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Handbuch
für
Lehrer
beim Gebrauche
des
Preussischen Kinderfreundes.
Dritter Theil:
D i e
Naturkunde
oder die
Naturgeschichte und Naturlehre
in
Volksschulen,
geknüpft an den Lesestoff
im
Preußischen Kinderfreund.
Von
/r. Pechner,
Rektor der Bürgerschule in Birnbaum.
Mit einer Steindrucktasel.
Königsberg.
Verlag von I. H. Bon.
1850.
Georg-Eckert-Instltut
für international«
Schulbuchforschung
Braunschweig
•Schulbuchbibüothak *
Zcv-T
6U, yé?£ú)-J?¿
Vorwort.
Indem ich meinen Herren Amtsbrüdern hiermit den dritten
Theil des Handbuches übergebe, halte ich es für nothwendig,
die Gründe darzulegen, warum ich einige Abschnitte aufgenom-
men, die man sonst in einer Naturkunde überhaupt nicht findet,
wie die Seelenlehre, oder die doch in einer Volksschule nicht
pflegen vorgetragen zu werden, wie der Chemismus.
Eine Belehrung über die menschliche Seele muß auch in
Volksschulen gegeben werden theils wegen der Wichtigkeit des
Gegenstandes an sich, theils wegen des bildenden Elements,
das in der Seelenlehre liegt, theils endlich weil sie dem Samen
des eigentlichen Religionsunterrichtes den Acker wohl zubereitet.
Wo soll sie aber der Lehrer vortragen? Soll sic dem Reli-
gionsunterrichtevorrangehen? Hier ist ohnehin des zu verarbei-
tenden Stoffes so viel, daß für diesen Gegenstand die Zeit
kaum ausreicht. Soll der Lehrer eine besondere Stunde dazu
auf dem Lektionsplane ansetzen und so die Zahl der Lehrgegcn-
stànde vermehren? das würde gewiß noch tadelnswerther er-
scheinen. Wo schließt sich also die Seelenlchre besser an, als
an die Betrachtung des menschlichen Körpers! —
Den Abschnitt über den Chemismus habe ich- darum auf-
genommen, weil die Grundlehren der Chemie, anschaulich vor-
getragen, auch für Elementarschüler faßlich und höchst bildend
sind, und weil bei den riesenmäßigen Fortschritten in den Kün-
sten und Gewerben den meisten Künstlern und Handwerkern
und selbst den Landwirthen einige chemische Vorkenntnisse un-
entbehrlich sind, wenn sie die neuern Schriften über ihr Fach
verstehen und mit Nutzen anwenden wollen. — Die zu diesem
Unterrichte nöthigen Naturkörper und chemischen Präparate
i
kann sich der Lehrer leicht aus jeder Apotheke verschaffen; auch
sind in der Regel die Herren Apotheker gern bereit, dem Leh-
rer jede in dieser Beziehung gewünschte Auskunft und Beleh-
rung zu ertheilen. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unter-
lassen, meinem verehrten Freunde, dem hiesigen Apotheker
Herrn A. Selle, hier öffentlich meinen herzlichen Dank auszu-
drücken für die Bereitwilligkeit, mit welcher derselbe mir in
solchen Fällen jederzeit entgegen gekommen ist. — Benutzt habe
ich hier, wie bei der Naturlehre überhaupt, die Schriften von
Brcttner, Funke, G. Fischer u. a. Die Seelenlehre ist größ-
tentheils nach dem Handbuche von Schlez bearbeitet, und in
der Naturgeschichte ist zwar Oken benutzt, die Eintheilung aber
theils nach der im Preußischen Kinderfreunde, theils nach dem
in der Hartungschen Hofbuchdruckerei in Königsberg erschienenen
„Leitfaden beim Unterricht in der Naturgeschichte" gemacht
worden. Möchte auch dieser Theil des Handbuches in recht
vielen Schulen benutzt werden und großen Nutzen schaffen!
Als Vorbereitung auf den Preußischen Kinderfreund und
das dazu gehörige Handbuch dienen folgende, bei Volger
und Klein in Landsberg a. d. W. von dem Verfasser des
Handbuches erschienene Schriften:
1. Kleiner Kinderfreund, oder erstes Lesebüchlein für
kleine Kinder, die nach der Jacotot'schen Methode lesen lernen.
272 Sgr.
2. Sechs Wandtafeln zum Lesenlernen nach Jacotot's
Methode. 10 Sgr.
3. Der erste Lese- und Schreibunterricht nach Ja-
cotot'schen Grundsätzen, eine Anleitung für Lehrer rc. 5 Sgr.
Das Hochlöbliche Schul-Collegium der Provinz Posen,
x so wie die Recensionen in mehreren pädagogischen Zeitschriften,
haben sich über diese Schriften höchst vortheilhaft ausgesprochen,
und ich kann sie daher meinen Herren College« bestens em-
pfehlen.
Birnbaum, den 20. October 1849.
Fr. Pechner.
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Inhalt.
___
Seite
Einleitung.......................................................1
Erste Abtheilung. Naturgeschichte. Einleitung.........................4
' Erster Haupttheil. Zoologie oder Thierkunde . . . . . . 5
8. l. Die Eintheilung des Thierreiches............................5
Erste Klaffe. Säugethiere.
8- 2. Die Eintheilung der Säugethiere.............................0
8. 3. 1. Ordnung. Vierhänder.....................................7
8. 4. 2. „ Fledermäuse...................................10
8.5 — 10. 3. Ordnung. Raubthiere..................................11
8.11. 4. Ordnung. Beutelthiere...................................20
8.12. 5. „ Nagethiere.........................-..............21
8-13. 6. „ Zahnlückige Thiere...........................25
8.14—18. 7. Ordnung. Hufthiere.......................................26
8.19. 8. Ordnung. Wallfischarten.................................36
8.20. Die Säugethiere im Allgemeinen...............................38
Zweite Klaffe. Vögel.
8 21. Die Eintheilung der Vögel......................................39
8.22. ». 23. 1. Ordnung Raubbögel............................41
8.24 — 20. 2. Ordnung. Singvögel.....................................43
8- 27. 3. Ordnung. Kletterbögel..................................48
8- 28. ii. 29. 4. Ordnung. Tauben- und hühnerartige Vögel. . 50
8.30. 5. Ordnung. Laufvögel.....................................53
8.31. ii. 32. 6. Ordnung. Sumpfvögel............................54
. >
TI
Serte
§.33. 7. Ordnung. Schivimmbogel........................................57'
§. 34. Die Vogel im Allgemeinen......................................00
Drittc Klasse. Amphibien.
§.35. Die Eintheilung der Amphibien..................................k3
§.36. I. Ordnung. Eidechsen.......................................04
§. 37. 2. „ Schildkrotcn.....................................00
§. 38. 3. Frosche..........................................07
§. 39. 4. ,, Schlangen......................................09
§. 40. Die Amphibien im Allgemeinen..................................70
Vierte Klasse. Fische.
§. 41. Eigenthümlichkeiten im Bañe der Fische........................71
§. 42. Die Eintheilung der Fische.....................................73
§. 43. A. Knorpelfische. 1. Ordnung. Quermauler. 2. Ordnung.
Rundmauler .................................................73
§. 44. B. Gratenfische. 3. Ordnung. Halbflosser......................74
§. 45. 4. Ordnung. Bauchflosser....................................75
§.46. 5. „ Brustflosser.....................................77
§. 47. 0. „ Halsflosser.....................................78
§.48. Die Fische im Allgeineinen.....................................78
Fruiste Klasse. 3 ufes ten.
§. 49. Die Eintheilung der Jnsekten..................................80
§.50. 1. Ordnung. Kafer...........................................81
§.51. 2. Halbkaser........................................82
§.52—54. 3. Ordnung. Schmetterlinge..................................84
§. 55. 4. Ordnung. Netzflügler.....................................88
§. 50. 5. „ Hautsiügler.....................................89
§. 57. 0. „ Zweiflügler.....................................90
§. 58. 7. „ Ungeflügelte Jnsekten................................91
§. 59. Die Jnsekten im Allgemeinen....................................92
Sechste Klasse. Würmer.
§. 00. Die Eintheilung der Würmer.....................................95
§.61. 1. Ordnung. Eigentliche Würmer..............................96
§.62. 2. „ Schalthiere.....................................98
§.63. 3. Strahlthiere....................................100
§. 04. Allgemeine, Betrachtung des ThiercicheS.......................102
VII
Zweiter Haupttheil. Pflanzenkunde oder Botanik.
Seite
8.65. Die Theile der Pflanzen iin Allgemeinen.................106
§. 66. Die Wurzel..............................................107
§. 67. Der Stengel........................................... 10S
8.68. Die Blätter.............................................109
8- 69. Der Blüthenstand........................................113
§.70. Die Blüthe selbst . . . ................................115
§. 7k. Der Kelch und die Blumenkrone...........................116
8. 72. Die Staubgefäße und die Stempel.........................117
8.73. Die Frucht . . .........................................119
8. 74. Dauer, Verbreitung und Anbau der Pflanzen.................120
8. 75. Die Nahrungsmittel der Pflanzen...........................122
8. 76. Die natürliche Eintherlung der Pflanzen...........123
8. 77. Die künstliche Eintheilung der Pflanzen oder das Linnü'sche
Sysicm....................................................125
8.78. Erste Klaffe. Bäume. 1.Ordnung. AepseltragendeBäume 127
8.79. 2. Ordnung. Steinfruchttragende Bäume..............129
8.80. 3. „ Beerentragende Bäume....................131
8.81. 4. „ Nußtragende Bäume. 5. Ordnung. Hülsen-
tragende Bäume 132
§. 82. 6. Ordnung. Kapseltragende Bäume...................133
8 83. 7. „ Flügelfruchttragende Bäume..............134
8.84. 8. „ Nacktsamige Bäume.......................136
§.85. Zweite Klasse. Sträucher. 1. Ordnung. Sträucher mit
Steinfrüchten.............................................137
8. 86. 2. Ordnung. Beerentragende Sträucher....................137
8- 87. 3. „ Rußtragende Sträucher. 4. Ordnung. Sträu-
cher mit Hülsenfrüchten. 5. Ordnung. Kapseltragende Sträu-
cher. 6. Ordnung. Sträucher mit nackten Samen. . . . 140
8.88. Dritte Klaffe. Kräuter. 1. Ordnung. Beerentragende
Kräuter...................................................141
8.89. 2. Ordnung. Schotentragende Kräuter.....................144
§ 90. 3. Ordnung. Hülsentragende Kräuter......................146
§.91—93. 4. Ordnung. Kapseltragende Kräuter..................148
8.94 — 98. 5. Ordnung. Kräuter mit nackten Samen .... 152
8-99 — 160. Vierte Klaffe. Palmen..............................161
8.10>. Fünfte Klaffe. Zwiebeln..................................164
8.102. Sechste Klaffe. Gräser. 1. Ordnung. Fruchtgräser . . 167
8-103. 2. Ordnung. Aehrengräser.................................168
§. 104. 3. „ Rispengräser....................................170
§.105. Siebente Klaffe. Farrenkräuter...........................171
Till
Seite
8.106. Achte Klasse. Moose.....................................172
§.107. Nennte Klasse. Schwämme oder Pilz-e................1.74
§. 108. Allgemeine Betrachtung über die Pflanzen................178
Dritter Haupttheil. Mineralogie.
§. 100. Die Mineralien im Allgemeinen...........................179
§.110. Die Einthcilung der Mineralien..........................181
8.111. Erste Klasse. Erden und Steine..........................182
§.112. 1. Ordnung. Kiesel....................................183
§. 113. 2. Thone......................................186
§.114. 3. Talke........................... .... 189
8.115. 4. Kalke..............'.....................190
§.116. Gesteine und Versteinerungen............................192
§.117. Zweite Klasse. Salze....................................193
§. 118. Dritte Klasse. Brenze................................. .196
§.119. Vierte Klasse. Metalle. A. Edle Metalle..............198
§. 120. B. Unedle Metalle.......................................199
Vierter Haupttheil. Anthropologie oder Lehre vom Menschen.
§.121. Vorzüge des Menschen.............................204
I. Etwas vom Baue des menschlichen Körpers.
§. 122. Die Knochen.............................................205
§. 123. Die Muskeln.............................................206
§. 124. Die Haut, die Haare und die Nägel.......................208
§. 125. Die Luftröhre und die Lungen...........................209
§.126. Herz, Adern und Blut....................................211
§. 127. Die Verdauungswerkzeuge.................................213
§. 128. Einige Gesundheitsregeln -..............................214
§. 129. Die Empfindungöwerkzeuge................................217
§. 130. Das Gesicht.............................................219
§. 131. Das Gehör...............................................222
§.132. Der Geschmack...........................................224
§.133. Der Geruch..............................................224
§.134. Das Gefühl oder der Tastsinn..........................225
§. 135. Der Schlaf..............................................226
§. 136. Gesundheit und Krankheit................................227
§. 137. Der Tod und der Scheintod...............................229
II. Seelenlehre oder Psychologie.
§.138. Die drei Hauptkräfte oder Vermögen der Seele . . . .231
IX
Seite
§. 139. A. Das Erkennntnißverinögen. 1. Das Wahrnehmungs-
oder Anschauungödermögen....................................233
§. 140. 2. Das Bewußtsein.........................................235
§. 141. 3. Die Einbildungskraft...................................237
§. 112. 4. Das Gedächtniß.........................................238
§. 143. 5. Der Verstaub, a. Daö Begriffsvermögen..................241
§. 144. b. Die Urteilskraft.......................................213
§. 145. c. Das Schlußvermögen.....................................240
§. 146. 6. Die Vernunft...........................................247
§.147. B. Das Gefühlsvcrmögen....................................248
§. 148. C. Das Begehrungsvermögen.................................251
§.149. Die Temperamente..........................................253
§. 150. Der Verlauf der menschlichen Lebens.......................255
____,___
Zweite Abtheilung. Naturlehre. Einleitung........................257
I. Die allgemeinen Eigenschaften der Körper.
§. 1. Die Ausdehnung............................................200
§. 2. Die Porosität.............................................2öl
§. 3. Die Zusammendrückbarkeit und die Ausdehnsamkeit . . . 264
§. 4. Die Undurchdringlichkeit..................................265
§. 5. Die Theilbarkeit......................................... 267
§. 6. Der Zusammenhang..........................................270
§. 7. Härte und Weichheit. Zähigkeit und Sprödigkeit .... 273
§. 8. Die Elasticität...........................................275
§. 9. Die Anhängung.............................................278
§. 10. Die Haarröhrchen-Anziehung................................280
§. 11. Die chemische Anziehung...................................283
§. 12. Die Anziehung entfernter Körper oder die allgemeine Schwere 285
11. Ruhe und Bewegung der Körper im Allgemeinen.
§.13. Ruhe und Bewegung im Allgemeinen ..........................289
§. 14. Mittheilung der Bewegung................................290
§.15. Ursachen, Richtung, Weg und Zeit der Bewegung . . . 292
§. 16. Geschwindigkeit der Bewegung............................293
§.17. Wirkung der Bewegung....................................296
§. 18. Einwirkung einer Kraft auf die Bewegung.................297
§.19. Einwirkung mehrerer Kräfte auf die Bewegung. . . .. .299
§.20. Die Kreis- oder Centralbewegung.........................300
§.21. Die Bogenbewegung. (Das Pendel).........................301
X
Seite
§. 22. Die Stoßbewegung.........................................302
§, 23. Die Hindernisse der Bewegung.............................303
III. Ruhe und Bewegung fester Körper.
§. 24. Der Schwerpunkt........................................305
§.25. Der Hebel............................................ 307
§. 2(3. Die Rolle und der Flnschenzug..........................310
§.27. Daö Rad an der Welle, das gezahnte Rad re..............312
§.28. Die schiefe Ebene, der Keil und die Schraube. . ■ . 314
IV. Bewegung und Gleichgewicht flüssiger Körper.
§.29. Die tropfbar flüssigen Körper überhaupt...............31(3
§.30. Der Druck des Wassers.................................31(3
§.31. Das Gleichgewicht der Flüssigkeiten in kommunicirenden
Röhren...................................................317
§.32. Der Druck der Flüssigkeit gegen die Flüssigkeit........318
§.33. Das Verhalten fester Körper zu flüssigen...............310
§.34. Die Senkwagen oder Aräometer...........................321
V. Bewegung und Gleichgewicht luftförmiger Körper.
§. 35. Die luftförmigen Körper im Allgemeinen.................321
§. 36. Der Stechheber und der Winkelheber.....................323
§. 37. Die Wasserpumpe........................................324
§. 38. Die Spritzen...........................................325
§. 39. Das Barometer....................._.....................326
§. 40. Die Luftbälle..........................................327
§.41. Die Luftpumpe......................................... 320
§. 42
§.43.
§. 44.
§.45.
§.40.
§. 47.
§.48.
§. 49.
§.50.
§.51.
§•■52.
Vi. Der Schall. (Akustik).
Die Entstehung deS Schalles....................................331
Die Fortpflanzung deS Schalles 331
Die Geschwindigkcit des Schalles.......................... • • 333
Die Zuruckwerfung des Schalles.................................331
Die Beschaffenheit schallender Korper..........................336
Die Verschiedenheit ber Schwingungen schallender Korper . 337
Dauer und Starle des Schalles................................339
VII. Die vornehmsten Luft- oder Gasarten.
Die Lebenslust.....................................
Die Stickluft. . . ................................
Die brennbare Luft ................................
Die fixe Luft......................................
340
341
343
343
XI
Seite
VIII. Das Licht. (Optik).
8.33. DaS Licht im Allgemeinen.......................................345
§.54. Die Verbreitung deö Lichtes............................346
§. 55. Der Schminket oder die scheinbare Größe der Gegenstände. 348
§. 56. Die Zurückwerfung der Lichtstrahlen (Katoptrik) .... 349
§. 57. Sphärische oder Kugclspieget..................................352
§. 58. Die Brechung der Lichtstrahlen (Dioptrik).....................353
§.59. Geschliffene Gläser.........................................355
§.60. Die Entstehung der Farben...................................356
¡Hi- . . ■ 7 - -- ' *!■'■ i '"l.r ^
IX. Die Wärme.
§. 61. Die Wärme im Allgemeinen......................................357
§. 62. Wärmeleiter ...."...........................................359
§. 63. Die Entstehung der Wärme...............................361
§.64. Die ausdehnende Kraft der Wärme........................365
§. 65. Das Thermometer.............................................366
§.66. Die Bindung und das Freiwerden der Wärme .... 368
§.67. Das Schmelzen und Sieden....................................369
§. 68. Das Feuer...................................................371
X. Die Elektricität.
§. 69. Das Wesen der Elektricität....................................372
§. 70. Leiter und Nichtleiter der Elektricität.......................373
§.71. Die Elektrisirmaschine .......................................375
§.72. Versuche mittelst der Elektrisirmaschine......................376
§. 73. Die beiden Arten der Elektricität..................„ . . 378
§. 74. Die verstärkte Elektricität...................................380
§. 75. Der Elektrophor oder Elektricitätsträger......................382
§. 76. Das Gewitter..................................................384
§. 77. Die galvanische Elektricität oder der Galvanismus . . . 387
XI. Der Magnetismus.
§.78. Die Anziehungskraft des Magnets............................389
§. 79. Die Polarität des Magnets..................................... 391
§. 80. Die künstlichen Magnete....................................392
§. 81. Die Magnetnadel..............................................394
XII. Der Chemismus.
§. 82. Die Auflösung zusammengesetzter Stoffe.....................395
§.83. Die einfachen Körper.........................................397
§. 84. Die Säuren...................................................399
XI [
Seite
§.85. Die Basen oder die Alkalien, Erden und Metalloxyde . . 400
§.86. Die Salze.............................................403
8- 87. Einige Verbindungen aus Kohlenstoff. W»sserstoff und Stick-
stoff.............................................................405
§. 88. Die Gährung...........................................407
XIII. Die L uster sch ei nun gen oder Meteore.
§. 80. Der Luftkreis oder die Atmosphäre.....................408
§. 90. Die luftigen Lufterscheinungen........................409
§.9I. Die wässerigen Lufterscheinungen......................410
8 92. Die leuchtenden oder die feurigen und die glänzenden Luft-
erscheinungen ............................................411
Verbesserungen.
Seite 4 Zeile 4 von oben lies ,,Schulinspector" statt „Subinspector."
- 23 - 2 v. o. l. „klettern" st „kiettern."
- 28 - 14 u. 15 v. o. l. „von" st. „vom"
- 31 - 10 v. o. l. „Geiß" st. „Geis"
- 36 - 15 v. o. l. „Kriegsleute" st. „Kriegsbeute."
- 47 - 18 v. u. l. „fängt" st. „fangen."
- 110 - 1 v. u l. „Blatt, aber oben" st. „Blatt oben."
- 119 - 15 o. u. l. „bei" st. bei.“
- 119 - 9 v. u l. „verwachsen" st. „vewachsen."
- 123 - 15 v. u. l. „für" st. „füt "
- >27 - 11 v. o. l. „Kätzchen" st. „Kähen."
- 164 - 6 v. o. l „pflanzt" st „stanzt."
- 170 - 8 v. ii. l. „vorzüglichste" st. „vorzügliche."
- 180 - 13 v. o. l. „Nahrung" st. „Mahrung."
- 209 - 2, v. o. I. „Blattern" st. „Blättern."
- 260 - 13 v. u. l. „Leuwenhoek" st. „Leuwenhök."
- 264 - 10 v. o. l. „Volumen" st. „Kolumen-"
Naturkunde.
Einleitung.
Das Studium der Natur ist eine der angenehmsten und nütz-
lichsten Beschäftigungen für jeden denkenden und gefühlvollen
Menschen; darum haben sich auch von jeher die größten Geister
demselben unterzogen und besonders in der neuesten Zeit Resul-
tate zu Tage gefördert, die uns mit Erstaunen und Bewunde-
rung erfüllen. Die Naturkunde übt nicht bloß auf die Heilkunst
und die Landwirthschaft, sondern auf Künste, Gewerbe und Han-
del überhaupt einen unberechenbaren Einfluß aus. Deswegen
haben auch die Gewerbe-, Real- und höheren Bürgerschulen die
Naturkunde zu ihrem Haupt-Lehrgegenstande gemacht, und selbst
die Gymnasien ihr jetzt ein größeres Feld eingeräumt. Nur in
Elementarschulen wird sie noch immer auf eine merkwürdige
Weise vernachlässigt, obgleich das Elementarschulwesen im Gan-
zen einen bedeutenden Aufschwung genommen hat. In sehr vie-
len Landschulen findet man weder Naturgeschichte, noch Natur-
lehre, und selbst in den besseren Land- und gewöhnlichen Stadt-
schulen erscheint die Naturkunde meist in sehr kläglicher Gestalt.
Hier begnügt man sich entweder mit einem leeren Eintheilungs-
gerippe, oder mit Anekdoten von Hunden, Affen, Elephanten,
Riesenschlangen rc>, erklärt allenfalls die Naturerscheinungen und
nimmt höchstens noch die allgemeinen Eigenschaften der Körper
durch. Woher rührt diese auffallende Vernachlässigung des na-
turkundlichen Unterrichts in den Volksschulen? — Auf dem Leh-
rerfeste zu Landsberg a. d. W. im Jahre 1843 habe ich mich
bereits hierüber ausgesprochen, glaube aber, daß die Ursachen die-
ser Erscheinung, so wie die Mittel zu ihrer Beseitigung, verdie-
nen, in größeren Kreisen bekannt zu werden und wiederhole sie
daher hier in möglichster Kürze.
Pechner, Handb. 3. Theil.
1
2
Die meisten Lehrer sind für die Naturkunde zu
mangelhaft vorbereitet. Bei einem drei- oder gar nur zwei-
jährigen Seminarkursus ist kein gründlicher und systematischer
Unterricht in den Naturwissenschaften möglich, wenn die Semi-
naristen nicht schon bedeutende Kenntnisse mitgebracht haben.
Die Präparanden sollten also auch in der Naturkunde geprüft
werden, wie im Rechnen, der Sprache rc. Dann würden die
Seminarlehrer, welche in der Regel mit Liebe und Begeisterung
für dieses Fach erfüllt sind, auch mehr leisten können. Die be-
reits angestellten Lehrer sollten auch in der Naturkunde ihre
Kenntnisse immer mehr erweitern, sich in dieser Absicht an Apo-
theker, Aerzte, Gärtner, ältere Amtsbrüder rc. anschließen und so
viel als möglich selbst die Natur beobachten, wie Diesterwez sagt,
„Naturforscher werden/'
Man hält gewöhnlich die Naturkunde für viel zu
unwichtig oder gar für überflüssig, weil sie nicht unmit-
telbar Geld und Brot einbringt. Aber verarbeitet nicht jeder
Handwerker Stoffe aus der Natur? Hat es nicht der Landmann
mit der Erzeugung von Naturprodukten, der Materialist mit dem
Verkaufe derselben zu thun? — Kann wohl eine Semmel ge-
backen, Seife gekocht, Bier gebraut, Zeug gefärbt werden rc.
ohne Anwendung physikalischer Gesetze? Und wird nicht bei der
immer steigenden Concurrenz derjenige Gewerbtreibende mehr lei-
sten und bessere Kunstprodukte liefern, der sein Geschäft mit Ein-
sicht und Bewußtsein verrichtet? — Schaffte aber auch die Na-
turkunde nicht materielle Vortheile, so ist doch die Bekanntschaft
mit der Natur von ungemeiner Wichtigkeit für den Geist und
das Gemüth des Menschen. Erfüllt uns nicht eine aufmerksame
Betrachtung der Werke Gottes mit Ehrfurcht und Liebe gegen
den Schöpfer? Würden wir wohl Gesetze gegen Baumfrevel,
Vereine gegen Thierquälerei nöthig haben, wenn alle Menschen
von Jugend auf gewöhnt wären, in der Natur ihre reinsten
Freuden zu finden und in dem Geschöpfe den Schöpfer zu ehren?
Könnte wohl in der Mitte unseres erleuchteten neunzehnten Jahr-
hunderts der Aberglaube aller Art noch immer so tief im Volke
— und sogar unter den gebildet sein wollenden Leuten — wur-
zeln, wenn für Volksbildung überhaupt und für genauere Be-
kanntschaft des Volkes mit der Natur besser gesorgt worden
wäre? Die mystische Richtung vieler unserer Zeitgenossen hat
gewiß ihren Grund mit in dem Mangel an physikalischen Kennt-
nissen; wenigstens ist mir kein Naturforscher bekannt, der jener
Richtung angehört.
Vielen Lehrern fehlt es angeblich an Zeit, Unter-
richt in der Naturkunde zu ertheilen. Solche Lehrer sind
entweder zu unwissend, oder zu träge und unbeholfen. Ist auch
die Zeit für einen systematischen Unterricht in der Naturkunde
in denjenigen Landschulen, die fast nur im Winter regelmäßig
3
besucht werden, zu kurz; so wird es doch dem umsichtigen Lehrer
nicht an Gelegenheit fehlen, bei den Denk- und Sprechübungen
Naturkörper vorzuzeigen, betrachten zu lassen und zum Gegen-
stände der Unterhaltung zu machen. Viele Lesestücke im Kinder-
freunde geben ebenfalls Veranlassung dazu. Besonders aber eig-
nen sich die Stilübungen zu einer ausführlichen Besprechung von
Naturgegenständen, wie dies im ersten Theile des Handbuches
vielfach angedeutet ist. Auch außer den Schulstunden, auf Spa-
ziergängen, an Sonntagen bietet sich Zeit dar, die Kinder auf
die Menge, Mannichfaltigkeit und Schönheit der Werke Gottes
aufmerksam zu machen. In gehobenen Schulen muß unbedingt
wenigstens eine Stunde wöchentlich für die Naturgeschichte und
eine für die Naturlehre angesetzt werden.
Es fehlt den Lehrern an Mitteln zur Ertheilung
eines selchen Unterrichtes. Freilich sind leider die meisten
Lehrer so gestellt, daß sie sich die gewöhnlich theuren naturwissen-
schaftlichen Schriften, Abbildungen und Sammlungen nicht aus
eigenen Mitteln anschaffen können, und es wäre unbillig, wenn
man dies verlangte. Wer aber Lust hat, weiß sich auch da zu
helfen. Apotheker, Aerzte, Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten
sind in der Regel so freundlich und gefällig, daß sie dem wißbe-
gierigen Elementarlehrer gern ihre Bibliothek öffnen. Insekten,
Eier, Nester, Pflanzen, Mineralien rc. kann man ohne große Ko-
sten sammeln. Abbildungen (wie z. B. die von Fischer in Neu-
zelle) könnten vielleicht die Schulen in einer Parochie gemeinschaft-
lich anschaffen, wenn die Schulkasse an einem Orte zu arm ist.
Der Schul-Revisor oder Inspector fragt nicht
nach Naturkunde. Dann sieht er vielleicht, daß es in den
Hauptlehrgegenständen schon schlecht genug geht, oder er achtet
die Naturkunde nicht, weil er selbst nicht viel davon versteht. —
Könnte jeder Schulinspector eben so gut in der natürlichen Of-
fenbarung lesen, wie in der gedruckten: er würde auch von sei-
nen Lehrern verlangen, daß sie ihre Schüler dazu anleiteten.
Der Landmann lebt und webt von Jugend auf in der Natur,
hat diese Bibel überall bei sich, achtet aber selten mehr auf die-
selbe als das Thier, das seinen Pflug zieht. Höchstens betrach-
tet er mit Nachdenken seine Getreide- und Kartoffelfelder und
berechnet, wenn es nicht gleich regnen will, den Schaden, welchen
er nun haben werde. — Wie veredelnd müßte die Natur auf
des Menschen Gemüch wirken, wenn er von Kindheit auf ge-
wöhnt wäre, überall in der Natur nicht bloß Gottes Allmacht,
Weisheit und Güte, sondern auch seine heilige Nähe, und AUge-
genwart zu empfinden! — Bedächten jene hohen und höchsten
Vorgesetzten der Schulen diese Wirksamkeit der Naturkunde ge-
hörig, sie würden ihr gewiß mehr Aufmerksamkeit zuwenden und
nicht bloß zum Schlüsse der Revision „noch ein paar Fragen aus
der Naturkunde" verlangen. Uebrizens fehlt es auch nicht an
1*
4
Schulrevisoren, welche der Naturkunde die gebührende Aufmerk-
samkeit schenken, und dann treibt ein gewissenhafter Lehrer, was
er für gut und zweckmäßig erkannt hat, ohne erst zu warten,
bis es der Herr Subinspector befiehlt. Darum, ihr Brüder, legt
rüstig die Hand ans Werk! Macht eure Kinder zunächst mit
der Erde und den Geschöpfen auf derselben bekannt, dann wer-
den sie sich von selbst zum Himmel emporgezogen fühlen, wo
unser aller Heimath ist.
Erste Abtheilung.
Naturgeschichte.
(Kinderfteund k. Anhang Vif. bis Xf.)
Einleitung.
(Äbrfr. I. Nr. 115. u. S. 293.)
Der Lehrer läßt das Stück Nr. 115. S. 87. „Die drei Reiche
der Natur"' und den ersten Absatz unter Anhang VII. S. 293.
lesen, fragt dann den Inhalt jener Stücke ab, erklärt und er-
gänzt ihn etwa in folgender Weise: Wie werden die Körper in
Hinsicht ihrer Entstehung eingetheilt? — Welche Körper heißen
Kunstkörper? — Welche Naturkörper? — Naturkörper giebt es
nicht bloß auf der Erde, sondern auch am Himmel, nämlich
Sonne, Mond und Sterne. Diejenige Wissenschaft, welche uns
die Natur kennen lehrt, heißt die Naturkunde, und derjenige
Theil derselben, welcher sich mit den Himmelskörpern beschäftigt,
die Astronomie-, Stern- oder Himmelskunde. Die Na-
turgeschichte, richtiger Naturbeschreibung genannt, ist auch
ein Theil der Naturkunde. Womit beschäftigt sich dieselbe? —
Betrachtet nun einen Stein, einen Baum und einen Vogel!
Wodurch unterscheiden sich diese drei Dinge von einander? —
Wie werden daher alle Naturerzeugnisse auf der Erde eingetheilt?
— Welche heißen organische? — Welche unorganische? — Wie
theilt man die organischen wieder ein? — Wie nennt man die
drei Hauptarten der Naturkörper? — Welche Naturgegenstände
5
umfaßt das Thierreich? — Das Pflanzenreich? — Das Mine-
ralreich? — Wie theilt man hiernach die Naturgeschichte ein? —
Ueber den drei Naturreichen steht der Mensch, der sich haupt-
sächlich durch seine vernünftige Seele von den Thieren unterschei-
det. Die Naturbeschreibung des Menschen heißt Anthropolo-
gie. Die Elemente, aus denen die Naturkörper bestehen, sind
Gegenstand der Naturlehre oder Physik (im engern Sinne),
besonders der Chemie oder Scheidekunst.
„Aber", werden viele Lehrer fragen, „wie sollen wir in der
Naturgeschichte die Menge des Stoffes mit der uns so knapp zu-
gemessenen Zeit in Einklang bringen?" — Nicht Kenntniß aller
Naturgegenstände ist das Ziel des naturgeschichtlichen Unterrich-
tes in Volksschulen, sondern eine immer bessere Erkenntniß des
Schöpfers aus seinen Werken und ein dieser Erkenntniß gemäßes
Denken und Handeln. Zu diesem Zwecke genügt vorläufig ein
aufmerksames und genaues Betrachten der Naturprodukte in un-
serer Umgebung (Hdb. II. S. 0-1) — erst also Kenntniß der ein-
heimischen Erzeugnisse, dann derjenigen ausländischen, welche in
der Haushaltung, im gemeinen Leben vorkommen, wie Kaffee,
Zucker, Zitronen, Gewürze rc., oder zuweilen gezeigt werden, wie
Kameele, Bären, Affen, Schlangen rc., die in der Bibel erwähnt
sind, wie Löwen, Cedern rc. Ferner müssen wir in den Volks-
schulen der Stufenfolge vom Unvollkommenen zum Vollkomme-
nen entgegen mit den vollkommeneren Geschöpfen beginnen, weil
die Thiere wichtiger für uns sind und die Kinder mehr anziehen,
als die Pflanzen und die Mineralien. Die Lehre vom Menschen
bildet am zweckmäßigsten den Schlußstein des ganzen naturge-
schichtlichen Unterrichtes.
Erster Haupttheil.
Zoologie oder Thierkunde.
§. i.
Die Gintheilung des Tierreiches.
(Kdrfr.I S. 293.)
«
Um die große Menge der Naturprodukte besser zu übersehen,
haben die Naturkundigen jedes der drei Naturreiche wieder in
Klassen, Ordnungen rc. abgetheilt. Sie verglichen nämlich die
Naturreiche mit den Reichen der Menschen, in denen es verschie-
dene Klassen giebt, welche sich nach Rang, Bildung und Geschäf-
6
ten unterscheiden, und so brachte man auch die Thiere, Pflanzen
und Mineralien, je nachdem sie gewisse Merkmale mit einander
gemein haben, in Klassen. Wie sich nun die Klassen der Bür-
ger oder Soldaten wieder in besondere Zünfte oder Haufen schei-
den, so theilte man auch die Naturprodukte weiter ab und nannte
die Haufen Ordnungen. Die Zünfte der Bürger sind wieder
aus den besonderen Häusern oder Geschlechtern zusammengesetzt,
welche näher oder ferner mit einander verwandt sind. Diesen
Begriff trug man auch auf die Thiere und Pflanzen, und selbst
auf die Mineralien über und stellte die so verwandten unter dem
Namen Geschlecht oder Sippschaft zusammen. So fuhr
man bis auf Gattungen und Arten fort.
Wie sind in unserm Kinderfreunde die Thiere eingetheilt?
— Wer hat diese Eintheilung gemacht? — Welche Thiere hei-
ßen Säugethiere? — Welche Merkmale haben die Vogel?
— Welche Thiere begreift man unter dem Namen Amphibien?
— Woran erkennt man die Fische? — Bei diesen vier Klassen
findet sich ein knochiges, oder wenigstens knorpliges Gerippe mit
einer Reihe von Knochen oder Wirbeln im Rückgrats, und man
nennt sie daher auch Wirbelthiere. Die beiden übrigen Klas-
sen haben weder Wirbel, noch Rippen und heißen daher wirbel-
lose Thiere. — Welche Klassen gehören zu den letzteren? —
Woran erkennt man die Insekten sHandb II. S. 103)? —
Zu den Insekten rechnete Linne auch die Krabben oder die Krebse,
Spinnen, Asseln rc. — Welches sind die Kennzeichen der Wür-
mer? — Hierher gehören auch die Schalthiere oder die Muscheln
und Schnecken, ferner die Strahlthiere oder die Quallen, Poly-
pen und Aufgußthierchen. — Nennet Säugethiere, Vögel, Fische'.
Erste Klasse.
Säugethiere.
8- 2.
Die Eintheilung der Säugethiere.
(Kdrfr. I. S. 293 )
Vergleichen wir einen Affen, eine Fledermaus, einen Hund,
ein Eichhörnchen, ein Pkerd und einen Wallsisch mit einander,
so finden wir zwischen ihnen auffallende Unterschiede, sowohl was
die äußere Gestalt, als den inneren Bau und die ganze Lebens-
weise dieser Thiere anbetrifft. Der Affe macht äußerlich den Ue-
bergang zum Menschen, der Wallsisch zu den Fischen, die Fleder-
maus zu den Vögeln oder den Schmetterlingen; das Pferd, der
7
Hund u. a. dagegen sind vollkommene Säugethiere, die man we-
der mit einem Vogel, noch mit einem Fische verwechseln kann.
Der Affe hat vier Arme mit gehörigen Händen, so daß der Dau-
men jeder andern Zehe gegenübergesetzt werden kann. Die Ze-
hen der Fledermaus sind durch eine Flughaut verbunden. Hund
und Eichhörnchen haben getrennte Zehen. Bei dem Pferde sind
die Zehen in einen Huf eingeschloffen, der bei dem Rindvieh und
den Schweinen gespalten ist. Die Füße des Walisisches sind gar
in Flössen und Fischschwanz übergegangen. Fast eben so auffal-
lende Unterschiede finden sich bei den Zähnen. Bei den Affen
stehen alle Zahnacten, Vorder- oder Schneidezähne, Eckzähne und
Backenzähne, dicht beisammen, wie beim Menschen. Bei den
Fledermäusen sind die Backenzähne zackig. Die Hunde und
Katzen haben scharf zugespitzte Eckzähne. Das Eichhörnchen hat
scharfe, das Pferd breite Vorderzähne. Die Zähne des Walisi-
sches haben sich gar in große, blätterige Barten verwandelt- Ei-
nige Thiere in heißen Ländern haben entweder gar keine, oder
nur Backenzähne. Berücksichtigt man nun bei der Eintheilung
der Säugethiere nicht allein die Füße, welche vorzüglich in die
Augen fallen, sondern auch die Zähne, also die ganze Entwicke-
lung und Lebensweise der Säugethiere; so kann man deutlich
acht Ordnungen unterscheiden, nämlich Affen oder Vierhän-
der, Fledermäuse oder Flatterer, Raubthiere, Beutel-
thiere, Nagethiere, zahnlückige Thiere, Hufthiere und
Wallfischarten oder Wale. Lernet diese Ordnungen auswen-
dig und merket euch die unterscheidenden Kennzeichen derselben!
— Wir wollen jetzt jede Ordnung genauer betrachten und die
wichtigsten Thiere einer jeden kennen lernen.
§- 3.
1. Ordnung. <Añen oder Vierhänder.
(Kdrsr. I. S. 293.)
