218 Krippen des Gebirges schon dann und wann einmal auf ein Paar- Tage mit seinem weißen Mantel überwirft — nur als ob er sehen wollte, ob ihnen die alten Kleider vom vorigen Jahre noch passen — und sie sitzen wie angegosseir. Es ist Herbst, und die Hirten »drin im Gebirg« haben selbst die letzten »Unterleger« verlassen, ihre Thalwohnungen aufzusuchen und ihre Heerden vor Lawineirsturz und Wintersturm in Sicherheit zu bringen In den Bergen wirds jetzt leer, da Vieh und Heerden thalab ge¬ zogen, und wunderhübsch schildert Tschudi das in seiner Alpenwelt: »Weißt du doch selber, Älpenwanderer,« sagt er, »was für ein schwermüthig drückender Ton im Herbst über diesen Felsen liegt, wenn Menschen und Heerden, Pferde und Hund, und Feuer, Brot und Salz sich ins Thal zurückgezogen. Wenn du an der verlasse¬ nen und verrammelten Hütte vorübersteigst, und Alles immer ein¬ samer und einsamer wird, wie wenn der alte Geist des Gebirgs den majestätischen Mantel seines furchtbaren Ernstes über sein ganzes Revier hinschlüge. Kein befreundeter Athemzug weht dich meilen¬ weit an, kein heimischer Ton — nur das Krächzen des hungrigen Raubvogels, das Pfeifen des schnell verschwindenden Murmelthiers mischt sich in das Dröhnen der Gletscher und das monotone Rauschen des kalten Eiswassers. Die kahlgeweideten Gründe, in denen die kleinen Gruppen der giftigen Kräuter mit frischen Graskränzen, welche das Vieh nicht berührte, sich auszeichnen, haben die letzten anmuthigen Tinten des Jdvlls verloren. Der schwarze Salamander und die träge Alpenkröte nehmen wieder Besitz von den verschlammen¬ den Tränkbetten der Rinder, und die verspäteten Bergfalter schweben mit halbzerrissenen und abgebleichten Flügeln durch das Revier, aus dem die beweglichen Unken in trostlosen Chören die sommerlichen Jodelgesänge der Hirten wie spottend zu wiederholen scheinen.« Nicht wahr, wie schade, daß der Jäger gerade in diese Berge einzieht, wenn sie der Hirt mit seinen idyllischen Heerden verläßt, und der Jäger bedauert das gewiß — »Gott sei Dank, daß das langweilige Vieh mit seinem Gebimmel endlich abzieht«, murmelt er vergnügt vor sich hin, »jetzt bekommen die Berge doch endlich eine Ruh, und man braucht nicht zu fürchten, auf jedem Pirschgang — jedem Joch, statt einem Rudel Gemsen eine Heerde Schafe anzutreffen.« Die Poesie der Berge verträgt sich recht gut mit der Jagd und der echte Jäger weiß sie gewiß zu würdigen, denn sein ganzes Leben und Treiben ist poetisch; aber — sie darf ihm nur nicht ins Gehege kommen, sonst sind sie eben die längste Zeit Freunde gewesen. Wo sie die Ausübung seiner Jagdlust stört, bat sie für ihn aufgehört Poesie zu sein, und — wenn er sie nicht zum Teufel wünscht, < ge¬ schieht das nur in einzelnen Fällen aus ganz besonderer Rücksicht.