Lnriafl
1
Erzählungen
aus der
Römischen Geschichte
ln
diograxkiseker Lorm.
Von
De. Ludwig Stacke,
ordentlichem Lehrer am Gymnasium zu Rinteln.
Vierte Auflage.
Oldenburg,
Druck und Verlag von Gerhard Stalling.
1861.
Ö oÌ'f>'K~r ' -j / Ô '^^Æ»
-v*~v ftxfcv\ ^-w-*^Vvv6^W tì^vvw-v>vvw^ >¿" ,.
0,'L¿^<- i^~fv Vv-^^V'vA-CA 4^-'^ ^>vv —-~A! ^^w^rU-f .
*-* 4 Y,. ,/ Y t . ^^ ^ !■ J. 'AUQ r/ . -, >
ItAu
______^ L>
it- V ^u*-t^- ' • 'A¡4^ ^vvv 1; ^.-9 ;^/v^Z-t^vv* ^
, ■£''=?$ >»/ <•/ /V ^V* ¿V *u »^
^——*si-i.¡~, ojfw\.~/■—âà,«â»7 ~ô^< Ÿ iá5t<
^ £^-'4—w ^>g--tc-- 'Y- i *-• ¿ ^ *! :■/" y V
pf t-VV ¿ ÌìrVvT^ V^/^y ^/h ». 1 L-^ . >. / $~\ rXi~f t ts^ t-í- lAy 2*I^+-¿C*¿-~>U-*yr
^ V—w. iVíw A/ ftf ¿v ì'
y y/ ~^X-h H&At- '^íeát K
.:A-v >¿v^ìi* •>,.,« . y$y jT^t '
<p£Z --/A iX f/^c< -
^•*''t'2r{j lybh!ty <7
/%fit¿s¡<yXs*-■<-t■Kir'- A— „
0¿Ajbj{, A-^.lV^-' ■/ ;■ ' 1 • . .
-^Á, r^TTV^r x
¿■‘P V ih-^. /vt/ \ff^- 4/}v /~í'r./t ,-f^^ „
M c é¡Jo-Yr^ ^ T ^ //
--• V is .í -V /i ... KJ tç i*****»/;; ,/ y~f„,-/ '
'S
____^ . , Híi+S,¿¿rt~^' , / ^ «v*'"/ÿ ¿ín/'^fV'
Y'lX'f- ‘ f-^f '■l-v\J-^f *^w* T* sT~(Ll^ft Zïép-fi^Q >
(%!^vv CcvU~/<^ &-*-£^¡¡^t/' ^í. *
—------------------Ï> .</ ^ V í^
Äv-'i- U-vw - K- t-t. \ i - - A-'•- '6 /•?
"y jw V ;. t-v, . > á- I /r.^'v^ ^,;^1 "* '. ’ '^'
i^’/^‘-! ^ví--®nA /V^HK ^T-nt'*,« ¿ V - ^ I/
.; <-’;>-> Í-. jV 6 0 V 'V' ' , : ■/, í; •/••■• ^ '{tí I ,/? s
1 £££>/■ ^.jA
■ *Hv '^A'>--w^ w r^’‘W^vv ^
' yS ^ H >V^y y y Ä KvT2r /.ir "y
• --- re -V^. -u //ii^ « ¿i/ ítní/yc/«K a ,;
^v. . . > /*A ¡Í4i¿lr «'’ •■ r iWv I .' '? /’v^v*vw •JV^W ftv*^ J*>r*JU.ÍíJi
^_y^v3,/wy ; ^ TJbXlsi*
r'f-íyv .—/-.• A fà&ïL f . ^wLT^Avv'^
' & r r, vt \ Æ' ^/.i* O-Jfíjt T- ,í. .' J-^ Yf
^.........
.
<Á*~*^***-A£¿u*-i i y»1 ^!^Pth4^a{t
1-uV ‘V-y/r-ArV^W ' . , ' ^ »tV^v^í^-v>A- j
Oi y í(y:-^^ J^>j- -'20%^vs. u< fcíVv^tíí' /•(,/”'f.y
•chulbuohbibliothok
Vorwort ?«v* ersten Austage.
Georg-Eckert ¡cr;‘ftut
für inkarra: o-ruhe
Schulbuch ,:g:,hung
Braunschweig
Eieseö zweite Bändchen meiner Erzählungen enthält
eine Auswahl derjenigen Momente der römischen Geschichte,
welche für den biographischen Unterricht geeignet schienen.
Die eigenen Worte der Quellen anzusühren, wie ich es
im ersten Bändchen namentlich mit den aus Herodotos
gewählten Erzählungen gcthan habe, war hier fast ganz
unstatthaft; dagegen sind angemessene Darstellungen aus
neueren quellenmäßigen Bearbeitungen, wenn sic sich für
meinen Zweck eigneten, ganz oder theilwcisc ausgenommen
worden. Dahin gehören besonders: Grysar, Handbuch der
Geschichte des Altcrthums. Zweite und dritte Abtheilung.
Köln 1835; Dittmar, die Geschichte der Welt vor und
nach Christus, 2. und 3. Bd, Heidelberg 1847 und 1848;
endlich auch das bekannte Buch von Döring, das zwar
zu ganz anderem Zwecke bestimmt ist, oft aber den rechten
Ton getroffen hat. lieber Mare Aurel hinaus mochte ich
die Erzählungen nicht fortsctzen; auch die Zeiten dcö Un-
tergangs des Reiches sind in dem angehängten Schluß
nur sehr übersichtlich berührt, weil man mit dem Auftreten
der Germanen zweckmäßiger die Geschichte des Mittelalters
eröffnet.
Vr. Stacke.
VI
Vorwort zur zweiten Auflage.
Äuch dieses zweite Bändchen meiner Erzählungen hat
sich einer günstigen Aufnahme zu erfreuen gehabt. Die
in den mir zu Gesicht gekommenen Anzeigen und Beur-
theilungcn enthaltenen Winke zu Verbesserungen habe ich,
soweit es mir rathsam schien, dankbar benutzt, und des-
halb nicht nur einige Jrrthümer und Versehen berichtigt,
sondern auch die Erzählungen durch Ergänzungen und Hin-
zufügung einer neuen vermehrt, und so möge denn dies
Büchlein auch in seiner zweiten Auflage seinem Leserkreise
empfohlen sein.
sch'cn Geschichte ist ein unveränderter Abdruck der zweiten.
Zusätze und Erweiterungen hielt ich auch-hier nicht für
räthlich.
Dr. Studie.
Vorwort zur dritten Auflage.
Dr. Stacke.
t
Inhalt.
Seite
I. Aeneas ................................................... 1
II. Romulus, Roms Gründer und erster König (734—716
v. Chr.) ...................................................2
III. Numa Pompilius (713—673 v. Chr.)......................7
IV. Tullns Hostilius (673-641 v. Chr.)......................8
V. Tarquinius Priscus (616—378 v. Chr.)..................11
VI. Servius Tullius (378-334 v. Chr.).........................14
VII. Tarquinius Supcrbus (534—310 v. Chr.).......................18
VIII. Brutus, erster Consul der Römer............................23
IX. Porsenna, König von Clusium...............................25
X. Mcnenius Agrippa (494 v. Chr.). — C. MarciuS Corio-
lanus (491 — 488 v. Chr)................................27
XI. Untergang der Fabier (477 v. Chr,).......................30
XII. Appius Claudius (451—449 v. Chr.)...........................33
XIII. M. Furius Camillus.........................................36
XIV. Titus Manlius Torquatus. Marcus Valerius Corvus. —
M. Curtius.................................................43
XV. Licinius Stolo und Lucius Sertius..........................44
XVI. Der Kampf gegen die Samniter. — P. Dccius. — Pa-
pirius Cursor. — Pontius, Feldherr der Samniter . . 46
XVII. Tituö Manlius. Die beiden Decius Mus.......................52
XVIII. Pyrrhus, König von Epirus . ..............................54
XIX. Casus Duilius. M. Attilius Regulus.........................59
XX Hannibal....................................................62
1. Hannibals erstes Auftreten.........................62
2. Hannibals Zug nach Italien.........................63
3. Hannibals Sieg am Ticinus und an der Trebia (218 v. Chr.) 71
4. Schlacht am Trasimenischcn See (217 v. Chr.) . . 75
5. Hannibal gegen Fabius Cunctatvr....................77
fi. Die Schlacht bei Cannä (216 v. Chr.)...........79
7. Hannibal gegen Marcellus...........................81
8. Hannibal und Scipio. Schlacht bei Zaina (202 r. Chr.) 83
9. Hannibals und ScipivS Ausgang......................89
VIII
XXI.
XXII,
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI
XXVII.
XXXII.
XXXIII.
XXXIV.
Seite
Scipio Africanus der Jüngere..............................92
Die beiden Gracchen......................................100
Cajus Marius.............................................109
Sulla und Marius.........................................117
1. Sulla. Feldherr gegen Mithridates, vertreibt den Manns 117
2. Marius Flucht.....................................120
3. Sulla's Krieg gegen Mithridates...................123
4. Cinna in Rom. Marius Rückkehr und Tod .... 128
5. Sulla's Rückkehr und Prvscriptioncn. Sein Tod . . . 127
Pompejus der Große . . ...................130
1. Pompejus erstes Auftreten.........................130
2. Pompejus gegen Scrtorius..........................132
3. Pompejus besiegt die Reste der Sclaven...........133
4. Pompejus Sieg über die Seeräuber.................139
5. Pompejus Siege in Asien.......................... 141
Cicero...................................................146
C. Julius Cäsar..........................................150
1 Cäsar bis zum Kampfe gegen Pompejus...... 180
2. Casars Kampf gegen Pompejus (4 9-—48 v Chr.) . . 137
3. Casars Kriege in Afrika. Catos Tod................165
4. Casars fernere Thaten und Tod...................170
Antonius und Octaviamos..................................177
Octavianus als Augustus..................................188
1, Augustus Negierung (3 0 v. Chr. bis 14 n. Chr.) . . 188
2. Kriege gegen die Deutschen. Hermann, Deutschlands Befreier 191
Tiberius Claudius Ncro (14—37 n. Chr.) .... 199
Cajus Cäsar Calignla (37—41 n. Chr.). Tibcrius
Claudius Cäsar (41—54 u. Chr.)..................202
Nero (54—68 n. Chr.).....................................204
Vespasianus (69—79 n. Chr.) u. Titus (79-81 n. Chr.) 208
Ncrva. Trajanus. Hadrianus. Die beiden Antoninc
(96-180 n. Chr.).........................................214
Schluß...................................................219
^1
I.
Aeneas. *
2Dei der Zerstörung Troja's war Aeneas, der Sohn des
Anchises und der Göttin Venus, dem allgemeinen Verderben
entronnen. Göttersprüchen vertrauend, durchsegelte er mit
seinen Gefährten das weite Meer, um sich im fernen Westen
eine neue Heimat zu suchen. Nach jahrelangen Irrfahrten,
auf denen er wunderbare Abenteuer und Mühseligkeiten aller
Art zu bestehen hatte, landete er endlich in Latium, einer
Gegend an der Westküste von Italien. Hier wohnten die
Aborigener, über welche König Latinus herrschte. Die gött-
liche Abkunft des Aencas und der Trojaner verhangnißvolles
Geschick bewogen ihn, die Fremdlinge freundlich auszunehmen,
und dem Aencas seine Tochter Lavinia zur Gemahlin zu geben.
Aeneas baute eine Stadt und nannte sie seiner Gemahlin zu
Ehren Lavinium. Doch dem Latinus und den neuen An-
kömmlingen drohte noch ein schwerer Kampf. Turnus, Kö-
nig der Rutuler, dem Lavinia früher verlobt gewesen, sah mit
Unwillen, daß ihm der Fremdling Aeneas vorgezogen worden,
und beschloß Rache zu nehmen. Es kam zum Krieg; auf der
einen Seite stand Turnus mit seinen Rutulern, auf der andern
die Aborigener und Trojaner unter Latinus und Aeneas.
Turnus ward geschlagen, aber die Trojaner und Aborigener
hatten den Verlust des Latinus, der im Treffen geblieben war,
zu beklagen. Nun ward Aeneas König, und verband Tro-
janer und Aborigener, die einander an Treue und Liebe zu
ihrem Herrscher nichts nachgabcn, zu einem einzigen Volk unter
dem Namen Latiner. Im Vertrauen auf die Zuneigung
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Nufl. 1
2
seines Volkes konnte Aeneas der Erneuerung des Kampfes ru-
hig entgegensehen. Denn Turnus, an eigener Kraft verzweifelnd,
hatte sich mit Mezentius, dem König der damals mächtigen
Etrusker, verbunden, und beide drohten dem neuen Staate
den Untergang. Auch in diesem Kriege waren die Latiner
siegreich; aber wiederum hatten sie den Sieg mit dem Verlust
ihres Königs erkauft: Aeneas war im Kampfe gefallen.
Sein Volk erwies ihm göttliche Ehre; sein Sohn Asca-
nius folgte ihm in der Herrschaft. Unter ihm kam der Friede
zwischen Latinern und Etruskern zu Stande, und die Tiber
bildete die Grenze beider Völker. Die von Aeneas gegründete
Stadt Lavinium blühte herrlich auf und faßte die Menge ihrer
Bewohner nicht mehr. Da überließ Ascanius Lavinium seiner
Mutter, und gründete am Fuße des Albanerbergs eine neue
Stadt, die er Alba Longa nannte, wo feine Nachkommen
als Könige herrschten.
II.
Romulus, Noms Gründer und erster König.
(754—716 v. Ehr.)
Einer dieser Könige von Alba Longa, Procas, hinterließ
zwei Söhne, von denen der ältere Numitor, der jüngere Amu-
lius hieß. Numitor folgte Anfangs seinem Vater in der Re-
gierung ; doch bald verdrängte Amulius feinen Bruder, ließ
dessen Sohn tödten, die Tochter, Rhea Silvia, zur Vestalin
wählen, um sie aller Hoffnung auf Nachkommen zu berauben,
die einst den Verlust des Thrones an Amulius rächen könnten.
Doch Rhea Silvia gebar zwei Knaben, Romulus und
Remus, als deren Vater die Sage den Kriegsgott Mars nennt.
Auf diese Kunde befahl Amulius, die Priesterin in den Fluß
Anio zu stürzen, in dessen Fluthen sie zur Göttin ward, die
3
Zwillinge aber in die nahe Tiber zu werfen. Allein damals
war gerade die Tiber über ihre User getreten, und die könig-
lichen Diener setzten die Knaben in einer Wanne in das aus-
getretene Wasser, am Fuße des Berges Palatium. Als sich
das Wasser verlaufen hatte, blieb die Wanne auf dem Trock-
nen stehen. Da kam, durch das Gewimmer der Kinder her-
beigelockt, eine Wölfin und fäugete sie, und ein Specht, des
Mars heiliger Vogel, brachte ihnen Speise. Dieses Schau-
spiel sah Faustulus, ein Hirt der königlichen Heerden; er er-
barmte sich der Zwillinge und brachte sie seiner Frau Acca
Larentia, um sie zu ernähren und aufzuziehen.
So wuchsen Romulus und Remus unter den Hirten auf
dem Palatinischen Berge zu rüstigen Jünglingen heran, und
übten in Erlegung wilder Thiere, bald auch in den Angriffen
auf Räuber, denen sie ihre Beute entrissen, ihre Kraft. Die
Räuber, dadurch aufgebracht, stellten beiden Brüdern nach.
Einst bei der Feier der Lupercalicn, eines Festes des Hirten-
gottes Pan, wurden sie von den Räubern überfallen. Romu-
lus schlug sich durch; den Remus führten sie gefangen zum
Numitor, unter dem Vorgeben, daß er und sein Bruder dessen
Ländereien beraubt hätten. Numitor verglich die Zeit der
Aussetzung mit dem Alter der Jünglinge, und eine Ahnung
von seinen Enkeln stieg in ihm auf. Durch weitere Nachfor-
schung erfuhr er von Faustulus das ganze Geheimniß.
Als Numitor seine Enkel erkannt hatte, faßten diese den
Entschluß, an Amulius Rache zu nehmen. Sie drangen auf
verschiedenen Wegen in die Stadt, griffen die Königsburg an,
erschlugen den Amulius und setzten ihren Großvater wieder als
König ein.
Nun beschlossen beide Brüder, an dem Orte, wo sie aus-
gesetzt und erzogen worden waren, eine Stadt zu gründen,
deren erste Bevölkerung Albaner und Latiner bildeten. Als
die Stadt erbaut war, erhob sich über die Benennung und
Beherrschung derselben zwischen beiden Brüdern ein heftiger
Streit, dessen Entscheidung sie den Göttern anheimstellten.
Zu diesem Zweck begab sich Romulus auf den Palatinischen,
i*
4
Remus auf den Aventinischen Berg. Zuerst erschienen dem
Remus sechs Geier, die von der Linken zur Rechten flogen.
Allein kaum hatte er dieses Zeichen dem Romulus gemeldet,
als diesem zwölf Geier erschienen, und sogleich Blitz und Don-
ner folgten. Jetzt entstand ein neuer Streit, indem jeder von
ihnen König sein wollte: Remus, weil er zuerst sechs Geier
gesehen hatte, Romulus, weil ihm eine doppelte Anzahl er-
schienen war. Von Worten kam es zum Morden, und Remus
fiel im Getümmel. Eine andere Sage berichtet, Remus sei,
um seinen Bruder zu verhöhnen, über die Mauern der neuen
Stadt gesprungen, und deshalb habe ihn Romulus mit den
Worten erschlagen: „So geschehe jedem, der über meine Mauern
springt!" — So ward die Gründung der neuen Stadt durch
Bruderblut geweiht. Die Zeit der Erbauung fallt ins Jahr
754 v. Ehr.
Um die Bevölkerung der neuen Stadt zu vermehren, er-
öffnete Romulus eine Freistätte (Asyl) für heimatlose Leute
jeder Art, und nun strömten zahlreiche Haufen von Verbann-
ten, Verbrecher Md Schuldlose, nach Rom. Aus der ganzen
Bevölkerung wählte der König die hundert Aeltesten und An-
gesehensten und bildete ans ihnen einen Rath oder Senat, um
mit ihm die gemeinsamen Angelegenheiten zu berathen und zu
leiten. Auch sorgte er für die nothwendigsten Gesetze und für
Einrichtung des Gottesdienstes.
Aber noch fehlte es der neuen Gründung an Frauen.
Um diese zu erhalten, schickte Romulus an die benachbarten
Völker Gesandte und ließ fie bitten, mit seinem Volke eheliche
Verbindungen einzugehen. Allein die Gesandten wurden überall
mit Hohn abgewiesen und gefragt, warum zu Rom nicht auch
eine Freistätte für heimatlose Frauen eröffnet würde. Diese
Zurückweisung reizte den Romulus; er beschloß, durch List und
Gewalt zu rauben, was man seinen Bitten abgeschlagen hatte.
Einst ließ er feierliche Spiele zu Ehren des Meergottcs Nep-
tunus veranstalten und die benachbarten Völker dazu einladen.
5
Diese, und unter ihnen vorzüglich die Sabiner kamen in gro-
ßen Haufen mit ihren Weibern und Kindern herbei. Aber
mitten unter den Spielen fielen die römischen Jünglinge mit
bloßen Schwertern über die Fremden her und raubten eine
große Zahl von Jungfrauen, die unter die römischen Bürger
vertheilt wurden.
Die beraubten Völker beschlossen einen gemeinsamen Rache-
krieg, da ihnen aber die Rüstungen der Sabiner zu lange
dauerten, so griffen die übrigen vereinzelt zu den Waffen; zu-
erst die Cäninenser; allein Romulus schlug fie mit leichter
Mühe, so wie bald darauf auch die Antemnaten und Crustu-
minier.
Am schwersten war der Kampf mit Titus Tatius,
König der Sabiner. Denn dieser fiel nicht nur mit einem
Heere von 25,000 Mann zu Fuß und 1000 Mann zu Pferde
in das römische Gebiet ein, sondern bemächtigte sich auch der
auf dem Capitolium gelegenen Burg durch folgende List:
Tarpeja, die Tochter des Befehlshabers der Burg, war
ausgegangen um Wasser zu holen, und den Feinden in die
Hände gefallen. Sie versprach ihnen, die Burg zu öffnen,
wenn ihr die Sabiner das gäben, was sie am linken Arm
trügen. Sie meinte damit die goldenen Armbänder und Span-
gen. Nun trugen aber die Sabiner nicht nur diese, sondern
auch ihre Schilde am linken Arm. Als daher Tarpeja den
Feinden die Thore geöffnet hatte, sollen diese, um Betrug
durch Betrug zu strafen, ihre Schilde über die Verrätherin ge-
worfen und sie so getödtet haben. Von dieser Tarpeja ward
in der Folge der steilste Theil des Berges der Tarpejische Fels
genannt, und noch heut zu Tage herrscht zu Rom der Volks-
glaube, die schöne Tarpeja Hause tief im Berge verzaubert,
mit Gold und Geschmeide überdeckt.
Am Tage nach der Besetzung des Capitoliums rückten die
Römer heran, die verlorene Burg wieder zu erobern; auch die
Sabiner stiegen herab, und der Kampf begann. Nach hefti-
gem Widerstand wichen endlich die Römer und Romulus selbst
ward von den Fliehenden fortgerissen. Da erhob er seine
6
Hände gen Himmel und gelobte dem Jupiter, wenn er die
Flucht der Seinigen hemme (Jupiter Stator), einen Tempel.
Sofort standen die Römer und erneuerten das Treffen; der
Sieg wandte sich auf ihre Seite. Da kamen die geraubten
Sabinerinnen mit fliegenden Haaren und zerrissenen Kleidern
herbei, stellten sich zwischen ihre Männer und Väter und mach-
ten durch ihre Thränen und Bitten dem Kriege ein Ende. Es
kam zwischen beiden Völkern zum Frieden. Fortan sollten
Römer und Sabiner zu einem Volke vereinigt sein, hundert
Sabiner in den Senat ausgenommen werden, und beide Kö-
nige gemeinschaftlich regieren.
Doch bald war Romulus wieder Alleinherrscher, da Tatius
bei einem Ansstand in Lavinium erschlagen ward. Nach sei-
nem Tode soll der kriegerische Romulus noch zwei Feldzüge
glücklich beendigt haben. So floß sein Leben unter steten Krie-
gen dahin. Sein Ende hat die Sage wunderbar ausgeschmückt.
Einst hielt Romulus Heerschau über das Volk: Da erhob sich
plötzlich ein Sturm mit Donner und Blitz, eine schwarze Wet-
terwolke umhüllte den König und entzog dem Volke seinen
Anblick; von da an war Romulus auf Erden nicht mehr sicht-
bar. Der Kriegsgott hatte den vollendeten Sohn auf feuri-
gem Wagen gen Himmel gehoben. Dem Volke erzählte nach-
her der Senator Proculus Julius, wie ihm Romulus in
göttlicher Gestalt erschienen sei und zu ihm, der anbetend da
gestanden und nicht die Augen zu ihm zu erheben gewagt, ge-
sagt habe: „Die Götter wollen, daß meine Roma die Haupt-
stadt der Welt sei; die Römer sollen den Krieg üben und wis-
sen, daß ihnen keine menschliche Macht widerstehen könne."
Mit diesen Worten habe er sich zum Himmel erhoben. —
Eine andre Nachricht erzählt, daß Romulus von den
Senatoren, denen seine Herrschaft verhaßt gewesen, durch heim-
lichen Mord bei Seite geschafft sei.
7
III.
Numa P omprlius.
(715—673 v. Chr.)
Nach Romulus' Tode regierten die Senatoren ein volles
Jahr, bis die Wahl eines neuen Königs zu Stande gekommen
war. Dieß war Numa Pompilius, der Sohn eines
vornehmen Sabiners und Eidam des Königs Titus Tatius.
Nach dem Tode seiner Gemahlin verließ er die Stadt Cures,
feinen bisherigen Wohnsitz, und ging in den Aricsichen Wald,
um sich in der Einsamkeit seinen Betrachtungen hinzugeben.
Hier hatte er der Sage nach vertrauten Umgang mit der
Nymphe Egeria, von der seine heilsamen Gesetze und Ein-
richtungen stammten. Auch empfahl er selbst jedes neue Gesetz,
jede neue Einrichtung dadurch, daß er sie den Eingebungen
der Egeria zuschrieb. Seine vorzügliche Sorgfalt war darauf
gerichtet, die durch steten Krieg verwilderten Sitten der Römer
zu zähmen und ihren kriegerischen Sinn zu besänftigen. Des-
halb ordnete er die religiösen Gebräuche, indem er neue Priester-
ämter einführte und die Zahl der bestehenden vermehrte. Er
errichtete das Amt der Pontifices, die den Gottesdienst besorg-
ten, und an deren Spitze der König selbst als Oberpriester
(pontifex maximus) stand. Den Augurn ertheilte er das Amt,
aus dem Fluge der Vögel, aus Donner und Blitz und dem
Fressen der heiligen Hühner die Zukunft und den Willen der
Götter zu erforschen. Die Zahl der Vestalinnen, denen die
Sorge für das heilige Feuer im Tempel der Vesta oblag, ver-
mehrte er auf vier. Dem Janus zu Ehren, einem Gotte, der
mit zwei Gesichtern dargestellt wurde, baute er einen Tempel,
der in Kriegszeiten offen stehen, im Frieden aber geschlossen
sein sollte. Unter Ruma selbst, dessen 43jährige Regierung in
ungestörtem Frieden verlief, war er stets geschlossen. Nach
Numa ist dies nur zweimal während der ganzen Dauer des
römischen Staates der Fall gewesen. — Auch für das bürger-
8
liche Leben traf Numa zweckmäßige Einrichtungen, wie er denn
das Jahr, das bis dahin nur zehn Monate hatte, in zwölf
Mondmonate eintheilte.
Die Sage läßt die Egeria über den Tod dieses friedsa-
men, frommen Königs weinen und in einen Quell zerfließen.
IV.
Tullus Hostilius.
(673—641 v. Ehr.)
Kurze Zeit nach seinem Tode wählte das Volk wieder
einen König aus römischem Stamme, den kriegerischen Tullus
Hostilius. Unter seiner Regierung ward Alba Longa, Roms
Mutterstadt, zerstört. Die Veranlassung zu diesem Kriege war
folgende:
Albanische Hirten hatten im römischen, römische im al-
banischen Gebiete Raub begangen. Von beiden Seiten wur-
den Gesandte abgeordnet, um Genugthuung zu fordern. In
dieser Forderung kamen die römischen Gesandten den albani-
schen zuvor, so daß, da die Albaner die Genugthuung ver-
weigerten, der Krieg von letzteren veranlaßt zu sein schien.
Beide Theile rüsteten sich mit aller Macht. Als die Heere ein-
ander in Schlachtordnung gegenüber standen, machte M ettus
Fuffetius, der Feldherr der Albaner, dem römischen König
den Vorschlag, den Krieg durch den Kampf Einzelner entschei-
den zu lassen. Zufällig fanden sich in beiden Heeren Drillinge
unter dem Namen Horatier und Curiatier, von denen
jene Römer, diese Albaner gewesen sein sollen. Sie waren zu
dem Zweikampfe bereit. Zuvor ward ein feierlicher Vertrag
abgeschlossen, daß das Volk, dessen Vorkämpfer siegen würden,
über das andere herrschen sollte.
Zwischen beiden Heeren wurde eine Ebene zum Kampf-
platz bestimmt, und die Drillinge beider Theile begannen, mit
— 9 —
Blumen bekränzt und unter lautem Zuruf der Ihrigen, den
Kampf. Wie zwei Schlachtordnungen, vom Muthe großer
Heere beseelt, gingen die Helden, mit dem Schwerte in der
Faust, auf einander los. Nicht eigene Gefahr, nur das Schick-
sal ihres Vaterlandes schwebte ihnen vor Augen. Das Klirren
der Waffen, das Blitzen der Schwerter, versetzte bei dem ersten
Angriffe die Zuschauer in betäubenden Schrecken. Ucberall
herrschte bange Furcht und allgemeine Stille. Kaum aber
waren sie handgemein, kaum hatten die Bewegungen mit den
Schilden und Schwertern, und das aus den Wunden hervor-
strömende Blut die Augen der Zuschauer auf sich gezogen:
als schon zwei Römer, einer über den andern, todt zur Erde
stürzten. Bei ihrem Fall erhob das albanische Heer ein Freu-
dengeschrei, während die römischen Legionen hoffnungslos das
Schicksal des allein noch übrigen Horatius mit banger Furcht
erwarteten. Zum Glück war dieser noch unvcrwundet, und
also zwar allen dreien allein nicht gewachsen, aber doch noch
muthig genug, es mit jedem besonders aufzunehmen. Um
sie also zu trennen, nahm er die Flucht, indem er voraus-
sah, daß ihm jeder nur so geschwind folgen würde, als es
seine Wunden gestatteten. Jetzt hatte er sich schon etwas aus
den Grenzen des Kampfplatzes entfernt, als er sich umwandte
und seine Gegner in weiten Zwischenräumen ihm Nacheilen sah.
Einen aber erblickte er nicht weit hinter sich und ging sofort
auf ihn los. Bald hatte er ihn erlegt und drang auf den
zweiten ein. Da erhoben die Römer ein Freudengcschrei, um
ihren Vorkämpfer zu ermuntern, der dann auch den zweiten
Curiatier zu Boden streckte, noch ehe ihm der dritte zu Hülfe
kommen konnte. Nun waren beide Parteien an der Zahl,
nicht aber an Hoffnung und Kräften gleich: der Eine noch
unverwundet, zwiefach Sieger, eilte voll Muth in den dritten
Kampf; der Andere aber, der seinen von Wunden und Laufen
ermatteten Körper kaum sortschleppte, sah sich seinem Feinde
als ein gewisses Schlachtopfer preis gegeben. Frohlockend rief
der Römer: „Zwei habe ich dem Schatten meiner Brüder ge-
opfert, den dritten weihe ich der Absicht dieses Kampfes, daß
T
— 10 —
Rom über Alba herrschen möge!" Zu gleicher Zeit stieß er
seinem Feinde, der kaum noch die Waffen halten konnte, das
Schwert in die Kehle, streckte ihn zu Boden und nahm ihm
seine Rüstung. — So wurde durch diesen Kampf Alba Longa
der Herrschaft der Römer unterworfen.
Horatius kehrte an der Spitze des Heeres, mit den Rü-
stungen der erschlagenen Feinde geschmückt, nach Rom. Am
Capenischen Thore begegnete ihm seine Schwester, die mit
einem der Curiatier verlobt gewesen war. Als sie unter der
Beute ihres Bruders auch das Gewand erblickte, das sie für
ihren Bräutigam gewebt hatte, brach sie in laute Klagen und
Verwünschungen gegen ihren Bruder aus. Horatius gerieth
in Wuth und tödtete seine Schwester. Wegen dieser blutigen
That wurde er vor Gericht geladen und von den Richtern zuni
Tode verurtheilt. Nur die Bitten seines Vaters, der sich an
das Volk wandte, retteten den Schuldigen, und der König
strafte ihn blos dadurch, daß er ihn unter dem Schandjoch
hergehen ließ.
Die Albaner unter Mettus Fuffetius ertrugen die Abhän-
gigkeit von Rom mit Unwillen. Um ihre Selbstständigkeit
wieder zu gewinnen, suchten sie den römischen König Tullus
in Krieg zu verwickeln und reizten die Stadt Fidcnä zum
Abfall von Rom. Den Fidenaten leisteten die Vcjenter Hülfe,
und die Albaner versprachen, im Augenblick der Schlacht zu
ihnen überzugehen. Als Tullus gegen die Fidenaten zu Felde
zog, entbot er auch die Albaner zum Heereszug. Das römische
Heer stellte er den Vejentern, das Albanische den Fidenaten
gegenüber. Aber Mettus Fuffetius zeigte sich im Kampfe un-
thätig und schwankend, indem er zu denen überzugehen gedachte,
auf deren Seite sich der Sieg neigen würde. So sahen denn
die Albaner ruhig zu, wie die Römer unter unaufhörlichem
Gefecht erst die Fidenaten, dann die Vejenter schlugen und
einen vollständigen Sieg errangen. Als Fuffetius dem siegrei-
chen Tullus Glück wünschte, empfing ihn der König scheinbar
mit Güte und stellte sich, als habe er dessen treuloses Spiel
nicht gemerkt, bestellte aber beide Heere auf den folgenden Tag
11
zu einer Versammlung. Zuerst erschienen unbewaffnet die Al-
baner; das römische Heer stellte sich bewaffnet ringsum. Jetzt
entdeckte Tullus den Verrath des Fuffetius und verkündigte
seine und seines Volkes Strafe. Er selbst ward auf zwei
Wagen festgebunden, deren Gespanne nach verschiedenen Rich-
tungen getrieben, seinen Körper in zwei Stücke zerrissen. Die
Stadt der Albaner wurde zerstört, ihre Bewohner mußten nach
Rom ziehen, wo sie den Cölischen Hügel anbauten.
Auch noch in einem Kriege gegen die Sabiner focht Tul-
lus glücklich; aber das Ende seiner Regierung ward durch
manche Unheil verkündende Zeichen und Unfälle getrübt. Auf
dem Albanerberge regnete es Steine, und aus dem dortigen
Haine erscholl eine Stimme, die über die Vernachlässigung des
Gottesdienstes klagte. Eine Seuche brach aus, an der Tullus
selbst erkrankte. Voll Mißmuth ergab er sich allen Arten von
Aberglauben. Einst fand er in den Büchern des Ruma einen
Zauberspruch, mit dem man den Jupiter vom Himmel herab-
zubannen glaubte. Aber der König beging in der Anwendung
des Spruches einen Fehler; der empörte Gott fuhr in einem
Wetterstrahl herab, der den König sammt seinem Hause ver-
brannte.
V.
Tarquinius Priscus.
(616—578 v. Ehr.)
Der vierte König der Römer war Ancus Marcius
(641—616 v. Ehr.). Unter seiner Regierung kam ein gewisser
Lucumo nach Rom. Er war der Sohn des Corinthiers Dama-
ratus, der, von seiner Vaterstadt vertrieben, sich nach Tarquinii,
einer Stadt in Etrurien, begeben und daselbst durch seine Reich-
thümer Ansehen erlangt hatte. Von Jugend auf durch das
Glück begünstigt, war Lucumo, der einzige Erbe aller Reich-
thümer seines Vaters, der Gemahl der Tanaquil geworden.
f
— 12 —
einer Frau vornehmen Standes, die als Etruskerin der Weis-
sagung kundig war. Indessen konnte er doch als Ausländer-
in Tarquinii zu keinen hohen Ehrenstellen gelangen; dies
schmerzte die stolze Tanaquil so sehr, daß sie ihren Gemahl
bat, die Stadt zu verlassen und nach Rom zu ziehen. Lucumo,
selbst von Ehrgeiz und Ruhmsucht ausgespornt, willfahrte ihr,
und beide machten sich auf die Reise nach Rom.
Als sie nicht mehr weit von Rom entfernt waren, kam
ein Adler herbei, nahm dem Lucumo den Hut, erhob sich hoch
in die Lüste und setzte ihn ihm bald nachher wieder auf. Ta-
naquil sah in diesem Ereigniß eine glückliche Vorbedeutung
und belebte ihren Gemahl mit der Hoffnung, daß ihm die Herr-
schaft zu Theil werden würde. Und diese Hoffnung täuschte
sie nicht. Denn Lucumo, der in Rom den Namen Lucius
Tarquinius angenommen hatte und zum Unterschied von
seinem spätem gleichnamigen Nachfolger Priscus (der Alte)
genannt wurde, erwarb sich bald durch Freundlichkeit und
Wohlthätigkcit die Liebe und Achtung seiner neuen Mitbürger.
Die Kunde von ihm gelangte auch an den Hof. Der König
Ancus Marcius gewann den reichen Etrusker lieb und bediente
sich seines Rathcs und Beistandes in allen Angelegenheiten;
ja er bestellte ihn sogar vor seinem Tode zum Vormund seiner
Kinder. Als aber Ancus tobt war, sandte Tarquinius dessen
beide Söhne zur Zeit, als die Wahl des neuen Königs voll-
zogen werden sollte, auf die Jagd; er selbst bat in der Ver-
sammlung das Volk, das er an die vielen von ihm erhaltenen
Wohlthaten erinnerte, um die Königswürde. Das Volk will-
fahrte seiner Bitte, und Tarquinius Priscus ward König.
Um sich zum Kriege gegen die Sabiner zu rüsten, wollte
Tarquinius den bisherigen drei Reitcrschaaren (Centurien) noch
drei neue Centurien mit neuen Namen hinzufügen. Aber der
Augur Attus Navius erklärte, dies könne nicht geschehen,
weil die frühere Einrichtung mit Zuziehung der Augurien ge-
troffen sei und diese jede Neuerung verböten. Da soll Tar-
quinius, um die Kunst des Weissagers zu Schanden zu machen,
den Attus Navius gefragt haben, ob das möglich sei, was er
13
iin Augenblick bei sich dächte. Als dieser darauf die Götter
befragt und es als möglich befunden hatte, befahl ihm der
König, einen Kieselstein mit einem Scheermesser zu zerschneiden.
Der Augur that es, und der König sah sich genöthigt, von
seinem Vorhaben abzustehen. Indessen verdoppelte er doch die
Anzahl der vorhandenen Reiter, obgleich er keine neuen Cen-
turien hinzusügte, sondern die alten Namen beibehielt. Dieser
Vorfall hob das Ansehn der Augurn außerordentlich, und
noch in spätem Zeiten sah man zu Rom die Bildsäule des
Attus, unter welcher der zerschnittene Stein vergraben lag.
Die reiche Beute aus seinen glücklichen Kriegen gegen die
Sabiner und Latiner, so wie die Einnahmen aus den ihnen
entrissenen Gebieten verwandte der König auf großartige Bau-
ten. Das ausgetrocknete Forum (den Marktplatz) richtete er
zu Volksversammlungen ein und ließ es mit Hallen umgeben.
Die Stadt schloß er mit einer Mauer von Backsteinen ein und
begann den Bau des Capitoliums. Sein größtes Werk sind
die Kloaken, unterirdische Canäle, welche den Abfluß aus der
Stadt in die Tiber führten.
Tarquinius, der die Söhne des Ancus vom Throne ver-
drängt hatte, starb eines gewaltsamen Todes. Die des Thro-
nes Beraubten konnten es nicht vergessen, daß sie durch den
Betrug des Tarquinius um ihr väterliches Reich gekommen
waren. Ja sie mußten sogar fürchten, daß Ser v ius T u l lius,
der als Schwiegersohn des Königs in dessen Palaste lebte,
nach ihm zur Regierung gelangen würde. Sie faßten deßhalb
den Anschlag, den König zu tobten und sich des Thrones zu
bemächtigen. Sie stifteten zwei Hirten zum Meuchelmord an.
Diese gingen mit Aexten, die sie zu tragen gewohnt waren,
in den königlichen Palast, fingen daselbst Streit an und ver-
langten, daß der König ihn schlichten sollte. Tarquinius ließ
sie vor sich kommen, um ihre Sache zu hören. Anfangs such-
ten beide durch ihr Geschrei den König zu betäuben, doch
^Tarquinius befahl, daß einer nach dem andern reden sollte.
Als sich nun 'der König, ohne etwas Arges zu ahnen, auf-
merksam zu dem Einen hinwandtc, versetzte ihm der Andere
14
mit der Axt einen tödtlichen Schlag, daß er entseelt zu Boden
sank.
Allein die Söhne des Ancus erreichten ihre Absicht nur
halb. Sobald nämlich der König getödtct worden war, ließ
Tanaquil die königliche Burg verschließen und forderte den
Servius Tullius auf, sich des Thrones zu bemächtigen. Dar-
auf öffnete sie das Fenster und ries dem Volke, daß sich vor
dem Palast versammelt hatte, zu, Tarquinius lebe noch und
befehle dem Volke, inzwischen dem Servius Tullius zu gehor-
chen. Nun trat dieser öffentlich in königlicher Kleidung und von
Victoren umgeben auf, indem er vorgab, daß er die Stelle des
noch lebenden Königs vertrete. Als nach einigen Tagen der
Tod des Königs bekannt gemacht wurde, fiel es dem Servius
nicht schwer, den Thron zu behaupten, den er zwar mit Be-
willigung des Senates, aber nicht mit Beistimmung des Vol-
kes in Besitz nahm. — Die Söhne des Ancus aber hatten
Rom verlassen und waren nach Suessa Pometia gewandert.
VI.
Servius Tullius.
(578—534 v. Chr.)
Unter der Regierung des Tarquinius Priscus eroberten
die Römer die Sabinische Stadt Corniculum. Hierbei ward
Tullus, einer der angesehensten Bürger der Stadt, getödtet,
und seine Gemahlin als Gefangene nach Rom abgeführt, wo sie
wegen ihres hohen Standes die Freundschaft der Königin Ta-
naquil gewann. Im Hause der Königin gebar sie einen Kna-
ben, der wegen der Gefangenschaft seiner Mutter Servius,
von seinem Vater her Tullius genannt wurde. Als der
Knabe einst in seiner frühen Kindheit in dem königlichen Pa-
laste schlief, umgab plötzlich eine hcllleuchtende Flamme sein
Haupt. Tanaquil, die solche Dinge zu deuten verstand, ver-
— 15 —
bot den Dienern, das Fcner zu löschen, und cs verschwand
von selbst, als der Knabe erwachte. Von dieser Zeit an glaub-
ten der König und die Königin, der junge Servius sei zu
hohen Dingen berufen, und nahmen ihn an Kindesstatt an.
Er ward in allen freien Künsten unterrichtet, und da sich seine
Gaben vortrefflich entwickelten, gab ihm der König seine eigene
Tochter zur Ehe. Wie er nach dem Tode des Tarquinius
Priscus selbst König wurde, ist bereits erzählt worden.
Unter ihm nahm die Stadt an Umfang bedeutend zu,
indem er die drei noch übrigen der sieben Hügel, von denen
Rom den Namen der Sicbenhügelstadt erhalten hat, zur Stadt
zuzog. Diese umgab er mit einer gemeinsamen Befestigungs-
linie, mit einem Erdwall und einem nebenan laufenden Gra-
ben, der die Ostseite der Stadt abschloß, und mit einer aus
großen Quadern gebauten, in gewissen Zwischenräumen mit
Thürmen besetzten Mauer, welche die übrigen Seiten der Stadt
umfaßte.
Mit den meisten latinischen Städten schloß Servius einen
Bund, durch welche er Theilnahme an ihren Versammlungen
erhielt, und sie zu einer gemeinsamen Feier des Dianenfestes
auf dem Aventinus vcranlaßte. Durch die List eines römischen
Priesters kam die Oberherrschaft über die Latiner an Rom.
Ein Sabiner nämlich trieb einen Ochsen von ungewöhn-
licher Größe und ganz besonderer Gestalt nach Rom, um ihn
daselbst im Tempel der Diana zu schlachten, in der festen
Ueberzeugung, daß er dadurch, nach dem Ausspruch der Seher,
seinem Vaterlande die Obergewalt verschaffen würde. Denn
die Augurn hatten gesagt, daß dasjenige Volk die Oberherr-
schaft erhalten sollte, dessen Bürger jenen Ochsen der Diana
opfern würden. Allein dieser Ausspruch war auch zu den
Ohren eines römischen Priesters gekommen, und dieser suchte
sich des Opfers zu bemächtigen. Er befahl daher dem Sabiner,
sich vor dem Opfer in fließendem Wasser zu baden. Der Sa-
biner that dieß; der Priester aber schlachtete inzwischen den
Ochsen und suchte so durch einen Betrug feinem Vaterlande
die Obergewalt zu verschaffen.
16
Die größte Thätigkeit wandte Servius den inneren An-
gelegenheiten zu. Er ordnete eine allgemeine Schatzung des
Volkes an, welche alle fünf Jahre vollzogen wurde. An dem
dazu bestimmten Tage erschienen alle wehrfähigen Bürger auf
dem Marsfeld; jeder mußte feinen und seines Vaters Namen,
Alter, Wohnort und Vermögen eidlich angeben. Nach der
Verschiedenheit des Vermögens wurde die gesammte Bevölkerung
Roms in fünf Classen eingetheilt. Mit dem 17. Jahre wurde
der Bürger in die Bürgerlisten eingetragen. Nach geendigter
Schatzung stellte sich die ganze Bürgerschaft bewaffnet auf dem
Marsfeld zur großen Heerschau; dann wurden unter Gebeten
drei Thiere, ein Schwein, ein Schaf und ein Rind, nm das
ganze Volk dreimal herumgeführt und darauf geopfert, zur
Sühne aller Sünden, die das Volk in den letzten fünf Jahren
begangen hatte.
Nach der Schatzung richtete sich die Steuer, die jeder
Bürger zik entrichten hatte, und der Kriegsdienst. Alle Bür-
ger waren kriegspflichtig; vom 17. bis 40. Jahre dienten sie
im Feld, vom 40. bis 60. Jahre als Besatzung der Stadt.
Die Bürger der ersten Classe waren mit einem Helme, Panzer,
großem Schilde und Beinschienen von Erz gerüstet, und strit-
ten mit Lanze und Schwert. In der Schlacht standen sie als
die am schwersten Bewaffneten in der ersten Linie. Die Bür-
ger der zweiten Classe hatten keinen Panzer und einen kleinen
Schild, sonst alles wie jene; sie standen in der zweiten Linie.
Die in der dritten Classe, welche in der dritten Linie standen,
waren gerüstet wie die der zweiten, nur fehlten die Beinschie-
nen. Die Bürger der vierten Classe hatten außer einem klei-
nen Schilde gar keine Schutzwaffen, sie führten Lanze und
Wurfspieß und standen in der letzten Linie. Die der fünften
endlich dienten als Schleuderer und standen außerhalb der
Linie. Alle mußten sich Rüstung, Waffen und Unterhalt aus
eigenen Mitteln anschaffen; nur den Rittern gab der Staat
Geld zum Ankauf eines Streitrosses, so wie zur Unterhaltung
desselben und eines Reitknechtes nebst dessen Pferde.
17
Der menschenfreundliche, vom Volke geliebte König fand
einen Schauder erregenden Tod. Seine Töchter, beide mit
Namen Tullia, hatte er an die beiden Söhne des Tarqui-
nius Priscus vermählt. Diese waren an Denkungsart und
Sitten eben so verschieden als des Königs Töchter. Lucius
Tarquinius war wild, ungestüm und herrschsüchtig, so wie die
jüngere Tullia. Aruns Tarquinius und die ältere Tullia hin-
gegen waren sanft und gutherzig. Darum hielt es Servius
für das Beste, wenn er die entgegengesetzten Charactere mit
einander verbände, damit die Sanftmuth des einen die Hef-
tigkeit des andern mäßigen könnte. Er gab daher die ältere
Tullia dem Lucius Tarquinius, die jüngere Tullia aber dem
Aruns Tarquinius zur Ehe. Aber der Erfolg fiel ganz gegen
seine Hoffnung aus.
Die Aehnlichkeit der Gemüths- und Denkungsart, die
zwischen dem Lucius Tarquinius und der jüngern Tullia Statt
fand, brachte zwischen beiden bald eine Vertraulichkeit zu Stande,
die sie zu den schändlichsten Handlungen verführte. Beide
tödteten, er seine Gattin, sie ihren Gatten. Dieß konnte Ser-
vius nicht nur nicht verhindern, sondern mußte sogar erlauben,
daß sie sich einander heiratheten. Aber damit nicht zufrieden,
suchten sie den Servius der Regicrung zu berauben. Tarqui-
nius erwarb sich Parteien im Staate und gewann besonders
die Vornehmen, die Servius durch seine neuen Einrichtungen
beleidigt hatte. Eines Tages ging er öffentlich im königlichen
Schmuck auf das Rathhaus, setzte sich auf den Thron und
berief die Senatoren zusammen. Sie kamen in großer An-
zahl, und Tarquinius hielt eine Rede an sie, worin er ihnen
seine Absicht, sich auf den Thron zu setzen, entdeckte. Inzwi-
schen kam auch Servius Tullius voll Zorn herbei und wollte
sogleich seinen Eidam vom Throne herabziehen. Allein dieser,
an Kräften dem König überlegen, ergriff ihn und stürzte ihn
von der obersten Stufe des Rathhauses auf den Markt hinab.
Verwundet wollte Servius sich nach Hause begeben, allein die
Boten des Tarquinius holten ihn unterwegs ein und tödteten
ihn auf der Stelle.
18
Indessen war Tullía herbeigekommen und hatte den Vor-
fall gehört. Frohlockend ließ sie ihren Mann aus dem Rath-
hause rufen und begrüßte ihn zuerst als König. Als sie wie-
der nach Hause fuhr, führte der Weg durch eine enge Straße,
wo der Leichnam des ermordeten Königs lag. Bei diesem An-
blick hielt der Wagenführer an und wollte auswcichen, aber
die teuflische Tullia befahl ihm, über den Leichnam ihres Va-
ters hinwegzufahren. So kam sie, mit dem Blute ihres Va-
ters bespritzt, nach Hause.
VII.
Tarquinius Superbus.
(534-510 v. Chr.)
Tarquinius hat sich durchseine willkürliche, grausame
Herrschaft den Beinamen S u p e r b u s (Tyrann) zugezogen. Er
bestieg den Thron, ohne vom Volke gewählt und durch die
Augurien bestätigt zu sein. Die Reichen drückte er durch will-
kürliche Auflagen, die Armen durch Frohndienste. Viele Vor-
nehme, die es mit dem vorigen König gehalten hatten, oder
ihm nur verdächtig waren, bestrafte er mit Hinrichtung, Ver-
bannung oder Verlust des Vermögens. Den Senat berief er
nicht mehr zu seinen Versammlungen, er selbst leitete die Ge-
richte und faßte Beschlüsse über Krieg und Frieden und über
Bündnisse mit andern Völkern. Der Staat aber nahm unter
ihm an Größe, Macht und Ansehen nach Außen zu. Er un-
terwarf die latinischen Städte und machte Rom zum Vorstand
des latinischen Bundes.
Die große und feste Stadt Gabii belagerte Tarquinius
sieben Jabre lang vergebens, bis er sie endlich durch List er-
oberte. Sein jüngster Sohn, Sextus Tarquinius, ging zum
Feinde nach Gabii über. Hier stellte er sich, als wäre er von
seinem Vater grausam mißhandelt worden, klagte über dessen
19
unerträgliche Härte und erregte dadurch das Mitleid der Ga-
biner. Sie nahmen ihn gern auf, und Sextus wußte bald ihr
volles Vertrauen zu erwerben. Mit einem Gabinischen Heer-
haufen schlug er die Soldaten seines Vaters zurück, denn diese
mußten sich der Verabredung gemäß schlagen lassen. Endlich
übertrugen ihm die Gabiner den Oberbefehl über Stadt und
Heer. Nun schickte er einen vertrauten Boten an seinen Vater
mit der Frage, was er thun sollte, da die Götter ihn zum
Herrn von Gabii gemacht hätten. Der König führte schweigend
den Boten in einen Garten, schlug mit einem Stabe die höchsten
Mohnköpfc ab und hieß ihm dann dem Sohne sagen, was er
gesehen hätte. Sextus verstand seines Vaters Wink und schaffte
die vornehmsten Gabiner theils durch heimlichen Mord, theils
durch falsche Anklagen und Verbannung bei Seite. Die Stadt,
auf diese Weise ihrer Häupter beraubt, übergab er dann seinem
Vater ohne Widerstand, nachdem er das gemeine Volk durch
Verthcilung der Güter der Verurtheilten gewonnen hatte.
Der kriegerische König war zugleich prachtliebend und ver-
schönerte Rom durch großartige Bauten. Von allen Seiten
Etruriens wurden Werkmeister herbeigeholt; die Kosten lieferte
der Schatz und die Kriegsbeute, und vorzüglich halfen die
harten Frohndienste des gemeinen Volkes. Von seinen Bauten
sind am berühmtesten die große Cloake und das Capitolium
mit dem dreifachen Tempel des Jupiter, der Juno und der
Minerva, der mit ehernen Götter- und Königsbildern ge-
schmückt war. Als man bei dem Bau des Capitolinischen
Tempels die vielen Altäre und Tempelchen, mit denen die Berg-
kuppe angefüllt war, wegräumte, ließen sich die des Terminus
und der Juventus nicht wegrücken. Dieß deutete man so, daß
die Jugend des römischen Reiches nie verblühen, seine Gren-
zen nie zurückweichen würden. Man schloß daher diese Göt-
terbilder in die Mauer des Tempels mit ein. Beim Ausgra-
ben des Grundes fand man ein frisch blutendes Menschenhaupt,
welches der Kopf eines gewissen Tolus gewesen sein soll. Da-
her nannte man diesen Berg, der früher Saturnius geheißen,
Capitolium. In einem unterirdischen Gewölbe dieses Tempels
20
wurden in bleiernem Kasten die Sibyllinischen Bücher verwahrt,
zu denen Tarquinius ans folgende Weise gelangte:
Einst kam eine unbekannte Alte von seltsamem Ansehen
zum König und bot ihm neun Bücherrollen zum Verkauf an.
Dem König war der Preis zu hoch, und die Frau wurde ab-
gewiesen. Sogleich ging sie fort und verbrannte drei von
ihren Büchern, kam dann wieder und bot die übrigen sechs
dem Könige zu demselben Preis an. Sie wurde wiederum
zurückgewiesen und verbrannte abermals drei Bücher. Als sie
dann zum dritten Male erschien und die drei letzten Bücher zu
verbrennen drohte, wenn sie jenen Preis nicht erhalte, wurde
der König aufmerksam und ließ sie von Augurn untersuchen.
Auf ihren Rath kaufte er die Bücher, und sofort verschwand
die Seherin. Diese Bücher, welche von Sibylle, dem Namen
berühmter Wahrsagerinnen im Alterthum, die Sibyllinischen
heißen, vertraute Tarquinius der Obhut zweier Priester an.
Sie wurden zu Rache gezogen, wenn die Götter durch Wun-
derzeichen ihren Zorn kund gethan hatten, oder wenn sich der
Staat in großer Bedrängniß befand.
Böse Zeichen und Träume ängstigten das Gemüth des
Königs. Eine Schlange schlüpfte aus dem Altar des könig-
lichen Hauses und raubte das dargebotene Opferfleisch. Der
König beschloß, das Delphische Orakel, welches damals im
größten Ansehen stand, über dieses Wunder zu befragen, und
sandte seine beiden Söhne, Titus und Aruns, denen er den
Junius Brutus als Begleiter gab, mit kostbaren Weihgeschen-
ken ab. Letzterer war ein naher Verwandter des Königs und
der Grausamkeit des Tyrannen, der schon seinen Vater und
Bruder getödtet hatte, nur dadurch entgangen, daß er sich
blödsinnig stellte. Tarquinius hielt ihn wirklich sür dumm,
gab ihm den Namen Brutus (der Dumme) und nahm ihn
der Kurzweil wegen an seinen Hof. Doch äußerte Brutus bis-
weilen Spuren der in ihm versteckten Klugheit. Jetzt machte
er dem Orakel einen Stab von Kornelkirschholz zum Geschenk,
21
aber der hölzerne Stab war hohl und mit Gold angefüllt,
und so ward er das Sinnbild seiner selbst.
Als die Jünglinge den Auftrag des Vaters vollzogen
hatten, trieb sie die Neugier, das Orakel zu befragen, wer
nach dem Vater in Rom herrschen würde. Aus der Grotte
erscholl die Stimme: „Der, welcher zuerst von euch seine Mut-
ter küssen wird." Die Prinzen, die ihre Mutter, die Gattin
des Tarquinius verstanden, machten unter sich aus, ihre Mut-
ter zu gleicher Zeit zu küssen, um dann geineinschaftlich zu
regieren. Brutus aber verstand unter der Mutter die Erde,
die gemeinsame Mutter aller Menschen. Er stellte sich, als ob
er niederfalle und berührte sie mit seinen Lippen, um das
Orakel zu erfüllen.
Während Tarquinius Ardea, die Hauptstadt der Rutuler,
belagerte, suchten sich die königlichen Prinzen die Langeweile
im Lager durch Gastmähler und Trinkgelage zu vertreiben.
Als sie einst beim Sextus Tarquinius schmausten, fiel die Rede
auch auf ihre Frauen, und sie stritten, wer von ihnen die
preiswürdigste habe. Da jeder dafür seine eigene ausgab,
sagte Collatinus zu ihnen: „Wozu bedarf es der Worte?
Laßt uns unsere Rosse besteigen und unsere Frauen besuchen!
Womit wir eine jede beschäftigt finden, darnach mag der Streit
geschlichtet werden!" Alle waren mit dem Vorschläge zufrieden.
Beim Anbruch der Dunkelheit gelangten sie nach Rom, wo
die Frauen der Königssöhne die Zeit in Lust und Wohlleben
verbrachten; von da ging ihr Zug nach Collatia. Hier fan-
den sie Lucretia, die Gemahlin des Collatinus, noch in
später Nacht unter ihren Mägden sitzen und mit Wollarbeit
beschäftigt. Ihr wurde der Preis zuerkannt. Freundlich be-
wirthete sie den Mann und die mitgebrachten Gäste, welche
am andern Morgen ins Lager zurückkehrten.
Einige Tage nachher kam Sextus Tarquinius ohne Wis-
sen des Collatinus nach Collatia. Er ward von Lucretia gast-
lich ausgenommen, vergalt aber diese Aufnahme auf die nie-
22
drigste Weise, indem er der tugendhaften Lucretia die schänd-
lichste Mißhandlung zufügte. Nach seiner Abreise ließ sie ihren
Vater und ihren Gemahl in Begleitung einiger Anderer, unter
denen sich Junius Brutus befand, zu sich nach Collatia ent-
bieten. Sie kamen; jammernd erzählte sie ihnen den erlittenen
Schimpf, und während sie ihnen den Schwur abforderte, den
Sextus Tarquinius, ihren Beleidiger, zu bestrafen, stieß sie
sich vor ihren Augen den Dolch in die Brust. Brutus zog
den Dolch aus der Wunde des entseelten Weibes, und ließ die
Freunde bei dem Blute der Lucretia schwören, das Haus der
Tarquinier zu verbannen und die Königswürde abznschaffen.
Die Leiche trugen sie dann auf den Markt, wo sie dem zu-
sammengelaufenen Volke die Schandthat des Tarquinius er-
zählten. Die Bürger von Collatia bewaffneten sich, besetzten
die Thore ihrer Stadt und zogen, von Brutus und den An-
dern geführt, nach Rom. Hier berief Brutus das Volk zu-
sammen und stellte ihm alle Frevelthaten vor, die Tarquinius
Superbus und sein Weib vom Morde des Servius Tullius an
bis zur Schandthat seines Sohnes verübt hatten. Das Volk
erklärte den Tarquinius der Königswürde verlustig und beschloß
seine und seines Geschlechtes Verbannung. Brutus zog mit
einer Schaar von Jünglingen in das Lager vor Ardea, jedoch
auf einem Umwege, so daß er dem Könige, der auf die erste
Nachricht von dem Aufruhr nach Rom geeilt war, nicht be-
gegnete. Freudig nahm das Heer den Brutus auf und ver-
jagte die Königssöhne. In Nom ließ man den König nicht
herein, sondern verschloß ihm die Thore und kündigte ihm
seine Verbannung an. Auch das Heer nahm ihn nicht wieder
auf. Vom Volk und Heer verlassen, floh er mit seiner Fa-
milie nach Cäre in Etrurien. Sextus ging zu den Gabinern,
die ihn zur Strafe seines früheren Verrathes erschlugen.
So endete (510 v. Chr.) in Rom die Herrschaft der Kö-
nige, deren Verbannung jährlich durch ein Fest gefeiert ward.
23
VIII.
Brutus, erster Consul der Nömer.
Nach der Vertreibung der Könige war Rom ein Freistaat
(Republik). Die Regierung wurde zweien Beamten, die man
Consuln nannte, übertragen, welche jedoch ihr Amt nur ein
Jahr lang bekleideten. Die ersten Consuln waren Brutus
und Collatinus.
Obschon die Vertreibung der Könige von den alten Ge-
schlechtern (Patriciern) ausgegangen war, so waren doch nicht
alle Patricier damit zufrieden. Vorzüglich klagten einige Jüng-
linge von vornehmem Stande über die Aenderung der Dinge
und vermißten die Person des Königs. Sie waren deshalb zu
einer Empörung geneigt, um den König Tarquinius zurückzu-
rufen, wozu sich die Gelegenheit bald darbot. Als der König
von dieser Stimmung Kunde erhalten hatte, schickte er sogleich
Gesandte nach Rom, unter dem Vorwand, seine Güter zurück-
zufordern, in der That aber, um eine Empörung zum Sturz
der Consuln zu Stande zu bringen.
Mehrere junge Patricier, unter denen sich sogar die Söhne
des Brutus befanden, stifteten eine Verschwörung, und viele
edle Römer wurden zum Beitritt bewogen. Sie faßten den
Entschluß, die Consuln zu tödten und den König heimlich wie-
der in die Stadt aufzunehmen. Um aber den Tarquinius zu
überzeugen, gaben sie den Gesandten Briefe mit, in denen sie
den König zur Rückkehr einluden. Allein ehe noch die Ge-
sandten Rom verlassen konnten, wurde die Verschwörung ent-
deckt. Ein Sclave hatte die Verschworenen in ihrer Zusam-
menkunft belauscht und ihren Plan den Consuln angezeigt.
Diese ließen die Gesandten und Verschworenen alsbald ergrei-
fen, und die Vorgefundenen Briefe machten ihnen alle Recht-
fertigung unmöglich. Die Gesandten wurden, dem Völkerrecht
gemäß, unverletzt entlassen, die ganze Habe des Königs aber
dem Volke preisgegeben, sein großer Acker zwischen der Stadt
24
und der Tiber dem Kriegsgott geweiht und Marsfeld (campus _
Martius) genannt.
Die Verschworenen wurden in Fesseln vor die Konsuln
geführt, welche auf ihren Amtsstühlen zu Gerichte saßen. Da
sie nichts zu ihrer Vertheidigung Vorbringen konnten, so ver-
urthcilte sie Brutus, der Vater die Söhne, zum Tode. Dies
machte dem Collatinus, der seinen Neffen zu retten wünschte,
ein milderes Urtheil unmöglich. Mit fester Miene und unver-
wandtem Blick sah Brutus seine Söhne mit Ruthen geißeln
und dann mit dem Beil hinrichten. In einer nochmaligen
Versammlung bewirkte er, daß alle Verwandten des Tarquinius
verbannt wurden. Zu ihnen gehörte auch Collatinus: er legte
sein Consulat nieder und ging in die Verbannung. An seine
Stelle trat Publius Valerius.
Tarquinius suchte jetzt mit Waffengewalt die verlorene
Herrschaft wieder zu gewinnen. Er rückte mit einem Heere,
das die Etruskischen Städte Veji und Tarquinii gestellt hat-
ten, gegen Rom. Die Bürger zogen ihm entgegen. Am Walde
Arsia kam es zum Treffen. Als Brutus und Aruns, beide
an der Spitze ihrer Reiterei, einander ansichtig wurden, spreng-
ten sie, von gleicher Kampfeslust entflammt, gegen einander
an. Beide fielen, jeder vom Andern zum Tode getroffen, im
Zweikampf. Dann entbrannte die Schlacht allgemein und
dauerte ununterbrochen bis gegen Mitternacht. Da aber er-
scholl aus dem Forste die Stimme des Waldgeistes: „Ein
Etrusker ist mehr gefallen, der Sieg gehört den Römern!"
Die Etrusker zogen sich zurück. Die Römer kehrten als Sie-
ger nach Hause. Den Brutus bestatteten sie auf das ehren-
vollste, und die römischen Matronen betrauerten ihn ein gan-
zes Jahr als ihren Vater.
25
IX.
Porsenna, König von Clufium.
Tarquinius ließ die Hoffnung, die Königswürde wieder
zu erlangen, noch nicht fahren. Er begab sich in den Schutz
Porsenna's, des mächtigen Fürsten von Clusium in Etru-
rien. Dieser überzog Rom mit Krieg. Da die kleine Festung
auf dem Berge Janiculum beim ersten Angriff vom Feinde
erobert ward, so zogen sich die Römer vor der Uebermacht in
die Mauern ihrer Stadt zurück. Unaufhaltsam wäre Porsenna
über die hölzerne Tibcrbrücke in die Stadt eingedrungen, wenn
nicht Horatius Cocles durch seine Unerschrockenheit und
Tapferkeit Rom gerettet hätte. Als er sah, daß seine Landsleute
nicht mehr Stand hielten, rieth er ihnen selbst, über die Brücke
zu eilen und sie so schnell als möglich abzutragen. Während
dies geschah, focht Horatius mit zweien seiner Gefährten gegen
den Andrang von Tausenden. Da die Brücke beinahe abge-
tragen war, entließ er auch seine Gefährten, um sich über die
noch stehenden Reste der Brücke in die Stadt zu retten. Hier-
auf stellte er sich allein dem Feinde entgegen, und erst als die
letzten Balken krachten, sprang er, den Stromgott um Schutz
anstehend, bewaffnet in die Fluthen. Unter einem Hagel feind-
licher Pfeile schwamm er auf das andere Ufer. Nun konnte
Porsenna nicht in die Stadt eindringen, und Rom war durch
die Tapferkeit des Horatius Cocles gerettet.
Aber Porsenna schritt jetzt zn einer Belagerung. Er schnitt
der Stadt alle Zufuhr ab, so daß bald Mangel und Roth
entstand. Um Rom von dieser Bedrängniß zu befreien, beschloß
Mucius Scävola, ein muthiger Jüngling, den feindlichen
König zu tödten. In Etruskischer Kleidung, mit einem Dolch
unter dem Gewände, begab er sich ins Lager, als eben ein
Schreiber, der in der Nähe des Königs saß und königlichen
Schmuck trug, den Soldaten den Sold auszahlte. Mucius
hielt ihn für den König und stieß ihn nieder. Er ward er-
Stacke, rvm. Erzählungen. 4. Nufl. 2
26
griffen und vor den König geführt, dem er unerschrocken sein
Vorhaben bekannte. Als ihm Porsenna mit Martern drohte,
streckte er, um zu zeigen, daß er alle Drohungen verachte, seine
Rechte in die Flamme des nahestehenden Opferheerdes, ohne
das geringste Zeichen von Schmerz zu vcrrathen. Da verwan-
delte sich des Königs Zorn in Bewunderung; er schenkte dem
Mucius das Leben, und dieser erklärte nun, gleichsam um den
König für seine Milde zu belohnen, daß noch dreihundert rö-
mische Jünglinge sich zu gleichem Zwecke verschworen hätten,
um durch den Tod des Königs ihre Vaterstadt zu befreien.