Unter allen unvernünftigen Geschöpfen der Erde erregt keins
unsere Aufmerksamkeit so sehr als der Affe, weil er in Gestalt
und Betragen dem Menschen am ähnlichsten ist. Außer den
vier Händen haben einige Affen einen Wickelschwanz, mit welchem
sie sich nicht bloß an Bäumen aufhängen, sondern auch allerlei
fassen und an sich bringen können. Manche haben Backentaschen,
in denen sie ihre Speisen weich werden lassen, ehe sie dieselben
kauen und hinunterschlucken. Obgleich sie dem Menschen ähnli-
cher sind, als irgend ein anderes Thier, so können sie doch nicht
einen einzigen menschlichen Laut nachsprechen lernen, noch auch
so vollkommen aufrecht gehen, wie der Mensch. Die Kniee sind
bei dem Affen, wenn er auch aufrecht steht, immer vorgestreckt,
und seine gebogene Stellung ist noch weit auffallender, als bei
8'
ganz blödsinnigen Menschen. Der Leib ist hager, die Beine oder
Arme sind unverhältnißmäßig lang, Gesäß und Waden fehlen,
der ganze Leib ist behaart, die Stirn platt, die eingestülpten Lip-
pen sind dünn, die Nase ragt nur wenig hervor, der aufgerollte
Ohrrand ist ohne freies Läppchen, und die Eckzahne sind langer
als die übrigen. Aehnlich sind sie dem Menschen in allen Unsit-
ten und garstigen Manieren; denn sie sind boshaft, falsch, tückisch,
diebisch und unanständig, stellen also nur die schlechte Seite des
Menschen dar sowohl in natürlicher als sittlicher Hinsicht. Die
Bäume in den warmen Zonen sind fast ihr ausschließlicher Auf-
enthalt. Hier leben sie gesellig und springen von einem Baume
zum andern, ohne an die Erde zu kommen. Ihre Nahrung be-
steht ausschließlich in Obst, Eiern, Insekten und Würmern. Die
Speise bringen sie mit einer einzigen Hand zum Munde. Der
Nachahmungstrieb der Affen, durch den ihr Name unter
den Menschen zum Spotte geworden ist, wird von den Bewoh-
nern jener Länder sehr gut benutzt, um sich Kokosnüsse, Pfeffer
rc. von ihnen abpflücken zu lassen. Sollen dergleichen Früchte
abgenommen werden, so steigt Jemand in Gegenwart der auf
den Bäumen sitzenden Affen auf den Baum, dessen Früchte man
einsammeln will, pflückt ein Körbchen voll und schüttet sie auf
einen Haufen. Dann verlassen die Menschen den Baum, und
sogleich schicken sich die Affen an, es ihm nachzuthun. Dieser
Nachahmungstrieb wird den Affen aber auch oft sehr nachtheilig,
indem er sie in Gefangenschaft bringt. Will man Affen fangen,
so zieht Jemand vor ihren Augen einigemal die Schuhe aus und
an, geht dann fort und läßt ein Paar andere stehen, die mit
Harz bestrichen sind. Die Affen machen sich dann geschwind von
den Bäumen herunter, ziehen sie an und — sind gefangen. Oder
man wäscht sich vor ihren Augen das Gesicht und läßt beim Fort-
gehen eine Schüssel mit Leimwasser zurück. Kommen dann die
Affen herbei, um sich diese Erquickung gleichfalls zu verschaffen,
so verkleben sie sich die Augen und fallen dann in die Gewalt
der Menschen. Was dem Assen vorgemacht wird, lernt er ohne
große Mühe, z. B- auf dem Seile tanzen, ein Rad schlagen, sich
putzen, Feuer anmachen, trommeln, Gläser schwenken, den Brat-
spieß drehen rc. Dabei sind sie aber ungehorsam und verderben
oft den Spaß mitten im Spiele, indem sie dazwischen einen
Streich machen wie ein tölpelhafter Hanswurst. Ehe man sich's
versieht, springen sie an einen Menschen und zerzausen ihn, be-
sonders Frauenzimmer. Ueberhaupt verrichten sie ihre Geschäfte
nur so lange, bis die Narrheit sie anwandelt. Wie der Mensch,
so bedient sich auch der Affe, was sonst kein anderes Thier thut,
zum Angriffe wie zur Vertheidigung der Waffen, nämlich Baum-
äste und Steine. Wird eine Schaar Affen angegriffen, so ver-
theidigen sie sich gemeinschaftlich und stehen gleichsam alle für
einen Mann. Bei der Beraubung der Gärten stellen sie Wachen
9
aus, bilden Reihen, um einander die Früchte zuzuwerfen, und
entfernen sich auf ein von der Schildwache gegebenes Zeichen.
Gewöhnlich bringen sie nur ein Junges zur Welt, für das sie
eine außerordentliche Liebe und Zärtlichkeit zeigen. Die Mutter
vertheidigt es mit Gefahr ibres eigenes Lebens, nimmt es in den
Arm, läßt es auf ihrem Schoße ruhen, liebkost, küßt und strei-
chelt es, wiegt es hin und her, drückt es an ihre Brust und er-
drückt es nicht selten vor übergroßer Liebe und Zärtlichkeit, wes-
halb denn auch die Affenliebe zum Sprüchworte unter uns ge-
worden ist. fKdrfr. I. Nr. 195.)
A. Die eigentlichen Affen haben lauter platte Nägel an
den Fingern.
a. Die Affen haben keinen Schwanz und theils Backenta-
schen (3. und 4.), theils nicht fl. und 2.)
1. Der Schimpanse ist gewöhnlich so groß wie ein achtjäh-
riger Knabe, erreicht aber auch beinahe die Größe eines erwachse-
nen Menschen. Der Pelz ist braunschwarz, das Gesicht, die Oh-
ren und Hände sind fleischfarbig, und sein Vaterland ist das
Innere von Afrika, wo das gelehrige Thier von Baumfrüchten,
besonders des Affenbrotbaumes, lebt.
2. Der Orang-Utang ist kleiner, hat längeres, rothbraunes
Haar, ein nacktes, braunes Gesicht, lebt in Ostindien, besonders
aber auf Borneo, von Früchten, Blättern und Rinde und ist
auch recht gelehrig.
3. Der Langarm mit sehr langen Armen lebt in Ostindien
und auf den Molucken.
4. Der türkische Affe lebt in großen Schaaren in Nord-
afrika, verwildert auch bei Gibraltar und kommt mit andern wil-
den Thieren am häufigsten zu uns.
h. Die Paviane haben einen kurzen Schwanz, Backenta-
schen und eine längere Schnauze.
1. Der gemeine Pavian ist so groß wie ein Fleischerhund,
braun, mit schwarzem Gesichte und ziemlich langem Schwänze.
Er ist sehr böse und lebt in Afrika von Früchten.
2. Der Maimon hat ein blaues Gesicht, eine rothe Nase
und lebt in Afrika
0. Die Meerkatzen haben sehr lange Schwänze und theils
Backentaschen fl.), theils keine f2.).
1. Die gemeine Meerkatze ist etwas größer als eine Katze,
oben graugrün, unten weiß, im Gesichte fleischfarbig, an den Hän-
den schwarz, und lebt an der Westküste Afrikas von Kokosnüssen
und Getreide.
2. Der Ouistiti, ein niedliches Thierchen von der Größe
eines Eichhörnchens, lebt im heißen Amerika.
8. Die Halbaffen -der Maki's haben am Zeigefinger der
Hinterhände eine spitze Kralle.
I. Der gem. Maki lebt in Ostindien und auf Madagaskar.
10
K. 4.
2. Ordnung. Fledermäuse oder Flatterthiere.
(Kdrfr. I. S. 294.)
Dir Flatterer oder Fledermäuse haben in beiden Kinn-
laden zackige Backenzähne, jederseits einen Eckzahn und im Ober-
kiefer 2 bis 4, im Unterkiefer hingegen 2 bis 6 Vorderzähne.
Ihre Zehen an den Vorderfüßen find, den Daumen ausgenom-
men, der ein kurzer, hakiger Nagel bleibt, fast bei allen wunder-
bar verlängert und durch eine Haut, welche bis an die Hinter-
füße und den Schwanz reicht, mit einander verbunden. Es find
sämmtlich nächtliche Thiere, die nur in der Dämmerung umher-
fliegen und wenigstens 2/3 ihrer Lebenszeit mit Schlafen zubrin-
gen. Die bei uns lebenden erstarren im Winter und erwachen
erst bei wärmerer Witterung wieder. Ihre Flügel, welche an-
ders als die der Vögel sind, bestehen aus einer doppelten, dün-
nen, pergamentartigen Haut, in welcher die Arme und der ge-
lenkige Schwanz liegen, dessen sie sich als eines Steuerruders be-
dienen. Die Flughaut ist fettig und nimmt daher kein Wasser
an. Von dem Boden können sie nur mit der größten Anstren-
gung wieder auffliegen; deshalb häkeln sie sich, wenn sie ausru-
hen wollen, mit ihren Füßen lieber an eine Mauer an. Sie
sind über den ganzen Erdboden verbreitet, ziehen aber das wär-
mere Klima dem kälteren vor.
1. Die gem. Fledermaus kommt an Größe einer Haus-
maus.gleich, ist ohne besondere Hautansätze auf Nase und Ohren
und trägt einen auf dem Bauche weißgrauen, auf dem Rücken
und an den Seiten aber röthlichgrauen Pelz. Die Ohren find
so lang als der Kopf. Die Flughaut klaftert 1' und läuft in
einem vorspringenden Winkel aus. Sie hält sich in Ritzen alter
Gebäude, in Thürmen und hohlen Bäumen auf. Läßt man sie
im Hellen Sonnenscheine fliegen, oder verklebt man ihr die Augen,
so stößt sie doch an Nichts, ja selbst nicht an Bindfaden, die
kreuzweis durch die Stube gespannt find. Ihre häßliche Gestalt
und ihr schnelles, uns gar oft einen Schreck einjagendes Hin-
und Herflattern, besonders aber der bisamartige, unausstehliche
Geruch, machen es, daß wir ihnen gern aus dem Wege gehen.
Nur als Vertilger schädlicher Insekten, die sie im Fluge weg-
schnappen, verdienen sie unsern Dank.
2. Der Vampyr im heißen Amerika macht sich bei Nacht
an schlafende Menschen und Thiere, saugt ihnen das Blut aus,
so daß oft Ohnmacht und Tod erfolgt, und fächelt dabei immer
mit den Flügeln, damit man es nicht fühlen soll; er heißt daher
auch Blutsauger.
3. Der fliegende Hund in Ostindien lebt von Baumfrüch-
ten und Saften und wird von den Eingeborenen gegessen.
11
§. 9.
3. Ordnung. Naubthiere.
(Äbrfr.I. ©.204.)
Die Raubthiere haben alle drei ?trten von Zähnen, mit
Spitzen besetzte Backenzähne und mit Klauen bewaffnete Füße.
A. Die Zehengänger treten nur mit den Spitzen der
Zehen auf und haben in jeder Kinnlade 6 Vorder-, 2 zugespitzte,
mehr oder weniger lange Eck- und 8 bis 14 fast immer scharf-
höckerige. scherenartig bei einander vorübergehende Backenzähne.
3. Die Katzen haben einen runden Kopf, eine rauhe Zungc,
in der oberen Kinnlade jederseits 4, in der untern nur 3 Bak-
kenzähne, 5zehige Vorder- und 4zehige Hinterfüße mit zurückzieh-
baren Klauen.
I. Die gem. Katze» diese Freundin so vieler Menschen,
stammt von der wilden Katze ab, die sich in den dichten Wäl-
dern Europas und des nördlichenAsiens aufhält. Es giebt weiße,
schwarze, braune, aschgraue, gelbe, graugestreifte und scheckige
Katzen. Ihre liebste Nahrung ist Fleisch; doch genießen sie auch
sonstige Menschenkost. Zu ihrem Tranke mögen sie gern Milch,
welche sie schlappen wie die Hunde. Sie fangen Mäuse, Rat-
ten, Maulwürfe, Wiesel, Raupen, Schmetterlinge, auch wohl
junge Hasen und kleines Geflügel. Im Umgänge ist die Katze
zwar schmeichelhaft und läßt sich gern streicheln; doch zeigt sie
sich mitunter tückisch und hämisch, ist immer falsch, untreu, scheu
und diebisch Eine Katze nahe um sich, oder wohl gar im Bette
zu haben, ist bedenklich, und sie in Schlafzimmern zu lassen, wo
kleine Kinder liegen, sehr gefährlich, besonders im Winter. Sie
geht dem warmen Athem nach und legt sich über den Hals der
Kinder, wodurch diese erstickt werden. Schon der Biß und das
Krallen einer zornigen Katze hat schlimme Folgen. Auch auf
dem Feuerheerde darf man sie nicht lassen, weil sie in ihren Haa-
ren eine glühende Kohle mit forttragen und eine Feuersbrunst
veranlassen kann. Der Schlaf der Katze ist leise und kurz. Ihr
Gesicht und Gehör sind überaus scharf und fein, doch hat siekei-
nen sonderlichen Geruch Sehr geschickt weiß sie zu klettern, von
einem Baume auf den andern zu springen und über die schmäl-
sten Stangen und Latten zu gehen. Stürzt sie unvorsichtig von
einem hohen Baume oder Hause, so fällt sie sich selten todt, wo-
bei ihr besonders der Schwanz sehr zu statten kommt, der fast
gerade in die Höhe steht und die Stelle des Steuers vertritt.
Nachts sieht sie so gut als am Tage, denn ihr Sehloch ist ein
senkrechter Spalt, der sich bei Sonnenschein verengt, im Finstern
hingegen wieder erweitert. Das Fell, besonders von dunklen
Katzen, giebt im Finstern knisternde Funken von sich, wenn man
es vom Schwänze nach dem Kopfe zu streicht. Das Schnurren,
12
wenn sie geliebkost wird, geschieht vermittelst zweier zart gespann-
ter Häutchen im Kehlkopfe. An einigen Pflanzen, z. B. Katzen-
münze, Katzengamander und Baldrian*), scheinen die Katzen ein
besonderes Vergnügen zu finden, denn sie wälzen sich mit seltsa-
men Geberden vor Freuden darauf herum. Dagegen ist ihnen
der Geruch der Raute sehr zuwider. Gewisse Menschen haben
eine solche Abneigung gegen die Katzen, daß sie bei ihrer Gegen-
wart mit Aengstlichkeit oder gar mit Ohnmachten befallen wer-
den. Wahrscheinlich wirken die elektrischen Ausdünstungen der
Katzen so heftig auf jene Personen. Viele hegen aber auch eine
lächerliche und nicht selten lästige Vorliebe für die Katzen. Leicht
gewöhnt sie sich an das Haus, aber nicht wie der Hund an den
Herrn, ja sie geht über eine Meile weit wieder nach ihrer alten
Behausung zurück, wenn der Herr auszieht und sie mitnimmt.
Zwar kommt sie aus den Ruf ihres Gebieters herbei, aber nur
um geschmeichelt und gefüttert zu werden. Auch begleitet sie ih-
ren Herrn keineswegs wie der Hund, sondern streicht nur im
Hause, auf den Dächern oder im Felde umher, um Vögel und
Mäuse zu suchen, oder mit ihres Gleichen zu spielen, was aber
in der Regel mit Tatzengeben endigt. Mit den Hunden lebt sie
in geschworener Feindschaft, macht einen Buckel, sobald sie einen
erblickt, faucht und schlägt ihm mir den Klauen in die Augen,
daß er sich zurückzieht, so groß er auch sein mag. Für ihre 3
bis 12 Jungen hat die Mutter eine große Liebe, wagt Leib und
Leben für sie und trägt sie aus einem Winkel in den andern,
um sie vor Nachstellungen, besonders des blutdürstigen Katers,
zu sichern. Die Katzen sind reinlich, putzen sich gern und können
ein Alter von 18 Jahren erreichen. Ihr Balg wird zu Pelzwerk
benutzt, und aus ihren Därmen macht man Violinsaiten. Den
größten Nutzen gewährt sie uns jedoch im Leben als Ratten-
und Mäusejäger. Durch ihre unüberwindliche Naschhaftigkeit
wird sie aber sehr lästig. Wenn sie auch nicht so gelehrig ist
wie der Pudel, so lernt sie doch die Kaffeelrommel drehen, ein
Eimerchen aus dem Brunnen ziehen, schmieden, trommeln k.
Zuweilen verwildert sie wieder und kann auch toll werden.
2. Der Luchs lebt im nördlichen Europa und Asien, wo ec
auf Bäumen oder in Gebüschen auf seine Beute lauert, den Hir-
schen, Rehen und andern Thieren in den Nacken springt und
ihnen das Blut aussaugt. Seinen schönen, braunen und schwarz
gefleckten Pelz benutzen die Kürschner.
3. Der Löwe sHdb. I. §• 20. D. a. — Kdrfr. I. Nr. 29.
47. 119. Kdrfr. II Nr. 137.).
4. Der Tiger ist so groß, oder noch größer, als der Löwe,
hat ein braungelbes, in die Quere schwarz gestreiftes Fell und
einen langen Schwanz ohne Quaste. Er lebt nur im heißen Asien
*) Die Wurzel vom gebräuchlichen Baldrian riecht stark wie Katzenurin.
13
und tobtet Menschen und Thiere, oft sogar zur Lust, was der
Löwe nie thut.
5. Der Panther oder Parder mit kleineren, und
6. Der Leopard mit großen schwarzen Flecken auf einem
braungelben Pelze, leben beide in Afrika.
8- 6.
b. Kuude.
Die hundeartigen Zehenganger haben einen zugespitzten
Kopf, eine gestreckte Schnauze und eine glatte Zunge. Die obere
Kinnlade zählt jederseitö 6, die untere 7 Backenzähne. Die
Vorderfüße sind 5-, die Hinterfüße 4zehig und die Klauen nicht
zurückziehbar.
I. Der gemeine Hund hat gar mannichfaltige Gaben vom
Schöpfer erhalten. Er ist das einzige Thier, welches seil den
ältesten Zeiten so abhängig vom Menschen dasteht, daß es ohne
denselben kaum leben kann. Nicht leicht dürften wir aber auch
von einem andern Thiere so große und verschiedenartige Vortheile
ziehen, als von ihm. Wie er bei uns dem Jäger unverdrossen
folgt und, obgleichl an eine Kette gelegt, Haus und Hof treu
bewacht, so zieht er wieder in Kamtschatka ruhig den Schlitten,
bei uns den Milchwagen, und läßt sich auch auf den Südsee«
Inseln, wo ec ordentlich gemästet wird, zur Schlachtbank führen.
Die Kamtschadalen umhüllen sich sogar mit seinem nicht gerade
sonderlichen Pelze, aus dem man bei uns Stiefel für Gichtkranke
macht. Genügsam, wie er ist, nimmt er gern mit denjenigen
Speisen vorlieb, welche der Mensch ihm vorsetzt, und dankbar
begleitet er ihn nach allen Gegenden der Erde, ausdauernder als
irgend ein anderes Thier. Anstatt zu grollen oder zu trotzen,
leckt er die Hand, welche ihn geschlagen; anstatt noch weiter
seitwärts abzugehen, kommt er selbst nach der härtesten Züchti-
gung zu seinem Gebieter, wenn dieser ihn ruft, zurück, springt
an ihm hinauf, wedelt fortwährend mit dem Schwänze und weiß
zuletzt kaum mehr, wie er seine Freude ausdrücken soll. Nur
beim Fressen und in der Sklaverei zeigt er sich boshaft. Die
Treue des Hundes gegen seinen Herrn ist wirklich rührend; er
folgt diesem überall nach, wenn es ihm nur gestattet ist, und
vertheidigt ihn mit seinem eigenen Leben. Ist er von seinem
Herrn getrennt worden, so erkennt er ihn nach Jahren noch und
empfängt ihn beim Wiedersehen mit einer Freude und einer Liebe,
wie kaum ein Kind seinen Vater. Auch ist er sehr eifersüchtig
auf die Liebe seines Herrn; denn wenn dieser einen andern Hund
streichelt, so kommt er gleich heran, sucht den andern Hund zu
verdrängen, und gelingt ihm dieses nicht, so wird er böse oder
traurig. Er begreift, besonders wenn er abgerichtet ist, sehr leicht
den Willen seines- Herrn und führt ihn aufs pünktlichste aus;
14
Eins nur thut er nicht gern: zurückbleiben, wenn sein Herr aus-
geht. Die Feinheit seines Geruches ist in der That bewunderns-
werth; meilenweit spürt er oft seinem verlorenen Herrn nach,
bis er ihn findet. In der Schweiz sucht er die im Schnee Ver-
unglückten auf, damit sie gerettet werden können. Ueberhaupt
läßt er sich zu vielen Kunststücken abrichten. Merkwürdig ist,
daß seine Haut das Schwitzen nicht zuläßt, und das ist von dem
Schöpfer sehr weise eingerichtet; denn da er seiner Bestimmung
nach oft anhaltend laufen und dabei häufig ins Wasser muß, so
schadet ihm bei dieser seiner Einrichtung die schnelle Abwechselung
der Kälte und Wärme nicht so leicht. Auch hat die Natur da-
für gesorgt, daß er bei einer großen Erhitzung sich nicht durch
schnelles Saufen innerlich erkälte; denn er kann nur leckend trin-
ken. Zu bedauern ist es, daß ein so ausgezeichnet nützliches Thier
durch Mangel an Wasser, allzu große Hitze oder Kälte rc. nicht
selten in eine Krankheit verfällt, die Alles ansteckt, was von ihm
begeifert, gebissen oder auch nur angerührt wird, nämlich in die
Tollwuth. Hunde, welche traurig aussehen, die Eßlust verlie-
ren, triefende Augen bekommen, ihren Herren verkennen, den
Schwanz zwischen die Beine ziehen rc. sind ihr bereits anheimge-
fallen und müssen augenblicklich getödtet werden sKdrfr. I. Anh.
XI. 7). Alle Hundearten hier aufzuführen und ihre Kennzeichen
anzugeben, ist rein unmöglich sHdb. I §. 9. D. a, Kdrfr. I. Nr.
23. 60. 64. 77. 91. 108. Hdb. li. S. 97.).
2. Der Fuchs sHdb. I. §.48. 0. a. Kdrfr. I. Nr. 80 ).
3. Der Wolf sHdb. I. tz. 57. ». ». Kdrfr. l. Nr. 131.
Kdrfr. ll. Nr. 99. d.).
4 Der Schakal oder Goldwolf im heißen Afrika und
Asien beträgt sich, besonders zahm, wie ein Hund.
5. Die Hyäne, ebendaselbst, ist von der Größe des Wolfes,
grau mit braunen Querstreifen, hat auf dem Rücken eine dun-
kelbraune Borstenmähne, 4zehlge Füße und greift vorzüglich in
der Nacht Viehheerden an, scharrt Leichen aus, frißt aber auch
wohl Wurzeln.
§. 7.
e. Wiesel oder Marder und d. Ottern.
c. Die Marder- oder Wiefelarteu haben einen schlanken
Leib, einen kleinen und platten Kopf, kleine Ohren und kurze
Beine mit 5zehigen, spitzen, wenig einziehbaren Klauen, in der
oberen Kinnlade Ospitzige, abgesonderte Vorderzähne und jederseits
4 Backenzähne, in der unteren 6 stumpfe, dicht an einanver ste-
hende Vorderzähne, unter denen 2 einwärts gekehrte, und 5 Bak-
kenzähne. Der Aufenthalt dieser Thiere ist im Trocknen, ihre
Wohnung in Höhlen und alten Gemäuern, ihre Nahrung fri-
sches Fleisch, Eier und Obst. Sie gehen nur Nachts aus, haben
15
einen hüpfenden Gang, klettern gut und schlüpfen durch enge
Löcher.
1. Das gem. Wiesel in ganz Europa, im gemäßigten Asien,
Nordafrika und Nordamerika ist im Sommer rothbraun, im
Winter weiß, kleiner als ein Eichhörnchen, lebt in der Nähe der
Wohnungen, in Steinhaufen rc., frißt Eier, junge Hühner, Sper-
linge, Ratten, Mäuse und richtet besonders in Taubenschlägen
großen Schaden an.
2. Der Iltis im mittleren und wärmeren Europa und Asien,
kaum so groß wie eine Katze, hat weiße Flecken an Schnauze und
Ohren. Er lebt in alten Gebäuden und hohlen Bäumen, frißt
Ratten und Mäuse, Kaninchen, würgt auch Federvieh, doch nicht
so arg als der Steinmarder. Sein Pelz ist dunkelbraun, an
den Seiten ins Gelbe fallend und wird des üblen Geruches we-
gen wenig geschätzt.
8. Der Steinmarder ist etwas kleiner als der Iltis, hat
aber gleiches Vaterland mit ihm. Er ist braun, hin und wieder
ins Graue fallend, hat eine weiße Kehle, wohnt in Städten und
Dörfern, namentlich in alten Gebäuden, Ställen, Steinhaufen,
frißt Ratten, Mäuse, Maulwürfe, saugt Eier aus und würgt in
Hühner- und Taubenhäusern, bis nichts mehr lebt. Man benutzt
seinen Pelz.
4. Der Baum- oder Edelmarder ist etwas größer und
unterscheidet sich von dem vorigen durch seinen feineren Pelz und
seine gelbe Kehle. Er wohnt in hohlen Waldbäumen der ganzen
nördlichen Erde und lebt von Eichhörnchen, Waldmäusen, Vö-
geln rc. Sein schöner Pelz wird theuer bezahlt.
5. Das Hermelin in Lappland und Sibirien ist, die schwarze
Schwanzspitze ausgenommen, ganz weiß und liefert einen kostbar
ren Pelz, der ehemals nur von Fürsten getragen wurde.
6. Der Zobel, von der Größe des Steinmarders, hat einen
braunen, feinen Pelz, der oft mit 80 bis >00 Thalern bezahlt
wird, und lebt in Sibirien in dichten Waldungen von Wieseln,
Eiern, Hasen rc.
7. Das Frettchen riecht stark nach Bisam und wird in
Deutschland zur Kaninchenjagd, in Frankreich zum Ausnehmen
der Vogelnester abgerichtet. Um mittelst des Frettchens Kaninchen
zu fangen, bedeckt man alle Oeffnungen des Hügels, der von
Kaninchen bewohnt wird, mit kleinen Netzen und schickt dann das
Frettchen, mit einer Schelle um den Hals versehen, hinein. So-
bald die Kaninchen das Frettchen wittern, kommen sie zu allen
Ausgängen herausgestürzt, fahren in die Netze, rollen mit diesen
den Hügel hinab und sind gefangen.
8. Das Ichneumon oder die Pharao'sratte, bekannt durch
bú Verehrung, welche ihm die alten Aegypter erwiesen, sucht die
Krokodilrier auf und verzehrt sie.
16
9. Die Zibethkatze, von der wir den stark riechenden, aber
krampfstillenden Zibeth erhalten, lebt in Syrien, Arabien und
Ostindien, eine Art auch in Afrika.
>0. Das Stinkthier in Amerika hat zwischen den Hinter-
füßen eine Drüse, aus der es seinen Verfolgern einen entsetzlich
stinkenden Saft entgegenspritzt.
6. Die Ottern haben einen langgestreckten Leib, sehr kurze
Schwimmfüße, einen etwas breitgedrückten Schwanz und in bei-
den Kinnladen jederseits 5 Backenzähne.
1. Die gem. Fischotter oder Flußotter ist etwa so groß
wie ein mittelmäßiger Spitzhund, auf dem Rücken dunkelbraun,
am Bauche weiß. Sie lebt in den milderen Gegenden der nörd-
lichen Erde in Höhlen am Ufer der Flüsse und nährt sich von
Fischen, Krebsen, Fröschen u. dgl. Ihr Fleisch ist eßbar, und da-
Fell wird theuer bezahlt.
2. Die Meerotter, größer als die vorige, an den MeereS-
ufern der Westküste Amerikas und Ostküste Asien's zu Hause,
zeichnet sich durch ihre eheliche und mütterliche Liebe aus ' Ein
einziges großes, schwarzes, glänzendes Fell soll an 150 Thlr. kosten.
§- 8.
B. Sohlengänger oder Daren.
Die Sohlengänger oder Bären sind plumpe, stark behaarte
Thiere, treten mit der ganzen ñzehigen Fußsohle auf, wohnen meist
im Trocknen, nähren sich von Fleisch und Pflanzenkost, haben in
jeder Kinnlade 6 Vorderzähne und lange, kegelförmige, einzeln
stehende Eckzähne.
1. Der braune Bär wird 4 bis 6' lang, halb so hoch, hat
einen zottigen Pelz und bewohnt die hohen Gebirge und großen
Wälder Europa's und Asien's, kann auf den Hinterfüßen gehen,
aut klettern und schwimmen, lebt von Insekten, Gewürmen,
Baum- und Erdfrüchten, vom Fleische der Rinder, Pferde, Hirsche,
Rehe rc. und leckt gern Honig Jung eingefangen, läßt er sich
zähmen und zu allerlei Kunststücken abrichten. Das Bärenfleifch
wird gegessen, das Fett besitzt Heilkräfte, und der Pelz wird zu
Pferdedecken, Mützen, Muffen rc. benutzt lKdrfr. ll. Nr. 99. o.).
2. Der Eisbär wird 8 bis 12' lang und oft über 1509
Pfund schwer, lebt um den Nordpol von Fischen, Seehunden,
Vögeln und Eiern und fällt in deren Ermangelung auch wohl
Menschen an. Sein weißer, glänzender Pelz wird benutzt, und
sein Fleisch gegessen.
3. Der Vielfraß im nördlichen Europa, Asien und Ame-
rika. hat die Größe und das Ansehen unseres Dachses und frißt
Fleisch, Fische, Mäuse und Beeren, aber nicht mehr als ein
Hund. Sein Pelz ist schwarzbraun, glänzeud, sanft wie Seide
und sehr kostbar.
17
4. Der Dachs im gemäßigten Europa und Asien wird un-
gefähr 2' lang, ziemlich dick, vorn niedriger als hinten, ist der
Hauptfarbe nach braun und hat zwei schwarze Streifen am Kopfe.
Er ist ein träges und lichtscheues Thier, lebt in tiefen Bauen
unter der Erde, jagt Nachts nach kleinen Thieren, Vögeln und
Fröschen, lebt aber auch von Wurzeln, den Früchten der Wald-
bäume und im Winterschlafe von seinem eigenen Fette, das Heil-
kräfte hat. Sein Haar benutzt man zu groben Pinseln und sei-
nen wasserdichten Pelz zu Kofferbeschlägen und Jagdtaschen.
5. Der Waschbar im nördlichen Amerika gleicht ziemlich
dem eigentlichen Baren, ist aber kleiner. Seinen Namen hat er
davon, daß er seinen Fraß, der in Fleisch, Eiern und Früchten
besteht, vor dem Genusse ins Wasser taucht.
8- 9.
* C. Robben oder Ruderthiere.
Die Robben oder Ruderthiere sind meistens sehr große,
plumpe und mit Haaren besetzte Thiere, welche in allen Meeren
leben tznd sich meist von Fischen nähren. Die Hinterfüße liegen
am Ende des langgestreckten Körpers und sind zuweilen mit dem
Schwänze gänzlich vereinigt; die Vorderfüße besitzen noch Nägel
und weichen überhaupt nur wenig von den Füßen anderer Thiere
ab. Wie die Bildung der Füße zeigt auch der Bau der übrigen
Theile, daß die Robben bestimmt sind, vorzugsweise im Wasser
zu wohnen. Das Auge ist z. B. so eingerichtet, daß sie mit dem-
selben im Wasser wie in der Luft sehen können, auch fehlt ihnen
wie den Fischen beinahe durchgängig das äußere Ohr; die kleine
Gehöröffnung können sie fast alle durch eine dünne Haut gegen
das Eindringen des Wassers verschließen. Das Gebiß der Rob-
ben gleicht dem der übrigen Naubthiere. Die Eckzähne sind ver-
längert, die Seitenzähne meist scharf und zackig, und auf jeder
Seite stehen 3 Schneidezähne.
1. Der Seehund, beinahe mannslang, grau, in den nörd-
lichen Meeren, auch in der Nord- und Ostsee lebend, frißt Fische
und Schalthiere. Man genießt das Fleisch, benutzt das kurzhaa-
rige Fell häufig zu Kofferbeschlägen und macht aus dem Specke
Thran.
2. Der Seelöwe, ein starkes, an 5 Klafter langes Thier
von rothbrauner Farbe, wie gewöhnlich unsere Kühe, und mit
einer starken Nackenmähne, lebt im stillen Meere, an der West-
küste Amerika's, bei Patagonien rc. von Fischen und Seehunden,
hat eßbares Fleisch und guten Speck.
3. Der Seebär mit einem Bärenkopfe und dichtbehaartem
Felle findet sich bei Kamtschatka und zieht im Sommer nördlich.
4. Das Wallroß auf dem Treibeise des Nordpols, wird
12 bis 18' lang, übertrifft an Umfang den stärksten Ochsen und
Pechner, Handb. 3. Theil. 2
18
wird wohl 10 Ctr. schwer. Die dicke Haut ist mit steifen Haa-
ren besetzt. Die beiden Eckzähne, welche aus dem Munde her-
vorragen, sind 12 bis 20" lang, werden höher als Elfenbein ge-
schätzt und dienen dem Thiere nicht bloß als Vertheidigungswaffe,
sondern helfen ihm auch auf dem Eise trefflich fort, indem es
dieselben in dieses einschlägt und dann den plumpen Körper nach-
zieht- Aus seinem Specke siedet man Thran, und das Fell lie-
fert unverwüstliches Leder.
5. Die Seekuh, von den handförmigen Flossen auch Ma-
nati (von manu«, die Hand) genannt, hält sich an den Mün-
dungen der Flüsse in Asien, Afrika und Amerika auf und wird
oft an 8000 Pfd. schwer. Ihr Fleisch ist wohlschmeckend; der
Speck wird zu Thran gesotten, und das Fell zu Riemen benutzt.
Diese Thiere haben wahrscheinlich Veranlassung zu der Sage
von den Seejungfern gegeben.
tz. ro.
l). «Maulwürfe oder Wühlthiere.
Die Maulwürfe oder Wühlthiere sind meist kleine Thiere
mit kurzen, 5zehigen, zum Graben eingerichteten Füßen und rüs-
selartig vorgestrecktem Kopfe. Die Zahl der Vorderzähne in je-
der Kinnlade wechselt von 2 bis 0, und die Eckzähne sind zum
Theil kürzer als die übrigen. Sie leben in Erdlöchern und näh-
ren sich von Insekten und Würmern.
1. Der Maulwurf wird höchstens 5" lang, der Schwanz
nur 1". Der Leib ist überall gleich dick, mit einem feinen, schwar-
zen Pelze bekleidet; es giebt aber auch weiße, graue, gelbe und
gescheckte. Die Augen erreichen kaum die Größe eines Mohn-
körnchens und liegen zwischen den Haaren ganz versteckt. Die
Ohren sind ausgezeichnet gut, obgleich ihnen die Läppchen fast
gänzlich fehlen. Die Vorderfüße erscheinen verhältnißmäßig groß,
stark und mit scharfen Klauen bewaffnet. Nur mittelst derselben
wird es ihm möglich, in trockenem Boden, besonders in Gärten
und auf Wiesen, zu graben und sich Baue anzulegen, deren zahl-
reiche Gänge im Sommer zwar kaum 6", allein im Winter wohl
5' tief unter der Erde fortlaufen. Die eigentliche Wohn- und
Schlafstube hat zuweilen 12" im Durchmesser und ist mit Moos,
Laub, trockenem Grase und zarten Würzelchen künstlich austape-
ziert. Das Tageslicht zu schauen, macht diesen unterirdischen
Bewohnern kein Vergnügen; aber während der Paarungszeit
springen sie zuweilen auf der Oberfläche umher. Im Sommer
werfen sie in einem höher aufgewühlten Erdhaufen 4 bis 3 nackte
und blinde Junge. Es sind übrigens sehr bissige Thiere, die
keinen andern Maulwurf in ihrer Nachbarschaft leiden und mit
jedem, den sie antreffen, sich so lange herumbeißen, bis einer flieht
oder sich verblutet. Meistens gehen beide dabei zu Gründe, in-
19
dem sie sich die Kiefer entzweibeißen (Kdrfr. I. Nr. 198.). Die
schönen sammetartigen Felle werden zu Pelzwerk benutzt, und die
Haare geben feine Hüte.
2. Die Spitzmaus lebt in ganz Europa und im nördlichen
Asien in Waldungen, Feldern und Häusern. Sie ist etwas klei-
ner und schlanker als die Hausmaus, hat einen Schwanz, der
halb so lang ist als der Leib, und sieht am Oberleibe gewöhnlich
röthlichbraun, am Unterleibe fast immer gelblichweiß aus. Die
Spitzmäuse lassen einen Hellen, pfeifenden und zwitschernden Ton
von sich hören und haben einen besonderen Bisam- oder Knob-
lauchsgeruch an sich, weshalb die Katzen sie zwar todtbeißen, aber
nicht fressen. Sie leben von Getreide, Mehl, Brot, Fleisch, Fet-
tigkeiten, Regenwürmern, Insekten rc. und sind den Scheunen,
Kornböden, Mehlkasten, Fleischkammern, Weinstöcken, Frucht-
und Waldbäumen schädlich; aber giftig, wie man hin und wieder
behauptet hat, sind sie nicht. — Die Wasserspitzmaus ist et-
was größer und hat mit Schwimmhaaren versehene Zehen. —
Die Zwergspitzmaus in Sibirien ist das allerkleinfte unter
den Säugelhieren, denn sie ist nur 2" lang und wiegt kaum 1
Ouentchen.
3. Der Igel ist etwas kleiner als das Kaninchen und ganz
mit iy2" langen, gelbgrauen, schwarzgeringelten Stacheln bedeckt.
Nur das Gesicht, der Bauch und die Füße haben borstenartige
Haare statt der Stacheln. Er lebt in der alten Welt auf Ge-
treidefeldern, in Hecken und Gebüschen, verbirgt sich bei Tage
unter Laub, in Baumhöhlen und Erdlöchern und geht während
der Nacht, besonders wenn ihm der Mond schön leuchtet, nach
Obst und Weintrauben, allerlei Wurzeln und Insekten aus.
Noch lieber jagt er wie die Katze Mäuse und Maulwürfe und
frißt wie der Storch Frösche, Kröten und Schlangen. Ist er so
glücklich gewesen, eine Kröte zu erbeuten, so wischt er sich erst
das Maul ab, ehe er sie verzehrt. Vielleicht behagt seiner Zunge
der scharfe Saft nicht. Um aus einmal eine Menge Aepfel und
Birnen fortzutragen, wälzt er sich über sie hin und spießt sie
dadurch an seine Stacheln. Seinen Feinden zu entfliehen, ist
dem sanften, furchtsamen Thiere unmöglich: es kugelt sich daher
sogleich, wenn es Gefahr wittert, zusammen und bemüht sich,
jeden Angriff durch seine Stacheln abzuhalten. Sehr ergötzlich
ist es für einen Jäger, wenn sein Hund eine solche lebendige
Kugel findet. Bellend meldet sie derselbe sogleich an und ver-
sucht hierauf, bald ihr mit dem Gebisse beizukommen, bald sie
mit den Vorderfüßen umzuwenden. Aergerlich, überall von den
Stacheln zurückgewiesen zu werden, giebt er sich endlich Mühe,
sie zu verscharren, und verläßt sie. Listiger zeigt sich bei dieser
Gelegenheit der Fuchs, indem er seinen Urin auf den Igel läßt,
worauf dieser sich aus einander rollt und nun von dem räuberi-
schen Schalke verzehrt wird. Den Winter verschläft er unter
2*
20
Baumwurzeln, oder auch in einem meist selbst gegrabenen und
stets gar weich gepolsterten Loche. Hier bekommt auch im Juli
das Weibchen 4 bis 8 weiße Junge ohne Stacheln. Sein Fleisch
ist im Herbste wohlschmeckend, und die Haut benutzt man als
eine Art Flachshechel. Gewöhnlich schlagen ihn die Leute aus
reinem Muthwillen todt, während er doch als ein nützliches Thier
geschont werden sollte, indem er vieles Ungeziefer wegfrißt.
