74 Feldmann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht aut sei, einem großen Herrn etwas abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, und ehe sich der Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zermalmten! Genick vor ihm, und der Feldmann lief mit dem eroberten Knochen und mit eingezogenem Schweif davon. Sehr er¬ grimmt und entrüstet warf der Bäcker dem Hunde einen gewaltigen Stein nach. Aber was halfs? Der Stein flog nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das Fenster, mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las. Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel auf und sing an zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und mit den aufgestülpten Hemdärmeln blieb nichts schuldig; Kinder und Leute liefen zusammen. Der Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, aber nur, um seinen Nachbar bei Gericht zu belangen. Die Sonne ging über dem Zorn der beiden Männer unter, und den Tag darauf wurden sie vor Gericht geladen. Der Gerber wurde verurtheilt, den todtgebissenen Mordax mit einem Reichsthaler zu büßen. Der Bäcker mußte für den zertrümmerten Fensterflügel und das Loch in der Zeitung nicht viel weniger bezah¬ len und sich mit seinem Widerpart in die angelaufenen Sporteln theilen. Von nun an war zwischen den beiden Familien eine große Kluft befestigt. Hinüber und herüber über die Gasse flog' kein freundliches Wort mehr. Ging die Gerberin links zur Kirche, so nahm die Nachbarin ihren Weg rechts, und ebenso mieden die Män¬ ner einander. So ging es fast drei Jahre. Einmal, am Ende des dritten, setzten sich der Gerber und seine Hausfrau nachmittags an den Tisch, um ihren Kaffee zu trinken. Aber als die Gerberin die Tischlade herauszog, war kein Wecken zum Einbrocken darin. Ihr kleiner Helm, der neben ihr auf den Zehen stand und auch hineinschaute, rief sogleich: „Mutter, einen Groschen! ich hole das Brot." Dann wandte er sich in seiner kindlichen Eilfertigkeit an den Vater und sagte: „Heut aber lauf ich nicht lange umher, und wenn es beim Thorbäcker kein Brot gibt, geh ich wieder einmal zu dem Herrn Pathen hinüber." Der Gerber, der vielleicht die anklopfende Gna¬ denhand des Herrn spürte, sagte nicht Ja und nicht Nein darauf und ließ den Knaben ziehen, ^m ersten Brotladen hatten aber die Wecken schon alle ihre Käufer gefunden, und Helm kam wieder zum Thor herein, laut singend, wie es manchmal lebhafte Kinder mit ihren Gedanken zu thun pflegen, daß es die, ganze Gasse hören konnte: „Heut geh ich zum Herrn Pathen! heut geh ich zum Herrn Pathen!" Ungehalten über den argen Schreihals wollte sein Vak ter ihm wehren. Aber ehe er noch das verquollene Fenster aus¬ bringen konnte, war der kleine Sänger schon zum Hause hinein, und'— kehrte nach einigen Augenblicken als Friedensbote wieder zurück. Er hatte einen geschenkten Kringel in der Hand und rief.