Mucius, der von dem Verlust seiner rechten Hand den Bei-
namen Scävola (der links ist) erhielt, ward entlassen; der König
aber, der sich von steten Gefahren umringt sah und für sein
Leben fürchtete, ward zum Frieden geneigt, der auch wirklich
zu Stande kam. Er hob die Belagerung aus und verzichtete
auf die Wiedereinsetzung des Tarquinius; die Römer traten
das rechte Tibcrufer an ihn ab, und stellten zehn Jünglinge
und eben so viele Jungfrauen als Geißeln.
Unter diesen Jungfrauen befand sich die edle Clölia.
Sie täuschte die Wächter und schwamm mit den übrigen Jung-
frauen über die Tiber. Vergebens schossen die Feinde ihre
Pfeile auf sie ab: sie kam mit ihren Gefährtinnen glücklich nach
Rom. Aber der römische Consul schickte die Clölia, deren Aus-
lieferung Porsenna dringend verlangte, in das Etruskische Lager
zurück. Der Heldenmuth der Jungfrau erregte des Königs
Bewunderung; er vergab der Clölia und schenkte ihr die Frei-
heit, ja er erlaubte ihr sogar, einige von den römischen Jüng-
lingen, die als Geißeln im Lager waren, mit nach Hause zu
nehmen. Sie wählte die jüngeren, deren zartes Alter am meisten
der Beleidigung ausgesetzt war. Die Römer stellten der Clölia
zu Ehren eine Statue, eine Jungfrau zu Roß, auf.
So war denn auch dieser Versuch des Tarquinius, die
Herrschaft wieder zu gewinnen, mißlungen. Er nahm hierauf
seine Zuflucht zu den Latinern, die er zu einem Kriege gegen
die Römer aufreizte, der im Jahre 496 v. Ehr. zum Ausbruch
kam. Am See Regillus trafen beide Heere auf einander: es
27
war ein Heldenkampf, in dem die Feldherren sich im Zwei-
kampf begegneten, während die Menge ohne Entscheidung focht,
und der Sieg hierhin und dorthin sich wandte. Selbst der
hochbejahrte Tarquinius nahm an der Schlacht Antheil und
ward verwundet. Endlich siegten die Römer und nahmen das
feindliche Lager; Tarquinius aber ging hoffnungslos nach
Cumä zum Tyrannen Aristodemus, wo er im folgenden Jahre
(495 v. Ehr.) starb.
X.
Menenius Agrippa. (494 v. Ehr.) — C. Mar-
cius Coriolanus. (491—489 v. Ehr.)
Die Bevölkerung Roms zerfiel in zwei Stände. Den ersten
Stand bildeten die Patricier, die Nachkommen der alten Ge-
schlechter, aus denen die ursprüngliche Bevölkerung Roms be-
standen hatte; den zweiten Stand bildeten die Plebejer, die
Nachkommen derjenigen Bewohner Roms, welche unter den
Königen nach Rom gewandert und sich dort niedergelassen
hatten. Die Patricier genossen als Adelstand bedeutende Vor-
rechte, während die Plebejer unter hartem Drucke lebten. Bei
den fortwährenden Kriegen Roms konnten sie ihre Ländereien
nicht bestellen und hatten also keinen Unterhalt; oft wurden
sie auch genöthigt, ihr Gütchen zu verkaufen oder gar Schuld-
ner der reichen Patricier zu werden. Als solche aber verloren
sie ihre Freiheit, wurden als Leibeigene behandelt und waren
den furchtbarsten Qualen ausgesetzt.
Schon lange hatten diese Bedrückungen den Unwillen der
Plebejer gereizt; schon einige Male hatten sie den Kriegsdienst
verweigert, aber den Putriciern war es noch immer gelungen,
bald durch Drohungen, bald durch leere Versprechungen den
Ausbruch der Unruhen zu unterdrücken. Einst kehrte das Volk
von einem Feldzüge zurück und erwartete nun Befreiung von
2*
28
seinen drückenden Lasten. Allein die Patricier suchten es aufs
neue zu täuschen, indem sie es sogleich zu einem neuen Kriege
führen wollten. Da aber kam die lange verhaltene Wuth der
Plebejer zum offenen Ausbruch. Bewaffnet, wie sie waren,
verließen sie Rom und zogen unter Anführung des Sicinius
Bellutus auf den heiligen Berg (494 v. Ehr.).
Hierüber entstand zu Rom eine allgemeine Bestürzung.
Das zurückgebliebene Volk fürchtete die Härte der Patricier,
und diese die völlige Auswanderung des Volks oder einen aus-
wärtigen Krieg. Endlich beschloß der Senat eine Gesandtschaft
abzuschicken, um das Volk zur Rückkehr zu bewegen. An der
Spitze derselben stand Menenius Agrippa, ein Freund
des Volkes. Auf dem heiligen Berge angekommen, erzählte er
dem Volke folgende Fabel:
Die Glieder des Körpers empörten sich einst wider den
Magen, denn sie glaubten, daß er allein unthätig sei, während
sie alle für ihn arbeiteten. Sie versagten ihm daher den Dienst.
Die Hände wollten keine Speise mehr in den Mund bringen,
der Mund sie nicht aufnehmen, und die Zähne sie nicht zer-
malmen. Diesen Vorsatz führten die Glieder eine Zeit lang aus.
Bald aber fühlten sie, daß sie sich selbst dadurch schadeten. Sie
fühlten nämlich, daß es der Magen sei, der die Kraft der em-
pfangenen Speise durch alle Glieder verbreite und dadurch ihnen
allen Kraft und Munterkeit verleihe. Sie gaben daher ihr Vor-
haben auf und söhnten sich wieder mit dem Magen aus. So
ist es auch, fuhr Agrippa fort, mit dem Senate und dem Volke.
Beide zusammen machen einen Körper aus, der nur durch die
Einigkeit der einzelnen Theile bestehen kann.
Durch diese Rede soll Agrippa das Volk zur Rückkehr
geneigt gemacht haben. Sie erfolgte jedoch nicht eher, als bis
die Patricier das feierliche Versprechen gaben, die Schuldge-
fangenen in Freiheit zu setzen und den Plebejern eine eigene
unverletzliche Obrigkeit zu gestatten. Von dieser Zeit an wählte
das Volk aus seiner Mitte jährlich zwei Beamte, Tribunen
genannt, deren Zahl später noch vermehrt ward. Sie saßen
an der Thüre des Senatssaalcs, hatten die Gemeinde der
29
Plebejer gegen unbillige Beschlüsse zu schützen und konnten
deshalb durch ibre Einsprache (Veto) jeden Beschluß des Se-
nates vereiteln.
Doch schon in den nächsten Jahren liefen die Plebejer
Gefahr, diese Rechte, welche sie durch die Auswanderung auf
den heiligen Berg errungen hatten, wieder zu verlieren. Da-
mals nämlich wurde Rom durch furchtbare Huugersnoth heim-
gesucht. Der Senat hatte Getreide aufgekauft, und auch aus
Sicilien langte Zufuhr an. Fast alle Senatoren waren der
Meinung, dieses Getreide den Plebejern entweder umsonst oder
um einen sehr geringen Preis zu überlassen. Rur C. Mar-
tins stimmte ihnen nicht bei.
Dieser Martins hatte durch seine Tapferkeit Corioli, eine
Stadt der Volsker, eingenommen und sich dadurch den Bei-
namen Coriolanus erworben. Er war ein erbitterter Gegner
der Plebejer, denen er ihre neue Obrigkeit zu entreißen suchte.
Daher machte er jetzt im Senate den Vorschlag, dem Volke
das Getreide nur unter der Bedingung zu geben, daß es seine
Tribunen wieder abschaffe.
Kaum hatte das Volk von diesem Vorschläge Kunde, als
cs in die größte Wuth gerieth und beit Coriolanus zerrissen
hätte, wenn es die Tribunen nicht gehindert hätten. Diese
bestimmten darauf dem Coriolanus einen Tag, wo er vor dem
Gerichte des Volkes erscheinen sollte. Die Patricier flehten um
Gnade für ihn, er selbst aber zeigte Trotz und Hohn und
verachtete die Anklage. Als er jedoch sah, daß er verurtheilt
werden würde, wartete er den Gerichtstag nicht ab, sondern
entfernte sich aus Rom. Das Volk verurtheilte ihn abwesend
zu lebenslänglicher Verbannung.
Coriolanus war nach Antium, einer Stadt der Volsker,
gegangen, wo ihn sein Gastsreund Attius Tullius bereitwillig
ausnahm. Hier brachte er es dahin, daß die Volsker gegen die
ihnen verhaßten Römer den Krieg erklärten. An der Spitze eines
Volskischen Heeres drang Coriolanus bis in die Nähe von Rom
30
vor und lagerte sich fünftausend Schritte weit von der Stadt.
Weit und breit verwüstete er die Ländereien der Plebejer, ver-
schonte aber die der Patricier, entweder um seinen Haß gegen
jene an den Tag zu legen, oder um beide Parteien gegen
einander aufzureizen.
Rom befand sich in der größten Gefahr. Von außen
wüthete der Feind, im Innern die Kämpfe zwischen Volk und
Senat. Endlich ward eine Gesandtschaft der vornehmsten Pa-
tricier an ihn abgeordnet, kehrte aber unverrichteter Sache zu-
rück. Dann wurden Priester mit allen Zeichen ihrer Würde
abgefchickt. Coriolanus empfing sie mit großer Ehrerbietung,
doch auch sie richteten nichts aus. Endlich gingen Veturia, die
Mutter des Coriolanus, und dessen Gemahlin Volumnia mit
den Kindern nebst anderen römischen Matronen ins Volskische
Lager. Als Coriolanus von ihrer Ankunft hörte, eilte er aus
seine Mutter zu, um sie zu umarmen. Allein Veturia wich
seinen Umarmungen aus und klagte über das Unglück, das ihr
eigener Sohn über sie, ihre Enkel und ihr Vaterland brächte.
Diese Klagen bezwangen die Rachsucht des Römers, und von
kindlicher Liebe besiegt, rief er aus: „Mutter, das Vaterland
hast Du gerettet, aber Deinen Sohn auf ewig verloren!" —
Er führte hierauf das Heer in das Gebiet der Volsker zurück,
von denen er bald nachher erschlagen ward. Nach einer anderen
Sage soll er als Verbannter ein hohes, aber kümmerliches
Alter in der freudelosen Fremde erreicht haben.
XL
Untergang der Fabier.
(477 v. Ehr.)
Auch nach dem Abzüge des Coriolanus dauerten die in-
neren Kämpfe zwischen Patriciern und Plebejern in Rom fort,
und die Erbitterung der Gemüther erreichte den höchsten Grad.
31
Zu den mächtigsten und stolzesten Adelsgeschlechtern gehörten die
Fabier, und gegen sie war der Unwille des Volkes vorzugs-
weise gerichtet. Sieben Jahre nach einander von -485—479,
v. Chr., bekleidete jedesmal ein Fabier das Consulat. Nun
brach im Jahre 483 ein Krieg mit Veji, einer benachbarten
Stadt Etruriens, aus. In den beiden ersten Jahren geschah
nichts Erhebliches, aber im dritten ereignete sich Schmachvolles.
Das größtentheils aus Plebejern bestehende Heer folgte seinem
Fcldherrn, dem Käso Fabius, mit Ingrimm; ihm zum
Trotze wich es im Kampfe, gab das Lager dem Feinde Preis
und floh in der größten Unordnung nach Rom. Da beschlossen
die Fabier, ohnmächtig gegen des Volkes Haß und Starrsinn,
sich mit ihm auszusöhnen. So gelobten die Soldaten dem
Marcus Fabius Gehorsam und Sieg; sein Bruder Quin-
tas siel in einer Schlacht gegen die Etrusker, und ebenso der
andere Consul, aber Marcus trug den glänzendsten Sieg davon.
Der Senat bewilligte ihm einen Triumph, den er jedoch wegen
des Todes seines Bruders und Collegen ablehnte. Die ver-
wundeten Plebejer vertheilte er in die patricischen Häuser, und
sein eigenes Geschlecht nahm die meisten auf und verpflegte
sie aufs beste. Seitdem waren die Fabier des Volkes Lieblinge,
und Käso Fabius wurde zum dritten Mal Consul.
Dieser Mann forderte die Patricier auf, Ländereien unter
die armen Bürger zu vertheilen, aber dadurch zog er sich den
Haß seiner Standesgenossen zu. Um so mehr vertrauten ihm
die Plebejer. Noch immer dauerten die Feindseligkeiten mit den
Vejcntern fort, die, wenn ihnen gerade kein Heer gegenüber
stand, Streifzüge in das römische Gebiet unternahmen. Da
faßten Käso Fabius und sein ganzes Geschlecht den Entschluß,
mit ihren Clienten und Anhängern die Vaterstadt zu verlassen,
und für das Wohl des Staates auf eigene Hand den Grenz-
krieg gegen Veji zu übernehmen. Als sich die Kunde von die-
sein Entschluß durch die Stadt verbreitete, entstand allgemeiner
Jubel, und das Volk erhob die Fabier bis in den Himmel.
Unter Gebeten und Segenswünschen zogen nun die Fabier,
306 Helden, alle Patricier, alle aus einem Geschlecht, jeder
32
des Feldherrnamtcs würdig, 4000 an der Zahl, durch das
carmentalische Thor aus Rom und gelangten an das Flüßchen
Cremerà, wo sic sich niederlicßen und verschanzten.
Drei Jahre lang (479—477 v. CH.) führten sie den Grenz-
krieg gegen die Etrusker mit Glück; die ganze vejcntische Land-
schaft bis in die fernsten Winkel wurde von ihren Streifzügcn
heimgesucht, und manche Schlacht in offenem Felde von ihnen ge-
wonnen. Das Glück machte sie kühn und sicher, zuletzt sorglos.
Einst wurden Rinderheerden unter schwacher Bedeckung an ihnen
vorbeigetricben. Durch diese ließen sie sich in eine Bergweide locken,
wo auf den Waldhöhen umher viele Tausende bewaffneter Feinde
sich verborgen hatten. Die Hüter des Viehes entflohen zum Schein ;
die Römer, den Rindern nachjagcnd, zerstreuten sich und gerie-
then immer tiefer in die verderbliche Schlucht, als plötzlich von
allen Seiten Schlachtruf erscholl, und ein Hagel von Wurf-
geschossen gegen sie losbrach. Die Etrusker drängten die Römer
in die Mitte, und immer enger ward der Kreis, in den sich
die Fabier zusammenziehen mußten. Nachdem sie gegen den
von allen Seiten andringendcn Feind gcfochten hatten, wandten
sie sich endlich insgcsammt nach einer Richtung hin und bahnten
sich in keilförmiger Stellung durch die Kraft ihrer Körper und
Waffen den Weg nach einer nahen Anhöhe. Hier bestanden sie
den Kampf gegen die in immer dichteren Reihen sic umrin-
genden Feinde. Da gewannen diese durch einen Umweg den
Gipfel des Berges im Rücken der Römer, von wo sie, Stein-
blöcke und Geschosse herabschleudernd, die Helden alle bis auf
den letzten Mann erschlugen. Der Tag, an dem dies geschah,
war der 18. Juli des Jahres 477 v. Ehr. und blieb im An-
denken der Römer auf immer ein Unglückstag, der in stiller
Trauer begangen ward. Auch das carmentalische Thor, durch
welches die Fabier aus Rom gezogen waren, galt für unheil-
bringend. Nur ein Sprößling des Geschlechtes, noch ein un-
mündiger Knabe, soll in Rom zurückgeblieben sein, welcher dem
Staate das Fabische Geschlecht erhielt.
Zu derselben Zeit, wo die Fabier dem Hinterhalte der
Vejenter erlagen, stand der Consul Menen ins nur eine
33
Stunde weit davon entfernt in seinem Lager, ohne seinen
Landsleuten zu Hülfe zu kommen, daher scheint der Verdacht
nicht unbegründet, daß die Fabier in Rom nach der Herrschaft
strebten und von ihren Standesgenossen, den Patbiciern, ver-
rätherisch aufgeopfert worden sind.
XII.
Appius Claudius.
(451—449 v. Chr.)
Die Römer hatten bis dahin noch keine geschriebenen Ge-
setze. Die patricischen Richter sprachen Recht nach altem Her-
kommen oder nach Gutdünken, wobei sie sich oft Begünstigung
ihrer Standesgenossen zum Nachtheile der Plebejer zu Schulden
konnnen ließen. Um sich daher gegen ungerechte Urtheilssprüche
zu sichern, setzten es die Plebejer durch, daß Gesandte in die
griechischen Städte Unteritaliens und nach Athen geschickt wur-
den, um die weisesten Gesetze zu sammeln. Nach ihrer Rück-
kehr wurden zehn Männer ernannt, um aus diesen Gesetzen
diejenigen auszuwählen, welche dem römischen Staate ange-
messen waren; zu gleicher Zeit ward ihnen auf ein Jahr
die unumschränkte Regierung anvertraut, so daß alle anderen
Obrigkeiten inzwischen aufhörten. Unter diesen Zehnmännern
oder Dcccmvirn war Appius Claudius der angesehenste.
Die Deccmvirn regierten zur größten Zufriedenheit des
Volkes. Am Ende ihres Amtsjahres stellten sie zehn Tafeln mit
Gesetzen auf, bezeigten aber keine Lust, ihr Amt niederzulegen.
Besonders wünschte der stolze Appius Claudius seine Herrschaft
noch fortzusctzen. Durch erheuchelte Milde und Leutseligkeit
hatte er das Volk getäuscht und bewirkte jetzt, daß die De-
ceinvirn auch für das folgende Jahr im Amte blieben. Am
Schluß des zweiten Jahres stellten sie noch zwei Gesetztafeln
2**
34
auf. Aber auch jetzt legten die Decemvirn ihr Amt nicht nieder,
sondern mißbrauchten es zu Gewaltthätigkeitcn gegen das Volk,
besonders gegen diejenigen Plebejer, die ihrer Herrschaft gefähr-
lich schienen'. Damals waren Aequer und Sabiner in die
römische Landschaft eingebrochen, und die Decemvirn führten
zwei Heere in das Feld. Beide aber wurden durch die Schuld
der Soldaten, welche absichtlich und den Decemvirn zum Trotz
allen Erfolg vereitelten, geschlagen. Als der erste Schreck vor-
über war und von Rom Verstärkungen anlangten, rückte das
eine Heer in das Gebiet der Sabiner vor. In diesem befand
sich ein alter Hauptmann, S i ein ins Dendatus; in 120
Schlachten hatte er mitgefochten, acht Feinde im Zweikampfe
erlegt und 14 Bürgern das Leben gerettet; 45 Narben schmück-
ten seine Brust, und eine Menge von Bürgerkränzen, goldenen
Ketten, Armbändern und Ehrenzeichen war ihm zu Theil ge-
worden. Dieser Mann murrte laut gegen die Gewaltherrschaft
und ermahnte die Soldaten zu einer zweiten Auswanderung
auf den heiligen Berg, um die verlorenen Rechte wicdcrzuge-
winnen. Die Decemvirn beschlossen seinen Tod. Sie sandten
ihn, begleitet von einer Schaar gedungener Meuchelmörder, in
die Umgegend, um den Platz für ein neues Lager zu suchen.
In einem einsamen Hohlwege überfielen sie den Helden, der so
etwas nicht ahnte. Aber es ward ihnen schwer, den gewalti-
gen Mann zu tödten, und um seine Leiche lagen viele der
Verräther, die er in seiner Nothwehr hinstrcckte, bis er endlich
selbst mitten unter ihnen dahin sank. Die übrigen berichteten
im Lager, Sicinius sei mit einigen seiner Leute in einen Hin-
terhalt der Feinde gerathen und tapfer kämpfend gefallen. Man
eilte hin, seine Leiche zu holen: da wurde der Verrath offen-
bar, denn es lagen keine Feinde, sondern nur Römer um ihn
her. Das Heer drohte Aufstand und wollte die Leiche nach
Rom tragen, ließ sich aber für diesmal noch dadurch beschwich-
tigen, daß die Decemvirn dem Gefallenen ein prächtiges Lei-
chenbegängniß mit allen militairischen Ehren anordneten.
So nachtheilig auch diese That für den Ruf der Deccm-
virn war, so legten diese ihre Gewaltherrschaft dennoch nicht
35
nieder, bis endlich der Frevelmuth des Appius Claudius eine
völlige Empörung vcranlaßte.
Appius hatte die schöne Virginia, die Tochter des V i r-
ginius und Braut des Jcilius, gesehen und strebte nach
ihrem Besitze. Anfangs suchte er ste durch Lockungen und Ver-
sprechungen zu gewinnen. Da ihm dies nicht gelang, so be-
wog er einen seiner Clienten (Schutzbefohlenen), die Virginia
für die Tochter seiner Sclavin auszugebcn und als sein Eigen'
tbum zurückzufordern.
Als ihr Vater Virginias gerade im Lager stand, ergriff
der Client die Virginia auf offener Straße und führte sie vor
den Richterstuhl des Appius Claudius, wo er sie sich als Eigcn-
thum zusprechen ließ. Auf das Geschrei der Hülseflehenden
strömte eine Menge Volks herbei. Auch Jcilius war herbei-
gccilt und mit Mühe gelang es ihm, den Appius zu bewegen,
vor Ankunft des Vaters nichts zu entscheiden und die Jung-
frau in den Händen derer zu lassen, welche sich für sie ver-
bürgten. Jetzt schickte Appius einige Diener ins Lager, um
die Decemvirn, die dort den Oberbefehl hatten, zu bitten, den
Virginias zurückzuhalten. Doch die Boten des Jcilius waren
früher gekommen. Virginias hatte bereits Urlaub und war
auf dem Wege nach Rom.
Am folgenden Tage erschien er vor dem Richterstuhle des
Decemvirs mit seiner Tochter, beide im schmutzigen Gewände
der Mitleidflehenden, von vielen Matronen und Freunden be-
gleitet. Der ganze Marktplatz war mit Menschen, angesüllt,
die das traurige Schauspiel herbeigelockt hatte. Appius be-
stieg die Rednerbühne; sein Client wiederholte die Anklage,
die Jungfrau wurde ihm als Eigenthum zugesprochen. Als
er sie ergreifen wollte und nun der Vater drohte, und die
Umstehenden ihn jammernd in ihren Kreis schlossen: da befahl
Appius seinen Lictorcn, den Haufen zu sprengen und das
Mädchen wegzureißen, und drohte mit Waffengewalt allen
denen, die sich gestern und heute als Meuterer gezeigt hätten.
Erschreckt wich das Volk auseinander, und Virginius, der keine
Rettung mehr sah, bat um die einzige Gnade, von der Tochter
36
Abschied nehmen zu dürfen. Dies ward ihm gewährt. Nun
führte er sie zu einer nahen Fleischerbude. Hier ergriff er
schnell ein Messer und stieß es ihr in die Brust, indem er
ausrief: „Hiermit allein, mein Kind, kann ich deine Ehre
retten!" Darauf wendete er sich an Appius und schrie: „Bei
diesem Blute weihe ich dein Haupt den Göttern der Unterwelt!"
Nach dieser furchtbaren That bahnte sich Virginius mit
dem Messer in der Hand den Weg durch das Gedränge und
gelangte bis zum Thar, um ins Lager zu eilen. Icilius
zeigte dem Volke den blutenden Leichnam und forderte zum
Sturz der Decemvirn auf; die Lictoren des Appius wurden
übermannt und er selbst floh mit verhülltem Haupte in sein
Haus. Auch im Lager tobte der Aufruhr. Das Volk wan-
derte zum zweiten Male auf den heiligen Berg und kehrte erst
dann nach Rom zurück, als der Senat verordnet, daß die
Decemvirn ihr Amt niederlegen und wieder Konsuln an ihre
Stelle treten sollten.
Appius Claudius aber, der ruchloseste der Decemvirn, ward
in den Kerker geworfen, und nahm sich selbst das Leben.
XIII.
M. Furius Camillus.
Nicht weit von Rom lag die mächtige Stadt Veji in
Etrurien, die den Römern längst ein Gegenstand der Besorg-
niß war und schon zu mehreren Kriegen Veranlassung gegeben
hatte. Da die Vejcntcr römische Gesandte ermordet hatten,
so verlangten die Römer Genugthuung und drohten mit Krieg.
Im Vertrauen auf ihre Macht und die Festigkeit ihrer Stadt
nahmen ihn die Vejenter an, und es begann nun ein zehn-
jähriger Kampf (406—396 v. Chr.), der mit der völligen
Zerstörung der Stadt Veji endete. Der Ruhm des Sieges
gebührt dem Römer M. Furius Camillus.
37
Die Belagerung von Veji dauerte jedoch nicht zehn Jahre
ohne Unterbrechung. Das Heer der Römer zog gewöhnlich
nur eine Zeit lang gegen Veji aus und schloß die Stadt ein;
die übrige Zeit begnügten sie sich, ihr die Zufuhr abzuschnei-
den; erst im letzten Jahre schritten sie zu einer förmlichen
Belagerung.
In diesem letzten Jahre erlitten die Römer eine so schwere
Niederlage, daß banges Zagen das Heer und die Bevölkerung
von Rom ergriff, und man schon den Feind vor den Mauern
erwartete. In dieser Noth ward M. Für ins Camillus zum
Dictator gewählt. So hieß bei den Römern der höchste Beamte,
den sie in Zeiten großer Bedrängniß ernannten, um den. Staat
aus gefährlichen Lagen zu befreien. Er war durchaus un-
verantwortlich, und mit seinem Auftreten hörte die Thätigkeit
aller anderen Obrigkeiten auf.
Camillus sammelte eine bedeutende Streitmacht und rückte
nach einem glücklichen Treffen gegen die Falisker, welche auf
Seite der Vejenter standen, vor Veji. Hier legte er viele Ca-
stelle an und schloß die Stadt eng ein. Auch ließ er einen
unterirdischen Gang graben, welcher in das Innere der Burg
von Veji hineinführen sollte. Tag und Nacht wurde ohne
Unterlaß an diesen Werken gearbeitet; man wußte, daß Veji's
Untergang nahe sei. Unter vielen andern Wunderzeichen hatte
cs sich im Jahre vorher ereignet, daß der Albanersee in der
Mitte der trockenster, Sommcrtage ungewöhnlich anschwoll und
die umliegende Landschaft überschwemmte. Man schickte nack
Delphi, um über die Bedeutung der seltsamen Erscheinung den
Gott zu befragen. Um Veji war Waffenruhe, und die Vor-
posten auf beiden Seiten führten Gespräche mit einander. So
hörten die Belagerten von den Wundern des Sce's, und ein
Etruskischer Seher verkündigte, Veji sei nicht einzunehmen, so
lange das Wasser nicht abgeleitet worden sei. Bald nachher
lud ein römischer Hauptmann den Wahrsager zu sich, unter
dem Vorwand, er wolle sich einige Zeichen, die ihn allein be-
träfen, von ihm deuten lassen. Er kam; aber der starke Haupt-
mann ergriff den schwachen Alten, und schleppte ihn mit Gewalt
38
zu dem Feldherrn, der ihn nach Rom abführen ließ. Vor
dem Senate der Römer erklärte der Seher: „die Schicksalsbüchcr
von Veji lehrten, so lange der See überströme, könne Veji nicht
eingenommen werden, und wenn sein Wasser Las Meer erreiche,
werde Rom untergehcn." Damit stimmte die Antwort des
Delphischen Orakels überein.
Nun wurde ein Canal gegraben, und das Wasser des
See's auf die Felder geleitet. Veji's Untergang hielt man jetzt
für so gewiß, daß Camillus, ehe er die Stadt bestürmen ließ,
den Senat befragte, wie er mit der Beute verfahren sollte.
Der Senat beschloß, daß jeder, der Theil haben wollte, ins
Lager ziehen möge; Jung und Alt strömte hin. Als nun der
unterirdische Gang in die Burg bis unter den Boden des
Junotempels vollendet war, gelobte Camillus den Zehnten der
Beute und betete zur Juno, die Göttin möge den Siegern in
ein prächtigeres Wohnhaus folgen. Zur bestimmten Stunde
wurde der Gang mit Soldaten angefüllt, die Camillus selbst
anführte, während das übrige Heer ringsum den Sturm gegen
die Mauern begann. Hier erwarteten die Belagerten ihren
Angriff. Im Junotcmpel opferte der König der Vejenter, und
der Seher erklärte, der werde siegen, wer der Göttin das
Opferfleisch zerlege. Dies hörten die Römer unter dem Boden,
aus dem sie hervorbrachen, um das Opfcrfleisch wegzurauben
und zu dem Dictator zu trageu. Von der Burg aus verbrei-
teten sich die aus dem unterirdischen Gange Eingedrungenen in
die Stadt, um den Stürmenden die Thore zu öffnen. Schnell
war die Stadt mit ihnen angefüllt, in allen Straßen wurde
gekämpft, bis der Dictator verkünden ließ, die Wehrlosen zu
verschonen. Die dem Blutbade entronnen waren, wurden als
Sclavcn verkauft; und so überschwenglich war die übrige Beute,
daß der Dictator, als er sie überschaute, mit gen Himmel ge-
hobenen Händen zu den Göttern gebetet haben soll, daß, wenn
ihnen dies Glück übergroß erschiene, das römische Volk mit
einem möglichst kleinen Unfall büßen möge. Der siegreiche
Dictator feierte einen prächtigen Triumph. Er fuhr in einem
mit vier weißen Rossen bespannten Wagen das Capitol hinan.
39
Dies schien jedoch dem Volke Hoffart, welche die Götter stra-
fen würden, indem weiße Rosse dem Jupiter und Sol heilig
waren.
Auch die Stadt Falerii, die es mit den Vejentern gehal-
ten hatte, unterwarf Camillus der Botmäßigkeit der Römer.
Zwar trotzten die Falisker auf die Festigkeit ihrer auf steilen
Felsen gelegenen Stadt, und die Belagerung zog sich in die
Länge; aber der hochherzige Sinn, den Camillus hier zu zei-
gen Gelegenheit hatte, machte die Falisker zur Unterwerfung
geneigt. Einst führte ein Schulmeister, welcher mehrere Kinder
aus den vornehmsten Familien der Falisker erzog, diese wie
zur Friedenszeit auf einem Spaziergang außerhalb der Stadt
immer weiter bis zu den Vorposten der Feinde, bis an das
Zelt des Camillus. „Ich habe," sagte er, „Falerii in Deine
Hände gespielt, indem Du diese vornehmen Kinder als Geißeln
gebrauchen magst." Allein Camillus ließ dem verrätherischen
Lehrer die Hände auf den Rücken binden und übergab ihn den
Kindern, die ihn mit Ruthen peitschten und in die Stadt zu-
rücktrieben. Diese Ehrlichkeit des Camillus vermochte die Fa-
liskcr, in Rom um Frieden zu bitten, den sie erhielten.
In den folgenden Jahren zog sich indeß der um Rom
hochverdiente Camillus den Unwillen des Volkes zu. Ja ein
Volkstribun klagte ihn sogar an, einen Theil der Vejentischcn
Beute unterschlagen zu haben. Umsonst bat er um Gnade;
er ging in die Verbannung, indem er zu den Göttern den
Wunsch aussprach, daß, wenn man ihm Unrecht thue, bald
eine Zeit kommen möge, wo das Vaterland seiner bedürfe.
Sein Wunsch ging in Erfüllung, wie die folgende Geschichte
lehrt.
Einige Jahre später brachen Gallische Völkerschaften aus
Oberitalien in Etrurien ein und belagerten Clusium. Die
Clusiner baten in ihrer Bedrängmß die Römer um Hülfe, und
diese ordneten drei Gesandte ab, welche den Galliern mit Krieg
drohten, wofern sie nicht das von ihnen besetzte Gebiet räum-
40
ten, auf welches sie kein Recht hätten. Aber die Gallier ant-
worteten: „Zum ersten Male hören wir den Namen der Römer
und halten sie für tapfere Männer: unser Recht jedoch beruht
auf unseren Waffen, Alles gehört den Tupfern!" Die Gesand-
ten nahmen darauf sogar an dem Kampfe gegen die Gallier
Theil und tödteten einen ihrer Heerführer. Die Gallier for-
derten für diese Verletzung des Völkerrechts Genugthuung und
drangen, da sie ihnen verweigert ward, gegen Rom vor. Am
Flüßchen Al lia erlitten die Römer eine furchtbare Niederlage
(389 v. Chr.). Nur wenige von ihnen konnten sich aus der
Schlacht retten. In Rom selbst gerieth Alles in die größte
Furcht und Bestürzung. Man fand es unmöglich, die Stadt
gegen den vorrückenden Feind zu vertheidigen und beschloß daher
sie zu verlassen. Die streitbaren Männer, 1000 an der Zahl,
besetzten unter Anführung des Manlius das Capitol. Die
Vestalinnen und Priester flohen mit den Heiligthümern, die sie
mit sich nehmen konnten, nach Veji oder in andere benachbarte
Städte. Nur die ältesten Senatoren blieben allein in Rom
zurück und weihten sich zum Besten des Volks dem Tode. Sie
schmückten sich mit allen Zeichen ihrer Würde, fetzten sich auf
ihre Amtsfessel und erwarteten auf dem Markte die Ankunft
der Feinde.
Inzwischen war Brennus, der König der Gallier, heran-
gekommen. Da er die Thvre der Stadt offen und unverthei-
digt fand, fürchtete er Anfangs einen Hinterhalt. Endlich aber
wagte er es mit aller Vorsicht in Rom einzudringen. Hier
fand er Niemanden, als jene alten Senatoren, die still und
unbeweglich auf ihren Stühlen faßen. Ihr Anblick flößte
Furcht und Bewunderung ein, so daß sie anfänglich von den
Galliern für die Bildsäulen der Schutzgötter Roms gehalten
wurden. Erst nach einiger Zeit trat ein kühner Gallier znm
Marcus P a p i r i u s, einem der ältesten jener Senatoren,
und zupfte ihn am Barte, um zu sehen, ob er lebte. Hierüber
erzürnt erhob Papirins sein elfenbeinernes Scepter und schlug
damit den Gallier aufs Haupt. Dadurch entstand ein allge-
meines Blutbad. Die Gallier sielen über die Senatoren her
41
und tödteten sic nach der Reihe. Darauf wurde die Stadt
geplündert und verbrannt.
Während nun Brennus mit seinen Galliern das Capitol
belagerte, mn die Besatzung auszuhungern, unternahm ein
Theil des Heeres einen Streifzug, um Lebensmittel zu holen.
Diese Schaar kam in die Nähe von Ardea, wo Camillus in
der Verbannung lebte. Eilig sammelte er die Ardeaten und
d übñficl mit ihnen die Gallier, von denen Tausende niederge-
metzelt wurden, die übrigen sich in wilder Flucht zerstreuten.
Dieser Sieg belebte den Muth der Römer.
Die Römer in Veji beschlossen, den Camillus aus der
Verbannung zu rufen und zum Dictator zu ernennen. Dazu
war die Zustimmung des Senats nöthig, der sich auf dem
Capitol befand. Um die Genehmigung cinzuholen, wurde
Pontius Cominius abgeschickt. Nachts schwamm er die
Tiber hinab, betrat nahe am Capitol das User, erkletterte den
Berg und kam, nachdem er seinen Auftrag ausgerichtet, unbe-
merkt wieder durch die Posten der Feinde hindurch. Am an-
deren Morgen entdeckte ein Gallier den Weg, wo jener hinauf-
und herabgekommen war, und nun beschlossen sie die Burg
zu ersteigen. In einer mondhellen Nacht, als Alles auf dem
Capitol schlief, und selbst die Hunde sich nicht regten, kamen
sie in der tiefsten Stille bis zur Spitze, als plötzlich das Schnat-
tern der Gänse, die im Heiligthum der Juno gefüttert wurden,
den M. Manlius aus dem Schlaf weckte. Eiligst lief er der
unbewachten Stelle zu und stürzte den vordersten Gallier, der
eben den äußersten Felsenrand erklonunen hatte, in die Tiefe
hinab. Sein Sturz bewirkte den aller ihm Machfolgenden.
So wurde die Burg gerettet; zum Andenken dieser Begebenheit
wurden die Hunde bestraft, die Gänse aber auf öffentliche Kosten
gefüttert und in jährlichen Aufzügen herumgeführt. Manlius
erhielt von jedem Mann der Besatzung eine Belohnung; der
achtlose Wächter aber ward vom Felsen zu Tode gestürzt.
Schon währte die Belagerung bis in den sechsten Monat,
und unter den Römern wüthete Hungersnoth, so daß sie das
Leder von den Sohlen und Schilden verzehrten, und noch immer
42
erschien Camillus nicht zum Entsatz. Unter den Galliern wur-
den viele von Seuchen hinweggerafft. In solchen Umständen
waren beide Theile zum Frieden geneigt. Brennus versprach,
die Stadt und ihr Gebiet zu verlassen, wenn man ihm 1000
Pfund Gold auszahle. Als es abgewogen ward, ließ Brennus
falsches Gewicht anwenden, und auf die Beschwerde der Römer
legte jener Schwert und Wehrgehäng aus die Wagschale und
rief: „Wehe Len Besiegten!" In diesem Augenblicke kam Ca-
millus mit dem Heere von Veji herbei. Sogleich erklärte er
den geschlossenen Vertrag für ungültig, indem er seiner Ge-
nehmigung bedürfe, hieß die Römer das Gold wegnehmen, die
Gallier sich zur Schlacht anschicken. Mit dem Eisen, nicht
mit Geld wollte er das Vaterland wieder gewinnen. In zwei
Schlachten schlug er die Gallier und vernichtete sie bis auf den
letzten Mann. Brennus wurde gefangen und hingerichtet, wo-
bei man ihm die Worte: „Wehe den Besiegten!" höhnend
wiedergab. Camillus zog triumphirend in die Stadt zurück;
die Römer nannten ihn Roinulus und Roms zweiten Gründer.
Aber die wiedergewonnene Stadt war mit Ausnahme des
Capitols eine öde Brandstätte. Die Meisten wollten nach Veji
ziehen und sich dort anbauen; Camillus und der Rath wider-
riethen. Eines Tages war der Senat versammelt, als gerade
ein Hauptmann eine Rotte Soldaten über das Forum führte
und ihnen zurief: „Halt, hier bleiben wir am besten!" Dies
nahmen die Senatoren für eine glückliche Vorbedeutung, das
Volk gab seinen Beisall, und der Wiederaufbau der Stadt
wurde beschlossen. Wegen der großen Eile fielen jedoch die
Straßen sehr unregelmäßig und eng' aus.
Camillus führte noch mehrere glückliche Kriege gegen be-
nachbarte Völker. Bei einem neuen Einfall der Gallier über-
nahm er in einem Alter von achtzig Jahren nochmals die
Dictatur und schlug abermals die Feinde. Kurz darauf raffte
ihn die Pest hinweg. Er hatte im Ganzen vier Triumphzüge
gefeiert und fünfmal die Dictatur bekleidet.
43
XIV.
Titus Manlius Torquatus. Marcus Vale-
rius Corvus. — M. Curtius.
Nach der Vertreibung der Gallier geriethen die Römer
noch öftzrs mit ihnen in Krieg, indem neue Schwärme ihre
Einfälle in das römische Gebiet wiederholten. In diesen Käm-
pfen zeichneten sich die Helden Titus Manlius und Ätar-
cus Valerius durch Tapferkeit und Heldenmuth aus.
Einst trat aus den Reihen der Gallier ein gewaltiger
Riese hervor und forderte den tapfersten Römer zum Zweikampf
heraus. Anfangs wagte kein Römer die Herausforderung an-
zunchmen. Endlich fand sich Titus Manlius dazu bereit.
Mit Genehmigung des Dictators ging er auf den stolzen Gallier
los, und der Kampf begann im Angesicht beider Heere. Der
Gallier hieb zuerst nach Manlius, aber dieser wich seinen
Schwertstreichen aus, hob behende des Gegners Schild in die
Höhe und durchbohrte ihm mit seinem kleinen Schwerte die
Weichen, daß er todt niederficl. Manlius nahm dem erlegten
Feinde die goldene Halskette (lorques) ab und bekam davon
den Namen Torquatus. Die Gallier aber wurden durch diesen
Erfolg so muthlos gemacht, daß sie in der folgenden Nacht
das Lager verließen und nach Campanien zogen.
Ein ganz ähnlicher Vorfall ereignete sich bei einem spä-
teren Einbrüche der Gallier in das römische Gebiet. Beide
Heere hatten sich in einer sehr sumpfigen Gegend gelagert, und
keins wollte das andere angreifen. Auch hier trat ein galli-
scher Krieger auf und forderte den tapfersten Römer zum Zwei-
kampf auf. Marcus Valerius nahm ihn an und stritt, wie
cs heißt, unter dem Schutze der Götter. Denn gleich beim
Anfang des Kampfes setzte sich eine Rabe auf den Helm des
Valerius, der dies für eine gute Vorbedeutung ansah. Wäh-
rend des Kampfes blendete der Rabe den Gallier durch seinen
Flügelschlag und hackte nach ihm mit seinen Krallen. Dadurch
44
wurde dieser so außer Fassung gebracht, daß ihn der Römer
mit leichter Mühe erlegte. Um den Körper des getödtetcn Gal-
liers entstand nun ein neuer Kampf zwischen beiden Heeren, in
welchem die Gallier geschlagen wurden. Valerius aber erhielt
von diesem Vorfall den Beinamen Corvus (Rabe).
Im Jahre 362 v. Chr. soll sich mitten auf dem Forum,
wahrscheinlich durch ein Erdbeben, eine ungeheure Kluft von
unermeßlicher Tiefe eröffnet haben, deren Schlund sich nicht
mit Erde füllen ließ, so sehr man auch damit beschäftigt war.
Da erklärten die Weissager, daß, wenn Rom fortdauernden
Bestand wünsche, das Kostbarste, was es habe, diesem Ab-
grnnde geopfert werden müsse. Nun trat, wie die Sage be-
richtet, Marcus Curtius, ein junger berühmter Krieger
auf und mahnte die Römer, daß Waffen und Tapferkeit Roms
größter Schmuck seien. Dann blickte er nach den am Forum
stehenden Tempeln der Götter und dem Capitolium, streckte
seine Hände bald gen Himmel, bald nach dem offenen Ab-
grunde, indem er sich unter Gebeten den Göttern der Unter-
welt weihete. Darauf schwang er sich auf sein Schlachtroß,
das im kriegerischen Schmucke dastand, und stürzte sich in voller
Rüstung in den Abgrund, während das Volk, Männer und
Frauen, Geschenke und Früchte über ihn herwarfen. Von die-
sem M. Curtius erhielt der See, der an der Stelle des Ab-
grundes entstand, den Namen des Curtischen.
XV.
Licinius Stolo und Lucius Sextius.
Obschon sich die Plebejer durch die Auswanderung auf
den beiligen Berg das Recht, Tribunen zu wählen, erzwungen
hatten, so genossen doch die Patricier noch immer bedeutende
Vorrechte vor ihnen; namentlich wurden die höheren Obrig-
keiten nur von Patriciern bekleidet, und nur ein Patricier
45
konnte zum Cónsul gewählt werden. Nach langem Kampfe
mußten aber doch die Patricier zugeben, daß immer e i n Cón-
sul aus den Plebejern gewählt ward. Die beiden Tribunen
Licinius Stolo und LuciusSextius waren es, welche
den Plebejern dieses Recht erwarben. Die Veranlassung wird
in folgender Weise erzählt.
Der vornehme Patricier Fabius Ambustus hatte zwei
Töchter, von denen die eine mit einem Patricier, die andere
mit dem Plebejer Licinius Stolo vermählt war. Einst be-
suchte die Frau des Tribunen Licinius ihre Schwester, die an
den patricischcn Kriegstribunen verheirathet war, als sie plötz-
lich über den Lärm erschrocken zusammenfuhr, den die Lictoren
des heimkehrenden Kriegstribunen an der Thür verursachten.
Sie ward von ihrer Schwester über diese Furcht verlacht,
welche den niedrigen Stand verriethe, wohin sie ihre Hand
vergeben habe. Der Gram über diese von der Schwester er-
littene Beleidigung verzehrte sie dergestalt, daß ihr Mann und
selbst der Vater ihr versprechen mußten, Alles aufzubieten, daß
ihrem Hause und Stande gleiche Ehre zu Theil werde.
Nun trat Licinius mit dem Anträge auf, daß der eine der
beiden Consuln immer aus den Plebejern gewählt werden solle.
Diesen Vorschlag bekämpften die Patricier aus allen Kräften
und bestachen von den zehn Tribunen die acht übrigen, damit
diese durch ihre Einsprache den ganzen Antrag vereiteln sollten.
Aber Licinius und Sextius hielten fest zusammen und hinderten
ihrerseits durch ihre Einsprache die Wahl aller höheren Obrig-
keiten fünf Fahre hindurch, da sie vom Volk immer wieder
von Neuem zu Tribunen gewählt wurden. Mit der Zeit wurde
jedoch der Widerstand der Patricier schwächer, da es ihnen nicht
mehr gelang, die übrigen Tribunen durch Bestechungen für sich
zu gewinnen. Endlich, nach einem zehnjährigen Kampfe (376
bis 367 v. Chr.) wurde der Antrag zum Gesetz erhoben. Von
da an waren auch die Plebejer zum Consulate berechtigt, und
Lucius Sextius, der mit Licinius so beharrlich Stand gehalten
hatte, wurde der erste plebejische Cónsul.
Doch nicht blos dieses, sondern noch ein anderes Recht
— 46
setzten die beiden Tribunen für die Plebejer durch. Bis dahin
hatten sich nämlich die Patricier allein das Recht angemaßt,
von den Gemeindeländereien des Staats so viel als sie nur
wollten, in Besitz zu nehmen, während die Plebejer davon aus-
geschlossen waren. Zugleich mit feinem Anträge über das
Konsulat machte deshalb Licinius auch den Vorschlag, daß kein
Patricier mehr als 500 Morgen von dem Gemeindelande be-
sitzen, das Uebrige aber in Theilen von je sieben Morgen an
arme Plebejer vertheilt werden sollte.
Durch diese Gesetze, welche die Gleichstellung der Plebejer
mit den Patriciern sehr beförderten, erwarben sich die beiden
Tribunen ein großes Verdienst um den römischen Staat, der
nur durch vollkommene Einheit und Eintracht der beiden
Stände zu dem größten und mächtigsten der Erde emporgeho-
ben werden konnte.
XVI.
Der Kampf gegen die Samniter. — P. Decius.
— Papirius Cursor. — Pontius, Feldherr der
Samniter.
Die Samniter waren ein kräftiges, kriegerisches Bergvolk.
Auf einem ihrer Eroberungszüge wurden sie von den Cam-
panern gehindert, brachten ihnen aber zwei solche Niederlagen
bei, daß die Campaner die mächtigen Römer zu Hülfe rufen
mußten. Diese gewährten sie, und so begann ein furchtbarer
Kampf, der mit mehrjährigen Unterbrechungen über fünfzig
Jahre, von 342—290 v. Ehr. dauerte.
In dem ersten Kriege gegen die Samniter (von 342—340
v. Ehr.) zogen zwei Heere unter den beiden Konsuln M. Va-
lerius Corvus und A. Cornelius Cossus ins Feld,
von denen das eine den Marsch nach Campanicn nahm, das
andere bestimmt war, in Samnium selbst einzurücken. Vale-
rius schlug sein Lager in der Nähe von Cumä am Gebirge
(Naurus auf, und kampflustig rückte ihm der Feind entgegen.
Am Tage der Schlacht standen seine Reihen lange unbeweglich,
und wiesen alle Stürme der Römer zurück. Schon war der
Tag weit vorgerückt, als der Cónsul selbst an der Spitze seines
Heeres einen letzten verzweislungsvollen Angriff machte und die
Samniter zum Weichen brachte. Auf der Flucht wurden viele
erschlagen und gefangen, bis die Nacht dem Kamps ein Ende
machte. Am andern Morgen räumten die Feinde auch ihr
verschanztes Lager und setzten ihre Flucht fort. Denen, welcbe
ste nach der Ursache einer so unaufhaltsamen Flucht fragten,
antworteten sie: „Feuer habe aus den Augen der Römer ge-
blitzt, ihre Gesichter hätten Wuth und Wahnsinn geredet: vor
solchem Anblick wären sie geflohen."
Inzwischen war das Heer des andern Consuls in große
Roth gcrathen. Von der Grenze Samniums führte Cornelius
Cossus sein Heer über die Gebirge aus einem Wege, der nach
Beneventum zuging. Nirgends zeigten sich Feinde, die Römer
wurden sorglos. So kamen sie in eine tiefe Thalschlucht,
wo die Samniter die Höhen ringsum besetzt hatten. Doch
nicht eher gewahrte er sie, als bis ihm schon der Rückzug ab-
geschnitten war. In dieser Gefahr erbot sich der Kriegstnbun
P. De eins mit den beiden ersten Schlachtreihen einer Legion,
1600 Mann, einen Gipfel einzunehmen, der über dem Wege,
woher die Samniter andrangen, hervorragte. Es gelang ihm,
ihn zu erreichen. Von hier aus griff er die Feinde an, und
wandte so den Angriff ihres ganzen Heeres aus sich; das rö-
mische Hcmptheer aber gewann den Bergrücken wieder und in
einiger Entfernung von da eine bessere Stellung. Dccius be-
hauptete sich indessen mit den Seinen in unaufhörlichem Ge-
fechte bis in die Nacht. Die Samniter lagerten sich um die
Höhe und überließen sich dem Schlafe. Nach der zweiten Nacht-
wache stiegen die Römer herab, um sich einen Weg zum Heere
der Ihrigen zu bahnen. Sie waren schon in der Samniter
Mitte, uls einer von ihnen sich an einem Schilde stieß, und
dies Geräusch die zunächstliegenden Samniter ausweckte. Allein
ehe die schlaftrunkenen und verwirrten Feinde sich zu gehöri-
48
gern Widerstande geordnet hatten, waren die Römer alle plötz-
lich entronnen. In der Nähe des Lagers ließ Decius ste Halt
machen, bis es tage: denn es gezieme sich nicht, daß solche Män-
ner unter dem Dunkel der Nacht einrückten. Aus die Kunde,
daß die, welche sich für die Rettung aller dem Tode dargebotcn,
erhalten und in der Nähe wären, zog ihnen fast das ganze
Heer aus dem Lager entgegen. Der Tribun Decius rückte
triumphirend ins Lager ein, und der Cónsul begann ihm eine
Lobrede zu halten, doch Decius unterbrach ihn: es sei Zeit,
die Feinde in ihrer Bestürzung zu überrumpeln. Ungesäumt
sollen dann die Legionen über die Berge geführt, viele Feinde
zerstreut, niedergemacht, viele geflohen sein; 30000, die sich in
das Lager geworfen, wurden niedergehauen, und das Lager
geplündert. Decius erhielt als Belohnung von dem Cónsul
einen goldenen Kranz, hundert Rinder und einen weißen Stier
mit vergoldeten Hörnern; seine Soldaten empfingen auf immer
doppelte Portionen, jeder zwei Kleider und einen Ochsen. Das
Heer überreichte dem Decius einen aus Gras gewundenen Kranz,
den gewöhnlichen Ehrcnlohn dessen, der eine Schaar aus Fein-
des Gewalt und Belagerung befreit hatte.
In dem zweiten Kriege gegen die Samniter hatten die
Römer den Papirius Cursor zum Dictator gewählt. Allein
abergläubische Furcht hielt den Fortgang seiner Unternehmungen
auf. Da man glaubte, daß bei der feierlichen Wahl des Dic-
tators ein Fehler vorgegangen sei, so eilte Papirius nach Rom,
um sie von neuem anstellen zu lassen, befahl aber seinem Reiter-
obersten Fab ins Rullianus, während seiner Abwesenheit
ruhig im Lager zu bleiben. Allein durch Ehrgeiz und Kampf-
lust angetrieben, lieferte er dennoch den Samnitern ein Treffen,
und das Glück war ihm so günstig, daß er den Feinden
25000 Mann erschlug. Alle freuten sich dieses Sieges. Als
aber der Dictator ins Lager zurückkehrte, ließ er sogleich die
Legionen zusammenberufen und den Fabius vor sich fordern.
Vergebens suchte sich dieser zu verthcidigen. Der Dictator be-
fahl ihn zu entkleiden und hinzurichten. Aber Fabius entfloh
den Händen des Lictors, der ihn ergriffen hatte, und barg sich
1
— 49 —
unter die Soldaten, die ihn aufnahmen. Es entstand ein
lautes Murren; die Befehle des Dictators wurden nicht mehr
gehört, und Papirius hob bei anbrechender Nacht die Ver-
sammlung auf.
Aber Fabius fürchtete den Zorn des Dictators und floh
daher mitten in der Nacht nach Rom. Sein Vater, ein sehr
angesehener Mann, berief sogleich den Senat. Hier klagte er
über die Härte des Dictators und bat die Senatoren, das
Leben seines Sohnes zu retten. Sie waren dazu geneigt, aber
ste vermochten es nicht, denn Plötzlich erschien der Dictator, fest
entschlossen, den Ungehorsam seines Reiterobersten zu bestrafen.
Umsonst verwendeten sich alle Senatoren für ihn. Papirius
befahl den Fabius zu ergreifen. Nun blieb dem alten Fabius
nur noch ein Ausweg übrig: er wandte sich an die Versamm-
lung des Volks. Dies war aber eine gesetzwidrige Handlung,
denn von dem Dictator durfte man sich nicht an das Volk
berufen.
Indessen war Papirius nicht dagegen. Er ging in die
Versammlung und zeigte dem Volke, wie nöthig es sei, die
Gesetze des Krieges zu halten und das Ansehen des Dictators
zu ehren. Obschon das Volk geneigt war den Fabius zu
retten, konnte es dennoch die Strenge des Dictators nicht ver-
dammen. Es wagte daher nicht, etwas zu entscheiden, sondern
legte nur seine Fürbitte für das Leben des Reiterobersten ein.
Eben dies thaten auch die Fabier, indem sie sich zu den Füßen
des Dictators niederwarfen. Papirius ward gerührt. Durch
die Bitten des ganzen Volks war die Kriegszucht und das
Ansehen des Feldherrn unversehrt erhalten worden. Jetzt konnte
der Dictator dem Fabius verzeihen, nicht weil er mußte, son-
dern weil er wollte. Und er that es zur Freude des Volks
und der Patricier.
In demselben Kriege erlitten die Römer unter der Anfüh-
rung des Veturius Calvinus und Spurius Postumius
in den Caudinischen Engpässen eine empfindliche Schmach (321
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Nufl. 3
50
v. Ehr.). Beide Consuln lagerten bei Calatia in Campanicn.
Dies hörte Pontius, der Feldherr der Samniter. Er ließ
daher das Gerücht verbreiten, daß er Luceria, eine Stadt in
Apulien, die mit den Römern verbunden war, belagerte. Um
dieser Stadt schleunige Hülfe zu leisten, schlugen die Consuln
den kürzesten Weg ein, der durch die Caudinischen Pässe führte.
So nannte man ein Thal, das mit hohen Felsen und dichten
Wäldern besetzt war, einen schmalen Eingang und Ausgang
hatte, nicht weit von Caudium, einer Stadt der Samniter,
lag und nachmals der Caudinische Galgen genannt wurde.
Aber gerade um dieses Thal herum hatte Pontius sein Heer-
versteckt. Ohne Arges zu ahnen, gingen die Consuln in die
Falle, die ihnen Pontius gelegt hatte.
Zu langem Zuge gingen die Römer mit Gepäck bis ^um
Ausgang des Thals, fanden ihn aber mit Bäumen und vor-
gewälzten mächtigen Felsen verschlossen. In demselben Augen-
blick bemerkten sie, daß die Höhen ringsum von bewaffneten
Samnitern wimmelten, welche die Anrückendcn hohnlachcnd er-
warteten. Sie kehrten daher eilig zurück; aber nun war auch
der Eingang von den Samnitern besetzt worden. In dieser
verzweislungsvollen Lage schlugen die Römer, 20,000 Mann
stark, ein enges dürftiges Lager auf. Ihr Versuch sich durch-
zuschlagcn mißlang; ihre Roth ward von Tag zu Tag größer;
eudlich zwang sie der Hunger, Gesandte an den Samnitischen
Heerführer Pontius zu schicken und um Frieden zu bitten.
Pontius ließ seinen Vater, einen einsichtsvollen Greis, um
Rath fragen. Dieser antwortete: „Laßt alle Römer frei und
ungekränkt abziehen." Pontius wunderte sich über diese Ant-
wort und glaubte, daß der Bote falsch gehört hätte. Er
schickte daher zum zweiten Mal an seinen Vater. Jetzt ant-
wortete der Greis: „Tödtet alle Römer ohne Unterschied."
Niemand verstand den Sinn dieser verschiedenen Antworten.
Pontius ließ daher seinen Barer selbst herbeiholen. Nun gab
der Greis den Grund seiner Meinung an: „Ihr müßt," sagte
er, „entweder alle Römer tödten, um ihre Kraft zu sckwächen,
oder ihr müßt sie alle schonen, um sie euch, durch diese Wohl-
51
that verbindlich zu machen." Pontius verwarf beides und
wählte einen Mittelweg. Er ließ den Römern durch ihre Ge-
sandten den Vorschlag machen, entweder zu sterben, oder durch
das Joch zu gehen, Samnium zu verlassen, Frieden zu schlie-
ßen und Geißeln zu stellen.
Die Römer geriethen über diese schimpflichen Vorschläge
in die größte Bestürzung. Keiner wagte zur Annahme zu ra-
then, und doch konnten sie es in ihrer äußerst traurigen Lage
nicht lange aushalten. Endlich brachte es Lentulus, ein an-
gesehener Römer, dahin, daß die Friedensbedingungen ange-
nommen wurden. Entwaffnet und hatbentkleidet gingen erst
600 Ritter, die als Geißeln ausgeliefert werden mußten, dann
die Konsuln und endlich die übrigen Soldaten durch das Joch.
Bewaffnet und mit Hohngelächter schauten die rundum ausge-
stellten Samniter diesem Auftritte zu. Waffen, Pferde, Knechte,
alle Habe außer dem Kleide, das jeder trug, blieben dem Sieger.
Voll Scham und stiller Wuth zogen die Römer über Capua,
wo sie liebreich ausgenommen wurden, nach Rom, und getrauten
sich kaum, beide Städte zu betreten. Der römische Senat aber
bestätigte den geschlossenen Vertrag nicht; erbeschloß, daß Alle,
die den Frieden beschworen hatten, den Samnitern ausgeliefert
werden sollten. Damit glaubte er aller Verbindlichkeit den
Frieden zu halten, überhoben zu sein. Es wurden also die
beiden Konsuln und die Anderen, welche den Vertrag geschloffen
hatten, gefesselt nach Caudium vor den Richterstnhl des Pontius
geführt. Dieser lehnte jedoch ihre Annahme ab, indem er
sagte: „Entweder muß das römische Heer, das sich in der Ge-
walt der Samniter befunden hat, in seine vorige Lage nach
dem Caudinischen Paß zurückkehren, oder das römische Volk
muß den Frieden halten." Zugleich ließ er den Ueberlieserten
die Fesseln lösen und schickte sie unverletzt nach Rom zurück. —
Bald entbrannte der Kampf von neuem, und die Römer lösch-
ten ihre Schande im Blute der Samniter wieder aus.
52
XVII.
Titus Manlius. Die beiden Deeius Mus.
Nach Beendigung des ersten Samniterkrieges, im Jahre
339 v. Ehr., brach ein Kampf zwischen den Römern und den
Latinern aus. Die Latiner schickten Gesandte nach Rom und
verlangten, daß die Hälfte des Senats aus Latinern bestehen
und ein Consul aus ihnen gewählt werden sollte. Unwille
ergriff die sämmtlichen Senatoren; sie erhoben sich mit großer
Erbitterung und riefen die Götter zu Zeugen, daß die Latiner
Eid und Vertrag gebrochen hätten. Da soll der Latinische
Gesandte Annius dem römischen Jupiter Troß und Hohn ge-
boten haben, aber entsetzlicher Donner und Platzregen verkün-
dete des Gottes Zorn und Annius stürzte, als er den Tempel
verließ, die Stufen hinunter und lag in Ohnmacht. Der
Senat aber beschloß den Krieg gegen die Latiner.
Die Consuln Titus Manlius und Decius Mus zo-
gen mit zwei Heeren ins Feld. Am Fuße des Vesuvius fiel
die entscheidende Schlacht vor. Als die Heere einander gegen-
über standen, machten die Consuln das Verbot bekannt, bei
Todesstrafe sollte sich kein Römer bei den Vorposten in ein
Gefecht einlassen. Doch der eigene Sohn des Manlius han-
delte diesem Befehle zuwider. Abgeschickt mit einem Geschwa-
der Reiter, um die Feinde zu beobachten, begegnete er einem
Tusculanischen Befehlshaber, der ihn zum Zweikampf heraus-
forderte. Um dem Vorwurf der Feigheit zu entgehen, nahm
Manlius den Kampf an und hatte das Glück, den Gegner zu
erlegen und ihn seiner Waffen zu berauben. Frohlockend kehrte
er als Sieger in's Lager zurück. Allein sein Vater ließ diese
Verletzung der Kriegszucht nicht ungeahndet. Zuerst belohnte
er ihn zwar wegen seiner Tapferkeit mit einer Krone; dann
aber ließ er ihn im Angesicht des ganzen Heers durch den
Lictor enthaupten.
Vor der Schlacht sahen beide Consuln zu gleicher Zeit im
Traume eine übermenschliche Gestalt, welche ihnen verkündete.
53
Laß von dem einen Heere einer der Feldhcrrn, das andere
Heer aber ganz den Todesgöttcrn und der Mutter Erde ver-
fallen sei. Sie kamen überein, daß der, dessen Flügel weichen
würde, sich und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern
weihen sollte. Bald nach dem Anfang der Schlacht ward der
linke Flügel, den Dccius Mus befehligte, zurückgedrängt. Da
rief dieser den Oberpriester herbei, der ihm den Spruch vor-
sagte, mit dem er über einem Schwerte stehend und das Haupt
verhüllt sein Leben den Geistern der Unterwelt weihte. Dann
bestieg er von neuem sein Schlachtroß und stürzte sich wie ein
Rasender mitten in die Feinde, Tod und Verderben um sich
her verbreitend, bis er von Geschossen durchbohrt niedersank.
Diese edelmüthige Aufopferung flößte den Römern Muth ein.
Sie stellten sich auf's Neue dem Feinde entgegen und erfochten
endlich durch die Klugheit des Manlius einen vollständigen
Sieg über die Latiner. Nach zwei Jahren (337 v. Ehr.)
endete der Krieg mit ihrer Besiegung.
Wie hier Decius Mus, der Vater, so weihte sich sein
Sohn Publius Decius im dritten Samnitischen Kriege den
Todesgöttern. In der Schlacht bei Sentinum (295 v. Ehr.)
hatte er schon zweimal die Rcitergeschwader der Gallier, die
mit den Samnitern verbunden waren, zurückgeworfcn, als diese
einen dritten Angriff mit ihren Streitwagen machten, und durch
das Ungewöhnliche der Kampfart die Römer in Schrecken und
Verwirrung brachten. Bald entstand unter diesen allgemeine
Flucht. In diesem Augenblick ließ Publius Decius durch den
Oberpriester sich und die Feinde den Todesgöttern weihen.
Nachdem er die Weihung in derselben Weise, wie sein Vater
in der Schlacht am Vesuv, erhalten hatte, fügte er noch die
Worte hinzu: „Vor mir her jage ich Angst und Flucht, Mord
und Blutvergießen, der himmlischen und der unteren Götter
Zorn. Ich bringe Leichengrausen auf die Feldzeichen, auf
Wehr und Waffen der Feinde! Ein und derselbe Ort soll
mein und der Feinde Grab sein!" Darauf trieb er sein Roß
in die dichtesten Schaarcn der Feinde und siel von ihren Ge-
schossen. Sein Heldcnmuth begeisterte die Römer zu neuem
54
ampf und die Schlacht endigte mit der vollständigen Nieder-
lage des Feindes.
XVIII.
Pyrrhus, König von Epirus.
Schon hatten die Römer die mächtigsten Völker Italiens
unterjocht; Etrusker, Latiner, Campaner, Samniter und viele
ndere Völkerschaften standen unter ihrer Botmäßigkeit, als sie
in Kampf geriethen mit der Stadt Tarent, die sich durch See-
handel, Reichthum und Kunstfleiß zur höchsten Blüthe cmpor-
geschwuugen hatte.
Zwischen Römern und Tarentinern bestand ein alter Ver-
trag, der den Römern nicht gestattete, über das Lacinische Vor-
gebirge in Unteritalien hinaus zu segeln. Als nun einst eine
römische Flotte durch einen Sturm über dieses Vorgebirge
hinaus in den Hafen von Tarent getrieben wurde, erklärten
dies die Tarentiner für einen Friedensbruch. Sie saßen gerade
im Theater, von dem man die Aussicht auf das Meer hatte,
und bemerkten die heraufsegelnden Schiffe. Von einem Schreier
aufgehetzt, eilte eine Menge bewaffnet zu Schiffe und machte
auf die unvorbereiteten römischen Fahrzeuge einen Angriff.
