chronologie erstrebten und zu Stande brachten. Reichhaltiger an Zahl und an Stoff, als in der mittleren Ge¬ schichte, fließen die historischen Quellen der neueren Geschichte., Die Zahl der Schriftsteller vermehrt sich und die Werke derselben werden durch die unermüdliche Presse nicht nur schneller verbreitet, sondern auch sicherer vor dem Untergange bewahrt, aber der Werth dieser Schriftsteller ist ein ungleich höherer, ja in mehreren von ihnen weht uns schon ein Hauch altklassischen Geistes entgegen. Wenn die Schriften derselben trotzdem nicht die Höhe der altklassischen Literatur erreichen, so liegt dies darin, dass die neueren Schriftsteller sich meist in einer minder günstigen per¬