Joseph II. 151 Jugend entwickelte sich sein großer und kräftiger Geist und beschäf¬ tigte sich mit der künftigen Umgestaltung des Reichs; denn es gab im österreichischen Staate verjährte Uebel und Mißbräuche in Menge. Nach dem Tode seines Naters nahm ihn Theresia zum Mitregenten an; allein noch war er sehr beschränkt, denn die eigentliche Regierung führte doch die Mutter. Erst ihr Tod ließ ihn zur vollständigen Herrschaft gelangen. Er war damals 39 Jahre alt, als er mit rastloser Thätigkeit seine früheren Entwürfe aus¬ zuführen anfing. Alles, was er als Mißbrauch erkannte, stellte er sogleich ab, wenn auch einzelne Personen dabei verlieren sollten. Er schätzte die Menschen blos nach ihren Verdiensten, ohne Rücksicht auf Stand und Religion. Insbesondere nahm er sich des gedrückten Landmanns an.^ Er führte einst selbst den Pflug, den Bauern zu zeigen, wie sehr er ihre Beschäftigung achte. Jeder Mensch galt ihm als Bruder, und er ließ ihn gern an seinen Freuden und Erholungen Theil nehmen. In Wien öffnete er seine Gärten dem Volke. Als ihn einige baten, er möge doch den Prater,, einen schönen Lustgarten, nur für einzelne Stände bestimmen, damit man sich mit seines Gleichen vergnügen könnte, erwiderte er: „Wenn ich immer nur mit meines Gleichen sein wollte, so müßte ich in die kaiserliche Gruft hinuntersteigen und darin meine Tage zubringen!" Unter ihm wurden die Schulen verbessert. In die Angelegenheiten der Kirche griff er aber auf eine nicht zu billigende Weise ein. Er hob viele Klöster auf. Von den Jungfrauenordcn ließ er nur die Elisabethinerinnen, welche sich mit der Krankenpflege, und die Ursulinerinnen, die sich mit dem Unterrichte der Jugend beschäftigen, bestehen. Der damalige Papst, Pius VI., erschrocken über des Kaisers Neuerun¬ gen, machte selbst eine Reise nach Wien. Der Kaiser holte ihn feierlich ein, fuhr mit ihm in einem Wagen durch die hoch¬ erfreute Volksmenge, und bat ihn, einen ganzen Monat in der beglückten Hauptstadt zu verweilen; nur in seinen einmal getrof¬ fenen Anordnungen brachte die Anwesenheit des Papstes keine Abänderung hervor. Er schaffte die Todesstrafen ab und verwan¬ delte sie in Strafarbeit, besonders in Ziehen der Donauschiffe. Die verschiedenen Völker seines Staates wollte er nach gleichen Gesetzen regieren, und in Ungarn die deutsche Sprache zur herrschenden machen. Sein Palast stand Allen offen; er hörte eines Jeden Klage freundlich und geduldig an; täglich fand man Leute ans verschiedenen Ständen in den Vorsälen zu seinen Zimmern. Ungeachtet der Liebe zu seinen Unterthanen und bei dem besten Willen für ihr Wohl entstand doch überall Unzufriedenheit, Abneigung und sogar Haß gegen Joseph, der das Unglück hatte, durch jede neue Verordnung, wenn sie auch noch so gut gemeint