Von dem römischen Geschwader wurden vier Schiffe versenkt,
der Anführer und die Soldaten ermordet. Der Senat zu Rom
forderte für das erlittene Unrecht Genugthuung; die Gesandten
wurden in das Theater des versammelten Volks geführt, das
von Wein und Uebermuth berauscht war. Mit Gelächter wur-
den sie empfangen. Postumius redete in griechischer Sprache;
man hörte nicht auf seinen Vortrag, aber so oft er einen
Fehler gegen die Aussprache beging, lachte das Volk laut auf
und schalt ihn einen Barbaren. Ein gemeiner Possenreißer
drängte sich an ihn und besudelte sein Gewand. Postumius
zeigte dem Volke das beschmutzte Gewand und neues Hohnge-
55
lächter erhob sich. Da sprach der Gesandte: „Lacht nur, so
lange ihr könnt; ihr werdet lange genug weinen!" Darüber
gerieth das Volk in Unwillen und Postumius sagte: „Damit
ihr euch noch mehr erzürnt, so wisset, daß dies Gewand in
Strömen eures Blutes wird rein gewaschen werden." Kurze
Zeit darauf begannen die Römer den Krieg. Da aber die
Tarentiner ein weichliches, unkriegerisckcs Volk waren, so rie-
sen sie Pyrrhus, König von Epirus, zu Hülfe. Dieser hel-
denmüthige Fürst wurde von seinem unruhigen Geiste stets zu
neuen Kriegsthaten und Abenteuern getrieben und strebte ein
zweiter Alexander der Große zu werden. Er ging daher gern
auf den Antrag der Tarentiner ein.
Im Frühling des Jahres 280 v. Ehr. ging Pyrrhus
mit 22000 Mann zu Fuß, 3000 Reitern und 20 Elephanten
nach Italien, doch ein Sturm vernichtete einen großen Theil
seiner Schiffe und Mannschaft. Die Tarentiner aber vermerk-
ten die Anwesenheit ihres Beschützers sehr übel; Pyrrhus hob
die Tüchtigsten von ihnen zu Soldaten aus und untersagte
ihnen Gelage und sonstige Lustbarkeiten. Die erste Schlacht
mit den Römern fiel bei Heraclea in Lucanien vor. Als
Pyrrhus das Lager der Römer betrachtete, soll er ausgerufen
haben: „Die Lagerordnung dieser Barbaren ist durchaus nicht
barbarisch; bald werden wir auch ihre Thaten kennen lernen!"
Die heiße Schlacht, welche nun entbrannte, in der dem
Könige selbst ein Roß unter dem Leibe getödtet ward, wurde
endlich durch den Ungestüm der auf die Römer eindringenden
Elephanten zum Vortheil des Pyrrhus entschieden. Als Pyrr-
hus das Schlachtfeld in Augenschein nahm und die Leichen der
Römer betrachtete, die alle mit Wunden auf der Brust dalagen,
soll er gesagt haben: „Mit solchen Soldaten wäre die Welt
mein, und sie gehörte den Römern, wenn ich ihr Feldherr
wäre!" Auch ließ er die Todten mit den seinen bestatten;
den Gefangenen bot er an, unter ihm zu dienen, und als
sse sich weigerten, behandelte er sie dennoch mit der größten
Schonung.
56
Obschon der König den Sieg errungen hatte, sandte er
doch den Cineas, einen Mann von hinreißender Beredsamkeit,
nach Rom, um die Römer zum Frieden zu stimmen. Dieser
bot alle Kraft seiner Rede auf; der Senat war schwankend
und verbrachte mehrere Tage mit Berathungcn. Da ließ sich
der alte, blinde Appius Claudius, der seit Jahren den
Senat nicht mehr besucht hatte, auf einer Sänfte in den Se-
nat tragen, und schalt die Rathshcrren wegen ihrer Unschlüs-
stgkeit und Neigung zum Frieden. „Bis dahin/' sagte er,
„habe ich immer den Verlust meiner Augen beklagt, jetzt aber
wünsche ich auch noch taub zu sein, um so Unwürdiges nicht
hören zu müssen." Auf sein Betreiben wurde dem Cineas
befohlen, die Stadt zu verlassen, und seinem König zu sagen,
daß an Frieden und Freundschaft mit ihm nicht zu denken sei,
bevor er nicht Italien verlassen hätte. Der König erstaunte
über diese Antwort und soll den Cineas gefragt haben, wie
ihm die Stadt Rom und der Senat vorgekommen sei. „Mir
schien," antwortete Cineas, „die Stadt ein Tempel, der Senat
eine Versammlung von Königen zu sein."
Nach der Schlacht bei Heraclca drang Pyrrhus bis in
die Nähe von Rom vor, zog sich aber, ohne einen Angriff zu
unternehmen, wieder nach Tarent zurück. Um diese Zeit schickten
die Römer Gesandte zum Pyrrhus, um über die Auswechselung
der Gefangenen zu unterhandeln. Unter ihnen befand sich
Cajus Fabricius Luscinus, ein alter Senator, der mit
Wenigem zufrieden lebte, sein Vaterland liebte und Muth und
Entschlossenheit besaß. Der König empfing die Gesandten sehr
freundschaftlich und hoffte, daß sie ihn um Frieden bitten wür-
den, doch sie sprachen nur von der Auslösung der Gefangenen.
Dies Begehren schlug ihnen Pyrrhus zwar ab, unterredete sich
aber insgeheim mit dem Fabricius, um ihn für sich zu ge-
winnen. Allein der Römer verachtete des Königs Versprechungen
und Geschenke. Am folgenden Tage stellte Pyrrhus den Muth
des Fabricius auf die Probe. Er verbarg nämlich einen
Elephanten hinter einem Vorhang seines Zimmers. Auf ein
gegebenes Zeichen mußte das ungeheure Thier ein gräßliches
57
Gebrüll erheben und seinen Rüssel um den Kopf des Fabricius
schlingen. Aber der entschlossene Fabricius blieb unerschütterlich.
Lächelnd sagte er zum König: „So wenig mich gestern dein
Gold lockte, so wenig schreckt mich heute dein Elephant!"
Uni dem Fabricius einen Beweis seiner Hochachtung zu geben,
ertheilte er allen Gefangenen Urlaub, mit den Gesandten nach
Rom zu gehen und das Fest der Saturnalien zu feiern. Wenn
der Senat seine Friedensbedingungen annehme, sollten sie frei sein,
wo nicht, versprachen sie zurückzukehren. Und keiner von ihnen
blieb aus, als der Senat die Bedingungen verworfen hatte.
Auch die zweite Schlacht, bei Askulum in Apulien
<279 v. Chr.), gewann Pyrrhus, erlitt aber einen so bedeu-
tenden Verlust, daß er denen, welche ihm zu seinem Siege
Glück wünschten, erwiederte: „Noch einen solchen Sieg und
ich bin verloren!" Abermals sandte er den Cineas nach Rom,
um über den Frieden zu unterhandeln; dieser brachte alle
Gefangenen reichlich beschenkt und gekleidet; aber vergeblich
machte er bei Männern und Frauen die Runde und bot Ge-
schenke von Gold und Schmuck an, um die Gemüther für den
Frieden zu stimmen. Der Senat beschloß, nicht eher mit
Pyrrhus zu unterhandeln, bis er Italien verlassen hätte.
Im folgenden Jahre (278 v. Chr.) war Casus Fabricius
Cónsul und gab abermals einen Beweis seines edlen Sinnes.
Einst erhielt er einen Brief vom Leibarzte des Königs, worin
ihm dieser versprach, den Pyrrhus gegen eine ansehnliche Be-
lohnung zu vergiften. Aber Fabricius verabscheute diese Der-
rätherei. Er entdeckte die Sache dem König. Ueber diese
Redlichkeit erstaunt, rief Pyrrhus aus: „Es ist schwerer, den
Fabricius von seiner Rechtschaffenheit abzuwenden, als die
Sonne von ihrem Laufe!" Sogleich gab Pyrrhus alle römi-
schen Gefangenen, die er noch hatte, ohne Löscgcld frei, und
die Römer, um sich nicht an Großmuth übertreffen zu lassen,
schickten ihm eben so viel Gefangene zurück.
Da Pyrrhus keine Hoffnung mehr hatte, den Krieg auf
eine für ihn rühmliche Weise zu endigen, so kam ihm eine
Einladung der Syrakusaner, die ihn gegen die Karthager zu
3**
58
Hülfe riefen, höchst willkommen. Hier war er anfangs glück-
lich ; zuletzt nahm aber der Krieg eine so ungünstige Wendung
für ihn, daß er auf den Wunsch der Tarentiner nach Italien
zurückkehrte.
Hier übernahm Curius Dentatus den Oberbefehl über
das römische Heer. Dieser Mann war ein vollkommenes Muster
von Mäßigkeit und freiwilliger Armuth. Einst kamen Gesandte
der Samniter zu ihm, um ihn durch Geschenke für sich zu
gewinnen. Sie fanden ihn, als er gerade am Heerde saß und
sich selbst sein Rübengericht kochte. Trotz seiner Armuth wies
er die Geschenke zurück, indem er sagte, es sei angenehmer
über solche, welche Gold besäßen, zu herrschen, als selbst Gold
zu besitzen. Nur zwei Reitknechte begleiteten ihn ins Feld,
und seine Töchter mußten auf Staatskosten ausgestattet werden.
Diesem Feldherrn gelang es endlich, den Pyrrhus zu schlagen
und aus Italien zu vertreiben. Er hatte bei Beneventum eine
feste Stellung eingenommen, als ihn Pyrrhus angriff (275
v. Ehr.). Die Römer empfingen aber die Elephanten mit
Brandpfeilen, die mit Werg und Theer umwickelt und mit
Widerhaken versehen waren, und warfen diese ungeheuren Thiere
auf das eigene Heer des Pyrrhus zurück, wo sie völlige Ver-
wirrung und Flucht anrichteten. Jetzt mußte sich Pyrrhus
entschließen, Italien zu verlassen; er kehrte mit wenigen Reitern
nach Tarent zurück und schiffte bald nach Epirus über.
Sein unruhiger, streitlustiger Sinn trieb ihn in neue
Kriege. Einst drang er bei dunkler Nacht in die Stadt Ar-
gos im Peloponnes ein; es entstand ein Straßenkampf, und
Pyrrhus ward von einem Stein, den eine alte Frau auf ihn
schleuderte, tödtlich getroffen (272 v. Ehr.). In dem Jahre
seines Todes mußte sich Tarent an die Römer ergeben, die
nun in einigen Jahren sich ganz Süditalien unterwarfen.
59
XIX.
Cajus Duilius. M. Attilius Regulus.
Ganz Italien gehorchte den Römern, als sie zuerst mit den
Karthagern auf Sicilien in feindliche Berührung kamen. Aus
dieser Insel hatten sich ehemalige Miethstruppcn, die Mamer-
tiner, der Stadt Messana bemächtigt und wurden nun von den
Karthagern hart bedrängt. Sie riefen die Römer zu Hülfe
und diese nahmen den Antrag an. So wurde denn das erste
römische Heer auf schlechter: Fahrzeugen nach Sicilien über-
gesetzt und es entbrannte der langwierige und blutige Krieg,
der, weil er gegen die Karthager oder Punier geführt ward,
der erste Panische genannt wird (264—241 v. Chr.).
In diesem Kampf erkannten die Römer das Bedürsniß
einer Seemacht und mit bewundernswürdiger Thätigkeit er-
bauten sie in 60 Tagen eine Flotte von 100 größeren und
ZO kleineren Schiffen, wobei ihnen ein gestrandetes Karthagi-
sches Fahrzeug zum Muster diente. Den Oberbefehl über die
Flotte erhielt Cajus Duilius. Er sah ein, daß die römi-
schen Schiffe von den feindlichen an Geschwindigkeit der Be-
wegungen übertroffen wurden, und suchte diesem Uebelstande
abzuhelfen, indem er an den römischen Schiffen die Enterma-
schine anbrachte. Auf jedem Schiff ward vorn ein 24 Fuß
hoher Mast aufgeschlagen und daran eine 36 Fuß lange und
4 Fuß breite Leiter befestigt, die man vermittelst eines Taues
und Schraubenwerks auf das feindliche Schiff herabließ und
mit einer eisernen Spitze auf dem Verdeck desselben einhcstete,
so daß die Soldaten von ihrem auf das feindliche Schiff hin-
überstcigen und dann wie zn Lande streiten konnten.
Nachdem Duilius mit dieser Vorrichtung fertig war, fuhr
er auf Mvlä zu, auf der Nordküste der Insel, wo damals die
Karthagische Flotte stand und die Küste verheerte. Sobald die
Feinde seiner ansichtig wurden, zogen sie ihm mit 130 Schiffen
entgegen, in solcher Siegeszuversicht, daß sie nicht einmal eine
60
Schlachtordnung bildeten. Die dreißig Schiffe, welche zuerst
angriffen, wurden alsbald von den Enterhaken ergriffen und
versenkt, oder erobert. Zuletzt flohen die Karthager nach be-
deutendem Verluste. Dublins feierte in Rom den ersten Triumph
wegen eines Seesieges. Auch wurde ihm für sein ganzes Leben
die Auszeichnung bewilligt, daß er sich Abends, wenn er von
Gastmählern heimkehrte, mit einer Fackel vorleuchten und mit
der Musik eines Flötenspielers begleiten lassen durfte. Auf dem
Forum wurde eine marmorne, mit den Schnäbeln der eroberten
Schiffe verzierte Säule ausgestellt, die noch jetzt erhalten ist
(260 v. Ehr.).
Im weiteren Verlaufe des Krieges zeichnete sich Marcus
Attilius Regulus durch Kühnheit und seltene Vaterlands-
liebe im Glück und Unglück aus. Nachdem er beim Berge
Eknomus all der Südküste von Sicilien die Karthager geschlagen
hatte (257 v. Ehr.), setzte er mit der Flotte nach Afrika über,
um die Feinde im eigenen Lande zu bekriegen. Er landete
glücklich und drang siegreich vor. Einst schlug er am Flusse
Bagradas ein Lager auf, als die Soldaten, die am Flusse
Wasser holten, auf eine ungeheure Schlange trafen, welche
120 Fuß lang war und die sich Nähernden entweder verschlang
oder mit ihrem giftigem Odem todtete. Alle Wurfgeschosse
prallten von dem schuppigen Rücken des Ungethüms ab. Zu-
letzt führte man schwere Ballisten heran und zertrümmerte den
Rückgrat der Schlange. Die abgezogene Haut des Thieres
wurde nach Rom geschickt.
Regulus eroberte in Afrika viele Städte und bedrängte
die Karthager so sehr, daß sie mit den Römern Frieden ge-
schlossen haben würden, wenn nicht die Bedingungen des Regulus
zu hart gewesen wären. Als die Gesandten um mildere Be-
dingungen flehten, antwortete er ihnen, sie sollten siegen oder
den Siegern gehorchen, und an den römischen Senat schrieb er:
„Ich habe die Thore Karthago's mit Schrecken versiegelt."
Aber plötzlich änderte sich die Lage der Dinge, ckan-
thippus war den Karthagern von Sparta aus zu Hülfe
geschickt, ein erfahrener Feldherr, der das gesunkene Glück
61
Karthago's einigermaßen wieder aufrichtete. Nach einem hart-
näckigen Treffen überwand er den Regulus, nahm ihn gefangen
und führte ihn nach Karthago, wo er fünf Jahr lang im
Kerker schmachtete.
Mittlerweile wurde der Krieg zwischen Rom und Karthago
mit abwechselndem Glücke fortgesetzt, bis endlich die erschöpften
Karthager den Frieden wünschten. In der Person des Regulus
glaubten sie einen Vermittler desselben zu finden. Sie schickten
ihn daher nach Rom, um den Frieden zu bewirken, vorher
aber ließen sie ihn schwören, daß er zurückkehren wolle, wenn
er nicht im Stande wäre etwas auszurichten. Regulus kam
nach Rom und benachrichtigte den Senat von den Aufträgen
der Karthager. Aber weit entfernt, den Senat zu überreden,
rieth er vielmehr das Gegentheil. Er verwarf den Frieden,
weil Karthago jetzt schon so geschwächt war, daß es bald gänz-
lich zu Grunde gerichtet werden konnte. Der Senat billigte
diese Meinung, wünschte aber zugleich den edelmüthigen Re-
gulus zu retten. Allein dieser gedachte seines Eidschwures.
Vergebens baten ihn seine Freunde, in Rom zu bleiben, ver-
gebens sprachen ihn die Priester von seinem Eide los. Ja er
vermied sogar seine Frau und seine Kinder zu sehen, um nicht
von ihren Thräncn erweicht zu werden. Er kehrte nach Kar-
thago zurück, wohin ihn seine Pflicht ries.
Als die Karthager hörten, daß Regulus selbst gegen ihre
Aufträge gestimmt hatte, wurden sie äußerst aufgebracht und
tödteten ihn durch die schrecklichsten Martern. Sie schnitten
ihm zuerst die Augenlider ab, warfen ihn so in einen finstern
Kerker und führten ihn dann in die Sonne. Hieraus legten
sie ihn in einen hölzernen Kasten, der mit spitzigen Nägeln
inwendig ausgeschlagen war und ließen ihn darin langsam
sterben. — Es ist jedoch wahrscheinlich, daß das Ganze eine
Erdichtung der Römer ist, die dadurch ihre eigenen Grausam-
keiten zu beschönigen, oder ihren Haß gegen Karthago zu
rechtfertigen suchten.
Der Krieg zwischen Rom und Karthago dauerte noch neun
Jahre. In dieser letzten Zeit hatten die Karthager einen aus-
62
gezeichneten Feldherrn an H a m i l c a r B a r c a s, der sich in
der größten Bedrängniß, beim gänzlichen Mangel aller Hülfs-
mittel auf eine bewundernswürdige Weise vertheidigte. End-
lich aber mußte er sich zum Frieden verstehen; die Karthager
traten Sicilien ab, welches die erste römische Provinz ward,
und zahlten 3200 Talente.
XX.
H a n n i b a l.
1. Hannibal's erstes Auftreten.
Einige Jahre nach dem ersten Punischen Kriege ging Ha-
milcar Barcas, ein unversöhnlicher Feind der Römer, nach
Spanien, um dürch die Reichthümer und großen Hülfsmittel
dieses Landes seinem erschöpften Vaterlande wieder aufzuhelfen
und neue Kräfte gegen Rom zu gewinnen. Als er im Begriff
war abzureisen, bat ihn Hannibal, sein Sohn, ein Knabe
von ungefähr neun Jahren, ihn auf diesem Zuge begleiten zu
dürfen. Der Vater versprach es und suchte zugleich das Herz
seines Sohnes niit unaustilgbarem Hasse gegen Rom zu er-
füllen. Er führte ihn vor den Altar, auf welchem er eben
opferte. Alle Zeugen wurden entfernt. Dann hieß er seinen
Sohn den Altar umfassen und schwören, daß er zeitlebens ein
Feind der Römer sein wolle. Hannibal that es und nie ist
ein Schwur treuer gehalten worden. Nach abgelegtem Eid-
schwur ging er mit seinem Vater nach Spanien, wo er sich
zum Krieger bildete.
Neun Jahre lang focht Hamilcar in Spanien mit großem
Glück, machte im Süden und Westen des Landes reiche Erobe-
rungen und fiel in einer Schlacht. Den Karthagern hatte er
neue Besitzungen und unermeßliche Schätze erworben. Nach
seinem Tode übernahm sein Eidam Hasdrubal den Ober-
befehl und setzte die kriegerischen Unternehmungen mit großem
63
Glücke fort. Die Römer wurden über diese Fortschritte so
besorgt, daß sie in einem Vertrage mit Hasdrubal den Ebro
als Grenze der Karthagischen Eroberungen feststellten und die
Stadt Sagunt in ihren Schutz nahmen. Zur Befestigung der
Karthagischen Herrschaft legte Hasdrubal in der Nähe reicher
Silberbergwcrke die Stadt Neukarthago an.
Hannibal war nach des Vaters Tode nach Karthago
zurückgekehrt; Hasdrubal ließ ihn wieder zu sich kommen und
erzog ihn unter den Soldaten. Acht Jahre hatte Hasdrubal
den Oberbefehl in Spanien geführt, als er von einem Einge-
bornen ermordet wurde. Jetzt rief das Heer den jungen Han-
nibal als Feldherrn aus, und der Senat und das Volk zu
Karthago bestätigte die Wahl.
Im Lager aufgezogen war Harmibal der Liebling des
Heeres; die alten Krieger sahen in ihm seines Vaters Ebenbild;
dieselbe Lebhaftigkeit des Blickes, dasselbe Feuer in den Augen,
dieselbe Gesichtsbildung, dieselben Züge gewahrten sie. Sein
Geist war zum Gehorchen und Befehlen gleich geschickt. Wenn
eine Unternehmung Muth und Rüstigkeit erforderte, stellte schon
^Hasdrubal ihn am liebsten an die Spitze, und unter keinem
Führer hatten die Krieger mehr Vertrauen und Siegeszuversicht.
Mit der größten Kühnheit ging er in Gefahren, mit der größ-
ten Besonnenheit benahm er sich mitten in denselben; durch
keine Beschwerde konnte sein Körper ermüdet, sein Geist gebeugt
werden. Hitze und Kälte ertrug er mit gleicher Ausdauer, in
Speise und Trank war er mäßig und zum Schlafe gönnte er
sich nur die Zeit, die ihm die Geschäfte übrig ließen. Dazu
bedurfte er keines weichen Lagers, noch der Stille der Nacht,
und oft sahen ihn seine Krieger, mit einem kurzen Fcldmantel
bedeckt, zwischen den Wachen und Posten auf dein Boden liegen.
Seine Kleidung war von der seiner Genossen in Nichts unter-
schieden, nur Waffen und Rosse kündigten den Fcldherrn an.
Er war bei weitem der beste Reiter, wie der beste Fußgänger.
Als Vorderster ging er in s Treffen, als Letzter kehrte er zurück.
Aber neben diesen großen Vorzügen besaß er auch gewaltige
Fehler: unmenschliche Grausamkeit, maßlose Treulosigkeit; Nichts
64
war ihm heilig, er kannte keine Furcht der Götter, keinen Eid,
kein Gewissen.
Mit solchen Tugenden und solchen Fehlern trat Hannibal
an die Spitze des Heeres.
Hasdrubal hatte den Vertrag mit den Römern, die Stadt
Sagunt nicht anzugreifen, treulich gehalten; Hannibal küm-
merte sich nicht darum; durch Eroberung suchte er Karthago's
Gebiet zu erweitern und schritt zur Belagerung von Sagunt.
Als die Römer von der Bedrängniß der mit ihnen verbündeten
Stadt hörten, ordneten sie eine Gesandtschaft an Hannibal ab,
um ihn an den Vertrag zu erinnern. Doch dieser ließ sie gar
nicht vor sich und erklärte, daß er in so entscheidender Stunde
keine Zeit habe, Gesandtschaften anzuhören. Ebenso erfolglos
war diese Gesandtschaft in Karthago. Inzwischen erfuhren die
Saguntiner alle Schrecken einer Belagerung und leisteten den
heldenmüthigsten Widerstand; erst nach einer achtmonatlichen
Einschließung und Bestürmung konnte Hannibal in die Stadt
einziehen. Als den Saguntinern alle Hoffnung verschwunden
war, brachten die Vornehmsten Silber und Gold aus ihren
Häusern auf den Markt, warfen es in ein zu diesem Zwecke
angeschürtes Feuer und stürzten sich gleichfalls hinein. Schrecken
und Bestürzung bemächtigte sich der ganzen Stadt, als noch
überdies ein Thurm einstürzte und Hannibal mit gesammter
Macht eindrang und die Stadt eroberte. Alle Wehrhaften
wurden getödtet, viele hatten sich mit Weib und Kind in ihre
Häuser verschlossen und diese über ihren Häuptern verbrannt.
Die Beute in der eroberten Stadt war beträchtlich.
Als die Stadt erobert war, schickten die Römer abermals
Gesandte nach Karthago, an deren Spitze Quintus Fabius
stand. Diese hatten den Auftrag, die Auslieferung Hannibals
zu fordern, oder, wenn diese verweigert würde, den Krieg an-
zukündigen. Der Senat in Karthago war in zwei Parteien
getheilt, und konnte keinen entscheidenden Entschluß fassen. Er
suchte daher Ausflüchte zu machen, allein Quintus Fabius
forderte eine bestimmte Erklärung. Indem er mit seiner Toga
einen Busen fckltete, sagte er: „Hier ist Krieg und Frieden;
65
nehmt was ihr wollt!" — „Wir nehmen," antworteten die
Karthager, „was ihr uns gebt." — „So nehmt den Krieg!"
erwiderte Fabius und entfaltete sein Toga, gleich als ob er
Waffen und Krieger herausschüttete.
So wurde der zweite Punische Krieg angekündigt, der
siebzehn Jahre (218—201 v. Chr.) dauerte, Italien, Spanien
und Afrika verwüstete, Rom an den Rand des Verderbens
brachte und zuletzt mit der Niederlage der Karthager endete.
2. Hanmbal's Zug nach Italien.
Hannibal hatte sich nach der Eroberung von Sagunt in
die Winterquartiere begeben. Hier entbot er feine Krieger zu
sich und machte sie mit seinem Plan, in ferne Lande zu ziehen,
bekannt. Um ihnen aber Zeit zu geben, sich von den früheren
Beschwerden des Kriegs zu erholen und ihre Familien wieder-
zusehen, ertheilte er allen Soldaten Urlaub, mit dem Befehl,
mit dem Anbruch des Frühlings wieder einzutreffen. Nachdem
Hannibal im Frühjahr die Truppen aller Völkerschaften ge-
mustert hatte, ließ er, um Spanien zu behaupten, ein Heer
von beinahe 15000 Mann und eine Flotte von 60 Schiffen
unter dem Befehl seines Bruders Hasdrubal zurück. Ein
anderes, größtentheils aus Spaniern bestehendes Heer von nahe
an 16000 Mann schickte er nach Afrika, um theils als Besatzung
von Karthago zu dienen, theils im Karthagischen Gebiet ver-
theilt zu werden. Er selbst brach mit 90000 Mann Fußvolk,
12000 Reitern und 37 Elephanten nach dem Ebro auf.
Aus diesem Zuge erschien ihm einst, wie die Sage geht,
im Schlaf ein Jüngling von göttlicher Gestalt, welcher sagte:
„Ich bin von Jupiter dir als Wegweiser nach Italien ge-
sandt; folge mir und wende nach keiner Seite hin die Augen
von mir ab." Anfangs folgte Hannibal schüchtern, nirgends
um oder hinter sich blickend; dann aber konnte er aus mensch-
licher Aengstlichkeit, was das wohl sein möge, wonach er sich
nicht umsehcn sollte, seine Augen nicht mehr beherrschen. Er
66
sah hinter sich eine Schlange von wundersamer Größe her-
sckießen, Bäume und Gesträuche weitum Niederschlagen und
hinterher einen Platzregen mit Donnerschlägen; auf seine Frage,
was das für ein Ungethüm sei, oder was das Zeichen bedeute,
erhielt er zur Antwort: „Das sei die Verwüstung Italiens;
er solle nur vorwärts gehen, nicht weiter fragen und das
Schicksal in seinem Dunkel ruhen zu lassend'
Froh über dieses Gesicht setzte er über den Ebro und
bezwang die Völkerschaften zwischen diesem Fluß und den Py-
renäen. Um die Pässe dieses Gebirgs und die neu eroberten
Landschaften zu hüten, ließ er den Hanno mit 11000 Mann
zurück, und schickte noch andere 11000 Mann, welche die
Furcht vor einem Kriege mit Rom entmuthigt hatte, nach
Hause. Ihm selbst blieben damals 50000 Mann zu Fuß
und 9000 Reiter. Die Völker des südlichen Galliens gewann
er durch List und Geschenke, und schon im Beginn des Herbstes
stand er an der Rhone, als man in Rom vernahm, er habe
den Ebro überschritten.
Auf beiden Seiten der Rhone wohnten bie Volken, ein
mächtiger gallischer Volksstamm. Im Gefühle ihrer Schwäche,
die Punier abwehren zu können, hatten sich alle auf das jen-
seitige Ufer begeben, um an dem Strome ein Bollwerk zu ha-
ben. So erwarteten sie bewaffnet die Ankunft der Karthager.
Die übrigen Anwohner des Stromes und viele von den Vol-
ken hatte Hannibal durch Geschenke gewonnen, daß sie Schiffe
von allen Seiten zusammenbrachten und zimmerten, um nur
recht bald von dem Druck einer so großen Menschenmenge be-
freit zu werden. So kam denn eine ungemeine Menge von
Schiffen und Kähnen und ansgcholten Baumstämmen zusam-
men, und Alles war zum Uebersetzen in Bereitschaft. Aber
auf der anderen Seite standen die Feinde, die zu Pferd und
zu Fuß das ganze Ufer inne hatten. Um sie wegzubringen,
ließ Hannibal den Hanno mit einem Theil des Heeres eine
Tagereise weit am Fluß hinaufziehen und dort an einer geeig-
neten Stelle den Uebergang über den Fluß bewerkstelligen.
Hanno führte den Befehl pünktlich aus. Auf Flößen und
67
Baumstämmen setzte er Roß und Mann und alles Ucbrige hin-
über. Die Spanier steckten ihre Kleider in Schläuche, legten
sich darauf und schwammen ohne weitere Vorkehrung hinüber.
Am andern Ufer schlug Hanno ein Lager auf, hielt einen
Rasttag und gab dem Hannibal durch Rauch ein Zeichen, daß
das Heer über den Fluß gegangen und nicht weit entfernt sei.
Als Hannibal dies erfuhr, gab er, um den günstigen Augen-
blick nicht zu verlieren, Befehl zum Uebersetzen. Der Zug von
Schiffen, auf welchen die Reiter mit ihren meist nebenher
schwimmenden Pferden weiter oben hinüberfuhren, verschaffte
den weiter unten überfahrenden Nachen, auf welchen sich das
Fußvolk befand, ruhiges Wasser. Ein großer Theil der Pferde
wurde schwimmend vom Hintertheile aus an Riemen nachge-
zogen; viele waren gesattelt und gezäumt eingeschifft worden,
um bei dem ersten Tritt auf das Ufer gleich gebraucht zu wer-
den. Die Gallier stürzten gegen das Ufer mit vielstimmigem
Geheul und ihrem gewohnten Schlachtgesange, die Schilde
über dem Haupte zusammcnschlagend und in der Rechten den
Speer schwenkend. Gegenüber aber setzte sie die große Menge
der Schiffe bei dem gewaltigen Rauschen des Stromes, das
verworrene Geschrei der Schiffer und Krieger in Schrecken.
Plötzlich wurden die Gallier von einem noch furchtbareren Ge-
schrei in ihrem Rücken angefallen, da Hanno ihr Lager ein-
genommen hatte. Bald war er selbst auch da und von zwei
Seiten umlagerte sie der Schrecken, indem theils aus den
Schiffen eine so große Menge Bewaffneter an's Land sprang,
theils im Rücken ein unerwartetes Heer auf sie eindraug. Die
Gallier suchten nach beiden Seiten hin zu widerstehen, wurden
aber zurückgeschlagen und flohen, wo nur ein Durckkommen
war, angstvoll und zerstreut in die Dörfer. Hannibal schiffte
den übrigen Theil des Heeres hinüber und schlug in Ruhe
ein Lager auf.
Ganz eigenthümlich war die Art, wie Hannibal die Ele-
phanten über die Rhone setzen ließ. Ein 200 Fuß langes
und 50 Fuß breites Floß streckte man vom Lande aus in den
Fluß, das, um nicht vom Strom fortgerissen zu werden, durch
68
mehrere starke Taue an das obere Ufer festgebunden war. Die-
ses Floß wurde gleich einer Brücke mit aufgeschütteter Erde be-
legt, damit es die Thiere ohne Scheu wie festes Land beträten.
Ein zweites Floß, eben so breit, 100 Fuß lang und zur
Ueberfahrt eingerichtet, wurde an jenes angebunden. Wenn
nun die Elephanten über das feststehende Floß, wie auf einer
Straße, den vorausgehenden Weibchen nach, auf das zweite
kleinere Floß, das an das erste angebunden, hinübergegangen
waren, so wurden sogleich die Taue gelöst, und das Floß
von mehreren Ruderbooten an das andere Ufer gezogen. So
lange sie auf dem ersten Floß wie auf einer breiten Brücke
gingen, blieben sie ruhig; dann erst zeigten sie Angst, wenn
das zweite Floß abgelöst war und mit ihnen in die Mitte des
Flusses trieb. Da drängten sie sich vom Wasser weg zusam-
men und verursachten ziemliche Störung, bis endlich die Furcht
selbst sie ruhig machte.
Um die Zeit, wo Hannibal über die Rhone ging, stand
der römische Feldherr P u b l i u s Cornelius Scipio an der
Mündung dieses Stromes. Ein Reitergeschwader, das er den
Fluß hiaufsandte, um Erkundigungen über den Standort und
die Zahl des feindlichen Heeres einzuziehen, traf auf eine zu
gleichem Zweck ausgeschicktc Abtheilung Numider. Es kam zu
einem sehr hitzigen Gefecht, indem sich der Sieg endlich auf die
Seite der Römer neigte. Dieses Gefecht war eine Vorbedeu-
tung für den Verlauf und Erfolg des ganzen Krieges, und
versprach den Römern zwar einen endlichen Sieg, aber erst nach
langen, blutigen und unentschiedenen Kämpfen.
Don der Rhone aus zog Hannibal mehr landeinwärts
und gelangte an die Dürance, einen Nebenfluß der Rhone, der
nur mit der größten Schwierigkeit überschritten ward. Ohne
weiter von den Galliern angefochten zu werden, kam das Heer
am Fuße der Alpen an.
Jetzt aber erfüllten die gewaltigen Berghöhen, die him-
melanreichenden Schneemassen, die an den Felsen hängenden
unförmlichen Hütten, die vor Kälte zusammengeschrumpsten
Rinder und Lastthiere, die struppigen und schmutzigen Menschen,
69
die ganze von Frost starrende Natur, kurz Alles erfüllte das
Heer mit Schrecken. Als die Punier die vordersten Höheu
hinanklimmcn wollten, zeigten sich die Bergbewohner auf den
Höhen gelagert, die sie nur zur Nachtzeit verließen. Hannibal
drang mit Tagesanbruch bis an den Fuß der Anhöhen; mit
einbrechcnder Nacht zündete er zahlreiche Wachtfeuer an, zog mit
den besten Truppen, die ihr Gepäck zurückließen, voran und
besetzte die Höhen, welche am Tage der Feind inne gehabt hatte.
Mit dem frühesten Morgen begann dann auch das übrige Heer
seinen Marsch. Schon eilten die Bergbewohner auf ein Zeichen
an den gewohnten Posten, als sie plötzlich einen Theil der
Feinde, im Besitze ihres Bollwerkes, über ihren Häuptern stehen,
die anderen auf der Straße vorüberziehcn sahen. Jetzt hatten
die Punier zugleich mit dem Feinde und der Ungunst des Orts
zu kämpfen. Die Pferde wurden durch das mißtönende Ge-
schrei, von dem Wälder und Thäler wiederhallten, scheu, und
warfen, besonders wenn eins verwundet ward, Menschen und
Gepäck jeder Art zu Boden. Biele wurden im Gedränge in
unermeßliche Tiefen hinabgestoßen, und gleich einer großen La-
wine rollten die Packthiere mit ihrer Last hinunter. Bei die-
sem gräßlichen Anblick hielt Hannibal eine Weile still und hielt
seine Leute zurück, um nicht das Getümmel und Gedränge zu
vermehren. Als die Feinde den Zug der Punier zu durch-
brechen drohten, eilte Hannibal von seiner Anhöhe herab und
vertrieb die Bergbewohner, deren Flucht nun die Wege frei
machte, so daß bald Alle in Ruhe und Stille durchgcführt wurden.
Mit den erbeuteten Speisen und Rindern nährte Hannibal drei
Tage lang sein Heer, und legte in dieser Zeit ungehindert eine
bedeutende Strecke Weges zurück.
Bon da kam das Heer zu einem anderen Stamm von
Bergbewohnern, die sich freundlich gegen Hannibal stellten,
Speise brachten und Geißeln gaben, aber durch List und Hin-
terhalt das Heer beinahe zu Grunde gerichtet hätten. Denn
kaum befand sich dieses in einem schmaleren Wege am Ab-
hange einer Berghohe, so brachen die Eingebornen überall aus
ihrenl Hinterhalte hervor, griffen von allen Seiten an und
70
wälzten große Felsstücke auf den Zug hinab; die große Menge
drängte vom Rücken her. Zwar wandte sich das schlagfertige
Fußvolk gegen sie, während Elephanten und Reiter voran wa-
ren; da aber Hannibal zögerte, in den Engweg einzuziehen,
durchbrachen die Feinde die Mitte des Zuges, und besetzten den
Weg, so daß Hannibal mit dem Fußvolk von seiner Reiterei
und dem Gepäcke abgeschnitten war. Am folgenden Tage, wo
die Angriffe der Feinde nachlicßen, vereinigte sich das Heer
wieder, und der Engpaß wurde nicht ohne Verlust an Menschen
und besonders an Lastthicren zurückgelegt.
Am neunten Tage des Zuges wurde die Spitze der Alpen
erreicht. Hier ließ Hannibal das Heer lagern, und gönnte den
von Arbeit und Kampf ermüdeten Truppen zweitägige Rast.
Müde und so vielen Ungemachs überdrüssig, geriethen sie jetzt
durch den dichtfallenden Schnee in ungeheure Angst. Als mit
dem frühesten Morgen das Lager aufbrach und der Zug über
die ganz mit Schnee bedeckte Gegend sich fortbewegte, und
Verdrossenheit und Verzweiflung auf allen Gesichtern zu lesen
war, da ließ Hannibal seine Krieger halten und zeigte ihnen
von einem Bergvorsprunge aus Italien und die am Fuß des
Po liegenden Gefilde. Aber der Weg hinab war weit schwie-
riger als herauf, denn der ganze Weg war jäh, eng und
schlüpfrig. Wer nur wankte, konnte sich des Falles nicht er-
wehren, und wer hingestürzt war, konnte sich nicht auf seiner
Stelle halten, Menschen und Vieh sanken eins über das an-
dere hin.
Auf einmal kamen sic an eine schmale Felsenwand, wo
die von Natur schon jähe Stelle durch einen frischen Erdfall
zu einer Tiefe von wohl tausend Fuß abgerissen war. Hier
hielt der Marsch an, denn kaum ein unbelasteter Krieger hätte
sich, an Gesträuchen und Wurzeln sich festhaltend, hier hin-
unterlassen können. Einen anderen Weg aber einzuschlagen
war unmöglich, weil weder Menschen noch Thiere aus dem
flüssigen Schnee und der darunter liegenden Eisdecke sich fort-
bewegen konnten. Da mußte man sich entschließen, über die
steile Felsenwand einen Weg zu bahnen. Die Krieger errichteten
71
aus gefällten Bäumen einen ungeheuren Holzstoß und zün-
deten ihn an; dann machten sie das glühende Gestein durch
aufgegossenen Essig mürbe. Den ausgebrannten Felsen sprengten
sie mit eisernen Werkzeugen und ließen durch kleine Krümmun-
gen den Pfad so sanft hinablaufen, daß nicht nur die Last-
thiere, sondern auch die Elephantcn hinabgcführt werden konnten.
Während dieser Zeit wurden die Thiere beinahe vom Hunger
aufgerieben. Bald aber kam das Heer in mildere und angc-
baute Gegenden und stieg endlich vollends in die Ebene hinab,
in ein wärmeres Klima und zu gesitteteren Menschen.
Auf diese Weise kam Hannibal in fünf Monaten seit dem
Ausbruche von Neukarthago in Italien an, und hatte die
Alpen in fünfzehn Tagen überstiegen*). Von seinem großen
Heere waren ihm noch 26000 Mann und einige Elephantcn
übrig geblieben.
3. Hannibaüs Siege am Ticinus und an der Trebia (218 v. Chr.)
Anfangs hatten die Römer die Absicht, den Krieg gegen
die Karthager in Spanien und Sicilicn zu führen. Sie sandten
daher den Consul Titus Sempronius mit der größeren
Hceresmacht, 24000 Mann zu Fuß, 1800 Reitern und 160
Kriegsschiffen nach Sicilien; der andere Consul, Publius Cor-
nelius Scipio, erhielt Befehl, mit 22000 Mann zu Fuß,
1600 Reitern und 60 Schissen einen Angriff auf Spanien zu
unternehmen. Aber Hannibal kam den Römern zuvor. Schon
stand er an der Rhone, als Scipio auf seiner Fahrt erst an
der Mündung derselben angekommen war, wo er dann die
Nähe des Feindes erfuhr, und das bereits erwähnte Reiterge-
fccht vorfiel. Nun änderre Scipio seinen Plan; er sandte mit
dem größeren Theile des Heeres seinen Bruder nach Spanien
und zog mit dem übrigen in die Gegenden des Po zurück,
*) Hannibal ging entweder über den kleinen Bernhard oder über
den Mont Gerievre.
72
um die Ankunft der Feinde in Italien zu erwarten. Hannibal
hatte nach dem Uebcrgange über die Alpen seinem Heere wenig
Rast gegönnt und war rasch bis an den Ticinus, einem
Nebenfluß des Po. vorgedrungen.
Als beide Heere einander nid)t mehr fern waren, zogen
eines Tages beide Feldherren, von ihrem Reitergeschwader be-
gleitet, aus, um die Gegend und die Stellung des Feindes
auszukundschasten. An den aufsteigenden Staubwolken erkannte
jeder des andern Nahe, und die Heere wurden in Schlacht-
ordnung gestellt. Scipio stellte die Wurfschützen und die Gal-
lischen Reiter in die Fronte, die Römischen und den Kern der
Bundesgenossen in das Hintertreffen, so daß Reiterei und Fuß-
volk hier unternüscht standen. Hannibal nahm einen Theil der
Reiter in die Mitte, bildete aus dem Kern des Heeres eine
Masse, und stellte die leichte Numidische Reiterei an den Flü-
geln auf.
Hannibal hatte zuvor seine Krieger ermuntert; den Gal-
lischen Bundesgenossen, die von den Römern abgefallen und
zu ihm übergegangen waren, hatte er Geld und Gut, den
Sclaven die Freiheit verheißen, so daß Alle von Kampflust
beseelt waren. Die Römer dagegen hatte ein ungünstiges Vor-
zeichen in Angst gesetzt: ein Wolf war ins Lager gedrungen,
hatte die, welche sich ihm in den Weg stellten, zerrissen und
war dann unversehrt entronnen.
Als nun das Feldgeschrei erhoben wurde, flohen die
Wurfschützen sofort durch das Hintertreffen in die zweite Linie.
Nun nahm die Reiterei den Kampf auf und führte ihn eine
Zeit lang unentschieden fort, bis die aus den Flügeln stehenden
Numider durch eine kleine Schwenkung sich im Rücken zeigten.
Dieser Schrecken schlug den Muth der Römer nieder, und ihre
Angst wuchs, da jetzt auch der Cónsul verwundet niederstürzte
und getödtet worden wäre, wenn nicht sein Sohn, der nachher
so berühmt geworden Scipio Africanus — oder nach Anderen
ein treuer Sclave — ihn gerettet hätte. Die Reiterei nahm den
Verwundeten in die Mitte und brachte ihn in's Lager zurück.
Da die Ueberlegenhcit Hannibals in Reiterei bestand,
73
so führte Scipio in der folgenden Nacht sein Heer ungestört
über den Po nnd nahm am Flusse Trebia eine feste Stellung
ein, in einer Gegend, wo Hügel und Wald die Bewegungen
der Reiterei hinderte. Hieher führte der andere Consul, der
auf die erste Nachricht von der verlorenen Schlacht aus Sicilien
abgerufen worden war, sein Heer zur Verstärkung herbei. Aber
zwischen den beiden Consuln herrschte beständig Zwietracht, in-
dem Sempronius aus eine entscheidende Schlacht drang, während
Scipio sich vom Zögern Vortheil versprach. Ihre Uneinigkeit
gewahrte Hannibal, der dem geschlagenen Heere alsbald nach-
gezogen war und auf der rechten Seite der Trebia sein Lager
genommen hatte. Als er von seinen Kundschaftern erfahren,
daß die Römer zum Kampf bereit wären, wählte er einen
Ort zum Hinterhalt. In der Nähe seines Lagers war ein
Bach auf beiden Seiten von einem sehr hohen Ufer einge-
schlossen und ringsum mit Gesträuchen und Dornbüschen besetzt,
so daß dieses Gehölz zum Verstecken von Reiterei Schlupfwin-
kel genug darbot. Darin versteckte Hannibal den Mago mit
1000 auserlesenen Reitern und eben so vielen Fußsoldaten.
Nun hieß Hannibal mit Tagesanbruch seine Numidischcn
Reiter über die Trebia setzen, vor den Thoren des feindlichen
Lagers herumreiten und den Feind zum Kampf herauslocken.
Wenn dieser begonnen hätte, sollten sie sich durch allmähliges
Weichen über den Fluß zurückziehen. So wie sie sich zeigten,
führte Sempronius seine ganze Reiterei, dann 6000 Mann zu
Fuß, endlich sein ganzes Heer zum Kampfe heraus. Es war
ein kalter schneeiger Tag; Roß und Mann wurden, ohne vor-
her durch Speise gestärkt zu sein, ohne Verwahrungsmittel ge-
gen die Kälte, in's Treffen geführt, hatten keine innere Wärme
und wurden von der Flnßluft scharf angeweht. Als sie aber
auf der Verfolgung der fliehenden Numider sogar ins Wasser
gingen, das ihnen bis an die Brust reichte, starrten ihnen
vollends die Glieder, daß sie kaum die Waffen zu halten ver-
mochten, und der Ermattung und dem Hunger erlagen.
Dagegen hatten Hannibals Krieger Feuer vor den Zelten
angezündet, ihre Glieder mit Oel geschmeidig gemacht und in
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Aufl. 4
74
Ruhe gegessen. Rüstig an Leib und Seele ergriffen sic die
Waffen und rückten zur Schlacht aus, als der Feind über
den Fluß gegangen war. Ins Vordertreffen stellte der Kartha-
gische Feldherr die Balearen, gegen 8000 Mann; hinter diesen
das schwerbewaffnete Fußvolk, den Kern seines Heeres; die
Flügel umgab er mit 10,000 Reitern und an die beiden Flü-
gelspitzen stellte er zu gleichen Theilen die Elephanten. Ver-
gebens ließ jetzt der Consul Scmpronius seinen hitzig verfol-
genden Reitern zum Rückzug blasen: er -mußte jetzt die Schlacht
annehmcn, und ordnete die Seinen. Die ermüdeten leichten
Truppen wichen gleich Anfangs zurück; da kam die römische
Reiterei ins Gedränge und wurde von einer Wolke von Spee-
ren, welche die Balearen warfen, überschüttet. Der Anblick
und der ungewohnte Geruch der Elephanten brachte die Pferde
in Verwirrung und verursachte weit und breit Flucht. Das
Fußvolk hielt länger Stand; aber die Punicr waren, zuvor
durch Speise gestärkt, in das Treffen gezogen; den ermüdeten,
hungrigen, vor Kälte starrenden Römern versagte der Körper
den Dienst. Da brach endlich Mago mit seinen Numidern aus
dem Hinterhalt hervor und siel den Römern zu ihrem großen
Schrecken in den Rücken, so daß diese nach allen Seiten hin
zu kämpfen hatten. Eine Abtheilung von 10,000 Römern
durchbrach die Mitte der feindlichen Linie und zog nack Pla-
centia hin; die übrigen brachen sich an verschiedenen Stellen
und unter blutigem Gemetzel Bahn. Die nach dem Lager
ihren Rückzug nahmen, deren ertranken viele in dem Fluß oder
wurden von den verfolgenden Feinden erschlagen; die meisten
entrannen ohne Ordnung nach Placentia. In der folgenden
Nacht führte Scipio, der krank im Lager zurückgeblieben war,
die Besatzung desselben und die Flüchtlinge, welche bis dahin
gelangt waren, ungestört über die Trebia.
Auch während des Winters fehlte es nicht an blutigen
Gefechten; die Feinde durchschwärmten die Gegend und schnitten
den Römern die Zufuhr ab. Auch die Gallischen Völkerschaf-
ten, die bis dahin treu geblieben waren, sielen ab.
------------ ^
4. Schlacht am Trasimcnischen See (217 v. Chr.).
Kaum begann der Frühling, so brach Hannibal gegen
Italien auf. Die Gallischen Hülfsvölker, die er mitgebracht,
sehnten sich nach Beute; die, bei welchen er überwintert hatte,
waren es überdrüssig, daß ihr Land länger der Schauplatz des
Krieges sein sollte. Unter letzteren hatte er sogar Spuren von
Nachstellungen entdeckt, denen er dadurch zu entgehen suchte,
daß er durch immer veränderte Kleidung und Kopfbedeckungen
sich unkenntlich machte. Alle gewohnten Zugänge nach Italien
waren besetzt, außer einem, der durch das Thal des Arnus
nach Italien führte, damals aber durch das Austreten des
Flusses große Strecken weit überschwemmt war. Dennoch führte
Hannibal sein Heer hinein. Bier Tage und drei Nächte mar-
schirte das Heer fortwährend durch Wasser und Morast, aller
Erquickung entbehrend. Die, welche ausruhcn wollten, warfen
Haufen von Gepäck ins Wasser, um ein Lager zu gewinnen,
oder legten sich aus die Leiber der gefallenen Lastthiere. Han-
nibal ritt auf dem einzigen noch übrigen Elephanten; die bö-
sen Dünste zogen ihm eine Augenkrankheit zu, in deren Folge
er ein Auge verlor. Als er endlich mit Verlust vieler Thiere
und Menschen auf das Trockene gekommen war und das erste
Lager auf Etruskischem Boden bezogen hatte, meldeten Kund-
schafter, das römische Heer unter dem Consul Flamin ins
Nepos befinde sich in der Gegend von Arretium. Um diesen
Mann, dessen Unbesonnenheit ihm bekannt geworden, zu reizen,
verwüstete Hannibal die schönen Gefilde zwischen Fäsulä und
Arretium durch Raub und Brand. Umsonst mahnten den Fla-
minius die Seinen, die Ankunft des andern Consuls, der noch
in Oberitalien stand, abzuwarten. Er gab das Zeichen zum
Ausbruch, indem er die Verheerungen des Feindes nicht länger
dulden mochte.
Hannibal war zu dem schmalen Landstrich gekommen, wo
der Trasimenische See die Gebirge von Cortona berührt.
Ein ganz enger Weg führt zwischen dem See und den Hügeln in
eine breitere Fläche, an deren Ende, dem Eingang der Land-
enge gegenüber, eine Anhöhe emporragt. Auf dieser Anhöhe
76
lagerte sich Hannibal mit dem Kern seines Heeres, dem Spa-
nischen und Africanischen Fußvolk. Die Balearen und die
übrigen leichten Truppen stellte er in langer Reihe hinter den
Hügeln auf, welche jene Fläche auf einer Seite begrenzen; die
Reiterei aber und die Gallier verbarg er neben den Waldhöhen,
die dem engen Eingang am See gegenüberlagen. Bei diesem
Eingang langte am Abend des folgenden Tages Flaminius an.
Gleich am nächsten Morgen, als ein dicker Nebel auf den
Wassern des See's lag und Berg und Thal verhüllte, zog er,
ohne vorher die Gegend ausgekundschastet zu haben, durch die
enge Straße in die mittlere Fläche, indem er nur die ihm
gegenüber liegende Anhöhe von den Puniern besetzt glaubte.
So wie er sich derselben näherte, und die letzten seines Zuges
an dem äußersten Hinterhalt der Feinde vorüber waren, er-
folgte der Angriff der Punier von allen Seiten und mit sol-
chem Ungestüm, daß sich die Römer nicht einmal in Schlacht-
ordnung aufstellcn konnten. Kaum drei Stunden währte die
Schlacht und tobte so furchtbar, daß das Getöse eines nahen
Erdbebens nicht gehört ward. Der Consul selbst siel unter
den ersten, und i 5,000 der Seinen mit ihm. Biele stürzten
sich in den See und ertranken oder wurden von den verfol-
genden feindlichen Reitern erschlagen. Einer Abtheilung von
6000 Mann gelang es sich durchzuschlagen; sie retteten sich auf
eine nahe Anhöhe, von wo sie, als der Nebel sich zerstreut
hatte, das Schicksal der Ihrigen erblickten. Ihre weitere
Flucht setzten sic nur bis zum nächsten Tage fort, wo sieHun-
gersnoth zwang, sich dem Maharbal, der sie mit seiner Reiterei
verfolgte, zu ergeben. Zehntausend andere, gänzlich ausein-
ander gesprengt, gelangten auf verschiedenen Wegen nach Rom.
Die erste Nachricht von der unglücklichen Schlacht verursachte
hier unsägliche Verwirrung und einen Zusammenlauf des Volks
auf dem Forum, wo der Prätor Abends von der Bühne herab
dem versammelten Volke verkündigte: „Wir haben eine
große Schlacht verloren!"
77
3. Hannibal gegen Tabins Cunctator.
Hannibal zog von Etrurien nach Umbrien und drang bis
zur Stadt Spoletium vor, die er vergebens bestürmte, da sic
von einer tapferen Besatzung vertheidigt ward. Von da setzte
er in die fruchtbare Picenische Landschaft über, ließ die Sol-
daten einige Tage ausruhen, und drang dann unter schrecklichen
Verwüstungen südwärts bis nach Apulien, wo die Städte Arpi
und Luceria lagen.
Die Römer aber ernannten in der höchst gefahrvollen Lage
ihres Staates den Qu intus Fabi us zum Diktator, und
den Minucius Rusus zu seinem Rciterobersten. Fabius warb
zwei neue Legionen und zog die Reste des geschlagenen Heeres
an sich. Er nahm seinen Marsch durch Samnium und traf
bei Arpi auf den Feind. Hannibal bot ihm gleich die Schlacht
an; aber Fabius wich vorsichtig aus und hielt sein Heer im
Lager, das er immer auf den Höhen der Berge und in ziem-
licher Entfernung vom Feinde aufschlug. Da Hannibal den
vorsichtigen Gegner zu keiner Schlacht zwingen konnte, so brach
er endlich auf, und ging unter steten Verwüstungen durch Sam-
nium nach Eampanien. Hier gerietst er in eine von Bergen
und Flüssen cingeschlossene Thalebcne. Fabius war ihm auf
dem Fuße gefolgt und hielt die Höhen der Gebirge besetzt.
Als die Gegend von Lebensmitteln crtblößt war, wollte Hannibal
den Rückzug nach Samnium antreten. Aber Fabius hatte den
Paß nach Samnium besetzt und dem Heere den Weg verlegt.
Schon schienen die Karthager verloren zu sein, aber der
schlaue Hannibal entging mit seinem Heere der offenbaren Ge-
fahr durch folgende List. Er nahm gegen zweitausend Ochsen
und band ihnen dürre Reisbündel vorn an die Hörner. Mit
Anbruch der Nacht ließ er die Ochsen gegen die Anhöhen trei-
ben, die der Feind besetzt hatte. Voll Schrecken erblickten die
römischen Soldaten, die unten am Ausgang des Thales stan-
den, die vielen Feuer über sich. Sie glaubten die Karthager
zu sehen, und liefen auf die Feuer zu. Selbst Fabius, der auf
den Berghöhen stand, wagte es nicht, seine Verschanzungen zu
verlassen; und die Soldaten, die um ihn waren, suchten sich gegen
78
die Ochsen zu vertheidigcn, die wüthend auf sie zu stürzten. In-
dessen zog Hannibal durch die geöffneten und unbewachten Pässe
und entkam so der Falle, die ihm Fabius gelegt hatte.
In Rom aber war man über die Art und Weise, wie
Fabius den Krieg führte, unwillig, und auch die Soldaten
des Dictators murrten laut über den Feldherrn, den sie wegen
seiner Kriegführung spöttisch den Zauderer (cunctator) nannten.
Am meisten suchte sein Reiterobcrster Minucius den Dictator
in ein ungünstiges Licht zu stellen und brachte es endlich dahin,
daß der Heerbefchl zwischen ihm und dem Fabius getheilt
ward. Sie bezogen getrennte Lager, und jeder von ihnen be-
fehligte zwei Legionen. Eines Tages reizte Hannibal, der die
Zwietracht seiner Gegner kannte, das Heer des Minucius in
einem engen Thale zum Gefecht. Eine aus einem Hinterhalte
hervorbrechende Schaar von 5000 Puniern umzingelte ihn und
schon fielen oder flohen seine Soldaten in der völlig verlore-
nen Schlacht. Fabius hatte dem ganzen Hergang zugeschaut.
Jetzt rückte er mit seinen Legionen aus und bedrängte die be-
reits siegreichen Feinde so, daß nicht nur das Heer des Mi-
nucius entsetzt wurde, sondern auch Hannibal den Rückzug
antrat und sich für besiegt erklärte. „Da habe ich doch ein-
mal," sagte er zu den Seinen, „diese Wetterwolke, die immer
um den höchsten Berggipfel schwebt, in die Tiefe herab und
zur Entladung gebracht." Den Fabius aber begrüßte der
beschämte Minucius als Vater, und seine Soldaten die des
Dictators als Patrone (Beschützer). Die beiden Lager wurden
wieder vereinigt, und Minucius verzichtete gern auf den ihm
eingeräumten Mitbefehl.
Von jetzt an wurde das Verfahren des Fabius, der den
Krieg in die Länge zu ziehen und dadurch den Feind in ge-
fährliche Lagen zu bringen suchte, allgemein als weise geprie-
sen, und der Spottname Cunctator ward ihm jetzt zu einem
Ehrennamen. Von ihm singt ein römischer Dichter:
Ein Mann brachte dem Staat durch heilsames Zaudern Erret-
tung.
y ' . - <
79
6. Die Schlacht Lei Cannä (216 v. Ehr.).
Als die Erntezeit des folgenden Jahres (216) herannahte,
zog Hannibal in die Ebene von Cannä in Apulien. Die
Römer wünschten den Krieg mit einem Schlage zu beendigen
und stellten eine gewaltige Heeresmacht, wie nie zuvor, auf,
über 80000 Mann zu Fuß und 6000 Reiter, unter dem
Befehl der neuen Consuln, des Terentius Barro, eines
kühnen und verwegenen Mannes, und des besonnenen Aemi-
lius Paulus. Hannibal hatte im ganzen 10000 Reiter
und etwas mehr als 40000 Mann Fußvolk. Die Römer
standen in gesonderten Lagern zu beiden Seiten des Flusses
Aufidus; südlich von ihnen, auf dem rechten Ufer, lagerte
Hannibal. Mehrmals bot er die Schlacht an, welche Aemilius
zu vermeiden rieth, indem er die überlegene Reiterei des Fein-
des fürchtete und hoffte, daß der Feind aus Mangel an Bor-
rathen in kurzer Zeit in Roth gerathen würde. Aber der
hitzige Barro achtete nicht auf feine Vorstellungen, und da sie
im Heerbefehl einen Tag um den andern wechselten, so führte
er an seinem Tage sein Heer zur Schlacht hinaus. Die Schlacht-
ordnung beider Theile war folgende:
Beide Colonnen lehnten sich mit dem einen Endpunkt an
das rechte Flußufer; die römische stand nach Süden, die Pu-
nische nach Norden gewandt. Barro hatte die römischen Rei-
ter am Flusse, die der Bundesgenossen auf der andern Seite,
in der Mitte das Fußvolk in tiefen Massen aufgestellt; vor der
ganzen Linie standen in mäßigen Zwischenräumen die Leicht-
bewaffneten. Auf dem rechten Flügel befehligte Aemilius, auf
dem linken Barro, in der Mitte die Consuln des vorigen Jah-
res. Auch Hannibal stellte seine Leichtbewaffneten vor die
Fronte; links zunächst am Flusse die Gallische und Spanische
Reiterei, auf der andern die Numidische. Dazwischen bildete
das schwerbewaffnete Fußvolk eine weite halbmondförmige Linie,
in deren Mitte die Gallier und Spanier am meisten nach vorn,
die Afrikaner nach den beiden Endpunkten zu standen. Diese
mittlere Colonne befehligte Hannibal selbst mit seinem Bruder
Mago, den linken Flügel Hasdrubal, den rechten Hanno.
80
Der Tag war heiß; glühend blies der Sirocco den Rö-
mern ins Gesicht, und wirbelte ihnen ganze Staubwolken ent-
gegen. Die Leichtbewaffneten begannen die Schlacht, jedoch auf
beiden Seiten ohne Entscheidung. Dann aber erfolgte ein blu-
tiger Kampf unter den am Fluß aufgestellten Reitern, die durch
den Raum beengt, von ihren Rossen sprangen und zu Fuß
Mann gegen Mann stritten. Die Punier siegten; von den
Römern blieb fast kein Mann übrig. Jndeß war auch das
Fußvolk vorgerückt. Die Gallier und Spanier, überwältigt
von dem ersten Stoße der römischen Colonne, wichen zurück
und öffneten die Linie, während die Afrikaner etwas weiter
seitwärts unbewegt feststanden. Die römische Colonne, die
Weichenden verfolgend, zog immer tiefer in den offen gelassenen
Raum hinein, und sah sich auf einmal von den Afrikanern
in ihren Flanken angegriffen. Jndeß währte das Gefecht auf
dem rechten Flügel unentschieden fort, bis Hasdrubal von der
andern Seite ihnen zu Hülfe kam und auch hier die Römer
zum Weichen brachte. Das Verfolgen der Geschlagenen überließ
er den Numidern; er selbst sprengte mit seinen Reitern nach
dem Haupttreffcn und griff die römische Colonne im Rücken
an. Diese, nunmehr von allen Seiten eingeschlossen, wurde
niedergemetzelt säst bis auf den letzten Mann. Fünsundvierzig-
tausend Römer lagen todt auf dem Schlachtfelde, darunter die
beiden Consuln des vorigen Jahres, über dreißig, die hohe
Staatsämter bekleidet hatten, achtzig Senatoren, und auch der
Consul Aemilius Paulus.
Als letzterer von seiner Wunde ermattet, nicht bis zum
Lager kommen konnte, setzte er sich auf einen Stein und er-
wartete hier den Tod. So traf ihn Lentulus, ein Kricgs-
oberster, der selbst verwundet aus der Schlacht floh. Durch
den Anblick feines Feldherrn gerührt, bot ihm dieser sein
eigenes Pferd zur Flucht. Aber Aemilius schlug es aus und
sagte: „Rette dich, edler Freund, sage den Vätern, sie sollten
Rom verrammeln und stark besetzen, und dem Fabius, ich
hätte seine Lehren im Leben befolgt und im Tode noch gebil-
ligt. Mich laß unter diesen Leichenhaufen meiner Krieger den
81
Geist aufgeben, damit ich nicht als Ankläger meines Amts-
genossen aufzutreten brauche." Kaum hatte er dies gesagt, so
naheten die Feinde. Lentulus wurde zurückgedrängt, Aemilius
aber durch eine Menge von Pfeilen getödtet- — So starb
Aemilius Paulus, von dem der Dichter Horatius singt, er
habe seine große Seele bei dem Siege des Puniers ausgehaucht.
Varro entkam mit wenigen Reitern nach Vcnusia und
ging von da nach Rom, wo ihm der Senat dankte, daß er
am Staate nicht verzweifelt.
Die Folge dieser Schlacht war, daß alle Städte und
Landschaften Unteritaliens, so wie alle Cisalpinischen Gallier
von Rom absielen. Rom war am Rande des Verderbens:
stündlich erwartete inan den Hannibal vor den Thoren. Den-
noch sprach Niemand vom Frieden, und die Abgeordneten Han-
uibals, welche Friedensanträgc brachten, ließ man nicht einmal
in die Stadt. Hannibal aber marschirte nicht sofort nach Rom,
wie ihm Maharbal rieth, und mußte deshalb von diesem den
Vorwurf hören: „Siegen kannst du, aber den Sieg zu be-
nutzen verstehst du nicht."
7. Hannibal gegen Marcellus.
Mit dem Siege bei Cannä hatte Hannibal den Gipfel
feinessGlückes erstiegen; von nun an sehen wir ihn, obgleich
den Römern noch immer furchtbar, keine so glänzenden Thaten
mehr verrichten. Sein Heer legte er in die Winterquartiere,
nach Capua, dessen Bewohner ihn als einen Befreier vom rö-
mischen Joche zu sich eingeladen hatten. Unter dem milden
Himmel Campaniens und durch die üppigen Genüsse dieser
Landschaft soll sein Heer verweichlicht worden sein und die alte
Kricgszucht und Manneskraft eingebüßt haben. Dazu kam,
daß Hanuibal von Karthago aus ohne Unterstützung blieb,
weil ihm eine feindliche Partei eutgegenarbeitete, obschon zwei
Scheffel goldener Ringe, die in der Schlacht bei Cannä von
den Händen römischer Ritter gezogen und nach Karthago ge-
schickt worden waren, Begeisterung für den Sieger erweckten.
.4 **
82
Dagegen zeigten die Römer bei den härtesten Schlägen
des Schicksals eine große unerschütterliche Standhaftigkeit. Neue
Legionen wurden ausgehoben, und der Prätor Claudius Mar-
cellus war der erste, unter dem die Römer wieder siegen lern-
ten. Der alte Muth kehrte zurück, und wie sie den Fabius
ihren Schild nannten, so war Marcellus ihr Schwert. Er
stand mit einem Theil des Heeres bei Nola in Campanien und
hinderte den Hannibal an der Eroberung dieser Stadt. An-
fangs hielt er sein Heer innerhalb der Mauern; dann machte
er Ausfälle und übte es in kleinen Gefechten; zuletzt überfiel
er die Feinde in ihrem Lager und erschlug ihnen mehrere Tau-
sende. Im folgenden Jahr (215 v. Ehr.) kam es vor Nola
zu einer förmlichen Schlacht, in welcher Marcellus den ersten
vollständigen Sieg nach längerer Zeit über die Punier erfocht.
