177 § 3). Vierter Anhang. Rheinsage 11. 1. Hatt o's Thurm. Unter Bingen, nahe dem linken Nheinufer, ragt ein grauer Thurm aus den Wellen, gewöhnlich der Mäuse- thurm genannt. Diesen Thurm erbaute Hatto, Abt zu Fulda und später Erzbischof von Mainz, im zehnten Jahrhundert, wahrscheinlich zum Warnungszeichen für die Schiffenden; denn damals war die Fahrt durch den düstern Felsenschlund noch sehr gefährlich. Folgendes aber erzählt von diesem Thurm die alte Sage: Hatto war ein harter, geiziger Mann, der lieber die Hand ausstreckte zum Segen, als zum Almosen. Da geschah es, daß eine große Huugersnoth am Rheinstrom entstand und viele Menschen elendiglich umkamen. Viele Nothleidende sammelten sich um die Burg zu Mainz, wo Hatto Hof hielt, und schrieen um Brod.- Der hart¬ herzige Bischof verweigerte es ihnen, obgleich seine Spei¬ cher gefüllt waren, und schalt sie, daß sie müßiges, schlechtes Volk wären, und nicht zu arbeiten verlangten. Die Armen wurden ungestümmer, und Hatto schickte seine Schergen gegen sie, und ließ sie ergreifen, so viel ihrer waren, Männer und Weiber, Greise und Kinder, und in eine Scheune sperren, und gab hierauf den Be¬ fehl, die Scheune anzuzünden. Das war ein schrecklicher Anblick, und die Steine hätten sich mögen darob erbar¬ men; nur der Bischof blieb unerweicht, und spottete viel¬ mehr, und sagte: Hört wie die Mäuslein pfeifen! Da kam das Strafgericht des Himmels über Hatto. Ungeheure Schaaren von Mäusen erschienen in seinem Schlosse, und zuletzt wußte Niemand sich ihrer zu erweh¬ ren. Je mehr man ihrer tödtete, desto größer wurde ihre Anzahl. Sie wuchsen gleichsam aus dem Boden. Da entfloh Hatto nach Bingen, und ließ, am Fuße des Rupertsberges, einen Thurm in den Rhein basten, und rettete sich auf einem Nachen kn dorr Thurm; doch die Mäuse verfolgten ihn allenthalben; sie schwammen über das Wasser, und kletterten in den Thurm, und fraßen ihn auf bei lebendigem Leibe. Sogar zernagten sie sei¬ nen Namen in den Tapeten. — Sein Geist soll noch manchmal wie eine Nebelgestalt am Thurme erscheinen. Diesterw. Geogr. 12