304 Schlüsse und künstliche Begrisfsspielereien, welche, nicht auf dem festen Boden der wahrhaftigen Forschung ruhend, dem grübelnden Verstände und dialektischen Scharfsinne ein, für die Uebung der Denkkraft endloses, für den Gegenstand selbst aber höchst unfruchtbares Feld eröffneten. Schulen kämpften gegen Schulen, Nominalisten gegen Realisten unter dem Namen der Thomisten und Scotisten (nach ihren Führern so genannt). „Es war dies eine geistliche Ritterschaft, die in den Kampfspielen der sophistischen Scholastik so gut ihre Lanzen brach, als die weltliche in den Schranken ihrer Turnierbahn." Die wunderlichen Namen, welche die Streiter sich selbst beilegten, bezeichnen genügend die unerquickliche Art ihres Studiums. Es gab „allumfassende, unwiderstehliche, englische, seraphische, gründliche und unergründliche, scharfsichtige, unerschöpfliche, allerleuchtete Doctores." Der Titel einer Schrift des Tübinger Gottes¬ gelehrten Wilhelm von Stuttgart, welcher in Wirklichkeit einer viel späteren Zeit, doch dem Sinn und Geist nach unter die ächten Scholastiker gehört, heißt: „Die ausgeweidete Maus, oder meisterliche Abhandlung über die theologische, dornige und höchst spitzpfündige Frage: ob eine Maus, die eine geweihte Hostie verzehrt habe, den Leib Christi bei sich führe oder nicht?" Gegen solches und ähnliches sinnlose Treiben erhoben sich edle geistreiche Männer, so wie überhaupt die unreligiöse Richtung des geist¬ lichen Regimentes schon im Stillen eine gewaltige Bewegung im Reiche des Geistes vorbereitete. In Frankreich war es Abälard (bekannter durch seine unglückliche Liebesgeschichte mit Heloise, als durch seine freisinnigen Bestrebungen, welche ihm einen ehrenvollen Platz unter den großen Geistern der Wissenschaft einräumen), der den Mißbräuchen muthig entgegentrat. Ihm gegenüber stand der Dominikaner Thomas von Aquino, das Wunder seiner Zeit und der Lehrer vieler Generationen. Als würdiger Repräsentant der poetisch-philosophischen Richtung des Christenthums gilt Bonaventura, ein Mann, reich an Begeisterung und platonischer Geistesmacht. Aus seinem und des Thomas von Aquino Einfluß und Geiste gingen kräftige Prediger hervor, voll innigen Gefühls und frommen Eifers, die Reinheit des Glaubens wieder herzustellen. Das waren die ersten Vorläufer der kommenden Neuzeit. In Italien aber gab es in den Freistätten der Wissenschaft noch immer einige, wenn auch wenige Gelehrte, welche den Geist des klassischen Alterthums durch die Kenntniß seiner Schriften zu erhalten suchten und die die Sprache lehrten, in welcher einst Platon und Aristoteles zu ihren Schülern redeten. Den theologischen und philosophischen Studien gegenüber, erhoben sie nicht weniger strebsam die übrigen wissenschaftlichen Fächer, vor Allem die Naturwissenschaften. Johann von Salisbury, Abälard's Schüler, Roger Baco, Lehrer der Experimentalphysik, Albertus Magnus endlich, der vielgepriesene Lehrer der Weltweisheit in Straßburg,