§• 11.
4. Ordnung. Deutelthiere.
(Kdrft. l. S. 29-1.)
Die Beutelthiere haben ihren Namen von dem häutigen
Sacke oder Beutel am Unterleibe des Weibchens, in welchem die
früh geborenen Jungen ihre Reife erhalten, und der jederseitS
mittelst einer Hautfalte geschlossen werden kann. In diesem
Beutel werden die Jungen gesäugt, und in ihn flüchten sie auch
bei Gefahren. Das Gebiß ist verschieden gebildet-
Ungeachtet sich bei den Beutelthieren viel Affenähnlichkeit
findet — die meisten haben z B. an den Hinterfüßen eine deut-
liche Hand— so stehen sie doch auch wieder der Grenze zwischen
Vögeln und Säugethieren sehr genähert. Zwar legen sie keine
Eier; allein ihre Jungen sind, wenn sie geboren werden, noch
ohne alle Spur der äußeren Gliedmaßen und daher jeder Fortbe-
wegung eben so unfähig, als die Eier des Vogels. Auch bleiben
sie einige Wochen lang an den Zitzen im Beutel unverrückt han-
gen. Sind sie groß genug, diesen Aufenthalt verlassen zu kön-
nen, so laufen sie zwar zuweilen munter umher, kehren aber noch
lange Zeit in denselben zurück, um zu trinken, auszuruhen oder
zu schlafen. Die Mutter nimmt sie dann jedesmal sehr liebreich
auf und vertheidigt sie nöthigen Falles gegen alle ihnen nachstel-
lende Feinde aufs beste.
Gegenwärtig leben die Beutelthiere fast nur in Amerika und
auf Neuholland; allein früher gab es deren auch in Europa, wie
die versteinerten Knochen beweisen, welche man in Frankreich und
England findet-
1. Das Känguruh oder der Springhase ist etwas größer
als ein Schaf, oben graubraun, unten weiß, hat sehr kurze Vor-
der- und lange Hinterfüße, lebt auf Neuholland und frißt nur
Pflanzen.
2. Das Opossunr ist etwa so groß wie eine Katze, grau-
schwarz und hat einen kahlen Wickelschwanz, mit dem es sich an
Baumäste hängt. Es lebt in Nordamerika von Eiern, kleinen
Vögeln und Baumfrüchten.
3. Der Philander, die Busch- oder Aeneasratte lebt in
Südamerika und hat keinen Beutel, sondern nur eine Falte. Bei
Sî
Gefahren legt das Weibchen ihren Schwanz auf den Rücken, die
Jungen steigen auf dasselbe, wickeln ihre Schwänzchen um den
Schwanz der Mutter und werden so von ihr fortgetragen, wie
Arneas seinen Vater aus dem brennenden Troja trug.
4. Die Beutelratte bewohnt Brasilien und Cayenne, er-
reicht die Größe einer Katze und ist mit einem gelblichbraunen
Felle geschmückt. Während der Nacht schläft sie ruhig in einsa-
men Wäldern und Gebüschen.
§. 12.
5. Ordnung. Nagethiere.
(Kdrfr. I. S. 204.)
Die Nagethiere haben, den Biber ausgenommen, freie
Zehen, in jeder Kinnlade zwei, höchst selten, und auch dann nur
in der obern, vier verhältnißmäßig lange, scharfe, keilförmige Vor-
derzähne; die Eckzähne fehlen stets. Die Hinterfüße, auf denen
fast alle Nager so gern ruhen, sind bei den meisten länger als
die Vorderfüße. Die Unterlippe ist zurückgezogen, so daß die
Vorderzähne zu sehen sind, und der Unterkiefer kann wie ein
Schnabel nur von unten nach oben bewegt werden.
I. Der Hase wird seines Fleisches und Felles wegen allge-
mein geschätzt und macht sich nur dadurch lästig, daß er die Obst-
bäumchen benagt. Seine Länge beträgt \1/2 bis 2', die Höhe
0 bis 10". Die Ohren (Löffel) sind länger als der Kopf; der
Schwanz (Blume) ist kurz; die hinteren Füße (Sprünge) über-
treffen die vorderen (Laufte) so bedeutend an Länge, daß jene
beim Gehen von den Knieen bis zur Ferse die Erde berühren.
Bergan zu laufen, ist ihm daher wohl eine Lust; allein auch
bergab zu traben, wobei er nicht selten einen Burzelmann nach
dem andern macht, will ihm, besonders wenn er von einem Hunde
verfolgt wird, nimmer gefallen. Sein Körper ist überall dicht
behaart, auf dem Rücken und an der Brust braungrau, am
Bauche weiß und an den Ohrenspitzen und dem Schwänze schwarz
gefärbt. Der männliche Hase heißt bei den Jägern Rammler,
der weibliche Setzhase. Er ist durch die ganze alte Welt ver-
breitet, wo seine liebsten Aufenthaltsörter bewachsene Getreide-
furchen und niedrige Anhöhen sind. Obgleich ihn schon das
Rauschen eines Blattes in die höchste Furcht versetzen kann
(Kdrfr. 1. Nr. 29), so begiebt er sich doch zuweilen, um seinen
Hunger zu stillen, in große Gefahr, lernt in der Gefangenschaft
trommeln und sogar eine kleine Kanone abschießen. Die junge
Saat und andere Kräuter sind seine Frühlings-, Getreidekörner
seine Sommer-, Kohl und die Rinde junger Bäume leider gar
nicht selten seine Winterspeise. Keine Zeit des Jahres weiß er
übrigens mehr zu schätzen, als die vom März bis in den August,
22
die wenigen Monate, wo das schreckliche Rohr des WaidmanneS
ihn nicht verfolgen und die Häsin (Kdrfr-1. Nr. 152) zu drei
oder vier wiederholten Malen ihre Jungen ungestört absetzen kann.
Der erste Satz erfolgt im März, der zweite im Mai, der dritte
im Juli, und der vierte, welcher jedoch gewöhnlich ausbleibt, im
September. Von den 4 bis 5 Häschen jedes Wurfes kommen
fast immer nur 3 fort. Damit der wehrlose Hase den Raub-
thieren nicht so leicht während seines Schlafes zur Beute werde,
verlieh ihm der Schöpfer die besondere Art von List, viele Um-
wege und kleine Seitensprünge zu machen, bevor er sich vermit-
telst eines Riesensprunges in sein Lager wirft. Sein Alter bringt
er höchstens auf 10 Jahre.
2. Das Kaninchen hat einen kleineren Körper, auch kür-
zere Ohren und Hinterfüße als der gem. Hase, ist im wilden
Zustande auf dem Bauche weißlich, an den Seiten und auf dem
Rücken gelblichgrau gefärbt. Seine ursprüngliche Heimath sind
die gemäßigten und warmen Länder der alten Welt. Um nicht
in Gefahr zu gerathen, verläßt das äußerst furchtsame Thier nur
gegen Abend seine Höhle, die es in sandigem Boden vermittelst
der scharfen Nägel seiner Vorderfüße gegraben hat. Seinen
Hunger stillt es durch Klee, Kohl, Getreide, Baumknospen, über-
haupt durch alles, was der Hase genießt. Es ist daher nicht
minder schädlich als dieser und kann bei seiner starken Vermeh-
rung, indem es zu 4 bis 7 wiederholten Malen des Jahres je-
desmal 6 bis 8 blinde Junge wirft, sogar zu einer Landplage
werden. Das zahme Kaninchen hat fast alle Farben angenom-
men; es ist ferner so kirr, daß es aus der Hand seiner Verpfle-
ger frißt und nur dann, wenn es gereizt wird, kratzt und beißt.
Es in Viehställe einzusperren, ist nicht rälhlich, weil cs dieselben
untergräbt, wenn sie nicht ausgemauert und mit Stroh und fest-
gestampfter Erde ausgefüllt sind. Das Fleisch wird gegessen und
der Pelz zu Unterfutter benutzt.
3. Das Eichhörnchen wird 9" lang, noch länger der zot-
tige, sehr zierliche Schwanz, den es beim Laufen gerade ausstreckt,
beim Sitzen aber über den Rücken legt. Den Mund schmückt
ein fünffacher Schnurrbart, die Ohren ein H/*" langer Haarbü-
schel. In der Jugend ist sein Pelz den größten Theil des Jah-
res hindurch braun oder fuchsroth, im Alter und zur Winterszeit
aber grau. An der Kehle und auf dem Bauche befindet sich ein
ziemlich breiter, weißlicher Streifen. Dem feinen Gefühle, das
nebst dem scharfen Gesichte und Gerüche am meisten ausgebildet
ist, verdankt das Eichhörnchen die Gabe, einen Sturm, oder ein
heftiges Ungewitter 12 bis 24 Stunden vorher zu verkündigen.
Letzteres zeigen sie durch ein gänzliches Verschließen ihres Nestes
an; ersteren verrathen sie durch Pfeifen und Klatschen und au-
ßerdem noch durch eine gänzliche Verstopfung derjenigen Seite,
woher er kommen soll. Das Vaterland des Eichhörnchens ist
23
ganz Europa und die gemäßigten Theile Asien's und Amerk-
ka's. Hier wohnen sie in Gebüschen und Wäldern, kiettern mit
großer Behendigkeit und springen auch wohl, wobei ihnen na-
mentlich der einer Schwungfeder ähnliche Schwanz zu Hülfe
kommt, 13' weit von einem Baume zum andern. Ihre Nah-
rung ist sehr verschieden; für gewöhnlich nehmen sie mit den
Knospen, Samen und den Kernfrüchten der Bäume vorlieb. Mit-
telst der beiden Schneidezähne im Unterkiefer, welche im lebenden
Zustande beweglich sind, holen sie das Innere der harten Eicheln
und Nüsse mit großer Geschicklichkeit heraus. Wir sehen es ih-
nen dabei ordentlich an, wie gut ihnen diese Feiertagsspeise
schmeckt. Der Genuß bitterer Mandeln, der Pfirsichen- und
Äprikosenkerne tobtet sie. Ueberhaupt stirbt es in der Gefangen-
schaft wohl 3 Jahre früher, nämlich schon im fünften oder sechs-
ten Jahre. Am meisten regt sich im Frühlinge bei ihm der Trieb
nach Freiheit, wenn es sich paaren will. Dann ist es zuweilen
so böse, daß es selbst seinem Verpfleger in den Finger beißt.
Ihre Nester, deren jedes Paar fast immer 4 fyat, und von denen
2, als die Hauptwohnungen, besonders groß sind, bauen die Eich-
hörnchen auf Astgabeln aus Reisern, Moos und Laub, versehen
sie mit 2 Oeffnungen und einer Haube, bleiben bei strenger
Kälte, bei Regen und Stürmen ruhig in ihnen liegen und be-
nutzen sie auch wohl als Vorrathskammern für den Winter.
Wie sie während der Paarungszeit, da des Lärmens und Zan-
kens kein Ende ist, pfeifen, so klatschen sie bei Freude und Furcht,
knurren und zischen sie, wenn sie gereizt werden oder sonst in
Zorn gerathen. Will man sie zähmen, so nehme man sie jung
aus dem Neste, füttere sie anfangs mit Milch und Weißbrot,
später mit allerlei Samenkörnchen. Leider versuchen sie ihre Na-
gekunft auch an Möbeln, Schuhwerk rc. Außerdem, daß uns
die Eichkätzchen ihrer Possierlichkeit wegen ergötzen, nützen sie uns
auch durch ihr Fell, das wir als Pelzwerk, und durch ihre lan-
gen Schwanzhaare, die wir zur Verfertigung der Malerpinsel
gebrauchen.
4. Das Meerschweinchen, 8 bis 9" lang, ist aus Brasi-
lien zu uns gekommen, grunzt wie ein Ferkelchen und hat davon
seinen Namen erhalten. An Lebensart und Gestalt gleicht eS
dem Kaninchen. Gewöhnlich sieht es röthlichgelb, oder weiß und
schwarz gefleckt aus, ist munter, setzt sich auf die Hinterbeine,
horcht, sieht sich neugierig um, streichelt und putzt sich mit den
Vorderfüßen den Kopf und läuft schnell an den Wänden einher.
Der Schwanz fehlt. Seine Nahrung, die in allerlei Kräutern
und Früchten besteht, sucht es sich bloß bei Nacht und verzehrt
sie, wie manche andere Nager, in aufrechter Stellung. Es trinkt
wenig, ist sanftmüthig, zärtlich und furchtsam, sehr empfindlich
gegen die Kälte. Männchen und Weibchen sollen immer abwech-
selnd schlafen, so daß eins dem andern zur Schildwache dient.
24
Das Weibchen wirft alle 6 bis 8 Wochen 4 bis 7 Junge, die
fehend und behaart zur Welt kommen und schon nach 12 Stun-
den herumlaufen. In Brasilien ißt man ihr Fleisch; bei uns
haben sie gar keinen Nutzen.
5. Das Stachelschwein in Asien, Afrika und Südeuropa
wohnt unter der Erde und nährt sich von Wurzeln und Früch-
ten. Bei Gefahr rollt es sich wie eine Kugel zusammen. Sein
Fleisch wird gegessen, und seine Stacheln dienen zu Zierrathen,
Zahnstochern und Pinselstielen.
6. Der Biber, so groß wie ein Dachshund, etwa 60 Pfd.
schwer, lebt in Deutschland an Flüssen und See'n, in Nord-
amerika aber in 3 Stockwerke hohen Gebäuden, welche die Bi-
ber selbst aufgeführt haben. Sein glänzendes, kastanienbraunes
Fell giebt ein kostbares Pelzwerk, und aus seinen Haaren macht
man feine Tücher und Hüte (Castorhüte). Das Fleisch ist eßbar,
besonders der ungemein fette, mit Schuppen bedeckte Schwanz,
den er beim Bauen als Mauerkelle gebraucht. Auch erhält man
aus 2 Drüsen zwischen den Hinterschenkeln das Bibergeil, ein
krampfstillendes Arzneimittel.
7. Der Hamster, etwa so lang wie die Hausratte, aber
dicker und plumper, ein sehr beißiges und unverträgliches Thier
in Deutschland s nicht in Preußen), Polen, Ungarn, Rußland,
lebt von Getreide, welches er in seinen Backentaschen in seinen
künstlichen Bau trägt, wo er die Keime abbeißt, damit es nicht
auswachse. Man benutzt von ihm Fleisch und Pelz.
8. Das Murmelthier lebt heerdenweise auf den Alpen,
nährt fick von Wurzeln, Kräutern und Obst und verschläft den
ganzen Winter. Die Savoyacden reisen mit abgerichteten Mur-
melthieren weit umher. Fleisch und Fell werden benutzt.
9. Der Siebenschläfer in den Gebirgsgegenden des wär-
meren Europa's, hat ein sehr feines Fell und wohlschmeckendes
Fleisch. Im Winter schläft er lange und fest.
10. Die Lemminge in den Gebirgen von Norwegen und
Schweden wandern zuweilen im Herbste in großen Schaaren
und immer in gerader Richtung, selbst über Berge und Flüsse
fort, wobei der größte Theil von allerlei Raubthieren gefressen,
oder auf andere Art getödtet wird.
11. Die Hausratte ist etwa spannenlang, blauschwarz, hat
einen (ungiftigen) feingeschuppten, fast unbehaarten, langen Schwanz,
lebt auf der ganzen Erde und thut dem Getreide, Kleidungsstük-
ken rc. großen Schaden. Den Jakuten, Kalmücken und andern
benachbarten Völkern ist ihr Fleisch eine leckere Speise. Nicht
selten hört man von dem sogenannten Rattenkönig. Wenn
nämlich die jungen Ratten dicht beisammen in ihrem Loche lie-
?;en, die langen Schwänze sich verschlingen, und die Knochen der-
elben von Tag zu Tage härter werden; so sind sie zuletzt alle
dergestalt an einander gefesselt, daß es ihnen völlig unmöglich ist.
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aus dem Rattenloche zu entkommen und sich die nöthige Speise
zu suchen. Da kommen dann die alten Ratten und erfreuen
das vermeintliche Ungeheuer mit Nahrung. — Die Wander-
ratte, weniger bekannt, aber größer als die vorige, braun, am
Bauche weiß, ist aus dem Morgenlande in Europa eingewandert.
— Die Wasserratte hat einen kurzen Schwanz, ist sonst der
Hausratte ähnlich, schwimmt gut, lebt in Uferlöchern und ist den
Fischteichen schädlich. Ost findet sie sich aber auch entfernt von
Gewässern und thut dann den Gartengewächsen großen Schaden.
12. Die Hausmaus fKdrfr. 1. Nr. 10. und 47. Hdb. I.
tz. 4. D. a.) — Die Feldmaus wird auch 3" lang, ist roth-
braul/, unten gelbweiß und hat einen kurzen Schwanz. Sie
lebt in ganz Europa und vermehrt sich zuweilen in manchen Ge-
genden so, daß sie ganze Getreidefelder «besonders die Wintersaat)
verwüstet. Füchse, Wiesel, Marder, Krähen, Raben, Eulen rc.
stellen ihr eifrig nach. — Die Sparmans oder die ökonomische
Wühlmaus in Sibirien, die kleinste ihrer Gattung, trägt Vor-
räthe für den Winter ein und unternimmt in zahlreichen Zügen
große Wanderungen. — Die Haselmaus, welche von Baum-
früchten und Nüssen lebt, hält sich in Wäldern auf, wo sie auf
niederen Zweigen ein Nest von Gras baut und ihren Winter-
schlaf in Baumlöchern hält.
§■ J3.
6. Ordnung. Fahniückige Thiere.
(Kdrfr. l. S. 204.)
Die zahnlückigen oder Zahnarmen Thiere haben ein ver-
schiedenes Gebiß. Die Backenzähne sind walzig, vier- und drei-
eckig; die Vorderzähne fehlen, oder sind Nagezähne, oder über-
zählig. Alle haben Nägel, und manche eine schnabelförmige
Schnauze. Der Schwanz ist dick und kräftig. Ihre Bedeckung
besteht aus borstenartigen Haaren, sogar aus großen Hornscbup-
pen und Knochentafeln; wenige haben ein wollichtes Haar. Mei-
stens sind sie nur klein oder von mäßiger Größe. Sie leben
in den heißen Gegenden der Erde von Pflanzen, Insekten und
kleineren Thieren der höheren Klassen. Die Meisten scharren
sich Höhlen; nur wenige klettern auf Bäume.
1. Das dreizehige Faulthier, von seinem Geschrei auch
Ai genannt, hat seinen Namen von der langsamen Bewegung;
denn es kommt in einem Tage kaum 30 Schritte weit fort. Es
ist kleiner als ein Fuchs, lebt in Südamerika und bleibt auf
einem Baume so lange, bis alle Früchte und Blätter abgefressen
sind. Der langhaarige, graue Pelz wird benutzt.
2. Das Gnrtelthier, Panzerthier oder Armadill in Süd-
amerika ist am Kopfe und Leibe mit knöchernen Schalen bedeckt.
26
hat auf dem Rücken einige bewegliche Gürtel und lebt von In-
sekten, kleinen Fischen und Früchten. Sein Fleisch wird gegessen,
und die Schalen verarbeitet man zu allerlei Gefäßen.
3. Das Schuppenthier ist mit hornigen Schuppen bedeckt
und fängt in seinem Vaterlande, Ostindien und Afrika, Ameisen
mit seiner klebrigen Zunge. Sein Fleisch ist eßbar.
4. Das Schnabelthier in den Landsee'n von Neuholland
ist, I'// lang, wie eine Fischotter gestaltet, rothbraun, hat kurze
Füße mit Schwimmhäuten und einen vollkommenen Entenschna-
bel, mit dem es im Schlamme nach Würmern wühlt. Das
Männchen hat an jedem Hinterfüße einen hohlen Sporn, mit
dem es stechen und vergiften kann.
5. Der Ameisenbär oder Ameisenfresser in Südamerika
hat gar keine Zähne und lebt von Insekten, die er mit seiner langen,
wurmförmigen Zunge in den Mund zieht. Er ist etwa so groß
wie ein Fleischerhund, nur etwas niedriger, mit langen Haaren
bedeckt und graubraun, auf jeder Seite mit einem schwarzen
Streifen auf weißem Grunde.
§ 14.
7. Ordnung. Hufthiere.
(Kdrfr l. S. 294.) .
Die Hufthiere zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Zehen
von einer Hornschale oder einem Hufe umgeben sind. Dieser
Huf ist entweder ungespalten, wie beim Pferde und Esel, oder
einmal gespalten, wie bei dem Schafe, der Ziege, dem Rindvieh,
dem Hirsche und dem Kameele, oder mehrmal gespalten, wie
beim Schweine, dem Elephanten, dem Nashorne und dem Nil-
pferde. Hiernach zerfallen die Hufthiere in drei Unterordnungen
oder Zünfte.
A. Die Einhufer haben einen ungefpaltenen Huf, d. i- eine
große, vom Nagel schuhartig umgebene Zehe, und zu beiden
Seiten 2 Anhänge, ferner 6 anschließende Vorder- und auf jeder
Seite eben eben so viele abgeschrägte, schmelzfaltige Mahlzähne
(bie eine ebene Krone besitzen.) Die Eckzähne sind sehr klein oder
fehlen oft ganz. Endlich haben sie nur einen Magen, kauen also
auch das Futter, welches aus Pflanzenstoffen besteht, nur einmal.
1. Das Pferd ist etwa 5" hoch, theils größer, theils kleiner,
hat eine Nackenmähne, einen stark behaarten Schwanz ober
Schweif, spitzige Ohren, große Augen und ist gewöhnlich braun,
doch auch vielfach anders gefärbt. Gegenwärtig lebt es gezähmt
auf der ganzen Erde, wild oder verwildert in der Tatarei, Mon-
golei, in Tibet, Polen, im südlichen Rußland, in ganzen Heerden
aber in Südamerika, besonders in Patagonien. Durch die Zäh-
mung hat es sehr gewonnen und sich durch seine mannichfaltigen
27
und trefflichen Eigenschaften zum werthvollsten Hausthiec« empor-
geschwungen. Ansehnliche Größe, schöne Gestalt, Stärke, Schnel-
ligkeit, Muth und Kühnheit, Gelehrigkeit, Schärfe der Sinne,
Gedächtniß, Folgsamkeit, Treue und Anhänglichkeit an den Men-
schen erheben es weit über andere Thiere. Vorzüglich zeichnen
sich die arabischen Pferde durch ihren wunderschönen Bau, so
wie durch ihre äußere Leichtigkeit und Dauerhaftigkeit aus.
Unter den europäischen sind die neapolitanischen, andalusischen und
englischen die vorzüglichsten. Die letzteren haben besonders den
Vorzug der Schnelligkeit. Die polnischen sind zwar klein und
unansehnlich, aber geschwind, dauerhaft und unermüdet. In
Europa verstümmelt man die Pferde bisweilen dadurch, daß man
ihnen den Schweis zum Theil abschneidet, was man, da es ehe-
dem am meisten in England geschah, englisiren nennt. Das
Wiehern ist dem Pferde eigenthümlich, das Beißen, den kurzen
Schlaf (2 bis 3 Stunden) und das Sehen im Dunkeln hat es mit dem
Esel und der Giraffe gemein Das beste Futter des Pferdes ist Hafer
und Heu, sein Getränk frisches Wasser. Es ist mehreren
Krankheiten unterworfen und erfordert, wenn es gut gedeihen
soll, bei seiner Zucht viel Aufmerksamkeit und Fleiß, namentlich
muß es sehr reinlich gehalten werden. Sein Alter, das man bis
zu einer gewissen Zeit aus der Beschaffenheit der Zähne erkennen
kann, bringt es auf 40 bis 50 Jahre. Im Getümmel der Schlacht
erschrickt es weder vor den Pfeilen und der Lanze, noch vor den
Kugeln und dem Knallen der Schießgewehre. Verwundet läßt
es kein Wehklagen hören. Leicht kann man es zu Kunststücken ab-
richten. Es versteht die Worte seines Herrn, läßt sich durch sie len-
ken, und zwar lieber als durch Schläge. Es dient zum Ziehen,
Tragen und Reiten, wird von Kalmücken, Tungusen, Mongolen,
Tataren, Chinesen, Patagoniern gegessen, seine Milch getrunken,
was auch bei den alten Deutschen und Preußen der Fall war-
Aus der Pferdemilch bereiten die Asiaten das berauschende Ku-
miß. In den größeren europäischen Städten haben sich besondere
Vereine gebildet, um durch Beispiel und Unterstützung den Genuß
des Pferdefleisches zu verbreiten. Mit den in Holz eingefaßten
Vorderzähnen glättet man Papier und Pappe. Die Backenzähne
werden polirt und zu ausgelegter Arbeit benutzt. Das Kammfett
wird von Gerbern, Schustern und Oekonomen zur Geschmeidigung
des Leders gebraucht. Die Blase dient zn Tabacksbeuteln, gro-
ßen Bällen rc. Die Pferdehaut wird zu Leder, Iuften, Chagrin
sspr. Schagräng') gegerbt. Die Roßsehnen benutzen Sattler und
Orgelbauer. Die längeren Haare der Mähne und des Schweifes
werden zu Seilen gesponnen, zu Haartüchern gewebt und zum
Polstern der Stühle, Sopha's, Matratzen rc., oder zu Knöpfen,
Mützen, Vogelschlingen, Fiedelbogen, Angelschnüren rc. verwendet.
Der geraspelte Huf und der ausnehmend hitzige Pferdemist geben
28
einen vortrefflichen Dünger (Kdrfr. 1 Nr. 11. 77. 81. 94. Hdb. I
§.34. D a.).
2. Der Esel zeichnet sich durch seine langen Ohren, das
schwarze Kreuz auf dem grauen Rücken und den Haarbüschel
am Ende des Schwanzes aus. Er wird kaum 4' hoch, begnügt
sich mit schlechtem Futter und dient seines sichern Ganzes wegen
nicht nur zum Lasttragen, sondern in Gebirgsgegenden auch zum
Reiten. Der wilde, welcher in der Tatarei und in Persien lebt,
ist ansehnlicher und schneller als der durch seine Trägheit sprüch-
wörtlich gewordene zahme. Das Fleisch wird in Italien, Spa-
nien und von mehreren asiatischen Völkern gegessen; die Milch
ist brustkranken Personen heilsam, und die Haut wird zu Per-
gament, Trommelfellen und andere Sachen, der Mist zum Dün-
gen benutzt. Nachkommen vom Eselhengst und Pferdestute hei-
ßen Maulthiere, vom Pferdehengst und Eselstute Maulesel.
3 Das Zebra im südlichen Afrika, schön weiß mit dunkel-
braunen Ouerstreifen, läßt sich uicht zähmen.
4. Das Quagga lebt ebendaselbst, wird nur 33// hoch und
läßt sich nur selten zum Tragen und Ziehen gewöhnen. Der
zierliche Kopf mit seinen kurzen Ohren bringt es dem Pferde,
der an der Wurzel kahle Schwanz dem Esel und das graulich-
weiß gestreifte Fell dem Zebra sehr nahe.
§ 15.
B. Zweihufer oder Wiederkäuer.
B. Die Zweihufer oder Wiederkäuer haben in der un-
teren Kinnlade 0 bis 8, in der obern entweder gar keine, oder
höchstens 2 Vorderzähne. Die Eckzähne fehlen fast immer. Die
Backenzähne, deren sich auf jeder Seite beider Kinnladen 3 oder
6 finden, sind anschließende oder abgeschrägte Mahlzähne. Der
Magen ist vierfach: die nur zum Theil zerkaute Nahrung geht
vom ersten Magen (Pansen oder Wanst) in den zweiten (Netz-
magen oder Haube) über und wird hier in kleine Ballen ge-
formt; diese gehen in den Mund zurück, werden noch einmal
gekaut und darauf im dritten Magen (Buch, Psalter oder
Blättermagen) zur Ernährung vorbereitet und im vierten
(Laab, Ruthe oder Fettmagen) zu jenem Zwecke vollkommen
ausgebildet. Die Füße endigen in 2 mit zusammenstoßenden
Hornscheiden besetzten Zehen, Hufe, und zeigen oft Spuren von
Nebenzehen.
a. Die hörnertragenden Wiederkäuer haben Stirnzapfen,
die mit einer harten Scheide überzogen sind.
1. Das gemeine Rind stammt wahrscheinlich von dem Au-
erochsen (Urochsen) ab, welcher sonst auch im Thüringer Walde
und dem Harze angetroffen wurde und jetzt noch in Polen und
Sibirien vorkommt. Der zahme Ochs nebst seinem Weibchen,
29
der Kuh sHdb. I. §. 24. D. a. Kdrfr. !. Nr. 56 und 77), ist
als das nützlichste Hausthier fast auf der ganzen Erde verbreitet.
Der Körperbau des Rindviehes hat etwas Unförmliches und nichts
Gefälliges. Der Blick ist starr und verräth Dummheit; alle
Wendungen und Bewegungen sind steif; der Gang ist träge
und schwerfällig. Das Rindvieh liebt Ruhe und lagert sich
daher, sobald es gesättigt ist, auf der Weide. Sein Schlaf ist
leise und kurz. Im Halse besitzt der Stier eine große Kraft;
seine Stöße mit den Hörnern sind furchtbar. Die Kuh, sanfter
und weniger stark, ist selten tückisch und stößig. Wenn das
Rindvieh gedeihen sott, muß es eben so sorgfältig abgewartet,
zuweilen gestriegelt und gewaschen werden wie das Pferd. Die
schlimmsten Krankheiten, an denen es zuweilen leidet, sind die
Rinderpest, der Milzbrand und die Lungenfeuche. Sein Alter
bringt es höchstens auf 30 Jahre Die Ochsen benutzt man
statt der Pferde zum Ziehen und jocht sie entweder mit der Stirn,
oder mit dem Nacken an. In einigen Gegenden Asiens und
Afrika's werden sie noch jetzt zum Ausdreschen des Getreides,
zum Reiten und Tragen, und in Schweden zum Treten des
Thones in den Ziegelhütten gebraucht. Das gesunde, wohl-
schmeckende und nahrhafte Fleisch kann frisch, eingefalzen und
geräuchert gegessen werden. Die Milch genießt man auf ver-
schiedene Art sHdb. l. tz 32. 0. a.) und macht auch Butter und
Käse aus derselben. Die Haut wird zu Sohlleder, der Talg
zu Seife und Licht, die Abgänge von den Fellen, Sehnen rc.
zu Leim, die Haare zum Polstern und im Kalk, die Hörner und
Knochen zu Drechslerarbeiten, das Blut in Zucker- und Salz-
siedereien zum Abschäumen, zum Berlinerblau, die Hufe und
Hornspäne, vorzüglich aber der Mist, dessen Ausdünstungen
schwindsüchtigen Personen sehr heilsam sein sollen, zum Düngen
gebraucht. Selbst durch eine Art Krankheit, die Pocken, ist das
Rindvieh wohlthätig für den Menschen geworden. Das beste
Rindvieh in Europa haben die Schweiz, Oldenburg, Holstein,
Mecklenburg rc. — Der Büffel in Indien, Afrika und Süd-
europa ist schwarzbraun, bedeutend größer als das gem. Rind,
hat ungeheure Hörner und ist ein wildes, unbändiges Thier.
Er stammt aus Tkbet und wird so benutzt, wie das gemeine
Rind. — Der Auerochs, viel größer als das gem. Rind,
dunkelbraum mit wollichtec Mahne und einem Barte, lebt jetzt
nur noch in sumpfigen Wäldern Polens und Sibiriens. — Der
Bison lebt in großen Heerden in Nordamerika, hat kurze Hör-
ner und einen starken Buckel, ist schwer zu bändigen und nützt
durch sein Fleisch, seine Haut und seine Haare.
2. Das Schaf wird etwas über 2' hoch, hat nach hinten
gewundene Hörner, ist mit Wolle bedeckt und weiß, schwarz
oder gefleckt. Dem Weibchen fehlen gewöhnlich die Hörner.
Das weichliche, wehrlose, furchtsame Thier kann nur unter dem
30
Schutze des Menschen gedeihen und gehört ebenfalls zu den nütz-
lichsten Hausthieren (Hdb. I. tz. 3. D. «. § I. D. c. Kdrfr. Í.
Nr. 3. 3. 77.) Es ist auf der ganzen Erde verbreitet. In Deutsch-
land kennen wir außer unsern gewöhnlichen Landschafen noch
die sogenannten Hei de sch nucken mit kurzen Schwänzen, die vor-
züglich in Hannover auf dürrem, sandigem Boden gut fortkom-
men, und jetzt zu unserm großen Vortheile auch die spanischen
und kleinen englischen. Bei diesem Thiere sehen wir nicht auf Schön-
heit, sondern vielmehr auf Feinheit und Güte der Wolle und auf
Größe. Die Schafe folgen ihrem Leithammel, so wie dem bellenden
Hunde und dem pfeifenden Schäfer, treulich nach und machen
sogar die Sprünge und Bewegungen, die ihnen der Leithammel
vormacht, alle maschinenmäßig nach. Bei dem geringsten uner-
warteten Auftritte benehmen sie sich außerordentlich blöde und
furchtsam. Ein Knall, eine Feuerflamme, ja das kleinste Ge-
räusch macht sie bald stutzig; sie stampfen mit den Füßen, drän-
gen sich zusammen, oder ergreifen die Flucht. Blitz und Donner
bringt sie ganz außer Fassung. Bei einer Feuersbrunst kehren
sie, anstatt zu fliehen, geradezu in den brennenden Stall zurück.
Dabei sind sie sehr schwächlich und gebrauchen ihre Vertheidi-
gungswaffen äußerst selten. Die Musik und das Licht scheinen
sie zu lieben. Die Schäfer behaupten, sie weideten am besten
und ruhigsten, wenn ihnen auf einer Schalmei Tafelmusik ge-
macht wird. Das Morgen- oder Abendlied des Schäfers in der
Hürde sollen sie mit der größten Aufmerksamkeit anhören. Das
Schaf liebt gute, trockene, hochliegende Weide und vorzüglich das
kräftige Berggras, welches ihm auch am besten bekommt. Nasse,
niedrige Gegenden sind ihm zuwider. Zuweilen muß es Salz
erhalten, denn dieses dient ihm wegen seines weichlichen, zur
Fäulniß geneigten Körpers zu seiner Gesundheit und bewahrt es
nicht nur vor vielen Krankheiten, sondern schafft ihm auch bessere
und feinere Wolle. Auch ins Getränk gethane Oelkuchen beför-
dern das Wachsthum derselben. Im Winter verlangen die
Schafe gutes Heu und Kleefutter, Wirrgebände sKrummstroh)
von Erbsen, Linsen, Wicken, Bohnen, nicht ganz rein ausgedro-
schene Gebände von Gerste und Hafer, so wie gedörrtes Laub
von Pappeln, Weiden, Erlen rc. Von den unzähligen Krankhei-
ten, denen dieses gutmüthige Thier ausgesetzt ist, erwähnen wir
nur die Pocken-, die Klauenseuche und die Drehkrankheit, welche
letztere durch Wurmblasen in den Hirnhöhlen entsteht. Sein
Alter bringt es auf mehr als 14 Jahre; es kann aber nur höch-
stens 8 Jahre benutzt werden. Jährige Lämmer heißen Jähr-
linge, zweijährige aber Zeit sch äse. Die Benennung ,,Schaf"
bezeichnet eigentlich das weibliche Thier; hat es gelammt, so wird
es Mutterschaf genannt. Das Männchen heißt Widder,
Stöhr oder Bock. Der geschnittene Bock wird Hammel und
der gemästete Hammel Schöps genannt. Das Schöpsenfleisch
31
wird besonders im Sommer häufig genoffen. Die sehr fette
Milch benutzt man wie die Kuhmilch; die Wolle sott jedoch dar-
unter leiden, wenn die Schafe gemolken werden. Welchen Nuz-
zen das Schaf sonst noch gewahrt, ist Hdb. I. a. a. O. angege-
ben. — Das fettschwänzige Schaf in Asien und Afrika hat
einen Schwanz von 20 bis 40 Pfund, den es auf einem kleinen
Karren nachzieht.
3. Die Ziege sKdrfr. I. Nr. 20.) hat knotige Hörner und
am Kinne einen Bart. Der Bock ist an seinen Hörnern kennt-
lich, welche das Weibchen oder die Geis nicht immer, oder doch
kürzer und gerader hat. Die Ziegen lieben die Berge und sprin-
gen selbst an den steilsten Stellen sehr geschickt, sind überhaupt
sehr lebhaft, munter, muthwillig, naschhaft und launisch Ganz
unvermuthet wird die Zi-ge lustig, macht die possirlichsten Sprünge,
steht plötzlich wieder still und zeigt eine traurige Miene. Jetzt
ist sie stößig und muthvoll gegen ihren Feind, gleich darauf wie-
der schüchtern und nimmt schreiend die Flucht. Zu dem Menschen
scheint sie Zutrauen zu haben, überhaupt sanft und von Natur
ihm zugethan zu sein; doch flieht sie ihn auch bisweilen und ist
ungestüm, wenn sie üble Laune hat. Der Bock ist starker und
muthwilliger als die Ziege, vertheidigt sich tapfer gegen Angriffe
durch sein Stoßen mit den Hörnern und setzt, stellt er sich auf
die Hinterfüße, selbst muthige Hunde in Furcht. Durch Meckern
und Schreien drücken die Ziegen ihre Empfindungen aus. In
ihrem Futter lieben sie Abwechselung und sind erstaunlich lecker-
haft; selbst giftige Gewächse, z. B. den Schierling, benagen sie,
ohne daß er ihnen schadet. Ihr Lieblingssutter ist junges Wein-
laub; auch benagen sie gern junge Bäume und Gesträuche, lecken
gern Salz und lieben die Reinlichkeit. Wenn auch weniger zahl-
reich, sind sie doch fast eben so weit verbreitet, als das Schaf,
und bringen ihr Aller auf 20 bis 30 Jahre. Das Fleisch hat
einen unangenehmen Geruch und Geschmack. Am besten ist es
von einem nicht über 2 Monate alten Ziegenlamme. Das der
alten Böcke läßt sich aber fast nicht genießen. Ihren Talg be-
nutzen Gerber, Lichtzieher und Aerzte. Aus dem Felle macht man
Pergament, Paukenbezüge, Eorduan, Saffian, Ehagrin, weiß-
oder gelbgegerbtes Leder zu Beinkleidern rc. Die Felle der jun-
gen Ziegen geben Glacee-Handschuhe. Die Milch ist vielen Kran-
ken ein bewährtes Heilmittel; auch bereitet man einen wohlschmek-
kenden Käse aus derselben. Die Därme liefern Saiten, die
Haare Pinsel, Bürsten, Hüte rc. und der Mist ist ein guter,
Dünger auf Kaltem und feuchtem Boden. — Die Kaschmir-
ziege im südlichen Hochlande Asiens hat lange und sehr feine
Haare, aus denen die feinsten und kostbarsten Shawls gemacht
werden. — Die Bezoarziege auf dem Kaukasus liefert in ih-
rem Magen den Bezoar, der von den Morgenländern als ein
32
Räucherwerk und Heilmittel sehe geschätzt wird. — Die ango -
rische Ziege in Natolien hat langes, weißes, seidenartiges Haar.
4. Der Steinbock, größer als die gemeine Ziege, findet sich
nur auf den höchsten Schneegebirgen der alten Welt, wo er sei-
nes wohlschmeckenden Fleisches wegen mit Lebensgefahr gejagt
wird.
5. Die Gemse, so groß wie eine Ziege, rothbraun, hat
schwarze, hakenförmig nach hinten gekrümmte Hörner, lebt auf
den höchsten Alpen Europa's und wird von kühnen Schweizern
und Tyrolern ihres Fleisches und Felles wegen sehr verfolgt.
6. Die Gazelle in Afrika und Asien, selten in Europa, hat
ungemein schöne, große und lebhafte Augen (Kdrfr. II. Nr. 79.).
