100 Erzählungen. daß fie dich brennen? fragte die Mutter. Jetzt besann sich Henriette, zog daS Schnupftuch aus ocr Tasche, wickelte es um die Hand und riß nun behutsam die Nesseln ab. Freudig trug sie die Raupen nach Hause, steckte ße mit den Nesseln in ein großes GlaS, welches ihr die Mutter dazu gegeben hatte, und band ein Pa¬ pier darüber. — Ader willst du denn, daß deine Rau¬ pen ersticken sollen? fragte die Mutter. Nein, das will ich nicht, antwortete Henriette. — Nun so mußt du kleine Löcher in das Papier stechen, damit frische Luft in. das GlaS kommt. Dieß that Henriette, und hatte ihre Freude daran, zu sehen, wie die Raupen ein Blatt nach dem andern abfraßen. Am andern Tage, als Henriette ihr Frühstück ver¬ zehrt hatte, fragte die Mutter: Hast du denn auch an deine Raupen gedacht, und ihnen ihr Frühstück gegeben? O! sagte Henriette, die Raupen haben noch das ganze GlaS voll Nesseln. Ader sieh sie an, sagte die Mutter, ob sie nicht ganz vertrocknet sind Dürre Nesseln können doch die ar¬ men Thiere nicht fressen. Da du die Gäste einmal an¬ genommen hast, so ist es auch deine Pflicht, ihnen alle Tage frische Nesseln zu holen, und sie so zu ernähren; denn sie selbst können es nun nicht mehr thun, da du ihnen die Freiheit genommen hast. Dieß werkte sich Henriette, und vergaß ihre kleinen Gä;e nicht wieder. Fünf Tage hatte sie ihnen nun reichlich Futter gegeben, und fröhlich zugesehen, wie sie es verzehrten. Am sech¬ sten Tage wollte sie ihnen auch Futter geben, aber, o Wunder! da sie daS Papier wegnehmen wollte, hatten sich alle Raupen daran gehängt. Mit den Hinterfüßen saßen sie theils am Papier, theils am Glase, so fest, als ob sie angeleimt gewesen wären. Geschwind lief Henriette zur Mutter, und zeigte ihr die aufgehängten Raupen. Besorglich fragte sie: Aber was fehlt ihnen denn? liebe Mutter, ich habe sie doch alle Tage so reich¬ lich gefüttert, und nun werden sie mir doch sterben! Sey ruhig, antwortete die Mutter, sie werden nicht sterben, sondern dir noch viel Freude machen Laß sie nur ungestört hängen. Das that Henriette, und machte