Der Kirchenstaat. 69 liatte der Schleppenträger alle Hände voll zu thun, um den zu« sammengerollten Schweif hinterher zu entwickeln. Alle Sitze siisi/ ten sich endlich mit vornehmen Geistlichen wie am Palmsonntage; die Kerzen wurden angezündet, alles schien in feierlicher Stille den Papst zu erwarten; allein der prächtige, für seine Heiligkeit be¬ stimmte Thron blieb leer. Endlich wurde das Signal zum Anfang gegeben. Die Psalmen begannen. Etwa 13 wurden gesungen, und bei jedem eins der 13 pyramidalste!) aufgestellten Lichter aus¬ gelöscht. Aber, o höre! nun beginnen die Klagelieder des Pro¬ pheten. Einige Engel — denn man sieht nicht, woher die Stim¬ men hallen — klagen über den Tod des göttlichen Sohnes in so wehmuthsvollen Tönen, daß selbst ein eisernes Gemüth in Ban¬ gigkeit und Ahnung zerfließen würde. Oft tönt eine Stimme er¬ schütternd in Nachtigalmelodien, und man hört die Mutter Got¬ tes unter dem Kreuze um ihr Kind jammern. Siche! die Lich¬ ter verlöschen; nur eins, die wachsame Mutterliebe der Madonna, brennt noch; man intonirt zum Miserere; die himmlischen Sän¬ ger einigen ihre Stimmen; endlich erlischt auch die letzte Kerze, und alles liegt in Dämmerung versenkt; nur die Gestalten der Kardinäle und weißen Prälaten, unbeweglich wie Bildsäulen sitzend, leuchten durch das Dunkel; alle Sinne vergehen; nur Töne kann unsre Seele auffaffen. In diesem Augenblicke erhebt, rein wie Metallglocken, das Chor der unsichtbaren Sänger kraftvoll und durchdringend seine Stimme: ,,Hcrr, erbarme dich unser! " Ach! welch banges Sehnen bestürmt unser Herz! Wir wollen zu den Füßen des Heilands fallen und sie mit tausend Thränen hei¬ ßer Liebe benetzen! Wie wahr hat der geredet, welcher nichts sehnlicher wünschte, als daß in der Stunde des Todes diese sü¬ ßen Töne ihn umklingen möchten; denn wahrlich! unsere Seele quillt in ihnen zum Himmel. Aber schon haben sic verhallt an den Wänden, die Michel Angelo's *) Niesengeist übertünchte. Wir ziehen durch die Hellebarden und langen Schwerter der alterthüm- lichen Schweizer in den schimmernden Saal vor der Sst'tina. Verschleierte Römerinnen wallen über die von Fackeln beleuchtete Königstreppe hinab, die in unendlicher Ferne sich in den Säulen¬ gängen des St. Peter verliert. Welch ein Nachtgcmälde! Kräf¬ tige Schatten, hohe Gewölbe, stolze Säulen, weite Fernen und magische Schönheit überall!" Daß sich in Nom stets eine Menge von fremden Künst¬ lern, meist Maler und Bildhauer, aufhält, ist bekannt, und wo könnten sie auch bester die Regeln des Schönen studiren. *) Michcl Angelo B u o n aro t i war ein berühmter Maler, Bild¬ hauer und Baurneister Italiens im I6ten Jahrhundert.