Nach diesem Siege ward Marcellns von Italien nach
einem andern Schauplatz des Krieges abgesandt. In Sicilicn
war die mächtige nnd blühende Stadt Syracus von den Rö-
mern abgesallen, und Marcellus hatte den Auftrag, sie wieder
zu unterwerfen. Allein die Belagerung zog sich bis ins dritte
Jahr hin (214—212 v. Ehr.). Von zwei Seiten, vom Lande
und vom Hasen aus, versuchte er sie zu erstürmen, aber der
große Mechaniker Archimedes, der in Syracus lebte, erfand
Maschinen, durch die er die Schiffe und Sturmwerkzeuge der
Römer zerschmetterte und all ihr Beginnen vereitelte. Die
Mauern versah er mit jeder Art von Geschützen; gegen die
entfernten Schiffe schleuderte er Steine von ungemeiner Schwere;
die nähern beschoß er mit leichteren und eben darum desto zahl-
reicheren Geschossen; in die Mauer brach er, damit die Sci-
nigcn, ohne verwundet zu werden, den Feind treffen könnten,
von unten an bis oben breite Schießscharten, durch welche die
Syracusaner mit Pfeilen und Handgeschützen den Feind unge-
sehen erreichten. Wenn römische Schiffe in die Nähe kamen,
so ließ er eiserne Ketten mit Haken herab, zog durch Hebelkrästc
die Schiffe hoch in die Höhe und stürzte sie dann wieder ins Meer
83
hinab. Auch soll er Brennspiegel erfunden haben, um die
römischen Schiffe anzuzünden. Durch diese Maschinen fügte er
den Römern furchtbare Verluste zu und setzte sie so in Angst,
daß zuletzt Alle, wenn, nur ein Seil oder Holz sich auf der-'
Mauer zeigte, vor Bestürzung die Flucht ergriffen. Endlich
wurde Marcellus auf folgende Weise Herr der Stadt:
Einst unterhandelten die Syracusaner von einem Thurme
herab mit den Römern. Ein Soldat zählte dabei die Quader-
steine der Mauer und merkte sich ihre Größe. Nun kannte
man die Höhe der Stadtmauer und verfertigte Leitern zum
Ersteigen. Während das dreitägige Fest der Diana in der
Stadt gefeiert wurde, und die Belagerten nach den Trinkgelagen
des Tages sich dem Schlaf ergeben hatten, erstiegen tausend
der kühnsten Soldaten die bezcichnete Mauerstelle, tödteten die
hier ausgestellten Wachen und erbrachen ein Thor, durch wel-
ches Marcellus mit dem Heere eindrang. Den Bürgern ward
Leben, Freiheit und Wohnung gesichert, und nur das beweg-
liche Gut geplündert. Eine Menge von Kunstwerken und
Schätzen ward nach Rom geschleppt. Der große Archimedes
soll im ersten Aufruhr feinen Tod gesunden haben. Ein Sol-
dat, der ihn nicht kannte, stürmte in sein Haus und fand ihn
in das Zeichnen von Figuren vertieft. „Zertritt mir meine
Kreise nicht!" rief er dem Soldaten finster zu, worauf ihn
dieser erschlug. Gern hätte ihn Marcellus erhalten, und ehrte
nun den Todten durch ein Denkmal, das in späterer Zeit
Cicero wieder auffand.
Inzwischen hatte der Krieg in Italien nicht geruht. Zwar
hatte Hannibal (212) Tarent durch Verrath genommen, da-
gegen mußte er sehen, wie Capua von einem römischen Heere
auf das härteste bedrängt wurde. Um diese Stadt von dem
Bclagerungsheere zu befreien, unternahm er (211) einen Zug
gegen Rom. Von einer Anhöhe herab betrachtete er die Lage
und die Mauern der Stadt; und eine Sage ging, er habe
eine Lanze in die zunächst liegende Straße geschleudert. Zwei-
84
mal stand er dem römischen Heere kampfbereit gegenüber, und
zweimal nöthigte ein Ungewitter mit furchtbarem Hagel und
Regenguß die Heere ins Lager zurückzukehren; aber das heiterste
^Wetter trat ein, so wie sie sich getrennt halten. Darin er-
kannten selbst die Punier einen Götterwink, und Hannibal trat
den Rückzug an. Aber noch "lange ängstigte der Schreckensruf:
„Hannibal vor den Thoren!" die Gemüther der Römer.
Nun gab Hannibal die Stadt Capua ihrem Schicksal
Preis. Die Belagerten erkannten ihren rathlosen Zustand und
dachten an Uebergabe; aber ein Mann, Namens Vibius Vir-
rius, der am meisten zum Abfall von den Römern gerathen
hatte, sagte: „Von dem erbitterten Feinde ist keine Gnade zu
hoffen; retten kann nur der Tod. Wer von euch den Muth
hat, dem Geschick zu folgen, der komme heute zu mir als Gast.
Habt ihr da euch mit Speise und Trank gelabt, so trinke ich
euch aus einem Becher zu, der uns von aller Schmach erretten
soll." Siebenundzwanzig folgten ihm zu diesem Todtcnmale,
bei dem sie sich erst mit Wein berauschten, dann das Gift,
das er ihnen reichte, tranken, und vor dem Einzuge der Feinde
den Geist aufgabcn. Die Stadt litt eine furchtbare Züchtigung.
Siebzig Rathsherren wurden hingerichtet, dreihundert der edel-
sten Campaner starben im Kerker, eine Menge Bürger wurden
verkauft, und Capua als eine unterthänige Stadt behandelt.
Im Fahre 209 v. Ehr. war Marcellus wieder Consul.
Er zog dem Hannibal entgegen, der bei Canusium in Apulien
stand. Als Hannibal einer Schlacht auswich, folgte er ihm
aus dem Fuße nach und nöthigte ihn zum Kampf; die Nacht
machte dem Gefechte ein Ende. Am andern Tage in der
Morgenfrühe führte Marcellus sein Heer schon wieder zur
Schlacht, zog sich aber nach einigem Verlust ins Lager zurück.
Den Soldaten hielt er eine scharfe Strafpredigt, worauf sie
ihm zu siegen oder zu sterben versprachen. So rückten sie
denn am andern Tage zum dritten Male aus, und Hannibal
rief: „Da habe ich es denn mit einem Feinde zu thun, der
85
weder Glück noch Unglück vertragen kann; siegend oder besiegt,
er muß mir zusetz'en." Marcellus siegte vollständig.
Auch im folgenden Jahr (208) war Marcellus Consul.
Als er bei Venusia die Gegend besichtigen wollte, siel er mit
seiner Begleitung in einen Hinterhalt, den ihm Hannibal ge-
legt hatte. Er ward getödtet; seine Leiche kam in Hannibals
Hände, der ihn ehrenvoll bestattete.
8. Hannibal und Scipio. Schlacht bei Zaina (202 v. Chr.).
A
Hannibal blieb ohne alle Unterstützung von Karthago aus,
und setzte daher seine Hoffnung auf das an Hülfsmitteln un-
erschöpfliche Spanien, von wo ihm seine Brüder Hasdrubal
und Mago zu verschiedenen Malen Unterstützung zuzuführcn
suchten. Aber auch diese Hoffnung täuschte ihn. Hasdrubal
war schon bis in die Landschaft Piccnum gelangt, als er von
Livius Salinator, dem der andere Consul Claudius
Nero rasch zu Hülfe gezogen war, entschieden geschlagen ward,
bei Sena Gallica im Jahre 207 v. Chr. Als Hasdrubal
die Niederlage der Seinen erkannte, stürzte er sich unter die
Feinde und kämpfte, bis er den Töd fand.
Nun zog Nero wieder gegen Hannibal selbst, und ließ
das blutige Haupt Hasdrubals unter die feindlichen Vorposten
schleudern. Als Hannibal seines Bruders Kopf erkannte und
seine letzte Hoffnung verschwunden sah, rief er im bitteren
Schmerze aus: „Daran erkenne ich Karthago's Schicksal!"
— Ebenso mißlang auch der Versuch Mago's, seinem Bruder
ein Hülssheer zuzuführen.
In den letzten Jahren hielt sich Hannibal im Gebiete
der treuen Bruttier auf und verfuhr nur vertheidigungsweise.
Endlich ward er vom Rathe zu Karthago zum Schutz der Va-
terstadt zurückgerufen, da die Römer in Africa gelandet waren
und Karthago selbst bedrängten. Als Hannibal diesen Befehl
erhielt, wurde er von Schmerz und Wuth ergriffen. Kaum
Herr seiner Thränen, rief er mit Zähneknirschen aus: „So
,
86
hat denn nicht das römische Volk, sondern der Rath zu Kar-
thago den Hannibal besiegt!" Trauriger als ein Verbannter
seine Heimath, verließ er nach einem Aufenthalt von sechszehn
Jahren Italien, das Land seiner Siege, und mitten auf dem
Meere blickte er noch nach seiner Küste zurück, indem er Ver-
wünschungen gegen Götter und Menschen ausstieß.
Der Feldherr aber, der in Africa gelandet, war Publius
Cornelius S c i p i o, der Sohn jenes Scipio, der im Treffen
am Ticinus verwundet wurde. Sein Vater und sein Oheim
hatten im Kampfe gegen Karthagische Heere in Spanien ihr
Grab gefunden, und so hoffnungslos war die Lage der Römer
auf dieser Halbinsel, daß jeder den Oberbefehl in diesem gefahr-
vollen Kriege ablehnte. Nur der vierundzwanzigjährige Publius
Scipio bot dem Vatcrlande seine Dienste an. Er hatte noch
nicht das zu Staatsämtern gesetzliche Alter erreicht, aber seine
aus schönem Körper hervorleuchtende Tugend, sein frommer
Sinn, und die Unbescholtenheit seiner Sitten, bestimmten alte
Senatoren, dem edlen Jüngling den Heerbefehl zu übertragen.
2m Jahr 210 ging er, den die Römer mit dem Kriegsgott
selber verglichen, nach Spanien, um die Schatten seines Va-
ters und Oheims zu rächen.
Hier fand er ein niedergeschlagenes, zerrüttetes Heer, dem
er erst Muth und Siegesvertraun einflößte. Bald eroberte er
Neukarthago und gewann unermeßliche Beute. Die Geißeln,
welche die Karthager für die Treue der Spanier hier aufbewahr-
ten, behandelte er mit großer Freundlichkeit und Schonung.
Unter ihnen befand sich eine Jungfrau von ausgezeichneter
Schönheit. Er fragte sie nach ihren Eltern und ihrem Vater-
land. Sie sagte ihm, sie sei eine Celtibererin von vornehmem
Stande und die Braut des Allucius, eines Celtiberischen Für-
sten. Sogleich ließ Scipio ihre Eltern und ihren Bräutigam
herbeikommen. Sie naheten sich in banger Ungewißheit, aber
Scipio beruhigte sie: „Hier ist deine Braut," sprach er zum
Allucius, „nimm sie unverletzt und ohne Lösegeld zurück, und
werde ein Freund der Römer!" Jetzt ergriff Allucius, von
Achtung und Freude durchdrungen, die Rechte des Scipio und
87
bat die Götter, den edlen Römer würdig zu belohnen. Auch
die Eltern des Mädchens wurden gerührt. Sie hatten ein
großes Lösegeld mitgebracht. Sie baten ihn, dieß als ein
Zeichen ihrer Dankbarkeit anzunehmen. Scipio nahm das
Geld, wandte sich noch einmal an Allucius und sagte: „Zu
der Mitgift, die Du von Deinem Schwiegervater erhalten wirst,
nimm dieses Hochzeitsgeschenk von mir." Freudig kehrte der
glückliche Bräutigam mit den Seinigen zurück, und indem er
überall das Lob des Scipio verbreitete, brachte er seine Mit-
bürger auf die Seite der Römer. „Ein Jüngling," sagte er
zu den Celtiberern, „ist nach Spanien gekommen, ganz den
Göttern ähnlich, der nicht blos durch Waffen, sondern auch
durch Liebe und Wohlthun alles besiegt."
Durch Tapferkeit, Milde und Großmuth unterwarf Scipio
ganz Spanien und ging dann nach Rom, wo ihm das Con-
sulat für das folgende Jahr übertragen wurde. Er ging nach
Sicilien und traf hier gewaltige Zurüstungen zu einem Zuge
nach Africa. Er landete im Jahr 204 v. Ehr. Die Kar-
thager hatten ein bedeutendes Heer unter Hasdrubal und Sy-
phax, dem König von Westnumidien. Aber Scipio wußte
durch eine List ihr Lager auszukundschaften, steckte es bei einem
nächtlichen Ueberfall in Brand und rieb fast das ganze Heer
auf. Auch in einer zweiten Schlacht schlug er die Feinde.
Da riefen die Karthager, im eignen Lande gefährdet, ihren
Feldherrn Hannibal zurück.
Der gefürchtete Held erschien in Africa und bezog bei
Zama, fünf Tagereisen von Karthago ein Lager. Bor der
Schlacht wünschte Hannibal, der das Unglück seines Vaterlan-
des ahnte, eine Unterredung mit Scipio, um den Frieden zu
vermitteln. Sie ward ihm gewährt. Auf einer Ebene unweit
Zama kamen beide Feldhcrrn zusammen und geriethen beim
ersten Anblick in solches Erstaunen, daß sie sich eine Zeitlang
schweigend betrachteten. Beide hatten sich noch niemals gesehen,
und doch schon so viel von einander gehört. Beide waren die
größten Feldherrn ihrer Zeit, und doch in ihrem Aeußercn so
verschieden. Hannibal, damals fünfundvierzig Jahr alt, hatte
68
ein finsteres und schwermüthiges Ansehen. Die Mühseligkeiten
seiner langen und beschwerlichen Feldzüge hatten Spuren auf
seinem Gesicht zurückgelassen. Seipio hingegen, damals in
einem Alter von fünfunddreißig Jahren, war ein Muster männ-
licher Schönheit. Nach langem Schweigen fing endlich Han-
nibal die Unterredung an. Er sprach zuerst von der Veränder-
lichkeit des Glücks und seinen eigenen Schicksalen; dann rieth
er dem*Scipio, dem Glücke, das ihn anlächle, nicht zu sehr
zu trauen, und einen sicheren Frieden einem ungewissen Treffen
vorzuziehen. Hierauf schlug er ihm Friedensbedingungen vor;
er versprach im Namen der Karthager, Spanien, Sardinien,
Sicilien und alle Inseln zwischen Africa und Italien den Rö-
mern abzutreten. Scipio aber verwarf diese Bedingungen und
forderte vollständige Unterwerfung der Karthager. Diese wollte
und konnte Hannibal nicht versprechen; beide Feldherren gin-
gen unverrichteter Sache aus einander und rüsteten sich zum
Kampfe.
Am folgenden Tage stellte Scipio die drei Colonnen des
Fußvolkes in die Mitte, und zwar in durchbrochenen Linien,
um in die Zwischenräume Leichtbewaffnete zum Kampf mit den
Elephanten aufzunehmen. Auf dem linken Flügel stand die
Italische Reiterei, auf dem rechten Masinissa, der mit den
Römern verbündete König von Ostnumidien, an der Spitze
der Numidischen Reiterei. Hannibal stellte in die vorderste
Linie achtzig Elephanten, dahinter die Leichtbewaffneten, und
in einer dritten Linie folgten die Kerntruppen, zuletzt die nicht
ganz zuverlässigen, in Italien' angeworbenen Hülfstruppen.
Die beiden Flügel wurden durch Reiterschaaren gedeckt.
Im Beginn des Treffens wurden die Elephanten durch
das Kriegsgeschrei und die Feldmusik der Römer, dann durch
einen Hagel von Geschossen scheu und warfen sich auf die Rei-
terei des Punischen Heeres. Diese gerieth in Unordnung und
ergriff, als jetzt die römische zum Angriff vordrang, die Flucht.
So wurden gleich Anfangs die Flügel des Punischen Heeres
entblößt. Aber auch die Leichtbewaffneten in der ersten und
zweiten Linie der Karthager wurde nach kurzem Gefecht auf
89
die Hauptcolonne zurückgcworfen. Ganze Haufen von Erschla-
genen lagen der vordringenden ersten Colonne der Römer im
Wege und hinderten sie im weiteren Vorrücken. Da ließ Scipio
die zweite und dritte Linie eine Schwenkung machen und die
feindlichen Flügel angreisen; auch kehrte die römische Reiterei
von der Verfolgung der Puniscken zurück und fiel dem Fuß-
volk in den Rücken. Dieß entschied die Niederlage der Punier;
20,000 lagen todt auf dem Schlachtfeld, eben so viele wurden
gefangen. Hannibal entkam und erklärte in Karthago, der
Krieg sei aus, es müsse Friede gemacht werden.
Der Friede kam (201 v. Ehr.) auf folgende Bedingungen
zu Stande: Die Karthager behalten nur ihr Gebiet in Africa,
bezahlen 10,000 Talente (12 Milt. Thaler) in 50 Jahren,
liefern ihre 500 Kriegsschiffe bis auf 10 aus, eben so die
Elephairten und dürfen ohne Roms Genehmigung keinen Krieg
anfangen.
Scipio feierte bei seiner Rückkehr in Rom einen Triumph
und erhielt den Ehrennamen Africanus.
9. HannibaOs und Scipio's Tlusgang.
Auch nach Beendigung des zweiten Punischen Krieges war
Hannibal rastlos bemüht, für die Wohlfahrt seines Vaterlan-
des zu sorgen. Den Staatsschatz von Karthago verwaltete er
so weise und sparsam, daß nicht nur die außerordentliche
Kriegssteuer.regelmäßig an die Römer bezahlt wurde, sondern
sogar noch Ueberschuß vorhanden war. Dennoch fehlte es ihm
nicht an mächtigen Feinden, die, von den Römern unterstützt,
auf sein Verderben sannen. Um ihnen zu entgehen, verließ er
nach vier Jahren sein Vaterland, und ging zum Antiochus,
König von Syrien, wo er aufs neue seinen Haß gegen Rom
zu befriedigen hoffte. Allein der König verachtete seine weisen
Rathschläge und ward von dem römischen Feldherrn Lucius
Cornelius Scipio, dem sein Bruder Publius gefolgt war,
bei Magnesia am Berge Sipylus in Lydien geschlagen (190
v. Ehr.) und zur Auslieferung Hannibals gezwungen. Jetzt
90
floh Hannibal zum Prusias, König von Bithynien, der ihn
sehr freundlich aufnahm und ihn mit einer Burg beschenkte.
Hier lebte er eine Zeit lang in Frieden und richtete seine Woh-
nung so ein, daß sie nach jeder Seite einen Ausgang hatte;
denn er zweifelte eben so sehr an der beharrlichen Treue des
Königs, als er von dem Hasse der Römer gegen sich Alles
fürchtete. Und er irrte sich nicht.
Als die Römer von dem Aufenthalte ihres größten Fein-
des Nachricht erhalten hatten, schickten sie eine Gesandtschaft
zum Prusias, an deren Spitze Flaminius stand. Dieser bat
den König um die Auslieferung Hannibals. Der König scheute
sich eben so sehr das Gastrecht zu verletzen, als er sich fürch-
tete, jenes Gesuch abzuschlagen. Er ließ daher die Römer
selbst hingehen, um sich Hannibals zu bemächtigen. Eines
Tages sah dieser sein Haus von allen Seiten durch römische
Soldaten umringt und keinen Ausweg zur Flucht mehr übrig.
Eingedenk seiner vorigen Thaten, wollte er sich nicht lebendig
gefangen geben. „So will ich denn endlich die Römer," rief
er aus, „von ihrer Angst befreien, da sie den Tod eines alten
Mannes doch nicht erwarten können!" Darauf nahm er Gift,
das er schon längst bei sich zu führen gewohnt war, und starb,
wie er gelebt hatte, voll Haß gegen die Römer. Denn als er
schon das Gift genommen hatte, stieß er noch Verwünschungen
gegen den Prusias und die Römer aus.
So starb Hannibal in einem Alter von 64 Jahren,
der furchtbarste Feind der Römer. Obgleich sein Leben fast in
unaufhörlichen Kriegen dahin floß, so war er doch ein Freund
griechischer Bildung, und griechische Geschichtsschreiber folgten
ihm in seinen Feldzügen, um seine Thaten aufzuzeichnen.
In demselben Jahre (183 v. Ehr.), wo Hannibal starb,
endete auch sein großer Gegner, der Sieger von Zama, das
Leben. Auch er entging nicht dem Neide und der Mißgunst
seiner Gegner, und fiel ihr als Opfer. Er war als Unter-
seldherr seinem Bruder Lucius in den Feldzug gegen Antiochus
nach Asien gefolgt. Nach seiner Rückkehr wurde er, auf An-
stiften des hämischen Cato, angeklagt, er habe sich von An-
91
tiochus bestechen lassen, um diesem einen vortheilhasten Frieden
zu verschaffen. Viele bessere Bürger mißbilligten eine solche
Anklage gegen einen so verdienstvollen Mann; dennoch ward
Scipio vor Gericht geladen. Am bestimmten Tage erschien
er mit einer Triumphkrone auf dem Haupte, von einer zahl-
reichen Menge Menschen begleitet. Mitten durch die Versamm-
lung ging er zur Rednerbühne. Hier sprach er voll des edel-
sten Selbstgefühls, was seiner Würde gemäß war. Dann rief
er plötzlich ans: „An diesem Tage habe ich den Hannibal ge-
schlagen und Karthago euch zinsbar gemacht. Laßt uns nicht
undankbar gegen die Götter sein! Auf! besteigt mit mir das
Capitolium, um ihnen zu danken!" Mit diesen Worten verließ
er die Rednerbühne und ging auf das Capitolium. Das ganze
Volk folgte ihm, und die Tribunen bücben, zum Spott ihrer
Verläumdung. allein auf dem Marktplatze zurück. Scipio
wurde von dem Volke zuerst auf das Capitolium, dann in
den Tempel der Götter und endlich in seine eigne Wohnung
geführt. So ward dieser Tag der Anklage für ihn noch ehren-
voller als der Tag seines Triumphes.
Indessen ruhten die Tribunen nicht. Sie verklagten den
Scipio vor dem Senate und verlangten, daß er von der
Beute, die er im Kriege mit dem Antiochus gemacht habe,
Rechenschaft ablege. Scipio erschien auch diesmal. Im Senat
angckommen, nahm er ein Buch aus seiner Toga und sagte:
„In diesem Buche sind alle Rechnungen über die Beute aus-
gezeichnet." Die Tribunen verlangten, daß er sie vorlesen
sollte. Er aber weigerte sich und zerriß sogar das Buch mit
eigenen Händen, weil er sich durch dieses Mißtrauen beleidigt
fühlte. Dann verließ er Rom und begab sich auf sein Land-
gut Liternum in Campanicn. Aber der Haß der Tribunen
verfolgte ihn auch hier. Sie erneuerten ihre Anklage; ver-
gebens entschuldigte ihn sein Bruder durch eine Krankheit.
Erst als Tiberius Gracchus, sogar ein Feind der Scipionen,
eine solche Anklage für eine des römischen Staates unwürdige
Handlung erklärte, ließen die Tribunen davon ab. Scipio
aber verlebte den Rest seiner Tage zu Liternum, ohne sich nach
92
0
Rom zurückzusehnen. Ja sein Unwille gegen sein Vaterland
war so groß, daß er seiner Gattin befahl, ihn zu Liternum
zu begraben und auf sein Grabmal die Worte zu setzen: „Un-
dankbares Vaterland, nicht einmal meine Gebeine sollst du
haben."
XXI.
Scipio Africanus -er Jüngere.
Nachdem die Römer aus dem zweiten Punischcn Kriege,
der ihrem Staate den Untergang zu drohen schien, siegreich her-
vorgegangen waren, dehnten sie ihre Eroberung auch nach Osten
aus. So schlug Lucius Scipio, wie schon erwähnt, den An-
tiochus, König von Syrien, bei Magnesia, und Paulus Aemi-
lius den Perseus, König von Macedonien, in der Schlacht
bei Pydna (168 v. Ehr.). Vor Allem aber blieb die Auf-
merksamkeit der Römer auf Karthago gerichtet, das, an der
Küste des Meeres gelegen, durch seinen Handel, durch die
Fruchtbarkeit und den Reichthum des Landes sich von neuem
zu einem Wohlstand und einer Größe erhoben hatte, welche
den Neid der eroberungssüchtigen Römer erregte. Diese ruhe-
ten auch nicht eher, als bis ihre Nebenbuhlerin gänzlich ver-
nichtet war. Der Ruhm, Rom von dieser gefährlichen Nach-
barin befreit zu haben, gebührt dem Publius Cornelius
Scipio Aemil ianus.
Dieser Held war der Sohn jenes Aemilius Paulus, der
den Macedonischen König Perseus überwunden hatte. Er war
einer der größten Römer: mit seines Vaters herrlichen Tugen-
den vereinigte er die liebenswürdigen Sitten des altern Scipio
und paarte mit hervorleuchtendem Heldengeiste einen hohen
Grad von Bildung und Kenntnissen. Er ward von dem
Sohne des Scipio, des Siegers von Zama, an Sohnes Statt
angenommen, führte deshalb nach römischer Sitte dessen Na-
men und änderte seines Vaters Namen Aemilius in Aemilianus.
Er hat sich in seinem Leben den hohen Ruhm erworben, daß
93
er nie etwas gesagt noch gethan habe, was nicht löblich ge-
wesen wäre. Er ward, nachdem er schon Proben seiner Tüch-
tigkeit abgelegt hatte, zum Feldherrn gegen Karthago ernannt.
Der neue Krieg zwischen Rom und Karthago hatte aber fol-
gende Veranlassung:
Masinissa, König von Numidien, den die Römer den
Karthagern zum Nachbar und Aufseher hingestellt hatten, be-
unruhigte diese unaufhörlich und nahm ihnen Provinzen und
Städte weg. Die Klagen der Karthager fanden in Rom kein
Gehör. Da griffen diese selbst zu den Waffen; aber dies sah
der römische Senat als eine Verletzung des Friedens an. Der
Mann, der fortwährend im Senate zur Zerstörung Karthago's
aufreizte, war Marcus Porcius Cato.
Er zeichnete sich durch vorzügliche Gelehrsamkeit, durch
große Mäßigkeit und Enthaltsamkeit, durch besondere Anhäng-
lichkeit an alte Gewohnheiten und durch einen lebhaften Eifer
für die Beobachtung der Gesetze aus. Uebrigens verrieth er
viele Züge eines hämischen und mißgünstigen Herzens. Er-
fand überall etwas zu tadeln, selten etwas zu loben. Er be-
neidete fremdes Verdienst, war leicht zu Feindseligkeiten geneigt
und konnte empfangene Beleidigungen nie vergessen. Die Kar-
thager hatten seinen Stolz gekränkt. Er war mit seiner Aus-
nahme, die er als Gesandter in Karthago gesunden hatte, nicht
zufrieden gewesen und hatte deshalb dieser Stadt den Unter-
gang geschworen. Seit dieser Zeit stimmte er für die Zerstö-
rung Karthago's und fügte jedem Vortrage, den er im Senat
hielt, die Worte hinzu: „Ueberdies bin ich der Meinung, daß
Karthago zerstört werden muß." Einst brachte er einige Fei-
gen in die Senatsversammlung. Als die Senatoren deren
Größe und Schönheit bewunderten, sagte er: „Diese Feigen
sind erst vor drei Tagen in Karthago gepflückt worden; solche
schöne Früchte trügt dieses feindliche Land, und so nahe sind
wir demselben." Durch solche Künste suchte Cato den Senat
zu gewinnen.
Allein Scipio Nasica war ihm entgegen. Dieser wider-
rieth die Zerstörung Karthago's, weil er fürchtete, daß die
94
O
Kräfte der Römer erschlaffen, oder sich gegen den Staat selbst
richten würden, wenn sie nicht mehr durch die Furcht einer
Nebenbuhlerin gespannt oder nach außen geleitet würden.
Endlich drang jedoch Cato mit seiner Meinung durch, und
die Consuln bekamen den Befehl, von Sicilien aus nach Africa
zu gehen und den Krieg gegen Karthago zu beginnen.
Als die Karthager davon hörten, gcriethen sie in die
größte Bestürzung. Im Gefühle ihrer Schwäche schickten sie
zu wiederholten Malen Gesandte nach Rom und unterwarfen
sich gänzlich dein Willen der Römer. Der Senat nahm ihre
Unterwerfung an und befahl ihnen, dreihundert Geißeln, Söhne
ihrer vornehmsten Bürger, nach Sicilien zu bringen und den
Befehlen der Consuln Folge zu leisten. Dies geschah. Den-
noch segelten diese mit ihrem Heere nach Africa. Bei der An-
kunft eines so großen Heeres schickten die Karthager von neuem
eine Gesandtschaft an die Consuln, mit dem Aufträge, was
sie thun sollten, und mit dem Versprechen, daß sic Alles zu
thun bereit wären. Die Consuln verlangten, daß die Kar-
thager ihre vorräthigen Schiffe, Waffen und Kriegsmaschinen
ausliefern sollten. Die Karthager stellten ihnen vor, daß sic
von innern und äußern Feinden umgeben wären und also
ihrer Waffen bedürften. Allein die Consuln antworteten in
hoffärtigem Tone: „Rom wird für eure Sicherheit sorgen."
Dem Befehle gemäß wurden die Schiffe verbrannt, die Kriegs-
geräthe aber ausgeliefert. Ihre Zahl soll sich auf 200,000
schwere Rüstungen und 2000 Katapulten (Wurfmaschinen) be-
laufen haben. Hierauf riefen die Consuln die vornehmsten
Senatoren der Karthager zu sich, um ihnen die letzten Befehle
des römischen Senats zu eröffnen. Sie erschienen, ein ehrwür-
diger Zug von dreißig Senatoren, denen eine nicht minder
ehrwürdige Anzahl von Priestern und vornehmen Männern
folgte. Jetzt verlangten die Consuln im Namen des Senats:
„Die Karthager sollten ihre Stadt verlassen und eine andere
bauen, die über 10,000 Schritte weit vom Meere entfernt
wäre und keine Mauern hätte; denn das jetzige Karthago müsse
dem Erdboden gleich gemacht werden."
95
Mit fürchterlichem Entsetzen hörten die Karthagischen Ab-
geordneten die Befehle der Consuln. Ihre Bestürzung, ihr
Wehklagen und ihr Jammergeschrei war so groß, daß selbst
die römischen Soldaten dadurch gerührt wurden; nur die Con-
suln wurden nicht gerührt. Sie bestanden auf ihrer Forderung,
und die Gesandten kehrten ohne Milderung derselben nach Kar-
thago zurück. Auf diese Kunde wurde die ganze Stadt mit
fürchterlichem Schrecken und rasender Verzweiflung erfüllt. Wü-
thend stürzten einige in die Rathsversammlung und tödteten
diejenigen von den Senatoren, die zur Auslieferung der Gei-
ßeln und Waffen gerathen hatten. Andere ergriffen die Ab-
geordneten, steinigten sie und schleiften ihre Körper durch die
Straßen der Stadt. Noch Andere ermordeten alle anwesenden
Italiker und gingen mit Hohngelächter in die Tempel der Göt-
ter, die, wie sie sagten, nicht einmal Kraft genug zu ihrer
eigenen Vertheidigung hatten. Nur wenige behielten bei der
allgemeinen Zerrüttung einige Besonnenheit. Diese verschlossen
die Thore der Stadt und trugen eine große Menge Steine aus
die Mauern, um wenigstens den ersten Angriff zurückzutreiben.
Als die Heftigkeit des ersten Schmerzes vorüber war, ver-
sammelten sich die Senatoren von neuem. Alle waren ent-
schlossen, ihr Vaterland zu vertheidigen und entweder zu siegen
oder zu sterben. Eine ganz ungewöhnliche Thätigkeit zeigte
sich jetzt in Karthago und setzte alles in Bewegung. Die Ver-
brecher wurden aus den Gefängnissen erlöst, die Sclaven sreigc-
lassen, die Verbannten zurückgerufen, und alle zum Kriegsdienst
verpflichtet. Aber nun fühlte man den Mangel an Waffen.
Plötzlich wurden alle Tempel und öffentlichen Gebäude in
Werkstätten verwandelt. Alle, ohne Unterschied des Standes
und Alters, arbeiteten Tag und Nacht an der Verfertigung der
Waffen. Ueberall suchte man Eisen und Erz zusammen, und
wo dieses fehlte, nahm man das Gold und Silber von den
Bildsäulen der Götter. Die Weiber schnitten ihre Haare ab,
um daraus Stricke zu verfertigen. Bei einem solchen Eifer
wurden täglich 140 Schilde, 300 Schwerter, 500 Lanzen und
1000 Spieße verfertigt.
96
O
Die Consuln hatten indessen mit ihrem Angriff gezögert.
Als sie endlich heranrückten, um die Stadt mit Sturm zu
nehmen, wurden sie zurückgeschlagen. Bald darauf wurde ein
großer Theil der Flotte verbrannt. Außerdem war Hasdrubal,
ein verbannter Karthager, mit 20,000 Vertriebenen zurückge-
kehrt. So vertheidigten sich die Karthager zwei Jahre lang
mit dem größten Muthe, und die Anstrengungen der römischen
Feldherren hatten keinen Erfolg.
Da wählten die Römer endlich den P. Cornelius Scipio
zum Cónsul und übertrugen ihm den Oberbefehl gegen Kar-
thago. Scipio fand ein zuchtloses und träges Heer; die Her-
stellung der Kriegszucht war daher seine erste Sorge. Dann
legte er große Wälle und Dämme an, um den Karthagern die
Zufuhr vom Lande und von der Seeseite her abzuschneiden.
Aber die Karthager gruben auf der innern Seite des Hafens
eine neue Mündung mitten in's Meer hinaus. Da sie die
Arbeit ganz geheim getrieben hatten, so erstaunten die Belagerer
nicht wenig, als sie eines Tages die Feinde mit fünfzig Kriegs-
schiffen heranfahren sahen. Scipio schlug sie jedoch in einem
Seegefechte, und machte nun Anstalt zur Bestürmung der Stadt
und legte Schanzen an. Mit dem Frühling des Jahres 146
v. Chr. stürmte er zuerst den untern Theil der Stadt, der an
die Häfen stieß, während die Burg Byrsa und die zunächst
daran stoßenden Straßen noch von den Feinden besetzt waren.
Hier waren die Häuser am höchsten, und ein jedes mußte von
den Römern, gegen welche die Punier Geschosse aller Art
schleuderten, mit stürmender Hand genommen werden. In den
Straßen, in den Häusern, sogar auf den Dächern wurde ge-
kämpft. Und als nun die äußerste Häuserreihe genommen war,
befahl Scipio das ganze Quartier anzuzünden, um einen freien
Raum für die Bestürmung der Burg selbst zu gewinnen. Sechs
Tage vergingen, ehe die entsetzliche Verwüstung vollendet, und
die Trümmer- und Leichcnhaufen weggeräumt waren. Am
siebenten Tage kamen 25,000 Frauen aus der Burg herab,
und baten um Schonung ihres Lebens. Scipio bewilligte ihre
Bitte. Darauf kamen 30,000 Männer und verlangten dieselbe
97
Gnade. Noch wollte Hasdrubal, der Befehlshaber der Burg,
nichts von Uebergabe wissen. Mit Weib und Kind und mit
900 römischen Ueberläufern zog er sich zuletzt in das hohe
Tempelgebäude des Aesculapius (des Gottes der Heilkunde)
zurück. Als aber die Römer auch bis zu dieser äußersten Höhe
herangerückt waren, verließ ihn der Muth. Ohne Mitwissen
der Anderen kam er mit einem Oelzweige in der Hand und
bat zu Scipio's Füßen um Frieden. Seine Gattin und die
Uebrigen zündeten den Tempel an, und stürzten sich in dessen
Flammen. Die noch nicht zerstörten Theile der Stadt wurden
darauf der Plünderung der Soldaten preisgegeben; Scipio be-
hielt die Beute der Tempel an Gold, Silber und Kunstwerken
für den öffentlichen Schatz. Die meisten Einwohner verkaufte
er in die Gefangenschaft; viele, unter ihnen auch Hasdrubal,
wurden an einzelne Italienische Städte vertheilt und hier bis zu
ihrem Tode in Kerkern aufbewahrt. Der Senat beschloß, daß
Karthago dem Erdboden gleich gemacht, und d c r verflucht sein
sollte, der je die Stätte desselben wieder bebauen würde. Nach
diesem Beschluß wurden auch die noch stehenden Neste der Stadt
angezündet. Siebzehn Tage brannte die von 700,000 Men-
schen bevölkerte, über 700 Jahre blühende, gewaltige Stadt.
Einst blickte Scipio von einer Anhöhe aus in die rauchenden
Trümmer der unglücklichen Stadt, deren Flotten einst die
Meere beherrschten; eine Ahnung von dem dereinstigen Schick-
sal seiner eigenen Vaterstadt tauchte in seiner Seele auf, und
traurig sprach er an der Seite seines Freundes, des Geschichts-
schreibers' Polybius, die berühmten Homerischen Verse aus:
Einst wird kommen der Tag,, wo die heilige Jlios hinsinkt,
Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigcn Königs.
Scipio erhielt von der Zerstörung Karthago's den Ehren-
namen Africanus, und wird, um ihn von dem älteren Scipio,
dem Sieger bei Zama, zu unterscheiden, der jüngere Asricaner
(^krieanus minnr) genannt. — In demselben Jahre, wo Kar-
thago fiel (146 v. Ehr.), wurde auch Korinth durch den Con-
sul Mummius erobert und zerstört.
Stacke, röin. Erzählungen. 4. Aufl.
8
98
O
Nachdem Scipio zwölf Jahre in Ruhe und Muße, mit
den Wissenschaften beschäftigt, gelebt hatte, wurde ihm eine
neue Gelegenheit zu Theil, seinen Kriegsruhm zu erhöhen.
Die Veranlassung zu diesem neuen siegreichen Feldzug bot der
Kampf gegen die Stadt Numantia in Spanien.
Hier hatte die Habsucht, die Treulosigkeit und Grausam-
keit der römischen Statthalter, von denen einer sogar wehrlos
versammelte Einwohner, die sich unterwarfen, niederhauen ließ,
eine allgemeine Empörung erregt. An die Spitze stellte sich
Viriathus, ein kühner Lusitanier. Gewöhnt an ein freies
Leben im Gebirge, abgehärtet, gewandt, kräftig von Körper,
keine Gefahr scheuend, geliebt von seinen Landsleuten, bekannt
mit dem Boden seines bergigen Vaterlandes, verstand er sein
Volk zum Kampfe für die Freiheit zu begeistern. So verthei-
digte er sich acht Jahre lang (148—140 v. Ehr.) gegen die
römischen Feldherren und war gleich furchtbar als Sieger und
Besiegter, bis er endlich durch Meuchelmord fiel.
Den heftigsten Widerstand leistete aber die Stadt Nu-
mantia*). Sie lag am Duero auf steiler Höhe, von Thal-
schluchten und Wäldern umgeben; Wälle und Gräben schützten
den einzigen Zugang aus der Ebene. Die Einwohner, etwa
8000 Mann, waren als die besten Reiter und Fußsoldaten
bekannt. Sieben Jahre lang vertheidigten sich die Numantiner
mit solchem Erfolg, daß die römischen Heere nichts ausrichte-
tcn. Endlich erregte der langjährige Widerstand der Numan-
tincr in Rom Besorgniß; nur Scipio, der Zerstörer Karthago's,
glaubte man, könne hier helfen, und so übertrug ihm das
Volk den Heerbesehl in Spanien (134 v. Ehr.).
Bei seiner Ankunft im Lager fand er die Kriegszucht im
Heere gänzlich erschlafft; im Lager wimmelte es von Krämern,
Schenkwirthen und Gesindel; die Soldaten lebten nur in Lust
und Spiel. Die Herstellung der alten Mannszucht beschäftigte
*) Die wenigen Reste dieser Stadt liegen in der Provinz Soria
bei der Stadt Soria auf dem rechten Ufer des Duero.
-
99
a
ihn daher ein ganzes Jahr. Er übte die der Arbeit entwöhn-
ten Soldaten unaufhörlich und mit unerbittlicher Strenge im
Lagerbau, Lasttragen, Marschieren, in Manövern und Streif-
zügen. Da er die Stadt auszuhungern gedachte, so vermied
er fortwährend eine Hauptschlacht, rückte aber immer näher
an dieselbe heran. Ringsum schloß er sie mit Wall und Gra-
ben ein, und schnitt ihr von allen Seiten die Zufuhr ab.
Da der reißende Strom des Duero durch Brücke und Damm
nicht zu beherrschen war, so baute er an beiden Usern Castelle,
von denen aus schwere, mit Seilen an einander hangende
Balken, die rundum von Sicheln und eisernen Spitzen starr-
ten, durch die Fluten von einer Seite bis zur andern gespannt
wurden, so daß man weder schwimmend noch fahrend den
Fluß herabkommen konnte. Das Heer hatte Scipio bis auf
60,000 Mann gebracht, und die Belagerten bei mehrmaligen
Ausfällen mit großem Verlust zurückgeschlagen. Schon währte
die Belagerung fünfzehn Monate; die ärgste Hungersnoth
wüthete unter den Numantinern; Gras und das Lederwerk
von den Waffen diente zur Nahrung; man verzehrte Leich-
name, und Mütter schlachteten zuletzt ihre Kinder. Endlich
baten die Belagerten um Frieden. Aber Scipio verlangte
Uebergabe auf Gnade und Ungnade. Die Gesandten, welche
diesen Bescheid brachten, wurden von den verzweifelten Ein-
wohnern erschlagen; dennoch blieb ihnen nichts Anderes übrig.
Sie öffneten die Thorc, baten aber die Römer, erst am dritten
Tage nachher einzuziehen. Da aber sahen sie Gräßliches; die
meisten Einwohner hatten sich das Leben genommen; die noch
übrig gebliebenen Elenden wurden als Sclavcn verkauft, und
nur fünfzig sparte Scipio für seinen Triumph auf. Die Stadt
wurde dem Erdboden gleich gemacht. Scipio erhielt von dieser
Eroberung den Beinamen Numantinus. Der Krieg gegen
Numantia hatte von 141—133 v. Ehr. gedauert. Als Scipio
nach Rom zurückgekehrt war, trat er als Gegner der Volks-
partei auf und zog sich den Haß vieler Bürger zu. Eines
Morgens fand man ihn todt in seinem Bette, und aller Wahr-
scheinlichkeit nach war er durch Meuchelmord gefallen, ohne daß
o
— 100 —
man über seine Mörder und die näheren Umstände seines To-
des genaue Kunde erlangen konnte.
XXII.
Die beiden Gracchen.
Jener Tiberius Gracchus, der sich des älteren Scipio
gegen seine Ankläger angenommen hatte, vermählte sich in
der Folge mit dessen Tochter Cornelia. Einst, erzählt man,
ergriff er ein Paar Schlangen auf seinem Lager, und die
Wahrsager erklärten, daß, wenn die männliche getödtet würde,
sie dem Tiberius, die weibliche der Cornelia den Tod bringen
würde. Tiberius, der seine Frau lieb hatte und meinte, daß
ihm, dem älteren, eher zu sterben gebühre als seiner Frau, ließ
die männliche tödten, die weibliche gab er frei. Bald darauf
starb er. Cornelia aber gab ihren beiden Söhnen, Tiberius
und Cajus, und ihrer Tochter Sempronia, die sich mit dem
jüngeren Africaner vermählte, die sorgfältigste Erziehung. Einst
erhielt Cornelia den Besuch einer vornehmen Campancrin,
welche alle ihre Schmucksachen und kostbaren Steine vor ihr
ausbreitete. Sie bat darauf Cornelia, ihr auch die ihrigen
zu zeigen. Die stolze Römerin ließ sogleich ihre beiden Söhne
kommen und sagte auf sie hinweisend: „Hier ist mein Schmuck,
hier meine Kostbarkeiten!"
Zum Jüngling herangewachsen, machte Tiberius Sem-
pronius' Gracchus mit seinem Schwager Scipio den Kriegszug
gegen Karthago mit und lebte mit den Feldherrn unter einem
Zelte. Er zeichnete sich hier durch Ordnungsliebe und Tapfer-
keit aus, und erstieg zuerst von den Römern die Mauer der
Stadt. Im Lager genoß er die Liebe des Heeres und ließ,
als er wegging, große Sehnsucht nach sich zurück.
Nach diesem Kriegszug ging er mit dem Consul Cajus
Man einus gegen die Numantiner. Als dieser unglückliche Feld-
— 101 —
Herr einst nach vielen großen Niederlagen aufbrechen und das
Lager verlassen wollte, wurde er mit seinem ganzen Heere von
den Numantinern eingeschlosscn und in Gegenden gedrängt, die
keine Ausflucht darboten. Mancinus verzweifelte an aller Ret-
tung und schickte Gesandte an die Numantiner um Waffenstill-
stand und Friedensunterhandlungen. Die Numantiner erklär-
ten, daß sie nur zum Tibcrius Vertrauen hätten und nur mit
ihm unterhandeln wollten. So ward denn Tiberius gesandt, und
er schloß mit den Feinden einen Vertrag, der dem römischen
Staate 20,000 Bürger erhielt. Als er aber nach Rom zu-
rückkehrte, ward der ganze Vertrag vom Senate nicht aner-
kannt, und der Beschluß gefaßt, daß alle Befehlshaber, die
sich an dem Abschluß des Vertrages bethciligt hatten, dem
Feinde ausgcliefert werden sollten. Doch des Tibcrius men-
schenfreundliche Denkungsart, die Liebenswürdigkeit seiner Sit-
ten und seine Rechtlichkeit hatten ihm bereits die Volksgunst
in solchem Grade gewonnen, daß er sreigesprochen ward. So
wurde denn nur der Consul Mancinus ausgeliefcrt; aber die
Numantiner waren edelmüthig genug, dieses Opfer der Treu-
losigkeit nicht anzunehmen: sie entließen den Consul unverletzt.
Doch nicht seine Auszeichnung im Kriege, sondern seine
Wirksamkeit im Staate war es, die den Tiberius berühmt ge-
macht hat. Schon Cornelia hatte öfters zu den Söhnen ge-
sagt: „Warum nennt man mich immer nur die Schwieger-
mutter des Scipio und nicht auch die Mutter der Gracchen?
Euer Schwager hat es euch unmöglich gemacht, ihn durch
Feldherrnruhm zu erreichen; aber eine andere, nicht minder
ehrenvolle Laufbahn steht euch offen: durch weise Gesetze das
Wohl eures Vaterlandes zu befördern."
Diesen von der Mutter angedeuteten Weg schlug jetzt Ti-
berius ein. Er beschloß, dem armen, von der herrschenden
Partei gedrückten Volke Erleichterung zu verschaffen. Auch erfüllte
ihn die Treulosigkeit, mit der diese Partei den Vertrag mit
den Numantinern ausgehoben hatte, mit dem größten Unwillen.
Um aber die Noth des Volks zu lindern, bewarb er sich um
das Amt eines Volkstribunen und erhielt cs (133 v. Chr.).
102
Das Elend des armen Volkes bestand darin, daß bei wei-
tem der größte Theil alles Landes im Besitz der herrschenden
Partei, der Optimaten, sich befand, während die große Masse
der eigentlichen Bürger ohne allen Landbesitz und also ohne alle
Mittel zur Ernährung war, und doch waren sie es, die in den
unaufhörlichen Kriegen Roms den Kern des Heeres bildeten und
ihr Blut für die Eroberungen des Staates vergossen. Um die-
ser Classe von Bürgern einen neuen Grundbesitz zu verschaffen,
erneuerte Tiberius als Volkstribun das alte Licinische Gesetz
(vergl. XIV.), daß kein Bürger mehr als 500 Morgen Landes
besitzen solle; jedoch erlaubte er, daß ein Familienvater für
jeden Sohn, der noch unter seiner Aufsicht lebte, 250 Morgen
mehr besitzen dürfe. Alles übrige Land sollte zu kleinen Gü-
tern vermessen und unter die Bürger vertheilt werden. Um
dieses Gesetz durchzusühren, verband sich Tiberius mit den an-
gesehensten und einflußreichsten Männern; unter ihnen war sein
Schwiegervater Appius Claudius, der Oberpriester Crassus und
der Rechtsgclchrte Mucius Scävola.
Es war natürlich, daß Tiberius durch seinen Vorschlag
die Gunst des Volks im vollsten Maße gewann, dagegen aber
auch den Haß und Ingriinm der herrschenden Partei auf das
Heftigste reizte, denn mit hinreißender Beredsamkeit schilderte
er die traurige Lage des armen Volks: „Das Wild, das in
Italien haust, hat seine Höhle; jedem ist sein Lager und sein
Zufluchtsort: die aber in Italien kämpfen und fallen, haben
Luft und Licht, und nichts Anderes zu ihrem Theil; ohne
Häuser, ohne feste Wohnsitze irren sie umher mit Weibern und
Kindern; und die Feldherren lügen, die in den Schlachten die
Streitenden ermuntern, von Grabmälern und Heiligthümern
die Feinde abzuwchren: keiner hat ja einen väterlichen Altar,
keiner unter so vielen Tausenden eine Grabstätte der Vorfahren;
sondern für Anderer Wohlleben und Rcichthum kämpfen und
fallen sie, Herren der Welt genannt, die doch keine Erdscholle
Eigenthum haben/'
Der Widerstand der Optimaten gegen den Vorschlag des
Tiberius war furchtbar; die Erbitterung der Gemüther stieg
103
auf beiden Seiten, als endlich der Tag herannahete, an wel-
chem über das Gesetz abgestimmt werden sollte. Als Tibcrius
an diesem Tage seinen Vorschlag noch einmal dem Volke vor-
trug, trat Plötzlich ein anderer Tribun, Octavius, auf und
hinderte durch seine Einsprache die Verlesung des Vorschlags
und die Abstimmung darüber. Diesen Tribunen hatten die
Optimaten für sich gewonnen, da sie kein Mittel hatten, das
Gesetz, das ihrer schrankenlosen Habsucht Grenzen setzte, zu
hintertrciben. Sie wußten wohl, daß kein Vorschlag zum
Gesetz erhoben werden konnte, wenn einer der Tribunen dage-
gen war.
Vergebens suchte Tiberius den Octavius umzustimmen.
In der Meinung, er befürchte selbst bei der Vertheilung der
Ländereien Verlust an seinem Eigenthum, bot er ihm Ersatz
von seinem eigenen Vermögen an. Als auch dies nichts fruch-
tete, verließ ihn seine bisherige Geduld. Die milden Bestim-
mungen seines Vorschlags zu Gunsten der Söhne nahm er
weg; von jetzt an sollte jeder Reiche nur 500 Morgen ohne
alle Entschädigung behalten. Die Reichen legten Trauerkleider
an und suchten Mitleid bei der Bürgerschaft zu erregen; aber
heimlich..sollen sie Meuchelmörder gedungen haben, um dem
Tiberius das Leben zu nehmen. Dieser trug nur einen Dolch
bei sich, sprach vor dem Volke von seiner Gefahr und ging
nicht ohne Begleitung aus dem Hause. Oft war eine Schaar
von 3—4000 Menschen um ihn.
In der nächsten Volksversammlung befahl Tiberius von
meuem die Verlesung seines Vorschlags, und Octavius wie-
derholte seine Einsprache. Die Volksmenge gerieth in Auf-
ruhr; als Tiberius zum Abstimmen schreiten wollte, bemerkte
man, daß die Urnen, worein die Stimmtäfelchen geworfen wur-
den, weggenommen waren. Wie nun die Volksmenge immer
heftiger tobte, und Octavius nicht nachgebcn wollte, sagte Ti-
berius: „Ich weiß kein anderes Mittel als dies, daß einer
von uns sein Amt niederlege. Laß du das Volk über mich
zuerst stimmen; wenn es mich meiner Würde entsetzt, so gehe
ich als Privatmann nach Hause." So beschied er das Volk
104
auf den andern Tag wieder, um über die Absetzung des Octa-
vius zu entscheiden.
Am andern Tage wiederholte Octavius abermals seine
Einsprache. Da ließ Tiberius über seine Absetzung stimmen.
Als fast der größte Theil des Volkes sich gegen Octavius aus-
gesprochen hatte und seine Absetzung beinahe gewiß war, trat
Tiberius vor aller Augen auf Octavius zu, umarmte ihn und
bat ihn flehentlich, er möge nachgcben. Octavius weinte und
war einige Augenblicke unschlüssig. Als er aber feine Augen
auf die nahe Schaar der Optimatcn warf, da befiel ihn
Schaam, und er hieß den Gracchus thun, was er wolle.
Darauf ward Octavius seines Amtes entsetzt, und kaum ent-
ging er den Händen des erbitterten Volkes. Der Vorschlag
des Tiberius ward nun genehmigt, und drei Männer zu seiner
Ausführung gewählt: er selbst, sein Bruder Casus, und sein
Schwiegervater Appius Claudius.
Es war bereits um die Mitte des Sommers, und es
nahte die Zeit, wo die neuen Volkstribunen gewählt wurden.
Die Reichen dachten den Tiberius zu stürzen, wenn er seine
Würde niedergelegt hätte, und machten vorher alle seine Schritte
gehässig. Und in der That war die Absetzung des,Octavius
beispiellos und gesetzwidrig, und befremdete sogar Manchen aus
dem Volke. Um sich in der Gunst des Volkes zu erhalten,
machte er den Vorschlag, daß die Schätze des Königs Attalus
von Pergamus, der das römische Volk zum Erben seines Rei-
ches eingesetzt hatte, unter das Volk vertheilt werden, und daß
dieses über das Reich verfügen sollte. Durch diesen Vorschlag
verletzte er den Senat auf das tiefste, und schon wurde ihni
nachgesagt, daß er nach der königlichen Würde strebe, und ein
Mann aus Pergamus ihm bereits Diadem und Purpurmantel
überbracht habe.
Unter solchen Umständen bewarb sich Tiberius um das
zweite Tribunat. Die Wahl siel in die Erntezeit, wo nur der
besitzlose städtische Pöbel in Rom anwesend, die Landbewohner
aber auf dem Felde beschäftigt waren. An dem Wahltage kam
cs zu Streitigkeiten, und TibcriM verlegte die Versammlung
105
auf den folgenden Tag. Den übrigen Theil des Tages ging
er in Trauerkleidern, seine Kinder an der Hand, auf dem Fo-
rum umher und bat die Bürger, für die Sicherheit feines Le-
bens zu sorgen. Eine große Schaar armen Volkes begleitete
ihn und bewachte während der Nacht sein Haus. Am folgen-
den Morgen besetzten große Haufen Volks das Capitolium;
in der Nähe desselben versammelte sich der Senat in einem
Tempel. Böse Vorzeichen schreckten den Tiberius, als er sein
Haus verließ. Aber die Freunde machten ihm Muth, und als
er die Stufen des Capitols herankam, begrüßte ihn das Volk
mit lautem Freudengeschrci. Allein die Versammlung war
äußerst unruhig. Inzwischen beschlossen die Senatoren, ihre
Sclaven und Clienten (Schutzgenossen) zu bewaffnen. Ein
Freund brachte dem Tiberius davon Kunde. Als dieser den
zunächst stehenden Anhängern die Nachricht mittheilte, schlugen
diese sogleich ihre Oberkleider zurück, zerbrachen die Spieße,
mit denen die Gerichtsdiener das Volk in Schranken zu hal-
ten Pflegten, vertheilten die Stücke unter sich und schlugen auf
die Gegner los. Tiberius wollte reden; da er aber bei diesem
Getümmel nicht dnrchdringcn konnte, zeigte er mit der Hand
nach seinem Kopfe, um dem Volke seine Lebensgefahr anzudeu-
ten. Von dieser Bewegung des Tiberius erhielten die Senato-
ren sogleich Nachricht, und legten sie boshafter Weise so aus,
als habe Tiberius die Krone gefordert. Da sprang Scipio
Na sica auf, und verlangte von dem Cónsul, er solle Ge-
walt brauchen. Der Cónsul Mucius Scävola aber wei-
gerte sich, Bürgerblut zu vergießen. Daraus rief Scipio: „Weil
der Cónsul die Sache des Staates verläßt, so folge mir jeder,
der sie reiten will!" So verließ er, von seinen Anhängern
begleitet, die Senatssitzung, und viele schlossen sich ihm auf
dein Wege an. Das Volk erstaunte bei der Ankunft der Se-
natoren und machte ehrerbietig Platz. Diese aber ergriffen,
was sie von Beinen und Stücken zerbrochener Bänke und Ge-
räthschaften vorfanden und schlugen aus das Volk los, das
nach allen Seiten hin die schleunigste Flucht ergriff. Auch Ti-
berius floh, stürzte aber über einige vor ihm liegende Leichen.
5**
106
Da erschlug ihn Saturejus, einer der Tribunen, mit einer
Keule. Seine Leiche und die der übrigen Erschlagenen, deren
über dreihundert waren, wurden durch die Gassen geschleppt
und in die Tiber geworfen.
Das Ackergesetz des Tibcrius, wonach dem Volke Land
zugewicsen wurde, bestand auch noch nach dessen Tode in Kraft,
obgleich es die Optimalen zu Hintertreiben suchten. Zu diesen
gehörte selbst der Schwager des Ermordeten, Scipio Africanus,
der, als er von Numantia die Nachricht vor dem Tode des
Gracchus erhielt, ausrief:
„So mag's Jedem ergehn, der solcherlei Thatcn verübt hat!"
Durch seine Bestrebungen, die gegen das Volk gerichtet
waren, zog er sich dessen Haß zu, und es ist bereits oben er-
zählt worden, wie er als Opfer dieses Hasses fiel.
Casus Sempronius Gracchus, der Bruder des Tiberius,
war neun Jahre jünger als dieser. Anfangs lebte er nach
dessen Tode in stiller Zurückgezogenheit, aber zehn Jahr nach-
her erschien er vor dem Volke, vertheidigte das Gesetz seines
Bruders und erwarb die Liebe der Bürger. Er glich dem Ti-
berius an Tugend und Rechtschaffenheit, übertraf ihn aber an
Geist und Beredsamkeit, und war hitziger und leidenschaftlicher,
als sein sanfter Bruder. Die Senatoren fürchteten den Casus
und suchten ihn von den Volksversammlungen zu entfernen.
Er wurde daher als Quästor nach Sardinien geschickt und
dann von der Rückkehr nach Rom abgehalten. Aber Casus
merkte die Absicht des Senats. Plötzlich verließ er seine Stelle,
eilte nach Rom zurück und bewarb sich um das Tribunal (123
v. Ehr.). Man sagt, er sei dazu durch einen Traum aufge-
sordert worden. Sein ermordeter Bruder soll ihm nämlich im
Traume erschienen sein und gesagt haben: „Umsonst sträubst
du dich, Casus, dir bleibt doch ein Tod wie der meinige be-
schieden."
Als seine Mutter Cornelia von seiner Bewerbung um
das Tribunat hörte, rieth sie ihm von dieser Laufbahn ab.
107
Zwar hatte sie selbst ihre Söhne angefeuert, nach Ebren und
Würden zu streben, aber das traurige Ende ihres älteren Soh-
nes hatte den stolzen Muth der Mutter gebeugt. Sie schrieb
daher jetzt an den Cajus und bat ihn in den rührendsten Aus-
drücken von einem Unternehmen abzulassen, das für ihn höchst
gefährlich werden könnte. Aber Cajus beharrte auf seinem
Vorhaben. Er ward Tribun.
. Zwei Jahre hindurch bekleidete er dieses Amt, schwächte
durch eine ganze Reihe von Vorschlägen und Gesetzen die
Macht des Senats und erweiterte die des Volks. Aber die
Senatoren fanden ein Mittel, ihn zu stürzen und ihm die
Volksgunst zu entziehen. Der Senat gewann den Volkstribunen
Livius Drusus und bewog ihn, durch Vorschläge, welche
die Wohlfahrt des Volks beförderten, den Cajus noch bei
weitem zu überbieten, und für diese Vorschläge schon im Vor-
aus die Genehmigung des Senats zu versprechen. Durch
dieses Verfahren suchte der Senat in dem Volke die Meinung
zu erwecken, daß er nur aus persönlicher Abneigung gegen den
Gracchus dem Volke widerstrebe, und dasselbe begünstigen werde,
sobald Cajus vom Tribunale entfernt sei. So verlor Cajus
allmählich die schwankende Gunst des Volkes; er erlangte das
Tribunal nicht zum dritten Mal, während sein Gegner Opi-
mius Consul ward.
Eines Tages ging Cajus, dessen Unverletzlichkeit nun auf-
gehört hatte, mit einem Hausen der Seinigen auf das Capi-
tolium, und erschien daselbst, als Opimius die gewöhnlichen
Opfer verrichtete. In eben diesem Augenblick trug der Lictor
Antyllius die Eingeweide des Opferthieres hinaus; ein stolzer
und trotziger Mensch. Als dieser zu den Anhängern des Grac-
chus kam, rief er ihnen zu: „Hinweg, ihr schlechten Bürger,
mackt braven Leuten Platz!" Diese Worte beleidigten die An-
hänger des Cajus so sehr, daß sie den Lictor auf der Stelle
tödteten. Cajus mißbilligte das Geschehene und ging nach sei-
ner Wohnung. Sein Weg führte ihn über das Forum an
der Bildsäule seines Vaters vorbei. Er blieb stehen, betrach-
tete sie eine Zeitlang stillschweigend und brach dann in einen
108
Strom von Thränen aus. Seine Freunde wurden dadurch
gerührt und schwuren, ihn niemals zu verlassen, und wachten
die ganze Nacht vor seiner Wohnung.
Indessen hatten die Senatoren, die früher den Tod des
Tiberius ungeahndet gelassen hatten, die lautesten Klagen über
den Tod des Lictors erhoben, und dem Consul befohlen, da-
für zu sorgen, daß der Staat keinen Schaden leide, d. h. ste
hatten ihm völlige Gewalt gegeben, mit dem Casus und dessen
Anhängern nach Willkür zu verfahren.
Am folgenden Morgen verband sich Casus mit seinem
Freunde Fulvius, der den Aventinischen Berg besetzt hatte.
Seine Gegner standen bewaffnet auf dem Capitol; er aber
blieb unbewaffnet und nahm nur einen kleinen Dolch zu sei-
ner Verthcidigung zu sich. Als er eben im Begriff war, mit
seinen Anhängern aus dem Hause zu gehen, kam ihm seine
Gattin Licinia entgegen: Mit der einen Hand führte sie ihren
kleinen Sohn, und mit der andern ergriff sie die Toja ihres
Gatten und rief voll der zärtlichsten Wehmurh: „Wohin stür-
zest du dich, Casus? Willst du -dich unbewaffnet deinen Fein-
den preisgeben? Erinnerst du dich nicht an das Schicksal deines
Bruders? Ach, ich Unglückliche! wer weiß, ob ich nicht bald
das Meer oder die Tiber bitten muß, mir deinen Leichnam
wiederzugeben, um ihn bestatten zu können!"
Casus ward von Schmerz durchdrungen; aber er sollte
seinem Verhängniß nicht entgehen. Seine Freunde winkten,
und er riß sich aus den Umarmungen seiner Gattin und ent-
fernte sich ohne zu reden. Licinia folgte ihrem Mann, und
suchte ihn zu halten; aber vergebens. Ohnmächtig sank sie
aus der Straße nieder, von wo ste von einem Sclaven in das
Haus getragen ward.
Casus kam indessen zum Fulvius auf den Aventinischen
Berg. Von hier aus suchten beide mit dem Opimius zu un-
terhandeln. Fulvius schickte einen seiner jüngeren Söhne mit
dem Friedensstab in der Hand an ihn ab; es war ein Jüng-
ling von ausgezeichneter Schönheit; mit bescheidenem Anstand
trat er weinend vor Opimius und machte Vergleichsvorschläge.
109
Opimius aber sprach: nicht durch Boten müßten sie den Senat
überreden, sondern als schuldbeladene Bürger zum Gericht kom-
men, um sich selbst auszuliefern und den Zorn der Senatoren
zu besänftigen. Dem Jünglinge aber gebot er, auf diese Be-
dingungen oder gar nicht wieder zu kommen. Da schickte
Fulvius seinen Sohn zum zweiten Mal ab; Opimius aber, der
den Kampf zu beginnen eilte, ließ sogleich den Jüngling er-
greifen und in's Gefängniß werfen. Darauf zog er gegen den
Fulvius mit vielen Schwerbewaffneten und Bogenschützen, durch
deren Würfe die Plebejer verwundet wurden und in Verwir-
rung geriethen. Bei der allgemeinen Flucht verbarg sich An-
fangs Fulvius, ward aber entdeckt und niedergehauen. Cajus
floh über die Tiber in einen den Furien geheiligten Hain.
Als er keinen Ausweg mehr sah, ließ er sich von einem seiner
treusten Sclaven todten. Sein Leichnam fiel in die Hände
des Septimulejus; dieser schnitt ihm den Kopf ab, füllte ihn
mit Blei aus und brachte ihn zum Consul; denn Opimius
hatte versprochen, demjenigen, der den Kopf des Cajus brächte,
so viel Gold zu geben, als der Kopf wiegen würde.
Nach dem Tode des Gracchus wurden fast alle seine Ein-
richtungen wieder aufgehoben; in Nom aber war der Anfang
zu blutigen Bürgerkriegen gemacht (121 v. Chr.).
XXIII.
Cajus Marius. / °) *
Marius war der Sohn eines Landmannes aus Arpinum
im Lande der Volsker. Aus niederem Stande entsprossen, wuchs
er ohne allen Unterricht auf, und war von rohen derben Sit-
ten; frühzeitig entwickelte er eine vorherrschende Neigung für
das Kriegsleben, so daß er in der Folge einer der tüchtigsten
Feldherrn wurde. War er auch ohne gelehrte Bildung, so
besaß er doch einen von Natur klaren Verstand und eine glü-
110
hende Begierde nach Ruhm. Seine ersten Kriegsdienste that
er vor Numantia unter dem Oberbefehl des Scipio, und schon
damals erregte er durch seine Tapferkeit und durch sein Feld-
herrntalent dessen Aufmerksamkeit. Als einst einige Freunde
den Scipio fragten: „Wer wird dich uns ersetzen, wenn das
Schicksal dich uns entreißen sollte?' antwortete er, indem er
den Marius auf die Schultern klopfte: „Dieser hier!" Nach
Rom zurückgekehrt, erhielt Marius das Amt eines Volkstribu-
ncn, und vertheidigte als solcher die Rechte seiner Standes-
genosscn gegen die Partei der Optimaten, die er tödtlich haßte,
und die schon damals in ihm einen furchtbaren Gegner er-
kannten. Die erste Gelegenheit, selbstständig als Feldherr auf-
zntretcn, und sich um sein Vaterland hochverdient zu machen,
gab ihm der Krieg, den die Römer gegen Jugurtha, König
von Numidien, führten. Zugleich zeigt dieser Krieg die Ent-
artung der damaligen Römer, besonders die Habsucht und Be-
stechlichkeit der Optimaten.
