319 wie noch jetzt zahlreiche Ruinen beweisen, meistens an den Ufern schiffbarer Flüsse, oder an der Seite belebter Heerstraßen angelegt waren, überfielen sie unschuldige Reisende, schleppten die wandernden Kaufleute in ihre Burg¬ verließe, um schweres Lösegeld zu erpressen und der Güter sich zu be¬ mächtigen. Jede Gewaltthat war erlaubt; straflos jedes Verbrechen, das der Mächtige verübte, denn hinter ihren festen Mauern spotteten die vor¬ nehmen Räuber der machtlosen Gesetze und Gerichte. In dieser großen Roth waren es hauptsächlich zwei Einrichtungen, welche einigen Schutz gegen dies wilde Faustrecht zu bieten schienen, das Vehmgericht und die Städtebündnisse. Die heilige Vehme oder die Freigerichte, heimlichen Gerichte, wie sie genannt wurden, spielten eine Hauptrolle in der deutschen Reichsgeschichte und bei dem allgemeinen rechtlosen Zustande lagen sie eben so wohl im Bedürfniß als im Geiste der Zeit. Auf „der rothen Erde Westphalens" gab es über hundert Freistühle, an den alten Wahlstätten, unter freiem Himmel, zwischen hohen Bäumen. Es war die Vehme ein ächtes Volksgericht; jeder unbescholtene Freie konnte Beisitzer werden; zur Zeit der Blüthe sollen mehr denn 10,000 Frei¬ schöffen vorhanden gewesen sein. Ueber das heimliche Gericht galt kein ander Gericht. Wo der Freigraf das Urtheil gesprochen hatte: „Den _ beklagten Mann nehme ich aus vom Frieden, vom Rechte und von der Freiheit; ich mache ihn unwürdig, achtlos, ehrlos, friedlos; ich vervehme ihn und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Thieren und den Vögeln und befehle seine Seele in Gottes Gewalt," da war auf Erden keine Rettung mehr. Die Urtheilsvollstrecker der heiligen Vehme fanden ihr Opfer. Ein Strick am nächsten Baume, ein Messer daneben in die Rinde gesteckt, das war das Zeichen dieses furchtbaren Gerichtshofes. „Es war eine großartige Erscheinung „des heiligen Reiches Obergericht über's Blut," wo schlichte Bauern Kaiser und Fürsten vor ihr gefürch¬ tetes Tribunal riefen und eine Rechtsinstanz errichteten, wo alle andern ihre Kraft verloren hatten." Die Heimlichkeit des Gerichtes erhöhte den Schrecken, welchen es einflößte; denn kein Eingeweihter durfte die heim¬ liche Losung verrathen, „vor Weib und Kind, vor. Sand und Wind." Auf den Bruch des Eides stand die Todesstrafe. Ein Gegengewicht für den Uebermuth der Großen fand sich zum andern in den Bündnissen der Städte. Die freien Bürgerschaften er¬ wuchsen zu einer Macht, welche den Gewalthabern wohl die Spitze bieten konnte. Es vergrößerte sich die Hansa, es entstand der rheinische und schwäbische Städtebund, denen sich häufig kleinere Fürsten zu Schutz und Trutz anschlossen. Bildung und Wohlstand, solide Tüchtigkeit und tapferer Rittersinn schufen ein Asyl des Rechtes und der Sitte innerhalb der Ringmanern deutscher Städte. Endlich erfolgte eine Vereinigung der größeren Fürsten, welche man nun Wahl- oder Churfürsten nannte. Auf dem Reichstag zu Frankfurt