7. Das Gnu in den öden Gegenden des Kaplandes (Kdrfr.
1l. Nr. 137.) hat vorwärtsgehende, aber zurückgebogene Hörner,
ist an Gestalt dem Ochsen ähnlich, hat aber eine dicke, weiße
Mähne auf dem Halse und Nacken, schwarze Füße und einen
Pferdeschweif. Sein Fleisch ist wohlschmeckend.
Die Antilopen, ein weitläuftiges Thiergeschlecht, zu welchem
die letztgenannten drei Thiere gehören, stehen zwischen dem Hirsch-
und Ziegengeschlechte und fassen viele Arten in sich, von denen
die meisten im mittleren und südlichen Asien und Afrika in zahl-
reichen Heerden schweifen. Sie haben hohle, runde, geringelte
oder spiralförmig gewundene Hörner, einen schlanken, zierlichen
Wuchs und große Schnelligkeit im Laufen.
§. >6. -
d. Oeweihtragcnde Zweihufer.
b. Die geweihtragenden Zweihufer sind meist größer
und schöner gestaltet, als die vorigen. Ihre Männchen (bei den
Rennthieren auch die Weibchen) haben ästige Stirnzapfen, welche
Geweihe heißen, alle Jahre durch neue ersetzt werden und je-
desmal ein Ende mehr erhalten.
1. Der Edelhirsch, em schönes Thier, welches über manns-
lang und mehr als halb so hoch wird, den Hals aufrecht, etwas
nach hinten gebogen trägt, ist von rothbrauner, im Winter ins
Graue fallender Farbe Sein hohes Geweih ziert ihn und dient
ihm als Waffe, dir er jedoch nicht häufig gebraucht, da er sanft
und scheu ist. Er lebt rudelweise in Europa's und Asien's Wal-
dungen, doch nicht in Rußland und England, und wird, da man
beinahe Alles von ihm gebrauchen kann, als das vorzüglichste
Wildpret geschätzt und häufig in Thiergärten gehalten. Seine
Nahrung besteht aus Gras, Kräutern, Laub, Baumknospen und
Moos; auch leckt er gern Salz.
2. Der Dammhirsch ist kleiner, hat ein schaufelförmiges
Geweih, wird bei uns mehr zur Zierde in Thiergärten gehalten,
kommt aber in Persien und China häufiger vor.
33
3. Das Reh, etwas größer als eine Ziege, aber schlanker,
ein munteres, allerliebstes Thier, ist im Sommer gelbbraun, im
Winter rothgrau, lebt in ganz Europa, fast in ganz Asten und
nimmt beinahe dieselbe Nahrung zu sich, wie der Hirsch. Sei-
nes wohlschmeckenden Fleisches und seines Felles wegen wird es
ebenfalls gejagt.
4. Das Elenn oder Elennthier ist größer als ein Pferd,
hochbeinig, braun und nicht so schön gebildet, wie die übrigen
Gewcihträger. Das schaufelförmige Geweih ist oft 60 Pfund
schwer. Es lebt in den sumpfigen Gegenden von Preußen, Lit-
thauen, Polen, Schweden, Finnland, Rußland, Jngermannland,
dem nördlichen Asien und Amerika und frißt Krauler, Baum-
blatter und Baumknospen. Ueber Sümpfe bewegt sich das schwere
Thier, indem es sich auf die Seite legt und durch Abstoßen mit
den Füßen fortschleift. Es hat ein wohlschmeckendes Fleisch, eine
sehr dicke Haut, die ehedem zu Kürassen diente, und ein Geweih,
das die Drechsler höher schätzen als Elfenbein.
5. Das Rennthier, etwas kleiner als der Hirsch, aber
stämmiger, dunkelbraun oder weiß, hat ein oben breites Geweih
und lebt in den nördlichsten Gegenden der Erde von Gras und
Moos, das es sich mit seinem Geweihe unter dem Schnee her-
vorscharrt, zieht Schlitten, trägt Lasten und liefert dem Lapplän-
der fast alle Bedürfnisse zur Nahrung, Kleidung und Wohnung.
§. 17.
c. Ungehörnte und d. halbgehörnte Zweihufer.
c. Die ungehörnten Wiederkäuer oder die kameelarti-
gen Thiere haben eine beinahe häßliche Gestalt, einen sehr lan-
gen Hals, lange Beine, aber einen kleinen Kopf und eine gespal-
tene Oberlippe. Die eigentlichen Kameele zeichnen sich überdies
durch ihren höckerigen Rücken aus.
1. Das einhöckerige Kameel oder das Dromedar hat
eine beträchtliche Höhe, nur einen Fetthöcker auf dem Rücken,
einen gebogenen Hals, Schwielen an den Füßen und auf der
Brust, auf denen es ruht, und ziemlich lange, braune oder roth-
graue Haare. Man gebraucht es als Lastihier, da es wohl 10
bis I2Ctr. in 8 Tagen 100 Stunden weit trägt, sich mit schlech-
tem Futter begnügt und 14 Tage ohne Saufen zubringen kann.
Außerdem nützt es durch Milch, Haut, Haare und Fleisch. Wenn
es einer Karavane an Wasser gebricht, so schlachtet man in der
höchsten Noth wohl ein Kameel, indem sich in dem einen Magen
das Wasser ziemlich rein erhält.
2. Das zweihöckerige Kameel oder das Trampelthier
ist etwas größer als das vorige, hat 2 Höcker, dunkelbraunes
Haar, lebt im mittleren Asien als Hauslhier, wird aber mehr
Pechner. Handb. 3. Theil. 3
34
zum Reiten als zum Lasttragen gebraucht. Lebensart und übrige
Benutzung hat es mit dem vorigen gemein.
3. Das Lama, von der Größe eines kleinen Hirsches, ist
braun, tragt den Schwanz aufrecht wie einen Hahnenschwanz,
lebt auf den höchsten Anden Peru's, geht mit einer Last von
60 bis 100 Pfund auf den gefahrvollen Gebirgspfaden in einem
Tage IO bis 12 Stunden und nützt überdies durch Fleisch, Milch,
Haare und Haut. Es frißt Moos und Gras und kann ebenfalls
lange dursten.
4. Das Moschusthier in den asiatischen Gebirgen, beson-
ders in Tibet, hat die Größe eines Rehes, eine niedliche Gestalt
und große Leichiigkeit in seinen Bewegungen. Wir erhalten von
ihm den Moschus, ein kostbares Arzneimittel.
<i. Halbgehörnte Zweihufer.
Die Giraffe i spr. Dschiraffe), das einzige hierher gehörige
Thier, hat Auswüchse auf der Stirn, die sich weder zu Gewei-
, hen, noch, zu wirklichen Hörnern ausbilden, vielmehr immer mit
Haut und Haaren bedeckt sind. Sie hat ungemein hohe Vor-
derfüße und einen ungeheuer langen Hals. Vorn wird sie wohl
17, hinten 9' hoch, lebt im Innern Afrika's von Gras und Laub
und wird ihres Felles und Fleisches wegen gejagt. Beim Ge-
hen hebt sie beide Füße auf einer und derselben Seite zugleich
aus (Kdrfr. ll. Nr. 137.).
tz 18.
6. Vielhufer.
Die Vielhufer oder Dickhäuter sind meist sehr große,
plumpe Thiere, haben eine dicke, fast kahle oder mit Borsten be-
setzte Haut, und ihre Füße sind mit 3, 4 oder 5 Hufen versehen,
welche, wenn ihre Zahl über 3 hinausgeht, nicht immer alle auf-
treten. Die Vorder- und die Eckzähne, von denen letztere zu-
weilen ganz fehlen, sind an Zahl und Gestalt sehr verschieden;
die blätterigen Backenzähne haben breite, höckerige Kauflächen,
da diese Thiere sich meist ausschließlich von Pflanzen nähren.
I. Das Schwein, fast mannslang, mit vorragenden Eck-
zähnen, schmutzigweißen Borsten, ist als Hausthier über die ganze
Erde verbreitet. Seine Stimme ist ein Grunzen, ein helltönen-
des, durchdringendes Geschrei, wenn es angegriffen oder geschlach-
tet wird. Im Rüssel hat es viel Stärke und kann damit selbst
die harte Erde aufwühlen. Es bewegt sich plump und steif; der
Rücken ist fast unbeweglich. Der feinste Sinn des Schweines
ist der Geruch; sonst ist es dumm, trage und ungelehrig und
läßt sich äußerst schwer zu Kunststücken abrichten. Seine Gefrä-
ßigkeit und Unreinlichkeit sind sprüchwörtlich geworden Am be-
haglichsten fühlt es sich, wenn eS in Morästen und Misthaufen
wühlen und sich herumwälzen kann. Seiner Gierigkeit halber
35
frißt es beinahe alles, was ihm vorkommt, sogar seine eigenen
Jungen, und ist gar nicht ekel; doch sind ihm Knochen gefährlich
und Pfefferkörner ein Gift. Dagegen werden die giftigen Klap-
perschlangen in Amerika von ihm ohne Schaden gefressen. Auch
hat man Beispiele, daß die Schweine kleine Kinder an- oder auf-
gefressen und flach verscharrte Leichname aufgewühlt und verzehrt
haben. Ihres scharfen Geruches wegen werden sie in manchen
Gegenden zum Aufsuchen der Trüffeln abgerichtet. Die Sau
wirft unter allen Säugethieren die meisten, nämlich 4 bis 20
Junge, für die sie aber schlechte Sorgfalt hegt. Viele werden
als Spanferkel geschlachtet. Ihr Alter bringen die Schweine
auf 20 Jahre. Man kann von ihnen Alles nutzen. Das Fleisch
wird frisch, gepökelt und geräuchert gegessen. Die Eingeweide
werden mit Fleisch, Blut, Grütze rc. zu Würsten gefüllt. Das
Schweineschmalz benutzt man nicht nur zur Speise, sondern auch
zu allerlei Pomaden, als Wagenschmiere rc. Die Schweinsgalle
ist ein wirksames Mittel wider alte Wunden. Die gegerbte
Schweinshaut gebrauchen Buchbinder, Sattler, Riemer und Sieb-
macher. Mit den Haaren dient das Fell zu Decken vor den
Stubenthüren, zum Beschlagen der Reisekoffer rc. Die Borsten
geben Pinsel, Bürsten, Kehrbesen, Spitzen an den Pechdralh der
Schuster, Halsbinden rc Die Blase benutzt man zu Tabacks-
beuteln, die Hauzähne des Ebers zum Policen, den hitzigen Dün-
ger auf fettem und nassem Boden, besonders bei Hopsenpflan-
zungen und dem Hanfbau. Geräucherte Schinken und Würste
sind für manche Gegenden ein wichtiger Handelsartikel; besonders
werden die pommerschen und westphälischen Schinken, so wie die
Braunschweigec Würste vor andern geschätzt. Die Juden und
Muhamedaner müssen sich aber des Schweinefleisches und aller
daraus verfertigten Speisen enthalten. Im Morgenlande, wo die
jüdische und muhamedanische Religion gestiftet wurde, ist es sehr
heiß, und der Genuß vieler Fleischspeisen, besonders des Schwei-
nefleisches, erregt daselbst leicht gefährliche Hautausschläge und
Krankheiten, was in einem kalten Klima weniger zu besorgen ist.
Von Gärten und Wiesen muß man die Schweine abhalten, weil
sie dieselben durch ihr Wühlen nach Wurzeln, Insektenlarven
und Würmern schrecklich verwüsten. — Das wilde Schwein
unterscheidet sich von dem zahmen durch eine längere Schnauze
und überhaupt durch eine andere Schädelbildung, durch kürzere,
aufrecht stehende Ohren, die bei dem zahmen vorwärts gerichtet
sind, durch größere Fanazahne und die schwarzgraue Farbe, daher
es in der Jägersprache Schwarzwild genannt wird. Die obe-
ren Eckzähne nennen die Jäger das Gewehr, die unteren aber
die Hauer. Das Männchen heißt der Keuler, bei dem zah-
men der Eber; das Weibchen des wilden heißt Bache, die
Jungen Frischlinge; das Weibchen des zahmen heißt Sau,
die Jungen Ferkel, und der verschnittene Eber Pork oder Borg.
3*
36
2. Der Elephant, das größte und klügste Landthiec, wird
15' hoch, >7' lang, 100 bis 200 Jahre alt und 7 bis8000Pfd.
schwer. Das merkwürdigste an ihm ist der 3 Ellen lange Rüs-
sel, mit dem ec sein Lutter zu sich nehmen, sich gegen seine
Feinde vertheidigen und auch allerlei künstliche Verrichtungen ma-
chen kann. Erst im dritten oder vierten Jahre bekommt ec die
zwei Eckzähne, deren jeder oft 7' lang und >80 Pfund schwer
ist, und die das kostbare Elfenbein geben. So plump er dem
Ansehen nach ist, kann er sich doch leicht bewegen und gut schwim-
men. Er hat eine dunkelgraue Haut und lebt heerdenweise in
Asien und Afrika von Baumblättern, Reiß und andern Getreide-
arten, säuft auch gern Branntwein, Rum u. dgl. geistige Ge-
tränke. Man gebraucht sie zum Ziehen und Reiten, vorzüglich
aber zum Lasttragen. Sonst hat man sie auch im Kriege benutzt
und ganze Thürme voll Kriegsbeute auf sie gepackt (Hdb. II. S. 372).
3. Das Nashorn oder Rhinozeros, ein großes und fürch-
terliches Thier, welches sich an Flüssen und Sümpfen in Asien
und Afrika aufhält und von Pflanzen nährt, hat seinen Namen
von dem Hörne (selten 2) aus seiner Nase, mit welchem es sich
sogar gegen den Elephanten wacker vertheidigt. Seiner Plump-
heit ungeachtet läuft es doch so schnell, daß man ihm kaum zu
Pferde entfliehen kann. Ungereizt ist es sehr friedlich. Man
benutzt von ihm Fleisch, Haut und Horn.
4. Das Fluß- oder Nilpferd in Oberägypten und beson-
ders am Nile, ein sehr plumpes und mißgestaltetes Thier, wel-
ches aber ungereizt Niemand beleidigt, hat einen unförmlich gro-
ßen Pferdekopf, sonst die Gestalt eines Ochsen, lebt von Zucker-
rohr, Reiß und Fischen und kann gut schwimmen. Das Fleisch
wird gegessen, aus dem Specke Thran gesotten, und die Zähne
werden wie Elfenbein geschätzt.
5. Der Tapir in Südamerika und auf Sumatra, in Größe
und Gestalt einem starken Schweine ähnlich, hat einen ziemlich
langen Rüssel, kann gut schwimmen, nährt sich von Pflanzen
und nützt durch Fleisch und Haut.
tz. 19.
8. Ordnung. Wallfischarten oder Wale.
(Kdrfr.l. S. 291.)
Die Wallfischarten oder Wale sind meist große, mehr
oder weniger sischartig gebildete Thiere, die immer im Wasser
leben, aber oft auf die Oberfläche kommen müssen, um zu ath-
men. Die Vorderfüße sind ganz flossenähnlich, ohne wahrnehm-
bare Zehen und Nägel und heißen Finnen. Die Hinterfüße
verlaufen fast ganz mit dem wagrecht stehenden Schwänze. Die
Nasenlöcher befinden sich oben auf dem Kopse und dienen>zum
37
Ausspritzen des ins Maul genommenen Wassers und zum Ath-
men. Ihr warmes Blut und ihre Lungen unterscheiden sie von
den Fischen; auch gebären sie lebendige Junge und säugen diesel-
ben mit ihrer Milch.
1. Der Wallfisch, das größte bekannte Thier im Wasser,
lebt in den Polargegenden, wo in einem Sommer oft mehrere
Tausend gefangen werden. Früher soll er gegen 200' lang ge-
worden sein, jetzt erreicht er nur eine Länge von 60', ist beinahe
halb so dick, oben schwarz, weiß gesprenkelt, unten weiß. Statt
der Zähne hat er in der unteren Kinnlade Knochen, in der obern
oft 700 hornartige Blätter oder Barten, aus denen das be-
kannte Fischbein geschnitten wird. Auf dem Kopfe befinden sich
zwei Oeffnungen, durch die er das eingezogene Wasser in gro-
ßen Strahlen ausspritzt. Sein Kopf ist ungeheuer groß, der
Schlund aber so enge, daß kaum eine Faust durchgeht, daher er
auch nur von kleinen und weichen Seethieren lebt. Mit seinem
Schwänze kann er selbst ein ansehnliches Fahrzeug zertrümmern.
Der Speck zwischen der Haut und dem Fleische und die Zunge
liefern den bekannten Fischthran, der oft eine ganze Ladung be-
trägt. Man tobtet ihn mit Harpunen, d. h. mit langen, eiser-
nen Wurfspießen, welche mit Widerhaken versehen und an lan-
gen Seilen befestigt sind. Ein großer Wallsisch ist 4 bis 5000
Thaler werth. — Der Nordkaper wird fast eben so groß, aber
weniger gesucht, obgleich er oft gegen 80' Länge und gegen 30'
im Umfange hat. — Der Finnfisch mit einer 3 bis 4' hohen
Rückensinne, ist zwar eben so lang, aber nicht so dick und breit
als der Wallsisch, giebt auch weniger Thran; sein Fleisch jedoch
finden die Grönländer eßbarer.
2. Der Pottwal hat mit dem Wallsische einerlei Größe und
Aufenthalt, auf dem Kopfe zwei Spritzlöcher und einen weiten
Rachen, so daß er große Thiere verschlucken kann. Er liefert
vortrefflichen Thran. Sein Gehirn ist unter dem Namen Wall-
rath bekannt, welches als Arzneimittel und, mit Wachs ver-
mischt, zu Kerzen benutzt wird- Auch erhält man von ihm eine
stark riechende Feuchtigkeit, den Ambra, ein Räucherungsmittel»
3. Der Narwal oder das See - Einhorn in der Nordsee
wird 18 bis 20' lang und hat am Oberkiefer ein gerades, ge-
wundenes Horn, das oft 10' lang ist und wie Elfenbein verar-
beitet wird.
4. Der Delphin in allen Meeren um Europa, 8 bis 10'
lang, über mannsdick, hat auf dem Kopfe nur ein Spritzloch,
in beiden Kinnladen eine Menge von Zähnen und eine außeror-
dentliche Kraft und Schnelligkeit in seinen Bewegungen.
38
§. 20.
Die Saugethiere im AUgemernen.
Die Saugethiere sind fast durchgängig mit Haaren bedeckt.
Das ganze Thier ist ziemlich walzenförmig, und die Hauptrich-
tung des Leibes horizontal. Zu den kleinsten Säugethieren ge-
hören die Mause, zu den größten der Elephant und der Wallsifch.
Ihr geistiges Vermögen ist das ausgebildetste unter allen
Thieren, und man kann ihnen das Verstehen und Handeln nach
Erinnerungen nicht absprechen; daher schließen sie sich auch an
den Menschen an und lassen sich von demselben als seine Diener
gebrauchen.
Das warme Blut, das Fett unter der Haut und die Haar-
bedeckung, durch welche die Wärme erhalten wird, ihr Vermögen
zu schwitzen, wodurch sie abgekühlt werden, machen, daß sie in
allen Klimaten leben können.
Einige nähren sich von Pflanzen, wie Pferde, Rindvieh,
Schafe, andere von Thieren, wie Fuchs, Wolf, Marder, noch
andere fressen Alles, d. h. gemüseartige Dinge, welche halb Mehl
und halb Fleisch sind, wie Schweine, Hunde, Katzen. Die mei-
sten wohnen im Trocknen, wenige im Meere oder in Flüssen,
wie Robben und Wallsische. Alle haben eine Stimme, Gesang
kommt aber nicht vor. Die meisten fleischfressenden gehen bei
Nacht aus Manche halten Winterschlaf in Höhlen, wie Dachs,
Murmelthier, Siebenschläfer, das thun jedoch meist nur pflanzen-
fressende, wenigstens keine reißenden. Die Jungen der pflanzen-
fressenden kommen meistens behaart und sehend auf die Welt,
wie Kälber, Fohlen, Lämmer, können bald stehen und gehen, be-
dürfen aber am längsten der Milch. Dagegen sind die der fleisch-
fressenden meistens nackt und blind, bedürfen aber nicht lange
der Milchnahrung. Bis zu ihrer Reife brauchen die Saugethiere
ein bis zwei Jahre, die größeren mehr, die kleineren weniger.
Sie zahnen alle wie der Mensch. Mit Ausnahme des Wallst
sches und des Elephanten erreicht kein Säugethier das Alter des
Menschen. Die größten bringen es höchstens auf 20 bis 30
Jahre, die kleineren kaum auf 12. Die männlichen Thiere sind
gewöhnlich größer und stärker und haben auch eine stärkere Stimme.
Viele arten durch das Klima, die Nahrung, den Aufenthalt und
die Beschäftigung aus, wie besonders Rindvieh, Schweine, Hunde.
Der Nutzen der Säugethiere sowohl bei unsern Geschäften
als in der Küche, zur Bekleidung und zu allerlei Werkzeugen,
selbst zum Vergnügen ist hinlänglich bekannt. Der Schaden,
welchen Mäuse und reißende Thiere anrichten, kommt dabei kaum
in Betracht. Es ist also fast Alles zum Nutzen des Menschen
eingerichtet, und wenn man sich manchmal wirklich über Schaden
zu beklagen hat, so ist meistens Mangel an Einsicht, Trägheit
oder Ungeschicklichkeit in den Vorkehrungen schuld.
39
Zweite Klasse.
Vögel.
H. 21.
Die Einteilung der Vögel.
(Hdb.I. S. 29^.)
Die Vögel theilt man nach ähnlichen Merkmalen ein, wie
die Säugethiere, nämlich nach den Füßen und dem Schnabel.
Füße mit ganz getrennten Zehen und kurzem Fersenbeine,
wie sie bei den meisten Vogeln vorkommen, heißen Gangfüße.
Sind die Zehen durch eine Schwimmhaut mit einander verbun-
den, so bilden sie Schwimm süße, wie bei den Gänsen und
Enten. Ist das Fersenbein sehr lang, so heißen die Füße Stelz-
füße, wie bei den Störchen, Kranichen, Straußen.
Die Gangfüße heißen Wandelfüße, wenn sie nur klein
und schwach, die Zehen mit dünnen, scharfen Krallen versehen
und die mittlere und äußere am Grunde verbunden sind, wie bei
den Singvögeln. Reicht jene Verbindungshaut b>s über die
Mitte hin, wie beim Eisvogel, so sind es Schreitfüße. Ste-
hen zwei Zehen nach hinten, wie bei den Spechten, so bilden sie
Kletterfüße, und kann die äußere Zehe beliebig vor- und rück-
wärts gelegt werden, wie bei den Eulen, so heißt diese Wende-
zehe. Wenn entweder alle vier Zehen nach vorn gekehrt sind,
oder doch der Daumen die Geschicklichkeit besitzt, bald vor-, bald
rückwärts bewegt zu werden, so sind es Klammerfüße, weil
sich mit ihnen die Vögel an Mauern oder Bäumen festhalten
können, wie der Baumläufer. Starke Gangfüße, deren zwei oder
drei nach vorn gerichtete Zehen am Grunde verbunden sind, hei-
ßen Sitz- oder Scharrfüße, wie bei den Hühnern. Sind die
Zehen vollkommen getrennt und mit scharfen, beinahe viertel-
kreisförmigen Krallen versehen, so heißen sie Spalt- oder Raub-
füße (Fänge).
Bei den Schwimmfüßen unterscheidet man ganze, halbe,
gespaltene und gelappte Schwimmfüße, je nachdem sich
die Schwimmhaut bis zur Spitze der Zehen hinzieht, wie bei den
Gänsen und Enten, oder nur bis zur Mitte, wie beim Löffelrei-
her, zerschnitten ist, wir beim Taucher, oder breite, ausgeraubete
Hautstücke bildet, wie beim Wasserhuhne Umfaßt die Schwimm-
haut nicht bloß jede Vorder-, sondern auch noch die Hinterzehe,
so sind es Ruderfüße, wie bei der Kropfgans.
Die Stelzfüße sind entweder halb oder ganz geheftete
Watbeine, je nachdem bloß dir beiden äußeren Zehen an ihrer
Wurzel durch eine Haut verbunden sind, wir beim Strandläufer,
oder alle Vorderzehen jene Haut besitzen, wie beim Reiher,
40
Kranich, Storch. Fehlt der Daumen, wie bei den Trappen, so
sind es Lauffüße.'
Nachstdem bietet der Schnabel die meisten Unterschiede.
Bei einigen ist er lang und spitzig wie eine Ahle; bei andern kurz
wie ein Pfriemen, oder dick wie ein Kegel; bei noch andern wal-
zig, gerade, oder gebogen, zusammengedrückt, wie ein Messer oder
Meißel, niedergedrückt wie ein Spatel, gewölbt wie ein Löffel,
oder hakenförmig. Es giebt ferner gefurchte, eckige, mit Haut
überzogene rc.
Am besten sieht man auch bei der Eintheilung der Vögel
nicht bloß auf diese äußeren Merkmale, sondern auch aus die
Entwickelung, die Nahrung und den Aufenthalt, also
auf die ganze Lebensweise derselben, ob die Jungen lange im
Neste bleiben, oder bald aus demselben davonlaufen, ob sie Thier-
oder Pflanzenstoffe fressen, ob sie laufen, schwimmen, oder flie-
gen, sich mehr auf dem Lande, oder auf dem Wasser, oder in
der Luft aufhalten. Hiernach kann man die Vögel in Landvö-
gel, Wasservögel und Luftvögel eintheilen.
Die Land- oder Erdvögel haben einen kurzen, gewölbten
Schnabel, einen starken Körper, meist kurze Flügel, starke Beine
mit Lauf- oder Gangfüßen und stumpfen Nägeln, starke Knochen
und einen fleischigen Magen. Sie theilen sich in Läufer, die
nur laufen, wie die Strauße, Kasuare, Trappen; Hühner, die
mehr laufen als fliegen; Tauben, die mehr fliegen als laufen.
Die Wasscrvögel haben beim Fluge die Füße ausgestreckt,
bis zur Hälfte des Schienbeines befiedert, meist mit einer ganzen
oder halben Schwimmhaut versehen. Ihre Jungen sind Nest-
flüchter. Nach ihrem Aufenthaltsorte und der ganzen Gestalt
ihres Körpers zerfallen sie in Sumpfvögel, welche meist gehen,
wie die Störche, Reiher, Kraniche; Schwimmvögel, welche
meist schwimmen, wie Gänse, Enten, Schwäne; Luftwasservö-
gel, welche mehr fliegen als gehen oder schwimmen, wie die
Kiebitze, Waldschnepfen, Sturmmöven.
Die Luftvögel endlich haben kurze, wenigstens bis zum
Fersenbeine befiederte Füße, ein schmales, starkes Brustbein,
schwächere, sehr leichte Knochen und starke Lungen. Ihre Jun-
gen sind Nesthocker. Diese Gruppe zerfällt nach der Hauptbeschäf-
tigung in Raubvögel, wie die Geier, Falken und Eulen; Klet-
tervögel, wie die Papageien, Spechte und Baumläufer; Sing-
vögel, wie die Drosseln. Finkeln, Lerchen.
Im Kinderfreund sind die Tauben und Hühner in eine Ord-
nung zusammengezogen und auch noch die Trappen mit ihnen
vereinigt, welche bei Andern zu den Kurzflüglern oder Läufern
gehören. Ferner sind die Luftwasservögel theils zu den Sumpf-
vögeln, theils zu den Schwimmvögeln gerechnet. So kommen
statt 9 Ordnungen nur 7 heraus.
41
§• 22.
1. Ordnung. Raubvögel.
(Kdrfr. I. (3.294.)
Die Raubvögel zeichnen sich durch Muskelkräfte, scharfe
Sinneswerkzeuge und überraschende Kühnheit aus. Der Gesang,
unstreitig der edelste Ausdruck der Vogelnatur, fehlt ihnen. Sie
nähren sich von Aas und lebendigen Thieren, nisten auf Höhen
und haben ein widerliches Fleisch. Ihr Schnabel ist kurz, stark,
gekrümmt und bei den meisten nach seiner Wurzel hin von einer
Wachshaut bedeckt. Die Beine sind kräftige Gangbeine mit
Sitz- oder Wandelfüßen. Die Zehen tragen starke, hakenförmige,
scharf schneidende, mehr oder weniger zugespitzte Nägel und ma-
chen daher ihre Besitzer am meisten zu deren Handwerke geschickt.
Man kann sie in Tag- und in Nachträuber eintheilen. Zu jenen
gehören die Geier, Adler und Falken, zu diesen die Eulen.
a Die Geier (Kdrfr. II. Nr. 09. a.) haben einen kahlen
Kopf oder Hals, dagegen nach unten um den Hals herum eine
Art von dickem Federkragen, einen erst an der Spitze herabgr-
krümmten Schnabel, lange Flügel und eine stark hervortretende
Mittelzehe.
1. Der Greif oder Condor in Amerika, der größte Raub-
vogel, wird 41/2' lang (von der Schnabelspitze bis zum Schwanz-
ende) und klaftert mit seinen ausgebreiteten Flügeln gegen 10'.
Er thut den Hausthieren vielen Schaden und wird deshalb eifrig
verfolgt.
2. Der weißköpfige oder Aasgeier wird gegen 4' lang,
klaftert bis 8', ist braun oder weiß und lebt im südl. Europa,
so wie in Asien und Afrika, besonders in Aegypten, wo er viel
Aas frißt und in alten Zeiten heilig gehalten wurde.
3. Der Lämmergeier jKdrfr. I. Nr. 73.), der größte Raub-
vogel in der alten Welt, erreicht eine Länge von 4', klaftert an
10' und fällt sogar Lämmer, Ziegen, Gemsen und auch Menschen
an. Wegen der borstenförmigen Federn an seiner Unterkinnlade
wird er auch Bartgeier genannt.
b. Die Falken haben einen befiederten Kopf, einen schon
vom Grunde aus gebogenen Schnabel, halbgesiederte oder nackte
Fußwurzeln und gekrümmte, spitzige Krallen ohne besonders lange
Mittelzehe.
1. Der Edel- oder Jagdfalk in ganz Europa, Nordasien
und Nordamerika wird gegen 2' lang und nistet auf den steil-
sten Felsen. Ehemals wurde er zur Jagd abgerichtet.
2. Der Habicht, etwas größer als ein Huhn, aufdemRük-
ken braun, am Bauche weiß, hat eine schwarze, am Rande gelbe
Wachshaut und gelbe Füße, horstet auf hohen Bäumen in der
ganzen alten Welt, legt 4 Eier und fügt dem Federvieh und
wilden Geflügel großen Schaden zu.
42
3. Der Weih (die Weihe. Kdrft. I. Nr. 93), Gabelweih
oder rothe Milan, 2' lang, über 5' breit, zeichnet sich durch
seinen gabelförmigen Schwanz und die halbbesiederten Füße aus
und stößt auf junges Federvieh, Lerchen, Mäuse rc.
4. Der Sperber, zwar nur von der Größe einer Taube,
aber kühner als die vorigen, wird zur Jagd abgerichtet und stößt
nur auf kleine Vögel.
5. Der Schlangenadler oder der Sekretair in Afrika hat
den letzteren Namen von einem Federbüschel am Kopfe, besitzt
lange Füße und nährt sich von Schlangen.
§- 23.
c. Adler und d. Eulen.
c. Die Adler haben einen oben abgeplatteten, am Grunde
geraden und erst an der Spitze hakenförmig gebogenen Schnabel,
halb oder bis an die Z-Hen befiederte Füße, starke, lange und
sehr gekrümmte Krallen. Sie horsten auf steilen Felsen, fliegen
sehr hoch und schnell, haben ein ungemein scharfes Gesicht und
sind die gewaltigsten und raubgierigsten Vögel.
1. Der Steinadler, der König der Vögel, wird gegen 4"
hoch und klaftert mit ausgebreiteten Flügeln an 10'. Er lebt
in Europa, Nordasien und Nordamerika. Seine liebste Nahrung
sind Hafen, Rehe, junge Hirsche, Kälber und Lämmer, welche er
mit den Klauen erpackt und auf hohen Felsen verzehrt.
2. Der Goldadler im nördlichen Afrika und südlichen Eu-
ropa, so groß wie der vorige, aber dicker und plumper, hat den
Namen von seinem goldglänzenden Gefieder.
3. Der Fisch- oder Flußadler wird ungefähr 2' lang, klaf-
tert an 0', lebt von Fischen und hält sich deswegen gewöhnlich
in der Nähe der Gewässer auf.
6. Die Eulen oder Nachträuber haben einen katzenartigen
Kopf, einen hakenförmigen Schnabel, befiederte Füße und eine
rück- und vorwärts bewegliche kleine Zehe, nähren sich von Rat-
ten, Mäusen, Käfern, Maulwürfen, jungen Vögeln rc. hal-
ten sich in alten Gemäuern, Kirchthürmen und Steinbrüchen
auf und können auch im Dunkeln gut sehen; dagegen werden sie
am Tage von den Falken, Raben, Singvögeln rc. verfolgt. Ihr
Gehör ist vielleicht schärfer als das der meisten übrigen Thiere,
denn sie erlauschen bei Nacht das leiseste Geräusch einer Maus.
Wegen ihrer weichen Schwungfedern haben sie einen sehr leisen
Flug, was ihnen bei ihren nächtlichen Jagden sehr zu statten
kommt. Bei Nacht sollen sie zuweilen ein fürchterliches Geschrei
erheben, das die Sage vom wilden Jäger veranlaßt hat.
1. Die große Ohreule, von ihrem Geschrei Uhu genannt,
hat an beiden Seiten des Kopfes Federbüschel, ist fast so groß
wie eine Gans, bräunlichgelb, schwarz gefleckt, wohnt im gemä-
43
ßigten Europa und westlichen Asien auf Felsen, alten Schlössern,
in dichten Wäldern, fällt Hasen, junge Rehe und Hirsche an
und fürchtet sich selbst vor größeren Raubvögeln nicht.
2. Der kleine Kauz oder die Todtenenle. von der Größe
einer Drossel, und der große Kauz, ohne Federbüsche am Kopfe,
dunkelbraun, weiß gefleckt, rauben kleine Vögel und Mäuse und
haben abergläubische Leute schon oft furchtsam gemacht, indem
sie zuweilen an die Fenster der Schlafstuben anfliegen, ein kläg-
liches Geschrei erheben rc.
3. Die Schleiereule, größer als eine Taube, hat das Ge-
sicht in dichte, weiße und rothbraune Federn wie in einen Schleier
eingehüllt.
tz. 24.
2. Ordnung. Singvögel.
(Kdrfr. I. S. 293.)
Die Singvögel haben einen sehr verschieden gestalteten
Schnabel, bald ist er kurz, bald mäßig lang, bald breit, bald nie-
dergedrückt, bald kegel-, bald pfriemförmig ic. Die Füße sind
verhältnißmäßia schwach oder stark. Fast alle Arten singen schön,
einige lernen Wörter nachsprechen. Gewöhnlich singen nur die
Männchen, selten und weniger kräftig die Weibchen. Der Gesang
des Vogels ist ein Zeichen seines Frobsinnes. Die Zeit des Ge-
sanges ist besonders der Frühling, vor und während des Brütens.
Hat das Weibchen einen passenden Platz zum Neste gesunden,
so setzt sich das Männchen auf einen Zweig in der Nähe nieder
und läßt von dort herab seine liebliche Stimme erschallen. Merk-
würdig bleibt es, daß alle Vögel, die nicht den größten Theil des
Jahres ununterbrochen fortsingcn, wie es wohl die Rothkehlchen,
Zaunkönige, Zeisige und Stieglitze zu thun pflegen, nach dem
Mausern sd. h. dem Verlieren der Federn) ihren Gesang von
neuem einüben müssen. Vögel, welche jung auferzogen werden
und den Gesang von Vögeln anderer Art hören, gelangen nicht
von selbst zu dem Gesänge, den ihre in der Freiheit lebenden
Brüder haben; vielmehr ist ihr Gesang eine Nachahmung und
ein Gemisch des Gesanges anderer Vögel, in deren Nähe sie auf-
erzogen wurden. — Mehrere Vögel singen noch des Abends,
aber viele am schönsten und anhaltendsten des Morgens. Alle
Kehlen wetteifern dann mit einander. Der goldgelbe Pirol giebt
zuerst seine Orgeltö'ne an. Kaum zeigt sich die erste Spur der
Morgendämmerung, so stimmt der Fliegenschnäpper sein Lied an,
bald fällt die Königin der Sänger, die Nachtigall, mit ihren Zau-
bertönen ein, darauf die Amsel und die Drossel. Ist Feld in der
Nähe, so hört man jetzt die Lerche schwirren und wirbeln. Wenn
es endlich Heller geworden ist, so mischen alle übrigen Sänger,
Grasmücken, Finken rc. ihre Lieder so durch einander, daß man
44
kaum noch eins von dem andern zu unterscheiden vermag. So
wie sich die Sonne am Himmelsrande zeigt, verstummen schon
jene ersten Sänger und schicken sich an, ihr Frühstück aufzusu-
chen, während die, welche später ansingen, noch eine Zeit lang
fortfahren. Bald hört einer nach dem andern aus und sieht sich
nach Speise um. Ist das Bedürfniß befriedigt, so singen sie
zwar wieder, aber nicht so anhaltend und kräftig als zuvor. Um
die Mittagsstunde vernimmt man wenige; lebhafter wird es ge-
gen Abend, wo sich dann besonders Nachtigall und Drossel aus-
zeichnen.
а. Die Großschnäbler oder Naben haben einen mäßig
langen, ziemlich dicken, messerförmig zusammengedrückten und
auch meist vor der Spitze mit einem kleinen Ausschnitte versehe-
nen Schnabel. < Die Füße sind verhältnißmäßig lang, stark, be-
sonders zum Gehen gut eingerichtet. Die Stimme ist zwar fast
bei allen Arten etwas rauh und unangenehm, allein einige ler-
nen in kurzer Zeit Wörter nachsprechen. Es sind überhaupt li-
stige und diebische Vögel. Ihr Fleisch ist meist sehr unschmack-
haft und stinkend.
1. Der gem. Nabe oder Kohlrabe, so groß wie ein Huhn,
mit kohlschwarzem Schnabel und Gefieder sKdrfr. II. Nr. 25.),
fast auf der ganzen Erde wohnend, frißt Aas, Eidechsen, Frösche,
Mäuse, Vögel, Insekten, Würmer, Früchte rc., lernt Wörter
nachsprechen und soll an 100 Jahre alt werden.
2. Die gem. Krähe, merklich kleiner, grau, Kopf, Flügel
und Schwanz schwarz, raubt zwar zuweilen junge Enten, Hüh-
ner rc., frißt aber auch, wie ihre Schwestern, die Saat-, Ne-
bel- und Thurmkrähe oder Dohle, unzählige Mäuse und
schädliche Insekten.
3. Die Dohle, schwarz und gewöhnlich in großen Schaaren
fliegend, frißt auch Samen und Früchte, wird sehr zahm und
lernt sprechen.
4. Die Elster (Atzet, Schackelster, Schagaster) ist schwarz
und weiß, hat einen langen Schwanz und baut ihr Nest, welches
oben zugedeckt ist, auf Bäume. Sie lernt auch Wörter nach-
sprechen, wie der Rabe, stiehlt auch eben so gern, besonders glän-
zende Sachen.
5. Der Eichelheher, ein außerordentlich schön gezeichneter
Vogel, lebt vorzüglich von Eicheln, ahmt den Gesang anderer
Vögel nach und lernt auch sprechen. — Der Nußheher, schwarz-
braun und über und über weiß gefleckt, lebt von jungen Vögeln,
Insekten und allerlei Früchten, am liebsten aber von Haselnüssen,
die er sehr geschickt aufbeißen kann.
б. Der Pirol, der schönste unter den deutschen Zugvögeln,
gelb und schwarz gefärbt, lebt von Insekten, Beeren und Kirschen.
