200 In diesem gesegneten Seethale drängte sich sonst eine große Volksmenge im rührigsten Verkehre. Blühende Städte und Flecken, wie Kapernaum, Chorazin,Be thsaida,Magdala, Tibe- rias, sammt ihren reizvollen Gärten, Feldern und Obsthainen um¬ gürteten den See. Gegen zwölfhundert Fischer fanden hier ihre Nahrung; drittehalbhundert Fahrzeuge durchkreuzten den Wasser¬ spiegel. Hier erlas sich der Herr mehrere seiner Apostel; hier und im ganzen Umkreise dieser Gestade predigte er von dem Reiche Got¬ tes; hier heilte er viele, die von Krankheit und Seuche geplagt waren. Aber von Kapernaum, die bis in den Himmel erhoben war, von Chorazin und Bethsaida. in welchen am meisten seiner Thaten ge¬ schehen waren und hatten sich doch-nicht gebessert, ist keine Spur mehr zu finden. Die Wälder und Weingärten sind von den Hügeln verschwunden; Palmen-, Feigen- und Olivenbäume stehen nur noch vereinzelt umher. Dicht am See auf einer schmalen Ebene liegt Tibe- rias. Heut ist die Stadt klein und unansehnlich und liegt halb in Trümmern. 2. An dem Südende des Sees beginnt das Iordanthal, wel¬ ches sich 25 Stunden weit, bis zum todten Meere hin, absenkt. Zu beiden Seiten wird es von felsigen Kalkgebirgen begleitet. Die hohen Wände des Thales halten die Sonnenhitze in ihm zusammen und wehren den kühlenden Westwinden den Zutritt. Das Wasser des Flus¬ ses geht in rascher, aber geräuschloser Strömung. Im Sommer ist der Fluß seicht; aber im Frühling wächst er an Tiefe und reißender Schnelle. Seine Ufer sind dicht mit Buschwerk besetzt, mit Weiden, Pappeln, Schlingpflanzen, reiterhohem Schilfrohr. In diesem Dickicht Hausen Vögel, Hasen, wilde Schweine, Füchse, Luchse, Leoparden, vor¬ mals auch" wohl Löwen. An den Jordan heran tritt die berühmte Ebene von Jericho, einst geschmückt mit Palmenwäldern, Zucker¬ rohr, Rosenhecken und Balsamgärten, heute dürr und öde. Daneben liegt die Wüste von Jericho, ein rauhes Gewirr von Berg und Thal, öden Felsenklippen mit grausenhaften Abgründen, Klüften und Höhlen; der Boden ist verbrannt und ausgedörrt, aschfarbig und braun und völlig nackt. Hierher versetzt uns das Gleichniß vorn barm¬ herzigen Samariter. Vielleicht in dieser Wüste wurde der Herr voin Teufel versucht. 3. Der Jordan findet sein Ende im todten Meere. Es wird in der heiligen Schrift Salzmeer genannt. Seine Länge be¬ trägt 20 Stunden, seine größte Breite 4 bis 5 Stunden. Zwischen scharfgeformten, pflanzenleeren, hohen und steilen Kalkbergen liegt der Wasserspiegel in der todtenstillen Tiefe, über 1300 Fuß niedri¬ ger als das Mittelmeer. Das Wasser ist klar, bitter und von sei¬ nem Salzgehalt so schwer, daß Menschen kaum darin untertauchen können. Deshalb wird es auch durch leichte Winde kaum gekräu¬ selt, wogegen es durch die heftigen Nordstürme so gewaltig bewegt wird, daß seine schweren Wogen wie mit Schmiedehämmern antue Schiffe schlagen. Durch die große Hitze zwischen den steilen Bergcn verdunstet fortwährend so viel Wasser, wie der Jordan und die