98. Die baierische Hochebene. 357 Fluten. Vielleicht zeigen sie nur in einer einzigen regnerischen Sommer¬ woche ihre volle jähe Zerstörungswuth, aber ein paar Stunden genügen daun, um den Acker, welchen man jahrelang mühselig dem Elemente ab¬ getrotzt, in eine für immer zur Cultur unfähige Geröllbank zu verwandeln. In der Meringer Au am Lech lag das uralte Schloß Gunzenlech, ein Bau von fabelhafter Größe und Herrlichkeit, in welchem die alten baierischen Herzoge ihre stolzesten Feste feierten — es ist im Lech ver¬ sunken, und nicht bloß das Schloß, auch der Boden, auf dem es mit seinen weitberühmten Prunkgärten gestanden, und Keiner weiß mehr seine Stätte. Uebcrmäßig breite Strombette, weitgedchnte, unfruchtbare Allu- vionen, große Moorflächen, in denen noch vereinzelte Colonisten wohnen neben den kleinen Dörfern, ansehnliche Seen und Weiher, zahllose Hügelgruppen, die einander folgen und sich gleichen wie eine Wasser- woge der anderen, darüber ein Himmelsgewölbe, welches südwärts von den Alpen aufsteigt, um im Norden weit über die Donau hinaus im Frankenlandc sich wieder auf der Grundlinie des Erdkreises niederzu¬ lassen. Diese breite Physiognomie sitzt dann auch den natürlichsten Kunst¬ werken des Landes wie angeboren: den Dörfern. Sie sind viel gedehn¬ ter angelegt, die Häuser geräumiger, als mau's bei den Bauernwohnungen Mitteldeutschlands zu finden pflegt, die Fenster so breit, daß sie zum Entsetzen jedes künstlerischen Auges wohl gar quadratförmig werden. Selbst auf den Kirchhöfen liegen die Todten oft auffallend weit aus¬ einander gebettet. Ueberall der Eindruck, daß in diesen Gegenden noch sehr viel Platz sei, Platz für eine verdoppelte Bevölkerung. In der Mitte Deutschlands, im individualisirten Lande, spielt der vorzugsweise romantische Theil unserer Geschichte. Dort ragen auch unsere schönsten Burgen, der reichste Kranz von dichterisch schönen Städtetrümmern und Kirchen- und Klosterruinen. Biel grimmigere Volksschlachten wurden aber im Nordosten und im Süden geschlagen; an beiden Punkten Vertilgungskümpfe gegen einbrechende Barbaren¬ horden. Die südbaierische Hochfläche ist seit länger als einem Jahrtausend gleichsam ein großes Schlachtfeld gewesen. Hier prallten die Massen auf einander, wenn im individualisirten Mitteldeutschland die Individuen zusammenstießen. Und doch sind unsere nordöstlichen Grenzmarken gleich den Hochflächen des Südens arm an augenfälligen historischen Trüm¬ mern. Die zahlreichen Burgen des linken Lechufers sind fast alle bis auf die Grundmauern wcggetilgt. Mehr als bloßer Zufall aber ist es, daß in den Gauen, wo die äußeren historischen Denkmale am reichsten bewahrt sind, der historische Charakter des Volkes am meisten erloschen ist, während in den von monumentalen Trümmern so arg entblößten großen Landstrichen des Südens und Nordens das lebende Denkmal der histo¬ rischen Einrichtungen und Sitten am festesten sich erhalten hat. Alles südlich der Donau gelegene baierische Land gliedert sich für unsere Anschauungsweise nur in zwei große Hauptmassen. Seit uralten Tagen macht hier der Lech den Satz zu Schanden, daß die Flüsse nicht