7. Die Würger haben an der Schnabelwurzel steife, vor-
stehende Borsten und werden wegen ihres mörderischen Wesens
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wohl auch zu den Raubvögeln gerechnet. — Der graue Wür-
ger oder große Neuntödter jagt Käfer und Engerlinge, Heu-
schrecken und Maulwurfsgrillen und greift selbst kleine Vögel an.
— Der rothrückige Würger oder Dorndreher hat die son-
derbare Manier, alles, was er fängt, auf die Dornen eines
Strauches zu spießen und mit Bequemlichkeit zu verzehren.
8. Der Staar, ein munterer, geselliger Vogel, läßt sich
leicht zähmen und zum Nachpfeifen leichter Lieder, so wie zum
Sprechen abrichten. Ebene Gegenden mit Waldungen und Wie-
sen sind sein Lieblingsaufenthalt. Hier sieht man im Frühlinge und
Herbste Schaaren vonvielen Tausenden desMorgensundAbendsher-
umschwäcmen. Sie fressen meist Insekten; den Schafen setzen
sie sich auf den Rücken, um ihnen das Ungeziefer abzulesen. In
der Gefangenschaft genießen sie die Speise des Menschen und
halten sich viele Jahre.
9. Die Drosseln haben einen ziemlich starken, etwas gebo-
genen Schnabel und werden meistens ihres Gesanges und ihres
wohlschmeckenden Fleisches wegen geschätzt. Einige Arten sind:
die Singdrossel, die Schwarzdrossel oder Amsel, die Wach-
holderdrossel oder der Krammetsvogel rc.
10. Der Paradiesvogel in Indien hat ein prächtig glän-
zendes Gefieder und einen langen, wunderschönen Schwanz.
tz. 25.
b. Keilschnäbler oder Sperlinge.
b. Die Keilschnäbler oder Sperlingsvögel haben einen
starken, kurzen, keil- oder kegelförmigen Schnabel, der an den
Rändern ganz ist. Die Füße sind von mäßiger Länge und Stärke.
Der Kopf ist dick, der Körper klein, gedrungen. Die meisten
singen recht angenehm.
1. Die Ammern haben einen spitzen Schnabel, der hinten
etwas offen steht und einen etwas schmäleren Oberkiefer hat.
Sie leben von Samen und Insekten, singen aber nicht schön.
Dazu gehören: die Goldammer oder derOrtolan, oben braun-
gelb, unten goldgelb, welcher auch im Winter bei uns bleibt; der
Rohrsperling, der den ganzen Tag im Schilfe zu schimpfen
scheint; die Gartenammer im südlichen Europa, welche gemästet
und weit verschickt wird, und die Schneeammer.
2. Die Kernbeißer haben einen stumpfen oder zugespitzten
Schnabel, mit dem sie den Samen abschälen und auch die Kerne
von Kirschen, Schehen rc. aufbeißen können. Man unter-
scheidet: Gimpel oder Dompfaffen mit schwarzer Kappe, rother
Brust und einem angenehmen Flötentone; eigentliche Kernbei-
ßer, zu denen der Grünfink iGrünzel) gehört, und Kreuz-
schnäbler, die den Samen aus den Tannzapfen sehr geschickt
herauszuholen wissen.
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3. Die Finken haben einen kurzen, kegelförmigen Schnabel
und einen schlanken Leib, zum Theil ein schönes Gefieder, näh-
ren sich von Sämereien und Insekten und singen fast alle sehr
schön. Hierher gehören: der braune Buchfink oder Edelfink;
der Distelfink oder Stieglitz, braun, am Bauche weiß, um den
Schnabel roth; der Hänfling, braun, an der Brust roth; der
grüne Zeisig, der meist gelbe Kanarienvogel (Kdrsr. l. Nr. 90.
Hdb. l. §. 37. D. b.) und auch der allbekannte Sperling
(Kdrfr. l. Nr. II.).
§. 26.
e. Dünnschnäbler oder Schwalben.
e. Die Dünnschnabler oder Schwalben haben einen kur-
zen, platten, vorn etwas gebogenen Schnabel, der sich weit öff-
nen läßt, und leben von Insekten, die sie im Fluge schnappen,
von Getreide, Sämereien rc.
1. Die Lerchen haben einen fast kegelförmigen, nicht sehr
dicken und spitzigen Schnabel fund werden daher auch zu den
Sperlingsvögeln gerechnet), nähren sich von Getreide und Insek-
ten, sind als die fleißigsten Sänger bekannt und werden in man-
chen Gegenden ihres wohlschmeckenden Fleisches wegen in unge-
heurer Menge gefangen (Hdb. l. §. 12. l). a. Kdrfr. I. Nr. 12.
30.). Es giebt Feld-, Heide-, Hauben-, Wiesen-, Brach-
und Sumpflerchen.
2. Die Bachstelzen haben hohe, schlank gebaute Füße und
einen sehr langen Schwanz, mit dem sie beständig nicken. Jung
eingefangen werden sie zuletzt so zahm, daß man sie im Garten
und auf dem Hofe frei herumlaufen lassen kann. Sie vernichten
eine Menge lästiger Insekten. Es giebt weiße, graue und
gelbe Bachstelzen.
3. Die Schwalben sind über die ganze Erde verbreitet und
nähren sich von Insekten, die sie im Fluge wegfangen, und wo-
bei sie bewundernswürdige Schwenkungen machen. Die bekann-
testen Arten sind: die Hausschwalbe fKdrfr. I. Nr. 15), welche
außerhalb der Häuser an Wänden und Dächern, die Rauch-
schwalbe, welche in den Schornsteinen, die Uferschwalbe, welche
in Ufern und Sandhügeln, die Mauerschwalbe, welche auf
Kirchen, Thürmen und Schlössern in Mauerlöchern nistet, und
die Salangane im südöstlichen Asien, welche die berühmten eß-
baren Vogelnester baut, von denen das Pfund oft für 30 bis
40 Thaler verkauft wird.
4. Die Meisen haben einen kurzen, an der Wurzel mit
kleinen Federn besetzten Schnabel, sind sehr lebhaft und klettern
unermüdlich an den Baumzweigen herum Sie nähren sich von
Insekten, deren Puppen und Larven, aber auch von Sämereien,
Nüssen und Mandeln, nisten meist in hohlen Bäumen und legen
10 bis 15 Eier. Es giebt mehrere Arten, wie die Kohlmeise,
47
Blaumeise, Schwanzmeife, Beutelmeise, welche ein künstliches
Hängenest baut.
4. Die Fliegenschnäpper haben einen fast dreikantigen, zu-
sammengedrückten, an der Wurzel breiten, an der Spitze wenig
gekrümmten Schnabel und nähren sich von Insekten, besonders
von Fliegen und Bremsen. Der schwarzrückige ist bei uns
der gemeinste.
5. Der Seidenschwanz im nördlichen Europa, rothgrau,
auf dem Kopfe eine Haube, Flügel und Schwanz schwarz, das
Gefieder seidenartig, kommt gegen den Winter schaarenweise zu
uns, singt aber nicht.
6. Die Grasmücken haben einen zarten, dünnen Schnabel
und nähren sich von Gewürm. Es giebt eine graue, eine
fahle, eine schwarzköpfige Grasmücke rc. Letztere heißt auch
Mönch.
7. Die Nachtigall hat kein schönes Gefieder, denn es ist
röthlichgrau, beinahe rostfarbig; aber wegen ihres unübertrefflichen
Schlages ist sie die Königin der Sänger. Gern hält sie sich in
dunklen Gebüschen auf und erfüllt dann die umliegende Flur mit
Liedern voll Anmuth und Feuer. Man hört sie des Morgens,
des Abends und oft die ganze Nacht. Am feurigsten ist ihr
Schlag, wenn eine andere in ihrer Nähe ist; denn alsdann regt
sich die Eifersucht, und es entsteht ein förmlicher Wettstreit. Auch
durch das Lied anderer Vögel und selbst durch das Pfeifen der
Menschen läßt sie sich reizen; sie kommt dann oft ganz nahe
heran und schlägt stärker und immer stärker, gleichsam als hätte
sie nöthig, auch hierbei um die Ehre des Vorzuges zu kämpfen.
Sie findet sich Mitte Aprils bei uns ein, die Männchen zuerst,
6 bis 8 Tage später auch die Weibchen, und fangen bald nach-
her an zu nisten. Das Nest ist ohne Kunst gefertigt: aus-
wendig besteht es aus Laub, inwendig aus Grashalmen und
Wurzelfasern ; zuweilen hat es noch eine Ausfütterung von Thier-
haaren. Die Eier, 4 oder 5 an der Zahl, sind grünlich oder
grünlichbraun angelaufen und werden von dem Weibchen in 14
Tagen ausgebrütet. Darauf bringen die Alten ihre meiste Zeit
mit dem Füttern der Jungen zu. Das Männchen läßt daher
alsdann immer mehr nach mit dem Schlagen, bis es endlich im
Juni gänzlich damit aufhört. Im August ziehen die Nachtigal-
len in wärmere Länder, um nach überstandenem Winter wieder
zu uns zurückzukehren. Die Alten wissen jedes Frühjahr den
Garten oder das Gebüsch wiederzufinden, wo sie sich im verflos-
senen Jahre einer gastlichen Ausnahme erfreuten; auch die Jun-
gen kehren dahin zurück und nisten nun ebenfalls in der näch-
sten Umgebung. Merkwürdig ist noch. daß die Nachtigall sich
wenig Mühe giebt, ihr Nest vor den Menschen zu verbergen. —
Die Bastard - Nachtigall oder der Sprosser bewohnt Haupt-
48
sächlich das südliche Europa und schlägt bisweilen so stark, daß
man es im Zimmer kaum aushalten kann.
8. Das Rothkehlchen (Kdrfr. l. Nr. I7.Hbd. L. §. 7. D.a.).
9. Das Rotschwänzchen, ein schönes Vögelchen mit grauem
Rücken und rothem Bauche und Schwänze, lebt in den gemä-
ßigten Gegenden Europa's und Asien's, nistet in Baumlöchern
und singt oft andern Vögeln nach.
10. Der Zaunkönig, ein kleiner Vogel, läßt seine helltö-
nende Stimme auch im strengsten Winter erschallen (Kdrfr. 1.
Nr. 141. Hdb. I. §. 63. D. a.).
11. Das Goldhähnchen oder der gekrönte Sänger, der
kleinste Vogel in ganz Europa, ist ein niedliches Thierchen, zeisig-
grün mit einem goldgelben Scheitel, nistet gern in Fichtenwäl-
dern und hängt sein kugelichtes, seitwärts geöffnetes Nest an die
äußersten Spitzen der Zweige Seine Eier, 8 bis 12 an der
Zahl, sind so groß wie Zuckererbsen.
8- 27.
3. Ordnung. Klettervögel.
(Kdrsr. !. S. 295.)
Die Klettervögel haben an den kurzen Füßen 2 Zehen
nach vorne und 2 nach hinten. Der Schnabel ist entweder groß,
hohl und leicht, oder lang, keilförmig und dünn.
A. Die Leichtschnäbler oder papageienartigen Bögel
haben einen Schnabel, welcher meist dick und gewölbt, zuweilen
zwar unverhältnißmäßig groß, aber doch leicht, bald mit Wachs-
haut überzogen, bald ohne dieselbe, und bis zu seiner Spitze hin
mehr oder weniger gekrümmt ist. Die Füße sind bloß bei eini-
gen Arten mit einer Wendezehe versehen. Sie sind in den Wäl-
dern der heißen Zone einheimisch, zeichnen sich durch ihre List und
Gewandtheit aus, nähren sich von Pflanzenspeisen und erfüllen
jene Gegenden mit ihrem fast immer unangenehmen Geschrei.
1. Der Papagei, ein gelehriger, possirlichec und schöner
Vogel, der Affe unter den Vögeln, lernt Wörter nachsprechen,
kann niesen, gähnen, sich räuspern, seufzen und lachen. — Der
Arras wohnt in den dichten Wäldern Südamerika's in großer
Menge, hat einen langen Schwanz und ein glänzendes Gefieder,
aber ein höchst widerliches Geschrei und nährt sich besonders von
den Früchten der Fächerpalme. — Der Kakadu in Ostindien,
ist weiß, trägt eine Haube auf dem Kopfe und ist ein sehr mun-
terer, freundlicher und schmeichelhafter Vogel.
2. Der Pfefferfresser in Südamerika, grünlich schwarz mit
rother Brust und gelber Kehle, hat mit seinem unverhältnißmä-
ßigen Schnabel ein sonderbares Ansehen und lebt von saftigen
Früchten und Insekten.
49
3. Der Nashornvogel in Ostindien, so groß wie ein Trut-
hahn, hat einen sehr langen, mit einem Auswüchse versehenen
Schnabel und lebt von Früchten, Amphibien, Vögeln, Mäusen,
ja sogar von Aas.
B. Die Dünnschnäbler oder spechtartigen Vögel haben
einen Schnabel, der meist dünn, keilförmig und entweder gerade,
oder doch nur wenig gekrümmt ist. Die Beine sind kurz und
gewöhnlich bis über die Fußwurzel hinab befiedert. Sie leben
sehr ungesellig und sind der Nahrung wegen neidisch, übrigens
scheu und listig.
1. Der Specht kann geschickt baumauf und baumab klet,
lern. Seinen starken Schnabel braucht ec zum Aufhacken der
Baumrinde, um die Insekten und deren Larven unter derselben
hervorzusuchen. — Der Schwarzspecht, von der Größe der
Krähe, mit schwarzem Gefieder und rothem Hinterkopfe, lebt in
dichten Tannenwäldern von Insekten und Samen. — Der
Grünspecht, kleiner, grün, mit rothem Scheitel und Hinterkopfe,
wohnt in Laubwäldern und hat mit dem vorigen gleiche Nah-
rung. — Der große, mittlere und kleine Buntspecht leben in
unsern Wäldern.
2. Der Wendehals kann den Kopf nach allen Sekten dre-
hen, findet sich in ganz Europa und lebt von Ameisen und den
Larven der Insekten.
3. Der Eisvogel ist schön blau und roth gefärbt, hat 2
zusammengewachsene Zehen, lebt in der ganzen alten Welt ein-
zeln an Flüssen und Teichen, wo er, auf'Aesten sitzend, auf kleine
Fische und Wasserinsekten lauert.
4. Der Kuckuck, von der Größe einer Taube, grau, am
Bauche weiß mit schwarzen Querstreifen, brütet seine Eier nicht
selbst aus, sondern legt sie in die Nester der insektenfressenden
Singvögel.
5. Der Wiedehopf, über spannenlang, rothbraun mit braun-
schwarzen Flecken und einem beweglichen Fedcrbusche auf dem
Kopfe, lebt in Europa und Ostindien und hat einen widerlichen
Geruch.
6. Der Baumläufer, etwas über fingerslang, graubraun,
am Bauche weiß, ein sehr behender und lebhafter Vogel, klettert
an den Bäumen herum, um Insekten und Puppen zu suchen.
7. Der Kolibri, der kleinste Vogel (bte kleinste Art ist so
groß wie ein Maikäfer), violettgrau, in der Sonne wie Edelsteine
glänzend, lebt in Mittelamerika, nährt sich vom Safte der Blu-
men und hat eine sehr helle Stimme. Sein Nestchen von Baum-
wolle ist nicht größer als eine halbe Nußschale, und die Eier ha-
ben die Größe der Erbsen. Er wird zum Putze gebraucht.
Pechner, Hcindb. 3,Theil.
4
50
§. 28.
4. Ordnung. Tauben- und hühnerartige Vogel.
(Kdrfr.I. S.295)
Die tauben- und bühnerartigen Döget haben einen kur-
zen, am Oberkiefer gewölbten Schnabel, kurze Füße und nähren
sich meist von Pflanzensamen, weniger von Insekten.
A. Die eigentlichen Hühner haben einen Schnabel, der
kurz, stark, am gewölbten Oberkiefer etwas gekrümmt und an
der Spitze und den Seiten übergebozen ist. Die Füße sind kurze,
starke Sitzfüße und bei den meisten Arten mit einer aufwärtsste-
henden Daumenzehe begabt. Die kurzen, wenig zum Fluge ge-
eigneten Flügel legen sich neben und unter dem Schwänze zu-
sammen.
1. Das Haushuhn (Hdb. ll. S. 07.), ursprünglich in Ost-
indien zu Hause, hat sich fast über die ganze Erde verbreitet.
Weil das Huhn aus einem warmen Klima stammt, ist ihm eine
große Winterkälte immer empfindlich; besonders scheut es den
Schnee und kann ihn an seinen Füßen nicht vertragen. Der
Hahn zeichnet sich durch feine Wachsamkeit und sein Krähen aus.
Mit seinem Gegner kämpft er so lange, bis einer von beiden
den Kampfplatz verläßt. Daber hält man in China und Eng-
land Hahnenkämpfe als Volksvergnügungen und geht dabei große
Wetten ein. Seiner Fruchtbarkeit wegen ist das Huhn das nütz-
lichste unter dem zahmen Geflügel. Wenn es 10 bis 12 Monate
alt ist, fängt es an zu legen Läßt man ihm die Eier, so legt
es nur etwa 15 und brütet dann; nimmt man sie ihm aber
weg, so fährt es fort zu legen, und man erhält zuweilen in ei-
nem Jahre gegen 100 Eier. Wärme und gutes Futter befördern
die Fruchtbarkeit ungemein. Außer Gerste und Hafer dienen
hierzu vorzüglich Buchweizen, gehackte Nesseln, Hanf- und Heu-
samen, in lauem Wasser eingeweicht. Der gegen Kälte und
Raubthiere wohl verwahrte Stall muß öfters gereinigt, mit Sand
bestreut und mit Thymian und Lavendel geräuchert werden; auch
darf frisches Wasser nicht fehlen. Auf 15 bis >8 Hühner rech-
net man einen Hahn; doch darf man diesen nicht über 3, jene
nicht über 5 Jahre alt werden lassen. Die Stangen, auf denen
sie sitzen sollen, müssen des Anklammerns wegen kantig sein, und
in die Nester legt man lieber Heu als Stroh. Die Eier sind
ein fast unentbehrliches Nahrungsmittel geworden; auch das
Fleisch, besonders von jungen Hühnern, ist eine leckere Speise;
von alten ist es zähe. Um der leichteren Mästung willen wer-
den die zum Schlachten bestimmten Hühner und Hähne, wenn
sie einige Monate alt sind, geschnitten; diese heißen Kapaunen,
jene Poularden. Die langen Schwanz- und Halsfedern der
Hähne und Kapaunen werden zu Federbüschen rc. gebraucht. Der
Hühnermist ist ein gutes Düngungsmittel.
51
2. Das Perlhuhn, größer als ein Huhn, grau, fein weiß
getüpfelt, auf dem Kopfe ein schwieliges Horn, stammt auS
Afrika und wird der Seltenheit wegen unter den gemeinen Hüh-
nern gehalten.
3. Der Pfau, in Ostindien einheimisch, wird bei uns nur
zum Vergnügen gehalten, hat ein wunderschönes Gefieder und
einen prächtigen Schwanz, den er radförmig ausbreiten kann, ei-
nen fleischigen Kamm auf dem Kopfe und fleischige Kehllappen,
häßliche Füße (Kdrfr. ü. Nr. 25.) und ein widerliches Geschrei.
4. Das Truthuhn, auch welsches, kalikutsches oder
Piphuhn, Puthe und Kurre genannt, von der Größe einer
Gans, Kopf und Hals mit Fleischlappen, über dem Schnabel ein
Fleischzäpfchen, stammt aus Nordamerika und wird seines wohl-
schmeckenden Fleisches wegen auf vielen Höfen gehalten. Di
rothe Farbe und das Pfeifen kann der Puther nicht leiden und
erhebt daher ein kauerndes Geschrei, so oft er pfeifen hört.
5. Der Fasan, im südöstlichen Asten zu Hause, hat weder
Kamm noch Bartlappen, sondern nur einen nackten Ring um die
Augen und einen lang zugespitzten Schwanz. Man unterscheidet
gemeine, Gold- und Silberfasanen. Des wohlschmeckenden
Fleisches wegen werden die Fasanen in Fasanerien seingehegten
Lustwäldchen) gehalten.
B. Die Wildhühner haben einen nackten, warzigen Fleck
nahe an den Augen, leben in Feldern und Wäldern, nähren sich
von allerhand Beeren, Körnern, Kräutern, Baumknospen und
Gewürm. Im Fliegen sind sie nicht sehr geschickt, halten auch
nicht lange aus, lausen aber ungemein schnell. Beim Auffliegen
machen sie ein starkes Geräusch. Das Fleisch der meisten ist
wohlschmeckend In den übrigen Merkmalen stimmen sie mit
den eigentlichen Hühnern überein.
1. Das Rebhuhn im mittleren Europa und in den gemä-
ßigten Gegenden des asiatischen Rußlands, von der Größt einer
kleinen Taube,, hat ein aschgraues, schwärzlich und röthlich ge-
mischtes Gefieder, auf der Brust einen kastanienbraunen Fleck,
einen rostrothen Schwanz und hält sich im Getreide auf, wo es
wegen des Fleisches geschossen wird. Das Weibchen legt 16 bis
20 schmutzig grünlichweiße Eier in einer Vertiefung des Ackers.
2. Die Wachtel sKdrfr. ll. Nr. >5.), ziemlich eben so groß,
braun, schwarz gewellt, hat keinen kahlen Fleck, sondern nur ei-
nen gelblichweißen Strich über den Augen, ritzenförmige Nasen-
löcher, die mit einer sehr schlecht aufgeblasenen Haut überzogen
sind, hält sich im Getreide auf, wo sie besonders zur Erntezeit
sehr laut schlägt, und kommt im Spätfrühling in so ungeheuren
Schaaren aus den heißen Ländern nach Europa, daß man sie da,
wo sie sich zum Ausruhen niederläßt B. auf der Insel Capri
bei Neapel), zu vielen Tausenden sängt, und im Herbste, wenn
sie fortzieht, ebenso.
4 *
3. Das Auerhuhn, so groß wie ein Truthuhn, meist
von schwarzer Farbe, hält sich im nördlichen Europa in dichten
Waldungen, besonders in der Nähe von Duellen und Bächen
auf, ist außerordentlich scheu und hat ein scharfes Gesicht und
Gehör. Die Henne nistet in hohem Grase und auf trockenem
Laube, legt 6 bis >6 weiße, schmutziggelb gefleckte Eier und brü-
tet sie aus, ohne daß sich der Hahn darum kümmert.
4. Das Birkhuhn hat die Größe des Haushuhnes, aber
die Lebensart des Auerhuhnes. Hals, Brust und Rücken sind
bläulichschwarz, die Flügel grau und weiß mit gelben Flecken;
das Weibchen ist rostfarben.. Man trifft es zuweilen in Birken«
Waldungen und achtet es als gutes Wildpret.
5. Das Schneehuhn auf hohen Gebirgen, so groß wie eine
Taube, ist im Sommer grau, im Winter weiß und läßt sich mit
der Hand greifen, wenn man ihm Brot vorhält.
6. Das Haselhuhn, fast noch einmal so groß als das Reb-
huhn, dem es gleicht, hat einen aschgrau, dunkelbraun und röth-
lich gefärbten Leib und lebt einsam in Haselgebüschen.
7. Der Trappe in den gemäßigten Ländern der alten Welt,
ist der größte unter allen inländischen Vögeln, wenigstens der
schwerste, denn sein Gewicht beträgt gegen 30 Pfund; das Weib-
chen ist etwas kleiner. Kopf und Hals des Männchens sind
bläulich aschgrau, der Rücken gelblich mit schwarzen Streifen,
der Bauch weißlich, und an beiden Seiten des Unterkiefers ste-
hen lange, weiße Bartfedern wie ein Schnurrbart. Er hat 3
Zehen, läuft sehr schnell, kann indeß nicht auffliegen, ohne vor-
her einen starken Ansatz genommen zu haben. Seine Nahrung
sind Getreide und andere Körner, grüne Saat, Kohlblätter, Rüb-
saat, Insekten und Würmer. Die Henne legt in Gebüschen 2
bis 3 große bräunlichgrüne Eier in ein Erdloch und brütet sie in
4 Wochen aus. Zu uns kommt der Trappe nur als Zugvogel,
hält sich in Saatfeldern auf, gewöhnlich truppweise, oft gegen
30 bis 40 beisammen, und streift von einem Felde zum andern.
Er gehört zur hohen Jagd und wird zu allen Zeiten geschossen.
Die Jäger müssen sich ihm auf einem verdeckten Wege nähern,
denn er ist sehr scheu. Das Fleisch der Jungen ist gut, das der
Alten muß aber erst mehrere Tage in saure Milch gelegt werden,
ehe man es genießen kann. Die Federspulen werden wie Gän-
sefedern zum Schreiben gebraucht. Seiner ganzen Gestalt und
Lebensweise nach gehört der Trappe eher zu den Laufvögeln, als
zu den Hühnern.
§. 20.
0. Lauben.
C. Die Tauben oder Flugvögel haben alle einen weichen,
dünnen, geraden, am Grunde häutig aufgetriebenen und bloß an
der Spitze etwas gekrümmten Schnabel. Die Nasenlöcher liegen
53
in einem weiten Raume und werden von einer Knorpelschuppe
bedeckt. Die Beine sind kurze, mit 4 bis an die Wurzel gespal-
tenen Zehen begabte G-mgfüße. Die Nahrung besteht aus Kör-
nern und Samen. Sie fliegen sehr geschickt, sind sanfter und
stiller Art, leben paarweise, sind über den ganzen Erdboden ver-
breitet und liefern ein wohlschmeckendes Fleisch.
1. Die Haustauben gehören unter die freiesten Hausthiere;
sie fliegen nach Belieben aus und ein, brüten jährlich wohl 8 bis
lOmal und verlangen nur im Winter Futter von ihrem Haus-
wirthe. Ihre liebste Nahrung sind Gerste, Wicken, Erbsen, Wei-
zen K.y aud) fressen sie gern gekochte Kartoffeln. Reinlichkeit
und frisches Wasser sind ihnen dienlich. In Gärten und Fel-
dern thun sie allerdings nicht unbeträchtlichen Schaden; allein
wir erhalten von ihnen auch eine angenehme Speise und einen
sehr guten Dünger, der unter andern für den Tabacksbau der
beste ist.
2. Die Holztaube oder wilde Taube hat ein schönes,
blaugraues Gefieder und hält sich gern in großen, mit Nadelholz
vermischten Laubwaldungen auf.
3. Die Ringeltaube ist die größte,
4. Die Turteltaube die kleinste einheimische Taubenart.
5. Die Lachtaube, welche aus Ostindien stammt, wird bei
uns ihrer lachenden Stimme wegen in Stuben gehalten.
6. Die Brieftaube wird in England, Frankreich und Bel-
gien zum schnellen Verschicken der Briefe benutzt.
7. Die Wandertaube in den Wäldern von Nordamerika
durchzieht in Schwärmen von Millionen das Land, so daß oft die
Bäume unter ihrer Last zusammenbrechen und ganze Getreidefel-
der verwüstet werden.
8. Die Trommeltaube hat langbesiederte Füße und eine
starke, trommelähnliche Stimme.
9. Die Kropftaube zeichnet sich durch einen starken Kropf aus.
10. Das Mövcheu ist an den krausen Brustfedern und dem
ganz kurzen Schnabel kenntlich.
11 - Der Tummler hat einen glatten Kopf und kahle Au-
genringe.
12. Die Schleiertaube ist mit einem vorwärts gerichteten
Kopfbusche geziert-
13. Die Pfauenlaube hat einen aufrechten, ausgebreiteten
Schwanz.
8 30.
5. Ordnung. Kurzflügler.
(Kdrst.l. S. 295.)
Die Kurzflügler oder Laufvögel sind große Vögel mit
langem Halse, hohen, starken Stelzenbeinen mit Lauffüßen und
54
2 oder 3 Zehen, äußerst kurzen Flügeln, die sehr schwache Mus-
keln, gar keine Schwungfedern, überhaupt nichts von dem besiz-
zen, was sie geschickt machte, den schweren Körper von der Erde
zu erheben. Daher können sie nur sehr niedrig oder gar nicht
fliegen, aber desto schneller laufen. Der Schnabel ist meist breit,
> stumpf, von mittlerer Größe und stets mit mehreren Eindrücken
versehen. Deutlich tritt bei ihnen der Uebergang von den Federn
zu den Haaren hervor, und sie vermitteln daher die Grenze zwi-
schen den Vögeln und den Säugethieren.
1. Der Strauß in Afrika und Südasi'en ist der größte al-
ler bekannten Vögel, denn er wird 8' hoch. Die Füße haben
nur 2 Zehen. Die Eier, von der Größe eines Kinderkopfes und
2 bis 3 Pfund schwer, haben einen vortrefflichen Geschmack, und
die Schale wird zu Gefäßen benutzt. Die Nahrung besteht in
Körnern und frischen, saftigen Früchten; er verschluckt aber auch
Steine, Eisen, Leder, ja glühende Kohlen. Der Lauf ist so schnell,
daß ihn ein Pferd kaum einzuholen vermag. Die Haut giebt ein
gutes Leder, und seine weiß und schwarzen Schwanzfedern wer-
den zu Federbüschen und zur Verzierung der Damenhüte benutzt.
2. Der Kasuar in Ostindien und auf Neuholland gleicht
in Bildung und Lebensart dem Strauße, ist aber nur halb so
groß, braunschwarz, Kopf und Hals sind nackt und blau mit
rothen Fleischlappen, und auf dem Kopfe hat ec einen hornigen
Kamm. Seine Federn gleichen den Pferdehaaren. Er lebt von
Früchten, Gras, Kohl und jungen Enten und Hühnern.
§• 31.
(i. Ordnung. Sumpfvögel.
(Kdisr. I. S. 295.)
Die Sumpf- oder Watvögel haben lange, mit 4 gehefte-
ten oder gar mit einer Schwimmhaut verbundenen Zehen begabte
Beine, langen Hals und Schnabel; denn sie sind angewiesen,
auf Sümpfen, wie auch an den feuchten Ufern der Flüsse und
Teiche umherzuwaten und sich dort ihre Nahrung, nämlich aller-
lei Insekten, Würmer und Amphibien, zu suchen. Einige gehen
auch wohl ins Wasser und verzehren Fische. Ihr Nutzen besteht
darin, daß sie eine Menge schädlicher, zuweilen äußerst lästiger
Thiere wegfangen.
A. Die Neiher oder Störche haben einen bedeutend star-
ken Schnabel, der stets länger als der Kopf, gerade und von der
Seite etwas zusammengedrückt ist. Die Beine sind lange Stel-
zenbeine mit 4 an der Wurzel verbundenen Zehen. Der Hals
ist lang, und der ganze Körperbau schmächtig.
I. Der Storch hat ein weißes Gefieder; nur die Schwung-
und die langen Schulterfedern sind schwarz, Schnabel und Beine
55
roth. In seinem ganzen Betragen zeigt er eine Art von An-
stand. Seine Gang ist gravitätisch, aber noch weit schöner sein
Flug, der einem Schwimmen in der Luft gleicht und oft sehr
artige Schwenkungen bildet. Wenn ec still sitzt oder schläft,
zieht er gewöhnlich ein Bein an sich wie die Gänse. Er liebt
die Reinlichkeit, putzt sich oft, sträubt die Federn und schüttelt
sie aus. Durch ein starkes Zusammenschlagen der beiden Schna-
belhälften klappern die Störche besonders des Nachts, im Zorne
und zur Paarungszeit Zähmen lasten sie sich leicht und gehen
dann wie Gänse in den Gärten und Höfen umher, wenn man
ihnen tie Flügel verschnitten oder geknickt hat; auch schadet ih-
nen alsdann die Winterkälte nicht. Ihre vorzüglichste Nahrung
sind Frösche, Schlangen und Eidechsen, Wiesel, Feldmäuse und
Maulwürfe, Schnecken, Krebse, Heuschrecken und andere Insek-
ten, Regenwürmer, ja wohl auch junge Enten, Rebhühner und
andere Vögel. Um diese Thiere zu fangen, gehen sie fleißig auf
Sümpfen und feuchten Wiesen umher, fahren mit ihrem spitzi-
gen Schnabel, an den sie stets ihre Beute erst anspießen, bald
da-, bald dorthin und steigen auch ziemlich tief in das Wasser
hinein. Selbst große Fische und die längsten Nattern verschluk-
ken sie ganz. Sie der wenigen Eier, Feldhühner und jungen
Enten wegen zu verfolgen, ist sehr unrecht; denn sie sind durch
die Vertilgung lästiger Thiere äußerst nützlich. Die Störche le-
ben paarweise und bauen ihr großes Nest, das sie aus dürren
Reisern und Dornen kunstlos zusammenflechten und' inwendig
mit Rasen belegen, auf Dächern, Schornsteinen oder abgestutzten
Bäumen. Dankbar benutzen sie dabei das Wagenrad, welches
ihnen irgend ein Landmann zur Unterlage desselben auf sein Dach
getragen hat. Besuche von andern Störchen verbitten sie sich
und wehren sie durch Klappern, oder auch, wenn's nöthig ist,
durch fürchterliche Bisse ab; nur den Sperlingen gestatten sie
großmüthig, im Umfange ihrer Wohnung, welche zuweilen 6'
Durchmesser hat, zu nisten. Das Weibchen legt 2 bis 3 ocker-
gelbe, längliche Eier und brütet sie mit dem Männchen gemein-
schaftlich in 3 Wochen und etlichen Tagen aus DieAlten sor-
gen treulich für ihre Jungen unb bringen ihnen Nahrung im
Ueberflusse. Anfangs legen sie ihnen zerrissene Frösche, Eidech-
sen, Blindschleichen und andere Thiere vor, hierauf, wenn näm-
lich die Jungen etwas größer geworden sind, diese ganz; zuletzt
bringen sie ihnen im Schnabel außer der gewöhnlichen Nahrung,
die sie im Schlunde beherbergen, wohl noch eine lebendige Maus
zum Spielen und zugleich zur Uebung in ihrem künftigen Ge-
werbe mit. Selten fliegen beide Eltern gemeinschaftlich aus.
Merkwürdig ist noch die Wanderung der Störche. Zu Anfange
des März kommen sie in Deutschland an und ziehen zu Ende
des August wieder fort. Ihre große R)ise geht wahrscheinlich
nach Spanien und der nordwestlichen Küste Afrika's. Wo sie
56
einzeln wohnen, rufen die Familien sich gegenseitig ab; wo sie
häufiger sind, versammeln sie sich zu Hunderten und üben sich,
bevor sie ihre Wanderung antreten, im Fliegen (Kdrfr. l. Nr.
189. 2). — Der schwarze Storch, welcher seltener bei uns
vorkommt, nistet auf Baumen im Walde.
2. Der Reiher gleicht in Gestalt und Lebensweise dem
Storche, ist aber kleiner, auf dem Rücken bläulich aschgrau, jede
der beiden Seiten sammetschwarz, der Unterleib weiß, und nur
die Brust schwarz gefleckt. Von dem Kopfe, Halse und Rücken
hängen lange, schwarze Federbüsche herab. Ec thut besonders den
Fischteichen großen Schaden. Seine Eier und Jungen werden
für eine leckere Speise gehalten.
3. Der Kranich- in seiner Lebensweise auch mit dem Storche
verwandt, 4' hoch, grau mit schwarzer Kehle, rothem, fast nack-
tem Hinterhaupte, langen, weichen, gekräuselten Federn am Bür-
zel, nistet in Schilf und Erlengebüschen, läßt sich, jung aus dem
Neste genommen, zähmen und nützt uns durch sein Fieisch und
seine Federn. Im Herbste zieht er, hoch fliegend, nach Afrika
und Südasien, wobei er ein gräßliches Geschrei macht.
4. Die Rohrdommel auf sumpfigen Wiesen hat die Größe
einer Ente, ist rothgelb mit braunen Flecken und Querstreifen
und hat ein merkwürdiges Geschrei, das ihr ihren Namn ver-
schafft hat.
5. Der Ibis fängt viele schädliche Amphibien weg, zerstört
die Krokodill-Eier und war deswegen bei den alten Aegyptern
so hoch geehrt, daß sie ihn nach seinem Tode einbalsamirten.
tz. 32.
B. Fuftwastervögel und C. Wasterstelzen.
B. Die Luftwasservögel haben einen Schnabel, der dünn,
bald kürzer, bald länger ist als der Kopf, gerade oder gebogen
und nicht, wie bei den Reihern, von der Seite her zusammenge-
drückt, sondern vollkommen walzenförmig. Die Beine sind lang
und haben entweder 4 geheftete, oder bis zur Wurzel getrennte
Zehen. Die Hinterzehe ist klein, oder fehlt ganz. Sie nisten
sämmtlich auf der Erde.
1. Der Brachvogel oder die Doppelschnepfe hat die Größe
eines Kapauns, einen sichelförmig gebogenen Schnabel und ein
weißlichgraues Gefieder.
2. Die Waldschnepfe, von der Größe eines Rebhuhnes,
hat eine aschgrau, schwarz und röthlich gewässerte Farbe, 3 rost-
gelbe und 4 schwarzbraune Querbinden auf Scheitel, Hinterkopf
und Nacken. Sie lebt in den milderen Gegenden der nördlichen
alten Welt, zieht zu Anfange des Winters südlich und wird ge-
schossen, weil das Fleisch und die Gedärme mit Allem, was darin
ist, für einen Leckerbissen gehalten werden.
57
3. Die Heerschnepfe oder Bekassine ist ungefähr so groß
wie eine Wachtel, läßt besonders im August und September ihr
meckerndes Geschrei hören, wird davon auch Himmelsziege
genannt und hat ein sehr geschätztes Fleisch.
4. Der Kampfhahn oder der Renomist in der nördlichen
alten Wett, von der Größe einer Feldtaube und sehr verschiede-
ner Farbe und Schattirung, hat seinen Namen von der großen
Kampflust, welche die Männchen in einem hohen Grade besitzen.
5. Der Kiebitz hat von seinem Geschrei diesen Namen,
kommt an Größe beinahe einer Taube gleich, ist auf dem Kopfe
mit einem schwarzgrünen Federbusche geziert, mit dunkelgrünem
Rücken und schwarzer Brust, lebt auf feuchten Wiesen häufig,
zieht südlich und liefert sehr schmackhafte Eier.
6. Der Wiesenschuarrcr, Wachtelkönig, die faule Magd
oder das knarrende Rohrhuhn ist 10 bis 12" laug, hat ein
bräunlich gesprenkeltes Gefieder und nistet auf unsern Wiesen,
wo er bei Abend oft seine schnarrende Stimme hören läßt. Ec
kann sehr schnell zwischen den Grashalmen umherlaufen und ist
im Herbste überaus fett.
C. Die Wasserstelzen zeichnen sich durch einen ungemein
verschiedenen, bei allen aber höchst sonderbar gebildeten Schnabel
aus- Die Beine sind sehr lang, und die Zehen entweder durch
eine ganze oder halbe Schwimmhaut mit einander verbunden.
Bei uns kommen sie nicht vor.
1. Die Flamingo's haben einen nackten, winkelförmig ge-
krümmten Schnabel, der inwendig gezähnelt ist. Der Hals und
die Beine sind außerordentlich lang. — Der rothe Flamingo
oder Flamant in Afrika und Südamerika ist 6' hoch, so groß
wie eine Gans, hat ein dunkel scharlachrothes Gefieder mit schwar-
zen Schwungfedern und scharlachrothe Beine.
2. Der Lösfelreiher oder die Löffelgans an den Küsten
der alten Welt hat einen löffelförmigen Schnabel und weiße
Federn.
3. Der Wassersäbler oder Säbelschnäbler in Nordeuropa
hat einen an der Spitze aufwärts gebogenen Schnabel und ein
schwarz und weißes Gefieder.
§ 33.
7. Ordnung. Schwimmvögel.
«Kdrfr.I. S. 203.)
