224 Seelenlehre. oder unwohl thaten. Die Wahrnehmungen des Ange¬ nehmen oder Unangenehmen heissen Gefühle und sind wohl zu unterscheiden von dem blossen Fühlen der Körper mittels der Nerven in der Haut. Weil die Gefühle der Lust und Unlust jener Jünglinge durch Eindrücke auf den Körper und auf die äussern Sinne hervorgebracht worden sind, so heissen sie sinnliche Gefühle. Haben wir angenehme Gefühle, so wollen wir sie gern behalten. Mit den unangenehmen ist dies umgekehrt, wir suchen sie zu entfernen. Da unsere Sinne während des Wachens zur Aufnahme der Eindrücke offenstehen, so sollte man glauben, dass wir uns in einem beständigen Wechsel von Lust und Unlusst befänden. Genau genommen ist es auch so; weil in liess das, was oft wiederkehrt, nur schwach einwirkt, so wird auch das Gefühl dadurch wenig aufgeregt; wir nehmen dann nur einen sehr geringen Wechsel wahr und befinden uns im Zustande der Gleichgiltigkeit. — Der an meinem Fenster stehende Baum ist mir gleichgiltig, indem er unverändert vor meinen Augen bleibt; im Frühjahr aber, wenn er Knospen, Blätter und Blüthen bekommt, sehe ich ihn mit Vergnügen; er zeigt mir täglich etwas Neues. Im Herbst, wenn sich sein grünes Kleid gelb zu färben beginnt und nach und nach abfällt, betrachte ich ihn wiederum mit mehr Aufmerksamkeit; allein es entsteht dann in mir kein angenehmes Gefühl, das der Trauer. So wie in der Natur Licht und Schatten wechseln, so in der Seele des Menschen Lust und Unlust. Gewöhnlich fühlt man die Lust mehr, wenn eine Unlust vorangegangen ist: wenn nach der Anstrengung die Ruhe, nach der Kälte die Wärme, nach Verlangen die Befriedigung folgt. Das Gefühlsvermögen hat der Schöpfer aus weisen Absichten in unsere Seele gelegt; auf den Gefühlen beruht Glück und Unglück, Wohl und Wehe des menschlichen Lebens. Ludwig, aus Oberschlesien gebürtig, besuchte seit einem Jahre die Bauschule in Breslau. Wenn er zu den Ferien nach Hause kam, wusste er viel von der Hauptstadt zu erzählen. Da nannte er diese oder jene Strasse schön; so auch mehrere Kirchen und andere Gebäude, Bildsäulen, Gemälde, die Musik, die Spaziergänge um die Stadt und noch vieles Andere galt als schön, mitunter wohl Einiges als hässlich. Er sprach von dem Wohlgefallen, das man an den Kunstwerken hatte, und setzte auch manchmal hinzu, welches vorzüglich gelungen oder besser als ein anderes sei, oder wie die Urtheile darüber abweichend lauteten. Franz, der jüngere Bruder, meinte, er Würde bald zu bestimmen wissen, was schön sei; denn es sei