Masinissa's Sohn, Micipsa, hatte vor seinem Tode das
Numidische Reich unter seine beiden Söhne Adherbal und
Hiempsal und seinen Bruderssohn Jugurtha getheilt. Aber
bald darauf tödtete der herrschsüchtige Jugurtha, der nach dem
Ganzen trachtete, den Hiempsal, und nöthigte den Adherbal
zur Flucht nach Rom. Hier hatte Jugurtha durch sein Gold
schon viele Senatoren bestochen, so daß an keine Bestrafung
desselben gedacht, vielmehr das Reich in zwei Hälften getheilt
ward, von denen Jugurtha die bessere erhielt. Auch damit,
war dieser nicht zufrieden, bekriegte ohne alle Veranlassung den
Adherbal, und ließ ihn nach der Uebergabe seiner Hauptstadt
ermorden. Aus die Nachricht von diesen Vorfällen beschloß
der Senat, Krieg gegen Jugurtha zu führen (112—106
v. Ehr.).
Doch der Consul Calpurnius Piso Bestia ließ sich durch
Jugurtha's Gold bestechen und bewilligte ihm einen vortheil-
haften Frieden. Dem Beispiel des Consuls folgten die Sol-
daten. Durch Gold gewonnen, verübten sie die schändlichsten
Streiche; einige lieferten dem Jugurtha die abgenommenen
111
Elephcmten aus, andere verkauften ihm die Ueberläufer, und
noch andere plünderten die Lander der Bundesgenossen. Als
die Nachricht von dem Frieden nach Rom kam. enthüllte der
Tribun M e m m i u s dem Volke das schändliche Verfahren des
Consuls und bewirkte, daß Jugurtha nach Rom vorgeladcn
wurde, um sich vor dem Volke zu vertheidigen. Unter der
Versicherung des öffentlichen Schutzes kam Jugurtha in Rom
an, ohne königlichen Schmuck, in Trauerklcider gehüllt, um
dadurch das Mitleiden für sich zu erregen. Nach seiner An-
kunft begann er sofort seine Bestechungen von neuem. Da er
wußte, daß jedes Unternehmen eines Tribunen vereitelt werden
konnte, wenn sich ein anderer Tribun widersetzte, so brachte
er den Tribunen Bäbius durch große Geldsummen auf seine
Seite. In der Volksversammlung hielt ihm Memmius alle
seine Verbrechen vor und forderte ihn auf, die römischen Großen
zu nennen, die er durch sein Gold erkauft habe. Jugurtha
wollte reden: aber der bestochene Bäbius that Einsprache, und
das Volk ging auseinander.
Mit diesem Erfolge noch nicht zufrieden, wagte es Ju-
gartha in Rom selbst sogar einen Mord zu begehen. Er hatte
gehört, daß die Römer damit umgingen, den Massiva, einen
Enkel des Masinissa, der sich damals in Rom aufhielt, auf
den Numidischen Thron zu setzen. Um dies zu verhindern,
ließ er Meuchelmörder erkaufen und den Massiva tödten. Jeder-
mann wußte, daß Jugurtha der Urheber des Mordes war;
aber Niemand forderte ihn zur Rechenschaft. Man befahl ihm
nur, Italien sogleich zu verlassen, und erklärte auf's neue den
Krieg gegen ihn. Jugurtha ging aus Rom. Unterwegs sah
er lange Zeit schweigend zur Stadt zurück und brach endlich
in die merkwürdigen Worte aus: „O feile Stadt, wie schnell
würdest du untcrgchen, wenn sich nur ein Käufer fände!"
Aber auch in den nächsten Feldzügen erfochten die Römer
keine Erfolge, und erlitten sogar die Schmach, unter dem
Schandjoch wcgziehen zu müssen. Da schickte der Senat den
Cónsul Metellus gegen Jugurtha, und Marius begleitete ihn
als Unterfeldherr. Der unbestechliche Metellus führte den Krieg
112
zwei Jahre lang mit allem Nachdruck, trieb den Jugurtha in
die Enge und eroberte eine Stadt nach der anderen, aber den
Ruhm, den Krieg zu beendigen, wußte ihm der ehrgeizige
Marius zu entziehen. Marius wollte sich um das Consulat
bewerben, und da er zu diesem Zwecke in Rom anwesend sein
mußte, suchte er beim Oberfeldherrn um Urlaub nach. Der
adelstolze Metellus war über dieses Beginnen erstaunt und
rieth ihm, nicht über seinen Stand hinauszugehen; als aber
Marius nicht nachließ, um Urlaub zu bitten, sagte Metellus
mit bitterm Spotte: „Du wirst noch früh genug nach Rom
kommen, wenn Du Dich einst zugleich mit meinem Sohne um
das Consulat meldest." Der junge Metellus war aber erst
zwanzig Jahre alt, und da zum Consulat ein Alter von drei-
undvierzig Jahren erforderlich war, hätte Marius nach den
höhnischen Worten des Consuls noch dreiundzwanzig Jahre
warten können. Durch diese Aeußeruug wurde der Ingrimm
des Marius gereizt; er erzwang den Urlaub, und verläumdete
von jetzt an den Metellus bei jeder Gelegenheit. Er reiste
nach Rom, wo er dem Feldherrn nachsagte, daß er den Krieg
absichtlich in die Länge ziehe; er meldete sich um das Consu-
lat und erhielt es, mit ihm den Oberbefehl gegen Jugurtha.
(108 v. Chr.) Bis dahin war es noch keinem Manne von
niederer Herkunft gelungen, diese Würde zu erlangen.
Marius bildete aus den geringsten, vermögenslosen Bür-
gern, die bis dahin nicht zum Kriegsdienst hcrangezogen wor-
den waren, ein Heer, mit dem er gegen Jugurtha zog, der
sich inzwischen mit seinem Schwiegervater Bocchus, König
von Mauretanien verbunden hatte. In den fruchtbarsten Theilen
Numidiens eroberte Marius Burgen und Städte und machte
große Beute. Dann griff er die im Südosten gelegene Stadt
Capsa an. Dorthin führte er sein Heer mit solcher Eile, daß
seine Reiter schon die-nächsten Thore der Stadt besetzten, ehe
die Einwohner seine Ankunft erfuhren. Sie ergaben sich ohne
Widerstand; dennoch ließ Marius alle Waffenfähigen umbrin-
gcn und die Stadt anzünden. Im folgenden Jahre (106)
erschien er an der Westseite Numidiens vor der Stadt Mulucha,
— 113
in der Jugurtha seine meisten Schätze verwahrte. Sie lag am
gleichnamigen Flusse auf einem steilen Bergkegcl, der nur einen
einzigen Zugang bot, und wurde von einer zahlreichen, mit
allem Röthigen versehenen Besatzung geschützt. Alle Versuche,
die Burg zu erstürmen, mißlangen. Und schon dachte Marius
sein Vorhaben aufzugeben, als eines Tages ein Soldat ihm
anzeigte, wie er an der entgegengesetzten Seite des Berges beim
Schneckensammeln einen Weg entdeckt habe, und auf die Höhe
des Felsens gekommen sei, wo die Burg unbesetzt wäre. Schon
am nächsten Tage mußten vier Centurien mit fünf Trompetern
unter Leitung jenes Soldaten den Fels erklettern. Sie fanden
keine Gegenwehr, zumal da in diesem Augenblick die ganze
Besatzung auf der andern Seite beschäftigt war, den heftiger
als je anstürmenden Marius zurückzudrängen. Plötzlich ertönte
die Feldmusik der Römer und das Angstgeschrei der Weiber
und Kinder, die zuerst den eingedrungenen Feind erblickten.
Bestürzt wich die Besatzung in die Stadt zurück; Marius ver-
doppelte seine Anstrengungen und drang zugleich mit den Geg-
nern in die Festung ein.
Im Laufe dieses Jahres gerieth beinahe das ganze Nu-
midische Land in die Hände der Römer. Noch in zwei Treffen
besiegte Marius den Jugurtha und den Bocchus. Letzterer bat
endlich um Frieden. Die Unterhandlungen mit ihm betrieb
Sulla, der im Heere des Marius Quästor war, und bewog
den König Bocchus, seinen Schwiegersohn auszuliefern. Ju-
gurtha wurde zu einer Unterhandlung eingeladen, und als er am
bestimmten Tage und Orte erschien, von Soldaten ergriffen,
gefesselt und dem Sulla überliefert. Aber Marius kränkte es
tief, daß es nicht ihm, sondern dem Sulla gelungen war, die
Person des Jugurtha in seine Gewalt zu bekommen; vor
Allem aber erweckte es den unversöhnlichen Groll des Marius,
daß sich Sulla einen Siegelring verfertigen ließ, auf dem die
Auslieferung Jugurtha's dargestellt war. Die Feindschaft, die
von jetzt an zwischen beiden Männern bestand, stürzte in der
Folge den Römischen Staat in's Verderben.
Jugurtha ward zu Rom im Triumph des Marius auf-
114 —
geführt. Der raubsüchtige Pöbel riß ihm seine Kleider und
Ohrringe mit den Ohrläppchen ab. Dann ward er nackt in
den furchtbarsten Kerker hinabgestoßen. „Ha, wie kalt ist euer
Bad!" rief der Unglückliche beim Hcrabstcigen, und seine un-
verwüstliche Lebenskraft hatte sechs Tage lang mit dem grausen
Huugertode zu kämpfen, worauf man ihn aus Gnaden vollends
erdrosselte.
_________________ , /
Um das Jahr 113 v. Chr. erschienen die Cimbern, ein
deutscher Völkerstamm, der ursprünglich in den Ländern des
baltischen Meeres gesessen hatte, mit Frauen und Kindern in
den Donauländern, um sich im Süden neue Wohnsitze zu
suchen. Zu ihnen gesellten sich die Teutonen, Ambronen und
andere Stämme. Die Römer stellten sich diesen Völkerwande-
rungen entgegen, aber ihre Consuln erlitten eine Reihe von
furchtbaren Niederlagen, in denen ganze Heere aufgerieben wur-
den, Italien zitterte vor den gewaltigen Schaaren des Nor-
dens, wie in den Tagen Hannibals; der Schrecken war zu
Rom so groß, daß sich Niemand um das Consulat des Jahres
104 v. Chr. zu melden wagte. Da hoffte das Volk von
Marius, dem Bezwinger des Jugurtha, Rettung.
Und in der That machten die Eigenschaften dieses Mannes,
seine unvergleichliche Leibesstärke, sein wildes Gesicht, seine der-
ben Sitten ihn geeignet, einem entmuthigten Heere neues Ver-
trauen und sogar Begeisterung einzuflößen. Das Consulat
wurde ihm von neuem übertragen, und fünf Jahre nach ein-
ander bekleidete jetzt Marius die höchste Würde. Er ging
nach Gallien. Bei seiner Ankunft (104 v. Chr.) fand er die
Feinde nicht mehr, da sie inzwischen durch Gallien über die
Pyrenäen nach Spanien gezogen waren und erst nach zwei
Jahren zurückkehrten. Diese Zwischenzeit verwandte Marius
auf Vorbereitungen aller Art, und übte seine Soldaten in
Kämpfen mit kleineren gallischen Horden. Bei der Rückkehr
theilten sich die Barbaren in zwei Haufen: die Cimbern gingen
115
über den Rhein, um von Rhätien aus in Italien einzufallen;
die Teutonen und Ambronen gedachten durch Ligurien einzu-
rücken.
Marius hatte am Zusammenfluß der Rhone und Jsöre
ein Lager errichtet und erwartete hier die Teutonen und Am-
bronen. Fortwährend vermied er die Schlacht, obschon ihn
die Feinde reizten, und sogar seine eigenen Leute ihn dazu
aufforderten. Ein Barbar forderte den Marius zum Zwei-
kampf heraus, ward aber mit Hohn und Verachtung abge-
wiesen. Die Feinde begannen einen Sturm auf das Lager:
er ward abgeschlagen, und Marius rückte nicht aus den Mauern
seines Lagers. Solches Zaudern ertrugen die Barbaren nicht
länger; sie zogen mit Verachtung am Lager vorbei. Höhnisch
riefen sie den römischen Soldaten zu: „sie zögen nach Italien:
ob sie Aufträge an ihre Frauen und Kinder zu bestellen hätten?"
Kaum bändigte Marius den Zorn seiner Krieger. So groß
war die Menge der Barbaren, daß sie sechs Tage lang an
dem Lager des Marius vorbeimarschirten. Kaum waren sie
vorbei, so folgte ihnen Marius auf dem Fuße nach und ge-
langte auf kürzerem Wege zugleich mit ihnen an einen kleinen
Fluß, an dem Aquä Sextiä (Aix en Provence) lag. Hier
wählte Marius einen Hügel zum Lagerplatz, von welchem herab
er die Gegend ringsher zu übersehen vermochte. Die Deutschen
lagerten sich an beiden Seiten des Flusses. Durch diese Lage-
rung wurden die Römer vom Wasser abgeschnitten. Diese,
von Durst gequält, klagten und murrten. Marius aber wies
auf den Fluß hin: „Ihr seid Männer," sprach er, „dort ist
Wasser für Blut feil, und ihr klagt, daß es fehle?" Da gin-
gen römische Troßknechte mit ihren Thieren zum Fluß hinab
und vertrieben einige Feinde; als aber mehr Barbaren erschie-
nen, eilten auch römische Soldaten hinab. Die Teutonen aber
und ihre Bundesgenossen waren in aller Sicherheit; sie aßen,
sie badeten sich, sie freuten sich des schönen Landes. Wie nun
von beiden Seiten Hülfe erschien, wurden zuletzt die Haupt-
heere selbst in die Schlacht geführt. Der Ambronen waren
30,000 Mann. In dem Augenblick, wo sie über den Fluß
116
setzten, ließ sie Marius von allen Seiten angreifen, und zwar
mit solchem Erfolg, daß die meisten auf dem Platze erschlagen
wurden. Die Römer drangen mit den Flüchtlingen bis an
die Zelte und Wagen der Teutonen, die am Kampf keinen
Theil genommen hatten; hier wurden sie von den Weibern mit
Beilen und Schwertern empfangen, und erst die Nacht brachte
die Kämpfenden auseinander.
Nun folgte eine grausenhafte Nacht. Die Klage der Teu-
tonen um die gefallenen Brüder, das Geheul der Verwundeten,
der Schlachtgesang der Barbaren hallte wieder in den Wäldern
und klang in das römische Lager hinüber, daß es den Römern
durch Mark und Gebein ging. Marius hatte den Claudius
Marcellus mit 3000 Mann in einen Hinterhalt gelegt. Mit
Anbruch des Tages stellte er sein Heer vor dem Lager in
Schlachtordnung und reizte die Teutonen durch abgesandte Rei-
terschaaren zum Kampf. Die Teutonen rückten die beschwer-
lichen Höhen hinan; die Römer stürzten ihnen entgegen. Noch
vor der Mitte des Tages waren die Teutonen in die Ebene
zurückgedrängt; und schon begannen ihre Reihen sich zu lösen,
als auch Marcellus aus seinem Hinterhalt hervorbrach und
ihre Verwirrung vermehrte. Ordnungslose Flucht ckam über
ihr gauzes Heer. Der Gefangenen und Erschlagenen waren
100,000. Teutobach, König der Teutonen, gerieth in römische
Gefangenschaft. (102 v. Ehr.)
Inzwischen waren die noch unbesiegten Cimbern über die
rhatischen Gebirge vorgedrungen und hatten das Heer des Lu-
tatius Catulus über den Po zurückgedrängt. Ihr Plan war,
sich mit den Teutonen, deren Schicksal ihnen noch unbekannt
war, zu vereinigen und dann gegen Rom zu ziehen. Im
Frühling des Jahres 101 v. Ehr. verband sich Marius mit
Catulus. So rückten sie, 50,000 Mann stark, wieder über
den Po. Die Cimbern aber schickten Abgeordnete an die römi-
schen Feldherren und ließen um Land für sich und ihre Brüder,
die Teutonen, bitten. Sie erhielten die Antwort: für ihre
Brüder sei bereits gesorgt, indem sie Land bekommen hätten,
wo sie ewig bleiben würden. Um ihnen die Vernichtung der
117
Teutonen glaublich zu machen, ließ Marius den gefangenen
Teutobach in Ketten vorführen. Jetzt rückten die Cimbern
schlagfertig vor das Lager der Römer, und Bojorix, der König
der Cimbern, forderte den Marius auf, Ort und Zeit zur
Schlacht zu bestimmen. In der Ebene von Vercellä erschie-
nen beide Heere zum Kampf.
Die Cimbern waren in einem Viereck aufgestellt, dreißig
Stadien breit und tief; die Soldaten der vordersten Reihe
hatten, um Flucht unmöglich zu machen, sich mit Ketten an
einander geschlossen. Bei den Römern befehligte Catulus das
Mitteltreffen, Marius hatte sich auf den Flügeln aufgestellt.
Er selbst rückte mit dem einen Flügel zu weit vor; des Catu-
lus Heer entschied das Treffen. Der Tag war heiß; die Cim-
bern hatten Sonne und Wind gegen sich; die Tapfersten fielen,
der Rest floh der Wagenburg zu, wo auch die Frauen sich zur
Wehr stellten. Hier begann ein neues Gemetzel, dem nur
wenige Haufen durch die Flucht entgingen. Viele der Frauen
tödteten, um nicht in Gefangenschaft zu gerathcn, erst ihre
Kinder, dann sich selbst. Dennoch betrug die Zahl der Ge-
fangenen 60,000; die der Getödteten war 120,000.
Die Römer aber erwiesen dem Marius, dem Retter Ita-
liens, die höchste Ehre. Sie nannten ihn den dritten Grün-
der der Stadt, spendeten ihm Trankopfer, wie einem Gotte,
und ertheilten ihm zum sechsten Mal das Consulat. Am
Triumphe aber ließ Marius den Catulus Theil nehmen. Vor
dem Triumphwagen mußte der gefangene Teutobach einher-
schreiten, ein Mann von so riesigem Wuchs, daß er noch über
die Siegeszeichen hervorragte.
XXIV.
Sulla und Marius. ^ ■?£
1. sulla, Feldherr gegen Mithridatcs, vertreibt den Marius.
^ ^ Lucius Cornelius Sulla stammte aus einem patri-
cischen Geschlcchte. Er hatte eine schöne Gestalt, ein edles
/
CiP, i
118
Ansehen und war in seinem Betragen gesprächig, witzig, liebens-
würdig und einnehmend. Treffliche Anlagen des Geistes zeich-
neten ihn aus, so wie eine gediegene Bildung in den griechi-
schen und römischen Wissenschaften. Er war dem Genüsse sehr
ergeben, noch weit mehr aber dem Streben nach Ruhm, uner-
sättlicher Ehrgeiz war die glühendste Leidenschaft seiner Seele.
In seiner Jugend war er zu Ausschweifungen geneigt, erst in
späteren Jahren offenbarte er seinen Hang zu blutiger Grau-
samkeit. Fast in allen Stücken war Sulla dem Marius un-
ähnlich, nur in maßloser Nuhmgier waren beide Männer ein-
ander gleich. Schon seit dem Ende des Jugurthinischen Krie-
ges, wo Sulla dem Marius die Ehre, sich der Person des
Jugurtha zu bemächtigen, entrissen hatte, lebten beide in bitte-
rer Feindschaft, jetzt bot aber der Krieg gegen Mithridates die
Veranlassung zu einer Eifersucht zwischen Sulla und Marius,
die den römischen Staat in das Unheil bürgerlicher Kämpfe
stürzte.
Mithridates, König von Pontus, einem Lande an der
Südküste des schwarzen Meeres, war ein Mann von unge-
wöhnlichen Eigenschaften. Körperlich ungemein stark und ab-
gehärtet gegen alle Beschwerden, kühn und rastlos in Gefahren
und Wagnissen, enthaltsam im Sinnengenuß, wilden, unbeug-
samen Sinnes, doch nicht ohne alle Großmnth, dabei von
großem Verstand und außerordentlichem Gedächtniß, herrsch-
süchtig, mißtrauisch und grausam, war er ein unversöhnlicher,
erbitterter Feind der Römer. Nicht zufrieden mit seinem Reiche
Pontus, erweiterte er seine Macht durch Eroberung anderer
Staaten Kleinasiens, wobei ihm der Umstand zu großem Vor-
theil gereichte, daß er, der zweiundzwanzig asiatische Sprachen
redete, mit jedem Volke in seiner eigenen Sprache unterhandeln
konnte. Er hatte die Absicht sich zum Herrn von Asien zu
machen. Schon hatte er einen römischen Feldherrn, den Ma-
nius Aquillius geschlagen, und als er ihn in seine Gewalt
bekommen, gefesselt ans einem Esel durch die Städte Kleinasiens
führen und ihm zuletzt geschmolzenes Gold in den Hals gießen
lassen, um in ihm die römische Habgier zu strafen. Mit Freuden
119
öffneten ihm die griechischen Städte, als dem Erretter von
römischem Druck, ihre Thore. Jetzt erließ er an alle Städte
Kleinasiens den gräulichen Befehl, an einem bestimmten Tage
alle Römer ohne Unterschied des Standes, Alters und Ge-
schlechtes zu ermorden. Mit schrecklicher Pünktlichkeit erfüllten -
die Obrigkeiten aller Orte den Befehl, und 80,000 Italiker
erlagen an einem Tage der Wuth des Volks. Nachdem
Mithridates den Römern in Asien bedeutende Länder entrissen
hatte, streckte er seine Hände nach Griechenland aus, und es
war hohe Zeit für die Römer, gegen diesen Eroberer entschei-
dende Maßregeln zu ergreifen.
Kurz vorher hatte sich Sulla im Kriege der Römer gegen
ihre Bundesgenossen (91—89 v. Ehr.) mit Siegcsruhm be-
deckt und den Ehrennamen des Glücklichen erhalten. Ihm,
dem 49jährigen Mann, übertrugen die Römer den Oberbefehl
gegen Mithridates. Der alternde Marius, dessen Ehrgeiz trotz
seiner 68 Jahre noch nicht gesättigt war, fühlte sich dadurch
zurückgesetzt und gekränkt. Wenn auch kränklich, besuchte er
täglich das Marsfeld, machte unter den jungen Männern alle
körperlichen Uebungen mit, um den Verdacht des Alters und
der Kränklichkeit zu entfernen. Er verband sich mit dem ver-
wegenen Volkstribunen Sulp i ciu s Ru fus, der ein Gefolge
von 600 Rittern hatte, die er ihrer feindlichen Gesinnung
wegen seinen Gegensenat nannte, und außerdem noch 3000
Bewaffnete besoldete. »
Mit Hülfe dieses Sulpicius und seines Anhanges wußte
Marius einen Volksbeschluß zu erzwingen, durch den der Ober-
befehl gegen Mithridates dem Sulla genommen und ihm, dem
Marius, übertragen wurde. Unter solchen Umständen mußte
Sulla nicht ohne Gefahren flüchten, und begab sich nach Rola
in Campanien, wo die ihm angewiesenen Legionen standen.
Diesen stellte er die ihm widerfahrene Schmach vor, und sie
forderten ihn auf, sie ungesäumt nach Rom zu führen, um
sich sein Recht zu holen. Als daher die von Marius abge-
schickten Kriegstribunen kamen, um das Heer für ihn zu über-
nehmen, wurden sie von Sullas erbitterten Soldaten gesteinigt.
120
Bald rückte dieser an der Spitze von sechs Legionen gegen
Rom vor. Als seine Soldaten Ansangs von der Partei des
Marius zurückgeschlagen wurden, befahl Sulla den Bogen-
schützen Brandpfeile auf die Dächer zu schießen und ergriff selbst
eine brennende Fackel. Jetzt drangen seine Legionen vor, und
umsonst riefen die Anhänger des Marius Bürger und Sclaven
zu Hülfe. Sulla zog siegreich in Rom ein, vertrieb den Ma-
rius, Sulpicius und zwölf ihrer Anhänger aus der Stadt,
und brachte es dahin, daß sie als Feinde des Vaterlandes in
die Acht erklärt wurden. Hierauf schickte er Reiter aus, um
die Flüchtigen aufzusuchen und zu tobten. Sulpicius wurde
gefunden und ermordet; aber Marius entging mit seinem Sohne
und einigen Freunden der Verfolgung.
2. Marius Flucht.
Er hatte sich nach Ostia begeben, wo er ein Boot fand,
das ihn aufnahm, und durch einen Sturm genöthigt in Circeji
landete. Von den Anstrengungen dieser Seereise erschöpft, von
Hunger gequält, und auf allen Seiten von Gefahren umgeben,
irrte Marius mit seinen Begleitern in den Gefilden von Cir-
ceji herum. Gegen Abend stieß er auf einige Kuhhirten, die er
um Lebensmittel ansprach; allein sie waren selbst arm und
konnten ihm Nichts geben. Indessen r'ethen sie ihm doch, sich
eilig zu entfernen, denn eben wären Reiter dagewesen, die ihn
ausgesucht hätten. Marius verließ daher die Landstraße und
floh mit den Seinigen tief in den Wald. Am folgenden Mor-
gen ging er, von Hunger genöthigt, an's Ufer, um Unterhalt
und Mittel zur ferneren Flucht zu suchen. Er war sehr er-
mattet; dennoch aber bestrebte er sich, seine Begleiter zu er-
heitern. Er bat sie, nicht zu verzweifeln, und erzählte ihnen
folgendes Geschichtchen. Einst wäre er als Knabe auf dein
Felde gewesen, da wäre ihm ein Adlernest mit sieben Jungen
in den Schooß gefallen. Seine Eltern hätten die Wahrsager
darüber befragt und von diesen die Antwort erhalten: „er
121
werde einst unter den Sterblichen sehr berühmt werden und
siebenmal die höchsten Würden bekleiden." Durch solche und
ähnliche Unterhaltungen stärkte Marius den Muth seiner Ge-
fährten und zeigte ihnen, daß er selbst mitten im Unglück die
Hoffnung hege, noch einmal Cónsul zu werden; denn schon
hatte er sechsmal diese Würde bekleidet.
Marius war mit seinen Gefährten nicht allzuweit mehr
von Minturnä entfernt, als er auf der einen Seite einen Hau-
fen Reiter erblickte, die auf ihn zueilten, und zugleich auf der
andern Seite zwei Fahrzeuge gewahr wurde, die nicht weit von
der Küste hinsegelten. Ohne sich lange zu bedenken, warf er
sich mit den Seinigen in's Meer und kam, durch zwei seiner
Sclaven unterstützt, in eines jener Schiffe; seine übrigen Ge-
fährten gelangten zu dem andern. Inzwischen kamen die Rei-
ter an's Ufer und schrieen den Schiffern zu, sie sollten landen
und den Marius entweder ausliefern oder über Bord werfen.
Lange Zeit schwankten die Schiffer, endlich ließen sie sich durch
die Thränen und Bitten des alten Marius rühren und riefen
zurück: „sie würden den Marius schützen." Aber kaum hatten
sich die Reiter entfernt, so änderten die Schiffer ihre Gesinnung.
Sie fuhren zur Mündung des Liris zurück. Hier riethen sie
dem Marius an's Land zu gehen, 'einige Nahrung zu sich zu
nehmen und ruhig zu schlafen, so lange sie hier am Ufer ver-
weilten. Er folgte ihnen, schlief ein, und sogleich entfernten
sich die Schiffer. Als Marius wieder erwachte und sich von
Allen verlassen sah, blieb er lange Zeit vor Entsetzen am Ufer
liegen. Traurige Betrachtungen mochten sein Herz erfüllen und
seinen Muth beugen. Erst nach einiger Zeit faßte er sich wie-
der. Er schleppte sich durch unwegsame und sumpfige Gegen-
den fort und kam zur einsamen Hütte eines Greises, den er
um Schutz und Beistand bat. Der Greis wurde durch den An-
blick des Unglücklichen gerührt und verbarg ihn unter dem ge-
höhlten User des Liris. Aber nicht lange darauf kamen die
Reiter des Sulla und verlangten die Auslieferung des Marius.
Das hörte dieser; er verließ das Ufer und eilte zu den Mo-
rästen von Minturnä. Hier zog er seine Kleider aus, tauchte
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Aufl. 6
122
sich bis an's Kinn in's Wasser und verhüllte den Kopf mit
Rohr. Dennoch ward er von einigen Reitern entdeckt. Diese
warfen ihm einen Strick um den Hals, zogen ihn aus dem
Wasser und führten ihn als einen Gefangenen nach Minturnä.
Die Obrigkeit zu Minturnä war entschlossen, den Befehlen
des römischen Senats zu folgen und den Marius zu tödten.
Sie schickten deshalb einen cimbrischen Sclaven ab, um durch
diesen das Todesurtheil vollziehen zu lassen. Als der Sclave
in das Gefängniß des Marius trat, sah ihn dieser mit grim-
mem Blick und seuersprühenden Augen an, und rief ihm mit
donnernder Stimme zu: „Sclave, Du wagst es, den Casus
Marius zu tödten?" Auf einmal wurde der Cimber mit
Schrecken und Entsetzen erfüllt. Er warf sein Schwert weg,
lief hinaus auf die Straße und rief: „Ich kann den Marius
nicht tödten!" Die Minturnenser wurden dadurch heftig be-
wegt und betrachteten die Furcht des Sclaven als einen Wink
der Götter, ließen den Marius los, versahen ihn mit Geld
und Kleidung und beförderten seine Flucht nach Afrika.
Unterwegs hörte Marius, daß sich sein Sohn und einige
seine Anhänger in Numidien befanden, und segelte daher nach
dem alten Hafen von Karjhago. Aber kaum war er daselbst
angekommcn, als ihm der Proprätor Sextius durch einen Lictor
befehlen ließ, Afrika zu verlassen. Marius war eben in düstre
Betrachtungen versunken. Der Platz, auf welchem sonst Kar-
thago gestanden hatte, erinnerte ihn lebhaft an den Fall seines
eigenen Glückes. So blieb er eine Zeit lang stumm, bis ihn
der Lictor fragte, ob er ihm keine Antwort an den Prätor
erthcilen wollte. Jetzt sagte er die bedeutenden Worte: „Melde
dem Sextius, Du habest den alten Marius auf den Trümmern
von Karthago sitzen gesehen." — Bald darauf fand Marius
seinen Sohn und dessen Gefährten. Mit diesen begab er sich
auf eine Insel unweit der Küste von Afrika, wo er den Win-
ter hindurch lebte und auf Rache sann.
123
3. Äulla's Krieg gegen Mithridates.
Mittlerweile hatte Sulla zu Rom den Octavius, seinen
Anhänger, zum Consul erhoben, neben welchem das Volk den
eifrigen Marianer Cornelius Cinna wählte. Diesen ließ
Sulla schwören, keine neuen Einrichtungen vorzunehmen, und
zog dann mit seinem Heere gegen Mithridates (87 v. Chr.).
Er landete in Griechenland und drang durch Thessalien
und Böotien gegen Athen vor, dessen Bewohner es mit Mi-
thridates hielten. Da Sulla's Versuche, die Stadt zu erstür-
men, mißlangen, so mußte er sich zu einer langen und müh-
seligen Belagerung entschließen. Um, sich Geld zu verschaffen,
nahm er die Tcmpelschätze zu Delphi, und um Holz für die
Belagerungswerkzeuge zu bekommen, ließ er die Bäume in den
Hainen der Academie fällen, und die langen Mauern theilweise
niederreißen. Unter allerlei Zurüstungen^ wie sie die Belage-
rung erforderte, verging der WintetX Mit dem Frühling wur-
den Stadt und Hafen enger eingeschlossen, und die Versuche,
sie zu erstürmen, mehrmals, obgleich vergeblich erneuert. In
der Stadt aber erreichte die Hungersnoth einen entsetzlichen
Grad; schon mußten die Leichen zur Nahrung der Lebenden
dienen, und man beschloß endlich,' mit Sulla des Friedens
wegen zu unterhandeln. Die athenischen Gesandten hielten vor
Sulla eine abgeschmackte Rede, in der sie alle Herrlichkeiten des
alten Athens aufzählten und in stolzem Ton Schonung ihrer
Stadt verlangten. Sulla aber schickte sie mit den Worten zu-
rück: solche Dinge sollten sie die Schüler in den Rcdeschulen
vortragen lassen. Endlich wurde die Stadt durch einen Zufall
verrathen. Spione meldeten dem Sulla, daß einige alte Män-
ner in einer Barbierstube sich unwillig darüber geäußert hätten,
daß eine Stelle der Stadt nicht gehörig bewacht wäre. Diese
Stelle wurde in der nächsten Mitternacht erstiegen und die
Stadt eingenommen (86 v. Ehr.). Raubend und mordend
drangen die Sullanischen Soldaten ein und richteten ein furcht-
bares Blutbad an. Am andern Tage that Sulla der zerstö-
renden Wuth seiner Soldaten Einhalt. „Ich will/' sagte er,
6*
124
„Vielen um Weniger willen, und den Lebenden der Todten
wegen verzeihen."
Nach der Eroberung Athens zog Sulla nach Böotien, wo
der Pontische Feldherr Archelaus mit 120,000 Mann stand,
denen er nur 15,000 Mann zu Fuß und 1500 Reiter ent-
gegenzustellen hatte. In der Nahe von Charonea trafen
beide Heere zusammen. Sulla's Soldaten, der anstrengenden
Arbeiten müde, forderten laut eine Schlacht. Ihr Wunsch
ward erfüllt, und so vollständig war ihr Sieg, daß Archelaus
nur mit 10,000 Mann entkommen sein soll. Noch blutiger
und entscheidender war die Schlacht bei Orchomenus. Schon
neigte sich der Sieg auf die Seite des Archelaus, als Sulla
vom Pferde sprang, de " Fobnenträger den Adler aus der
Hand riß und mit den Wv>" : „Hier will ich sterben; und
wenn man euch fragt, wo ihr euren Fcldherrn verlassen habt,
so sagt: bei Orchomenus!" sich von neuem in die Feinde
stürzte. Seine Soldaten erneuerten den Kampf und schlugen
den Feind mit einem Verluste von 15,000 Mann zurück. Am
folgenden Tage sollen noch 40,000 Mann in den nahen Süm-
pfen und im Fluß umgekommen sein. Archelaus selbst hielt
sich zwei Tage lang in einem Sumpfe versteckt und entkam
am dritten nach Euböa.
Im folgenden Jahre (85 v. Ehr.) unterhandelte Archc-
laus persönlich mit Sulla über den Frieden. Zu Delium in
Böotien kamen beide Feldherren zusammen. Als Archclaus die
Bedingungen Sulla's zu hart fand, rief dieser aus: „Wie?
Mithridates dankt es mir nicht auf den Knieen, daß ich ihm
die rechte Hand lasse, mit der er so viele Römer gelobtet hat?"
So wurden die Unterhandlungen abgebrochen. Mithridates
knüpfte sie aber von neuem wieder an, als Sulla (84 v. Ehr.)
in Asien erschien. Hier hatte er mit dem König selbst eine-
Unterredung zu Dardanus, wo Mithridates in alle Bedin-
gungen des Sulla einwilligte. Bei dieser Zusammenkunft
schwieg Mithridates anfänglich und schien dem Sulla die Er-
öffnung der Unterredung überlassen zu wollen; doch dieser
sagte: „Sprich du zuerst, da du den Frieden nöthig hast;
125
der Sieger hat das Recht zu schweigen." Mithridates begann
nun seine früheren Thaten zu rechtfertigen und Sulla ant-
wortete: „Wohl hatten diejenigen Recht, die mir deine Be-
redsamkeit rühmten, denn es gehört in der That ein großer
Redner dazu, solche Schandthaten zu beschönigen." — Der
König mußte alle seine Eroberungen abtreten, 2000 Talente
bezahlen und 70 Schiffe ausliefern. Die kleinasiatischen Städte,
die jetzt wieder in römische Gewalt kamen, wurden furchtbar
ausgesogen; jeder mußte die bei ihm liegenden Soldaten und
deren Gäste bewirthen. Jeder gemeine.Soldat konnte sich täg-
lich 15, jeder Hauptmann 50 Drachmen von seinem Wirthe
bezahlen lassen. Außerdem mußten noch sämmtliche Städte
an Sulla 20,000 Talente Kriegssteuer zahlen. Nie hat Asien
sich von diesen Bedrückungen, welche ein ganzes Jahr dauerten,
erholt. Im Jahr 84 v. Ehr. kehrte Sulla nach Rom zurück,
wo seine- Gegenwart dringend nothwendig war, wenn nicht
seine Partei den Marianern völlig erliegen sollte.
Kaum hatte Sulla Rom verlassen, als der Cónsul Cinna
eine Volksversammlung berief, um die Zurückberufung des Ma-
rius und der übrigen Geächteten zu bewirken. Hierbei kam
es zu blutigen Kämpfen. Der andere Cónsul, Octavius, eilte
mit seinen Schaaren herbei und drängte den Cinna bis an
die Thore der Stadt zurück; 10,000 Anhänger Cinna's sollen
bei diesem Gemetzel das Leben verloren haben. Hülflos floh
dieser, der zu Rom seiner Consulwürde verlustig erklärt wurde,
nach Campanien. In Rola klagte er den Kriegstribunen der
dortigen Legionen die ihm widerfahrene Schmach und trat dann
vor den Soldaten auf. Von Victoren umgeben, mit allen
Zeichen seiner consularischen Würde ausgestattet, begann er sei-
nen Vortrag vor dem Heere. Plötzlich aber ließ er die Victo-
ren abtreten und erzählte weinend, wie ihn der Senat seiner
Würde entsetzt habe; er zerriß seine Kleidung, sprang von der
/ j
4. Cinna in Nom. Marius Rückkehr und Tod.
t
126
Rednerbühne und warf sich auf die Erde. Die Soldaten wur-
den durch diesen Anblick gerührt; sie führten ihn zur Redner-
bühne zurück, stellten ihm alle Zeichen seiner Würde wieder zu
und versprachen ihm Gehorsam. Von diesem Erfolge benach-
richtigte Cinna den Marius und lud ihn zur Rückkehr nach
Italien ein. Jetzt strömten seine Anhänger von allen Seiten
zu ihm und mit einem gewaltigen Heere erschien er vor Rom.
Die Zeit der Rache für Marius war gekommen. Er
landete in Etrurien und brachte 1000 Reiter und außerdem
eine Bande vonHA-5OO0 Sclaven zusammen. An der Spitze
dieser wilden Rotten rückte er mit Cinna gegen Rom. Da
der Senat außer Stand war, die Stadt gehörig zu vertheidi-
gen und zudem noch Hungersnoth ausbrach, suchte er die er-
bitterten Gegner durch Unterhandlungen zu gewinnen. Als
die Gesandten zum Cinna kamen, fragte er sie, ob sie zu ihm
als einem Consul kämen. Darauf konnten sie nicht antworten
und gingen unverrichteter Sache zurück. Nun erkannte ihn der
Senat als Consul an und schickte von neuem Abgeordnete an
ihn. Sie fanden ihn auf seinem Amtssessel sitzend und aus-
gerüstet mit allen Zeichen der consularischen Würde. Marius
stand schweigend neben ihm, aber sein grimmiger Blick verrieth
die fürchterliche Rachgier seines Herzens.
Die beiden Verbündeten kamen hierauf zum Stadtthor.
Cinna zog ein; Marius aber blieb am Thore stehen und sagte
mit bitterem Lächeln: „Verbannte dürfen ja nicht in die Stadt
gehen." Cinna ließ daher sogleich das Volk Zusammenkommen,
um die Aufhetzung des Gesetzes zu bewirken, durch welches
Marius geächtet worden war. Allein kaum hatten drei Ab-
theilungen des Volks für seine Rückkehr gestimmt, so konnte
sich dieser nicht länger halten. Er brach mit wüthender Grau-
samkeit in die Stadt, ließ Alles, was ihm in den Weg kam,
niederstoßen, befahl das Haus des Sulla dem Erdboden gleich
zu machen, und erlaubte seinen wilden Horden die schrecklichsten
Ausschweifungen. Als das Morden fünf Tage lang gedauert
hatte, ward Cinna dessen überdrüssig; aber der alte Marius
hatte seinen Blutdurst noch nicht gesättigt; wem er den Gruß
127
weigerte, der wurde getödtet. Da überfiel endlich Cinna mit
einer Schaar Bewaffneten diese Mordsclaven in ihrem nächt-
lichen Lager und ließ fie niedermetzeln.
Als die erste Wuth vorüber war, ernannten sich Cinna
und Marius eigenmächtig zu Consuln. Marius bekleidete die-
ses Amt nun zum siebenten Mal, aber nur auf kurze Mit.
Sulla hatte den Senat von seinen Siegen über Mithridates
benachrichtigt und zugleich versichert, er werde bald kommen, um
an seinen Feinden Rache zu nehmen. Diese Nachricht erfüllte
den alten Marius mit Unruhe und Angst, die er durch Trunk
und Schwelgerei zu ersticken suchte. Doch seine Trunksucht
beschleunigte sein Ende. Er starb im Jahr 86 v. Ehr., am
siebzehnten Tage seines Consulats. y iy>- ^
8$
3. Sullas Rückkehr und Proscriptionen. Sein Tod.
Drei Jahre hindurch behauptete sich Cinna im Consulat,
bis er von seinen eigenen Leuten getödtet ward, die nicht gegen
Sulla fechten wollten. Dieser erschien endlich an der Spitze
eines siegreichen Heeres von 40,000 Mann, das er überschweng-
lich belohnt hatte, in Italien, wo ihm die Marianer eine
Macht von 200,000 Mann entgegenstellen konnten. Dennoch
schlug sie der glückliche Sulla und wußte sogar das Heer des
jungen Marius durch geschickte Ueberredung auf seine Seite zu
bringen, so daß Papirius Carbo sagte: „In Sulla steckt ein
Löwe und ein Fuchs, und letzterer ist noch mehr zu fürchten
als jener." Der junge Marius warf sich in die Stadt Prä-
neste, wo er sich heldenmüthig vertheidigte, und als Sulla vor
den Thoren Roms ein großes Heer der Samnitcr, deren letzte
Reste hier vertilgt wurden, geschlagen hatte, ließ er sich, am
glücklichen Erfolge verzweifelnd, durch einen Sclaven tödten.
Seinen Kopf stellte Sulla auf der Rcdnerbühne aus und sagte
spottend: „Das Bürschchen hätte erst Ruderer werden sollen,
zum Steuermann war es noch zu jung."
Nach einer Reihe von Siegen zog Sulla in Nom ein,
128
und jetzt verwandelte er sich in den blutgierigsten Wütherich,
den Rom jemals gehabt hat. Er hatte in der letzten Schlacht
6000 Gefangene gemacht. Diese ließ er im Circus Maximus
zu Rom niederhauen. Während dies geschah, versammelte
er den Senat nicht weit vom Circus im Tempel der Bellona.
Hier hielt er eine drohende Rede, worin er die Senatoren nicht
als Häupter eines freien Staates, sondern alé- pflichtvergessene
Unterthanen eines stolzen Gebieters behandelte. Mitten unter
dieser Rede hörten die Senatoren das klägliche Geschrei jener
Gefangenen, die eben im Circus ermordet wurden. Alle er-
schraken und sprangen bestürzt von ihren Sitzen auf. Nur
Sulla blieb gefaßt. Ohne seine Miene zu verändern sagte er
blos: „Laßt euch nicht stören, versammelte Väter! Was ihr
hört, ist das Geschrei einiger Ausrührer, die auf meinen Befehl
gestraft werden." Dann setzte er seine Rede fort, bis alle jene
Unglücklichen gctödtet waren. Nicht lange nachher hielt er eine
Rede vor dem Volk, worin er deutlich sagte, daß er keines
Menschen schonen würde, der gegen ihn die Waffen getragen
hätte. Der Grausame hielt Wort. Denn nun erfolgte das
fürchterlichste Blutbad. Vierzig Senatoren, sechszchnhundcrt
Ritter und viele tausend Bürger wurden getödtet, viele Colonie-
städte zerstört, und jeder konnte ungestraft den ermorden, den
er haßte, oder dessen Vermögen er zu besitzen wünschte.
Als das Morden schon einige Tage gedauert hatte, sagte
Metellus in der Senatsversammlung zum Sulla: „Wir bitten
dich nicht, diejenigen leben zu lassen, die du zu tobten beschlossen
hast, sondern nur diejenigen nicht durch Angst zu tobten, die
du erhalten willst." Sulla ward durch diese Freimüthigkeit
nicht beleidigt. Er erwiderte blos, daß er selbst noch nicht
wisse, wen er verschonen würde. Hierauf sagte Metellus weiter:
„Nun, so nenne uns diejenigen, die du zu tobten entschlossen bist."
Dies geschah. Sulla stellte nun öffentliche Verzeichnisse
von den Namen derer aus, die ihre Güter und ihr Leben ver-
lieren sollten. Diese Verzeichnisse sind unter dem Namen der
Proscriptionen bekannt, und Sulla gab das erste und schreck-
lichste Beispiel davon. Die Listen der zurss Tode Bestimmten
129
wurden öffentlich auf dem Forum aufgestellt und zugleich durch
ein Gesetz bekannt gemacht, daß mit der Aechtung Verlust des
Vermögens verbunden sei. Sulla schickte ganze Schaareu Gal-
lischer Reiter aus, um die Verurteilten aufzusuchen und um-
zubringen. Wer den Kopf eines Geächteten brachte, erhielt
zwei Talente (2500 Thaler) zur Belohnung; wer einen Verur-
theilten aufnahm, verbarg oder ihm zur Flucht verhalf, ward
mit dem Tode bestraft. Diese Achtserklärungen erzeugten die
häßlichsten Schandthaten. Sclavcn verriethen ihre Herren,
Kinder ermordeten ihre Eltern, Brüder und Gatten wurden
durch Zwietracht entzweit. Tempel und Altäre wurden mit
dem Blute der Unschuldigen befleckt, und nicht nur Rom, son-
dern fast alle Städte Italiens mit den Körpern der Erschlage-
nen ungefüllt. Beispiele der unerhörtesten Grausamkeit waren
nichts Seltenes; Verrätherei, Undank, Meuchelmord. Bosheit, &■
Raub und Habsucht wütheten allenthalben. Die Zahl der
Getödteten läßt sich nicht genau bestimmen; in Rom sollen
nahe an 5000 gefallen sein. Sulla hörte nicht eher auf. durch
Achtscrklärungen zu morden, als bis die Rache und die Hab-
sucht aller seiner Anhänger gesättigt war und ein gewisser
Furfidius erinnerte, einige seiner Feinde leben zu lassen, damit
Menschen übrig wären, über die er herrschen könnte.
Als Sulla seine Rache gesättigt hatte, ließ er sich zum
Dictator aus Lebenszeit ernennen und machte sich durch eine
Reihe heilsamer Gesetze um den Staat verdient, indem er das
Ansehn des Senats hob, die Macht der Tribunen beschränkte,
und dadurch einer unumschränkten Volks Herrschaft entgegen
arbeitete. Wegen seiner Siege gegen Mithridates hielt er einen
glänzenden Triumph und versorgte seine Anhänger mit G"'
Im zweiten Jahre seiner Diktatur (79 v. Ehr.) legte er
diese Würde öffentlich nieder, nachdem er in einer Rede vor
dem Volke seine Thaten und sein Glück gepriesen hatte. Dann
ging er als Privatmann auf dem Forum mit seinen Freun-
den auf und ab. Alle Bürger wichen ihm ehrerbietig aus. Als
<r aber nach Hause ging, lief ihm ein Jüngling mit lauten
und Ländereien.
Schmähungen nach. Da wandte sich Sulla vor seinem Hause
um und sagte: „Du wirst machen, daß ein künftiger Diktator
seine Würde nicht niederlegt."
Sulla lebte noch ein Jahr als Privatmann, dem Ver-
gnügen und der Jagd ergeben. Seine letzten Tage wurden
ihm durch eine sehr schmerzhafte und Ekel erregende Krankheit
verbittert, an der er starb (78 v. Ehr.). In seiner Zurück-
gezogenheit hatte er die Denkwürdigkeit seines Lebens ge-
schrieben. Sein Leichnam ward auf dem Marsfeld verbrannt.
Er selbst hatte sich die Grabschrift gesetzt: daß ihm ein Sterb-
licher weder so viel Gutes noch so viel Böses zugefügt hätte,
was er nicht reichlich vergolten habe.
_____'
XXV.
Pompejus der Große.
1. Pompejus' erstes Auftreten.
En ejus Po mp ejus war der Sohn des Pompejus
Strabo, der im Kriege der Römer gegen ihre Bundesgenossen
mit Auszeichnung gekämpft und einen Triumph gefeiert hatte.
Wie das Heer den älteren Pompejus wegen seiner unersättlichen
Geldgier haßte, so wußte der junge Pompejus durch körperliche
und geistige Vorzüge die Liebe und Gunst des Volkes zu ge-
winnen. Er war im Umgang leutselig, freundlich und be-
scheiden, obschon er in hohem Grade ehrgeizig war und nach
der ersten Stelle im Staate trachtete. Schon als Jüngling
gab er Beweise von Muth und Unerschrockenheit. Einst hatte
Cinna einen Mörder gegen Pompejus gedungen, allein der An-
schlag ward verrathen. Der junge Pompejus war wachsam
genug, um seinen Vater durch ausgestellte Posten zu schützen,
während er selbst leise aus dein Zelte schlich, so daß der Mörder,
der ihn auf dem Lager zu finden wähnte, seine Streiche gegen
131
das leere Bett richtete. Ein andermal weigerten sich die Sol-
daten dem verhaßten Feldhcrrn Gehorsam zu leisten. Dieser
trat aus Furcht nicht hervor; der Jüngling aber stellte sich
mitten unter sie und wandte Bitten und Thränen an, um die
Soldaten, die das Lager verlassen wollten, zu ihrer Pflicht
zurückzuführen. Als seine Vorstellungen nichts fruchteten, warf
er sich vor das Thor des Lagers zur Erde, und hieß diejenigen,
die abziehen wollten, zuvor seinen Körper zertreten. Bei diesem
Anblick kehrten die beschämten Soldaten zurück und versöhnten
sich mit ihrem Fcldhcrrn. Uebrigens gelang cs diesem doch
nie, sich bei dem Heere oder Volke beliebt zu machen, und als
er vom Blitz erschlagen worden, äußerte das Volk bei der
Bestattung seinen Haß noch gegen die Leiche.
Der junge Pompejus nahm in dem Kampfe des Marius
gegen Sulla die Partei des letzteren. Während der Herrschaft
der Marianer zu Rom lebte er auf seinen Gütern und trat,
als Sulla nach Italien zurückgekehrt war, offen für diesen auf.
Siegreich kämpfte er mit seinen Truppen, die er selbst gewor-
ben, gegen die Marianer, so daß Sulla dem 23jährigen Pom-
pejus den Ehrennamen Imperator beilegte. Als Sulla seinen
Einzug in Rom gehalten hatte, sandte er den Pompejus nach
Sicilien und Afrika, um auch hier die Marianer zu vernichten.
In Sicilien schlug er den Carbo, nahm ihn gefangen und ließ
ihn hinrichten. Nach Afrika übergesetzt, hatte er hier nur 40
Tage nöthig, um diese Provinz zu beruhigen. Als dann seine
Legionen sich auf Sulla's Befehl auflösen sollten, wollten diese
die Waffen nicht eher niederlegen, als bis man sie auf gleiche
Weise wie die Sullanischen belohnt habe; ja sie forderten so-
gar den Pompejus aus, sie gegen Sulla zu führen, und nur
durch die Drohung, er werde sich selbst entleiben, wußte Pom-
pejus die Meuterer zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Diese Hin-
gebung für Sulla, die sogar die eigene Person nicht achtete,
setzte ihn bei dem Dictator in die höchste Gunst. Dieser nannte
ihn Pompejus den Großen und erhob sich bei seiner Ankunft vom
Sessel. Als aber Pompejus auch die Ehre eines Triumphes
verlangte, eine Ehre, die nur Prätoren und Consuln zu Theil
ward, schlug ihm Sulla seine Bitte ab und verwies ihm sei-
nen allzu großen Ehrgeiz. Und der kühne Pompcjus erwiderte:
„Die ausgehende Sonne hat mehr Anbeter als die untergehende!"
Sulla ward durch diese kühne Aeußerung betroffen; zwar ge-
wahrte er ihm jetzt seine Bitte und ries zweimal: „So trium-
phire denn!" aber von der Zeit an waren beide Männer keine
Freunde mehr.
Dennoch blieb Pompcjus der Partei des Sulla getreu.
Die eigentliche Zeit seines Ruhmes brach aber erst nach Sulla's
Tode an, wo Pompejus eine Reihe glücklicher Kriege beendigte.
Freilich waren es seine glänzenden Eigenschaften nicht allein,
die ihn solche Erfolge erringen ließen; nicht selten war cs die
besondere Gunst der Umstände, die ihn dabei unterstützten, und
seine Kunst, sich die Siege Anderer anzueignen und ihre Früchte
zu genießen.
2. Pompcjus gegen Sertorius.
SertoriuS stammte aus dem Sabinerlande, aus einer
unberühmten Familie. In seiner Vaterstadt erlangte er einigen
Ruf durch seine Beredsamkeit; bald aber widmete er sich einzig
und allein dem Waffendienste. Er machte die Feldzüge gegen
die Cimbern und Teutonen mit und kämpfte später im Bun-
desgenossenkricg. Er verrichtete so bewunderungswürdige Tha-
ten, daß das Volk ihn mit lautem Freudeugeschrei begrüßte,
so oft er zu Rom im Theater erschieu. Bei dem Ausbruch
des Bürgerkrieges zwischen Marius und Sulla schloß er sich
dem crsteren an. Als die Sache der Marianer in Italien ver-
loren war, ging er nach Spanien, wo er sich von 80—72
v. Ehr. gegen die überlegenen Heere der Römer vertheidigte.
Er war von Körper stark, behend und an alle Strapazen ge-
wöhnt; oft schlief er auf bloßer Erde und unter freiem Him-
mel ; Mäßigkeit, Scharfsinn und Unerschrockenheit zeichneten den
Mann aus, dcu die Spanier den zweiten Hannibal nannten.
Anfangs, als des Sertorius Heer noch klein und unge-
regelt war, wurde er von dem ersten Heere, das Sulla gegen
r
— 133 —
ihn geschickt Batte, genöthigt, Spanien zu verlaffen. Da fuhr
ec denn mit seinen 3000 Mann eine Zeit lang abenteuernd an
den spanischen Küsten umher, und schon kam ihm der Gedanke,
aus der zerrütteten römischen Welt auszuscheiden und sich auf
den glücklichen Inseln (den kanarischen), von deren paradiesi-
scher Schönheit die damaligen Seefahrer nicht genug rühmen
konnten, eine neue Heimath zu suchen. Aber seine Truppen
hatten dazu keine Lust, und so führte er sie zu den Maureta-
niern, denen er gegen ihren König half. Hier erwarben ihm
seine Thaten einen solchen Ruf, daß eine Einladung der Lu-
sitanier an ihn erging, sie gegen die römischen Heere anzu-
führen. Nun zog er wieder nach Spanien. Hier wußte er sich
durch Muth und Tapferkeit, durch Klugheit und ersindsamen
Geist, durch Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit, so wie durch
milde und rücksichtsvolle Behandlung der Eingeborenen die
Hülste der spanischen Völkerschaften zu gewinnen. Sie räum-
ten ihm volle Feldherrngcwalt ein und ließen sich sogar römische
Kriegseinrichtungen gefallen. Um die Eingeborenen im Gehor-
sam zu erhalten, kam ihm der Aberglaube zu Statten, denn
die Spanier standen in der Meinung, eine Gottheit thue ihm
ihren Willen durch die weiße Hindin kund, die er sich gezähmt
hatte, und die ihn überall begleitete, selbst mitten im Kriegslärm.
So bildete er aus Lusitaniern und Celtiberiern waffen-
geübte Heerbaufen, mit denen er, verstärkt durch die aus Italien
ihm zuströmenden Flüchtlinge, lange Zeit im kleinen Gcbirgs-
krieg den römischen Legionen widerstand. Zwei Feldherren
waren gegen ihn gefallen und auch Metellus Pius richtete we-
S nig gegen ihn aus.
Dagegen gab ein besonderer Umstand dem Sertorius einen
bedeutenden Zuwachs. Perperna, ein aus Italien vertriebener
Mariancr, trat im Jahr 77 mit fünf Legionen in Spanien
aus und ward von seinen Soldaten genöthigt, sich mit Ser-
torius zu vereinigen und ihm untcrzuordnen. Dieser bildete
nun einen eigenen Senat von 300 Gliedern, den er für den
eigentlichen römischen Senat erklärte, während der Senat zu
Rom nur aus Sulla's Sklaven bestehe. Auch errichtete er zu
134
Oska, im Lande der Jlergeten, auf seine Kosten eine Schule,
wo die vornehmsten Spanier ihre Söhne nach Art der jungen
Römer erziehen und in der lateinischen und griechischen Sprache
unterrichten ließen.
Sertorius vermied auch nach seiner Verstärkung durch
Perperna fortwährend offene Feldschlachten und beschränkte sich
auf den kleinen Krieg, den er in dem bergigen Lande mit
Glück führte. Einst verlangten seine eigenen Soldaten, kühn
geworden durch die immer zunehmende Zahl ihres Heeres, mit
Ungestüm eine förmliche Schlacht. Sertorius gab nach. Bald
aber wurden sie von den Feinden so bedrängt, daß ihr Unter-
gang unvermeidlich gewesen wäre, wenn nicht Sertorius im
rechten Augenblick zu ihrem Schutz hcrbeigceilt wäre und sie
sicher in's Lager zurückgesührt hätte. Als sie durch diesen Un-
fall muthlos geworden waren, ließ er einige Tage später zwei
Pferde vorführen. Das eine war alt und schwach, das andere
stark und mit einem dicken Schweife versehen. Hinter jenes
stellte er einen starken Soldaten, hinter das andere einen klei-
nen schwächeren Soldaten. Auf ein gegebenes Zeichen mußten
beide versuchen, den Pferden die Schweife auszuziehen. Der
starke Soldat ergriff mit einem Mal den ganzen Schweif des
schwachen Pferdes, um ihn mit einem Zuge auszureißen; aber
er zog und zog immer vergeblich. Jndeß riß der kleine Sol-
dat dem starken Pferde ein Haar nach dem andern aus, bis
er zuletzt den ganzen Schweif in Händen hielt. So lehrte er
sic, wie sie durch Ausdauer und kleine Gefechte den Feind
schwächen könnten.
Die Fortschritte des Sertorius erregten endlich in Rom
solche Besorgnisse, daß man den Pompejus mit einem neuen
Heere nach Spanien schickte. Pompejus führte sein Heer von
30,000 Mann zu Fuß und 1000 Reitern über den St. Gott-
hard, durch Gallien über die Pyrenäen. Jahre lang focht er
in Spanien ohne Glück und Entscheidung gegen den unbesieg-
baren Mariancr, der sich sogar mit Mithridates von Pontus
in ein Bündniß cinließ, als endlich feiler Verrath und Meuchel-
mord den Helden stürzte.
135
Metellus setzte einen hohen Preis (von 100 Talenten und
20,000 Morgen Landes) auf den Kopf des Sertorius, der
Viele zum Abfall reizte. Besonders war es Perperna, der, weil
er dem Sertorius den Oberbefehl mißgönnte, die Gemüther
vieler Untergebenen von ihm abwendig machte. Er zerrüttete
den Geist im Senat des Sertorius und machte auch die Treue
der Spanier wankend. Da wurde Sertorius mißtrauisch und
grausam; er nahm jetzt nur Spanier, keine Römer zu seiner
Leibwache, und ließ die Söhne der vornehmen Spanier zu
Oska tödten. Da dieses Verfahren eine üble Stimmung her-
vorrief, fand Perperna Gelegenheit, eine Verschwörung zu
stiften. Er lud den Sertorius zu einem Gastmal ein, wo
dieser mit zweien seiner Geheimschreiber erschien. Auf ein ge-
gebenes Zeichen fielen die Mitverschworenen des Perperna über
die Gäste her und tödteten Sertorius mit den beiden Schrei-
bern (72 v. Ehr.).
Perperna stellte sich nun an die Svitze des Heeres und
hoffte die Sache der Marianer weiter zu führen. Bald aber
ward er von Pompejus geschlagen und gefangen genommen.
Vergebens suchte er sich durch Auslieferung seiner Briefschaften
zu retten, durch die viele römische Senatoren in Gefahr ge-
kommen wären. Pompejus ließ die Briese ungelesen verbren-
nen und den Perperna hinrichten.
Da Metellus schon nach Italien abgcgangen war, konnte
sich allerdings Pompejus rühmen, dem Kriege ein Ende gemacht
zu haben, und kehrte siegreich aus Spanien zurück, um sich
vom Glück neue Lorbeeren um die Schläfe winden zu lassen.
3. Pompejus besiegt die Reste der Sciaveri.
Während des letzten Jahres, in welchem Pompejus in
Spanien focht, wurde Italien durch einen Sclavenkrieg er-
schüttert, der in der grausamen Behandlung der Sclaven seine
Ursache hatte. Schon längst hatte bei den Römern das blut-
gierige Vergnügen Eingang gefunden, Menschen bei öffentlichen
136
Festlichkeiten auf Leben und Tod mit einander fechten zu festen.
Solche Fechter nannte man Gladiatoren. Anfangs nahm man
dazu Gefangene und Verbrecher; allein die Sucht des römischen
Volkes, sich an solchen Fechterfpielen zu ergötzen, nahm so zu,
daß ganze Sclavenhordcn von gewinnsüchtigen Unternehmern
gekauft, in eigenen Fechterschulen abgerichtet und an diejenigen,
welche dem Volke solche Spiele geben wollten, vermiethet wur-
den. So fochten oft viele Hunderte von Fechterpaaren vor
dem Volke und gaben zur Belustigung desselben ihr Leben hin.
Um diesen! unmenschlichen Loose zu entgehen, entfloh aus
einer solchen Fechterschule zu Capua der Thracier Spartacus
mit 78 seiner thracischen und gallischen Unglücksgcnossen. In
diesem Manne fand stch bei einer ungemeinen Körperstärke eine
solche außerordentliche Entschlossenheit und Willenskraft, daß er
nach und nach ein Heer von 70,000 Fechtern und Sclaven
ausbrachte und mit ihnen nicht nur ein römisches Heer nach
dem andern schlug, sondern auch Rom selbst zittern machte.
Anfangs setzte er sich mit seinen Gefährten aus dem Ve-
suv fest. Bald sammelten sich mehr und mehr Fechter und
Sclaven aus Süditalien um ihn; Raub und Beute verschaff-
ten ihm für die Seinigen Unterhalt und Waffen, und seine
Tapferkeit und Uneigcnnützigkeit willigen Gehorsam bei den-
selben. Zuerst wurden nur kleine Truppenabthcilungen gegen
ihn ausgcsendct, die er alle schlug; dann, als der Uebermnth
und die Grausamkeit seines täglich anwachsenden Heerhausens
die Städte Unteritaliens in Roth und Schrecken setzte, rückten
größere Heere gegen ihn ans.
Einst hatte Spartacus mit seinen Truppen eine Höhe be-
setzt ; der römische Befehlshaber konnte sie hier nicht angreisen
und lagerte stch vor der Höhe, da, wo ein einziger schmaler
Weg zu ihr hinansührtc, um die Feinde auszuhungern. Allein
diese verfertigten aus wilden Weinranken, mit denen die Höhe
besetzt war, möglichst starke Ketten, an denen sie sich Nachts
an der steilsten Stelle herabließen, ohne daß die Römer aus
der anderen Seite das Mindeste merkten. Letztere wurden so-
gar von den um den Berg herumgekommenen Fechtern so plötz-
137
lich überfallen, daß sie die Flucht ergriffen und das Lager
Preisgaben. Dieser Sieg verschaffte dem Spartacus bedeuten-
den Zuwachs.
Ein andermal hatte ihn der römische Prätvr schon ein-
geschlossen, so daß er entweder sich ergeben oder vor Hunger
umkommen mußte. Da ließ er Nachts vor dem Lager Leich-
name, die an Pfähle gebunden waren und Waffen in den
Händen hielten, in gehörigen Zwischenräumen aufstellcn; alle
Wachtfeuer brannten; ein Trompeter blies dann und wann;
dies Alles, damit die Römer das Lager fortwährend besetzt
halten sollten. Inzwischen entwischte Spartacus mit seinem
ganzen Heer an einer, wenig bewachten Stelle.
So schlug er drei Prätoren und zwei Consuln. Da er
jedoch fühlte, daß er seine auf 70,000 Mann angeschwollene
Masse wilder Gallier, Thracier und Germanen nicht lange fyrJtf1
werde Zusammenhalten können, so suchte er nach Oberitalien
zu dringen, um sie von da über die Alpen in ihre Heimath
zu entlassen. Allein das Raubleben in Italien gefiel den Mei-
sten, und ein Unterbefehlshaber des Spartacus, Namens Cri-
xus, trennte sich mit 30,000 Galliern von ihm, erlitt aber
bald eine völlige Niederlage. Spartacus selbst, dessen Heer
zu 120,000 Mann angewachsen war, wollte aus Italien ab-
ziehen, allein seine Leute verlangten gegen Rom geführt zu
werden.
Hier wurde der durch seinen Rcichthum bekannte Licinius
Crassus zum Feldherrn gegen Spartacus ernannt. Er stellte
zuerst die verfallene Kriegszucht wieder her, ließ in zwei Legio-
nen seines Unterfeldherrn den zehnten Mann zur Strafe für
ihre schimpfliche Flucht hinrichten, und schloß dann den Feind
durch einen 6—8 Meilen langen Wall-Graben ein. Sparta-
cus durchbrach den Wall und ward dann von Crassus zur
Schlacht am Silarus in Lucanien (71 v. Ehr.) genöthigt.