Die Schwimmvögel haben einen Schnabel, welcher platt,
zusammengedrückt, sehr verschieden gestaltet und meist mit Haut
überzogen ist. Die Füße find bald Ruderfüße, bald ganze oder
halbe Schwimmfüße. Der Hals übertrifft, was merkwürdiger
Weise nur bei den Schwimmvögeln vorkommt, an Länge die
58
Beine. Der ganze Körper endlich ist mit dicht auf einander lie.
genden, stets eingeölten, daher kein Wasser durchlassenden Flaum-
federn bedeckt. Die meisten besitzen auch Tauchfähigkeit, d. h.
das Vermögen, sich plötzlich unter das Wasser zu versenken und
vermittelst ihrer Füße und Flügel sich so lange unter demselben
zu erhalten, bis ihnen der Athem ausgeht. Dagegen können sie
nur unbequem gehen, weil ihre niedrigen Beine sehr weit nach
hinten stehen, welche Einrichtung wieder für sie als Schwimm-
vögel sehr vortheilhaft ist. Einige leben immer auf dem Wasser,
andere abwechselnd auf dem Wasser und auf dem Lande. Das
Brüten besorgt das Weibchen allein, und das Männchen trägt
weder dem brütenden Weibchen Futter zu, noch bekümmert es
sich sonst um die Erziehung der Jungen. Desto sorgfältiger und
zärtlicher führt und beschützt sie aber die Mutter. Sie leben
gern in Gesellschaft und vermehren sich sehr; auch scheinen sie,
wenige ausgenommen, die dümmsten und wehrlosesten (Schafe)
unter den Vögeln zu sein. Die Gänse und Enten sind uns als
Hausgeflügel sehr nützlich geworden; denn sie liefern uns elastische
Betlfedern, so wie die vorzüglichsten Schreibfedern. Auch ist der
Nutzen ihrer Eier, ihres Fleisches und Fettes gleichfalls nicht
unbeträchtlich. Die mit den Federn gegerbten Häute einiger
Schwimmvögel geben einen trefflichen Pelz.
1. Die Gans ist durch die häusliche Erziehung sehr verän-
derlich in der Farbe, kommt jedoch am häufigsten weiß vor. Un-
ter dem zahmen Federvieh erreicht sie vielleicht das höchste Alter,
gewöhnlich 20 bis 24 Jahre; man läßt sie aber nicht über vier
Jahre alt werden, weil sonst das Fleisch nicht mehr eßbar ist.
Ihre Nahrung ist Gras, Wurzeln; im Hause Körner, Kohl, Rü-
ben, gestampfte Kartoffeln; im Winter Strünke von Kraut rc.
Himbeeren sind ihnen gefährlich, Füchse und Marder ihre Feinde.
Das Mästen der Gänse geschieht auf verschiedene, zum Theil
recht abscheuliche Arten. In Pommern giebt man sich viel mit
der Gänsezucht ab, und die pommerschen Gänsebrüste sind als
Leckerbissen sehr geschätzt. — Die wilden Gänse sind kleiner
als die zahmen, oben aschgrau, am Bauche grauweiß, am Halse
gestreift. Sie wohnen auf der ganzen Erde, und die meisten sind
Zugvögel. Bei ihren Zügen bilden sie ein Dreieck. In manchen
Gegenden fallen sie zu Tausenden auf die Saatfelder und richten
hier beträchtlichen Schaden an. Nur mit vieler Mühe werden
sie vom Jäger überlistet, wenn er sie schießen will; denn sie sol-
len ordentlich Posten ausstellen, überhaupt sehr schüchtern und
schlau sein, was sich von den zahmen Gänsen gerade nicht sagen
läßt. .
2. Die Ente ist nächst der Gans der nützlichste Schwimm-
vogel. Sie wird nicht bloß in Europa, sondern auch in Asien
und Amerika angetroffen. Ihre Farbe und Zeichnung ist sehr
schön, aber wie bei allen Hausvögeln sehr verschieden. Die mel«
59
sten haben auf den mittleren Schwungfedern den mehr oder we-
niger blauen, grünlich schillernden und schwarz eingefaßten Spie-
gel. Auf dem Kopfe findet man nicht selten einen Federbusch.
Bei ihrer großen Gefräßigkeit bat sie einen stumpfen Geschmack;
denn sie verzehrt nicht bloß Körner, sondern auch Insekten und
Gewürm, Frösche, Kröten und Mäuse, ja allen Unrath und
selbst die ekelhaftesten Dinge. Zucker ist ihr tödlich. Ihre Nah-
rung sucht sie sich selbst auf Sümpfen, Teichen, See'n rc. Ge-
wöhnlich legt sie 30 Eier, und, läßt man sie nicht brüten, jährlich
wohl an 100 Stück. Der Brutente legt man !3 bis 15 Eier
unter. Nach 4 Wochen schlüpfen die Jungen aus. Man pflegt
die Enteneier lieber von Hühnern ausbrüten zu lassen, weil die
Enten zu ungeduldig sind, einen Monat lang auf dem Neste zu
sitzen, auch wohl aufs Wasser gehen und dann mit nassen Federn
sich wieder auf die Eier setzen, wodurch diese nicht selten faul
werden. Außer den Eiern und dem sehr wohlschmeckenden Fleische
benutzt man auch die Federn. — Die wilde Ente, ein Strich-
vogel, ist sehr scheu und furchtsam. jHdb. l. tz4i. I). a)
3. Die Eidergans, ein Mittelding zwischen Gans uad Ente,
bewohnt das nördliche Europa und liefert die kostbaren Eider-
dunen.
4. Der Schwan, der sich wild in Europa und Sibirien
findet, wird noch größer als die Gans, hat einen schwarzen
Schnabel und schwarze Füße, ziert die herrschaftlichen Teiche und
nützt uns durch seine schönen Federn.
5. Das Blässenhuhn oder schwarze Wasserhuhn in Eu-
ropa, Sibirien und Nordamerika, hat eine kahle Blässe an der
Stirn.
6. Der Pelikan oder die Kropfqans, der größte aller
Schwimmvögel, lebt an den Küsten der südlichen Meere und hat
an seiner Kehle eine sackartige Erweiterung, in welcher er die
Fische aufbewahrt, welche ec verzehren will.
7. Die Fettgans oder der Pinguin in der Südsee hat
statt der Flügel flossenarlige, mit Schuppen bedeckte Lappen, die
sie zum Rudern gebraucht.
8. Die Möve, so groß wie eine Ente, lebt auf dem Meere
und auf Flüssen von Fischen.
9. Der Sturmvogel» von der Größe einer Schwalbe und
schwarz, lebt fern vom Lande fast auf allen Meeren und zeigt
Sturm an, wenn ec sich auf die Schiffe setzt. Man soll ihn
seines Fettes wegen als Lampe gebrauchen können, indem man
einen Docht durch ihn zieht. Er wird, so wie auch die
Möve, von manchen Naturforschern zu den Luftwasservögeln
gerechnet.
60
§• 34.
Die Vögel im Allgemeinen.
(Kdrfr. I. Nr. 189. u. 193.)
^ Der Flug ist allen Vögeln mit sehr wenigen Ausnahmen
(Strauß, Kasuar, Fettgans) eigen. Nicht alle aber fliegen gleich
grtt und geschwind. Einige erheben sich mit Mühe in die Luft
(Hühner) und ermüden bald, während andere die weitesten Reisen
machen, ohne sich auszuruhen (Kraniche). Einige fliegen langsam,
aber sehr anhaltend (Habicht), andere schießen pfeilschnell durch
die Luft, aber nur auf kurze Entfernungen (Falken); einige er-
heben sich zu unabsehbarer Höhe (Adler), andere flattern niedrig
über dem Boden hin (Schwalben, wenn es regnen will). Eine
Feldtaube durchfliegt einen Raum von 100 Schritten in 5 Se-
kunden, also in einer Stunde 5 Meilen. Langsamer, aber dau-
ernder fliegen der Kranich und der Storch, nämlich in einer
Stunde 2^/2 Meilen. — Der Gang ist sehr verschieden. Einige
laufen mit erstaunlicher Geschwindigkeit (Strauß); manche hüpfen
nur (die meisten Singvögel); andere watscheln von einer Seite
zur andern (Schwimmvögel), weil bei ihnen die Beine so weit
nach hinken gerückt sind. — Die meisten Vögel können wenig-
stens eine Zeit lang schwimmen; freiwillig thun es aber nur
die Schwimmvögel, welche zu diesem Zwecke Schwimm- oder
Lappenfüße haben. Sie vermögen auch unterzutauchen; die
Schwimmvögel, welche diese Fertigkeit in einem hohen Grade be-
sitzen, thun es theils um Nahrung zu suchen, theils um sich ih-
ren Feinden zu verbergen.
Jeder Vogel hat eine Stimme; bei einigen ist sie unglaub-
lich stark (Kranich); andere haben eine sehr schwache, die sie sel-
ten hören lassen, so daß man sie im gemeinen Leben auch wohl
stumm nennt (der sogenannte stumme Schwan); einige erfreuen
durch ihren melodischen Gesang (Singvögel). Jeder Vogel kann
verschiedene Töne hervorbringen, je nach den Gefühlen, die er
ausdrucken will. Ganz anders klingt die Lockstimme, mit der sich
die Vögel einer Art zusammenrufen; ganz anders der Ruf des
Schreckens und der Angst, und endlich ganz verschieden der Ton
des Wohlbehagens und der Freude, der eigentliche Gesang.
Alle Vögel legen Eier, in denen sich nie vor dem Legen
das Junge entwickelt. Die kalkige Schale ist voll feiner Löcher,
durch welche das Junge im Eie ausdünsten und athmen kann.
In der Regel sind die Eier weiß, doch auch gefleckt und gestri-
chelt, und selbst gleichförmig gefärbt. Die Zahl der Eier, welche
auf eine Brut gelegt werden, ist sehr verschieden und wechselt
von > bis 20; doch bleibt die gewöhnliche Zahl zwischen 0 und
12. Die meisten Eier legen die Meisen (öfters 20 Stück), die
Hausvögel, bisweilen auch das Rebhuhn; 6 bis 10 Eier legen
61
die meisten Wald- und Singvögel; 4 die kleinen Raub- und die
großen Sumpfvögel; die großen Raubvögel, eine Menge Wald-
vögel der heißen Zone (Papageien) nur 2; I manche hochnordi-
sche Waffervögel. Nur Hausvögel legen ihre Eier zu allen Jah-
reszeiten; Vögel in ihrer ursprünglichen Freiheit legen stets zu
einer bestimmten Jahreszeit, die meisten im Frühjahre. Eine
merkwürdige Ausnahme machen einige Arten der Gattung Kreuz-
schnabel, welche an keine bestimmte Jahreszeit gebunden sind.
Unter den höheren Thieren sind die Vögel die einzigen,
welche die Jungen durch ihre eigene Wärme ausbrüten und für
dieselben sorgen. Sie bauen für die Eier künstliche Nester
(Hdb. I. §. 100. D. c) und gleichen hierin dm Insekten, welche
für ihre Eier Zellen bauen, Höhlen graben, oder Löcher nagen
und sehr oft die Nahrungsmittel hineinschaffen. Diese unter-
scheiden sich von den Vögeln dadurch, daß sie das letztere vor dem
Ausschlüpfen der Jungen thun.
Das Brüten dauert gewöhnlich einige Wochen, bei den Hüh-
nern 3. Die Brütwärme ist 30° R., und wenn man Eier in
einer Blechmaschine einer solchen Temperatur aussetzt, so entwik-
keln sie sich ebenfalls. Die Kolibri's und Meisen brüten nur 10
bis 14 Tage, die Spechte 14 bis 18, Rebhühner, Raben und die
meisten Raubvögel 20 bis 2!, der Schwan 35, der Strauß 48
bis 50, das Haushuhn 20 bis 21, die Gans 28 Tage.
Die Jungen kommen in der Regel nackt aus dem Eie,
oder nur mit wenig Flaum bedeckt, der aber bei den höheren
schnell wächst, so daß sie nach wenigen Tagen davonlaufen (Hüh-
ner und manche Sumpfvögel) und ihre Nahrung selbst suchen,
die meisten Schwimmvögel sogleich schwimmen können. Den an-
dern muß das Futter, das fast allgemein aus thierischen Stoffen
besteht, ins Nest getragen werden Alle Sinz-, Wald- und Raub-
vögel kommen z. B. sehr unbehülflich, nackt und blind aus dem
Eie, bleiben im Neste sitzen und müssen geätzt werden. Diese
Vögel nennt man Nesthocker, jene Nestflüchter oder Pip-
pe l. Die Jungen entwickeln sich außerordentlich schnell und sind
bald reif. Dessen ungeachtet werden sie verhältnißmäßig' viel äl-
ter als die Säugethiere.
Bei keiner Thierklasse ist die Nahrung so mannichsaltig
wie bei den Vögeln, und auch darum schließen sie sich wieder an
die Insekten an, welch? vor den Vögeln nur noch das voraus
haben, daß sie auch Holz fressen. Sonst ist dem Vogel Alles
recht, was die Pflanze hervorbringt, Samen, Körner, Kerne,
Beeren, Obst, weiche Wurzeln, Blüthen und selbst junges Laub
und Sprossen. Eben so halten sie es mit dem Thierreiche und
verzehren Muscheln, Schnecken, Würmer, Krebse, Spinnen, Mük-
ken, Käfer, Schmetterlinge, Fische, Eidechsen und Frösche, selbst
Vögel und Säugethiere. Auch alles Gekochte ist ihnen recht,
sogar stinkendes Aas. Sie fressen auch, wie die Insekten, mehr
62
als sie brauchen können, oft in einem Tage so viel, als sie selbst
schwer sind. Die meisten suchen ihre Nahrung bei Tage, gehen
mit Sonnenuntergang schlafen und wachen mit dem Aufgange
derselben wieder auf; einige wenige schlafen bei Tage und rau-
ben bei Nacht ((Sillen). Sie saufen ziemlich viel, und zwar nur
reines Wassar, in welchem sie sich auch gern baden, worauf sie
die Federn mit Fußen und Schnabel in Ordnung bringen und
dieselben aus ihrer Fettdrüse auf dem Bürzel einschmieren.
Die Vögel sind nicht, wie die Amphibien fast ausschließlich,
an das warme Klima gebunden, sondern bevölkern wie die Fische
die ganze Erde Bei diesen ist ohne Zweifel die ziemlich gleiche
Temperatur des Wassers die Ursache, bei jenen die Federdecke
und das warme Blut, durch welche sie die Einwirkung der Kälte
abhalten und ausgleichen können. Ihr Blut ist einige Grade
wärmer als das der Säugethiere, nämlich 102 bis 104^ F.
Der Aufenthalt der meisten Vögel ist hoch in der Luft,
auf Bäumen, Thürmen und Felsen; manche laufen fast beständig
auf der Erde umher; viele andere endlich schwimmen auf dem
Wasser und gehen nur ans Land, um zu brüten Ein Theil
derselben bleibt immer in einer und derselben Gegend, weil sie
die Kälte ertragen und die Nahrung finden können (Sperlinge,
Meisen, Spechte, Raben, Rebhühner ic.) und heißen daher
Standvögel. Andere streichen um der Nahrung willen in an-
dere Gegenden (Hänflinge, Distelfinken, Drosseln jc.) und heißen
daher Strichvögel. Noch andere endlich gehen wegen Mangels
an Wärme und Nahrung in ganz entfernte Länder (Nachtigallen,
Wachteln, Schwalben, Störche rc.) und beißen daher Zugvögel.
Im Herbste ziehen sie südlich, manche bis Afrika, und im Früh-
jabre kommen sie wieder zurück auf ihren alten Standort, die
Männchen gewöhnlich einige Tage früher, z. B. die gem. Finken.
Ueber das Alter der Vögel in ihrem wilden Zustande läßt
sich nichts Bestimmtes angeben. Wenige mögen eines natürli-
chen Todes sterben, da die Zahl ihrer Feinde so sehr groß ist.
Wahrscheinlich können sie aber ein hohes Alter erreichen; man
spricht von Papageien, Schwänen und Raben, die in der Gefan-
genschaft 100 Jahre und darüber alt geworden sein sollen. Mö-
gen auch manche dieser Angaben übertrieben sein, so ist es doch
nicht zu bezweifeln, daß d>e Vögel im Ganzen älter werden als
die Säugethiere.
Die Zahl aller bis jetzt bekannten Vögel beträgt etwa 6500.
In Europa sind etwa 400 Arten einheimisch; von diesen kommen
auf Deutschland ungefähr 320. Sehr viele sind über mehr als
einen Erdtheil verbreitet; die Mehrzahl unserer Zugvögel über-
wintert z. B. in Afrika. Zieht man von den 400 europäischen
alle ab, welche auch in andern Erdtheilen vorkommen, so bleiben
für Europa nur etwa 40 eigenthümliche Vogelarten.
63
Mas den Nutzen und Schaden der Vögel betrifft, so ist
es kaum der Mühe werth, von dem letzteren zu reden, wenn
man jenen in Betracht nimmt. Die meisten Vögel ziehen durch
ihr schmuckes Aussehen, ihre schönen Farben und ihr lebhaftes
Betragen unsere Aufmerksamkeit auf sich; viele erheitern uns
durch ihren Gesang; die meisten dienen uns zur Nahrung oder
liefern Federn in die Betttn und zum Schreiben, oder Fett zum
Brennen. Kein Vogel ist giftig. Die Stieglitze schaden wohl
dem Mohne, die Sperlinge dem Getreide, die Raubvögel mit-
unter der Jagd; aber was ist das gegen die vielen Raupen und
Mause, welche sie vertilgen!
Dritte Klaffe.
Amphibien.
§ 35.
Die Eintheilung -er Amphibien.
(Kdrst. I. S. 295.)
Das Wort Amphibien bezeichnet eigentlich und ursprüng-
lich solche Thiere, die eben sowohl im Wasser als auf dem Lande
leben können; hier aber begreift es diejenigen Thiere, welche
ein Herz mit einer Herzkammer und einer oder zwei
Vorkammern undrothes, kaltesBlut haben, durchLun-
gen athmen, zwei binten durchgehende Nasenlöcher,
aber verschlossene Ohren besitzen. jHdb. 11. S. 100.)
Man nnnnt sie auch Reptilien, d h. Kriecher, und Lurche.
Gewöhnlich theilt man die Amphibien in Kruper(kriechende)
oder Amphibien mit 4 Füßen, wohin die Schildkröten, Frösche,
Kröten und Eidechsen gehören, und die Schleicher oder Amphi-
bien ohne Füße, zu denen bloß die Schlangen gerechnet werden.
Oder man theilt sie in Frösche, Schlangen, Eidechsen und Schild-
kröten, welche letztere man für die höchsten hält, obschon sie durch
ihre kleinen Augen, das zahnlose Maul und die ganze Gestalt
den Fröschen sehr ähnlich sind.
Die Eidechsen sind aber offenbar durch ihre Zähne, die
vollkommenen Gliedmaßen und Zehen die höchsten, und unter die-
sen wieder die Krokodille, welche sogar schon eingekeilte Zähne
haben wie die Säugethiere.
Die Schildkröten besitzen einen äußern Knochenpanzer,
wie die Vögel den Federpanzer, und stellen sich auch durch daS
zahnlose Maul den Vögeln parallel.
64
Die Froscharten (nebst den Kröten und Molchen) sind
die eigentlichen Amphibien, die in ihrer Entstehung aus Laich,
durch die Kaulquappen-Gestalt und die Kiemen in ihrem Jugend-
zustande den Uebergang von den Fischen zu den höheren Thieren
vermitteln.
Die Schlangen stehen wegen ihres sischartigen Gerippes
und des Mangels der Füße unstreitig auf der niedrigsten Stufe.
Ihre Ähnlichkeit mit den Aalen, Schlammpeizkern rc. ist allge-
mein bekannt.
Da uns der Kinderfreund bei der Eintheilung der Amphi-
bien eine größere Freiheit gestattet, als bei der Eintheilung der
beiden vorigen Klaffen, so theilen wir dieselben in 4 Ordnungen,
welche den obern Thierklassen parallel gehen, nämlich in Eidech-
sen, Schildkröten, Frösche und Schlangen.
§• 30.
1. Ordnung. Eidechsen.
(Kdrfr. I. Nr.2l l.)
Die eidechsenartigen Amphibien haben einen spindelför-
migen Leib, welcher beschuppt oder mit starken Platten bepanzert
und sowohl mit einem Schwänze, als auch mit 4, höchst selten
nur mit 2 Füßen versehen oder gar fußlos ist. Die Zehen haben
fast alle ohne Ausnahme Klauen und bei einigen sogar Schwimm-
häute. Die Zähne sind vollkommen entwickelt und bilden auch
im Oberkiefer nur eine Reihe. Die Jungen entstehen aus
Eiern im Trockenen; selten kommen sie lebendig zur Welt. Die
Eidechsen leben meist auf dem trockenen Lande, selten auf Bäu-
men, noch seltener im Wasser. Ihre Größe wechselt von 2" bis
30'. Je nachdem sie sich von Infekten nähren, oder größere
Thiere angreifen, ist ihre Zunge entweder lang hervorschießbar,
oder kurz, abgerundet, oder gespalten. Fast alle sind einer mehr-
maligen Häutung unterworfen.
1. Die Krokodille oder Schildeidechsen haben einen lan-
gen, durch Stärke und Muskelkraft ausgezeichneten, mit großen
gewölbten und meist in der Mitte gekielten Platten gepanzerten
Leib und einen von der Seite her zusammengedrückten Schwanz.
Ihre Zunge ist kurz, keulenförmig, ungetheilt, und fast bis zur Spitze
hin angewachsen. Die 5 Zehen an den Vorderfüßen sind frei, die
4 an jedem Hinterfuße aber entweder mit einer ganzen, oder mit
einer halben Schwimmhaut versehen, — Das Nilkrokodill wird
30' lang und verzehrt Fische, Pferde, Rinder, Tiger und Men-
schen. — Das Gangeskrokodill wird 18 bis 20'lang und lebt
von Fischen. — Der Kaiman oder Alligator in den Strömen
des wärmeren Amerika's wird 12 bis 14' lang und verschlingt
gleichfalls Thiere und Menschen.
65
2. Das Chamäleon oder die Rolleidechse in Ostindien,
Nordafrika und Spanien, etwa 1' lang, lebt auf Baumen nnd
kann seine Farbe nach Willkür andern. Gewöhnlich ist es
bräunlichgrau Mit seiner langen, klebrigen Zunge fängt es In-
sekten.
3. Der Basilisk oder die Kroneidechfe in Südamerika
wird ungefähr 2' lang und lebt ebenfalls auf Bäumen von In-
sekten.
4. Der fliegende Drache oder die Flugeidechse in Ostin-
dien und Afrika macht mittels einer auf beiden Seiten ange-
brachten Flughaut große Sprünge von Baum zu Baum und
nährt sich von Insekten.
3. Die grüne Eidechse, welche uns im einsamen Gebüsche
bisweilen durch ihr Geräusch im trockenen Laube erschreckt, wird
ü bis 10" lang und 7z" dick und hat um den Hals ein Band
von 11 großen Schuppen. Der Schwanz ist geringelt und mit
einer Menge scharfer Schuppen reihenweise besetzt. Alle 3 Zehen,
die öfters an den Hinterfüßen eine ungleiche Länge haben, tragen
klauenartige Nägel. Der Rücken ist gewöhnlich grünlich oder
bräunlich, mit schwarzen Flecken untermischt, der Bauch weißgelb
oder kupferfarben, .und die Seiten sind grün. Hohle Baum-
stämme, Mauer- und Erdlöcher sind ihr Aufenthalt. Hier nährt
sie sich von Regenwürmern, Engerlingen und verschiedenen In-
sekten, bei deren Fange ihr die mit vielen merklichen Erhaben-
heiten versehene Zunge sehr zu statten kommt. Giftig, wie noch
immer Unwissende behaupten, ist sie nicht. Die 8 bis 12
schmutzigweißen Eier, welche eine lederartige Haut und die Größe
der Sperlingseier haben, legt das Weibchen gern in Sand, oder
auch zwischen Steine, welche der Mittagsseite zugekehrt sind.
Sie leuchten im Finstern so hell, daß man die in ihrer Nähe
befindlichen Gegenstände deutlich sehen kann. Die Jungen kriechen
gewöhnlich im August aus.
6. Die Blindschleiche hat zwar keine Füße und wird da-
hsr gewöhnlich zu den Schlangen gerechnet; in warmen Ländern
giebt es aber viele Arten von Schleichen, die Vorder-, oder Hin-
ter- oder auch Vorder- und Hinterfüße haben, ganz wie die Ei-
dechsen^ Sie bewegt sich nur langsam und hat ganz kleine Au-
gen. selten wird sie über 1'lang, hat 5 Kopfplalten, >35 Bauch-
schuppen und eben so viele unter dem Schwänze. Den Rücken
bezeichnen 3 schwarze Streifen; sonst ist sie überall metallisch
glänzend, oberhalb röthlich und weißlich gesäumt, auf dem Bauche
schwarz. Sie bringt lebendige Junge zur Welt und nährt sich
von Insekten und Würmern. Weil sie gern unter Haselgesträuch
liegt, nennt man sie anch Haselwurm. Wird sie gereizt, oder
in Furcht gesetzt, so zieht sie sich mit aller Kraft zusammen und
wird so steif, daß man sie kaum biegen kann. Schlägt man sie
mit einer Gerte, so springt sie entzwei. Bei warmer Witterung
Pechu-er, Handb. Z.Thl. I
66
trifft man sie zuweilen auf dem Wege zusammengerollt. Tritt
man sie unversehens, so schlägt sie sich zwar um den Fuß und beißt,
ihr Biß ist aber nicht giftig und hat keine gefährliche Folgen.
§ 37.
2. Ordnung. Schildkröten.
(Äbrfr.I. ©.295.)
Die Schildkröten haben einen gedrungenen Leib, von einem
Rücken- und einem Bauchschilde bedeckt, einen kurzen Schwanz
und 4 gleich lange Füße. Die Zehen sind bewaffnet und bei den
meisten auch mit einer Schwimmhaut versehen. Anstatt der
Zähne findet sich in jedem Kiefer ein hornartiger Ueberzug. Die
Jungen entstehen aus Eiern im Trocknen. Der wichtigste Theil
der Schildkröten sind der Rückenschild und der Bauchscbild; jener
ist an die Rückenwirbel und an die Rippen befestigt, dieser haf-
tet an dem Brustbeine und ist kürzer und weicher als der Rücken-
schild. Beide hängen zwar an den Seiten zusammen, vorn und
hinten aber lassen sie eine ansehnliche Oeffnung zwischen sich, so
daß dort die Vorderfüße und der Kopf, hier die Hinterfüße und
der Schwanz hervorgestreckt werden können. Aus den Schilden
verfertigt man Kämme, Dosen, Uhrgehäuse, Brilleneinfassungen rc.
Die Schildkröten leben auf dem Lande, in Sümpfen, Flüssen
und im Meere, nähren sich von Würmern, Insekten und Kräu-
tern, können lange hungern, werden sehr alt, halten in kältern
Ländern einen Winterschlaf und besitzen ein überaus zähes Leben.
Das Fleisch der meisten schmeckt vortresffich, und ihre Eier geben
ein gutes Oel.
I. Die Flußschildkröte zeichnet sich durch einen wenig ge-
wölbten Rückenschild und ihre gleichförmige, mehr oder weniger
dunkele, fleckenlose, schwarze Farbe aus. Auch die Haut ist schwärz-
lich, am Halse gefaltet und dick, an den Pfoten schuppig. Der
glatte Schwanz und die hervorragenden Wirbelknochen sind wie
geringelt. Sie findet sich im größten Thiele von Europa in
fließenden und stehenden Gewässern, wo sie sehr gut schwimmt.
Auf dem Lande geht sie ziemlich schnell und läßt sich mit Kleie
und Mehl füttern. Man hält sie in Gärten, - um das Unge-
ziefer wegzufangen; in Fischteiche aber darf man sie nicht lassen,
weil sie selbst große Fische anfällt, ihnen den Bauch aufreißt, wo-
durch sie verbluten, und sie sodann verzehrt. Ihre Eier legt sie
in Löchern am Ufer und bedeckt sie mit Erde. Die Schild-
kröten wachsen sehr langsam, werden l0 bis 12" lang und sollen
ein Alter von 80 Jahren erreichen. Das Fleisch dieser Thiere
liefert Suppen, die für schwache Personen, besonders für Brust-
kranke sehr geschätzt sind.
67
2. Die Schnppenschildkröte oder Carette in Ost- und
Westindien und im rothen Meere, ist etwa 3' lang, und hat
gelbbraune, dunkelbraun gewölbte Schildschuppen, welche das beste
Schildpatt liefern.
3. Die Riefenschildkröte in den Meeren der heißen Zone
wird 6 bis 7' lang, gegen 4' breit und oft 8 Ctr. schwer. Auf
ihrem Rückenschilde kann sie so viele Menschen tragen, als Platz
auf demselben haben. Die Indianer machen aus denselben
Kähne, Tröge, Schilde rc. Fleisch, Fett und Eier sind genießbar.
§. 38.
3. Ordnung. Frösche.
(Kdrft.l. S. 293.)
Die froschartigen Amphibien haben einen nackten Leib, der
größtentheils warzig und fast immer mit 4, höchst selten nur mit
2 Füßen begabt ist. Die Zehen sind nagellos, folglich unbewaffnet.
Anstatt wirklicher Zähne finden sich nur zarie Spitzen an den
schwachen Kinnladen und dem Gaumen. Die Jungen entstehen
aus Laich im Wasser und athmen durch Kiemen und Lungen zu-
gleich. Merkwürdig ist die allmälige Ausoildung der Frösche.
Die Eierchen, aus denen mit wenigen Ausnahmen diese Thiere
entstehen, sind schleimig, ohne Schale, dem Fischrogen ganz ähn-
lich, und erreichen gewöhnlich binnen einigen Wochen ihre Voll-
kommenheit. Jetzt schlüpft das kleine, fußlose, geschwänzte und
an den Seiten des Kopfes oder Halses mit Kiemen begabte
Thierchen in Gestalt eines schwarzen Fischchens aus dem Eie.
Diese sischahnlichen Thierchen, welche man Kaulquappen nennt,
bewohnen im Frühjahre schaarenweise die Pfützen, Tümpel und
andere stehende Gewässer. Nach 14 Tagen verlieren sich die Kie-
men, d r Schwanz wird länger, und der Leib dicker. Erst nach
10 bis 13 Wochen zeigen sich die Füße, bei den Fröschen und
Kröten erst die Hinterfüße, bei den Molchen erst die Vorderfüße.
Bei diesen bleibt der Schwanz, bei jenen schrumpft er allmälig
ein. Zur Zeit ihres Fischzustandes nähren sie sich von Wasser,
pflanzen, nachher aber von Insekten und Gewürm.
A. Die eigentlichen Frösche haben einen wohlgestalteten,
glatten, nicht übel gefärbten Leib. Die Hinterfüße sind vortreff-
lich zum Hüpfen geschickt. Die Augen liegen in einer durchbro-
chenen Höhle und haben Lieder und Nickhaut zugleich.
1. Der grüne Wasserfrosch sHdb. H. S. 99.) hat einen
längeren und spitzeren Kopf als die übrigen Froscharten.
2. Der braune Grasfrosch kommt nach einem?! Regen
schaarenweise aus den feuchten und schattigen Orten hervor, und
der Unwissende glaubt dann, es habe Frösche geregnet.
68
3. Der Laubfrosch fte&t im Sommer schön grün aus und
hat an den Zehen kleine runde Ballen, mit denen er sich an
Blättern festklebt. Man hält ihn als einen kleinen Wetterpro-
pheten in Gläsern. Klettert er in die Höhe, so giebt es schönes
Wetter.
B. Die Kröten haben einen plumpen Leib, voller Schleim-
warzen, mißfarbia, im vollkommenen Zustande 4 Füße und keinen
Schwanz. Die Augen sind wie bei den eigentlichen Fröschen
eingerichtet.
1. Die geni. Kröte ist von schmutzigem Ansehen, träger
Bewegung und lichtscheuer Lebensart. Ihr Aufenthalt sind wal-
dige Gegenden, verfallene Gebäude, feuchte Keller und Gärten.
Sie hat einen kurzen Kopf, einen breiten Rücken, dicken Bauch
und kurze Vorderfüße. Die Kröten können sehr alt werden.
Man findet manchmal noch lebendige in Bäumen, Sand, Sand-
oder Kalksteinen, die da schon manches Jahr gesteckt haben mögen,
bis der Baum zugewachsen, oder die Oeffnung des Steines von
außen geschlossen worden ist.
2. Die Feuerkröte ist nur so klein wie ein Laubfrosch, hat
einen rothen Bauch mit schwarzblauen Flecken und lebt fast immer
im Wasser, wo sie an Sommerabenden ihren traurigen, unken-
den Ton hören läßt.
3. Die Kreuzkröte oder Hausuuke hat jenen Namen von
dem gelben Streifen, der sich über ihren Rücken hinzieht, diesen
von dem schauerlichen unk, unk, das sie zuweilen hören läßt.
4. Die Pipa oder Wabenkröte ist eine große brasilianische
Kröte, von der das Weibchen die Eier, nachdem sie dieselben ge-
legt hat, in den Warzenzellen seines Rückens gleichsam ausbrütet.
6. Die Molche haben einen langgestreckten, in jedem
Alter geschwänzten Leib. Die Augen sind zwar stets mit Lidern,
nie aber mit einer Nickhaut versehen. Die Kiemen behalt kein
Molch lebenslänglich.
1. Der Erdmolch oder Landsalamander heißt auch Feu-
ersalamander, weil er ein kleines Feuer durch die Feuchtigkei-
ten, die er aus seinen Schweißlöchern von sich giebt, auf einige
Zeit ertragen kann. Er ist glänzend schwarz und gelb gefleckt.
Manchmal gebiert er wohl 40 lebendige Junge.
2. Der Kamm-Molch oder Wassersalamander kann
ohne Nachtheil im Eise einfrieren. Dem Weibchen fehlt der
Kamm.
l). Die Olme oder Sirenen haben einen aalförmigen Leib,
der in jedem Alter geschwänzt ist. Die Augen liegen wie Punkte
in einer Haut verborgen. Einige Arten behalten die Kiemen
lebenslänglich.
Der Proteus oder Höhlensalamander kommt aus den
unterirdischen Kanälen des Zirknitzer See's und der Adelsbergee
69
Höhle zuweilen an die Oberwelt. Er hat an den Vorderfüßen 2,
an den hintern 3 Zehen und wird spannenlang.
Die Molche und Olme werden auch wohl zu den Eidechsen
gerechnet.
tz. 39.
* 4. Ordnung. Schlangen.
, (Kdrfr. I. S. 208 bis 210.)
Dir Schlangen haben einen peitschenförmigen Leib, mit
Schuppen bedeckt, ohne Füße. Die Zähne stehen im Oberkiefer
in 4 Reihen. Die gabelförmige Zunge steckt in einer Scheide
und ist vorschießbar. Die Schuppen sind meist ringsum ange-
wachsen. Die Jungen entwickeln sich aus Eiern im Trockenen,
bei den Giftschlangen aber schon vor dem Legen. Die Nahrung
besteht theils aus Kräutern und Früchten, theils aus Thieren.
Da man in neuerer Zeit auch bei den Schlangen, welche bisher
für giftlos gehalten wurden, Zähne entdeckt hat, welche durch
ihre Rinne der Bildung der Giftzähne sehr nahe kommen und
vielleicht ebenfalls Gift in die Wunde fließen lassen können; so
sind die Giftzähne eigentlich kein unterscheidendes Merkmal.
A. Giftschlangen.
1. Die Viper, Kreuzotter oder Kupferschlange in den
Gebirgsgegenden Europa's wird 1 Vz bis 2' lang, hat einen ge-
zackten, schwärzlichen Strich über den Rücken, und auf beiden
Seiten eine Reihe schwarzer oder brauner Flecken. Sie frißt
Insekten, Frösche, Mäuse rc. und thut ungereizt Keinem et-
was, kann aber, besonders an heißen Tagen und sehr gereizt,
durch ihren Biß den Tod bringen.
2. Die Brillenschlange in Ost- und Westindien, wo man
sie zum Tanze abrichtet, wird 3 bis 4' lang und hat auf dem
Rücken eine schwa^braune, brillenförmige Zeichnung. Ihr Biß
tobtet in wenigen Minuten.
3. Die Klapperschlange in Nordamerika, deren Biß tödt-
lich ist, wird 6 bis 7' lang und fast armsdick. Am Ende des
Schwanzes hat sie Klappern, die ein Geräusch wie mit Nuß-
schalen verursachen. Ungereizt thut sie Niemand etwas. Nach-
dem ihr der Kopf abgeschnitten ist, kann sie gegessen werden.
Bon den Schweinen, ihren natürlichen Feinden, wird sie ohne
Nachtheil sammt den Giftzähnen verzehrt.
B. Ungiftige Schlangen.
I. Die Nattern sind auf dem Rücken mit ziegeldachartigen
Schuppen, auf dem Bauche (170) und unter dem Schwänze (60)
theils mit Schuppen, theils mit ganzen oder halben Schienen
versehen. —^)ie Ringelnatter, 2 bis 4' lang, ist ftahlfarbig,
mit weißen Seitenflecken am Leibe, die besonders am Halse recht
70
groß und deutlich sind, so daß es aussteht, als wenn sie ein
Halsband hätte. Der Kopf ist breiter als der Leib und mit
9 Platten bedeckt Sie ist durchaus ungiftig und wird sogar da-
durch nützlich, daß sie eine Menge Mäuse und anderes Ungeziefer
vertilgt. Zuweilen soll sie sich in die Milchkeller schleichen und
dort naschen. Ihre Eier, deren sie einige Dutzend in den Dün-
ger legt, sind so groß wie Taubeneier.
2. Die Riesenschlangen in den beiden Indien sind außer-
ordentlich schön gezeichnet. Die größte ist die Boa oder Königs-
schlange in Brasilien, welche über 30" lang und mannsdick wird.
Sie windet sich um große, vierfüßige Thiere, zerquetscht ihnen
die Knochen, überzieht dann den Raub mit Geifer und verschlingt
ihn ganz. Ihr Fleisch wird gegessen, und ihre bunte Haut
theuer bezahlt.
H. 40.
Die Amphibien im Allgemeinen.
