36 grüß' sie von mir, geh' auch ordentlich und laus nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, dann hat die kranke Großmutter nichts." Rothkäppchen sagte: „Ja, ich will alles recht gut ausrichten", und versprach's der Mutter in die Hand. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rothkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf; Rothkäppchen aber wußte nicht, was cö für ein böses Thier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rothkäppchen", sprach er. — „Schönen Dank, Wolf." — „Wo willst du so früh hinaus, Rothkäppchen?" — „Zur Großmutter." — „Was trägst du unter der Schürze?" —„Kuchen und Wein für die kranke und schwache Großmutter; gestern haben wir gebacken, da soll sie sich stärken." — „Roth¬ käppchen, wo wohnt deine Großmutter?"— „Noch eine gute Viertelstunde im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirft du ja wissen", sagte Rothkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: „Das junge zarte Mädchen, das ist ein guter fetter Bissen für dich; wie fängst du's an, daß du den kriegst?" Da ging er ein Weilchen neben Rothkäppchen her, dann sprach er: „Rothkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die im Walde stehen, warum guckst tu nicht um dich; ich glaube, du hörst gar nicht darauf, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehest ja für dich hin als wie zur Schule, und 's ist doch so lustig haußen in dem Wald." Rothkäppchen schlug die Augen auf, und als cs sah, wie die Sonne durch die Bäume hin und her sprang und alles voll schöner Blumen stund, dachte es: „Ei! wenn ich der Großmutter einen Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb sein; es ist noch früh, daß ich doch zu rechter Zeit an¬ komme", — und sprang in den Wald und suchte Blumen. Und wenn cs eine gebrochen hatte, meint' es, dort stünde noch eine schönere, und lief dar¬ nach. und lief immer weiter in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Thüre. — „Wer ist draußen?" — „Das Rothkäppchen, ich bring' dir Kuchen und Wein, mache mir auf." — „Drück' nur auf die Klinke", rief die Gro߬ mutter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen !" Der Wolf drückte an die Klinke, und er trat hinein, ohne ein Wort zu sprechen, geradezu an das Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann nahm er ihre Kleider, that sie an, setzte sich ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor. Rothkäppchen aber war herumgelaufen nach Blumen, und als es so viel hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Wie es ankam, stund die Thüre auf, darüber verwunderte es sich, und als es in die Stube kam, sah's so seltsam darin aus, daß es dachte: „Ei! du mein Gott, wie ängstlich wird mir's heute zu Muth, und bin sonst so gern bei der Großmutter." Drauf ging cs zum Bett und zog die Vorhänge zurück, da lag die Gro߬ mutter und hatte die Haube tief in's Gesicht gesetzt, und sah so wunderlich aus. „Ei Großmutter, was hast du für große Ohren!" — „Daß ich