Er kämpfte wie ein Lowe: er hatte sein Pferd selbst erstochen,
um ohne Hoffnung auf Entrinnen das Aeußerste wagen zu
können. Er stürzte sich in den Feind und suchte den Crassus
auf, jedoch vergebens; dagegen sanken viele Andere unter sei-
133
nen Streichen. Als er, schwer an der Hüfte verwundet, nicht
mehr stehen konnte, schlug er knieend um sich und wurde nur
aus der Ferne mit Wurfspießen getödtet. — In der Schlacht
kamen 60,000 Sclaven um, 6000 wurden gefangen und an
der Landstraße von Capua nach Rom an's Kreuz geschlagen,
und nur 5000 entkamen, um sich nach Oberitalien durchzu-
schlagen.
Diesen 5000 Entkommenen nun begegnete Pompejus auf
seiner Rückkehr aus Spanien, schlug sie, was eben keine große
Kunst war, bis auf den letzten Mann, und schrieb großprah-
lend an den Senat: Crassus habe zwar die Sclaven in ge-
ordnetem Treffen geschlagen, er aber habe diesem Sclavenkrieg
erst die Wurzeln ausgerissen! Gepriesen von seinen Schmeich-
lern, erhielt er nach seinem Triumph über Spanien das Con-
sulat, in dem er den Licinius Crassus, der ihm allerdings
wegen seiner Prahlerei nicht hold war, zum Amtsgenossen
hatte. Diese beiden Männer strebten jetzt nach der Gunst des
Volks und dadurch nach der Herrschaft; Crassus bewirthete das
Volk an 10,000 Tafeln und spendete ihm Getreide auf drei
Monate; Pompejus stellte die Macht der Volkstribunen, die
Sulla beschränkt hatte, wieder her, um durch sie zur Herr-
schaft zu gelangen.
Am Schluß ihres Consulats vermittelten Freunde zwischen
beiden Consuln eine Versöhnung, wobei sich der gutmüthigere
Crassus zuerst von seinem Sitz erhob und dem Pompejus die
Hand reichte. Dieser liebte es, mit erkünstelter Bescheidenheit
auszutreten. Als in dem Jahre seines Consulats die Censoren
die übliche Musterung über die Ritter hielten, erschien auch
Pompejus, der dem Ritterstand angehörte, sein Pferd am Zü-
gel führend. Alles staunte; und als er auf die Frage, ob er
auch die gesetzlichen Feldzüge mitgemacht habe, mit lauter
Stimme antwortete: „Ja, alle, und zwar immer als Ober-
befehlshaber!" da rief das Volk seinen Beifall, und Hoch und
Nieder begleitete ihn jauchzend nach Hause.
r
— 139 —
4. Pompejus Sieg über die Seeräuber.
Schon seit vielen Jahren befanden sich die östlichen Pro-
vinzen des römischen Reiches in fortgesetzter Bedrängniß durch
das überhandnehmende Unwesen der Seeräuber, die nameutlich
seit der Besiegung des Mithridates durch die Söldnerschaaren,
welche in seinen Diensten gestanden, außerordentlichen Zuwachs
erhalten hatten. Sie hatten ihren Sitz hauptsächliche an den
rauhen Küsten Ciliciens in Kleinasien und auf Creta, und be-
trieben ihre Räubereien am Ende in förmlichen Vereinen; alle
Küstenländer und Küstenstädte, so wie die Inseln wurden durch
Plünderungen, Menschenraub uud Erpressungen in Roth und
Schrecken gesetzt. Sie befuhren mit weit über tausend trefflich
gelenkten und schnellsegelnden Schiffen das Meer, stellten ganze
Heere auf, geboten über 400 eroberte Städte und hatten allent-
halben ihre festen Plätze, wo sie ihren Raub verbargen und
verpraßten. Sie liefen in die Mündungen der Flüsse ein, und
überall, wo sie landeten, wagte man es nicht mehr, das Feld
zu bestellen. Dabei hatten sie überall ihre Hehler und Helfer
in den Provinzen, wie in Italien. Vorzüglich gingen sie
darauf aus, angesehene Personen aufzufangen, um hohe Löse-
gelder für sie zu bekommen; wer sich nicht löste, verlor Frei-
heit und Leben. Besonders suchten sie die Küsten Jtalien's
heim, wo sie bald da, bald dort landeten und einmal sogar
die Tochter eines Senators, ja selbst zwei Prätoren sammt
ihren Victoren fortschleppten. Die Herren der Welt waren nicht
mehr Herren an ihren: Heerde.
Schon seit dem Jahre 87 v. Ehr. führten die Römer
Krieg gegen diese Seeräuber; aber wenn diese auch einmal ge-
schlagen und ihre Raubnester zerstört wurden, so war doch das
Unwesen nichr ausgerottet, ja es trat nach einiger Zeit noch
stärker hervor, so daß Handel und Verkehr allgemein stockte,
die Theuerung der Lebensmittel aufs Höchste stieg, und Hun-
gersnoth und Aufruhr bei dem Volke iu Aussicht stand. Als
nun endlich sogar im Angesichte Rom's vor Ostia eine römi-
sche Flotte von den Seeräubern geschlagen und versenkt wurde.
140
da erkannte man die Nothwcndigkeit, entscheidende Maßregeln
zu ergreifen.
Der Volkstribun Aulus Gabinius, ein Anhänger des
Pompejus, trat mit dem Vorschlag auf, einen gewesenen Cón-
sul mit unumschränkter Gewalt zu bekleiden und ihm auf drei
Jahre mit den nöthigen Truppen und Geldmitteln die Ver-
fügung über die ganze Seemacht und über alle Küstenländer
des römischen Reiches bis auf zehn Meilen landeinwärts zu
geben.
Da Jedermann einsah, daß unter dem Einen, dem man
auf diese Weise fast das halbe römische Reich in die Hände
legen wollte, kein Anderer, als Pompejus gemeint sein könnte,
so setzte der Senat den ernstesten Widerstand entgegen. Bei
den Berathungen über den Antrag des Gabinius ging es so
stürmisch und gewaltthätig zu, daß dieser selbst in Lebensgefahr
gerieth; aber auch die Senatoren würden vom Volke erschlagen
worden sein, wenn sie nicht fast alle geflohen wären. Pom-
pejus selbst stellte sich in der Volksversammlung, als wünsche
er dieser großen Last, die so vielen Neid errege, überhoben zu
sein; er habe schon so viel im Kriege ausgestandcn, daß er
(der kaum 40 Jahre alt war), sich selbst als ein abgemüdeter
alter Mann vorkäme, man solle daher einen Tüchtigeren wäh-
len. Um so mehr wurde das Volk angefeuert, den Vorschlag
des Tribunen durchzusetzen, und es erhob sich ein solcher Lärm,
daß ein oben vorbcifliegender Rabe, von dem Geschrei betäubt,
tobt aus der Lust fiel.
Der Antrag ging durch, und Pompejus erhielt 500
Schiffe, 120,000 Legionssoldaten mit 5000 Reitern und 24
Unterfeldherren, dazu 6000 Talente aus dem Staatsschatz,
nebst der Vollmacht, über alle Mittel der Provinzen zu ver-
fügen. Eine solche Macht hatte gesetzmäßig vor ihm noch kein
römischer Feldherr besessen.
Nun theilte Pompejus das ganze Mittelmeer in 13 Be-
zirke, über deren jeden er einen Unterfeldherrn mit den nöthi-
gen Streitmitteln setzte, und befahl sodann die Seeräuber zu-
nächst aus dem westlichen Meere, also aus allen Schlupfwinkeln
141
in Spanien, Gallien, Africa, Sicilien, Sardinien, Corsica und
Etrurien aufzuscheuchen und nach dem östlichen Meere zu trei-
ben. Als dies geschehen war, richtete er sich mit der Haupt-
macht uach Osten. Schon auf dem Wege dahin ergaben sich
ihm viele auf Gnade und Ungnade, die er aber schonte, um
durch diese Mäßigung den andern die Rückkehr zur Ordnung
zu erleichtern. Die meisten aber suchten ihre Zuflucht in den
cilicischen Buchten und Bcrgvesten. Pompejus schlug sie bei
Coracesium gänzlich, zerstörte ihre Burgen, nahm ihnen alle
ihre Städte, Schiffe, Borräthe, Waffen, und verpflanzte 2000
Gefangene tief in das Land hinein, um sie vom Meere ab-
zuhalten.
Auf diese Weise hatte er in drei Monaten das Seeräuber-
wesen vertilgt und Rom die Herrschaft zur See wiedergegeben.
Die rasche und glückliche Beendigung dieses Krieges ver-
setzte das römische Volk in solche Freude, daß es den Freun-
den des Pompejus leicht wurde, dem Gefeierten ein noch
größeres Feld des Ruhmes zu verschaffen, aus dem er aber-
mals die Frucht der Arbeit Anderer erndten sollte.
;y •, / . .V
3. pompejus Siege in Asien.
Während Pompejus diese schnellen Siege erfocht, hatte
sich Mithridates, der den Römern so furchtbare König von
Pontus, zu einem neuen Kampfe gerüstet. Er hatte seine
Land- und Seemacht verstärkt und durch römische Hauptleute,
die ihm nach der Unterdrückung der Marianer in Menge zu-
strömten, in römischer Weise einüben lassen. Mit seinem Ei-
dam, dem König Tigranes von Armenien, und mit Sertorius
in Spanien schloß er ein Bündniß und regte viele kriegerische
Völker im Norden des schwarzen Meeres und an der Donau
gegen die Römer auf. Nach dem Tode des Königs Nicode-
mus von Bithynien, der die Römer zu Erben seines Reiches
ernannt hatte, fiel Mithridates in Bithynien ein mit einem
Heere von 120,000 Mann zu Fuß, 16,000 Reitern und 400
142
Sichelwagcn. Allenthalben ward er als Befreier vom römischen
Druck gern ausgenommen. Die Römer schickten den Licinius
Lucullus als Feldherrn gegen ihn.
Dieser Mann, ausgezeichnet durch griechische Bildung und
Gelehrsamkeit, hatte sich selbst erst durch Wissenschaft zum
Feldherrn gebildet und führte jetzt sieben Jahre hindurch (74
bis 67 v. Ehr.) den Krieg gegen Mithridates mit dem größ-
ten Glück. Er vernichtete die besten Truppen des Königs, zer-
störte seine Flotten und nahm die wichtigsten Waffenplätze weg.
Schon gab Mithridates nach einem verlorenen Reitertreffen sein
Reich verloren und ließ in seiner Residenz seine Schwestern
und Frauen tobten, um sie vor römischer Gefangenschaft zu
bewahren; er selbst floh zu seinem Schwiegersohn Tigranes
von Armenien, der sich König der Könige nannte. Da zog
Lucullus auch gegen ihn und schlug das zwanzigmal stärkere
Heer des Tigranes bei seiner Hauptstadt Tigrnnocerta in die
Flucht (69 v. Ehr.). Dieser Sieg gewährte unermeßliche
Beute. Lucullus suchte noch weiter vorzudringen, allein der
Ungehorsam seiner meuterischen Soldaten, deren Genuß- und
Beutegier er nicht genug fröhnte, hemmte ihn in seinen Unter-
nehmungen, und mitten im glücklichsten Laufe seiner Siege
riefen ihn Neid und Mißgunst und boshafte Berläumdungen
seiner Gegner vom Schauplatz ab.
Diese Feinde hatte sich Lucullus durch seine rücksichtsvolle
und menschliche Behandlung der kleinasiatischen Städte zuge-
zogcn. Die ihnen von Sulla auferlegten 20,000 Talente
waren durch die Schulden, die sie bei den römischen Wucherern
hatten machen müssen, zu der entsetzlichen Höhe von 120,000
Talenten angewachsen, und die unvermögenden Schuldner wur-
den durch Kerkerstrafcn und Martern auf das Schrecklichste ge-
preßt. Lucullus setzte diese Schuld auf 40,000 Talente herab
und gewährte den Städten noch andere Erleichterungen. Dafür
ward denn Lucullus von den römischen Wucherern in Rom
auf das furchtbarste verleumdet. Diese und die Anhänger des
Pompejus brachten es dahin, daß ihm der Oberbefehl genom-
men und dem Pompejus übertragen wurde (67 v. Ehr.). Nun
143
ging Pompejus nach Kleinasien, wo er in Galatien mit dem
Lucullus eine Unterredung hatte. Anfangs machten sich beide
die größten Lobsprüche; endlich überhäuften sie sich gegenseitig
mit Vorwürfen, indem Lucullus dem Pompejus feinen uner-
sättlichen Ehrgeiz, dieser dem Lucullus seine unersättliche Hab-
sucht vorhielt.
Lucullus ging nach Rom, wo er nach langem Warten
einen Triumph erhielt, und dann sein Leben in der Beschäfti-
gung mit den Wissenschaften und im Genuß seiner Ungeheuern
Reichthümer hinbrachte. Seine reichen Sammlungen von Ge-
mälden, Bildsäulen, Büchern, seine prächtigen Paläste, Land-
häuser, Lustgärten, seine Fischteiche und künstlichen Seen, seine
Prachtgeräthe und Edelsteinpocale, seine kostbaren Mahlzeiten,
wozu er die seltensten Speisen und Weine aus allen Welt-
gegenden herbcischaffen ließ, machen Lucullischen Luxus zum
Sprüchwort. Kostete ihm doch eine einzige Mahlzeit im
Apollo (so hieß einer seiner Speisesäle), über 10,000 Thaler
nach unserem Gelde! Sein Luxus übte den schädlichsten Ein-
fluß aus die römischen Großen. Durch ihn wurden die Kirschen
und andere Obstarten in Europa einheimisch.
Pompejus, dem sein Vorgänger schon durch bedeutende
Erfolge vorgearbeitet hatte, setzte nun den Krieg gegen Mithri-
dates fort. Dieser hatte sich inzwischen wieder erholt und mit
rastloser Thätigkeit ein neues Heer von 33,000 Mann ausge-
stellt. Vor dem andringenden Pompejus zog er sich in das
Innere seines Landes zurück und suchte den Euphrat zu ge-
winnen. Hier holte ihn Pompejus ein. Mithridatcs zog sorg-
los und ohne Ordnung durch ein Thal; es war finstere Nacht.
Plötzlich schmetterten auf allen Seiten die römischen Trompe-
ten ; die römischen Soldaten erhoben das Schlachtgeschrci und
schlugen mit den Waffen an die Schilde, daß die Schluchten
wiederhallten. Hierauf ergoß sich ein Pfeil- und Speerregen
von den Anhöhen herab über die Dahinziehenden, die nun
betäubt und im wildesten Gedränge einen Ausweg im Dunkel
suchten. Dann verließen die Römer die Berge; der Feind sah
sie nicht, aber er fühlte ihr Schwert; Alles flüchtete aus der
144
äußersten Stellung nach der Mitte, wo stch die Königlichen zu
einem Knäuel zusammenrollten, worin man sich erdrückte und
zertrat. Endlich ging der Mond auf und beleuchtete das gräß-
liche Nachtstück. Mithridates war mit seiner männlich gesinn-
ten Gemahlin, die ihm in persischer Reitertracht tröstend zur
Seite war, geflohen. Sein ganzes Heer war vernichtet.
Pompejus wandte sich gegen Tigranes nach Armenien,
das er ohne Schwertstreich einnahm. Der alte Tigranes, an
seinem Glück verzweifelnd, kam in das Lager des Pompejus,
legte ihm sein Diadem zu Füßen und bat um Schonung. Er
behielt sein Erbreich und zahlte 6000 Talente.
Während Mithridates wieder in seinem Reiche angekom-
men war und in der taurischen Halbinsel (Krimm) saß, um
sich zu neuen Kricgszügen zu rüsten, drang Pompejus durch
die Kaukasusländer bis nach Kolchis am schwarzen Meere vor.
Bald aber begab er sich wieder in das Reich Pontus, wo
zwölf Könige vor ihm erschienen und seine Befehle empfingen.
Hier stöhnte Pompejus seinem Ehrgeiz; denn am liebsten sah
er Städte und Könige von sich abhängig und betrachtete sich
als den Stellvertreter Rom's. Dann machte er sich wieder auf,
um nach Syrien, das er zur römischen Provinz machte, und
nach Palästina zu ziehen.
In Palästina herrschten damals Thronstreitigkeiten zwi-
schen zwei Königssöhncn aus dem Geschlechte der Maccabäer,
die beide den Pompejus zu Hülfe gerufen hatten. Dieser ent-
schied zu Gunsten des älteren Bruders, Hyrcanus, dem er die
Regierung und das Hohepriesterthum, aber nicht den Königs-
titel bewilligte. Der zurückgesetzte Aristobulus zog sich darauf
mit seinen Anhängern auf den Tempelberg zurück und ver-
teidigte sich mit der äußersten Tapferkeit. Erst im dritten
Monat eroberten die Römer an einem Sabbath, wo die Juden
die Waffen ruhen ließen, den Tempel; 12,000 Juden, darunter
die Priester, die sich im Opfer nicht irre machen ließen, ver-
loren hierbei das Leben. Nichts schmerzte aber die Juden
mehr, als daß Pompejus sich nicht scheute, mit seinem Gefolge
das Allerheiligste des Tempels zu betreten, in das doch bei
145
ihnen Niemand, als der Hohepriester, und dieser nur Einmal
im Jahre gehen durfte. Pompejus that dies in der neugie-
rigen Erwartung, hier den einzigen Gott der Juden zu sehen.
Allein, wie erstaunte er über das Volk der Juden, als er
darin kein Götterbild wahrnahm, sondern nur den goldenen
Leuchter, den goldenen Schaubrodtisch, und die heiligen Schrif-
ten. Den heidnischen Römern mußte dies Alles ein verschlos-
senes Geheimniß sein. Pompejus legte den Juden eine schwere
Kriegssteuer auf und machte das Land zinspflichtig.
In Palästina erfuhr Pompejus auch den Tod des Mith-
ridates. Dieser hatte zuletzt in seiner eigenen Familie Verrath
erfahren müssen. Auch sein liebster Sohn Pharnaces empörte
sich wider ihn und gewann sein Heer. Der alte, sogar von
seinen Leibwachen verlassene Mithridates flüchtete sich in eine
Burg, wo ihn sein Sohn belagerte, um ihn den Römern
auszuliefern. Als aber Mithridates das seiner harrende Loos
erkannte, nahm er das Gift, das er stets an seinem Schwerte
trug, und mischte es sich und seinen beiden Töchtern, die ihn
auch im Tode nicht verlassen wollten. Beide starben sogleich;
aber bei ihm wirkte das Gift zu schwach, weil er sich aus
Furcht vor Nachstellungen bereits daran gewöhnt hatte. Da
ließ er sich von einem Soldaten tödten.
Jetzt eilte Pompejus in das Reich Pontus und traf hier
umfassende Anordnungen über die asiatischen Länder. Er setzte
Könige und Fürsten ab und ein, löste Königreiche und Fürsten-
thümer auf und schuf neue. Von den griechischen Dichtern
und Weisen ließ er sich lobpreisen, und kehrte dann nach Ita-
lien zurück. Hier entließ er sein Heer und begab sich, wie
ein gewöhnlicher Bürger, nach Rom. Auf dem ganzen Wege
begrüßte ihn das Volk unter stetem Beifallrufen. In Rom
feierte er seinen dritten Triumph, der zwei Tage dauerte und
Alles, was man bisher in dieser Art zu Rom gesehen hatte,
an Pracht und Glanz weit hinter sich ließ. Voran prangten
Tafeln mit der Inschrift von sechszehn besiegten Ländern und
Völkern, mit der Angabe von 1000 Vesten, 900 Städten,
800 Schiffen, die er genommen, und von 39 Städten, die
Stacke, räni. Erzählungen. 4. Slnfl. 7
146
er gegründet oder bevölkert hatte. Unter den Siegeszeichen
und erbeuteten Schätzen und Kostbarkeiten, die er zur Schau
trug, befanden sich 33 Kronen mit Perlen, 3 goldene Götter-
bildiäulen, 9 Schenktische voll goldener Trinkgeschirre, die
Dactyliothek des Mithridates, sein goldenes, 8 Ellen hohes
Brustbild, sein Thron, sein 4 Fuß breites und 3 Fuß langes
Brettspiel, von 30 Pfund Gold an Gewicht, mit Würfeln von
Edelstein, cm Musentempel mit einer Uhr im Giebel u. s. w.
Die Menge der Kostbarkeiten war so groß, daß sic nicht alle
in diesen beiden Tagen aufgeführt werden konnten. Unter
den 324 vornehmen Gefangenen aus den verschiedensten Völker-
schaften, die ungefesselt vor dem Triumphwagen einhergingen,
befanden sich fünf Söhne und zwei Töchter des Mithridates.
Endlich folgte auf einem von Edelsteinen schimmernden Triumph-
wagen Poinpejus selbst, angethan mit einer Rüstung Alexan-
ders des Großen, die er in der königlichen Schatzkammer des
Mithridates gefunden hatte.
XXVI.
4/>b Cicero.
Marcus Tullius Cicero wurde im Jahr 106 v. Ehr.
zu Arpinum, der Vaterstadt des Marius, geboren. Er stammte
aus einem wohlhabenden plebejischen Ritlergeschlechte und em-
psing von seinem Vater seine erste Bildung. Früh zeigte er
das Verlangen, „immer der beste zu sein und cmporzustreben
vor Allen/' Seine weitere Vorbildung erhielt er zu Rom,
wo er schon in der Schule durch schnelle Fassungskraft und "
große Wißbegierde allgemeine Bewunderung erregte. Dann
wurde er in die griechische Dichtkunst, in die Redekunst, in die
Weltweisheit, so wie in die Rechtskundc eingeführt. Durch
fleißiges Uebersetzen der griechischen Dichter und Redner erlangte
er die größte Gewandtheit im Gebrauch der lateinischen Sprache.
147
Nachdem er im Marsischcn Kriege (gegen Spartacus) einen
Feldzug mitgemacht hatte, lebte er drei Jahre in Rom als
Anwalt, indem er die Vertheidigung von Angeklagten über-
nahm. Um seine Gesundheit herzustellen und sich weiter aus-
zubilden, ging er nach Athen, Kleinasien und Rhodus, wo er
die berühmtesten Lehrer der Beredsamkeit hörte. Einst soll ihn
sein Lehrer Apollonius Molo in Rhodus gebeten haben, einen
griechischen Vortrag zu halten. Cicero that es und wußte
seine Zuhörer so Hinzureißen, daß sie in Lobsprüchen gegen ihn
wetteiferten; nur Molo saß lange Zeit nachdenkend da und
sprach endlich: „Dich, o Cicero, Preise und bewundere ich,
aber Griechenlands Geschick bedauere ich, da ich sehe, daß auch
der einzige Vorzug, der uns noch übrig blieb, Bildung und
Beredsamkeit, durch Dich den Römern zu Theil wird." Nach
seiner Rückkehr ward er einige Jahre später Quästor in Sici-
lien, wo er durch seine menschenfreundliche und gerechte Amts-
führung sich allgemeine Achtung erwarb. Deshalb übertrugen
ihm hernach die Siculer die Anklage gegen den Prätor Verres,
der ein Ungeheuer von einem räuberischen, blutsaugerischen
Statthalter war. Cicero führte diese Anklage mit solchem
Erfolge, daß Verres noch vor Beendigung des Processes in die
Verbannung ging. Nachdem Cicero auch noch die übrigen
Ehrenämter begleitet hatte, ward er Consul, und als solcher
erwarb er sich um sein Vaterland die größten Verdienste, in-
dem er die Verschwörung des Catilina entdeckte unp ver-
nichtete. v. Chr.) tu
"V- Lucius Sergius Catilinä war aus dem altpatri-.^^i^
cischen Geschlechte der Sergier entsprossen. Von Jugend aus in / 7
allen Lastern und Bosheiten gewandt, war er vertraut mit
allen, durch Ausschweifungen und Schulden zu Grunde gerich-
teten römischen Jünglingen, die er zu Meineid und Betrug,
zu Gewaltthat und Mord verführte. Schon zur Zeit der
Sullanischen Proscriptionen hatte er durch Ermordung seines
Bruders seine Verworfenheit gezeigt. Dennoch wußte er sich
so zu verstellen, daß er die höchsten Würden bekleidete und sich
sogar um das Consulat meldete. Da er aber als Proprätor in
A, fysi/f /. -<-• * 'y-7 ^7^
148
Africa wegen Erpressungen angeklagt wurde, mußte er von der
Bewerbung um das Consulat abstehen. Aus Rache über diese
Zurücksetzung und aus Furcht vor gerichtlichen Verfolgungen
faßte er den Entschluß, die neuen Konsuln und die ihm ver-
haßten Senatoren zu ermorden und sich so das Consulat zu
verschaffen.
Da sein Versuch, diesen Plan auszuführen, zweimal miß-
lungen war, stiftete er eine weit verbreitete Verschwörung zum
Umsturz des Staates. Er gewann zehn Senatoren und meh-
rere Ritter in Rom, außerdem noch viele Adlige in den Stad-
len, die meist in ihren Vermögcnsumständen zurückgekommen
waren. Ihnen verhieß er Ehrenstcllen, Tilgung ihrer Schul-
den und Reichthümcr.
Zur Ausführung seines ruchlosen Planes bewarb er sich
von Neuem um ^as Consulat, hatte aber den Cicero zum
Mitbewerber. Catilina fiel durch; Cicero und Antonius
wurden Consuln. Von nun an entwickelte Cicero eine rast-
lose Thätigkeit, mit der er alle Schritte der Verschworenen
bewachte und ihre geheimsten Entwürfe entdeckte. Catilina
verbreitete seine Verschwörung immer weiter; er stellte eine be-
V-' waffnete Mannschaft auf und hatte die Absicht, die Stadt in
Brand zu stecken und die Consuln sammt allen seinen Wider-
sachern zu ermorden. Als Cicero durch einen Mittverschworenen
des Catilina alle dessen Pläne erfahren hatte, entdeckte er dem
Senat in Gegenwart des Catilina die ganze Verschwörung.
Damals äußerte Catilina: „Aus zwei Körpern besteht der
Staat, der eine ist hinfällig und hat ein schwaches Haupt;
der andere ist kräftig, jedoch ohne Haupt. Es soll ihm, wenn
ich am Leben bleibe, nicht lange mehr fehlen!" Dann stürzte
er aus dem Senate hinaus.
Inzwischen hatte sein Anhänger Manlius bei Fäsulä
in Etrurien ein Lager bezogen. Da Catilina bei der neuen
Consulwahl wieder durchgesallen war, so versammelte er in der
daraus folgenden Nacht die Verschworenen und wies jedem
sein Geschäft zu. Die vornehmsten Gegner sollten gelobtet,
die Stadt angezündet, vor allen aber Cicero vor Anbruch des
$ '
I tf,
1 *
|
[Ap*
y
/
149
Tages ermordet werden. Dieser erfuhr den Plan, ließ die
beiden Verschworenen, die ihn ermorden wollten, vor seiner
Thüre abweisen, und berief den Senat. Auch Catilina er-
schien. Jetzt enthüllte Cicero sein ganzes ruchloses Treiben
und forderte ihn auf, mit seiner Rotte Rom zu verlassen und
offen den Kampf gegen die Vaterstadt zu beginnen. In der
folgenden Nacht eilte Catilina aus der Stadt in sein Lager
zum Manlius.
Die Verschworenen aber blieben in Rom zurück und be-
stimmten die Feier der Saturnalien (im December) zur Aus-
führung: die Stadt sollte an zwölf Ecken angezündet, die
Häupter des Senats und die Consuln durch bestimmte Ver-
schworene ermordet werden, und Catilina in der allgemeine^ ,
Verwirrung seinen Einzug halten. Auch die Gesandten der
Allobrogcr, einer Gallischen Völkerschaft, wurden mit in die
Verschwörung gezogen, aber dies beschleunigte den Untergang
der Frevler. Diese Gesandten wußten nicht, was ste thun
sollten und theilten die Sache einem Senator mit, durch den
Cicero Alles erfuhr. Sie erhielten den Rath, sich von den
Verschworenen Briefe an ihr Volk geben zu lassen. Dies ge-
schah; aber Cicero ließ die abreisenden Gesandten, bei denen
stch ein Verschworener befand, nahe bei' der Stadt aufheben
und bekam durch die Briefe nun auch schriftliche Beweise gegen
die Verschworenen in die Hand.
Die Schuldigen wurden darauf überführt und in Haft
gegeben. Cicero erhielt den Dank des Senats und den Namen
Vater des Vaterlandes. Die Verschworenen wurden zum Tode
verurtheilt^-und dieses Urtheil sogleich im Gefängniß vollzogen.
Mit den Worten: „Sie haben gelebt!" verkündigte Cicero dem
Volke die Vollstreckung des Urtheils und ward von ihm, wie^L,
im Triumphe, nach seinem Hause geleitet.
Nun ward gegen Catilina mit Waffengewalt vorgeschrit- r
ten. Der Feldzug gegen ihn fiel in's Jahr 62 v. Chr. Bei
Pistoria in Etrurien kam es zum Treffen. Catilina und seine
Gefährten fochten mit ausgezeichneter Tapferkeit; er selbst fiel
von Pfeilen durchbohrt.
.
■w 1i Y'a'- *.»■ /,
Hilft, it »tf • ifg
150
Wiewohl Cicero durch die Entdeckung der Verschwörung
den Staat gerettet hatte, so wurde doch der Umstand, daß er
die Verbrecher ohne Verhör hatte hinrichten lassen, die Ursache
seiner Verbannung. Der freche Volkstribun Clodius gab
einige Jahre später das Gesetz, daß Jeder, der einen römischen
Bürger ohne Verhör hingerichtet habe, geächtet sein solle. Die-
ses Gesetz, das auf Cicero gemünzt war, ging durch, und so
mußte dieser, um seinen Feinden zu entgehen, freiwillig in die
Verbannung wandern (58 v. Chr.). Er ging nach Thessalo-
nice in Macedonien. In Rom zog man seine Güter ein und
zerstörte sein Haus. Doch schon im folgenden Jahre (57)
kehrte er zurück. Seine Rückkehr glich einem Triumphzuge.
Sein Haus und seine Güter wurden ihm wieder hergestellt.
C. Julius Cäfar^
1. Läsar bis ;um Kampfe gegen Pompejus.
/£0 G
Casus Julius Cäsar wurde im Jahre 99 v. Chr.
zu Rom geboren. Von seiner Mutter Aurelia mit der größten
Sorgfalt erzogen, entwickelte er schon als Knabe die ausge-
zeichnetsten Anlagen des Geistes. Er besaß einen scharfen,
durchdringenden Verstand, der Personen und Verhältnisse leicht
durchschaute, und ein außerordentliches Gedächtniß. Man er-
zählt, daß er zu gleicher Zeit schreiben, lesen und hören, und
vier bis sieben Briefe dictiren konnte. Bei so seltenen Gaben,
die mit rastloser Thätigkeit verbunden waren, konnte es nicht
fehlen, daß sein Geist alle damals ausgebildeten Wissenschaften
umfaßte. /> ,, k •- - ■
Zur Zeit der Diktatur Sulla's stand Cäsar auf Seiten
des Marius. Schon durch Verwandtschaft war er mit dieser
Partei verbunden, da er eine Tochter Cinna's, Cornelia, zur
Gemahlin hatte. Dadurch zog er sich die Feindschaft des all-
gewaltigen Diktators zu. Sulla verlangte, Cäsar sollte sich
151
Don seiner Gemahlin scheiden; dieser aber weigerte sich stand-
haft, während Pompejus, an den Sulla dieselbe Forderung
gestellt hatte, den Wunsch des Dictators erfüllte. Durch seine
Weigerung hatte Cäsar den Zorn Sulla's in solchem Grade
gereizt, daß dieser die Aechtung (Proscription) über ihn aus-
sprach. Er verlor das Heirathsgut seiner Frau und sein
väterliches Erbe, mußte Rom verlassen und eine Zeit lang
unter den größten Gefahren umherirren. Fast jede Nacht war
er genöthigt, sich an einem andern Orte zu verbergen, und
hatte unter solchen Umständen um so schwerer zu leiden, da
damals ein Fieber seine Kräfte verzehrte. Als er dennoch zu-
letzt entdeckt wurde, mußte er sich von seinen Ausspürern mit
Dielem Gelde loskaufen. Endlich verzieh ihm Sulla und be-
gnadigte ihn, auf Fürbitten einiger vornehmen Freunde und
besonders der Vestalinnen; dabei sagte er aber die merkwür-
digen Worte: „So nehmt ihn denn hin, aber wisset, daß
dieser Jüngling einst uns zum Verderben gereichen wird: denn
in dem einem Cäsar stecken viele Marius!"
Aber auch nach seiner Begnadigung mag sich Cäsar noch
nicht für ganz sicher gehalten haben, denn bald verließ er
Rom und begab sich nach Rhodus, um sich dort in der Be-
redsamkeit auszubilden. Auf der Reise dahin gerieth er in
die Hände von Seeräubern, die damals noch ihr Unwesen
trieben. Während der vierzig Tage, die er bei ihnen bleiben
mußte, wußte er sich so in Achtung zu setzen, daß er nicht
ihr Gefangener, sondern ihr Herr zu sein schien. Als sie für
seine Auslösung 20 Talente verlangten, sagte er: „Wie? für
einen Mann, wie ich bin, nur 20 Talente? Ihr sollt 50
haben." Während das Geld herbeigeschafft wurde, beschäftigte
sieb Cäsar mit dem Niederschreiben von Reden und Gedichten,
die er oft den Seeräubern vorlas. Wenn sic ihn dann nicht
genug lobten, schalt er sie und drohte ihnen, sie alle noch ein-
mal an's Kreuz schlagen zu lassen. Wenn er schlafen wollte,
verbot er ihnen, Geräusch zu machen, und sie gehorchten.
Auf diese Weise bewies er seine Ueberlegenheit sogar über diese
wilden Menschen. Als er sich ausgelöst hatte, brachte er einige
152
milefische Schiffe zusammen, überfiel damit die Seeräuber und
ließ sie wirklich, wie er ihnen im Scherze gedroht hatte, in
Pergamum an's Kreuz schlagen.
Nach Rom zurückgekehrt, schloß er sich an Pompejus an,
den er bei der Herstellung der Gewalt der Tribunen unter-
stützte, und wußte durch seine Beredsamkeit und Leutseligkeit die
Gunst des Volkes zu gewinnen. Besonders erwarb er sich
den Beifall des Volkes dadurch, daß er seiner Tante, der
Wittwe des Marius, bei ihrer Bestattung eine Gedächtnißrede
hielt und wider das Verbot das Bild des Marius vorantragen
ließ. Auch stellte er die Bildsäule des Marius auf dem Capi-
tolium und dessen Siegeszeichen aus dem Jugurthinischen und
Cimbrischen Kriege, die von Sulla zerstört waren, wieder her.
Im Jahr 67 v. Chr. wurde er Quästor im jenseitigen
Spanien (Lusitanicn). Als er dort zu Gades im Hercules-
tcmpel ein Standbild Alexanders des Großen sah, ries er mit
Thränen aus: „Der hatte in meinem Alter schon die Welt
erobert, und ich habe noch gar nichts gethan." Als Aedil
gewann er durch ungemein prachtvolle und kostbare Spiele,
wobei er unter Anderem 320 Fechterpaare in silbernen Rüstun-
gen auftreten ließ, die Gunst des Volkes in hohem Grade,
stürzte sich aber auch tief in Schulden. Im Vertrauen auf
diese Volksgunst bewarb er sich, obwohl noch sehr jung, um
die Würde eines Oberpriesters. Als ihn am Tage der Wahl
seine Mutter nicht ohne Thränen zur Thüre geleitete, sagteer:
„Heute, Mutter, siehst du deinen Sohn entweder als Oberprie-
ster oder als Verbannten wieder!" Und in der Thass hatte
er das Glück, dem älteren Catulus bei der Wahl vorgezogen
zu werden. Als Prätor bekam er die Verwaltung desselben
Spaniens, in dem er Quästor gewesen war. Doch hätte er
Schulden halber nicht abreifen können, wenn ihm nicht Crassus
für 6 Millionen Thaler Bürgschaft geleistet hätte. Als er auf
dieser Reise durch ein kleines Städtchen jenseit der Alpen kam,
warf einer aus seiner Begleitung die Frage auf, ob man
sich in diesem Oertchen wohl auch um Rang und Aemtcr
streite. „Gewiß," antwortete Cäsar, „ich wenigstens will lieber
— 153 —
hier der Erste, als in Rom der Zweite sein!" In seiner
Provinz Spanien erwarb er übrigens so viel, und machte in
glücklichen Kriegen solche Beute, daß er nicht nur seine Schul-
den bezahlen, sondern auch noch ein Bedeutendes in den Staats-
schatz legen konnte.
Als Cäsar nach Rom zurückkehrte, war gerade die Con-
sulwahl. Um das Consulat zu erlangen, verband er sich mit
Pompejus, der durch seinen Ruhm der einflußreichste Mann in
Rom war, und mit Crassus, der einen Ungeheuern Reichthum
besaß. Diese Verbindung erhielt den Namen Triumvirat
(Dreimännerbund) und hatte den Zweck, ihre gegenseitigen Be-
strebungen zu unterstützen. Auf diese Weise setzte Pompejus
die Bestätigung der Einrichtungen durch, die er in Asien ge-
troffen hatte, und gegen die seine Feinde bis dahin noch hef-
tig kämpften, Cäsar aber erlangte das Consulat (60 v. Chr.);
zu seinem Mitconsul wurde Bibulus ernannt.
In seinem Consulat fuhr er fort sich die Gunst des Vol-
kes zu bewahren. Dazu diente ihm besonders ein Gesetz, das
römischen Bürgern Ländereien in Campanien anwics. Als
Bibulus sich diesem Gesetze entgegcnstellte, entstand eine solche
Bewegung in der Volksversammlung, daß er mit Mühe sein
Leben rettete.
Seit der Zeit wagte der eingeschüchtcrte Bibulus keinen
kräftigen Widerstand mehr, und wenn er dem Cäsar noch
Hindernisse in den Weg legte, so wußte sie dieser zu über-
winden. Daher nannte man dieses Consulat nicht das des
Cäsar und Bibulus, sondern spottwcise das des Julius und
des Cäsar.
Am Schluffe des Jahres ließ sich Cäsar Illyrien und^
das diesseitige Gallien als Statthalterschaft auf fünf Jahr zu-
weisen, und der Senat fügte noch die Statthalterschaft des
jenseitigen Galliens hinzu, in der geheimen Absicht, er werde
dort in allerlei Verlegenheiten verwickelt und auf diese Weise
am besten von Rom fern gehalten werden. Um nun feine
Verbindung mit Pompejus zu befestigen, gab er ihm seine
Tochter Julia zur Gemahlin. Sodann wußte er noch zwei
1/ ,,.v. ¿V. 4'
v/r. /. • ' ( f ■ /
4- 7' > L
^ V 1v* u U v*. U ™
J-
y
'f s¥t
— 154 —
Männer aus Rom zu entfernen, die seine geheimen Absichten
durchschaut hatten und seinen Plänen gefährlich werden konnten.
Diese Männer waren Cato und Cicero; Cato ward nach der
Insel Cypern gesandt, um diese Inseln in eine römische Pro-
vinz zu verwandeln; Cicero ward, auf Betreiben des Volks-
tribunen Clodius genöthigt, in die Verbannung zu gehen.
Nun zog Cäsar nach Gallien. Von diesem Lande be-
saßen die Römer damals nur den südöstlichen Theil, der die
heutigen Länder Provence, Dauphinö und Languedoc umfaßte;
,/, das übrige Gallien war von den Römern noch nicht bezwungen.
Hier fand Cäsar in seinen Kriegen (von 08—iol v. Chr.)
Gelegenheit, sich ein siegreiches, ihm treu ergebenes Heer zu
bilden, und so viel Reichthümer zu sammeln, um sich auch in
seiner Abwesenheit eine einflußreiche Partei in Rom zu erhalten.
Cäsar siegte durch sein Feldherrntalent, und durch die
ausgebildete Kriegskunst der Römer über die rohen Streitkräfte
der Gallier. Dabei befolgte er immer den Grundsatz, unter
:Mcr ; den Gallischen Völkerschaften Zwistigkeiten und Spaltungen zu
benutzen oder zu verursachen, und dann eine durch die andere
✓v H-I-U-V, I\ >:•,*, VW* l •
zu schlagen.
Einst gerietst er in Streit mit den Germanen. In einem
Zwiste der Aeduer und Sequaner hatten die letzteren den Ario-
vist aus Deutschland zu Hülfe gerufen. Dieser besiegte die
Aeduer und setzte sich mit seinen Schaaren, die auf 120,000
Mann angewachsen waren, im Lande der Aeduer fest. Auch
die Sequaner zwang er, ihm ein Drittheil ihres Landes zu
überlassen, und ein zweites Drittheil nahm er gerade für neue
Ankömmlinge in Anspruch, als Cäsar von Aeducrn und Se-
quanern zu Hülse gerufen ward. Ariovist war unter Cäsars
eigenem Consulat Freund und Bundesgenosse des römischen
Volkes genannt worden und stand mit diesem bis dahin in
gutem Vernehmen. Dennoch glaubte Cäsar die zunehmenden
Züge der Germanen nach Gallien, die auch für die römische
Provinz gefährlich werden konnten, hindern zu müssen, und
forderte den Ariovist zu einer Unterredung auf. Dieser aber
gab die stolze Antwort: wenn er von Cäsar etwas haben
155
wollte, so würde er zu ihm kommen; Cäsar solle also das
Gleiche thun und zu ihm kommen; übrigens begreife er nicht,
was die Römer in diesem seinem Gallien zu thun und zu sa-
gen hätten. Hierauf ließ ihn Cäsar auffordern, den Aeduern
ihre Freiheit wiederzugeben und keine Germanen mehr über
den Rhein kommen zu lassen. Dagegen erklärte Ariovist: „es
sei Brauch des Krieges, daß die Sieger über die Besiegten nach
Gutdünken herrschten; auch die Römer herrschten über die Be-
siegten nach eignem und nicht nach fremdem Ermessen. Wenn
er den Römern nicht vorschreibe, wie sie ihr Recht gebrauchen
sollten, so wollte auch er in seinem Rechte vom römischen
Volke nicht behindert sein. Wenn übrigens Cäsar Krieg wolle,
möge er nur kommen; dann werde er einsehen, was die unbe-
siegten Germanen, die in vierzehn Jahren unter kein Dach
gekommen wären, auszurichten vermöchten." Als hierauf Cä-
sar die Hauptstadt der Sequaner Vesontio (Besançon) besetzte,
und eine Schlacht bevorstand, wurde das römische Heer von
gewaltiger Furcht und Muthlosigkeit überfallen. Die Gerüchte
von der Wildheit und Unüberwindlichkcit der Germanen, deren
Mienen und feuriger Blick nicht zu ertragen seien, hatten den
Muth des römischen Heeres gelähmt. Viele verlangten unter
allerlei Vorwänden Urlaub, um nach Hause zu gehen; Andere
beklagten entweder einsam oder mit ihren Freunden ihr trau-
riges Geschick; allenthalben herrschten Thräncn und Klagen,
und viele machten ihr Testament. Nur durch eine kräftige
Rede konnte Cäsar den Muth seiner Legionen wieder Herstellen.
In der bald darauf folgenden Schlacht zwischen Vesontio und
dem Rhein (bei dem heutigen Mömpelgard) siegte die römische
Reiterei über die Germanen, die völlig geschlagen wurden.
Ariovist rettete sich auf einem Kahn über den Rhein.
Während seines Aufenthaltes in Gallien unterjochte Cäsar
alle Völkerschaften dieses Landes. Auch war er der erste Feld-
herr, der zweimal nach Deutschland (55 und 53) und Bri-
tanien (55 und 51) übersetzte, obschon diese Unternehmungen
von gar keiner Bedeutung waren.
156
Gallien schien endlich beruhigt, als sich im Jahr 52 v.
Chr. noch einmal ein Aufstand aller gallischen Völkerschaften
zwischen Seine, Loire und Garonne erhob. An der Spitze
desselben stand der kräftige und kluge Verciugetorix, ein
Fürst der Arverner. Allein die Geistesgegenwart und Feldhcrrn-
kunst Casars, so wie die Tüchtigkeit seiner Legionen, insbeson-
dere auch die Tapferkeit germanischer Söldner trug einen ent-
schiedenen Sieg davon. Der Krieg zog sich endlich um die
Stadt Alesia (unweitDijon) zusammen. In diese auf einer
bedeutenden Anhöhe gelegene Stadt warf sich Vercingetorir mit
80,000 Mann, und Cäsar schloß ihn mit 60,000 Mann ein,
indem er ein Bollwerk von 11,000 Fuß im Umfang errichtete
und eine zweite noch ausgedehntere Reihe von Befestigungen
aufwarf, um sich gegen ein Heer von 257,000 Mann zu
schützen, welches heranzog, um Alesia zu entsetzen. Aber so-
wohl gegen die Ausfälle der Belagerten, als gegen die Angriffe
der Gallier, die von außen seine Werke umzingelten, behauptete
sich Cäsar mit Beharrlichkeit und Glück. Die Heerhaufen der
Gallier wurden geschlagen und zogen einzeln wieder davon;
Vercingetorix sah keine Hülfe mehr und in der Stadt nahm
Hunger und Elend immer mehr zu. Da faßte er den Ent-
schluß, durch Aufopferung seiner selbst, die Eingeschlossenen zu
retten. Mit prächtiger Rüstung geschmückt, bestieg er sein
bestes Roß, ritt hinaus bis zum Zelte Cäsars und tummelte
hier sein Roß einige Male herum; dann stürzte er zu Cäsars
Füßen und bat um Gnade. Dieser aber ließ ihn in Fesseln
schlagen und bewahrte ihn für seinen Triumph auf. Nach
der Uebergabe von Alesia baten die abgesallcnen Völker uin
Frieden. Der Widerstand der Gallier war gebrochen, und
nur wenige Völker versuchten noch, aber ohne allen Erfolg,
das Glück der Waffen. Cäsar konnte die Unterwerfung Gal-
liens als vollendet betrachten. Er hatte in diesen Kriegen 800
Städte erobert, 300 Völkerschaften unterworfen und im Ganzen
eine Million Streiter vernichtet, zwei Millionen aber zu Ge-
fangenen gemacht.
57 v ^ .. a,.,. . 8
1
— 157
2. Lasars Kampf gegen Pompejus. (49—48 v. Chr.)
Während Cäsar Gallien unterjochte, blieb Pompejus fort-
während in Rom, um durch seine Gegenwart seine Macht zu
behaupten und zu erhöhen. Im Jahr 55 v. Chr. begleitete
er mit Crassus das Consulat, nach dessen Ablauf dem Pom-
pejus Spanien und Africa, dem Crassus Syrien als Provin-
zen zufielen.
Crassus eilte nach Syrien, um von dort aus einen Feld-
zug gegen die Parther zu unternehmen. Von Habsucht ge-
blendet, brachte er seine Zeit damit zu, allenthalben Geld zu
erpressen und die Tempelschätze zu plündern, wie er denn im
Tempel zu Hierapolis Tage lang mit Abwägen des Goldes
beschäftigt war. Inzwischen gewannen die Parther Zeit zu
mächtigen Rüstungen, und als es nun in Mesopotamien zur
Schlacht kam, ward er gänzlich geschlagen. Auf dem Rück-
zug ließ er sich durch den Parthischen Feldherrn in einen
Hinterhalt locken, in dem er verrätherisch getödtet ward.
(53 v. Chr.) Sein abgcschnittenes Haupt ward dem Par-
thischen König zugeschickt, der den Mund desselben mit Gold
füllen ließ.
Durch den Tod des Crassus hatte sich das Triumvirat
in ein Duumvirat, d. h. in eine Verbindung zweier Männer
verwandelt. Da aber im Jahr 52 v. Chr. Julia, die Toch-
ter Cäsar's und Gemahlin des Pompejus, welche bis dahin
die Eintracht zwischen den beiden Machthabern erhalten hatte,
starb, so wurde die Verbindung zwischen ihnen, die ja nie
aufrichtig gemeint war, noch immer mehr gelockert. Pompe-
jus ging nach seinem Consulat nicht in seine Provinzen, son-
dern ließ sie durch Andere verwalten, um nur immer in Rom
zu sein, wo es ihm gelang, für das Jahr 52 v. Chr. gegen
alles Herkommen zum alleinigen Cónsul ernannt zu werden.
Dagegen unterließ aber auch Cäsar nicht, durch Bestechungen
die einflußreichsten Männer in Rom zu gewinnen, vor allen
stand der talentvolle und beredte Volkstribun Curio auf seiner
Seite. Als nun der Zeitpunkt herannahte, wo die feindselige
5'
T-y * 4 *t, ’■*?~ri Vj . ,-J, ,t.vv
ln-i. r'f '
153
Spannung zwischen zwei Männern in offenen Kampf aus-
brechen sollte, überließ sich Pompejus der größten Sorglosig-
keit, ohne an Gegenrüstungen zu denken. Als ihn Jemand
daran erinnerte, äußerte er sogar in stolzer Zuversicht: „Wo
ich nur in Italien mit dem Fuße auf die Erde stampfe, da
werden Legionen Hervorkommen!"
Der Senat befahl dem Cäsar, noch vor dem Ablauf
seiner Verwaltung sein Heer zu entlassen. Dagegen forderte
Cäsar, daß dann auch Pompejus mit seinem Heer ein Gleiches
thue. So verstrich eine Zeitlang, in der es sich darum han-
delte, welcher von beiden Männern das Heer behalten oder
entlasten sollte. Endlich beschloß der Senat, daß Cäsar seine
Kriegsmacht abgeben sollte, wo nicht, so werde er als Feind
des Vaterlandes betrachtet werden. Die von Cäsar bestochenen
Tribunen waren dagegen. Da schritt der Senat zu dem
äußersten Mittel und befahl den Consuln, gegen Cäsar feind-
lich zu verfahren. Jetzt flohen die Tribunen, gleich als wären
sie ihres Lebens nicht mehr sicher, als Sclaven verkleidet, nach
Ravenna, wo sich Cäsar aufhielt, und meldeten ihm, daß der
Krieg gegen ihn beschlossen sei. Dieser war entschlossen, seinem
schlecht gerüsteten Gegner zuvorzukommen, und handelte sogleich
mit der ihm eigenthümlichen Schnelligkeit.
Er führte die zu ihm geflohenen Tribunen noch in ihrer
Verkleidung vor die Reihen seiner Soldaten, stellte ihnen das
ihm widerfahrene Unrecht vor, und schloß seine Rede mit der
Frage, ob sie die Ehre ihres Feldherrn vertheidigen wollten,
unter dessen Anführung sie so viele glückliche Treffen geliefert
hätten. Freudig riefen Alle, sie wären bereit, ihn zu vertheU
digen, und gelobten ihn niemals zu verlassen, wohin er sie
auch führen würde. Kaum war er der Treue seiner Soldaten
gewiß, so schickte er sie heimlich an den Fluß Rubico, der
seine Provinz von dem eigentlichen Italien trennte. Er selbst
blieb bis zu Ende des folgenden Tages in Ravenna. Um
sein Vorhaben zu verbergen und keinen Verdacht zu erregen,
besuchte er früh das öffentliche Schauspiel, besah zur Mittags-
zeit die Anlage einer Fcchterschule, die er zu Ravenna bauen
159
lassen wollte, und gab gegen Abend seiner Gewohnheit gemäß
ein großes Gastmahl. Erst nach Sonnenuntergang stand er
vom Tische auf, unter dem Vorwand, daß er durch ein kleines
Geschäft abgerufen werde, und mit dem Versprechen, sobald als
möglich wiederkommen zu wollen. Aber er kam nicht wieder
zurück. Er reiste vielmehr mit seinen vertrautesten Freunden
zum Fluß Rubico, den er vor Tagesanbruch erreichte. Und
nun stand er im Begriff, den Krieg gegen sein Vaterland zu
beginnen, denn mit dem Uebergang über diesen Fluß war das
Zeichen zum Ausbruch eines Bürgerkrieges gegeben. Wohl
mag dieser Gedanke auch Cäsars großen Geist erschüttert haben.
Noch einmal erwog er sein großes Unternehmen, ob er wieder
zurück, oder vorwärts gehen sollte. „Noch ist es Zeit zurück-
zukehren," sagte er zu seinen Freunden, „aber sind wir ein-
mal über diese Brücke gegangen, dann muß Alles mit den
Waffen entschieden werden."
Lange stand er zweifelhaft. Endlich rief er aus: „Wohlan, ¡-i C;T
die Götter wollen es, die Feinde fordern uns, der Würfel sei •
geworfen!" Und sogleich ließ er seine Truppen übersetzen,
rückte in der größten Eile vor Ariminum und nahm diese
Stadt noch am Morgen des Tages ein.
Zu spät erwachte jetzt Pompcjus aus dem Schlummer
der Sorglosigkeit. Auf seine Soldaten, die, wenn auch 30,000
Mann stark, keine Lust hatten, sich mit Cäsars sieggewohnten
Legionen zu schlagen, konnte er sich nicht verlassen. Jetzt
mußte er sogar den Vorwurf hören, er möge doch nun die
verheißenen Legionen aus der Erde hervorstampsen! Dagegen
rückte Cäsar in raschem Siegeslauf gegen Rom vor und nahm
ohne Schwertstreich eine Stadt nach der andern. Da verlor
Pompejus den Kops; er verließ Rom mit allen seinen Anhän-
gern und ging nach Capua. Die Consuln ließen den gefüllten
Schatz in Rom zurück und begnügten sich, nur die Schlüssel
mitzunehmen. Bon Eapua eilte Pompejus nach Brundusium,
um von da über das Meer nach Griechenland zu gehen und
Italien seinem Gegner zu überlassen.
Cäsar, von dessen Siege man die Schreckenszeiten des
Marius und Sulla befürchtete, verfuhr allenthalben mit uner-
warteter Milde und zuvorkommender Großmuth. Auch Sar-
dinien und Sicilien kamen ohne Kampf in seine Gewalt. Den
Zugang zum Schatz in Rom ließ er erbrechen und erklärte
dem Tribunen Metellus, der dies verhindern wollte, daß er
ihn bei fortgesetztem Widerstand werde hinrichten lassen, indem
er hinzufügte: „Wisse, junger Mann, daß es mir schwerer
fällt, dies zu sagen, als zu thun." Im Schatze fand Cäsar
26,000 Barren Goldes und 40 Millionen Sesterzien. In
60 Tagen war er Herr von Italien und hatte alle Gemüther
durch Freundlichkeit und Wohlwollen beruhigt. Die Bewachung
der Stadt übergab er dem Lepidus, das Commando in Ita-
lien dem Marcus Antonius, und zog dann nach Spanien,
um dort „das Heer ohne Feldherrn" und nach seiner Rückkehr
„den Feldherrn ohne Heer" zu bekämpfen. Bald nöthigte er
die Feldherren des Pompejus in Spanien sich zu ergeben, und
reiste dann nach Rom zurück, wo er sich zum Dictator ernen-
nen ließ, aber schon nach 11 Tagen diese Würde mit dem
Consulat vertauschte. Jetzt erst dachte er daran, den Pompe-
jus selbst zu verfolgen und zu bekämpfen.
Dieser hatte indessen großartige Rüstungen betrieben. Aus
den östlichen Provinzen des römischen Reiches und den mit
ihm verbündeten Ländern hatte er Heere, Schisse und Geld
znsammengebracht und stand jetzt an der Spitze eines Heeres
von 63,000 Mann zu Fuß und mehr als 10,000 Reitern,
wozu eine Flotte von 800 Schiffen kam. Zugleich gab er
durch die glänzende Einrichtung seines Hauptquartiers und
durch die Gründung eines eigenen Senates zu erkennen, daß
er sich als den eigentlichen Machthaber und seinen Senat
als den eigentlichen Sitz des römischen Reiches betrachtete.
Cäsar fuhr mit sieben Legionen von Brundusium ab und lan-
dete an der Küste von Epirus; die leeren Schiffe sandte er
zurück, damit Antonius auf ihnen die übrigen Legionen über-
setzen konnte. Aber von diesen Schiffen wurden 30 von einem
Befehlshaber des Pompejus aufgefangen, die übrigen durch die
— 161
Stürme des Winters an der Ueberfahrt gehindert. Ungeduldig
vor langem Warten bestieg deshalb Cäsar selbst in einer stür-
mischen Nacht in Sclavenkleidung eine Barke, um nach Brun-
dusium zu segeln und die Einschiffung seiner Truppen zu be-
schleunigen. Aber das Meer war so ungestüm, daß der Steuer-
mann wieder umkehren wollte. Um ihn zu neuer Anstrengung
zu ermuntern, wagte Cäsar sich mit den Worten zu entdecken:
„Sei guten Muthes! Du fährst den Cäsar und Cäsar's
Glück!" Dennoch mußte die Fahrt eingestellt werden, da das
tobende Element allzu mächtig war. Endlich landete Marcus
Antonius mit den übrigen Legionen.
Anfangs ließ sich der Krieg für Cäsar ungünstig an. Bei
Dyrrhachium durchbrach Pompejus seine Derschanzungen und
brachte ihm einen großen Verlust bei. Darauf zog Cäsar,
dessen Heer lange Zeit an den nothwendigsten Bedürfnissen
Mangel gelitten hatte, nach Thessalien.
Hier kam es in den Ebenen von Pharsalus (48 v. Chr.)
zur entscheidenden Schlacht. Das Heer des Pompejus betrug
4i>,0OO Mann zu Fuß und 7000 Reiter mit eben so viel
Hülfstruppen und bildete eine zehn Mann tiefe Linie. Cäsars
Heer war nur 22,600 Mann zu Fuß und 1000 Reiter stark
und in dreifacher Schlachtreihe ausgestellt. Da Pompejus mit
seiner Reiterei den linken Flügel hielt, weil sein rechter vom
Fluß gedeckt war, so stellte sich Cäsar mit seiner treuen zehn-
ten Legion und sechs Cohorten kräftiger Germanen, wie in
einer vierten Schlachtreihe, hinter seinem rechten Flügel auf
und befahl seinen Leuten, den Feinden, unter denen sich viele
vornehme römische Stutzer befanden, nach den Gesichtern zu
stoßen, damit sie, aus Furcht entstellt zu werden, um so eher
die Flucht ergreifen möchten.
Pompejus befahl seinen Soldaten, den feindlichen Angriff
ruhig zu erwarten. Cäsar dagegen ließ, um den Stoß auf
den Feind zu verstärken, sein Heer anlausen, dann mitten im
Anlauf ein wenig halten und sich ordnen, und so aus den noch
immer ruhigen Feind anstürmen. Zwar warf des Pompejus
Reiterei die des Cäsar, wurde aber alsdann von der zehnten
162 —
Legion und den deutschen Cohorten mit ihren Hieben nach den
Gesichtern so empfangen, daß sie die Flucht ergriff, und nun
die verfolgenden Cohorten Cäsar's dem Fußvolk des linken
Flügels in den Rücken fielen und durch völlige Zersprengung
desselben den Sieg herbeiführten. Am meisten Ruhm crndtete
im Heere des Cäsar der Centurio Crastinus ein. Dieser rief
seinen Cameraden zu: „Wohlan, ihr Kriegsgesährten! Mir
nach, und leistet euerem Feldherrn den Dienst, den ihr ihm
verheißen habt: dieses eine Treffen ist noch übrig; dann wird
er seine gebührende Würde, und wir unsere Freiheit erlangen."
Dann sagte er mit einem Blick auf Cäsar: „Heute, Feldherr,
will ich mir deinen Dank verdienen, ob ich falle oder am
Leben bleibe!" Mit diesen Worten stürzte er sich an der Spitze
von 120 Auserlesenen aus den Feind, wo er auf das tapferste
kämpfend seinen Tod fand.
Die geschlagenen Soldaten des Pompejus flohen in's
Lager, wohin sich dieser schon gleich nach der Flucht seiner
Reiter begeben hatte. Noch saß er wie betäubt und sprachlos
in seinem Zelt, als man ihm meldete, der Feind habe schon
die ersten Schanzen genommen: „Also gar bis in unser La-
ger!" rief er aus, vertauschte seinen Purpurrock mit einem
andern Kleide und floh, von wenigen Getreuen begleitet, in
der Nacht zu Pferd, an Larissa vorbei, durch das Thal Tempe
dem Meere zu.
Indessen eroberte Cäsar das feindliche Lager mit Sturm;
24,000 Mann ergaben sich ihm, mehrere Tausende waren ge-
fallen, während Cäsar nur 30 Hauptleute und 200 Gemeine
verlor. Allen Gefangenen schenkte er Leben, Freiheit und
, Eigenthum.
Als Pompejus auf seiner Flucht an das Meer gelangt
war, bestieg er ein Schiff und segelte nach Amphipolis in
Makedonien, wo er den Befehl ausgehen ließ, daß alle junge
Mannschaft dieser Provinz sich zur Werbung einstellen sollte.
Wahrscheinlich that er dies, um den Plan seiner ferneren Flucht
zu verbergen; denn nur eine Nacht blieb er zu Amphipolis
vor Anker, und segelte dann weiter nach Lesbos, um seine
163
Gattin Cornelia, die sich hier aufhielt, zu sich zu nehmen.
Durch einen Boten ließ er ihr die Nachricht von seiner Nieder-
lage mittheilen. Die unglückliche Cornelia, welche in dem süßen
Wahn lebte, daß Cäsar seit dem Verluste bei Dyrrhachium
schon völlig besiegt sei, sank bei dieser Kunde sprachlos zu
Boden, und als sie sich wieder aufgerichtet hatte, stürzte sie,
einer Wüthenden gleich, aus der Stadt dem Hafen zu: Pom-
pejus kam ihr hier entgegen; sie fiel kraftlos in seine Arme.
Pompejus, selbst des Trostes bedürftig, suchte sie zu trösten
und stellte ihr vor, daß das Glück den, welchen es stürzt, auch
wieder erheben kann.
Nach einigen Tagen segelte er mit seiner Gemahlin von
Lesbos ab und beschloß nach reiflicher Ueberlegung, sich in den
Schutz des Königs von Aegypten zu begeben. Dieser war erst
dreizehn Jahre alt, und Pompejus konnte auf seine Dankbar-
feit und sein Wohlwollen gerechte Ansprüche machen, weil er
einst dessen Vater wieder auf den Thron gesetzt hatte. Er
segelte also nach Pelusium, einer Stadt an der östlichen Mün-
dung des Nils. Als er nicht mehr weit vom Ufer entfernt
war, ließ er den König von seiner Ankunft benachrichtigen
und um Schutz und Zuflucht bitten. Ptolemäus, noch zu jung,
um selbst zu regieren, ließ sich von Achillas, dem Feldherrn
des Heeres, von seinem Vormund Pothinus und seinem Leh-
rer, dem Redner Theodotus, leiten. Diese drei Männer be-
riethen sich jetzt, was in Rücksicht des Pompejus zu thun sei.
Anfangs waren sie in ihren Meinungen getheilt. Zuletzt sagte
Theodotus: „Nehmen wir den Pompejus auf, so werden wir
ihn zum Herrn und den Cäsar zum Feinde haben; weisen wir
ihn zurück, so werden wir ihn beleidigen, weil wir ihm die
Aufnahme versagt haben, und den Cäsar nicht gewinnen, weil
wir jenen haben entwischen lassen. Der beste Ratb ist daher,
den Pompejus kommen zu lassen und sogleich zu tödten; so
beweisen wir uns dem Cäsar gefällig und brauchen uns vor
Pompejus nicht zu fürchten! „denn" — setzte er hohnlachend
hinzu — „die Todten können nickt beißen."
Der Vorschlag des Theodotus wurde genehmigt, und
^'r-A
4
164
Achillas zur Vollstreckung auscrsehen. Dieser, ein Mann von
außerordentlicher Verwegenheit, bestieg mit dem Septimius,
einem geborenen Römer, der sonst unter dem Pompejus gedient
hatte, nebst drei bis vier Aegyptern, ein kleines Fahrzeug, und
ruderte auf das Schiff des Pompejus zu. Das schlechte An-
sehen jenes Fahrzeuges und die Geringfügigkeit der Anstalten,
die man zu dem Empfang des Pompejus traf, machten seine
Freunde unruhig. Sie singen an Verdacht zu schöpfen und
waren schon Willens, sich wieder zu entfernen, als Achillas an
den Bord des Schiffes kam und den Pompejus bat, in sein
Fahrzeug zu steigen, indem er zugleich die äußere Gestalt des-
selben durch die Seichtigkeit des Wassers an diesem Theil der
Aegpptischen Küste entschuldigte. Pompejus ahnte Verrätherei;
denn schon sah er, daß an der Aegpptischen Küste einige
königliche Schiffe bemannt wurden. Allein entschlossen, die
Aegypter durch kein Mißtrauen zu reizen, zeigte er sich sogleich
bereit dem Achillas zu folgen. Er nahm daher mit gefaßtem
Muthe von seiner Gemahlin und seinem Sohne Abschied, und
stieg mit vier Personen seines Gefolges in das Aegyptische
Fahrzeug.
Schon waren sie eine beträchtliche Strecke weit gefahren
und noch immer herrschte eine ängstliche Stille in dem Boote.
Pompejus wurde unruhig und suchte seine Unruhe durch
Sprechen zu unterdrücken. Er wandte sich daher zum Septi-
mius und sagte: „Mich dünkt, Freund, daß ich dich schon
kenne. Sind wir nicht einmal Kriegsgcfährten gewesen?"
Septimius nickte nur mit dem Kopfe, ohne ein Wort zu spre-
chen, und es herrschte abermals die vorige Stille. Jetzt nahm
Pompejus seine Schreibtafel zur Hand, um eine Rede zu lesen,
die er an den Ptolemäus halten wollte. So kam er zur
Küste. Hier ergriff er die Hand seines Freigelassenen Philip-
pus, um bequemer aufstehen zu können, aber in demselben
Augenblick stieß ihm Septimius von hinten das Schwert durch
den Leib, und Achillas fiel ihn von vorn an. Pompejus sah,
daß er seinem Tode nicht entrinnen konnte, und suchte nun
wenigstens die Würde, die er im Leben behauptet hatte, auch
— 165 —
noch im Tode zu behalten. Er zog seine Toga über das Ge-
sicht, sprach kein Wort, seufzte nur, und ertrug jeden Stoß
mit der größten Standhaftigkeit, bis er tobt am Ufer nieder-
sank. So starb der große Pompejus im 58sten Jahre seines
Alters, am 28. September 48 v. Ehr., am Tage vor seinem
Geburtstage.