Die Amphibien halten sich gern verborgen und ruhen gleich-
sam beständig aus, um auf eine schnelle Muskelbewegung gefaßt
zu sein: manche im Wasser, andere an feuchten Orten, einige
in Erdlöchern, viele aber auch, besonders die Schlangen und Ei-
dechsen, auf Bäumen. In heißen Ländern sind sie am zahl-
reichsten, besonders die Schlangen und Eidechsen. Die Schild-
kröten finden sich nicht in kalten Gegenden. In gemäßigten
Ländern halten alle Winterschlaf, indem sie sich in die Erde gra-
ben oder sonst verstecken. Mit Ausnahme der Frösche findet man
selten mehrere beisammen. Es sind überhaupt ungesellige und
unfreundliche Thiere, welche nie mit einander spielen, außer zur
Paarungszeit. Sie haben ein langes Leben, welches bei den grö-
ßeren vielleicht über I00 Jahre dauert, während welcher Zeit
sie immer wachsen sollen. Wenigstens hat man Krokobille und
Schlangen gefunden, welche über 30' lang waren. Aus demsel-
ben Grunde werden sie spät reif. Selbst die kleinen Frösche
und Molche brauchen dazu mehrere Jahre. Ihr Leben ist
so zähe, daß sie zwar nicht, wie eine alte Sage vom Salamander
rrzählt, im Feuer, wohl aber in dem warmen Magen von Men-
schen und großen Thieren lange am Leben bleiben und auch eine
Reihe von Jahren in Gletschern eingefroren oder in Felsen ein-
geschlossen sein können, ohne zu sterben. Wit Ausnahme mancher
Schildkröten leben sie sämmtlich von Thieren, und zwar von le-
bendigen. Todtes rühren sie nicht an und warten daher immer,
bis sich das Thier bewegt, ehe sie es verschlingen. Wenn man
-einige giftige Schlangen, die eben nicht besonders häufig sind,
ausnimmt, so sind sie unschädliche Thiere und können sogar durch
Wegschnappen von Insekten nützlich werden. Einige dienen uns
zur Speise, wie die Schildkröten und Wasserfrösche; manche leisten
71
Ln der Arznei einigen Nutzen, und andere endlich liefern uns
Stoff zu Kunstsachen, wie die Schildkröten. In der Regel
fliehen sie, selbst die Giftschlangen, wenn sie nicht gereizt werden,
den Menschen und größere Thiere. Dessen ungeachtet erregt die
ganze Klasse der Amphibien im Allgemeinen Abscheu oder wenig-
stens Furcht und eine widerliche Empfindung. Vergebens rühmt
man die schönen Farben der Schlangen, das unschuldige Betra-
gen der Eidechsen, die Nahrhaftigkeit der Frösche und Schildkrö-
ten, vergebens bewundert man die schönen Augen der Kröten:
der allgemeiue Widerwille gegen diese Thierklasse ist vorhanden
und läßt sich durch keine Vernunftgründe vertilgen. Sie sind
einmal die einzige Klasse, in der tätliches Gift vorkommt; die
einzige, in der Alle lauern und plötzlich auf den lebendigen Raub
losschießen; die einzige, deren Mitglieder wie Säugethiere aus-
sehen, ohne sich so gut zu betragen, und welche durch ihre Nackt-
heit denselben Ekel erregen, den nackte Säugethiere hervorbringen
würden. Es ist derselbe Fall wie bei den menschenähnlichen Affen,
dir uns eben deshalb zuwider sind. Sie sehen aus wie Men-
schen, aber wie verdorbene, und so erregen die Amphibien daS
Gefühl von verdorbenen Säugethieren, mit denen wir nicht gern
umzugehen pflegen.
Vierte Klasse.
Fische,
s 41.
Eigenthümlichkeiten im Kaue der Fische.
Die ganze Gestalt und Bildung der Fische zeigt ihre Be-
stimmung zum Schwimmen an. Der Körper ist glatt, ohne
Hals, meist von beiden Seiten, seltener von oben nach unten
(Rochen) zusammengedrückt oder walzenförmig (Aal, Neunaugen.)
Die Knochen sind bei einigen weich und knorpelig, bei andern
fest und werden im gemeinen Leben Gräten genannt Der
Kopf ist unmittelbar mit dem Rumpfe verwachsen und mit der
weit nach vorn gedrängten Brust in eins verschmolzen. DaS
Blut ist 'zwar kalt; aber auch im gefrornen Wasser übersteigt
seine Temperatur 0°, im Sommer soll sie ungefähr -i-6°Reaum.
betragen. Die Athemwerkzeuge, die Kiemen, sitzen zu beiden
Seiten des Hinterkopfes an bogenförmigen Knochen, sind meistens
kammförmig und von dem Kiemendeckel, der nur einigen (Knor-
pelfischen) fehlt, überdeckt; bei diesen öffnen sich statt des einen
größeren Spaltes jederseits mehrere Kiemenlöcher. Bei sehr vie-
len Fischen liegt in der Bauchhöhle eine Schwimmblase, ein
72
großer, bald einfacher, bald in mehrere Abtheilungen gesonderter-
Sack, den das Thier beliebig mit Luft füllen oder entleeren kann,
wodurch ein leichteres Aufsteigen oder Hinabsinken desselben im.
Wasser bewirkt wird-
Die meisten Fische sind mit Schuppen bedeckt, glänzenden,
hornigen Plättchen von verschiedener Gestalt und Größe, welche
nie gewechselt werden und daher bei jüngeren Thieren kleiner
sind als bei älteren. Bei einigen sind sie so klein und in der
dicken Haut so versteckt, daß die Fische nackt zu sein scheinen, z.
B. die Aale.
Bewegunzswerkzeuge sind die Flossen, eigenthümliche, meist
zwischen Knochenstrahlen ausgespannte Häute. Theils liegen sie
paarig an den Seiten des Körpers und entsprechen ganz den
Gliedmaßen der übrigen Wirbelthiere, theils unpaar am Schwänze
und an der Mittellinie des Körpers. Von den letzteren heißt
jene Schwanzflosse; die auf dem Rücken, welche sich an die
sehr langen Dornfortsätze der Wirbel heftet, heißt Rückenflosse,
die am Bauche ihr gegenüberliegende, den untern Dornfortsätzen
angeheftete Afterflosse. Einige Familien, z. B. Lachse, haben
noch eine kleine Rückenflosse ohne Strahlen, Fettflosse ge-
nannt. Von den paarigen Flossen heißen die den vorderen Glied-
maßen entsprechenden Brustflossen, die den Hintergliedmaßen
entsprechenden Bauch fl offen. Die Lage der letzteren zeigt eine
dreifache Verschiedenheit. Bei einigen Fischen nämlich sind sie
so weit nach vorn gerückt, daß sie in der Kehlzegend vor den
Brustflossen sitzen, und daher Ke hl fl offen heißen: bei andern
finden sie sich unter, oder dicht hinter den Brustflossen — Brust-
Bauch fl offen, oder endlich sie sitzen weit nach hinten am
Bauche — eigentliche Bauchflossen, einigen fehlen sie
ganz (den Aalen), andern sogar auch die Brustflossen (ben Rund-
mäulern).
Das thätigste Werkzeug beim Schwimmen ist der kräftige,
meist wenigstens die Hälfte der Körperlänge einnehmende Schwanz,
durch dessen Hin- und Herwenden der Fisch sich die beliebige
Richtung giebt, der also ganz die Dienste des Steuerruders amSchiffe
leistet; dabei helfen die paarigen Flossen rudernd mit. Bei ei-
nigen Fischen erreichen letztere eine solche Größe, daß sie sich vermöge
derselben aus dem Wasser erheben und eine kurze Strecke damit
flattern können sfliegende Fische.)
Ob die Fische schlafen, weiß man nicht, weil sie die Augen
nicht schließen können; sie lassen sich aber bei Tage und bei
Nacht fangen. Die meisten Fische sind stumm; jedoch geben
einige einen knurrenden Laut von sich, wenn sie berührt werden,
z. B. der Schlammpeizker.
73
§. 42.
Die Eintheilung der Fische.
(Kdrsr. I S. 295.)
Man theilt fast allgemein die Fische in Knorpelfische und
Grätenfische. Jene schließen sich in der unförmlichen Gestalt
am besten an die Amphibien. Es finden sich unter ihnen die
größten Fische, wie die Haie und Rochen, welche an die Wall-
fische erinnern. Bei einigen bildet das Maul eine Qu er spalte
auf der untern Seite des Kopfes, und die Schnauze ist hervor-
ragend; auch sind Brust- und Bauchflossen vorhanden. Hierher
gehören die Haie, Störe, Rochen rc. Andere, wie die Lampreten
und Neunaugen, haben einen runden Saugmund am Ende des
schräg abgestutzten Kopfes und weder Brust-, noch Bauchflossen.
Eine größere Mannichfaltigkeit findet sich bei den Grätenfischen,
die man nach dem Sitze der Bauchflossen in Haldflosser oder
Kahlbäuche, Bauchflosser, Brustflosser und Hals- oder Kehlflossec
eintheilt. Demnach erhalten wir folgende Eintheilung:
Fische.
______Knorpelfische.____ Grätenfische.
Quermäuler. Rundmäuler. Halbflosser. Bauchfl. Brustfl. Halöfl.
tz. 43.
A. Knorpelfische.
1. Ordnung. Ouermäuler.
Bei den Quermäulern liegt, wie ihr Name sagt, das Maul
quer auf der unteren Seite des Kopfes, und die Schnauze ragt
hervor. Die Haut ist ohne wahre Schuppen, rauh, stachelig,
oder von größeren oder kleineren einzeln stehenden Knochenschilden
theilweise bedeckt. Die Kiemen find meist mit einem Deckel ver-
sehen. Brust- und Bauchflossen sind vorhanden, aber wie die
übrigen Flossen weich und biegsam. Manche erreichen eine be-
deutende Größe. Die meisten gehören dem Meere an.
A. Die Haifische haben einen zähnereichen Mund, und
manche 2 Spritzlöcher hinter den Augen.
1. Der Riesenhai oder Menschenfresser wird gegen 25'
lang, hat eine sechsfache Reihe von Zähnen, im Ganzen an 400
Stück, aber nur sehr klein, lebt in den wärmeren Meeren, wird
von allen Seelhieren gefürchtet und kann einen ganzen Menschen
verschlingen.
2. Der Sägefisch, oft 15' lang, in allen Meeren, hat ei-
nen schwertförmigen, mit starken Zähnen bewaffneten Rüssel,
mittelst dessen er andern Seethieren den Bauch aufreißt.
74
3. Der Hammerfifch, an 8' lang, hat einen hammersör-
migen Kopf, sinder sich um ganz Europa und ist ein furchtbares
Raubthier.
B. Die Störe sKdrfr. H. Nr. 26.) haben einen langge-
streckten Körper, einen beweglichen, zahnlosen Mund unter dem
Rüssel, 4 Bartfasern und jederseits nur eine Kiemenöffnung mit
einem Deckel.
1. Der gem Stör im nördl. Eismeere, der Nordsee und
dem kaspischen Meere kommt im Frühjahre in die Flüsse, um
zu laichen. Wir genießen von ihm das Fleisch und den Kaviar
sRogen). Aus der Schwimmblase wird Fischleim bereitet.
2. Der Haufen im kaspischen und schwarzen Meere wird
8 bis 25' lang, ebenfalls bläulich und am Bauche weiß, nützt
durch sein Fleisch, seinen Rogen und seine Schwimmblase, die
unter dem Namen Hausenblase als Fischbein bekannt ist.
C. Die Rochen haben einen scheibenförmigen oder vierecki-
gen Leib und leben meist in der Tiefe des Meeres.
Der Zitterroche im mittekländ. Meere, theilt elektrische
Schläge aus, welche Betäubung verursachen.
2. Ordnung. Rundmäuler.
Die Rundmäuler haben statt des Mundes eine fast kreis-
runde Saugscheibe am Ende des schräg abgestutzten Kopfes. Die
Kiemen sind jederseits zu runden an einanderstoßenden Säcken
verwachsen, welche das Wasser durch einen gemeinschaftlichen, in
die Speiseröhre mündenden Kanal ein- und durch runde Seiten-
löcher wieder ausathmen. Dem nackten, schleimigen, aalförmigen
Leibe fehlen die Brust- und die Bauchflossen. Die Haut ist
schleimig, fast nackt und mit kleinen Schmelzstückchen besetzt.
1. Das Neunauge oder die Flußpricke in mehreren euro-
päischen Flüssen und Landseen, ungefähr 1' lang und singersdick,
oben dunkelgrün, unten silberglänzend, wird zu Millionen gefan-
gen und verschickt.
2. Die Lamprete oder Meerpricke in allen europäischen
Meeren, wird gegen 3' lang. Beide saugen sich an andere Ge-
genstände an und liefern ein schmackhaftes Fleisch.
tz. 44.
B. Grätenfische.
3. Ordnung. Salbflosser.
Den Halbflossern fehlen die Bauchflossen, außerdem bald
die Rücken- oder die Schwanz-, bald die Brust- oder die After-
flosse, zuweilen sogar alle 3 zugleich. Der Leib ist meist schlan-
genförmig, theils schlüpfrig und glatt, theils mit kaum sichtbaren
75
Schuppen übersäet. Der Kiemendeckel ist bei vielen unter der
Haut versteckt.
1. Der gem. Aal wird 4' lang, 5 bis 6 Pfund schwer und
lebt bei uns in Flüssen, Teichen und See'n, die einen schlammi-
gen Boden haben, von kleinen Fischen, Fröschen, Krebsen, In-
sekten und Würmern. Nur des Nachts geht er seinem Geschäfte
nach, und den Tag über verbirgt er sich im Schlamme. Im
Frühjahre geht er nach Sonnenuntergange aus dem Waffer,
wenn der Boden bethauet oder vom Regen benetzt ist, und sät-
tigt sich bis gegen Morgen auf den naheliegenden Feldern von
der jungen Saat, jungen Erbsen und andern Pflanzen. Des
zähen Lebens wegen ist der Aal vor andern Fischen berühmt.
Zerschnitten bewegen sich die einzelnen Stücke noch lange Zeit.
Wegen seines fetten, wohlschmeckenden Fleisches, das für Viele
schwer zu verdauen ist, wird ihm häufig nachgestellt. Bei trü-
bem Wasser und bei Gewittern ist der beste Fang. Merkwürdig
ist es, daß der Aal beim Schlachten ruhig wird und wie todt
daliegt, sobald man ihn mit einem Meffer oder einem eisernen
Instrumente berührt. Das Blut hat eine ätzende Kraft. Die
abgezogene, starke Haut wird zu Riemen an Dreschflegeln ge-
braucht. Mit geräucherten Aalen wird ein ansehnlicher Handel
getrieben.
2. Der Zitteraal in den süßen Gewässern Südamerika's
ist elektrisch wie der Zitterroche, 3' lang, schwarz mit hellen Flecken.
3. Die Muräne (nicht zu verwechseln mit der Maräne in
den See'n Deutschlands und der Schweiz) in allen wärmeren
Meeren wird 3' lang, 5 bis 0 Pfund schwer und hat wohl-
schmeckendes Fleisch.
§. 45.
4. Ordnung. Dauchflosser.
Die Bauchflosser haben die Bauchflossen zwischen der Brust
und den Afterflossen. Der Leib stellt den eigentlichen Fischleib
am treusten dar, ist fast immer beschuppt, folglich nur selten nackt
oder mit Schilden bedeckt.
1. Der Wels hat einen platten, sehr breiten Kopf, einen
schleimigen, wie schuppenlosen Körper, Bartfäden am Munde, ist
oft 6 bis 10' lang, 2 bis 3 Etc. schwer, grünlich schwarz, am
Bauche hellgelb, lebt in den Flüssen des östlichen Europa's, wo
er hinter Baumstämmen auf Fische, Enten, Gänse rc. lauert.
Man gebraucht sein Fett und ißt sein Fleisch. — Der Zitter-
wels in den afrikanischen Gewässern ist elektrisch.
2. Der Lachs, silbergrau, mit bläulichen Seiten und schwar-
zem Rücken, wird 2 bis 6' lang und 20 bis 00 Pfund schwer,
steigt im Frühjahre schaarenweise aus den nördlichen Meeren in
die Flüsse, um zu laichen, und heißt im Sommer Salm. Sein
76
Fleisch wird frisch, eingelegt und geräuchert gegessen und macht
einen bedeutenden Handelsartikel aus.
3. Die Lachsforelle wird 8 bis 10 Pfund, die Teichfo-
relle nur 2 bis 3 Pfund schwer. Jene kommt häufig in der
Nord- und Ostsee vor, und beide haben sehr wohlschmeckendes
Fleisch. Die Lachse und Forellen sind an der strahlenlosen Fett-
flosse hinter der Rückenflosse kenntlich.
4. Der Stint in den Landsee'n des nördlichen Europa, kaum
singerslang, silberglänzend, riecht unangenehm, wird aber doch
häufig gegessen.
5. Die große und die kleine Muräne in den pommer-
schen und brandenburgischen See'n sind sehr schmackhaft.
0. Der Hecht, ein gefräßiger Raubfisch, wird zuweilen über
100 Jahre alt, 6 bis 8" lang, 30 bis 40 Pfund schwer und hat
eine niedergedrückte Schnauze. Seine Farbe ist nach Alter und
Aufenthalt oft verschieden, meist grünlich mit gelben Flecken, dunk-
lerem Rücken und weißlichem, schwarzpunklirtem Bauche.
7. Der Karpfen hat einen kleinen Mund, der oft von
Bartfäden umgeben ist, wird I bis 4' lang, an 10 Pfund schwer,
gegen 100 Jahre alt und seines schmackhaften Fleisches wegen
in besonderen Teichen gehegt. Wild hält er sich in den europäi-
schen Flüssen und Teichen, ist oben bläulich, unten gelblich und
frißt Insekten, Würmer und Schlamm.
8. Die Karausche, etwa spannenlang, sehr breit, dem Kar-
pfen an Farbe und Nahrung ähnlich, wird ebenfalls sehr geschätzt.
9. Der Uckelei in Europas See'n und Flüssen hat silber-
glänzende Schuppen, die zur Verfertigung unechter Perlen be-
nutzt werden.
10. Die Heringe kommen in den nördlichen Meeren in so
ungeheurer Menge vor, daß die Oberfläche des Meeres ganz da-
mit bedeckt wird. — Der gem. Hering ist gegen 1' lang, sil-
berglänzend mit blauschwarzem Rücken. Man ißt ihn frisch,
eingesalzen und geräuchert, in welchem letzteren Zustande er Bück-
ling heißt. — Die Sardelle, etwa singerslang, im Mittel- und
atlantischen Meere wird eingesalzen versendet. — Der Fleder-
fisch oder die Meerwachtel im Mittel- und rothen Meere kann
sich mittelst seiner großen Brustflossen aus dem Wasser empor-
schwingen. Von vielen wird er zu den hechtartigen Fischen ge-
rechnet.
Es gehören ferner hierher: der Gibel, die Barbe oder
Barbine, der Schlei, der Blei oder Brassen, die Plötze, die
Schmerle, der Schlammpeizker, der Goldkarpfen sKdrfr. l.
Nr. 61. Hdb. I. §. 20. D. e.j rc.
77
§. 46.
5. Ordnung. Prustflosser.
Die Brustflosser haben die Bauchflossen gerade unter den
Brustflossen. Der Leib ist meist beschuppt, bald regel-, bald un-
regelmäßig. bald mit einer einfachen, bald mit einer mehrfachen
Rückenflosse begabt.
1. Der Barsch (bie Pärschke) wird 1' lang, 4 bis 3 Pfund
schwer, hat rothe Flossen, 5 bis 7 schwarze Streifen quer über
den Rücken, lebt in süßen Gewässern und ist ein Raubfisch.
2. Der Zander oder Sandbarsch wird 2' lang, ist silber-
glänzend mit dunkelbraunen Ouerstreifen über den Rücken, lebt
in den Flüssen und Landsee'n des nördlichen Europa, auf sandi-
gem Grunde, raubt kleine Fische und ist wohlschmeckend.
3. Der Kaulbarsch hat gelbe Flossen und ist 1/2 bis 1'
lang.
4. Der Bandfisch im Mittelmeere wird 2' lang und ist
bandartig gestreift.
5. Die Scholle oder Butte in der Nord- und Ostsee ist
ganz platt gedrückt, und der Kopf so verdreht, daß beide Äugen
schief nach einer Seite stehen. Sie wird frisch und getrocknet
verspeist. Man unterscheidet Steinbutte, Heilbutte, Flunder rc.
6. Der Stichling oder das Tenfelsfischchen hat auf dem
Rücken 3 starke Stacheln, wird nicht über 3" lang und ist in
manchen Gegenden so häufig, daß man die Schweine damit füt-
tert und ihn zu Thran siedet.
7. Die/Makrele, einem großen Heringe ähnlich, zeichnet
sich durch 8 bis 9 Läppchenflossen hinter den 2 Rückenflossen und
hinter der Afterflosse aus, hat einen zusammengedrückten Körper,
wird 2' lang und 4 bis 5 Pfund schwer, findet sich um ganz
Europa, besonders an den Küsten von Frankreich, England und
Holland und liefert ein wohlschmeckendes Fleisch.
8. Der Thunfisch oder die Riesenmakrele, bis 10' lang
und 4 bis 0 Ctr. schwer, silberglänzend, oben dunkelblau, räu-
berisch und wohlschmeckend. Am Mittelmeere, besonders auf
Sicilien wird mit seinem Fleische ein bedeutender Handel getrieben.
9. Der Spritzfisch in Ostindien spritzt vermittelst seiner
schnabelförmigen Schnauze Wassertropfen nach Insekten, um diese
zu erlangen.
10. Der Seehahn oder die Meerschwalbe im Mittel-
und atlantischen Meere hat große, schön grün und blau gefärbte,
dabei noch mit bunten Augenflecken gezierte Brustflossen. Wenn
er von Raubfischen verfolgt wird, fliegt er etliche 100 Schritte
weit über's Wasser hin so schnell wie Schwalben und fällt nicht
selten auf Schiffe.
78
§• 47.
0. Ordnung. Kalsflosser.
Die Halsflosser, auch Kehlflosser genannt, tragen ihre
meist sehr kleinen Bauchflossen an der Kehle oder dem scheinba-
ren Halse. Ihr Leib ist bald regel-, bald unregelmäßig, bald
beschuppt, bald nackt, überhaupt großen Abänderungen unterworfen.
1. Die Quappe oder Aalraupe in allen Flüssen und See'n
Europa's, gegen 2' lang, wie der Salamander gelb und schwarz
marmorirt, mit breitem Kopfe, hat so feine Schuppen auf der
schleimigen Haut, daß sie für ganz glatt gehalten wird, lebt von
Fischen und Schlamm und wird gern gegessen.
2. Der Dorsch, viel kleiner als die Quappe, grau, braun
gefleckt, findet sich häufig in der Ostsee und wird in großer Menge
gefangen. Aus seiner Leber gewinnt man den feinen Fischleber-
thran.
3. Der Schellfisch, von der Größe des vorigen, lebt in der
Nordsee, wird in Menge gefangen und theils frisch, theils einge-
salzen verspeist.
4. Der Kabliau im nordatlantischen Ocean, 2 bis 3" lang,
10 bis 20 Pfund schwer, grünlich mit gelblichen Flecken, beschäf-
tigt bei seinem Fange jährlich mehrere Tausend Menschen. Ge-
dörrt heißt er Stockfisch, eingesalzen Laberdan, eingesalzen und
geräuchert Klippfisch.
§• 48.
Die Fische im Allgemeinen.
Die Fische vermehren sich durch Eier, welche sehr klein und
mit Schleim überzogen sind, Laich genannt werden, und deren
ein Weibchen eine sehr große Menge legt (der Hering 300,000,
der gezähmte Karpfen an 200,000, der Stockfisch sogar an
9,000,000). Nur die Haie legen wenige, große (bis zur Größe
eines Hühnereies) und mit einer Schale umgebene Eier. Das
Ablegen der Eier oder des Rogens geschieht zu einer gewissen
Jahreszeit, Laichzeit. Dann suchen die Fische flache, mit Was-
serpflanzen bewachsene oder steinige Stellen auf (manche Seefische,
z. B. der Lachs, steigen in die Flüsse, um im süßen Wasser zu
laichen) und legen die Eier, welche mittelst des sie umgebenden
Schleimes an Steinen und Pflanzen hängen bleiben und von der
Sonne ausgebrütet werden. Die Dauer der Entwickelung hängt
von der Wärme und der günstigen Beschaffenheit des Wassers
ab; fehlen beide, so geht die Brut zu Grunde. Einige sind le-
bendig gebärend, indem sie die Eier erst in dem Augenblicke le-
gen, wo die Jungen ausschlüpfen, z. B. die Aalmutter.
Die Lebensdauer der Fische ist schwer zu bestimmen, doch
scheinen einige sehr alt zu werden; andere leben nur kurze Zeit,
7!)
z. B. der Stichling nur 2 Jahre. Ihr Wachsthum ist nicht
beschrankt, in der Jugend rasch, imAlter langsam.
Der alleinige Aufenthalt der Fische ist das Wasser. Kei-
ner kann lange Zeit außerhalb desselben leben; jedoch dauern ei-
nige längere Zeit außer dem Wasser als andere, ja einige ver-
lassen es auf kurze Zeit freiwillig, z. B. der Aal. Einige be-
wohnen nur das Meer, andere abwechselnd auch die süßen Ge-
wässer, noch andere allein letztere, und zwar einige nur kalte,
reine, rasch fließende, z. B. die Teichforelle, andere nur stehende
Gewässer und Moräste, z. B. der Schlammpeizker.
Ihre Nahrung nehmen die meisten Fische aus dem Thier-
reiche; theils fressen sie andere Fische, theils niedere Wasserthiere,
einige auch Aas, Mist, Wasserpflanzen und deren Samen rc. Im
Ganzen sind sie sehr gefräßig, können aber auch lange hungern.
Von den geistigen Fähigkeiten der Fische wissen wir
wenig, da ihr Wohnort die Beobachtung so sehr erschwert, doch
hat man bei manchen Verschlagenheit, List und Gedächtniß wahr-
genommen, selbst Spuren von Kunsttrieb und Sorge für ihre
Eier, z. B. bei den Stichlingen.
Eine merkwürdige, dieser Klasse eigenthümliche Erscheinung
ist die elektrische Kraft mancher Fische*), d. h. das Vermö-
gen, nach Willkür elektrische Schläge zu ertheilen. Das Werk-
zeug dazu sind eine Menge häutiger, mit Schleim gefüllter Zel-
len, die bald zwischen Kiemen und Flossen, bald an beiden Seiten
des Rückgrates vom Kopfe bis zum Schwänze liegen. Alle ha-
ben einen sehr weichen Leib mit kaum bemerkbaren Schuppen.
Sie bedienen sich dieser Eigenschaft zur Vertheidigung und um
Thiere, die ihnen zur Nahrung dienen, zu todten oder zu betäuben.
Die Zahl der bekannten Fische beträgt über 7000, und es
ist wahrscheinlich, daß uns noch viele Arten unbekannt sind.
Der Nutzen der Fische ist ziemlich einfach, meist bloß zur
Speise, aber eben deswegen für sehr viele Menschen, die fast nur
von diesen Thieren leben, von der äußersten Wichtigkeit. Keine
Thierklasse kann so allgemein zur Nahrung verwendet werden,
wie die Fische. Ihr Fleisch ist zart, schmackhaft und leicht ver-
daulich. Der Thran von Haien, Heringen, Kabliauen rc. wird
häufig in Lampen gebrannt und zum Einschmieren des Leders
benutzt. Die Haut von Rochen und Haien benutzt man zu Fut-
teralen rc., die Hausenblase zu Leim, den Rogen von einigen zu
Kaviar. Den meisten Schaden thun die Raubfische, besonders
in den Meeren die Haie, welche selbst Menschen verschlingen,
wenn sie sich im Meere unbesorgt baden, und in den süßen Was-
*) Man kennt diese Eigenschaft an dem Zitterrochen, an dem
elektrischen Hairochen im brasilianischen Meere, am elektrischen Sta-
chelfische in der Südsee, am elektrischen Degenfische in Indien, am
Zitterwrls und am Zitteraal.
80
fern die Hechte. Nur einige Fische in heißen Ländern sind ven
ihrer Nahrung so giftig, daß ihr Genuß tödtlich werden kann.
Fünfte Klasse.
Insekten.
tz. 49.
Die Eintheilung der Insekten.
(Kdrfr. I. S. 295 )
Die Insekten oder Kerbthiere, auch Kerfe genannt, thei-
len sich in geflügelte und ungeflügelte oder in Flügler
und Krabben. Der Körper der Flügler ist durch Einschnitte
deutlich in 3 Haupttheile, Kopf, Brust und Bauch geschieden,
der der Krabben nur ein- oder zweitheilig; jene haben nur 6
Füße, diese stets mehr als 6, oft sehr viele Füße; jene sind einer
mehrfachen Verwandlung unterworfen, diese häuten sich nur, ohne
sich zu verwandeln. Die meisten Flügler haben zwei Flügelpaare,
wenige nur eins. Bei jenen sind die Vorderflügel nicht selten
hornartig und dienen den Hinterflügeln als Decken, oder sie sind
pergamentartig und decken die Hinterflügel nur zur Hälfte.
Andere haben 4 bestäubte, noch andere netzförmig gegitterte, oder
endlich mit Adern durchzogene Flügel. Demnach zerfallen die
Insekten in folgende 7 Orduungen:
1) Käfer mit hornartigem Körper, zwei durchsichtigen, gea-
derten Hinterflügeln und zwei hornigen, aderlosen Vorderflügeln,
die jenen als Decken dienen.
2) Halbkäfer mit halben Flügeldecken, d h. mit solchen
Vorderflügeln, welche von der Wurzel an bis zur Hälfte ihrer
Länge hornig, oder der ganzen Länge nach pergamentartig sind,
wie bei den Heuschrecken, Grillen, Wanzen, Schaben rc.
3. Schmetterlinge oder Falter mit 4 bestäubten Flügeln,
und zwar Tagfalter, Dämmerungsfalter, Nachtfalter.
4. Netzflügler mit 4 durchsichtigen, netzförmigen oder ge-
gitterten Flügeln, wie bei den Wasserjungfern und Florfliegen.
5) Hautflügler mit 4 durchsichtigen, geaderten Flügeln, wie
bei den Wespen, Bienen, Hummeln, Ameisen rc.
6) Zweiflügler mit 2 zarten, häutigen Flügeln, wie bei den
Fliegen und Mücken.
7) Hugeflügelte Insekten oder Krabben, wie die Krebse,
Spinnen, Asseln, Flöhe, Läuse, Milben rc.
81
§. 50.
1. Ordnung. Käfer.
(Kdrfr. I. S. 295.)
Die Käfer haben hornartige, aderlose Vorderflügel, welche
die untergeschlagenen Hinteren decken.
1. Der Hirschkäfer, Hirschschröter, Feuerschröter oder
Börner (Brenner, weil er heftig in glühende Kohlen oder bren-
nenden Schwamm beißt), der größte Käfer in Europa, halt sich
vorzüglich auf Eichen und hat dem Hirschgeweih ähnliche Oberkiefer.
2. Der Nashornkäfer, braun, ein krummes Horn auf dem
Kopfe, findet sich als Larve und Käfer in Mistbeeten und in
Eichenlohe.
3. Der Maikäfer, schwarz, mit rothbraunen Flügeldecken
und weißgefleckten Bauchseiten, benagt als Engerling 4 Jahre
lang die Wurzeln des Grases und der Feldgewächse, und frißt im
5ten die Blätter von den Bäumen, ist aber ein großer Liebling
der Kinder (Hdb. II. S. 102).
4. Der Walker, etwas größer, mit weiß marmorirten Flü-
geldecken, macht durch das Reiben der Flügel an dem Hinterleibe
Musik.
5. Der Brach- oder Kornkäfer im Getreide ist kleiner als
der Maikäfer, sieht aber ziemlich eben so aus.
0. Der Goldkäfer mit goldgrünen Flügeldecken und weiß-
lichen Querstreifen hält sich auf Rosen und Hollunder.
7. Der Mist-, Roß- oder Kuhkäfer, etwas dicker als der
Maikäfer, violettschwarz, lebt im Pferde- und Kuhmist, den ec
auch frißt.
8. Der Fichten- oder Borkenkäfer, auch Buchdrucker,
7*" lang, findet sich im Baste der Nadelhölzer und kann ganze
Waldungen zu Grunde richten.
0. Der Rüsselkäfer schneidet die Spitzen von den jungen
Bäumen.
10. Der Kornrüfselkäfer oder schwarze Kornwurmkäfer,
nicht viel größer als ein Floh, bohrt die Getreidekörner an und
verursacht durch sein hineingelegtes Ei den Kornwurm, welcher
die Körner hohl frißt.
11. Der Aaskäfer, Todlengräber, Silphe (Kdrfr. II.
Nr. 3 ), fast t" lang, schwarz, mit 2 rothgelben Querbändern
über die Flügeldecken, vergräbt todte Mäuse und Maulwürfe,
um sie zu verzehren oder seine Eier hineinzulegen.
>2. Der Bohrkäfer lebt in altem Holze und verursacht
durch sein leises Klopfen ein Geräusch, das dem Picken einer Ta-
schenuhr gleicht, woher er auch Todtenuhr genannt wird.
13. Der Leuchtkäfer oder das Johanniswürmchen findet
sich um Johannis in Gärten, wo er dann Abends wie Feuerfun,
ken leuchtet. Er stellt den Blattläusen nach.
Pechner, Handb. 3. Theil.
6
82
14. Der Marienkäfer, Marienschäfchen, Siebenpunkt,
Sonnenkäfer, ein niedliches Thierchen, hat 7 schwarze Punkte
auf seinen rothen Flügeldecken und thut als Larve den Blattläu-
sen großen Schaden.
>5. Der Mehlkäfer, schwarzbraun und überall, wo sich
viel Mehl befindet, dient als Larve unter dem Namen Mehlwurm
den Nachtigallen zum Futter.
16. Der Pflaster- oder Blasenkäfer, spanische Fliege,
grün, auf Flieder und Eschen, wird zu blasenziehenden Pflastern
benutzt.
17. Der Bockkäfer, Holzbock, Singekäfer oder Schrö-
ter, graubraun, hat sehr lange Fühlhörner, lebt als Larve im
Holze und heißt dann Holzwurm.
18. Der Spießbock wird r/2" lang, 1J2n breit und hat 4"
lange Fühlhörner. Bei dem Sägeschröter sind die Fühlhörner
sägeförmig.
16. Der Gold-Laufkäfer hat unter den schönen goldgrü-
nen Flügeldecken gar keine Hinterflügel und kann daher bloß lau-
fen. Er vertilgt viele schädliche Insekten.
20. Der Schnellkäfer, Springkäfer oder Schmidt schnellt
sich, auf den Rücken gelegt, in die Höhe, um auf die Füße zu
kommen, weil er sich nicht umdrehen kann.
21. Der Speckkäfer, 7s" lang, schwarz, die vordere Hälfte
der Flügeldecken grau mit schwarzen Pünktchen, stellt dem trocke-
nen Fleische nach und schadet daher den Thiersammlungen.
22. Der Pelzkäfer, kleiner, schwarz, auf jeder Decke ein
weißer Punkt, thut als Larve dem Pelzwerk großen Schaden.
23. Der Trotzkopf, ein kleines, schwarzbraunes Käferchen,
dessen Larve in Holz und Bücher Löcher frißt, stellt sich todt,
wenn man ihn berührt.
24. Der Oelkäfer oder Maiwurm, schwarzblau, metallisch
glänzend, sehr weich, hat einen dicken Hinterleib und kurze Flü-
geldecken. Er giebt einen ölichten, scharfen Saft von sich und
wird gegen den Biß toller Hunde angewendet.
25. Der Bombardirkäfer spritzt seinen Feinden einen ähn-
lichen Saft entgegen.
26. Die Wasserkäfer, nämlich der große braunschwarze
und der gelbgerandete, können sehr schnell schwimmen und
nähren sich von den Larven anderer Wasserinsekten.
27. Der Herkuleskäfer, 3" lang, findet sich in Südamerika,
wo er von Baumsaft lebt.
8- 51.
2. Ordnung. Halbkäfer.
(Kdrft. I. S. 293.)
Die Halbkäfer haben pergamentartkge Vorderflügel; die
Hinterflügel fallen sich der Länge nach oder kreuzen sich. Die
83
Larven bestehen keine andere Verwandelung, als daß sie nach und
nach die Flügel entwickeln; manche bleiben aber auch ungeflügelt.
Bei einigen sind die Hinterbeine länger und dicker und daher zum
Springen geschickt; bei andern sind die Füße alle von gleicher
Lange, also zum Laufen eingerichtet.
A. Die Geradflügler haben der Lange nach gefaltete Hin-
terflügel.
1. Die Grasheuschrecke oder der Sprenkel, buntfarbig,
in Garten, auf Wiesen und Feldern, und
2. Die grüne Heuschrecke oder das Heupferd auf Bau-
men und in Gebüschen, größer als die vorige, lassen rin lautes
Geschwirr hören. Das Weibchen schwirrt nicht und hat einen
Legeftachel.
3. Die Zug-, Strich- oder Wanderheuschrecke, viel
größer, grün mit dunkeln Fleckeln und braunen Flügeldecken, be-
sonders in wärmeren Landern zu Hause, überdeckt oft in unge-
heuren Schaaren die Wiesen und Felder, frißt alle Pflanzen weg
und verursacht dadurch oft Hungersnoth.
4. Die rothe Schnarrheuschrecke auf Waldwiesen laßt
während des Fliegens ein schnarrendes Geräusch hören, jedoch nur
das Männchen.
3. Die Feld- und die Hausgrille werden durch ihr Zirpen
oft sehr lästig. Die letztere findet sich an warmen Stellen in
Häusern und benagt Lebensmittel, feuchte Kleidungsstücke rc.
6. Die Maulwurfsgrille oder Werre (Werle) wirft mit
ihren breiten Vorderfüßen kleine Rinnen auf wie der Maulwurf
und richtet in Feldern und Gärten großen Schaden an.
7. Die europäische Fangheuschrecke, Gottesanbeterin
oder das Weinhähnel in Südeuropa hebt die Vorderfüße wie
gefaltete Hände in die Höhe, um Insekten damit zu fangen.
8. Der Ohrwurm, Oehrling oder Jangenkafer mit ei-
ner Zange am Schwänze und sehr kurzen Flügeldecken, unter
welchen die zusammengefalteten Hinterflügel doch ganz verborgen
liegen, findet sich unter Baumrinden rc., frißt süßes Obst und
todte Thiere und ist sehr gefürchtet, weil man glaubt, daß er dem
Menschen ins Ohr krieche.
9. Die Schabe (Schwabe), flach, breit und dunkelbraun,
findet sich am häufigsten in Küchen und Bäckereien, wo sie des
Nachts umherläuft und Alles anfrißt, was sie findet.
B. Die Halbdeckflügler haben einen gegliederten Saug-
schnabel und kreuzweis gefaltete Hinterflügel.
1. Die verschiedenen Wanzen in Betten, auf Bäumen und
im Wasser sind lästiges Ungeziefer, ungeflügelt, sehr übel riechend,
und lassen sich am sichersten durch fortgesetzte Reinigung vertilgen.
2. Die Blattlaus lebt in verschiedenen Arten fast auf allen
Pflanzen, deren Saft sie saugt, und hat eine merkwürdige Fort-
pflanzung.
6*
84
3. Die Koschenille - Schildlaus, welche in Mexiko auf ei-
ner Kaktusart gezogen wird, liefert eine kostbare Scharlachfarbe.
4. Die polnische Schildlaus oder Kermesbeere zeigt sich
auch bei uns in Gärten und wird in Rußland häufig zur Färbe-
rei angewendet.
5. Die Schaumzikade lebt als Larve besonders auf Weiden
in speichelartigem Schaum, den sie sich selbst bereitet, und welcher
Kuckucksspeichel genannt wird.
6. Die Singzikade, welche im südlichen Europa auf Bäu-
men lebt, bringt durch besondere Theile im Leibe einen dumpf-
klingenden, angenehmen Ton hervor.
7. Der Laternenträger in China und Brasilien, zeichnet
sich durch prächtig gefärbte Flügel und eine große Blase an der
Stirn aus. Daß er des Nachts leuchtet, ist eine Fabel ■*).
§. 52.
3. Ordnung. Schmetterlinge.
(Kdrfr. I. S. 293.)
Die Schmetterlinge, Falter oder Staubflüger haben
bestäubte Flügel und entstehen aus Larven (Raupen) mit mehr
als 3 Fußpaaren. Man theilt sie, je nachdem sie zu fliegen pfle-
gen, in Tag-, Abend- und Nachtfalter.
A. Die Tagfalter oder Tagvögel halten beim Sitzen die
Flügel aufrecht, mit der oberen Seite gegen einander gekehrt.
Die Fühler haben an der Spitze ein längliches Köpfchen. Ihre
Raupen haben alle 16 Füße, sind dornicht, die Puppen eckig,
ohne Gespinnst. Die Tagfalter beleben in den Sommertagen die
Natur und erfreuen den Men chen. Ihre Flügel prangen mei-
stens in dem schönsten Farbenschmucke und in der reichsten Man-
nichfaltigkeit der Zeichnungen. Die Unterseite der Flügel über-
trifft bei vielen von ihnen noch die obere Seite, was bei den
Abend- und Nachtfaltern nicht der Fall ist.
