270 10 —15 Jahren ein bedeutender Theil des Landes für die Herrschaft Karthago's gewonnen ward. Die Römer sahen diesen Fortschritten mit unbegreiflicher Ruhe zu. Sie erwarteten von den spanischen Ereignissen wenig Nachtheile für sich und gedachten den nächsten Krieg in Afrika zu eröffnen. Es sollte anders kommen. Als Hamilkar in einem Tressen sei¬ nen Tod gefunden hatte und sein Schwiegersohn Hasdrubal durch Mör¬ derhand gefallen war, beriefen die karthagischen Hauptleute Hamilkars ältesten Sohn H a n n i b a l zum Feldherrn und obersten Heerführer. „Nie war", sagt der römische Geschichtschreiber Livins in seiner Schilderung des Hannibal, „ein und derselbe Geist zu dem Entgegengesetztesten, dem Ge¬ horchen und Befehlen geschickter. Darum ließ sich nicht entscheiden, ob er dem Feldherrn (Hasdrubal) oder dem Heere theurer war. Voll der größten Kühnheit ging er in die Gefahren, mit der größten Besonnenheit benahm er sich mitten in denselben. Durch keine Beschwerde konnte sein Körper ermüdet, oder sein Geist gebeugt werden. Hitze und Kälte trug er mit gleicher Ausdauer; die Zeit des Wachens und Schlafens war bei ihm weder von dem Tage noch von der Nacht abhängig; als Vorderster ging er in's Treffen, als Letzter aus demselben." Seiner persönlichen Tapferkeit kam das militärische Genie des gebor- nen Feldherrn gleich. Unvergleichlich in Gewandtheit und feiner Taktik, zeigte er sich besiegt am größten. Alle Geschichtschreiber stimmen darin überein, daß er, wie kein Anderer, Besonnenheit und Begeisterung, Vor¬ sicht und Thatkraft in sich zu vereinigen wußte. Erfinderische Schlauheit, der Grnndzug des phönicischen Volkscharakters, war ihm im höchsten Grade eigen. Hinterhalte und Kriegslisten verstand Niemand gleich ihm zu erfin¬ den, und den Charakter seiner Gegner studirte er mit der größten Sorg¬ falt. Was auch seine Zeitgenossen ihm vorzuwerfen hatten, denn die Römer beschuldigten ihn der Grausamkeit, den Karthagern war er hab¬ süchtig, so zeugt doch jedes Blatt der Geschichte von seiner Größe als Feldherr und Staatsmann; und welche Macht er auf die Gemürher der Menschen übte, beweist die Liebe und Anhänglichkeit seines aus den ver¬ schiedensten Völkern und Sprachen gemischten Heeres, welches ihm in den schlimmsten Zeiten unverbrüchliche Treue hielt. Wo er auch stand, auf dem Schlachtfeld nach gewonnenem Sieg oder Verlust, in den segenerfüllten Gefilden Spaniens oder dem ewigen Eise der Alpenwelt, geehrt gleich einem König, verbannt gleich einem Verbrecher, allenthalben gebot er, überall war er der Höhere, der sich vor Niemand beugte. Gewiß ist es auch, daß man den barbarischen Charakter der alten Kriege überhaupt nicht ihm als Schuld anrechnen darf; in dem Gedanken, einen Weg zu bah¬ nen, die Römer auf ihrem eigenen Gebiete anzugreifen, zog er an den Ebro und belagerte das feste Sagunt, ihre Einsprüche nicht achtend, durch welche sie diese Stadt als Bundesgenossin in ihrem Schutze stehend erklär¬ ten, ohne ihr jedoch thätige Hülfe angedeihen zu lassen. Sagunt fiel nach einer heldenmüthigen Vertheidigung von acht Monaten. Die Ein¬