Die Mörder des Pompejus wütheten noch gegen dessen
Leichnam. Sie schnitten ihm den Kopf ab und warfen den
Körper nackend an das Ufer, wo er von einer Menge neugie-
riger Menschen begafft ward. Darauf erwies Philippus, der
Freigelassene des Pompejus, seinem Herrn den letzten Dienst.
Er wusch den verstümmelten Leichnam im Meere ab, wickelte
ihn in eins seiner Kleider, und brachte dann einige Trümmer
von einem alten Fischerkahn zusammen, um einen Scheiterhau-
fen zu errichten. Während er damit beschäftigt war, trat ein
alter Römer, der sonst unter Pompejus gedient hatte, mit den
Worten zu ihm: „Wer bist du, der du den großen Pompejus
zu begraben suchst?" — „Sein Freigelassener," antwortete
Philippus. — „Wenn du der bist," erwiderte nun der Römer,
„so theile die Ehre der Beerdigung mit mir, damit ich bei
dem Elend, das mich drückt, doch wenigstens ein Glück genieße^
und den Leichnam des größten römischen Feldherrn mit mei-
nen Händen begraben kann." Philippus willigte ein, und
beide verbrannten nun den Leichnam des Pompejus, vergruben
dann dessen Asche und setzten einen Grabhügel darüber mit der
Inschrift: „Hier liegt Pompejus der Große."
3. Lasaras Kriege in Africa. Cato's Tod.
Drei Tage nach des Pompcjus Tod erschien auch Casar
vor dem Hafen von Alexandria. Bald kamen die Morder
an Bord und überreichten ihm Pompcjus Haupt und Siegel-
ring, in der Hoffnung, eine Belohnung von ihm zu crhalten.
Aber Casar wandte sich mit Abscheu von diescm Anblick und
betrachtere mit Thrancn der Wehmuth den Siegelring des
J
166
Mannes, der einst so groß und mächtig und durch Freundschaft
und Verwandtschaft mit ihm verbunden war.
Weit entfernt, die Schandthat zu belohnen, trat er viel-
mehr in dem vollen Glanz eines römischen Kriegssürsten in
Aegypten auf. Hier bestand ein Thronstreit zwischen Ptole-
mäus und seiner Schwester Cleopatra. Cäsar befahl beiden
Theilen, ihre Heere zu entlassen, und entschied zu Gunsten der
Cleopatra, die ihn durch ihre ungemeinen Reize geblendet hatte.
Durch diese Entscheidung erbitterte er die Rathgcber des Kö-
nigs und das Acgyptische Volk. Der allgemeine Aufstand der
Acgypter veranlaßte den sogenannten Alexandrinischen Krieg.
Cäsar zog sich vor der Uebermacht mit seinem kleinen Heere
in das Brucheion zurück, wie man den schönsten und festesten
Theil der Stadt nannte. Hier bestand er unter den größten
Gefahren neun Monate lang den Kampf gegen das achtmal
überlegene Heer der Feinde. Um sich den Zugang zum Meere
zu erhalten, verbrannte er die Acgyptische Flotte im Alcxandri-
nischen Hafen, weil er nicht hoffen konnte, sie zu erobern. Der
Brand ergriff aber auch das Brucheion selbst, und die Hälfte
der berühmten Alexandrinisckcn Bibliothek, die sich hier befand,
ward ein Raub der Flammen. Während dieses Unglück die
Einwohner der Stadt beschäftigte, besetzte Cäsar die Insel
Pharos, die vor dem Hafen lag und durch den berühmten
Leuchtthurm, eins der sieben Wunderwerke der alten Welt, be-
kannt ist. Nun drehte sich der Kampf um die Behauptung
des Hafens. Die Acgypter schnitten den Römern das Trink-
wasser ab und füllten deren Cisternen mit Meerwasser. Um
der Roth abzuhelfen ließ Cäsar neue Brunnen graben. Bald
aber gerieth auch die Insel Pharus, die durch einen Damm
mit dem Brucheion zusammenhing, in die Hände der Feinde.
Vergebens suchte Cäsar sie wieder zu erobern. Er wurde zu-
rückgcschlagen und kam dabei in Lebensgefahr. Denn als er
vom Damm in ein Schiff sprang, drohte dieses wegen Ueber-
füllung zu sinken. Da sprang er in's Meer und schwamm
unter einem Pfeilregen einige hundert Schritte weit nach einem
anderen Schiffe, indem er mit der einen Hand wichtige Schriften
— 167 —
emporhielt, um sie nicht vom Wasser verderben zu lassen, und
erreichte glücklich das Ufer. Endlich kam die lange ersehnte^
Hülfe, die ihin der König von Pergamum aus Kleinasien zu-
führtc. Dieser eroberte Pelusium; der König Ptolemäus wurde
geschlagen und ertrank auf der Flucht im Nil. Nun ergab
sich Alexandria dem Sieger (47 v. Ehr), der die Cleopatra
als Königin von Aegypten anerkannte.
Bevor jedoch Casar nach Rom zurückkehrte, mußte er noch
einen Feldzug gegen Pharnaces, den Sohn des großen Mi-
thridates unternehmen. Dieser hatte, unzufrieden mit dem klei-
nen Königreiche, das ihm Pompcjus abgelassen, das väterliche
Reich wieder erobert und gegen alle Römer grausam gewüthet.
Cäsar brach mit einer Legion gegen ihn auf; über Syrien und
Cilicien gelangte er in den Pontus, wo er den listigen Phar-
naces überfiel und ihm in der entscheidenden Schlacht bei Zela
(47 v. Chr.) eine vollständige Niederlage beibrachte. Cäsar
selbst war über seinen schnellen Sieg so überrascht, daß er
an seine Freunde in Rom die berühmten Worte schrieb: „Ich
kam, sah, siegte!" Pharnaces verlor alle seine Besitzungen und
bald darauf durch einen treulosen Diener das Leben.
Jetzt erst kehrte Cäsar nach Rom zurück, wo seine Gegen-
wart dringend nothwcndig war, da ein unruhiger Volkstribun
einen Ausstand verursacht hatte, der vielen Bürgern das Leben
kostete. Cäsar stellte sogleich die Ruhe wieder her, und über- ;■
häufte seine Anhänger mit Ehrenstellen und Belohnungen.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Africa, wo sich die'^
Anhänger des Pompejus gesammelt und eine bedeutende Macht
an sich gezogen hatten. Noch war er mit den Rüstungen zu
diesem Kriege beschäftigt, als eine Meuterei unter seinen Legio-
nen ausbrach. Diese standen in Capua und warteten mit Un-
geduld auf ihren Abschied, so wie auf die Belohnungen, die
er ihnen versprochen hatte. Als er ihnen noch größere Be-
lohnungen versprechen ließ, wenn sie ihm nach Africa folgen
wollten, empörten sie sich und brachen in ihrer Wuth nach
Rom auf, um sich ihren Lohn mit Gewalt zu holen. Nach-
dem sie aus dem Marsfeld angekommen waren, trat Cäsar
J
h -o n '¡¿y.
■«¿V'V'vv *tM
— 168 —
J<U
unerwartet unter sie und fragte sie mit fester Stimme, was
sie wollten. Außer Fassung gebracht, verlangten sie ihre Ent-
lassung. „Ihr sollt sie haben," antwortete er, „und auch die
Belohnungen werde ich euch geben, wenn ich an der Spitze
anderer Legionen gesiegt haben werde." Hiermit überließ er die
Bestürzten dem quälenden Gedanken, den Ruhm neuer Siege
Anderen einräumen zu müssen, und ging von ihnen. Doch
noch einmal wandte er sich an sie mit der Anrede: „Bürger!"
Da riefen Alle, sie seien keine Bürger, sondern Soldaten, und
baten ihn, sie nach Africa zu führen. ....ju
In Africa bestand die Macht der Pompejancr aus 10
Legionen und 20,000 Africanischcn Reitern, und 120 Elephan-
ten; dazu kamen noch die Hülfstruppen des mit ihnen ver-
bundenen Königs Iuba von Numidien. Dieser furchtbaren
Macht konnte Cäsar nur 6 Legionen und 2000 Reiter gegen-
über stellen, mit denen er noch im Jahre 47 v. Ehr. von
Sicilien aus unter Segel ging, um seine Feinde, die ihn in
der ungünstigen Jahreszeit nicht erwarteten, zu überraschen.
Die Herbststürme jedoch zerstreuten seine Flotte, und er erreichte
nur niit 3000 Mann zu Fuß und 150 Reitern die Africani-
sche Küste. Als er in der Nähe von Adrumctum landete, siel
er dabei zur Erde, aber mit gewohnter Geistesgegenwart rief
er aus: „Ich halte dich, Africa!" und verwandelte dadurch die
schlimme Vorbedeutung, die seine Soldaten leicht in diesem
Zufall hätten sehen können, in eine gute. Bald auch fand
sich die ganze Flotte wieder bei ihm ein, so daß er im An-
fang des Jahres 46 v. Ehr. mit 16,000 Mann einen Streif-
zug in's Innere vornehmen konnte. Plötzlich aber wurde er
von Labienus und Petrejus mit einer solchen Uebermacht an-
gegriffen, daß er nur durch einen kunstvollen Rückzug einer
völligen Niederlage entging. Nicht lange darauf aber brachte
es Cäsar durch geschickte Bewegungen zu der entscheidenden
Schlacht bei Phapsus (46 v. Ehr.), welche mit der gänzlichen
Vernichtung des Pompejanischen Heeres endigte.
Unter den Häuptern der Pompejanischen Partei nahm der
edle Cato, ein Urenkel jenes Cato, der für die Zerstörung
169
Karthago's stimmte, den ersten Rang ein. Nach der Schlacht
bei Pharsalus war er nach Afrika gegangen und hatte dort
die Vertheidigung von Utica übernommen. Als Cäsar heran-
zog, um durch die Eroberung dieser Stadt den Krieg zu be-
endigen, suchte er Anfangs die Bewohner von Utica zur Ver-
thcidigung zu bewegen. Da er aber sah, daß sie in ihren Mei-
nungen getheilt waren, so änderte er seinen Plan und war
nun selbst vielen Senatoren mit Geld und Schiffen zur Flucht
behülflich; ja er rieth sogar seinem eigenen Sohn Marcus zur
Flucht, der aber standhaft bei ihm ausharren wollte. Für
ihn selbst aber hatte das Leben ohne den Bestand der Republik
keinen Reiz mehr, und darum hielt er sich nach den Ansichten
heidnischer Weisheit für berechtigt, sich selbst den Tod zu geben.
Gegen Abend ging er ins Bad und nahm dann mit sei-
nen Freunden ein Mahl ein. Nach dem Essen trank er mit
seinen Gästen und unterredete sich mit ihnen über den Satz,
daß nur der Weise frei sei. Diese Behauptung vertheidigte er
mit solcher Wärme, daß Allen seine Absicht klar wurde. Es
erfolgte eine ängstliche Stille. Kaum merkte dies Cato, so
lenkte er das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Dann
nahm er mit besonderer Rührung Abschied und begab sich in
sein Schlafgemach. Hier las er den Phädo, eine Schrift des
griechischen Weisen Plato, welche von der Unsterblichkeit der
Seele handelt, zweimal durch und wollte dann nach seinem
Schwerte greifen. Er fand es nicht, denn sein Sohn hatte
es aus Besorgniß heimlich weggenommcn. Er forderte es mit
Ungestüm und ließ nicht eher ab, bis man es ihm brachte,
ohne sich an die Bitten und Thränen der Seinigcn zu kehren.
„Nun bin ich Herr über mich!" rief er, entließ die Weinenden,
las noch und schlief dann bis Mitternacht, wo er sich erkun-
digen ließ, ob seinen Freunden die Flucht gelungen sei. Auf
die Nachricht, daß dem so sei, verschloß er die Thür, stürzte
sich in sein Schwert und fiel zu Boden, wobei ein Tisch mit
umgeworfen wurde. Auf das Geräusch eilten die Seinen her-
bei und verbanden seine Wunde; er aber, wieder zu sich ge-
kommen, reißt sie wieder auf und stirbt.
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Aufl.
8
Als Cäsar bei seinem Einzug in Utica, welches ihm die
Thore öffnete, Cato's Tod vernahm, sagte er aufrichtig be-
dauernd: „Cato, ich mißgönne dir deinen Tod, weil du mir
deine Erhaltung nicht gegönnt hast!" Auch verzieh er dem
jungen Cato und ließ ihm das väterliche Vermögen. Cato's
Beispiel wirkte auch auf andere Pompejaner; auch Metellus
Scipio, Juba und Petrejus gaben sich den Tod. Labienus
aber und Sertus Pompejus entkamen nach Spanien, um dort
den Krieg zu erneuern.
4. Läsar's fernere Thatcn und Tod.
Als Cäsar nach Rom zurückgekehrt war, wetteiferten der
Senat und seine Anhänger, ihn mit den höchsten Ehren und
Würden zu überhäufen. Die Dictatur, mit welcher die unum-
schränkte Macht über den ganzen Staat verbunden war, wurde
ihm auf zehn Jahre übertragen; auf goldnem Sessel saß er
neben den Consuln, und 72 Victoren bildeten sein Gefolge.
Ueber seinen Sieg bei Thapsus ordnete der Senat ein vierzig-
tägiges Danksest an, und seine Siege in Gallien, in Aegyp-
ten, im Pontus und in Afrika feierte Cäsar durch einen vier-
fachen Triumph. Bei dieser Gelegenheit legte der Dictator
72 Millionen Thaler an Gold und 2822 goldene Kränze im
Werth von mehr als 5 Millionen Thalern in den öffentlichen
Schatz. Seinen Triumphwagen zogen vier weiße Rosse, und
die Tragbahren, auf denen die Bildsäulen, Gemälde und an-
dere Beutestücke zur Schau getragen wurden, waren aus sol-
chen Stoffen verfertigt, wie sie das Land, über welches er
triumphirtc, erzeugte: für Gallische Beute aus Citronenholz,
für Afrikanische aus Elfenbein, für Acgyptische aus Schild-
krötenschale. Neben dem Tempel der Fortuna, der Göttin des
Glücks, brach, ein schlimmes Vorzeichen, die Achse seines
Wagens, und er mußte einen andern besteigen; dann stieg er
die Stufen des Jupitertempels auf den Knien hinauf. Seinen
Feinden verzieh er großmüthig und offenbarte überall die größte
Milde. Bei dem öffentlichen Festmahle, das er gab, wurde
das Volk an 22,000 Tischen auf das köstlichste bewirthet, wo-
bei sogar die bei den Römern so beliebten Muränen (Seefische)
und der berühmte Falerner- und Chierwein nicht fehlten. Außer
dieser allgemeinen Speisung beschenkte er noch von 50,000
armen Bürgern jeden mit Getreide und Oel und 20 Thalern
an Geld. Von seinen Kriegern bekam jeder gemeine Soldat
über 1000 Thaler, ein Hauptmann das Doppelte, ein Oberst
das Dreifache.
Während Cäsar damit beschäftigt war, durch Veröffent-
lichung seiner Gesetze die Ruhe und Ordnung des erschütterten
römischen Reiches zu befestigen, rief ihn die Besorgniß vor
der drohenden Macht der Pompejaner in Spanien zu neuem
Kampfe ab. Hier hatten Cnejus und Sextus, die Söhne des
großen Pompejus, ein Heer von 13 Legionen gesammelt.
Cäsar zog daher mit 8 Legionen nach dem Westen, und hier
entspann fich bei der Stadt M u n d a in Spanien (45 v. Chr.)
der erbittertste und blutigste Kampf des ganzen Bürgerkrieges.
In dieser Schlacht focht Cäsar, wie er selbst nachher gestand,,
mehr für sein Leben, als für den Sieg. Schon schwankten
feine Legionen, und das Glück schien ihn zu verlassen; da
sprang er vom Pferde und stürzte mit entblößtem Haupt, um
erkannt zu werden, und mit den Worten: „Wollt ihr mich
diesen Knaben überliefern?" in die vordersten Reihen. Er
focht so hitzig, daß Viele von seinen Streichen sanken, und sein
Schild von mehr als hundert Geschossen durchbohrt wurde,
bis er mit seiner zehnten Legion und seiner Reiterei das Gleich-
gewicht wieder hergestellt hatte. Schon neigte fich der Tag, und
die Schlacht war noch unentschieden, als Cäsar bemerkte, wie
der Pompejanische Anführer Labienus fünf Cohorten zum
Schutze seines Lagers absandte, und im Augenblick rief er
aus: „Die Feinde fliehen!" und dieses glückliche Wort, das
fich schnell durch die Reihen verbreitete, begeisterte die Seinen
so, daß die Pompejaner, von Schrecken gelähmt, nun wirklich
die Flucht ergriffen. Aber 33,000 Erschlagene bedeckten das
Schlachtfeld; auch Cnejus Pompejus fiel; nur sein Bruder
Sextus, der nicht in der Schlacht war, blieb von den Häuptern
der Pompejanischen Partei am Leben.
Mit diesem Siege hatte Cäsar den Bürgerkrieg, der aus
beiden Seiten 170,000 Menschen das Leben gekostet hatte, be-
endigt. Nach seiner Rückkehr überhäufte ihn der Senat mit
neuen Ehren, wie sie noch nie einem Römer zu Thcil gewor-
den waren. Er erhielt den Titel Imperator oder Oberbefehls-
haber der gesammten Kriegsmacht, und dieser Titel wurde ihm
auf Lebenszeit beigelegt und sollte auch aus seine Nachkommen
forterben können; eben so ward er auf Lebensdauer Diktator;
ja man weihte ihm, gleich einer Gottheit, Tempel, Altäre
und einen eigenen Priester. So war er denn der That nach
Alleinherrscher des römischen Reiches, wenn ihm auch dieser
Name fehlte, und als solcher suchte er die Erinnerung an die
Zeiten der Republik in dem Volke allmählich zu vernichten, und
die Würden des alten Freistaats sanken zu bloßen Titeln
herab. Cäsar vermehrte den Senat auf 900 Mitglieder, von
denen er die Hälfte nach Gutdünken ernannte, bei der Wahl
der andern Hälfte nahm das Volk auf seine Vorschläge Rück-
sicht. Auch ein neues Forum legte er an, wo von nun an
die öffentlichen Geschäfte ausgeübt wurden. Auf diesem Forum
errichtete er der Venus Victrix, der siegreichen Venus, die er
als Stammmutter seines Geschlechtes ausgab, einen herrlichen
Tempel, der nachher ein Hciligthum der Kunst wurde und
sechs Dactyliothekcn (Sammlungen von geschnittenen Steinen),
eine Gemäldesammlung, die goldene Bildsäule der Cleopatra
und andere Gegenstände enthielt. Auf die Einweihung des
Tempels folgten kostbare Spiele: in einem künstlichen Wasser-
behälter wurden Seegefechte dargestcllt, im Circus wurden 400
Löwen gejagt, wilde Stiere erlegt nnd endlich eine Landschlacht
geliefert.
Auch um die Verwaltung des römischen Reiches erwarb
sich Cäsar große Verdienste. Er sorgte für Hebung des Han-
dels und des Ackerbaues, der Künste und Wissenschaften; er
suchte durch Gesetze dem römischen Sittenverderbniß zu steuern,
und der Noth der armen Bürger abzuhelfen. Besonders ver-
— 173 —
dient machte er sich um die Verbesserung des römischen Kalen-
ders. Er ordnete ihn mit Hülfe des Alexandrinischen Mathe-
matikers Sosigencs, indem eine solche Verwirrung eingerissen
war, daß damals der Januar gleich nach der Herbstnachtgleiche
kam, also um drei Monate zurückgewichen war. Er gab dem
Jahre 365 Tage und jedem vierten Jahre mit dem Schalt-
tage 366, wobei freilich alle 128 Jahre ein neuer Schalttag
nöthig ward.
Doch so sehr auch Cäsar alle seine Feinde durch Milde
und Gnade gewonnen zu haben glaubte, so große Verdienste
er sich um die Römer erworben hatte, so sollte er doch seinem
Verhängniß nicht entgehen. Nicht zufrieden mit königlicher
Macht, strebte er auch nach dem königlichen Titel, und belei-
digte das Volk durch die Aeußerung, daß die Republik nur
ein leerer Name sei. Seine Freunde beeiferten sich, ihm den
königlichen Titel zu verschassen. Einst bekränzten sie heimlich
seine Bildsäule mit dem Diadem, aber die Tribunen rissen
es ab und schickten die Thäter unter dem Beifall des Volkes
in's Gefängniß. Ein andermal mischten Einige in den Zuruf
des Volks den Königsgruß, aber das Volk stimmte nicht mit
ein, und Cäsar mußte dem Volke erklären, er heiße Cäsar, nicht
König. An einem Feste trat einst sein Freund Antonius mit
einer Rede auf und wollte ihm dann die Krone mit den Wor-
ten überreichen: „Dies sendet dir das römische Volk durch
mich!" Aber das Volk brach in lautes Wehklagen aus, Cä-
sar wies das Geschenk zurück, und als Antonius fortfuhr, ihm
knieend das Diadem darzubieten, sagte er: „Nur Jupiter ist
König!" und schickte cs auf das Eapitolium.
Wenn nun auch diese Versuche, den königlichen Titel zu
erhalten, mißlangen, so war doch sein Streben nach der Kö-
nigswürde unverkennbar. Die Furcht vor der Gewaltherrschaft
eines Königs, Cäsars beleidigender Stolz gegen vornehme
Römer, der Haß einzelner Großen, die seine unumschränkte
Macht fürchteten, brachten endlich eine Verschwörung zu Stande,
deren Zweck war, den großen Dictator zu ermorden.
Der Plan zu diesem Morde entsprang aus dem sinsteren
. CaCw ~t\ > i.?
.j.i.<r // /v, . .. .7/ „yrz j
174
-ÿi*1 tttiiiys
Gemüthe des Cassius, der Casars Gnade das Leben verdankte.
Bald aber merkte er, daß Niemand seinem Anschlag beitreten
werde, wenn nicht Marcus Brutus, Casars Liebling, ein
Mann von anerkannter Rechtschaffenheit, sich seinem Plane an-
schließe. Er suchte ihn daher aus seine Seite zu bringen. Bald
legte er Zettel aus dessen Prätorstuhl mit den Worten: ^Bru-
tus, du schläfst!" — oder: „Du bist wahrlich nicht Brutus!"
— Bald schrieb er an die Bildsäule des alten Brutus: „O daß
du noch lebtest, oder daß irgend einer deiner Nachkommen dir
gleich käme!" Brutus blieb lange unentschlossen. Endlich
trat er der Verschwörung bei, und sein Beispiel wirkte so mäch-
tig, daß bald 60 andere, thcils begünstigte Freunde Cäsars,
theils begnadigte Feinde hinzutraten. Es fehlte ihnen nur
noch an einer Gelegenheit zur Ausführung ihres Plans, und
diese bot ihnen Cäsar selbst.
Er ging mit der Absicht um, die Parther zu bekriegen,
dann längs den Küsten des Kaspischen Meeres um den Kau-
kasus herum zu gehen, in Scythien einzudringen, und von da
durch Sarmatien, Dacicn, Germanien und Gallien nach Ita-
lien zurückzukehren. Während er zu diesem Zuge die nöthigen
Anstalten traf, verbreitete er durch seine Freunde das Gerücht,
daß nach dem Ausspruch der Sibyllinischen Bücher die Par-
ther nur von einem König besiegt werden könnten. Darum
verlangten sie, daß Cäsar blos in Italien Dictator heißen,
auswärts aber als König anerkannt werden sollte. Um dar-
über zu berathen, ließ er vor seinem Abgang zum Heer eine
Senatsversammlung auf den 15. März (44 v. Chr.) in die
Curie des Pompejus berufen. Und so beschlossen denn die
Verschworenen, ihn an den Iden (dem 15ten) des Märzes in
der Curie des Pompejus vor dem versammelten Senate zu
ermorden.
Vergebens warnten drohende Anzeichen den Dictator.
Man fand eine alte eherne Tafel mit einer griechischen In-
schrift, die auf seinen gewaltsamen Tod deutete: in der Nacht
vor dem Morde gaben die heiligen Schilde einen klingenden
Ton von sich; Cäsars Pferde wollten nicht fressen, und in
175
den Opferthieren, die er schlachtete, fand man kein Herz. Der
Seher Spurinna warnte ihn vor den Iden des Märzes. Doch
bis jetzt fürchtete der muthige Dictator nichts. Ain Abend vor
seinem Tode speiste er beim Lcpidus, dem Befehlshaber seiner
Reiterei. Während er einige Briefe unterschrieb, warf einer
von den Gästen die Frage auf, welches der beste Tod sei.
Cäsar antwortete schnell: „Der unerwartete." Die Nacht dar-
auf brachte er in der größten Unruhe zu. Aufgeschreckt durch
ein plötzliches Geräusch und das Helle Mondlicht, sah er auf
einmal die Thüren seines Gemachs von selbst geöffnet, und
hörte seine Gemahlin Calpurnia im Schlafe wehklagen. Ihr
träumte, man hätte ihren Gemahl ermordet, und sie halte
ihn nun weinend in ihren Armen. Endlich brach der Morgen
der Iden an. Calpurnia, erschreckt durch die Träume der ver-
gangenen Nacht, bat ihren Gemahl inständig, zu Hause zu
bleiben. Cäsar folgte ihr und gab dem Antonius den Auf-
trag, den versammelten Senat zu entlassen.
Inzwischen waren die Verschworenen, mit Dolchen be-
waffnet, in der Curie des Pompcjus versammelt und besorg-
ten schon, ihr Geheimniß sei verrathen. Sie schickten daher
den Decimus Brutus, den vertrauten Freund Cäsars, zu die-
sem, um sich nach der Ursache seines Säumens zu erkundigen.
Cäsar erzählte ihm Calpurnia's Traum. Brutus stellte ihm
vor, wie unklug es sei, seine Ernennung zum König verschie-
ben zu wollen, bis ein Weib bessere Träume habe, und zog
ihn an der Hand mit sich fort.
Noch hätte Cäsar dem Tode entgehen können, denn selbst
aus dem Wege nach der Curie des Pompejus wurde er auf
mannigfache Art gewarnt. Kaum war er aus dem Hause
gegangen, so drängte sich Artemidorus, ein gelehrter Grieche,
auf ihn zu und überreichte ihm eine Schrift, in der die ganze
Verschwörung entdeckt war. „Lies diese Schrift," sagte er zu
ihm, „lies sie sogleich, sie enthält wichnge Dinge, die dich be-
treffen." Cäsar versuchte sie zu lesen, aber das Gedränge der
Menschen war zu groß; er nahm die Schrift ungelesen mit in
die Curie. Nicht mehr weit davon sah er den Spurinna und
176
rief ihm lachend zu: „Die Iden des Märzes sind gekommen!"
„Aber sie sind noch nicht vorüber!" antwortete Spurinna.
Ohne sich daran zu kehren, ging Cäsar in die Curie. An der
Thüre wurde er noch durch ein Bittgesuch aufgehalten, dann
ging er sorglos aus seinen goldenen Sessel, der am Fuße der
Bildsäule des Pompejus stand. Alle Verschworenen standen
aus, um ihu zu empfangen; nur Trebouius stand am Eingang
der Curie, um den Marcus Antonius, den treusten und kühn-
sten Anhänger Cäsars, von dessen Körperstärke und Geistes-
gegenwart Alles zu beftìrchten war, zurückzuhalten.
Kaum hatte sich Cäsar aus seinen Sessel niedergelassen,
so drängten sich die Verschworenen um ihn herum. Voran
stand Tullius Cimber, der um die Begnadigung seines Bru-
ders bat. Die Verschworenen unterstützten sein Gesuch. Cä-
sar, durch ihr zudringliches Bitten unwillig gemacht, verwies
es aus andere Zeiten. Jetzt ergriff Cimber die Toga des Dic-
tators und riß sie ihm von den Schultern herab. „Das heißt
Gewalt!" schrie Cäsar. In demselben Augenblick stieß der
hinter seinen Stuhl getretene Casca mit dem Dolche nach sei-
nem Hals, verwundete ihn aber nur leicht. „Verruchter Casca,
was machst du?" ruft Cäsar und durchbohrt mit seinem Sil-
bergriffel des Mörders Arm: aber im Nu stoßen ihm alle
Verschworenen ihre Dolche mit solcher Wuth in den Leib, daß
mehrere von ihnen an der Hand verwundet wurden. Als
Cäsar auch den Marcus Brutus unter den Verschworenen sieht,
ruft er aus: „Auch du, mein Sohn!" Und nun sagt er kein
Wort mehr, sondern verhüllt sich ganz in seine Toga und
giebt sich ruhig allen Stößen Preis. Von 23 Wunden durch-
bohrt, von denen aber nur eine tödtlich war, sank er an der
Bildsäule des Pompejus nieder.
Entsetzt vor dem schaudervollen Austritt flohen die Sena-
toren auseinander; Brutus wollte sie anreden: Niemand hörte
aus ihn; auch das Volk, unter das sie mit dem Ruse der
Freiheit traten, floh bestürzt. Eine Zeit lang lag der Ermor-
dete allein in seinem Blute, bis ihn drei Sclaven in einer
Sänfte in die Wohnung der Calpurnia trugen.
177
In ihm ging der größte Mann unter, den Rom je her-
vorgebracht hat. Cäsar glänzt nicht nur als Feldherr, Staats-
mann und Gesetzgeber, sondern auch als Redner, Dichter, Ge-
schichtschreiber, Sprachforscher, Mathematiker und Architekt.
Auch das Aeußere dieses großen Mannes hatte viel Empfeh-
lendes und Gewinnendes. Sein Wuchs war groß und schlank;
der lebhafte, durchdringende Blick seiner Augen, seine Adler-
nase verliehen ihm Hoheit und Würde, die mit Freundlichkeit
und unwiderstehlichem Wohlwollen gepaart war. In späteren
Jahren seines Lebens bekam er eine Glatze, die er durch einen
Lorbcerkranz verhüllte. Seinen von Natur etwas schwächlichen
Körper hatte er so abgehärtet, daß er an Ausdauer keinem
seiner Krieger nachstand. Er ertrug Hitze und Kälte, Hunger
und Durst, und alle Beschwerden und Anstrengungen des Krie-
ges. Er zeichnete sich aus in allen Leibesübungen, und suchte
als Reiter, Schwimmer und Fechter seines Gleichen. Die
Liebe seiner Soldaten, denen er in jeder Hinsicht als Muster
vorleuchtete, besaß er im vollsten Maße.
XXVIII.
Antonius und Äctavianus.
Nachdem die Verschworenen die blutige That vollbracht
hatten, waren sie durchaus rathlos, was sie nun weiter thun
sollten. Sic hatten geglaubt, das Volk würde an ihrem
Werke der Befreiung Theil nehmen, doch es zeigte sich stumpf
und theilnahmlos. Bald aber sollten die Mörder erfahren,
daß sie einen milden Herrscher mit einem furchtbaren Tyrannen
vertauscht hatten.
Der Consul Antonius, ein entschiedener Anhänger Cäsars,
der sich in der ersten Bestürzung versteckt hatte, trat nun her-
vor und beschloß, die Rolle des Herrschers, die Cäsar gespielt
hatte, weiter fortzuführen. Er bemächtigte sich heimlich des
8**
178
öffentlichen Schatzes, und erhielt von Culpurnia, der Gemah-
lin des Gemordeten, dessen schriftlichen Nachlaß. In einer
Scnatssitzung, der auch Antonius beiwohnte, wurde zwar den
Mördern Verzeihung bewilligt, aber auch beschlossen, daß Ca-
sars Anordnungen sortbestehen sollten. In einer zweiten Sitzung
wurden den Mördern, nach Casars eigener Verordnung, die
Provinzen bestimmt; Marcus Brutus erhielt Macedonien, Dc-
cimus Brutus das cisalpinische (diesseitige) Gallien, und Cas-
sius Syrien.
Bis jetzt hatte Antonius seine herrschsüchtigen Absichten
mit großer Schlauheit verborgen; nun aber trat er offener auf,
und bei der Leichenfeier Casars offenbarte er, was die Mörder
von ihm zu erwarten hatten. Um das Volk gegen diese zu
stimmen, machte er zuerst das Testament Casars bekannt, in
dem er dein Volke seine Gärten jenseit der Tiber zum öffent-
lichen Gebrauch und jedem einzelnen Bürger 15 Thalcr ver-
machte. Nun folgte die Leichenfeier, die den Abscheu des Volks
gegen die Mörder, die ihm seinen Wohlthäter entrissen hatten,
auf den höchsten Grad steigerte.
Auf einem Gerüste neben der Nednerbühne aus dem Fo-
rum stand eine vergoldete Capelle, eine Nachbildung des von
Cäsar erbauten Venustempels; innerhalb der Capelle, welche
von Säulen ohne Wände getragen ward, war ein elfenbeiner-
nes, mit Purpur bedecktes Ruhebett sichtbar. Aus dieses wurde
nach vollendetem Trauerzug der Sarg mit der Leiche unter dem
Wehklagen des Volkes und der Soldaten Cäsars niedcrgesetzt.
Sodann hielt Antonius eine Rede, worin er das dem Vater
des Vaterlandes zugefügte Unrecht schilderte, dessen Verdienste
mit glühenden Farben pries und unter Thränen das blutige,
von Dolchstichen zerstoßene Gewand des Ermordeten emporhob.
Dabei stieg ein aus Wachs verfertigtes Bild Cäsars, nüt den
23 Wunden, unter denen die entstellende Wunde des Gesichts
und die tödtliche Brustwunde besonders ausfielen, aus dein
Sarg in die Höhe.
Jetzt verwandelte sich das Wehklagen des Volks in volle
Wuth gegen die Mörder, die sich jedoch zeitig entfernt hatten;
179
dann ward das Leichcngcrüste angezündet, und nun warf Je-
dermann, was ihm an Geräthen, Waffen und Schmuck zur
Hand war, in das Feuer, das dadurch so gewaltig um sich
griff, daß ein Haus in der Nahe in Brand gerieth und eine
Feuersbrunst mit Mühe verhütet ward. Kaum konnte Anto-
nius das wüthende Volk zurückhalten, das mit Fackeln durch
die Straßen der Stadt tobte und die Häuser der Mörder an-
zünden wollte.
Als Antonius das Volk für sich gewonnen hatte, brachte
er es bald dahin, daß ihm der Senat eine Schutzwache bewil-
ligte, die er auf 6000 Mann vermehrte. Im Vertrauen auf
Liesen Schutz gab er, angeblich aus dem Nachlaß Casars, eine
Verordnung nach der andern heraus, um sich Vortheile und
besonders Geld zu verschaffen. Er verkaufte Aemter und Wür-
den, verhandelte Königreiche, und wußte sich dadurch Geld in
solchem Maße zu verschaffen, daß er und Fulvia, seine schänd-
liche Gemahlin, zuletzt das Geld nicht mehr zählten, sondern
in Masse wägten. Den Mördern Cäsars nahm er ihre Pro-
vinzen, indem er Macedonien, das Marcus Brutus hatte, für
sich nahm, und Syrien, das dem Cassius bestimmt war, dem
Dolabclla gab.
Doch auch gegen Antonius erhob sich bald ein Neben-
buhler, der endlich den Sieg über ihn davontragen sollte.
Dies war der junge Octavius, der damals zu Apol-
lonia in Jllyrien sich aufhielt, wo er sich mit den Wissen-
schaften beschäftigte. Er war ein Enkel von Cäsars Schwester-
Julia, von seinem Großoheim an Kindesstatt angenommen und
zum Haupterben eingesetzt. Er nannte sich deshalb jetzt Ca-
jus Julius Cäsar Octavianus. ß'"
Nach dem Tode Cäsars trat er in Rom auf und wußte
seine geheimen Absichten, an den Mördern Cäsars Rache zu
nehmen und sich die Herrschaft zu erwerben, schlau zu ver-
heimlichen. Als Octavianus von Antonius die Herausgabe
der Erbschaft verlangte, wies dieser den 18jährigen Jüngling
verächtlich ab. Da ließ er seine väterlichen Güter versteigern
und zahlte aus dem Ertrag die Vermächtnisse aus, mit denen
— 180 —
Cäsar das Volk bedacht hatte. Die Folge davon war, daß
Antonius beim Volke verhaßt ward, Octavianus aber in dessen
Gunst stieg, zunial da er nun auch der Menge kostbare Spiele
gab. Während dieser Spiele zeigte sich sieben Tage lang ein
Komet am Himmel, und Octavianus benutzte dies als ein
Zeichen, daß Cäsar unter die Götter versetzt sei.
Während Antonius den Senat mit der größten Anmaßung
und mit trotzigem Uebermuth behandelte, bewies ihm der schlaue
Octavianus die größte Ehrerbietung. Unter den alten Solda-
ten Cäsars hatte er viele Anhänger, unb Tausende strömten
seinen Fahnen zu. An der Spitze dieser Truppen gelang es
ihm, den Antonius aus Nom zu entfernen. Dieser ging nun
in's diesseitige Gallien, wo er dem Decimus Brutus seine
Provinz entreißen wollte, aber von den römischen Consuln
und Octavianus geschlagen, in's jenseitige Gallien floh.
Als die nächste Gefahr vor Antonius vorüber war, glaubte
der Senat den Octavianus entbehren zu können und behandelte
ihn mit Kälte. Dieser, der sich auf seine Truppen verlassen
konnte, stellte ihnen vor, daß ihnen in Nom der Lohn ihrer
Thaten verweigert würde. Da sandten die Truppen aus ihrer
Mitte Abgeordnete an den Senat und forderten für Octavia-
nus das Consulat; als man dies abschlug, sagte einer der
Abgeordneten, an sein Schwert schlagend: „Dieses wird's ihm
geben!" worauf Cicero erwiderte: „Wenn das bitten heißt,
so wird man es ihm gewähren müssen." Nach dieser Weige-
rung des Senats rückte Octavianus mit acht Legionen gegen
Nom vor, wo das Volk ihn mit Jubel aufnahm, und der
Senat sich in alle seine Forderungen fügen mußte. Seine
Soldaten belohnte Octavianus aus dem öffentlichen Schatze;
dann ließ er sich zum Cónsul wählen und das Vcrbannungs-
urtheil über Cäsars Mörder aussprechen. Um aber nachdrück-
lich an ihnen Rache nehmen zu können, hielt er es für am
zweckmäßigsten, sich mit Antonius zu verbinden.
Dieser hatte sich inzwischen in Gallien mit Lepidus
vereinigt und eine Macht von 23 Legionen und 10,000 Rei-
tern zusammengebracht. Octavianus zog ihnen entgegen, und
¿L
181
Antonius ergriff die dargcbotenc Hand zu einer Vereinigung
(43 v. Chr.), die das zweite Triumvirat genannt ward. Sie
wählten eine kleine Insel auf dem Flusse Rhenus, unweit Bo--
nonia, zum Ort ihrer Zusammenkunft. Beide Parteien, An-
tonius und Lepidus einerseits, ^und Octavianus andrerseits,
rückten mit fünf Legionen an die Ufer dieses Flusses und führ-
ten von beiden Seiten eine Brücke nach der Insel zu. Lepi-
dus, als gemeinschaftlicher Freund der beiden anderen, ging
zuerst auf die Insel, um ihre Sicherheit zu untersuchen; dann
kamen auf ein gegebenes Zeichen Octavianus und Antonius,
jeder mit 300 Mann, herbei. Diese blieben am Ende der
Brücke zurück, sie selbst aber gingen aus eine Anhöhe, wo sie
von ihren beiderseitigen Heeren gesehen werden konnten. Als
sie beisammen waren, durchsuchten sic erst ihre Kleider, aus
Furcht, daß irgend einer einen Dolch bei sich tragen möchte.
Dann setzten sie sich nieder, um den Plan ihres Bündnisses
zu entwerfen. Ihre Unterredung dauerte drei Tage. Endlich
kam nach manchen heftigen Streitigkeiten ein Vergleich zu
Stande. Der erste Punkt desselben betraf die höchste Gewalt;
diese wollten alle drei auf gleiche Weise an sich reißen und auf
fünf Jahre unter dem Titel Triumvirn zur Verbesserung der
Republik behalten. Dann vertheilten sie die Provinzen unter
sich; Italien, als das gemeinsame Mutterland, und die mor-
genländischen Provinzen, die damals Brutus und Cassius inne
hatten, wurden von dieser Theilung ausgenommen. Die
Abendländer aber wurden aus folgende Art verthcilt. Octa-
vianus bekam Afrika, Sicilicn und Sardinien. Antonius das
diesseitige und jenseitige Gallien. Lepidus Spanien und einen
Theil des jenseitigen Galliens. Hierauf vertheilten sie die Ge-
schäfte unter sich. Octavianus und Antonius sollten ihre Trup-
pen vereinigen und gemeinschaftlich den Krieg gegen Cäsars
Mörder, namentlich gegen Brutus und Cassius führen. Der
vierte Punkt ihrer Unterredung betraf die Belohnung der Le-
gionen. Die Triumvirn machten deshalb aus, daß nach Been-
digung des Kampfes in den Morgenländern achtzehn Städte
in den reichsten und blühendsten Gegenden Italiens als Colo-
132
nicn unter die Soldaten vertheilt werden sollten, denen sie
übrigens noch ansehnliche Geschenke an baarcm Gelde ver-
sprachen. Zur Ausführung aller dieser Punkte brauchten sie
unermeßliche Geldsummen, zu denen ihnen Achtserklärungen
(Proscriptionen) die Mittel Liefern sollten. Die Anzahl der
Geächteten belief sich auf 300 Senatoren und 2000 Ritter.
Endlich verpflichteten sich die Triumvirn zur Erfüllung dieses
Vertrags durch einen feierlichen Eid und kehrten mit ihren
Legionen nach Rom zurück, wo jetzt die Aechtungen ihren An-
fang nahmen.
Allenthalben wüthete Mord und Bcrrath; nur wenige
der Geächteten retteten sich durch die Flucht, die meisten wur-
den von ihren Verfolgern ereilt, ihre Köpfe auf der Redner-
bühue ausgestellt. Jedem Freien wurde der Kopf eines Verur-
theilten mit 4000, jedem Sclaven mit beinahe 2000 Thalern
bezahlt; die Angeber erhielten den gleichen Lohn; der Tod traf
den, der einen Geächteten verbarg. Die Schreckenstage des
Sulla kehrten wieder, aber in noch größerem Maße.
Unter den Opfern dieser Proscriptionen befand sich auch
der große Redner Cicero, der einst zur Zeit der Verschwörung
des Catilina sein Vaterland gerettet hatte. Als die Nachricht
von den Achtserklärungen in Nom bekannt wurde, befand sich
Cicero auf einem seiner Landgüter. Um sich zu retten, beschloß
er, nach Macedonien zum Marcus Brutus zu fliehen, allein
körperliche Schwäche, so wie Aengstlichkeit und Unentschlossen-
heit hinderten ihn an der Ausführung seines Entschlusses;
zweimal ging er zu Schiffe, und zweimal landete er wieder.
Endlich nöthigten ihn seine Sclaven, die schon einen Haufen
von Soldaten gesehen hatten, welche ihren Herrn anfsuchten,
zur weiteren Reise. Sie chrachten ihn in eine Sänfte und tru-
gen ihn dem Meere zu. Aber mitten auf dem Wege fielen sie
den Mördern in die Hände. Da Cicero sah, daß er nicht
entrinnen konnte, ließ er die Sänfte niedersetzen und schaute
mit dem Kopse heraus. Au der Spitze der Soldaten stand
Popilius Länas, dem Cicero's Beredsamkeit einst das Leben
gerettet hatte; dennoch schonte er seinen Lebensretter nicht, ein
183
Hauptmann gab dein Cicero den Todesstreich. Das abgehauene
Haupt wurde dem Antonius überbracht, dessen Gemahlin Ful-
via die Zunge des Redners mit ihren Haarnadeln durchstach.
Cicero starb im 64. Jahre 43 v. Chr.
Nach Beendigung der Proscriptioncn beschlossen die Trium-
virn Octavianus und Antonius gegen die Mörder Casars,
Brutus und Cassius, zu Felde zu ziehen. Als diese von ihrem
Anzuge hörten, vereinigten sie sich in Sardes, um gemein- V-
schaftlich über die Führung des Krieges zu berathcn. Bei
dieser Gelegenheit war es, wo, wie man sagt, dem Brutus
ein Gespenst erschien. Einst saß er nämlich, wie er gewohnt
war, bis tief in die Nacht in seinem Zelte, beschäftigt mit
dem Gedanken an den ungewissen Ausgang des bevorstehenden
Krieges. Alles um ihn her war still und schauerlich. Seine
Diener schliefen, das Licht brannte düster, nichts regte sich, er
war allein. Da hört er plötzlich ein Geräusch; dre Thüren
öffnen sich, und eine schreckliche Gestalt tritt auf ihn zu, ohne
zu reden. Brutus richtete sich unerschrocken auf und fragte:
„Wer bist du, ein Gott oder ein Mensch, und in welcher
Absicht kommst du zu mir?" — „Ich bin dein böser Geist,"
antwortete die Gestalt, „bei Philippi sehen wir uns wieder."
— Furchtlos erwiderte Brutus: „Wohl, ich werde dich dort
Wiedersehen!" Jetzt verschwand die Gestalt. Gleich darauf rief
Brutus seine Diener und fragte sie, ob sie etwas gesehen oder
gehört hätten. Sie verneinten beides. Sobald der Morgen
graute, ging Brutus zum Cassius und erzählte ihn, den Vor-
fall der vergangenen Nacht. Cassius glaubte nicht an die
Wirklichkeit eines Gespenstes, sondern suchte den Grund der ge-
habten Erscheinung in der Gemüthsbcschaffcnheit seines Freun-
des auf. - >' - ,,
Von Sardes aus brachen Brutus und Cassius gemein-
schaftlich nach dem Hellespont auf und setzten nach Macédonien
über, wo bereits acht Legionen der Triumvirn standen. Bald
kamen Octavianus und Antonius mit ihrer gesammten Macht
184
an und nöthigtcn die Gegner, welche bei Philippe ein festes
Lager bezogen hatten, zur Schlacht. Die Doppclschlacht bei
Philippi (42 v. Chr.) entschied den ganzen Krieg und endigte
mit der Niederlage der Mörder Casars. Die Triumvirn be-
fehligten ein Heer von 100,000 Mann zu Fuß und 13,000
Reitern, ihre Gegner 80,000 Mann zn Fuß und 20,000
Reiter. Auf beiden Seiten siegten die rechten Flügel; Brutus
drang siegreich vor und eroberte das Lager Octavianus, der
sich damals wegen Krankheit aus dem Lager entfernt hatte;
dagegen schlug Antonius den Cassius vollständig zurück. Der
geschlagene Cassius wußte noch nichts von Brutus Siege, als
dieser eine Abtheilung Reiter mit der Siegesbotschaft absandte.
Cassius hielt sie in der Dunkelheit für Feinde und glaubte
schon die ©einigen gefangen: da ließ er, um der Gefangen-
schaft zu entgehen, sich durch einen Sclaven tödten. Als Bru-
tus von seinem Tode hörte, rief er unter Thränen aus: „So
ist denn der letzte Römer gefallen!"
Nach dieser Schlacht beschloß Brutus ein zweites Treffen
zu vermeiden und sich in seiner vortheilhaften Stellung zu be-
haupten. Allein der Ungestüm seiner Soldaten, der weder durch
Bitten, noch durch Geschenke und Versprechungen zu bändigen
war, forderte eine Schlacht, und so kam es denn ungefähr
zwanzig Tage nach dem ersten zu einem zweiten Treffen bei
Philippi. In der Nacht vor dieser Schlacht soll dem Brutus
dieselbe Gestalt erschienen sein, die sich ihm vor seinem Ucbcr-
gange aus Kleinasien nach Macedonien gezeigt hatte: stumm
ging sie diesmal vor ihm vorüber und verschwand.
Auch dieses zweite Treffen entschied gegen Brutus. Von
beiden Seiten ward mit der größten Erbitterung gestritten;
abermals drang Brutus in das Lager Octavianus, da sprengte
Antonius die Mitte des ihm gegenüberstehenden Flügels und
trieb die Feinde in ihr Lager zurück. Dadurch bekam Octa-
vianus Luft, drang auch wieder vor und half den Sieg voll-
enden.
Brutus wandte sich mit vier Legionen nach dem Gebirge
und hoffte in der einbrechendcn Dunkelheit zu entkommen, aber
185
alle Ausgänge waren schon beseht. Da seine Legionen keine
Lust zeigten, sich durchzuschlagen, so ging er beiseits und stürzte
sich in sein Schwert. Seine Soldaten streckten die Waffen.
Seine Gemahlin Porcia folgte ihm in den Tod, indem sie
durch den Dunst glühender Kohlen ihr Leben endete.
Nach diesen Siegen stellten die beiden Triumvirn eine neue
Theilung des großen römischen Reiches an, wobei Octavianus
den Westen, Antonius den Osten erhielt. Lepidus, der wegen
seiner Unbedeutendheit von den beiden andern verachtet wurde,
mußte sich mit Afrika abfinden lassen.
In Kleinasien überließ Antonius sich ganz und gar seinem
nraßlosen Hange zur Schwelgerei, mit der er ungeheuere Reich-
thümer in kurzer Zeit verschwendete. Einst schenkte er einem
Citherspieler die Abgaben von vier Städten, und Köchen gab
er für ein gutes Gericht reiche Häuser und Güter. Seine
Lust an ausschweifender Schwelgerei erreichte aber den höchsten
Grad, als es der Aegyptischen Königin Cleopatra gelungen
war, ihn in ihre Netze zu ziehen.
Diese Königin hatte es mit Brutus und Cassius gehalten
und wurde deshalb von Antonius zur Rechenschaft gezogen.
Sie kam, aber nicht als Angeklagte, sondern, um Antonius
zu gewinnen, in dem Aufzug der Göttin Venus. Auf einem
goldenen Schiffe mit silbernen Rudern und purpurnen Segeln
fuhr sie den Cydnusfluß herauf. Als Venus gekleidet, saß sie,
in der Blüthe ihrer Schönheit, unter einem goldgewirkten
Zelte; Knaben als Liebesgötter fächelten ihr Kühlung zu; schöne
Jungfrauen bedienten sie, während andere als Meergöttinnen
die Ruder unter dem Klang von Flöten und Harfen bewegten,
und angczündetes Räucherwcrk den lieblichsten Duft verbreitete.
Anstatt vor Antonius zu erscheinen, lud sie ihn zu sich zum
Mahle. Er kam, und von dieser Zeit an lebte er mit Cleo-
patra in einem steten Taumel von Lüsten, und ließ sogar die
Parther ungestraft in Syrien einbrechen.
(,M %ru-t tt n£u4,C?i 11} n ,'§ H (tl Z^x,y> 4iC XZr
vX. ^ ^ /1/
— 186 —
Durch solche Aufführung gab Antonius gegründeten Anlaß
zu Klagen und Beschwerden, und sein Verhältniß zum Octavi-
anus, das nie ausrichtig gewesen war, da jeder nur den andern
zu verdrängen und sich zum Alleinherrscher zu machen suchte,
wurde immer gespannter und seindseliger. Nur die Vermählung
des Antonius mit Octavianus tugendhafter Schwester Octavia
vermochte die Eintracht auf kurze Zeit wieder herzustellen.
■ Mährend Antonius die Zeit vergeudete, war Octavianus
nicht unthätig. Den Sertus Po mp ejus, den Sohn des großen
Pompejus, schlug Agrippa, der große Seeheld, in einem See-
treffen bei Messana (36 v. Ehr.), und nun wußte Octavianus
auch den unbedeutenden Lepidus auf die Seite zu schieben.
Dieser hatte einen Theil des Pompejanischen Heeres an sich
rJ:. -m gezogen und verlangte jetzt, an der Spitze von zwanzig Legio-
nen, Sicilien, das ihm Octavianus verweigerte. Dieser ging
%'-> nach Messana und begab sich in das Lager des Lepidus, wo
es ihm bald gelang,'dessen Heer abwendig zu machen. Als
nun Lepidus sah, wie sein ganzes Heer zum Octavianus über-
ging, warf er sich diesem zu Füßen und flehte um Gnade.
Octavianus verachtete ihn zu sehr; er schenkte ihm Leben und
Freiheit und ließ ihm die Würde eines Oberpriestcrs.
Nun war das Triumvirat zu einem Duumvirat gewor-
den; aber auch die Verbindung zwischen Octavianus und An-
tonius eilte ihrer Auflösung entgegen und verwandelte sich in
offenen Bürgerkrieg zwischen beiden. Die Veranlassung dazu
war, daß Antonius, der mit Cleopatra fortwährend ein schwel-
gerisches Leben führte, seine tugendhafte Gemahlin Octavia
verstieß. Da aber erklärte der Senat den Krieg gegen Cleo-
patra, der Antonius natürlich Beistand leistete. Dieser Krieg
wurde durch die Schlacht bei Actium, einem Vorgebirge in
Acarnanien, entschieden (3t v. Chr.) und dadurch Rom aus
einer Republik in eine Monarchie verwandelt, an deren Spitze
Octavianus stand.
Die Kriegsmacht des Antonius bestand aus 100,000
Mann zu Fuß, nebst 12,000 Reitern, sowie aus einer Flotte
von 500 Schiffen, die von ungeheurer Größe und deshalb
y ’ • ' <4 . /yW^vvv-1 1
1S7
zum Kampf schwerfällig waren. Octavianus Landhcer betrug
80,000 Manu zu Fuß mit 12,000 Reitern, und seine Flotte
bestand aus 250 kleinen Schiffen, die aber leicht beweglich und
trefflich bedient waren. Vor Allem kam es ihm sehr zu Stat-
ten, daß der bewährte Seeheld Agrippa sie befehligte. Des
Antonius Schiffe bildeten einen dichten Wall, den die Feinde
lange Zeit vergeblich zu durchbrechen suchten. Endlich gelang
es, und es entstand eine Oeffnung, in die Octavianus Schiffe
eindrangen. Bei diesem Anblick fuhr Cleopatra, die mit ihren
Schiffen hinter der Schlachtreihe gehalten hatte, davon, und
Antonius, der ihr Schiff an dem Purpursegel erkannte, segelte
ihr pfeilschnell nach. Die Flotte kämpfte noch fort; zuletzt
aber mußten sich die Schiffe, ihres Führers beraubt, dem Oc-
tavianus ergeben. Das dem Antonius treu ergebene Landheer
wartete noch sieben Tage auf seine Rückkehr, dann streckte es
auch die Waffen und ergab sich dem Sieger. Dieser gründete
an der Stelle, wo sein Lager gestanden hatte, die Stadt Ni-
copolis und gründete die Attischen Spiele.
2>n folgenden Jahre zog Octavianus gegen Aegypten, wo
Antonius und Cleopatra ihr üppiges Leben fortgeführt hatten.
Von allen seinen Truppen verlassen, empfing jetzt Antonius
von der Cleopatra, die sich seiner zu entledigen wünschte, die
Nachricht, sie habe sich getödtet. Nun wollte auch er nicht
länger leben und durchbohrte sich mit seinem Schwert. Als
er aber, in seinem Blute liegend, hörte, daß sie noch lebte,
verlangte er zu ihr gebracht zu werden. An Stricken wurde
er in das obere Stock des Grabgewölbes hinaufgezogen, in
das sie sich begeben hatte, und starb in ihren Armen. Nun
versuckte die listige Cleopatra, den siegreichen Octavianus durch
ihre Reize zu gewinnen. Als ihr dies nicht gelang und Oc-
tavianus merken ließ, daß er sie zu seinem Triumphe aufspare,
beschloß sie zu sterben. Man fand sie, entseelt auf einem Ruhe-
bett liegend, im königlichen Schmuck; an ihrem Arme wollte
man seine Stiche bemerken, die entweder von Nadeln oder von
giftigen Nattern herrührten. Octavianus ließ -sie mit könig-
lichen Ehren bestatten.
Der Sieger machte Aegypten zu einer römischen Provinz
und feierte nach seiner Rückkehr in Rom einen dreifachen
Triumph. Er bezahlte seine Schulden, belohnte seine Krieger
und beschenkte alle Bürger, denen er dadurch seine Alleinherr-
schaft erwünscht machte.
Octavianus beschloß auf den Rath seines Freundes Mä-
cenas die höchste Gewalt beizubehalten, ihr Joch aber dem
Volke so leicht als möglich zu machen. Nachdem er Soldaten
und Volk für sich gewonnen hatte, reinigte er den Senat von
den Mitgliedern, die feindselig gegen ihn gesinnt waren, und
beschränkte die Zahl der Senatoren auf 600. Um jeden Schein
eines Strebens nach der Königswürde zu vermeiden, schlug er
die ihm angebotene Diktatur aus und verbat sich den könig-
lichen Ehrennamen Romulus, wofür ihm im Jahr 27 v. Ehr.
der Beiname Augustus, d. h. der Ehrsurchtswürdigc, Un-
verletzliche, ertheilt ward. Anfangs zwar erklärte er im Se-
nate die Obergewalt niederlegen zu wollen, aber nur zum
Schein; der Senat, der ganz aus seinen Anhängern bestand,
war auf dieses Gaukelspiel vorbereitet, und drang mit Bitten
in ihn, die Regierung doch länger zu behalten und Oberhaupt
des Reiches zu bleiben. Noch immer weigerte sich Octavianus;
endlich versprach er, auf inständiges Bitten der Senatoren,
die Regierung über den Staat ans 10 Jahre weiter zu über-
nehmen. Dieses Spiel, wonach er sich seine Macht alle 10
oder 5 Jahre erneuern ließ oder sie mit scheinbarem Wider-
streben übernahm, wiederholte Augustus in der Folge noch
mehrmals. So schien es, als habe er die Alleinherrschaft
nicht in gewaltsamer Weise an sich gerissen, sondern auf ge-
A
7 '
. -
189
setzmäßigem Wege erlangt. Die Würden und Aemter der Re-
publik ließ Augustus bestehen, wußte aber allmählich alle mit
ihnen verbundene Gewalt auf sich zu übertragen. Er ver-
einigte zuletzt in sich die Würde eines Consuls, Sittenrichters,
Oberpriesters und Tribunen. Sv kam er in den Besitz einer
unumschränkten Macht, seine Person war heilig und unverletz-
lich, und den Beamten des Staates blieb wenig mehr als der
bloße Name übrig. Auch das Volk behielt noch seine Ver-
sammlungen, lernte aber unter Festen, Spielen und Getrcide-
spenden seine Freiheit vergessen.
Unter Augustus war das römische Reich zu einer unge-
heueren Ausdehnung gelangt, indem es fast alle Länder des
damals bekannten Erdkreises umfaßte. Außer Italien gehörten
dazu Gallien, Spanien, Griechenland, Maccdonien, Thracien,
Kleinasien, Syrien, Aegypten, das alte Karthago und Numi-
dien. Alle Völker der Erde erkannten Roms Oberherrschaft
an, nur das Volk der freien Germanen hatte sich noch nicht
unter das römische Joch gebeugt. Zur Sicherheit dieser unge-
heueren Besitzungen errichtete Augustus stehende Kriegsheere, die
er in den Grenzprovinzen in stehende Lager legte, aus denen
nachmals manche Städte entstanden. Zum Schutz für seine
Person bildete er aus Deutschen eine Leibwache von 10,000
Mann.
Nachdem sich Augustus in seiner Macht befestigt batte,
war sein Streben darauf gerichtet, die Gräuel der Bürgerkriege
und seine eigenen Grausamkeiten in Vergessenheit zu bringen.
Er gab Beweise von Güte und Milde, von Wohlthätigkeit
und Herablassung. Mit dem größten Eifer sorgte er für die
Wohlfahrt seines Reiches, und seine Zeitgenossen rühmen den
Glanz der Künste und Wissenschaften unter seiner Negierung.
Die Stadt Rom verschönerte er durch Aufführung der pracht-
vollsten Bauten so sehr, daß er sich mit Recht rühmen konnte,
er habe das aus Backsteinen gebaute Roin in ein marmornes
verwandelt. In den Werken der Baukunst wetteiferte mit ihm
der edle Agrippa, Augustus siegreicher Feldherr; er erbaute
das Pantheon, einen für alle Götter bestimmten Tempel, und
A+J-J+ri f y ' A'V 1 » < ' - * /^1 Vvvv „ Ii'-V
1 f ' 4 / (L, s ,1 v/ <*/r, . *• .r
' '.'¡V ' 11 / ’............ M. 7 * -I /
'V -V,, •, , • . .. ' Y -*-l , ' •
190
auf seinen Rath verschönerte Augustus die in 14 Quartiere
getheilte Stadt, so wie ganz Italien durch herrliche Bauwerke.
Außer Agrippa äußerte auch Mäcenas einen günstigen Einfluß
auf den Kaiser Augustus, indem er ihn anfeuerte. Gelehrte,
Geschichtschreiber und Dichter zu unterstützen und ihre Werke
zu belohnen. Dieser Kreis von gebildeten Männern, der den
Hof des Kaisers umgab, hat besonders dazu beigetragen, sei-
ner Regierung Glanz und Ruhm zu verleihen.
Obschon sich Italien unter ihm des tiefsten Friedens er-
freute, der nach den zerrüttenden Bürgerkriegen dein erschöpften
Lande die größte Wohlthat gewährte, so erinnerten doch einige
Verschwörungen, die gegen Augustus Leben gerichtet waren,
diesen an das Schicksal seines Großoheims Cäsar. Um so
mehr war Augustus darauf bedacht, allen Schein des Macht-
habers von sich zu entfernen, und die größte Mäßigung und
Leutseligkeit zu beweisen. Dem Senat ließ er die größte Ach-
tung zu Theil werden; in der Stadt sah man ihn nur in der
Tracht eines Senators, ohne daß irgend eine Auszeichnung an
den weltgebietenden Imperator erinnerte. Bei der Rückkehr
von einer Reise vermied er alles Aufsehen, und hielt seinen
Einzug gewöhnlich zur Nachtzeit. Er bewohnte ein einfaches
Haus auf dem palatinischen Hügel; als dieses abgebrannt war,
erbaute er das sogenannte Palatium, wovon das Wort Palast
zur Bezeichnung fürstlicher Wohnung abstammt. In seinem
ganzen Leben und Wandel zeigte er die größte Einfachheit und
verschmähte alle Ueppigkeit. So bildete allerdings die Zeit
seiner Regierung einen starken Gegensatz gegen sein früheres
Leben, in dem er oft Grausamkeit und Gleichgültigkeit gegen
Menschenwohlfahrt an den Tag gelegt hatte. Es bleibt daher
zweifelhaft, ob die Tugenden, die Augustus als Kaiser ent-
faltete, eine Frucht wahrer Besserung seines Herzens waren,
oder eine Folge kluger Berechnung und des heilsamen Rathes
seiner Freunde. So viel aber ist gewiß, daß ihn das Volk
als seinen Wohlthäter liebte, weshalb seine Zeitgenossen von
ihm sagten: „Augustus hätte entweder nie sterben oder nie
geboren werden sollen!"
— 191 —
Der Beherrscher des ungeheueren römischen Reiches mar-
in seiner Familie höchst unglücklich. Seine Tochter Julia be-
reitete ihm großen Kummer, und seine zweite Gemahlin Li via,
die ihm zwei Stiefsöhne, den Tibcrius und Drusus, zubrachtc,
ward für ihn die Urheberin mancher häuslicher Leiden. Die
Nachfolge in der Regierung hatte er dem Marcellus, einem
hoffnungsvollen Jüngling, dem Sohne seiner Schwester Octa-
via, zugedacht, aber der Tod raffte den herrlichen Jüngling
in der Blüthe seiner Jahre dahin. Auch zwei Enkel sah der
Kaiser vor sich ins Grab sinken, und sie sollen als Opfer der
ränkesüchtigen Livia gefallen sein, die nun ihrem Lieblinge, dem
boshaften Tibcrius, Platz gemacht hatte. Angustus mußte
endlich den Bitten der Livia nachgebcn und den verhaßten
Stiefsohn Tibcrius zu seinem Nachfolger ernennen.
Alter und häusliches Unglück hatten die Kräfte des Kai-
sers aufgerieben. Um seine zerrüttete Gesundheit wieder zu
stärken, unternahm er eine Reise nach Campanien. Anfangs
war der Kaiser ungemein munter, bald aber nahm die Schwäche
seines Körpers zu, und er beschloß, nach Rom zurückzukehren.
Doch schon zu Nola in Campanien ereilte ihn der Tod. Als
er sein Ende herannahen fühlte, forderte er einen Spiegel, ließ
seine Haare in Ordnung bringen und seine gerunzelten Wan-
gen glätten. Dann fragte er seine umstehenden Freunde:
„Was dünkt euch, habe ich die Rolle meines Lebens gut ge-
spielt?" Als sie dies bejahten, fuhr er fort: „Nun, so klatscht
in die Hände, denn sie ist geendigt!" Hierauf wandte er sich
zur Livia, umarmte, küßte sie und sagte: „Gedenke, Livia,
unserer Ehe und lebe wohl!" — Darauf verschied er am
18. August im 76. Jahre seines Lebens, und im 41. seiner
Regierung. Sein Körper ward nach Rom gebracht und da-
selbst feierlichst bestattet.
2. Kriege gegen die Deutschen. Hermann, Deutschlands Sefreicr.
Das alte Deutschland ward zu den Zeiten des Kaisers
Augustus im Norden von der Nord- und Ostsee, im Osten von
192
der Weichsel und den Karpathen, im Süden von der Donau
und im Westen vom Rhein begrenzt. Das Land war rauh
und von undurchdringlichen Waldungen durchzogen. Außer
wildem Obste, Beeren, Kräutern und Wurzeln, gewährte der
Boden nur Hafer, Hanf und Gerste. Aber in den Urwäldern
hanstcn Auerochsen. Bären, Renn- und Elenthicre und Wölfe;
auf den Felsen horsteten Adler und Falken. Die Bewohner
dieses Landes, die Germanen oder Deutschen, waren durch blaue
Augen und langes blondes Haar vor anderen Völkern kennt-
lich und ragten an Körpergröße weit über die Römer hervor.
