98 dem Schüsse stürzten beide Kämpfer nieder, und Siegfrieden drang das Blut aus dem Munde; er ermannte sich aber und warf denselben Spieß ans Brunhild zurück, den sie ihm durch den Schild gestoßen hatte; ihr reichten die Kräfte nicht hin, vor solchem Schuß zu stehen; zornerfüllt erhob sie einen gewaltigen Stein, schwang ihn mit unermeßlicher Kraft zwölf Klafter weit von der Hand und sprang nach dem Wurfe, daß laut ihr Rüstgewand erklang. Der schnelle Siegfried eilte, wo der Stein lag; Günther mußte ihn wägen, Siegfried schleuderte ihn weiter und trug dazu im Sprunge den König." „Da sprach die Königin laut zu ihren Leuten: „Ihr sollt dem Könige Günther alle werden unterthan." Sie aber nahm Günther bei der Hand und übergab ihm die Herrschaft ihres ganzen Landes. Siegfried aber trug die Tarnkappe nach dem Schiffe, darauf ging er in den Saal, wo die Uebrigen seiner warteten." „Brunhild, ehe sie zur Reise nach Worms sich anschickte, versuchte noch eine List; sie berief ihre Vasallen, als ob sie Abschied nehmen wolle. Als Siegfried ihren Sinn merkte, fuhr er in das Land der Nibelungen, um Hülfe zu holen. Er kam zu einem Berge, auf dem eine Burg lag; er klopfte an das Thor, das inwendig von einem Riesen bewacht ward; der ries: „Wer pocht so heftig draußen an das Thor?" Siegfried ant¬ wortet mit verstellter Stimme: „Ich bin ein Recke; schließ mir auf das Thor, sonst erzürn' ich heute Manchen noch davor." Das erzürnte den Pförtner, daß er das Thor aufstieß und den Helden grimmig anließ. Siegfried ward im Kampfe hart bedrängt, zuletzt überwand er den unge¬ fügen Gegenstreiter. Sie kämpften gewaltig, so daß die Burg wider¬ hallte und das Tosen im Nibelungensaale vernommen ward. Zwerg Al¬ berich rüstete sich mit Helm und Panzer, er trug eine schwere Geißel von Gold in seiner Hand, woran sieben schwere Knöpfe hingen; mit der Geißel zersplitterte er Siegfried's Schild und brachte ihn in große Gefahr. Da ergriff der kühne Held Siegfried den altgreisen Mann bei dem Barte, daß er vor Schmerz laut schrie. Als er sich zu erkennen gab, weckten Beide, Zwerg und Riese, die Nibelungen auf. Diese sprangen von den Betten und waren gleich bereit; tausend schnelle Helden begrüßten ihren Herrn, der sprach: „Ihr sollt von hinnen mir folgen über Fluth." So fuhren sie gen Jsenstein, worauf sich Brunhild zur Reise nach Worms ergab. Da ward die Doppelhochzeit gefeiert, Gunther's mit Brunhild und Siegfried's mit Kriemhild." „Nach Ablauf des Festes zog Siegfried mit seiner Gemahlin heim nach Tanten, und erhielt von seinem Vater das Reich, worin er zehn Jahre lang glücklich lebte. Brunhild aber war erstaunt, daß Siegfried, als Gun¬ ther's Dienstmann, wie sie vermeinte, nie am Hofe erscheine, um dem Kö¬ nig zu huldigen und Kriegsdienste zu bieten. Da lud Günther den Schwager Siegfried und die Schwester Kriemhild zu einem Ritterfeste nach Worms ein. Spiele gab es allda und Festlichkeiten und Feierlichkeiten aller Art.