468 Zweiter Zeitraum. I. Abschnitt. telstande fanden sich noch Tugend und edlere Sitte, während in der „Höhe und Tiefe Sünde und Verworfenheit vorherrschten." In religiöser Beziehung war auch eine Veränderung zum Schlechtem einge¬ treten, denn die Reichen verfielen in Frivolität und Jndifferentismus, die niederen Klassen in Stupidität oder in völlige Irreligiosität. Dabei feindeten sich die Anhänger der verschiedenen Religionsparteien noch im¬ mer an und waren noch weit entfernt von christlicher Duldsamkeit, wenn auch die Ausbrüche religiösen Fanatismus nicht mehr so offen und gro߬ artig in die Welt traten, da der religiöse Rausch im Ganzen ausgetobt hatte und die Priester um ihre Allmacht gekommen waren. — Von einem Leben der Völker ist fast keine Spur, alle Bewegung geht von den Höfen aus, „ihre Hebel sind Intriguen, Geld und Waffen," und ihre Anwendung richtete sich gegen das Volk zu dessen Verdummung, Beknechtung und Aussaugung. In diese traurige Nacht brachte das fröhliche Gedeihen der Wissenschaft, welche zu unterdrücken den Gewal¬ tigen nicht möglich gewesen wäre, selbst wenn sie Alles daran gesetzt hätten, einige erhellende Strahlen. Aus ihr (und ihrem Organe der Bücherpresse), welche das geistige Leben bei allem bürgerlichen Drucke erhielt, welche unermüdlich war in der Heilung der durch Kriege oder schlechte Verwaltung hervorgerufenen Uebelstände, welche die Sitten sänftigte, die Genüsse veredelte und den Mühen des Lebens Linderung schaffte, welche die verschiedensten Klassen der Gesellschaft in vielseitige Berührungen brachte, die grellen Standesunterschiede theilweisc ausglich, der Gcburtsaristokratie den Adel der Geistesbildung zur Seite setzte und unerschrocken kämpfte gegen den Missbrauch der Gewalt, gegen die Recktsverachtung und den Hochmuth der Starken, aus ihr entkeimte die Macht, vor der schon mancher gewaltige Fürst sich gebeugt hat, die öffentliche Meinung. Die Wissenschaft erhob den menschlichen Geist zur Idee der Freiheit und letztere hat, im Bunde mit der ebenfalls aus der Wissenschaft hervorgegangenen Humanität, die letzte Periode der Welt¬ geschichte nicht nur vorbereitet und eingeleitet, sie kämpft noch jetzt fort und alle Besseren wünschen ihr den endlichen Sieg, der nicht ausbleiben wird. Deutschland tritt in diesem Zeiträume ab von der ersten Stufe der Bedeutung, die es seit der Zerstörung des römischen Reiches so lange und so ruhmvoll behauptet, und noch hat es, nach Verlauf von zwei Jahrhunderten, seine alte Stelle wieder zu erringen nicht vermocht. Deutschlands Stern ist im Sinken; Deutschland ist nur noch im Dulden groß, im Dulden der Schmach, welche ungestraft von Außen und von Innen auf das unglückliche zerrissene Land gewälzt wird. In diesem und im Anfänge des letzten Zeitraumes figurirt Deutschland noch als ein Reich, seit 1806 bis jetzt ist Deutschland nur noch ein geographi¬ scher Name und bereits scheint der Theilungsprozess des Landes, wie es einst mit Polen geschehen, anheben zu wollen, denn was wäre es An¬ deres, als ein Beginn der Theilung Deutschlands, wenn Schleswig