Schon von früher Jugend an übten sie sich, Schwert, Lanze
und Schild zu führen und der Krieg war ihre liebste Beschäf-
tigung, an deren Stelle im Frieden die Jagd trat. Den Acker-
bau und das Hauswesen überließen sie den Frauen und Scla-
ven. Obschon dem Trunk und Spiel leidenschaftlich ergeben,
zeichneten sie sich doch durch die Tugenden der Tapferkeit, Frei-
heitsliebe, Gastlichkeit und vor allen durch Treue aus. Ihre
Götter verehrten sie nicht in Tempeln, sondern im stillen Dun-
kel heiliger Eichenhaine; dorthin wallfahrtete das Volk; dort
opferte der Oberpricster im Namen des gesummten Volks; und
großes Gewicht legte man auf die Weissagungen kluger Frauen.
Da die Germanen beständige Einfälle in das von den
Römern unterworfene Gallien machten, so beschloß endlich Dru-
sus, der Stiefsohn des Angustus, sie in ihrem eigenen Lande
anzugreifen. Vier Jahre nach einander (12—9 v. Ehr.)
machte er Einfälle in das Land der Germanen, legte am
Rhein eine Reihe von 50 Castellen an und drang bis zur
Elbe vor. Als er schon im Begriff stand, diesen Fluß zu
überschreiten, soll ihm eine germanische W o l e oder weiße
Frau von übermenschlicher Gestalt auf dem jenseitigen User
zugerufen haben: „Wohin, Unersättlicher? Nicht Alles zu sehen,
ist dir vom Schicksal beschieden. Kehre um, denn schon bist
du am Ziel deiner Thaten und Tage!" —
Nach Errichtung eines Siegeszeichens an diesem Strom
beschleunigte Drusus seinen Rückweg. Auf diesem aber stürzte
er mit dem Pferde, brach den Schenkel und starb 30 Tage
193
darauf in den Armen seines Bruders Tiberius, der auf die
Nachricht von seinem Unfall hcrbeigeeilt war.
Nach seinem Tode übernahm Tiberius den Oberbefehl;
mehr durch List und Tücke, indem er Zwietracht unter den
deutschen Völkern stiftete, als durch offene Tapferkeit wußte er
die Deutschen ins Netz zu locken. Er ver/uhr mit solchem
Glück, daß die Römer das Land zwischen dem Rhein und der
Weser schon als abhängig betrachteten. Sie begannen daher,
römische Sprache, Sitten und Gesetze einzuführen.
Besonders ließ es sich der neue Statthalter Quinctilius
Varus angelegen sein, das römische Gerichtswesen in
Anwendung zu bringen. Und weil er Anfangs überall Will-
fährigkeit zu bemerken glaubte, so wähnte er, die neuen Ein-
richtungen in aller Ruhe durchführen zu können. Aber mit
tiefer Entrüstung sahen die Deutschen, wie ihnen ihre alt-
heimischen Schiedsgerichte und ihre freie Gauverfassung ent-
zogen, wie sie nach fremdem Rechte, in fremder Sprache und
von fremden Richtern verurtheilt, wie sie mit Ruthenstreichen
mißhandelt, ja mit der Todesstrafe belegt wurden.
Am meisten empört über die Herrschaft fremden Rechts
und fremder Sitte waren die Cherusker und unter ihnen vor-
züglich Arminius (Hermann), der Sohn Scgimar's, eines
Cherusker-Fürsten. Er war in römischen Kriegsdiensten ge-
wesen und hatte als Anführer einer Cheruskischen Hülfsschaar
sich das römische Bürgerrecht und die römische Ritterwürdc er-
worben, aber auch die Eroberungslust und die Unterjochungs-
künste der Römer kennen gelernt. Jetzt, da Roms Absicht, die
Germanen zu unterwerfen, immer offener hervortrat, fühlte sich
Hermann zum Retter seines Vaterlandes berufen und entwarf
mit anderen Cheruskischen Edlen den Plan zur Befreiung.
Sorglos waltete Varus in Germanien; die scheinbare
Willfährigkeit der deutschen Häuptlinge hatte ihn vollends sicher
gemacht, und am allerwenigsten besorgte er von Seiten des
Arminius eine Gefahr, dem er solches Vertrauen schenkte, daß
nicht einmal die Einflüsterungen des S eg estes, eines anderen
Cheruskerfürsten und Gegners des Arminius, bei ihm Eingang
Stacke, röm. Erzählungen. 4. Au fl. 9
194
fanden. Während er an den: linken Ufer der Weser ein ver-
gnügliches Lagerleben führte, erhielt er plötzlich Kunde von dem
Aufstande eines deutschen Volkes an der Eins. Varus traf
Anstalten zum Aufbruch und ließ sich bei einem Gastmahl von
den Cheruskischen Häuptlingen das Versprechen des Zuzugs
wiederholen. Zwar machte Segestes, ein großer Römerfreund,
noch am Tage vor dem Aufbruch den Varus mit der ganzen
Gefahr bekannt; aber Varus, der wohl wußte, daß zwischen
Segestes und Arminius Feindschaft bestand, weil dieser jenem
seine Tochter Thusnelda entführt und wider seinen Willen zu
seiner Gemahlin gemacht hatte, schenkte ihm keinen Glauben,
und so schien ihm eine höhere Macht den Sinn verblendet zu
haben, damit Germanien frei erstünde.
Unter dem Vorwände, dem Varus ihre Schaaren zuzu-
führen, trennten sich die Germanischen Fürsten von ihm; statt
dessen aber riefen sie daheim die Ihrigen zur Freiheit, von
Gau zu Gail erscholl der Ruf und riß Alle mit sich fort.
Selbst Segestes, der Römerfreund, muß folgen, und sein
Sohn, ein Priester, zerreißt die heilige Binde und stellt sich
unter die Freihcitsschaaren.
Nichts ahnend, zog das Römerheer unter Varus, ohne
strenge Ordnung, mit großem Troß und Gepäcke, in langem
Zuge durch den undurchdringlichen Wald, in dem erst Wege
durch das Dickicht gebahnt und Bäche überbrückt werden mußten.
Bald lockerten anhaltende Regengüsse den Boden so sehr, daß
Roß und Mann strauchelten und allgemeine Erschöpfung ein-
trat. Plötzlich brachen die Germanen, Anfangs einzeln, dann
in Haufen, von allen Seiten aus der Waldung hervor und
griffen die vom Wege und Wetter erschöpften Römer an. Unter
schweren Kämpfen erreichte endlich das Heer eine freie Stelle,
wo der Angriff nachließ und ein Lager zur Nachtrast geschlagen
werden konnte.
Mit dem folgenden Morgen ging der Zug weiter. Kaum
hatten die Legionen den Teutoburger Wald *) erreicht, so wur-
*) Im heutigen Fürstcnthum Lippe-Detmold.
195
den sie von neuem auf allen Seiten angefallen und mit Mühe
gelangten sie am Abend wieder an einen Platz, wo einige
Ruhe die Ermüdeten erquickte. Mit dem dritten Morgen wie-
derholte sich der Regensturm und der Angriff der Feinde. Die
vom Regen erschlafften Bogensehnen versagten ihren Dienst, und
die -schwere Bewaffnung wurde ihnen zur doppelten Last, wäh-
rend die leichtbewaffneten, mit ihrem Boden und Klima ver-
trauten Deutschen weniger gehemmt waren. So unter bestän-
digen Verlusten erreichten die Römer endlich den südwestlichen
Abhang des Teutoburger Waldes, wo die Ebene beginnt. Hier
aber zwischen den Quellen der Lippe und Ems, war die Ger-
manische Hauptmacht versammelt, hier, in der Nähe des heu-
tigen Detmold, kam es zum letzten Kampfe. Bei dem unge-
stümen allgemeinen Angriff weichen die erschöpften Legionen;
ihre Reiter gerathen in Unordnung; ihre Adler werden genom-
men; Varus selbst, als er Alles verloren sieht, stürzt sich in
sein Schwert, um die Schande nicht zu überleben; die noch
übrigen Römer erliegen dem Schwerte der Germanen, und
nur wenige entkamen.
Die Rache der erbitterten Sieger schonte auch der Gefan-
genen nicht: die vornehmsten Kriegshauptleutc wurden an den
Altären der Götter geopfert, vorzüglich kehrte sich die Wutb
der Germanen gegen die römischen Richter und Sachwalter, die
unter grausamen Martern getödtet wurden; selbst der Leichnam
des Varus wurde zerfleischt, sein Kopf von Arminius dem
Marbod zugesendet, der am allgemeinen Freiheitskampf keinen
Theil genommen hatte. Von den Gefangenen, die zu Leib-
eigenen gemacht wurden, hat mancher ehemaliger Ritter oder
Senator als Hausknecht oder Vichhüter eines deutschen Bauern
seine übrige Lebenszeit zubringen müssen.
Diese Hermannsschlacht (im Jahr 9 n. Ehr.) ver-
nichtete eins der tapfersten und geübtesten römischen Heere, das
mit den Hülfstruppen auf 50,000 Mann geschätzt wird. Als
die Schreckensnachricht von der Niederlage nach Rom gelangte,
gerietst Alles in die größte Bestürzung. Schon glaubte man
das linke Nhcinuser sammt Belgien und Gallien verloren und
9*
196
Italien bedroht, und Augustus verlor die Hoffnung so, daß
er, im Schmerz sein Gewand zerreißend, ausrief: „Varus,
Varus, gieb mir meine Legionen wieder.'" Mit ängstlicher
Hast, als ob der Feind schon gegen Rom anzöge, wurden alle
Germanen und Gallier aus der Stadt entfernt und die deutsche
Leibwache auf Inseln abgeführt. Allein die Deutschen dachten
nicht an Eroberung; sie zerstörten alle Denkmale römischer
Knechtschaft und kehrten wieder an ihren Heerd zurück.
Wenn nun auch in den nächsten Jahren nach dieser
Schlacht Ruhe herrschte, so unternahm doch in den Jahren
14—17 n. Ehr. Germanicus, des Drusus Sohn, vier
Feldzüge gegen die Germanen. In dem zweiten dieser Feld-
züge hatte er das Land der Chatten verwüstet, und war schon
auf dem Rückwege begriffen, als ihn der alte Römersrcund
Segcstes zu Hülfe gegen Arminius rief.
Segestes hatte nämlich seineTochter Thusnelda, Arminius
Gemahlin, in dessen Abwesenheit wieder zu sich genommen und
ward nun von seinem Eidam in seiner Burg belagert. So-
gleich kehrte Germanicus um und zwang durch einen Ueberfall
den Arminius zur Aufhebung der Belagerung, worauf sich
Segestes sammt seiner Tochter den Römern ergab. Bei dieser
Uebergabe schritt Thusnelda, ihrem Gatten, nicht ihrem Vater
ähnlich, ohne Thräncn, ohne Worte, die Hände unter der
Brust gefaltet, mit gesenktem Blicke einher. In der Gefangen-
schaft gebar Thusnelda den Thumelicus, der späterhin zu.
Ravenna erzogen ward, ohne daß man von seinem Schicksal
etwas weiß. Arminius und Thusnelda sahen sich nie wieder.
Auf die Nachricht von Segcstes Uebertritt und Thusnel-
da's Gefangenschaft durchslog Arminius mit der Wuth der
Verzweiflung die Cheruskischen Gauen und rief alle seine Bun-
desgenossen zur Rache gegen die Römer aus, die, sagte er, sich
nicht schämten, den Krieg durch Vcrrath und gegen schwache
Weiber zu führen. So gelang cs ihm wieder, eine große
Vereinigung gegen die Römer zu Stande zu bringen.
Um einem Angriffskriege der Germanen zuvorzukommen,
eröffnete Germanicus den dritten Feldzug, in deni er bis zum
197
Teutoburger Wald vordrang. Mit seinem ganzen Heere langte
er bei der Wahlstatt der Varusschlacht an, wo seit sechs Jah-
ren die römischen Krieger noch unbegraben lagen. Mit Ent-
setzen sahen die Römer die bleichenden Gebeine der Gefallenen,
dazwischen gebrochene Waffen, Pserdcgerippe, an den Baum-
stämmen angenagelte Schädel, auf den Altären die Reste der
Geopferten. Einige, die damals der Schlacht entkommen und
jetzt zugegen waren, zeigten, wo die Legaten gefallen, wo die
Adler genommen, wo Varus verwundet, wo die Gefangenen
geschlachtet worden waren. Germanicus ließ alle Gebeine in
Ein großes Grab bringen und legte selbst den ersten Rasen
aus den Erdhügel.
Während er auf einen sicheren Sieg seiner von Rachedurst
entflammten Schaaren hoffte, zogen sich die Germanen in die
Wälder zurück, aus denen sie dann hervorbrachen und den
Rückzug seines Unterfeldherrn beunruhigten.
Auf seinem vierten Feldzuge rückte Germanicus bis an
die Weser, auf deren rechtem Ufer die Cherusker standen. Hier
forderte Arminius seinen Bruder Flavins, der im römischen
Heere diente, zu einer Unterredung auf, die von beiden Ufern
aus gehalten wurde. Zunächst suchte Flavins, der im Dienst
der Römer viele Ehrenbelohnungen erhalten, aber ein Auge
verloren hatte, den Arminius durch Aufzählung aller Vortheile
auf die Seite der Römer zu ziehen; aber Arminius erinnerte
seinen entarteten Bruder an die uralte Freiheit, an die vater-
ländischen Götter, an den Schmerz der Mutter, an die Pflicht
gegen sein Vaterland, und beschwor ihn, nicht der Verräther,
sondern der Führer seines Volkes sein zu wollen. Beide Brü-
der erhitzten sich so, daß Flavins Pferd und Waffen forderte
und es zwischen ihnen, ungeachtet sie der Fluß trennte, zum
Zweikampf gekommen wäre, wenn nicht ein römischer Be-
fehlshaber ihn vom Uebergang über den Strom abgehalten
hätte.
Nachdem Germanicus den Uebergang über die Weser be-
werkstelligt hatte, traf er auf die vereinigte Macht der Deutschen
198
und brachte ihnen in einer Ebene, Jdistavisus genannt"), eine
schwere Niederlage bei. Allein der Muth und die Kraft der
Deutschen ward dadurch nicht gebrochen. Empört über den
Anblick der römischen Siegeszeichen, stand alles Volk auf: Hoch
und Nieder, Jung und Alt, griff zu den Waffen, und so kam
es zu einer zweiten Schlacht am Steinhudersee. Furchtbar
wüthete das Schwert der Römer; die Deutschen fochten mit
dem Muth der Verzweiflung; Arminius ward verwundet, aber
von einem Rückzug der Deutschen berichten die Römer nichts,
obschon sie sich den Sieg zuschrieben.
Schon gedachte Germanicus im folgenden Jahre doch noch
die stolzen Cherusker zu demüthigen, als ihn Tiberius, aus
Neid über seinen Kriegsruhm, vom Oberbefehl abrief, mit der
Bemerkung, es sei genug gethan und gelitten, mit Klugheit
richte man mehr aus, als mit Gewalt, man solle die Ger-
manen lieber ihrer eigenen Zwietracht überlasten.
Und in der That brach die Uneinigkeit der Deutschen
bald in einem offenen Bruderkriege zwischen Arminius und
M a r b o d aus.
Marbod, Fürst der Markomannen, hatte sein Volk in
das heutige Böhmen geführt und hier einen Verein südöstlicher
Völker gebildet, den er immer weiter auszudehnen suchte. Zwi-
schen ihm, der sich stets der deutschen Freiheitssache abgewandt
hatte, und Arminius, der an der Spitze der nordwestlichen
Völker stand, herrschte Feindschaft. Es kam zu einer Schlacht,
die unentschieden blieb; aber dennoch bat Marbod den römischen
Kaiser Tiberius um Hülfe, der dann einen Frieden zwischen
Cheruskern und Markomannen zu Stande bringen ließ. Aber
der schlaue Tiberius wußte einen Gothischen Fürsten zu einem
Einsall in das Land der Markomannen aufzumuntern, der für
Marbod so unglücklick endete, daß er, von Allen verlassen,
über die Donau floh und den Kaiser Tiberius um eine Zuflucht *)
*) Das Schlachtfeld liegt nach der einen Annahme zwischen dem
jetzigen Prcußü ch - Minden und Vlotho, nach einer andern Annahme
bei Oldendorf unweit Rinteln.
1
199
bat. Diese erhielt er in Ravenna, wo er noch achtzehn Jahre
von römischem Gnadenbrod lebte und in trauriger Ruhmlosig-
keit sein Leben beschloß.
Nicht lange nachher wurde auch Arminius ein Opfer der
inneren Zwietracht unter den Cheruskern. Er fiel durch den
Verrath seiner Verwandten, die, eifersüchtig ans seinen Ruhm,
ihm Streben nach Alleinherrschaft vorwarfen.
Arminius war der Retter Germaniens und der Erhalter
deutscher Sitte und Art. Von ihm urthcilt ein römischer Ge-
schichtsschreiber: „Ohne Zweifel war er der Befreier Germa-
niens, der nicht wie andere Könige und Feldherrn das römi-
sche Volk in seinen Anfängen, sondern in seiner ganzen Macht-
herrlichkeit bekämpft hat, der zwar in Schlachten nicht immer
sieghaft, im Kriege aber unbesiegt war. Er siarb im 37. Jahre
seines Lebens, im zwölften seiner Feldherrnmacht. Noch wird
er bei seinem Volke in Liedern gefeiert*)."
XXX.
Tiberius Claudius Nero.
(14-37 n. Ehr.)
Augustus hatte dem Tiberins die Nachfolge gesichert. Als
sich der Senat beeilte ihm die Herrschaft zu übertragen, wei-
gerte er sich Anfangs, sie zu übernehmen, und lehnte mit heuch-
lerischer Demuth und Höflichkeit die dargebotene Kaiserwürde
ab. Aber die Senatoren kannten seinen heuchlerischen und
versteckten Character und ließen mit Bitten und Schmeicheleien
nicht ab, bis er die Herrschaft übernahm. Nachdem die Ver-
götterung des Augustus, durch welche dieser den Göttern zuge- *)
*) In der neuesten Zeit ist dem Arminius auf einem Hügel (der
Grootenburg) der Lippischcn Berge ein Standbild errichtet worden.
200
zählt und in eigenen Tempeln und durch eigene Priester ver-
ehrt ward, stattgesunden hatte, ward die Fülle aller irdischen
Würden und Ehren, die er besessen, auf den Tiberius über-
tragen. Unter ihm fielen die Volksversammlungen, die unter
Augustus nur selten und blos zum Schein berufen worden
waren, völlig weg, und ihr Geschäft ward dem Senate zu-
gewiesen. Gern hätte der Kaiser sich schon jetzt seinem Hange
zur Grausamkeit und Tyrannei überlassen, wenn ihn nicht die
Tugenden seines Neffen Germanicus, der längst der Liebling
des Volkes und Heeres war, genöthigt hätten, wenigstens den
Schein der Tugend und Mäßigung zu bewahren. Wenn auch
die Feldzüge des Germanicus gegen die Deutschen von keinen
bleibenden Folgen waren, so mußte ihm Tiberius doch die
Ehre des Triumphes zuerkenncn, bei welchem die Gemahlin
des Arminius, Thusnelda, mit ihrem dreijährigen Söhnlein
mit aufgeführt ward. Da sich aber die Gunst des Volkes für
den edeln Germanicus zu deutlich kund gab, so suchte ihn der
argwöhnische Tiberius aus dem Wege zu räumen. Zu diesem
Zweck übergab er ihm den Oberbefehl in Asien, um dort die
gestörte Ruhe wieder herzustellen. Daneben beauftragte er aber
den Calpurnius Piso mit der Statthalterschaft von Syrien,
der nun, den geheimen Weisungen des Kaisers gemäß, den
Befehlen des Germanicus stets zuwiderhandclte. Letzterer reiste
daher nach Syrien und bestrafte den ungehorsamen Piso mit
Verweis und Entfernung. Aber zu spät! schon hatte Germa-
nicus von Piso Gift bekommen. Er erlag demselben in einer
Krankheit und forderte noch vor dem Verscheiden seine Freunde
auf, seinen Tod zu rächen (19 n. Ehr.). Das ganze Reich
wurde bei dieser Nachricht mit Trauer und Unwillen erfüllt,
und die mit der Asche ihres Gatten zurückkehrende Agrippina
zu Rom vom Volke mit der größten Theilnahme empfangen.
Piso wurde zur Verantwortung gezogen, aber vor der Ent-
scheidung seiner Sache ward er eines Morgens, vom Schwert
durchbohrt, auf denr Boden seines Gemaches gefunden, denn
s o konnte er den Tiberius, den Urheber dieses Mordes und der
Vergiftung des Germanicus, durch seine Aussagen nicht verrathen.
201
Nach dem Tode des Germanicus trat des Tibcrius grau-
samer, argwöhnischer Sinn offen hervor. Den Majestäts-
gerichten, die schon unter Augustus bestanden hatten, gab er
die weiteste Ausdehnung, indem jede unvorsichtige Aeußerung
des Unwillens oder Tadels gegen die Person des Kaisers, je-
der zweideutige Ausdruck mit Martern und Hinrichtung be-
straft wurde.
Am meisten umstrickte ihn mit gewandten Schmeicheleien
sein Günstling Sejanus, der Befehlshaber der Prätorianer
oder der Leibwache, dessen Herrschsucht dazu beitrug, die Kai-
sergewalt in völlige Tyrannei zu verwandeln. Auf seinen Vor-
schlag wurden sämmtliche Abtheilungen dieser Garden in einem
festen Standlager dicht unter den Mauern Roms vereinigt.
Von dieser Zeit an konnte sich der Kaiser dieser Truppen zur
Durchführung jeder gewaltsamen Maßregel bedienen, und der
Befehlshaber dieser Prätorianer ward nach dem Kaiser die
wichtigste und mächtigste Person.
Acht Jahre lang stand der gegen Jedermann argwöhnische
Tiberius unter der Leitung dieses Güiistliiigs, der über den
Kaiser eme wahre Zaubergewalt ausübte. Von ihm ange-
trieben, ergab sich Tiberius den schändlichsten Lüsten, und um
sic unbewacht befriedigen zu können, zog er sich auf die Insel
Capreä bei Neapel zurück, wo er sich den ärgsten Ausschwei-
fungen überließ. Inzwischen schaltete Sejanus mit unumschränk-
ter Gewalt; bereits hatte er des Kaisers Sohn Drusus durch
Gift aus der Welt geschafft, und gegen die Familie des ver-
storbenen Germanicus wüthete er »ut Verbannung und Ein-
kerkerung. Seine Bildsäulen standen allenthalben neben denen
der kaiserlichen Familienglieder. Als er aber endlich seine Hand
nuch nach dem Throne ausstrcckte, da gingen dem Tibcrius die
Augen über seinen Günstling auf. Er ernannte den Macro
zum Befehlshaber der Garden, und dieser legte dem Senat den
kaiserlichen Befehl zur Verhaftung des Sejanus vor. Der ge-
fallene Günstling ward hingerichtct. und Tiberius ließ seine
Kinder, Verwandten und Anhänger in Masse umbringen.
Von nun an machten Argwohn, Mcnschenverachtung, Hab-
sucht und Trunksucht den Tiberius immer grausamer und blut-
dürstiger; täglich fielen nah und fern Männer und Frauen als
Opfer schändlicher Angeberei; Mancher nahm, um einer mar-
tervollen Hinrichtung zu entgehen, sich lieber selbst das Leben;
sogar die edle Agrippina und ihr Sohn mußten im Kerker
den Hungertod sterben. Endlich erkrankte der 78jährige Tyrann
und fiel in eine todtenähnliche Ohnmacht, worauf sogleich die
ganze Hofumgebung den jungen Cajns, den Tiberius an Soh-
nes Statt angenommen hatte, als Thronfolger begrüßte. Aber
Tiberius kam wieder zu sich, und nun schien Cajns verloren.
Da faßte Macro, der Befehlshaber der Prätorianer, einen
raschen Entschluß und ließ ihn durch viele Decken, die über
ihn geworfen wurden, ersticken.
XXXI.
Cujus Cäsar Culigula (37—41 n. Ehr.) Tibe-
riño Claudius Cäsar (41—54 n. Ehr.)
Cajns war der Sohn des cdeln Germanicus und erhielt,
da er sich als kleiner Knabe im Feldlager seines Vaters auf-
hielt, wo er Soldatenstiefelchen (caligae) trug, von den Sol-
daten den Namen Cali gula. Als Kaiser zeigte er Anfangs
gute Vorsätze; er stellte die Untersuchungen gegen die Verfolg-
ten ein, wies die Angeber zurück und machte sich durch Frei-
gebigkeit beliebt. Bald aber zerrüttete eine Krankheit, wie es
scheint, seine Vcrstandeskräfte, die in vollständige Raserei aus-
artete. In seinem Wahnsinn verfiel er auf die grausamsten
Handlungen, so daß er sogar noch den Tiberius an Tyrannei
übertraf, und die größte Habsucht, Verschwendung und Eitel-
keit an den Tag legte. Den ungeheueren Schatz von 140 Mil-
lionen Thalern, den der sparsame Tiberius gesammelt hatte,
brachte er gleich im ersten Jahre seiner Regierung durch. Ueber
203
die Meeresbucht zwischen Baja und Putcoli, eine Stunde weit,
baute er eine Schiffsbrücke und legte auf derselben eine Kunst-
straße mit Häusern auf beiden Seiten au, blos um einmal in
einem Prachtzuge darüber fahren und sagen zu können, er habe
das Meer in Land verwandelt. Seinem Leibpferde Jncitatus,
dem er die Würde eines Consuls zngedacht hatte, ließ er einen
Palast mit Hofhaltung einrichten, es mit vergoldetem Hafer
füttern, ja sogar an seiner eigenen Tafel fressen. Als er durch
solche wahnsinnige Streiche, durch Volksspeisungen und öffent-
liche Spiele den Schatz vergeudet hatte, zwang er, um wieder
Geld aufzübringen, die Reichen, die Kosten der öffentlichen
Spiele zu tragen und ihm große Geschenke und Vermächtnisse
zu machen. Viele ließ er hinrichten, um ihr Vermögen einzu-
ziehen, drückte die Reichen durch eine Menge von Steuern und
errichtete endlich eine Spielbank, wobei er selbst den falschen
Spieler machte. Seiner Grausamkeit wurden viele Menschen
geopfert; manche ließ er lebendig zersägen, andere den wilden
Thieren vorwerfcn, ja bei den Thierhetzen, wenn gerade keine
Verbrecher mehr da waren, Zuschauer ergreifen und den Thie-
rcn vorwerfen. In seinem Blutdurste wünschte er. daß das
ganze römische Volk nur Einen Kops haben möchte, um ihn
mit Einem Streich abschlagcn zu können.
Seine Eitelkeit verleitete ihn, als siegreicher Eroberer
glänzen zu wollen. Er unternahm einen Feldzug gegen die
Deutschen und gegen Britannien. Er ließ nämlich von Gal-
lien aus einige deutsche Söldner über den Rhein setzen und
sich dort verstecken; dann zog er mit einem Theil der Reiterei
hinüber und brachte sie als Gefangene zurück: Das war
ein Sieg über die Germanen! Eben so stellte er ein
ungeheueres Heer an Galliens Nordküste auf, angeblich zum
Zuge gegen Britannien, fuhr dann auf einem Prachtschiff ein
wenig ins Meer hinein, und ließ nach seiner Rückkehr die Sol-
daten am Strande Muscheln sammeln, die er nachher als eine
dem Occan abgenommene Beute sammt einer Anzahl Rhein-
gefangener, die aus Galliern in Germanischer Tracht bestan-
den, bei seinem Triumph in Rom aufführtc.
204
Nachdem Caligula vier Jahre gewüthet hatte, bildete sich
unter seiner Umgebung, die zuletzt ihres eigenen Lebens nicht
mehr sicher war, eine Verschwörung, und zwei Hauptleute sei-
ner Leibwache ermordeten den Kaiser sammt seiner Gemahlin
und deren Kinder (41 n. Chr.).
Während der Ermordung Caligula's hatte sich sein Oheim
Claudius Cäsar hinter einem Thürvorhang versteckt. Ihn
zogen jetzt die Soldaten der Leibgarde hervor und huldigten
ihm als Kaiser, wofür er ihnen ein ungeheueres Geschenk ge-
ben mußte. Der Senat war genöthigt, ihn anzuerkenncn.
Wenn auch Claudius in Geschichte und Sprache wohl unter-
richtet war, so fehlten ihm doch alle Eigenschaften, das römi-
sche Reich zu beherrschen. Er überließ die Regierung Günst-
lingen und Frauen. Unter letzteren hatten besonders die durch
ihren sittenlosen Wandel berüchtigte Messalina, und nach
ihrem Tode die eben so sittenlose, aber weit herrschsüchtigere
Agrippina großen Einfluß. Da Agrippina den Sohn des
Kaisers von der Messalina, den Britanniens, vom Throne
zu verdrängen suchte, um ihrem eigenen Sohn, dem Domitius
Nero, Platz zu machen, so ließ sie endlich, nachdem viele
Menschen als Opfer ihrer Herrschsucht gefallen waren, den al-
ten Kaiser Claudius selbst vergiften. Die berüchtigte Gift-
mischcrin Locusta bereitete vergiftete Pilze, die den Kaiser
aus dem Wege räumten (54 n. Ehr.). Nun ward Nero auf
den Thron gehoben.
XXXII.
Nero. (54—68 n. Ehr.)
Nero war in seiner frühen Jugend unter der Aufsicht eines
Tänzers und Barbiers vernachlässigt worden und nachher in
der verdorbensten Umgebung des Hofes ansgewachsen. In
einem Alter von siebzehn Jahren gelangte er zur Regierung.
So lange er sich der Leitung des Burrhus, des Obersten
der Garde, und seines Erziehers Scneca hingab, regierte er
ohne Tadel, und zeichnete sich durch Bescheidenheit und Milde,
durch Wohlthätigkcit und Enthaltsamkeit so sehr aus, daß man
die ersten fünf Jahre (quinquenniuuj) seiner Herrschast das
glückliche Quinquennium des Nero genannt hat. Doch alle
diese Tugenden waren nur die Folge des Zwanges und der
Verstellung. Langer vermochte er die Maske der Tugend nicht
zu tragen, und entwickelte dann einen solchen Hang zur Grau-
samkeit, zur Eitelkeit und Heuchelei, daß er ein wahres Un-
geheuer von einem Tyrannen wurde.
Da ihm seine Mutter Agrippina Vorwürfe über seine
Ausschweifungen machte und ihm drohte, den jungen Britan-
nicus, an dem sich treffliche Talente zeigten, auf den Thron
zu erheben, so beschloß Nero sofort dessen Tod. Einst ward bei
einem Hofmahle ein warmes Getränk umhergereicht, dieses aber
dein Britanniens so heiß gegeben, daß er es nicht trinken konnte.
Eiligst wurde kaltes Wasser zugegossen, das Locusta vergiftet
hatte. Kaum hatte Britanniens davon getrunken, als er vor
Nero's und aller Gäste Augen todt niederficl. „Es ist nichts
als die Fallsucht, die er schon öfters hatte!" rief der heuch-
lerische Nero und ließ ihn wegschaffcn, aber gleich in der Nacht
noch auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Agrippina inußte
den kaiserlichen Palast räumen und verlor allen Einfluß. Bald
ließ sich Nero durch die schöne, aber lasterhafte Poppäa Sabina
bewegen, seine tugendhafte Gemahlin Octavia zu verstoßen und
seine eigene Mutter zu ermorden. Burrhus uiid Seneca bebten
vor diesem Entschluß zurück, hatten aber nicht den Muth, sich
zu Widerschein Auf den Vorschlag eines Günstlings wurde in
der Nähe von Bajä eine Lustfahrt auf dem Meere veranstaltet.
Bei dieser Gelegenheit sollte Agrippina mit dem Schiffe ver-
senkt werden. Doch der Anschlag mißlang, Agrippina rettete
sich durch Schwimmen, ward aber bald darauf von Mördern
in ihrer Wohnung umgebracht.
Von den Furien des Gewissens gepeitscht, suchte sich Nero
durch den Taumel wilder Vergnügungen zu zerstreuen, und
206
trat öffentlich als Wagenrenner, Citherspieler, Sänger und
Schauspieler auf, ohne aus die Gegenvorstellungen des Burrhus
und Seneca Rücksicht zu nehmen. Von diesen starb jetzt
Burrhus, und da sich Seneca ganz vom Hose zurückzog, so
war Nero dieser lästigen Aufseher überhoben und konnte sich
nun ganz den Einflüsterungen elender Günstlinge hingeben.
Seine Verschwendung war schrankenlos; oft warf er am Schluffe
der Feste, die er dein Volke gab, kleine Kugeln unter dasselbe,
aus denen Anweisungen auf Geld, Edelsteine, Gemälde, Pferde,
Acckcr und Landgüter standen, die dem Vorzeiger ausgehändigt
wurden. Darum mochte ihn sowohl das Volk, das er durch
Spiele und Kornspenden befriedigte, als auch das Heer, das
er reich besoldete, wohl leiden.
Die größte Gräuelthat in seiner Regierung ist der Brand
von Rom. Um sich eine schönere Hauptstadt bauen zu können,
ließ er Rom an verschiedenen Stellen anzünden; seine Mord-
brenner durchzogen die Stadt, drangen mit Fackeln und Brand-
stoffen in die Häuser ein und hinderten die Leute mit Gewalt
am Löschen. Während der Feuersbrunst stand Nero auf einem
Thurme und sah mit Lust dem grausamen Prachtschauspiel zu,
indem er dabei ein Gedicht von Troja's Untergang declamirte.
Durch diesen Brand ward ein großer Theil der Stadt in
Ätsche gelegt.
Als er wahrnahm, daß er hierdurch die Wuth des Vol-
kes gereizt habe, schob er die Schuld auf die Christen in
Rom, die, weil sie sich von allen öffentlichen, mit heidnischen
Gebräuchen verbundenen Handlungen zurückzogen, vom Volke
tödtlich gehaßt wurden. Nero ließ die Christen cinziehen und
stellte somit die erste C hri stenv erfo lg u n g an. Ein
Theil von ihnen wurde enthauptet oder gekreuzigt, ein Theil
in Felle wilder Thiere genäht und den Hunden zum Zerfleischen
vorgcworsen. Andere mit Pech übergossen und angezündet, um
wie Fackeln in langen Reihen zu nächtlichen Nennspielen zu
leuchten.
Darauf ließ er die Stadt neu aufbauen, wobei er ein
ganzes Quartier für sich nahm, und daselbst mit verschwcn-
207
derischer Pracht einen Palast, Las sogenannte goldene Haus,
bauen ließ, Las mit Gärten, Bädern, Lusthäusern, Seen und
Wildbahnen umgeben ward. Alle Provinzen, besonders die
Tempel Griechenlands und Asiens, mußten einen Theil ihrer
Geld- und Kunstschätze dazu steuern, und selbst die Heere ihren
Sold entbehren. Dadurch machte er sich verhaßt, und es bil-
dete sich eine Verschwörung, an der selbst Senatoren und Rit-
ter Theil nahmen, um den Nero zu stürzen und den tugend-
haften Casus Piso auf den Thron zu setzen. Aber die
Verschwörung wurde entdeckt. Piso gab sieh selbst den Tod,
und viele Andere wurden hingerichtet. Auch Nero's Lehrer
Seneea wurde, obschon unschuldig, zum Tode verurtheilt. Er
erhielt die Vergünstigung, sich selbst tobten zu dürfen, und
öffnete sieh mit seiner Gemahlin die Adern; da aber bei dem
Greise das Blut zu langsam floß, ließ er sich durch die
Dämpfe eines Bades ersticken.
Um die Angst seines Gewissens zu übertäuben, stürzte sich
Nero in neue Zerstreuungen. Er reiste nach Griechenland, wo
er als Sänger und Wagenlenker auftrat. Die Griechen bewun-
derten seine Kunst und erkannten ihm den Preis zu, worauf
er selber als Herold Griechenlands Freiheit verkündete, was ihn
jedoch nicht hinderte, die griechischen Tempel zu plündern. Mit
1800 Siegeskränzen geschmückt kehrte er nach Rom zurück und
feierte wegen seiner Kunstsiege einen Triumph.
Vierzehn Jahre lang hatte Nero aus diese Weise regiert,
als sich einige Statthalter gegen ihn empörten. Noch hätte
der Aufstand unterdrückt werden können, aber er aehtete nicht
daraus. Als es zu spät war, machte er sich, von Allen ver-
lassen, auf die Flucht, um sich auf einem Landgut bei Rom
zu verstecken. Dahin ritt er mit vier Begleitern in einer fürch-
terlichen Naeht; der Beherrscher der Erde hatte sich in einen
schlechten Mantel vermummt und hielt sich ein Tueh vor das
Gesicht. Zuckende Blitze erleuchteten den Weg, Nero's Pferd
ward scheu. Verschiedene Reisende, die ihnen begegneten, frag-
ten: „Was Neues vom Nero?" Einen Andern hörten sie sa-
gen: „Die setzen gewiß auch dem Nero nach." So geängstigt
208
erreichte er halbtodt das Landgut. Er wagte es nicht, durch
den gewöhnlichen Eingang in das Haus zu kommen, und bis
man ihm eine Oeffnung durch die Mauer gebrochen hatte,
versteckte er sich im Schilfe und schöpfte sich, vom Durst ge-
quält, mit der Hand Wasser aus einer Pfütze. Am folgenden
Tage erhielt er die Nachricht, der Senat habe ihn für einen
Feind des Vaterlandes erklärt, der, wenn man ihn fände, nach
der Sitte der Vorfahren hingerichtet werden sollte. Seine
Begleiter forderten ihn dringend auf, dieser Schande zuvorzu-
kommen; er versuchte auch unter unsäglichem Wehklagen, sich
selbst zu ermorden, aber er hatte nicht den Muth dazu. „Welch
ein Künstler stirbt in mir!" rief er einmal über das andere
aus. Da sprengten Reiter heran. Nun ergriff er den Dolch,
ein Freigelassener half ihm denselben in die Kehle stoßen. Die
Reiter, die ihn gern lebendig fangen wollten, traten ein, als
er sich fast verblutet hatte. Er war im 32. Jahre, als er
starb (68 n. Ehr.). Cäsars Geschlecht war nun gänzlich er-
loschen.
XXXIII.
Vespasianus (69—79 n. Ehr.) und Titus
(79—81 n. Ehr.)
Nach Ncrv'ö Tode folgten einander in einem Jahre drei
Kaiser, von denen der eine den anderen verdrängte. So hatte
denn seit dem Tode des Augustus eine Reihe von Kaisern re-
giert, welche länger als ein halbes Jahrhundert die römische
Welt mit Gräueln erfüllten, bis endlich in der Person des
Vespasianus wieder ein guter Kaiser die Zügel des Rei-
ches ergriff.
Vespasianus stand als Feldherr in Judäa, um die Juden,
die sich gegen den Druck der römischen Herrschaft empört hatten,
wieder unter das römische Joch zurückzuführen. Die Juden
209
wehrten sich als Verzweifelnde, und sechs Wochen lang lag ein
römisches Heer von 60,000 Mann vor Iotapata, ehe es diese
Festung erobern konnte. Vierzigtausend Juden verloren dabei
ihr Leben. Von vierzig Entwischten, welche sich in eine Höhle
geflüchtet hatten, tödteten sich achtunddreißig lieber unter einan-
der selbst, als daß sie die angcbotene Verzeihung angenommen
hätten. Neben dem Krieg gegen den äußeren Feind wüthcten
furchtbare innere Zwistigkeiten unter den Juden selbst. In
Jerusalem hatte sich eine wüthende Rotte, Zeloten (Eiferer)
genannt, vor welcher die Gemäßigten, die den Frieden wünsch-
ten, zitterten, des Tempels bemächtigt und führte eine furcht-
bare Schreckensregierung. Bald zerfielen auch diese Zeloten in
zwei Parteien, welche einander mit der größten Heftigkeit be-
kämpften, so daß Vespasianus den Angriff aus Jerusalem ver-
schob, weil er darauf rechnete, daß diese Wüthenden einander
selbst ausreibcn würden.
Als die Nachricht von Nero's Tod und bald darauf von
den Thronvcränderungen in Rom anlangte, übertrugen die
Legionen in Judäa dem Vespasianus die Kaiserwürde. Er
nahm sie an und überließ die Fortsetzung des Krieges seinem
Sohne Titus.
Dieser rückte im Jahre 70 vor Jerusalem, wo die Zer-
rüttung und das Elend den höchsten Grad erreicht hatten.
Drei Parteien inachten einander den Besitz der Stadt und des
Tempels streitig, und thaten Alles, sich gegenseitig zu verder-
ben. Jndeß war Jerusalem so stark befestigt, daß es kaum
mit Waffengewalt zu erobern schien. Titus bot den Einge-
schlossencn Verzeihung an, aber sie wollten sich durchaus nicht
ergeben. Die Hungersnoth stieg in der von Flüchtlingen voll-
gedrängten Stadt so hoch, daß eine Mutter ihr Kind schlach-
tete und aß. Als Titus das hörte, rief er mit Entsetzen über
die Empörer aus: „Sie allein tragen die Schuld dieses Fre-
vels ! ich will den Gräuel des Kinderfraßes mit den Trüin-
mern der Stadt bedecken; die Sonne soll nicht mehr eine Stadt
bescheinen, in der Mütter also sich nähren!" So ward erfüllt,
was 3 Mos. 26, V. 27—29 als Strafe des Abfalls von
210
Gott gedroht war: ..Werdet ihr mir aber nicht gehorchen und
mir entgegen wandeln, so will ich auch euch im Grimm ent-
gegen wandeln, und will euch strafen um eure Sünde, daß
ihr sollt eurer Söhne und Töchter Fleisch fressen."
Mit dem Hunger wütheten Seuchen um die Wette; die
Leichen wurden zu Hunderttausenden über die Mauern gewor-
fen. Nachdem die Römer die äußeren Mauern erstürmt hatten,
richtete sich ihre ganze Macht gegen den Tempel, dennoch wollte
der Hanfe, der sich dort verschanzt hatte, sich noch immer nicht
ergeben. Titus wünschte sehnlichst, dies Prachtgebäude zu er-
halten, aber umsonst. Die Juden glaubten, ihr Tempel könne
gar nicht erobert werden, Gott selber müsse ihn beschützen;
da warfen endlich die römischen Soldaten Feuer hinein, und
so ward der Tempel zum Aschenhaufen. Es folgte ein allge-
meines Blutbad, wobei weder Alter, noch Geschlecht, noch
Stand verschont ward. Tausende fanden ihren Tod in den
Flammen, oder durch Herabstürzung von den Mauern. Die
obere Stadt ward erst mehrere Wochen nachher eingenommen,
worauf Titus Alles, was von Gebäuden noch stand, vollends
der Erde gleich machen ließ. Mehr als eine Million Juden
sollen in diesem Vernichtungskriege ums Leben gekommen sein.
Als Titus seinen Einzug in die in rauchenden Trümmern da-
liegende Stadt hielt, brach er in die Worte aus: „Wahrhaftig,
mit Gott haben wir gesiegt! Gott hat die Juden aus diesen
Bollwerken vertrieben: Denn was vermöchten Menschenhände
und Brechwerkzcuge gegen solche Steinmassen?"
Also ward das Wort Christi über Jerusalem erfüllt
<Luc. 19, 44): „Sie werden dich schleifen und keinen Stein
auf dem andern lassen."
Noch zwei Jahre währten die Todeszuckungen des zertre-
tenen Volkes, unb erst im Jahre 72 n. Ehr. war die Erobe-
nmg Judäa's vollendet. Von nun an hörte die Selbstständig-
keit des jüdischen Volkes auf, und cs begann seine Zerstreuung
in alle Welt und unter alle Völker.
211
Unterdessen war Vespasianus in Rom mit der kaiserlichen
Machthülle bekleidet worden und feierte im folgenden Jahre mit
seinem Sohne Titus, den er zum Mitregcnten erhoben hatte,
einen glänzenden Triumph wegen Beendigung des jüdischen
Krieges. Noch sind die Haupttheile des marmornen Triumph-
bogens erhalten, an dem jüdische Tempel- und Opfergefäße dar-
gestellt waren.
Mit Vespasianus kehrte wieder Ordnung und Sicherheit
in das zerrüttete römische Reich zurück. Er stellte die verfal-
lene Kricgszucht bei den Heeren Italiens wieder her; er rei-
nigte den Senat von unwürdigen Mitgliedern und gestattete
auch würdigen Männern aus den Provinzen des Reiches den
Zutritt. Er beschränkte die Anklagen wegen beleidigter Maje-
stät, die so vielen das Leben gekostet hatten, und füllte durch
Sparsamkeit und weise Verwaltung die gänzlich erschöpften
Kassen. Unter den neuen Steuern, die er einführte, befand
sich auch eine, die er auf die Urinfässer der Walker legte.
Als ihm sein Sohn Titus darüber Vorwürfe machte, hielt er
ihm ein aus dieser Steuer herrührendes Stück Geld unter die
Nase und fragte ihn, ob es übel rieche. An seinem Hofe
herrschte Einfachheit und Mäßigkeit, wodurch er einen günsti-
gen Einfluß aus die durch Luxus und Schwelgerei entarteten
Römer äußerte.
Auch verschönerte er Rom durch den Wiederaufbau des
Capitoliums und vieler noch seit dem Neronischen Brande in
Asche liegenden Bürgerhäuser. Außerdem errichtete er einen
Tempel der Friedensgöttin, den er zum größten und prächtig-
sten Roms machte, und ein ungeheueres Amphitheater, welches
87,000 Menschen fassen konnte. Es war ganz von Stein,
hatte unterirdische Canäle und Zugänge, durch welche Wasser
eingelassen werden konnte, das den ganzen Bodenraum in einen
See verwandelte, worin man Seegefechte aufführen konnte. Noch
jcht sind die Ueberrcste dieses Gebäudes unter dem Namen Co-
lossäum berühmt. Bei der Einweihung wurden 5000 wilde
Thierc erlegt. E§ war dies der Ort, an welchem später tau-
sende von christlichen Märtyrern unter den Zähnen der wilden
Thiere verbluten mußten. Die Dreiviertheile vom Ganzen, die
noch stehen, wurden deshalb zn einer Kirche eingerichtet.
Dieser für das Reich so wohlthätigc Fürst starb als ein
siebzigjähriger Greis (79 n. Chr.). Als er zum ersten Mal
in seinem Leben erkrankte und den Tod herannahen fühlte,
sprang er mit den Worten: „Ein Imperator muß stehend
sterben!" vom Lager ans und sank todt um.
Er hinterließ die Herrschaft seinem Sohne Titus, den er
schon längst zum Mitregenten angenommen hatte. Wegen sei-
ner unordentlichen Lebensart und Strenge hegte man von ihm
keine günstigen Hoffnungen, aber als Kaiser erschien er wie
umgewandelt und offenbarte das edelste und wohlwollendste
Gemüth. Als er sich einst bei der Mahlzeit erinnerte, daß er
an dem ganzen Tage Niemanden eine Wohlthat erwiesen hatte,
rief er aus: „Freunde, ich habe einen Tag verloren!" Oft
sagte er: von seinem Fürsten dürfe Niemand traurig Weggehen.
Den Regierungsgeschäften widmete er sich mit der größten Ge-
wissenhaftigkeit, behandelte Jeden mit Milde und Güte, selbst
seine Feinde mit Großmuth, und suchte die Leiden der Mensch-
heit durch Wohlthätigkeit zu lindern, so daß ihn das Volk
die Liebe und Wonne des Menschengeschlechtes nannte. Die
Unglücksereignisse der damaligen Zeit gaben ihm Gelegenheit
genug, seine Freude am Wohlthun in reichem Maße zu offen-
baren. Eine schreckliche Feuersbrunst wüthete drei Tage lang
in Rom; eine verheerende Pest raffte Tausende hin. Furcht-
barer noch war ein ungeheueres Erdbeben, verbunden mit an-
haltenden Ausbrüchen des Vesuv, von dessen Dampfe Tage
lang die Luft verfinstert ward. Zwei ganze Städte, Hercula-
nnm und Pompeji, versenkte es in die Erde und verwüstete
ganz Campanien (79 n. Ehr.). Der menschenfreundliche Kaiser
half den Geflüchteten mit seinem ganzen Vermögen, und wollte
lieber noch von seinen Kostbarkeiten verkaufen, als dem Lande
deshalb eine neue Steuer aufschlagen.
Eine Schilderung dieses furchtbaren Ereignisses haben wir
vom jüngeren Plinius, dessen Oheim, der ältere Plinius, sein
213
Leben dabei verlor. Am 24. August erhob sich plötzlich ein
Geschrei, es steige eine ganz ungewöhnliche, fürchterliche Wolke
auf. Es war der aus dem Vesuv hervorschießende Dampf.
Der unerschrockene Oheim wollte ein so merkwürdiges Ereigniß
in größerer Nähe beobachten, bestieg ein Schiff und eilte der
Gefahr entgegen. Noch auf dem Meere erreichte ihn fallende
Asche und Bimsstein; der Steuermann bat ihn, umzukehreu.
Vergebens. „Mit dem Tapferu ist das Glück!" rief er, und
ließ sich nach Stabiä bringen, wo er die Nacht, während die
Flammen aus dem Vesuv hervorbrachen und Alles, was fliehen
konnte, floh, ruhig schlief. Am Morgen aber entstand die
Besorgniß, daß die stärker strömende Asche zuletzt den Ausgang
versperren, oder die von dem heftigen Erdbeben schwankenden
Mauern einstürzen möchten. So zog man denn hinaus, aus
das Meer zu, welches fürchterlich tobte. Es war eine dicke
Finsterniß, nur von den Fackeln, welche die Sclavcn trugen,
und den hervorbrechenden Flammen erhellt. Da sank Plinius
plötzlich todt nieder. Er war von den bösen Dämpfen erstickt;
seinen Leichnam fand man erst am dritten Tage, denn so
lange dauerte die Finsterniß. Sein Neffe, der jüngere Pli-
nius, war indeß zu Misenum geblieben, bis das entsetzliche
Erdbeben die Gebäude zu verlassen ricth. Eine Menge Volk
zog aus; da wandelte sich auch in dieser Entfernung der Tag
in Nacht, und die Asche begann zu stäuben. Das Rufen, das
Geschrei und Gejammer der auf dem Felde herumtappendcn,
die Ihrigen suchenden Menschen war fürchterlich. Endlich, als
der lange und schwere Aschenregen nachließ, und die Sonne,
wiewohl mit bleichem Scheine, wieder hervortrat, boten die
Gegenstände umher den traurigsten Anblick dar; der Boden
war hoch mit Asche, wie mit Schnee bedeckt. Aus dem, was
zu Misenum geschah, kann man ungefähr schließen, wie die
dem schrecklichen Naturereignisse so viel näheren Städte, Pom-
peji und Herculanum, unter der Asche und dem Lavastrom
verschüttet wurden und untergingen *).
*) Im Jahr 1711 stieß man beim Graben eines Brunnens auf
drei weibliche Bildsäulen; im Jahr 1738 ward diese Spur weiter vcr>
214
Titus, der Rom auch durch ein herrliches Werk der Bau-
kunst, die sogenannten Thermen (Bäder) des Titus, zierte,
regierte zum Unglück für das römische Reich nur zwei Jahre
und drei Monate. Er starb kinderlos nach kurzer Krankheit
(8! n. Ehr.) und hinterließ die Regierung seinem ihm ganz
unähnlichen Bruder, dem grausamen Domitiauus (81—96
n. Ehr.).
XXXIV.
Nerva. Trajanus. Hadrianns. Die beiden
Antonine. (96—180 n. Ehr.)
Nachdem Domitiauus fünfzehn Jahre hindurch die römische
Welt gedrangsalt hatte, bildete sich eine Verschwörung in sei-
nem eigenen Palaste, in deren Folge er nach verzweifeltem
Widerstand ermordet wurde. Nach ihm regierten über achtzig
Jahre treffliche Fürsten, unter denen das Reich eine gewisse
äußere Blüthe entwickelte, die das innere Elend überdeckte, so
daß man diesen Zeitraum das goldene Zeitalter des römischen
Reiches genannt hat.
Nach dem Tode des Domitiauus wurde der alte, wür-
dige Senator Coccejus Nerva auf den Thron erhoben (96—98
n. Ehr.). Er bemühte sich, durch Milde und Gerechtigkeit die
Wunden des Reiches zu heilen; er erhöhte das Ansehen des
Staates, minderte die Abgaben und ließ arme Kinder auf
öffentliche Kosten erziehen. Da er aber fühlte, das ihm, dem
Uebermutb und der Gewaltthätigkeit der Leibgarden gegenüber,
die nöthige Kraft fehlte, so wählte er den Ulpius Trajanus,
einen Spanier von Geburt, zu seinem Mitregenten. Nerva
folgt und man fand, daß man sich ln dem altcn Herculanum befinde.
Erst uin das Jahr 1748 fand man das alte Pompeji, dessen Aus-
grabungen am weitesten gediehen sind. Die aufgcfundcnen Kunstdcnk-
mäler haben zur Aufhellung des AltcrthumS bedeutend beigetragen.
215
selbst starb bald nach dieser Wahl und nun folgte ihm Tra-
janus als Alleinherrscher (98—117 n. Ehr.).
Durch seine Kraft und Milde, Güte und Bescheidenheit,
Einsicht und Gerechtigkeit erwarb er sich die Liebe und Be-
wunderung der römischen Welt in dem Grade, daß ihm der
Senat den Beinamen „der Beste" ertheilte, und noch nach
zweihundert Jahren bestiegen die neugcwählten Kaiser den Thron
unter dem Glückwunsch: „Sei glücklicher als Augustus und
besser als Trajanus!" Alle Tugenden, die den Herrscher, Feld-
Herrn und Menschen zieren, übte er in gleichem Grade. Die
Majestätsverbrechen hörten auf; der Senat erhielt Freiheit der
Berathungen. Der Kaiser selbst unterwarf sich den Gesetzen
und beförderte dadurch auch in allen Bürgern die Achtung vor
Gesetz und Recht. Jedem Bürger gestattete er freien Zutritt;
die Provinzen beschützte er vor Bedrückung der Beamten; die
Armen unterstützte er, indem er 5000 arme Kinder aus eigene
Kosten erziehen ließ.
Aber auch den Ruhm der Waffen suchte Trajanus; er
glänzt als Held und Eroberer. Er unternahm einen Kriegs-
zug gegen die Dacier (in der Moldau, Walachei und in Sie-
benbürgen), deren König Deccbalus dem römischen Reiche unter
Domitianus einen Tribut auferlegt hatte. Trajanus befreite
Rom von dieser schmählichen Abgabe; Decebalus mußte seine
Hauptstadt erobert, seine Festungen geschleift und einen Thcil
seines Landes von den Römern besetzt sehen (103 n. Ehr.).
Als er sich dann, dem Friedensvertrage zuwider, heimlich mit
Nachbarvölkern gegen die Römer verband, zog Trajanus zum
zweiten Male gegen die Dacier. Auf diesem Zuge baute er
(in der Nähe der heutigen Stadt Czernetz in der Walachei)
über die Donau eine steinerne Brücke, die aus 20 steinernen
Pfeilern ruhte und 2500 Fuß lang war. Dann drang er
tief in Dacien ein und bedrängte den Decebalus so, daß dieser
sich selbst das Leben nahm (106 n. Ehr.). Von da an war
Dacien römische Provinz.
Seine Siege über die Dacier feierte Trajanus durch glän-
zende Triumphe und Feste, bei denen in 123 Tagen 11,000
216
wilde Thiere getödtet wurden. Das Andenken daran sichert
noch heute die Trajanssäule in Rom. Sie erhob sich auf
einem mit Säulenhallen umgebenen Platze des Trajanischen
Forums, ist 117 Fuß hoch und aus 19 Cylindern von wei-
ßem Marmor zusammengesetzt, welche einen, unten 11, oben
10 Fuß starken Schaft bilden, woran Trajan's Dacische Kricgs-
thaten dargestellt und 2500 menschliche Figuren angebracht sind.
Die Säule, die zugleich zu seinem Grabmal bestimmt war,
ist innen hohl, und 184 Stufen führen auf ihre Spitze, auf
welcher eine 22 Fuß hohe, in Erz gegossene Bildsäule Trajan's
stand, die aber im Lauf der Zeit zerstört und mit der Bild-
säule des Apostels Petrus ersetzt wurde.
Da die Parther die Grenze des römischen Reiches im
Osten beunruhigten, so unternahm Trajanus auch einen Feld-
zug in die Morgenländer. Er unterwarf Armenien, Mesopo-
tamien und Syrien, und machte diese Länder zu römischen
Provinzen, deren Besitz jedoch nur vorübergehend war. Mit
einer Flotte fuhr er den Tigris hinab in den Persischen Meer-
busen und zog nach Arabien, dessen nördlichen Theil, das pe-
träische Arabien, er eroberte. Auf der Rückreise erkrankte Tra-
janus und starb zu Selinus in Cilicien, das ihm zu Ehren
Trajanopolis genannt ward. Seine Gebeine wurden nach Rom
geschafft und unter der Trajanssäule beigesetzt.
Nach seinem Tode ließ sich Hadrianus sogleich von dem
Heere zum Kaiser ausrusen, und der Senat bestätigte ihn in
dieser Würde. Er war mit sehr vielem Talent begabt und mit
einem so außerordentlichen Gedächtniß, daß er schon in seinem
fünfzehnten Jahre die griechische Sprache so vollkommen, wie ein
Grieche, sprach und jedes einmal gelesene Buch fast auswendig
wußte. Als Kaiser wandte er den inneren Angelegenheiten seines
Reiches die größte Sorgfalt zu. Er bereiste selbst fast alle Pro-
vinzen seines weiten Reiches, und zwar meistentheils zu Fuß,
„denn ein Kaiser," sagte er, „muß wie die Sonne alle Theile
seines Reiches beleuchten." Auch die Wiffenschaftcn und Künste
gediehen unter ihm zu einer Art von Blüthe. Von seinen Bau-
werken verdient das sogenannte Mausoleum oder Grabmal
217
-es Hadrianus Erwähnung, das jetzt die Engelsburg beißt.
Außer seinen glänzenden Eigenschaften besaß er aber auch grobe
Fehler, und besonders waren Neid und Argwohn hervorstechende
Züge seines Charakters, die ihn zuweilen zu grausamen Hand-
lungen verleiteten. Er regierte von 117—138 n. Ehr.
Es folgte ihm Antonin us (138—161 n. Ehr.), schon
von Hadrianus zum Thronfolger bestimmt. Seine kindliche
Anhänglichkeit an diesen erwarb dem Antonius den Beiuamen
Pius. Er regierte wie ein zweiter Numa, den er sich auch
zum Muster genommen haben soll. Von ihm, den sein Volk
mit Recht den Vater der Menschen genannt, hat die Geschichte
keine Heldenthaten, sondern nur wohlthätige Einrichtungen zu
melden. Seine Wohlthätigkeit zeigte er in Unterstützung der
Armen und insbesondere in der Errichtung einer Waisenanstalt.
Selbst die unter früheren Kaisern verfolgten Christen konnten
unter ihm ein ruhiges Leben führen. Er pflegte zu sagen:
„Ich will lieber das Leben eines einzigen Bürgers erhalten,
als tausend Feinde tödten."
Marcus Aurelius Autoninus, von Geburt ein Spa-
nier, war schon in seinem achtzehnten Jahre von Antonins
Pius zum Nachfolger ernanut worden. Mit edlen Anlagen
des Geistes und Herzens begabt, hatten ihn ausgezeichnete Leh-
rer schon früh in die Lehren der heidnischen Weisheit cingc-
führt, die auf seine ganze Regierung von großem Einfluß
waren. Mit der ganzen Kraft der Tugend, die er aus der
Beschäftigung mit dieser Weisheit schöpfen konnte, bestand er
die mannichfachen Stürme, die während seiner neunzehnjähri-
gen Regierung (161 —180 n. Ehr.) über ihn und sein Reich
kamen. Er sorgte für Recht und Gesetze, und beobachtete eine
weise Sparsamkeit in der Verwaltung. Besonders lag ihm
die Verbesserung der Sitten am Herzen. Seine Milde und
Wohlthätigkeit zeigte er, als Rom von einer Ueberschwcmmung
und Hungersnoth heimgesucht ward. Zu derselben Zeit wurde
das Reich durch die Einfälle der Germanen und Parther im
Norden und Osten beunruhigt. Am furchtbarsten aber war der
schwere und langwierige Markomannc^meg.(>66-
Stacke, rinn. Erzählungen. 4. A »fl. W
fürtnîoi :onale
Schult: .!.: , : .¡umg
Braun »nweig
Schulbudibibliothsk
218
n. Ehr.), der das römische Reich an den Rand des Untergangs
brachte und die Römerwelt in eine solche Roth versetzte, daß
Einer auf dem Markte zu Rom den Untergang des Erdballs
verkündete. Alle Donauvölker erhoben sich, wie in Einen Bund
vereinigt, darunter besonders die Markomannen (in Böhmen)
und Quaden (in Mähren und Ungarn), stürmten über die
Donau in die römischen Provinzen und schleppten unter furcht-
baren Verheerungen der Länder ganze Bevölkerungen hinweg.
Zu diesem Unglück kam noch die Pest, welche die Legionen aus
Asien mitbrachten und die nun auch Italien und andere west-
liche Provinzen verheerte. Zwar zog Marcus Aurelius gegen
die Quaden und schlug sie mehrmals, feierte auch zu Rom
einen Triumph, aber die Markomannen und ihre Verbündeten
brachen immer wieder los und nöthigten den Kaiser zu neuen
Feldzügen. Um die Mittel dazu aufzubringen, verkaufte er
seine Kostbarkeiten und Kunstschätze, bewaffnete Sclaven und
Sträflinge, und nahm sogar zur Wahrsagerei seine Zuflucht.
Auf den Rath eines Aegyptischen Wahrsagers ließ er zwei Löwen
über die Donau treiben, um die Barbaren durch diesen Anblick
zu erschrecken. Allein die Deutschen hielten die Löwen für große
Hunde und schlugen sie mit Prügeln todt. In einer bald dar-
auf folgenden Schlacht tödteten sie 20,000 Römer.
Auf einem feiner Feldzüge stand der Kaiser mit seinem
Heere diesseits des Grans, eines Nebenflusses der Donau in
Ungarn, in einer wasserlosen Gegend, rings vom Feinde einge-
schlossen. Er und alle die Seinen waren dem Verschmachten
nahe, als plötzlich ein Gewitter mit Regengüssen erfolgte und
die Erschöpften, die den Regen mit ihren Schilden aufstngen,
erfrischte. Nach christlichen Berichten war der Gewitterregen eine
Folge des Gebetes der zwölften Legion, die meist aus Christen
bestand, während römische Berichte ihn dem Gebete des Kaisers
zuschreiben. Es war dem Kaiser nicht vergönnt, den Krieg
gegen die Markomannen und Quaden zu beendigen. Er starb
zu Vindobona (Wien) 180 n. Chr. Sein unwürdiger Sohn
Commodus erkaufte von ihnen einen schimpflichen Frieden.
219
S ch lu ß.
Mit Marcus Aurelius schließt die Reihe der guten Kaiser.
Zwar folgt noch eine große Anzahl von Imperatoren nach
ihm, von denen aber nur sehr wenige verdienen, hier erwähnt
zu werden. Die innere Zerrüttung des Reiches, der Verfall
der Sitten, die Schwache nach außen, nahmen immer mehr
zu, und es zeigte sich in jeder Beziehung, daß die römische
Welt sich ausgelebt hatte. Ein anderes Volk war be-
rufen, an ihre Stelle zu treten, das morsche Gebäude des rö-
mischen Reiches zu zertrümmern, und Träger des Christenthums
zu werden. Dieses Volk waren die Germanen.
Aber noch ehe die Germanen das alte Reich in den Staub
traten, feierte das Christenthum einen vollständigen Sieg über
das Heidenthum. Constautinus der Große (306—337
n. Chr.) erhob das Christenthum zur Staatsrcligion. Unter
ihm hörten die Verfolgungen der Christen auf, und der Glaube
an den Erlöser, zu dem sich Constautinus selbst bekannte, ver-
breitete sich immer mehr. Auch ist die Regierung dieses Kai-
sers noch dadurch wichtig, daß er die Residenz von Rom
nach Constantinopel, daß ihm zu Ehren diesen Namen erhielt,
verlegte.
Nach seinem Tode verstrichen keine vierzig Jahre, als
durch die Ankunft der Hunnen, die aus Asien in Europa cin-
sielen, der Anstoß zur sogenannten Völkerwanderung (375 n.
Chr.) gegeben wurde. Seitdem hörten die Angriffe der Ger-
manen gegen das römische Reich nicht wieder auf, und nur
mit Mühe vermochte der römische Kaiser Thcodosius der
Große (376—395 n. Chr.) die in das oströmische Reich
eingedrungenen Westgothen zu beruhigen. Dieser Kaiser ver-
einigte noch einmal das ganze römische Reich unter seinem
Scepter. Vor seinem Tode (395) theilte er das Ganze unter
seine Söhne Honor ins und Arcad ins, von denen jener
das weströmische Reich mit der Hauptstadt Rom, dieser das
vströmische Reich mit der Hauptstadt Constantinopel erhielt.
Die Feindschaft beider Brüder machte diese Theilung zu einer
J
220
dauernden. Gegen das weströmische Reich richteten sich jetzt die
stürmischen Angriffe der Germanen, die nach und nach eine
Provinz nach der anderen, Spanien, Gallien, Afrika und
Britannien, davon losrissen, bis endlich im Jahr 476 n. Chr.
Odoaker, ein Anführer deutscher Soldtruppen, den letzten
römischen Kaiser Romulus Augustulus absetztc und sich
zum König von Italien machte. Dadurch ward dem west-
römischen Reiche ein Ende gemacht, während das oströmische,
auch das griechische Kaiserthum genannt, sich bis 1453 erhielt,
wo Constantinopcl von den Türken erobert ward.