354 Gleim zog sich späterhin mehr in die Einsamkeit zurück, und endlich im „Hüttchen" kam der alte Mann erst wieder zu sich selbst. „Nachdem ihn der Strom der Welt in Dichtung, Vaterlands- und Fürstenliebe, Freundschaft und Theilnahme an den öffentlichen Dingen an vielfache Klippen geworfen, lebte er jetzt still nach der Natur, und in dieser Periode sahen ihn Herder und Voß am liebsten und sprachen mit tiefer Ehrfurcht von dem patriarchalischen Eindruck, den der weise Dichter zurückließ." „Ich Hab' ein kleines Hüttchen nur, Steht fest auf einer Wiesenflur An einem Bach, der Bach ist schön; Willst mit in's Hüttchen geh'n? Am Hüttchen klein steht groß ein Baum, Vor welchem siebst das Hüttchen kaum; Schützt gegen Regen, Sturm und Wind All', die darinnen sind. Sitzt auf dem Baum 'ne Nachtigall, Singt von der Lieb' mit süßem Schall, Daß Jeder, der vorüber geht, Horcht, lange stille steht. Du Kleine mit dem blonden Haar, Die längst schon meine Freude war, Ich gehe, rauhe Winde weh'n, Willst mit in's Hüttchen geh'n?" Durch Gleim und seine Freunde hatte die erhabene und sentimen¬ tale Poesie schon einen bedeutenden Gegenstoß erlitten, ein noch empfind¬ licherer kam ihr durch Christoph Martin Wieland aus Biberach (1733—1813). Als Knabe und Jüngling mit schwärmerischem Feuer der Klopstock'schen Schule ergeben, in Zürich zu gleichem empfindsamen Streben mit Bo dm er verbunden, sah er doch gar bald ein, daß er einen Weg eingeschlagen, welcher seiner innersten Natur fremd war. Die Bekanntschaft mit den französischen und englischen Dichtern (Shakespeare begann zu dieser Zeit in Deutschland aufzntauchen) und mit Männern von Welt und praktischen Lebensansichten vollendeten die Revolution in seinem Geiste. Von der tiefsten religiösen Schwärmerei und dem dunkelsten sentimentalen Schwulst trat er nach und nach in das äußerste Extrem des Gegentheils. Er stellt sich Klo p stock schroff gegenüber — der himmlischen Liebe hält er die irdische entgegen, den ossianischen Nebelgebilden der Phantasie eine dem Antiken nachstrebende Klarheit und Deutlichkeit, die ihn sehr oft bis über die Grenzen der Wohlanständigkeit hinwegsührte. „Man darf es aber nicht vergessen," sagt ein neuerer Schriftsteller, „daß dies eine Zeit war, wo man mit Beutelperrücken und ausgesteiften Rockschößchen angethan, tonnenförmige Reifröcke, worin Damen staken,'in Alleen herumführte, die