1. Der Baum- oder Heckenweißling ist der so häufig
herumfliegende Schmetterling mit weißen Flügeln, die schwarze
Adern und einen schwarzen Rand haben. Seine Raupe ist gelb,
haarig, hat einen schwarzen Rücken und 2 solche Seitenstreifen
und frißt die Blätter von den Obstbäumen.
2. Der Kohlweißling, dessen Raupe die Kohlblätter abfrißt,
hat auch weiße Flügel, gelbliche Unterflügel und an den Vorder-
flügeln 2 schwarze Flecken und schwarze Spitzen. Die bläulich-
grüne Raupe hat 3 gelbe Streifen und schwarze Fleckchen.
3. Der Zitronenfalter hat den Namen von seinen zitro-
nengelben Flügeln. Die glatte, dunkelgrüne Raupe frißt die
Blätter des Fcmlbaumes.
*) Oken, V. Bd. 3. Abth. S. 1306.
85
4. Der Nesselfalter oder der kleine Fuchs hat rothgelbe
Flügel mit schwarzen Flecken. Seine schwarze Dornraupe lebt
auf Nesseln.
3. Der Tauermantel hat schwarze Flügel mit gelbem Rande.
Die Raupe ist schwarz, weiß getüpfelt und mit ziegelrothen Flek-
ken auf dem Rücken, wollig, mit 6 Reihen ästiger Dornen und
gespaltenem Kopfe und lebt auf Weiden, Pappeln, Birken rc.
Die eckige, goldglänzende Puppe hangt sich am Schwänze auf.
6 Der Admiral, schwarz, weiß gefleckt und mit einer ro-
then Binde durch die Flügel, lebt als grünliche Dornraupe auf
Nesseln.
7. Der Perlmutterfalter hat silberfarbene, perlmutterar-
tig glänzende Flecken an der unteren Seite der Hinterflügel, und
seine Raupe lebt auf mehreren Veilchenarten.
8. Der Schwalbenschwanz ist gelb mit schwarzen, geboge-
nen Strichen und Flecken und mit gelben Mdndflecken am schwar-
zen Rande der Flügel Die Raupe lebt auf Fenchel, Mohrrü-
ben rc., ist grün, ganz unbehaart und kann, wenn sie beunruhigt
wird, ein fleischiges Gabelhorn hervorstrecken, wobei ein unange-
nehmer Geruch entsteht Die Puppe hat ein seidenes Querband.
9. Der Segelvogel, mit dem vorigen sehr nahe verwandt,
wie jener 4" breit und 2" lang, blaßgelb mit schwarzen Binden,
blauen Monden und lang geschwänzten Hinterflügeln. Die gelb-
grüne Raupe lebt auf Obstbäumen, Eichen rc. und verwandelt
sich in eine vorn braune, hinten aber gelbe Puppe.
10. Das Pfauenauge oder der Pfauenspiegel ist 21//'
breit, oben rothbraun, unten schwarz und mit 4 augenähnlichen
Flecken geziert. Die Raupe ist schwarz, weiß punktirt und mit
langen Dornen versehen, und die aschgraue Puppe eckig, zugespitzt
und mit vielen glänzenden Goldpünktlein geziert.
I I. Der Schillerfalter schillert mit den braunen Flügeln
herrlich blau und hat weiße Binden. Die hellgrüne Raupe lebt
auf der Sahlweide.
12. Der Streupunkt ist oben blau und hat unten sehr viele
Augenpunkte.
8. 53.
6. Dammerungsfalter.
B. Die Dämm erungsfalter, Abendvögel oder Schwär-
mer halten beim Sitzen die Flügel an den Leib nieder; die vor-
deren sind schmal und viel länger als die hinteren, ihre Fühlhör-
ner spindelförmig, die Raupen meist schön gefärbt, mit einem
hakenförmigen Hörne am Ende. Die letzteren verpuppen sich
unter der Erde in einem lockeren Gespinnst, das oft kaum be-
merkbar ist. Die Abendvögel heißen Schwärmer, weil sie Abends-
sehr schnell und mit Gesumse umherfliegen und den Honigsaft
aus den Blumen saugen.
86
1. Der Lindenschwärmer ist grünlich, mit einer bräunlichen
Binde durch die Flügel. Die gekörnelte, hellgrüne Raupe hat
gelbe und rothe Seitenstreifen, ein blaues oder grünes Horn und
lebt auf Linden, Apfel, und Birnbäumen, Rüstern, Birken rc.
2. Das Abendpfauenauge oder der Weidenschwärmer
hat eckige, bräunlich gewölkte Vorderflügel und an den Hinter-
flügeln auf rofenrothem Grunde ein dunkelbläuliches Auge mit
schwarzem Rande und Mittelpunkte. Die grünlichblaue, weiß-
gestreifte, nackte Raupe lebt auf Linden, Weiden, Aepfelbäumen rc.
3. Der Todtenkopf, der Hauptfarbe nach braun, mit der
gelblichweißen Zeichnung eines Todrenkopfes auf dem Rücken,
ist der größte unserer Schmetterlinge. Beim Fliegen läßt er ein
starkes Sumsen hören, welches, wenn es von mehreren derselben
zugleich vernommen wird, dem Unkundigen leicht Schrecken ein-
flößen kann. Die Raupe desselben ist gelbgrün mit blauen Punk-
ten und Streifen und hat ein weiches, herabhängendes Horn.
Sie lebt auf Kartoffelkraut, Hanf und Jasmin, geht nur bei
Nacht auf Nahrung aus und ist daher sehr schwer zu fangen.
4. Der Wolssmilchschwärmer, dessen grün und schwarze
Raupe auf der Wolfsmilch lebt, hat bräunlichgelbe Flügel mit
schönen grünen Binden.
5. Der Windenschwärmer, einer der größten einheimischen
Schwärmer, hat nebeliggraue, schwarz gebänderte Flügel, einen
rothen, mit grauen und weißen Binden versehenen Hinterleib und
einen 3 bis 4'' langen Säugrüssel.
6. Der gem. Weinschwärmer, I" lang, fast 3" breit, hat
gelbe oder olivengrüne und mit 3 rosenrothen Binden versehene
Vorderflügel, halb schwarz, halb rothe Hinterflügel. Die Raupe
ist grün, roth und weiß gestreift, hat ein hartes Horn, lebt auf
Weidenröschen, Weidrich, Labkraut rc. und umgiebt sich zur Zeit
ihrer Verpuppung mit Erdklümpchen.
7. Der kleine Weinschwärmer hat gelb und purpurroth
gefärbte Flügel und lebt auf den Hollunderblüthen, dem Seifen-
krauts rc. Seine Raupe ist weist schwarz und macht sich durch
den Mangel des Kreuzhornes kennbar.
8. Die Zirkelmotte oder das Widderchen, dunkelblau,
mit 6 rothen Flecken, findet sich als gelb und schwärzlich gefärbte
Raupe auf Klee, Spierstauden rc.
tz. 54.
0. Nachtfalter.
C. Die Nachtfalter haben gefiederte oder borstenförmige
Fühlhörner; ihre Raupen sind bei den meisten behaart und spin-
nen sich in ein dichtes, seidenartiges Gehäuse ein, in welchem die
eiförmige Puppe ihre Verwandelung erwartet. Sie theilen sich in:
87
а. Spinner mit einem kurzen Rüssel, gefiederten Fühlhör-
nern und einem dicken, wollhaarigen Leibe (besonders bei den
Männchen). Die Raupen sind meist behaart, I6füßig, höckerig
und machen ein sehr vollkommenes Gespinnst.
1. Das Nachtpfauenauge hat auf den Flügeln ein großes
Auge auf gräulich bräunlichem Grunde.
2 Der Seidenspinner (Hdb. l. §. 29. D. c.).
3. Der Pozessionsspinner ist graubraun, das Männchen
hat 3, das Weibchen einen dunklen Streifen auf den Flügeln.
Die Raupe, deren Haar an der Haut des Menschen heftiges
Jucken und Entzündung erregt, zieht in langen Reihen auf die
Eichenblätter, von denen sie lebt, nach Nahrung aus.
4. Der braune Vär hat kaffeebraune, mit vielen weißen,
zusammenhängenden, sich durchkreuzenden Streifen bezeichnete
Oberflügel und rothgelbe, blauschwarz gefleckte Unterfinge!. Die
Raupe trägt einen lang und dichtbehaarten schwarzbraunen Pelz
und lebt auf Nesseln, Salat rc. Diesen ähnlich sind der schwarze
und der Purpurbär.
5. Der Weidenspinner ist graulich, hat auf der Brust eine
schwarze Binde, einen weiß geringelten Hinterleib und ent-
steht aus einer hellbraunen, gar starken Raupe, die sich durch
Holz, z. B. hölzerne Schachteln, durchbeißt. Auch die Puppe
kann noch kriechen und bohrt sich aus ihrem Hinterhalte heraus.
б. Der Ringelspinner hat fast ganz rothgelbe Flügel und
legt seine Eier um die Zweige der Obstdäume wie Perlencylinder.
Die Raupen sind roth, gelb und blau gestreift, erscheinen oft in
ungeheurer Menge und fressen die Obstbäume kahl.
7. Der Fichtenspinner, grau, an der Wurzel der Flügel
rostfarben, mit einer braunen Binde und einem weißen, dreiecki-
gen Punkte, legt seine Eier an die Zweige der Kiefern. Die
Raupen sind gegen 3" lang, silbergrau, roth behaart und sowohl
mit braunen Rauten und Seitenstreifen, als auch mit 2 dunklen
Halsbändern geziert. Oft erscheinen sie in so großer Menge,
daß sie ganze Waldungen vernichten.
d- Eulchen mit einem langen Rüssel und borstenförmigen
Fühlhörnern. Ihre Raupen sind glatt, oder behaart, gewöhnlich
Ilrsüßig und verpuppen sich in der Erde, oder in einem ordentli-
chen Gespinnst.
1. Das blaue Ordensband hat graue Oberflügel mit bräun-
lichgelben Zickzackstreifen, schwarze Unterflügel mit einem breiten,
blauen Querstreifen. Die Raupe ist gelbgrau, schwarz getüpfelt, mit
einem rothen Kopfe und lebt auf Eschen, Rüstern, Pappeln, Birken rc.
2. Das rothe Ordensband hatt statt des blauen einen
rothen Querstreifen.
e. Blattwickler, deren Raupen in den Blättern der Pflan-
zen wohnen, welche sie auf verschiedene Weise zusammenwickeln,
andere in Obst, wie die Obstwickler.
88
d. Spanner, deren Raupen die Bauchfüße fehlen, und die
daher spannend fortschreiten. Ihre Schmetterlinge haben einen
langen Rüssel und alle 4 Flügel von gleicher Färbung.
Der Harlekin oder Stachelbeerspanner hat auf den wei-
ßen Flügeln runde, schwarze Flecke und 2 gelbe Streiken Die
weiße, schwarz punktirte Raupe lebt von Stachelbeerblattern.
0. Motten sind klein, haben lange, schmale Oberflügel, mit
denen sie in der Nacht den Leib umhüllen, und borstenförmige
Fühler.
1. Die Pelzmotte, silbergrau, findet sich als weiße Raupe
auf Pelzwerk, aus dessen Haaren sie sich ein kleines Gehäuse
macht.
2. Die Kleidermotte macht sich als Raupe ein Gehäuse
von Wolle, das sie erweitert, wenn sie wächst.
3. Die Kornmotte ist weiß und findet sich als weiße Raupe
in Speichern, wo sie altes Getreide benagt und weißer Korn-
wurm heißt.
Außer den hier beschriebenen Faltern giebt es noch mehrere
Tausend, von denen die schönsten in andern Erdtheilen leben.
§• 55.
4. Ordnung. Netzflügler.
(Kdrfr. I. S. 295.)
Die Netzflügler, Bolde (Libellen) oder Florfliegen haben
durchsichtige, netzförmig geaderte oder gegitterte Flügel und große
Augen. Die Verwandlung ist bei den meisten unvollständig, so
daß die Puppe herumläuft-
1. Die Wasserjungfern, Scknllebolde oder Libellen, hübsch
gezeichnete Thiere, finden sich an Gräben und Teichen, legen ihre
Eier ins Wasser und leben von Insekten, die sie im Fluge erhaschen.
2. Die Eintagsfliege lebt als geflügeltes Insekt nur kurze
Zeit.
3. Die Perlenfliege, grüne Florfliege oder der Blatt-
lauslöwe nützt dadurch, daß ihre Larve die schädlichen Blattläuse
vertilgt.
4. Die Ameisenjungfer macht sich als Larve ein trichter-
förmiges Grübchen im Sande, versteckt sich darin, fängt Ameisen
und Fliegen und heißt deshalb Ameisenlöwe.
3. Die Termiten» Holzlause oder weißen Ameisen in
Afrika leben gesellig und werden von einem König und einer
Königin regiert. Merkwürdig sind ihre 10 bis 12' hohen und
14 bis 16' im Umfange haltenden Gebäude, die im Innern meh-
rere künstlich eingerichtete Gänge und Kammern haben, und de-
ren sie oft so viele bei einander bauen, daß man in der Entfer-
nung ein Dorf zu sehen glaubt.
89
§. 36.
5. Ordnung. Hautflügler.
(Kdrfr. I. S. 295.)
Die Hautflügler haben 4 durchsichtige, geaderte Flügel, starke
Freßwerkzeuge, meist große Augen, am Ende des Hinterleibes eine
Legeröhre oder einen Stachel. Die von Blumensaft lebenden haben
eine rüsselförmige Unterlippe. Die Verwandlung ist vollständig,
und ihre Larven sind bis auf wenige Ausnahmen fuß- und augen-
lose, weiße Maden.
1. Die Schlupfwespen schwarz, mit gelben Füßen und
einer langen Legeröhre, wird dadurch nützlich, daß sie ihre Eier
in den Leib anderer Insekten, besonders der Kohlraupen legt und
dadurch eine Menge dieser schädlichen Thiere vertilgt.
2. Die Eichengallwespe, nicht viel größer als ein Floh
und gewöhnlich schwarz, legt ihre Eier in Eichenblätter und er-
zeugt dadurch Auswüchse, welche den Larven zur Wohnung die-
nen und unter dem Namen Galläpfel zur Dinte und zum
Schwarzfärben gebraucht werden.
3. Die Wespe hat einen gelb und schwarzen Leib, die Weib-
chen und Geschlechtslosen am Ende kolbige, die Männchen faden-
förmige, knieförmig gebogene Fühlhörner. In jedem Wespen-
neste sind nämlich Weibchen, Männchen und Geschlechtslose. Ein
Weibchen wiegt fast 3mal so viel als ein Männchen, dieses noch
immer 2 mal so viel als eine Geschlechtslose. Das Nest selbst
gleicht einer kleinen Stadt von Löschpapier mit vielen Ringmauern
und 2 Thoren, eins zum Ein-, das andere zum Ausgehen. In
einem recht großen Neste der Art sind wohl 16,000 Zellen, und
da diese 3 mal Brut enthalten, kann ein einziges solches Nest in
einemSommer gegen 48,000Wesven liefern. Diese sterben aber fast
alle gegen den Winter, und es bleiben nur einige trächtige Weibchen
am Leben. Diese verstecken sich unter Steine, kommen im Früh-
ling herausgekrochen, und jede einzelne legt dann ein Nest für
sich an, das anfangs ziemlich klein ist, bis ihre Kinder mitbauen
und Eier legen helfen. Die Wespen fressen nicht bloß Süßig-
keiten und Obst, sondern auch Fleisch, reißen z. B. Bienen oder
Fliegen den Leib ab und tragen ihn heim, oder fressen ihn auf.
4. Die Hornisse, die größte Wespenart, deren Stich sehr
schmerzhaft ist, baut ihr Nest in hohlen Bäumen, sammelt aber
keinen Honig, sondern frißt Fleisch und Obst, tödtet Bienen, um
ihnen den Honig zu nehmen rc.
5. Die Biene ist sammetartig behaart und zart in die Quere
gestreift; die Brust ist grau, der Bauch bräunlich, der Hinter-
leib pyramidenförmig, und das erste Fußglied an den Hinter-
beinen länglich viereckig. Ihre Wohnung baut die Biene, die
90
so manches Pfund Honig und Wachs für uns sammelt, draußen
im Freien in hohlen Baumen, bei den Menschen aber in den für
sie angelegten Stöcken und Körben. In einem vollständigen
Schwarme zählt man gegen 20,OooArbeitsbienen, 1400 bis
1600 Drohnen oder Männchen und nur eine einzige Bienen-
mutter, welche die Königin oder der Weiser heißt und den gan-
zen Stock regiert. Stirbt der Weiser, so zerstreuen sich alle
Bienen. Die Arbeitsbienen leben den ganzen Sommer hin-
durch immer nur wie im Fluge, indem sie Honig in die Zellen
tragen und das ganze künftige Geschlecht ernähren und groß
ziehen. Die Arbeitsbienen und die Königin haben einen Stachel,
mit dem sie empfindlich stechen. Gegen den Schmerz und die
Schwulst, welche der Bienenstich verursacht, hilft meistens auf-
gelegte frische Erde. sKdrfr. I. Nr. 3. 21. 99. 189, 2. 193. —
Hdb. L. § 8. D. c. §. 29. D. b.)
6. Die Ameisen» von verschiedener Farbe und Größe, woh-
nen in trockenen Erdhaufen, haben auch eine ordentliche Obrig-
keit und leben von Blüthen, Früchten und Insekten. Die Weib-
chen und Männchen haben Flügel, die Arbeitsameisen aber sind
gewöhnlich ungeflügelt. Sie selbst und ihre Larven, die sogenann-
ten Ameiseneier, dienen den Nachtigallen und andern Vögeln zur
Nahrung und werden auch in der Arznei benutzt sKdrfr. l. Nr. 13.
18. 195.).
7. Die Hummel, viel größer, dicker und stark behaart, ist
schwarz, am vordersten Bauchringe gelb und am Hinterleibs weiß,
baut ihr Nest in Erdlöchern und zwischen Steinen und sammelt
auch Honig ein, der aber von Menschen selten benutzt wird.
§. 57.
6. Ordnung. Zweiflügler.
(Kdrfr I. S. 295.)
Die Zweiflügler haben 2 zarte, häutige Flügel und einen
spitzigen Saugstachel oder biegsamen Rüssel. Aus den Eiern
(Schmeißen) entstehen fußlose Maden, welche sich meist in ihrer
eigenen Haut in Puppen verwandeln, aus denen nach einiger
Zeit die vollkommenen Insekten hervorkommen.
1. Die Stubenfliege, V3" lang und schwarzgrau, hat an
der Außenseite ihres Rüssels Taster stehen, mit denen sie bei ihrem
lästigen Belecken der Haut diese zugleich betastet. Sie leckt gern
süße Säfte, kann aber nicht stechen. Das Weibchen legt etwa
80 Eier in Ställen oder Misthaufen.
2. Die Stechfliege, etwas kürzer und breiter, hat einen
Saugestachel, kommt besonders vor Gewittern in die Zimmer
rrnd sticht heftig.
91
3. Die Schmeißfliege, größer und dicker als die Stuben,
fliege und blauglänzend, legt ihre Eier haufenweise auf Fleisch,
von welchem dann die ausgekrochenen Maden leben.
4. Die Ochsenbremse legt ihre Eier an den After oder an
die Nasen- und Mundöffnungen großer Thiere. Die Maden
kriechen dann in den Leib und erregen da (bei Pferden, Renn-
tieren, Schafen rc.) öfters große Schmerzen und Beschwerden,
bis sie endlich, zu ihrer Verpuppung in der Erde reif, das ge-
plagte Thier, das manchmal dabei umkommen muß, wieder ver-
lassen. Die Breme oder Ochsenbremse sieht fast wie eine Biene
aus, ist dick behaart und hat, weil sie als geflügeltes Insekt nichts
mehr genießt, weder Rüssel, noch andere Freßwerkzeuge, sondern
nur 3 Warzen am Munde.
5. Die Pferdebremse hat schöne, grüne Augen, braunge-
fleckte Flügel und einen starken Rüssel, mit welchem sie Menschen
und Thieren das Blut aussaugt. Das Männchen saugt nur Blu-
mensäfte. Die weiße Made lebt von Pflanznwurzeln in der Erde.
6. Die Mücke ist in allen, besonders aber in etwas sumpfi-
gen Gegenden als ein sehr lästiges Insekt bekannt, das Men-
schen und Thieren das Blut aussaugt und dabei einen giftigen
Saft in die Wunde fließen läßt. Doch thun dies nur die Weib-
chen; die Männchen stechen niemals, sondern halten ganz fried-
lich in der Luft ihre Tänze. Das Weibchen legt etliche lOO Eier
aufs Wasser, in welchem die Larven, so wie die beweglichen Pup-
pen leben und hier zur Reinigung des Wassers wohlthätig wirken.
Die Singmücke ist an den borstwischartigen Fühlhörnern kenntlich.
7. Die Wiesenschnake gleicht einer großen Mücke, sticht nicht,
schadet aber als Larve den Wurzeln verschiedener Küchenkräuter.
§• 38.
7. Ordnung. Angeflügelte Insekten.
(ftbrfr. I. S. 295.)
Die ungeflügelten Insekten oder die Krabben haben gar
keine Flügel, einen geringelten, hornigen, nur ein- oder zweithei-
ligen Leib mit Brust- und Bauchfüßen und besondere Athem-
werkzeuge Eine Verwandlung erleidet nur der Floh.
A. Die spinnenartigen Krabben haben einen rundlichen,
ein- oder zweitheiligen Leib, 4 Paar Brustfüße und Luftlöcher,
keine Fühlhörner.
1. Die Spinnen (Kdrfr. I. Nr. 212.) haben am Ende des
Hinterleibes 4 bis 6 Spinnwarzen, mittels welcher die meisten
ein kunstreiches Gewebe bereiten, um Infekten zu fangen. Es
gehören hierher: die Haus-, Garten- und Kreuzspinne (Hdb. II.
S. 104), ferner die Bufchfpinne (Kdrfr. 1. S. 205) und die
Tarantel. ,
9S
2. Die Afterspinne oder der Weberknecht, etwas größer
größer als ein recht reifes Hanfkorn, läuft mit seinen langen
Füßen während der Nacht an Wänden umher und fängt Insekten.
3. Der Skorpion in heißen Ländern, einem Krebse ähnlich,
hat am Ende seines Schwanzes einen Giftstachel, mit welchem
er gefährlich verwunden kann.
4. Der Bücherskorpion, plattgedrückt, mit langen Scheren,
läuft gut rückwärts, lebt unter Papier und Büchern und frißt
Milben.
». Die krebsartigen Krabben find mit einem Schilde be-
deckt; Kopf und Brust sind verwachsen, und der Bauch ist meist
schwanzförmig.
1. Die eigentlichen Krebse haben zwei gestielte und einge-
lenkte Augen, einen kleinen Bauch oder Schwanz, 5 Paar große
Brust- und meist I Paar kleine Bauchfüße, 6 Paar Kiefer, 4 Fühl-
hörner, und Kiemen an den Schenkeln. Nach ihrem Aufenthalte
theilt man sie in Fluß-, Land- und Seekrebse. — Der Fluß-
krebs lebt in allen Flüssen und Bächen Europa's und kann
gegen 20 Jahre alt werden. — Die Wanderkrabben in
Amerika halten sich in Löchern unter der Erde, ziehen aber in
großen Schaaren jährlich in das Meer, um ihre Eier abzusetzen,
und kehren darauf wieder nach den hochliegenden Orten zurück.
— Der Hummer lebt in allen europäischen Meeren, wird l^lang
und armsdick.
2. Der Floh, rothbraun und mit Springfüßen versehen,
saugt nicht bloß das Blut der Menschen, sondern auch der Hunde,
Katzen, Füchse rc.
3. Die Laus, auch ein beschwerliches Ungeziefer auf Men-
schen und Thieren, kann am besten durch fortgesetzte Reinigung
vertilgt werden.
6. Die Asseln haben ungeschiedene Leibestheile, sind wurm-
förmig, mit vielen Ringeln und Füßen, ohne Rückenschild.
1. Die Kellerassel', der Kelleresel oder Kellerwurm» grau,
unter Blumentöpfen, ^Steinen hat 7 Paar Füße, in der Jugend
nur 0, rollt sich zusammen, wenn man ihn berührt, und wird in
der Arznei gebraucht.
2 Der Dielfuß oder Tansendfuß, grau, gelbgefleckt, hat
104 Leibesringe, 64 bis 100 Fußpaare und lebt unter Steinen.
§ 59.
Die Insekten im Allgemeinen.
(Kdrfr. I. Nr. 184.)
Die Weibchen der Insekten sind in der Regel größer als
die Männchen, haben aber oft weniger Glieder an den Fühl-
93
hörnern und sind manchmal flügellos. Die Eier sind sehr zahl-
reich, mannichfaltig gestaltet und werden immer an Orte hinge-
legt, wo die Jungen sogleich ihre Nahrung finden. Diese Jungen
sind bei den meisten sehr von den Alten verschieden und heißen
daher Larven. Gleichen sie Eingeweidewürmern, und fehlen
ihnen die Füße, so heißen sie Maden, wie bei den Mücken, Flie-
gen, Bienen rc.; Raupen, wenn sie Füße an den 3 Halsringeln
und noch andere am Bauche und am Schwänze haben, wie bei
den Schmetterlingen; Engerlinge, wenn sie nur Halsfüße
haben, wie bei den Käfern. Bei manchen schlüpfen sie sogleich
in der bleibenden Gestalt und mit vollkommenen Füßen aus dem
Eie und erhalten die Flügel bei nachfolgenden Häutungen, wie
die Wanzen, Heuschrecken, Wasserjungfern rc In dem Larven-
zustande bringen die Insekten die meiste Zeit ihres Lebens zu,
während dessen sie sich mehrmal häuten. Bei der letzten Häutung
werden sie von einer hornartigen Haut bedeckt, welche keine Füße
und keine Freßwerkzeuge mehr hat. Sie liegen daher während
dieser Zeit mehrere Wochen lang, oft den ganzen Winter hin-
durch ruhig, ohne zu fressen nnd sich zu bewegen und heißen in
diesem Zustande Puppen oder Nymphen. Unter dieser Haut
bildet sich allmälig das vollkommene Insekt mit seinen 3 Leibes-
abtheilungen, seinen neuen Freßwerkzeugen, Füßen und Flügeln
aus. Endlich platzt die Haut auf dem Rücken, das Insekt kriecht
heraus, wartet einige Minuten, bis es trocken ist, und läuft oder
fliegt sodann davon, um meist andere Nahrung zu suchen, oder
sich fortzupflanzen. Diese stufenweise Entwickelung nennt man
Verwandlung Metamorphose).
Die Nester für die Eier der Insekten sind höchst mannich-
faltig Viele werden einzeln in Pflanzen oder Thiere gestochen,
in denen sie sich entwickeln und zugleich ihre Nahrung finden;
andere werden nur darauf gelegt, und die Larven fressen sich so-
dann ein; für andere nagt die Mutter ein Loch in Holz oder
in die Erde, wohin sie oft einen Vorrath von Nahrung trägt,
ehe sie das Ei hineinlegt; andere endlich bauen denselben beson-
dere Zellen von Blättern, Holzsplittern, oder von Wachs.
Ihre Ernährungsart ist eben so mannichfaltig wie ihr
Nesterbau. Es giebt pflanzenfressende, fleisch- und alles-fressende.
Jene saugen nur Säfte, fressen nur Blätter, Samen und selbst
Holz; die andern verzehren bald todtes, bald lebendiges Fleisch;
die letzteren endlich leben von mulmigen Pflanzenstoffen, vertrock-
neten Thieren, Mist u. dgl.
Ihr Aufenthalt ist noch mannichfaltiger. Es giebt kaum
«inen Stoff auf der Erde, in welchem nicht Insekten wohnen
Könnten, indem sie denselben zernagen oder sonst zubereiten, ausge
nommen Steine, Metall u. dgl. Viele leben im Wasser und kommen
nur an die Oberfläche, um Luft zu schöpfen; andere an feuchten,
dunklen Orten, viele in Mist, Holz, auf Thieren, Blättern, Blu-
94
men, der Rinde rc. Sie finden sich auf der ganzen Erde zerstreut,
in allen Zonen, bis an die Grenze des Schnee's.
Auch finden sich bei den Insekten die meisten geistigen Ver-
schiedenheiten und Kunsttriebe. Manche vertheidigen sich
muthig Mienen), andere suchen zu entfliehen (Schmetterlinge),
stellen sich todt (viele Käfer), lassen sich herunterfallen (Spin-
nen), wählen Stoffe, die gleiche Farbe mit ihnen haben, damit
sie nicht von ihren Feinden bemerkt werden (Baumwanzen); ei-
nige haben Gedächtniß, kennen die Menschen, welche sie pflegen,
und lassen sich daher zähmen (Bienen). Nicht minder merkwürdig
ist die Einrichtung und Kraft ihrer Sinneswerkzeuge. An
den Seiten des Kopfes stehen 2 Augen, welche aus sehr vielen
einfachen zusammengesetzt sind und daher eine Menge Flächen
bilden wie ein Kristall, so daß sie von jeder Seite ihren Feind
leicht bemerken und ihm entfliehen können. Vor den Augen
stehen 2 gegliederte Fühlhörner zum Tasten. Sie sind bald lang,
bald kurz, bald dünn, bald dick, überhaupt sehr verschieden ge-
staltet. Von einer,Nase ist keine Spur vorhanden, obgleich die
Insekten einen guten Geruch haben. Wespen und Bienen wit-
tern z. B. den Honig, Ameisen den Zucker, Fliegen das in
Fäulnis übergehende Fleisch, selbst wenn alle diese Dinge noch so
sehr verborgen sind. Eben so wenig bemerkt man ein Ohr, und
doch lassen sich z. B. mehrere Käfer durch Geräusch verscheuchen;
andere, wie Grillen, Eikaden, Todtenuhren rc., locken sich gegen-
seitig durch gewisse Schälle; noch andere unterbrechen sogleich
ihre Musik, wenn sie irgend etwas Verdächtiges in der Nähe
bemerken. Die Sorgfalt, mit welcher die Insekten ihre Speise
auswählen und unterscheiden, beweist, daß sie auch Geschmacks-
wahrnehmungen haben. So fressen z. B. die Seidenraupen
außer den Blättern des Maulberbaumes nur in der Jugend noch
einige andere Pflanzentheilchen.
Endlich ist der Nutzen und Schaden, welchen sie dem
Menschen verursachen, größer als bei irgend einer Thierklasse,
wenn man die Säugethiere ausnimmt Sie zerstören ihm seine
Erndten (Heuschrecken), Früchte (Rüsselkäfer), Wiesen (Sprenkel)
und fressen ihm das Getreide auf dem Speicher auf (Korn-
Rüsselkäfer); sie plagen und tödten wohl gar das Vieh (Mücken,
Bremsen), ja sie peinigen ihn selbst durch Stiche und Bisse
(Mücken, Fliegen, Flöhe, Läuse rc.), erregen ihm Krankheiten rc.
Dagegen verzehren sie viele Unreinigkeiten, vertilgen viele andere
schädliche Thiere, liefern ihm Honig, Wachs, Lack, Farben und
Seide zu seiner Bedeckung, Arzneimittel (Pflasterkäfer, Ameisen rc.)
So erblicken wir in den Jnsektln eine ganze Welt der mannich-
faltigsten Geschöpfe, von denen es Tausende giebt, deren Be-
stimmung uns noch verborgen liegt. Taufende, die gar keinen
Namen haben. Und dennoch gewährt uns die Unterhaltung mit
den Insekten die reichhaltigste Belehrung, den herrlichsten Stoff
95
zur Betrachtung der weisesten Einrichtung der Natur und giebt
vielfache Gelegenheit, unser Gemüth zu erheben, die großen Ei-
genschaften unseres Schöpfers zu bewundern.
Sechste Klasse.
Würmer.
tz. 60.
Die Eintheiluirg der Würmer.
(Kdrfr.I. S.293.)
Keine Thierklasse bietet so große Verschiedenheiten dar, als
diejenigen Geschöpfe, welche im Kinderfreunde zu einer sechsten
Klasse unter dem Namen Würmer vereinigt sind, und kaum
lassen sich einige gemeinschaftliche Merkmale auffinden. Sie
haben kaltes, größtenlheils weißes Blut und einen weichen, schlei-
migen Körper ohne Verwandlung. Statt der Fühlhörner finden
sich nur Fühlfäden. Die Füße fehlen entweder ganz, oder die
fußähnlichen Theile sind doch ungegliedert. Einige sind von einer
kalkartigen Schale bedeckt, andere nackt. Der Mund ist entweder
kahl, oder von strahlenförmig gestellten Fühlfäden umgeben. Da-
nach zerfällt die Klasse der Würmer in drei große Abtheilungen,
nämlich:
I Eigentliche Würmer, die einen walzen-, band- oder
blasenförmigen, nackten Leib ohne äußere Bewegungswerkzeuge
besitzen. Einige derselben leben mit wenigen Ausnahmen in den
Eingeweiden der Menschen und Thiere, und ihre Säfte sind
weiß wie der ganze Körper. Andere leben in der Erde, oder im
süßen Wasser und haben rothes Blut. Noch andere endlich hal-
ten sich im Meere auf und haben einen sternförmigen Leib.
Man theilt daher die eigentlichen Würmer in Eingeweide- odrc
Weißwürmer, Rothwürmer und Sternwürmer. Die
beiden ersten Ordnungen sind im Kdrfr. unter 1) zusammenge-
faßt, obgleich der Blutegel und der Regenwurm keine Eingewei-
dewürmer sind. Die 3re Ordnung ist bei 4) unter dem Namen
kalkbedeckte Thiere aufgeführt.
II. Schalthiere» die einen weichen, meist mit einer oder
mehreren kalkartigen Schalen bedeckten Leib haben. Nach der
Zahl der Schalen zerfallen sie in 3 Ordnungen, nämlich inKrak-
ken oder Ruderschnecken meist mit vielen Schalen, Muscheln
mit 2, und Schnecken mit einer Schale. Einigen Kracken und
Schnecken fehlt das Schalengehäuse, und diese sind im Kdrfr.
unter 2) Weichwürmer zusammengeworfen, so wie die übrigen
Muscheln und Schnecken unter 3) Schalwürmer.
96
III. Strahlthiere, die meist nur aus einem einfachen Darme
bestehen und um den Mund einen Kranz von Fäden oder Strah-
len haben. Einige schwimmen beständig auf dem Meere umher,
haben einen blasigen, gallertartigen Leib und heißen Quallen.
Andere find im Meere, oder auch im süßen Wasser irgendwo
festgewachsen, theilen sich in Aeste und Zweige wie die Pflan-
zen und heißen daher Pflanzenthiere oder Polypen, und
stecken sie in kalkigen Röhren, Korallen- Noch andere sind
so klein, daß man die meisten von ihnen gar nicht mit bloßen
Augen bemerken kann. Sie entstehen häufig, wenn man Wasser
auf Thier- oder Pflanzentheile gießt und die Mischung in Fäul-
niß übergehen läßt, und heißen daher Infusorien oder Auf-
gußthierchen. Die Quallen sind bei uns noch wenig bekannt
und daher im Kdrfr. ganz übergangen. Die Korallen sind unter
5), die Polypen und Infusorien unter 0) aufgeführt.
§ 61.
I. Ordnung. Ergentliche Würmer.
(Kdrfr. I. S.M5.)
A. Eingeweide- oder Weißwürmer sind nackte, weiche,
dünne, meist walzenförmige, oder auch plattgedrückte, selten fa-
denförmige Thiere ohne alle äußere Gliedmaßen. Die meisten
leben in den Eingeweiden der Menschen und Thiere, selbst in
andern Würmern und in Insekten, viele im Darmkanal, aber
auch in andern Eingeweiden, in den Muskeln und sogar im Ge-
hirn. Wenn die Anzahl dieser Würmer übermäßig groß ist, so
bringen sie dem Körper Nachtheil.
1. Der Spulwurm, einem Regenwürme ähnlich, aber sehr
bleich, findet sich bei Menschen, Pferden, Ochsen und andern
Hausthieren, besonders aber im Dünndärme der Kinder, verur-
sacht oft Uebelkeit und schwere Krankheiten. Am leichtesten läßt
er sich durch Zittwer vertreiben.
2. Die Aftermade oder der kleine Springwurm, auch
Madenwurm genannt, den Käsemaden ähnlich, I bis 2'" lang,
ist häufig bei Kindern.
3. Der Bandwurm, stark gegliedert, breitgedrückt, >0 bis
100' lang, mit einem dünnen Kopfende, verursacht dem Men-
schen große Schmerzen und oft lebensgefährliche Krankheiten.
Abgerissene, im Körper zurückbleibende Stücke, nicht das Kopfende
allein, sollen wieder wachsen; daher ist er oft schwer zu vertrei-
ben. Die Wurzel des männlichen Punktsarrens und die daraus
gewonnene Filicine sind das beste Abtreibungsmittel.
4. Die Finne, ein kleines Würmchen, das sich in eine
kleine Wasserblase endigt und auch in einer solchen steckt, findet sich
besonders im Fleische derSchweine und macht dasselbe nicht schädlich.
97
5. Der Hirnblasenwurm lebt in der Hirnhöhle der Schafe
und erzeugt die Drehkrankheit, bei der sich das Thier immer
nach der einen (gelähmten) Seite hindreht Sitzen sie auf der
linken Seite, so wird die rechte Seite des Schafes gelähmt,
oder umgekehrt.
ß. Die Rothwürmer haben einen walzenförmigen, gerin-
gelten Leib und rothes Blut, leben nie in Thieren, sondern ent-
weder in der Erde oder im Wasser. Sie können ihren Leib
sehr verkürzen und wieder verlängern.
1. Der Regen- oder Angelwurm. (Hdb. II. S. 105).
2. Der Blutegel in Teichen und schlammigen Bächen,
singerslang,. schwarzgrün, hat oben 8 gelbe, schwarze und rothe
Streifen und wird häufig statt des Aderlasses angewendet. Er
hat Saugwerkzeuge in 2 Lippen mit einer dreieckigen Oeffnung
und 3 scharfen Zähnen, mit denen er die Haut durchbohrt.
Will man ihn, wenn er angesogen hat, mit Gewalt losreißen, so
bleiben die Zähne zurück, und es entstehen leicht Entzündungen
der Wunden. Wenn er sich vollgesogen hat, fällt er von selbst
ab, und giebt das eingenommene Blut wieder von sich, wenn
man ihn mit Salz bestreut oder mit Branntwein überstreicht.
Um sie zu fernerem Gebrauche zu erhalten, setzt man sie hierauf
in frisches Wasser und wiederholt dies einigemal denselben Tag,
um alles Salz und Blut wegzubringen. Besonders gut ist Zucker-
wasser; später ist es hinreichend ihnen alle 2—3 Wochen das Wasser
zu erfrischen und etwas Blut hineinzutröpfeln. Wegen ihrer häu-
figen Anwendung sind sie ein bedeutender Handelsanikel. —
Der etwas größere Roßegel oder Pferdeegel hat keine bunten
Streifen, entzieht zu viel Blut und erregt Entzündungen. —
Die Blutegel gebären nicht lebendige Junge, wie man häufig
glaubt, sondern legen schaumartige Eier, aus denen die faden-
förmigen Blutegelchen hervorkriechen.
€. Die Sternwürmer leben sämmtlich im Meere; nur
einige Arten kommen auch bei uns vor, aber versteinert. Ihr
Leib ist ganz verkürzt, der Mund dagegen so weit, daß seine
Theile fast den ganzen Leib darstellen, der dadurch kugelig und
meist sternförmig wird, geringelt, muskelig, oder knorpelig, zu-
weilen von einer kalkartigen Haut umgeben ist, weshalb diese
Thiere auch harthäutige Würmer, Rindenwürmer oder
kalkbedeckte Thiere genannt werden. Von dem weiten
Munde laufen nach hinten gewöhnlich 3 Furchen.
1. Der Seeigel, gewöhnlich von der Größe eines Apfels
und mit grünen Stacheln besetzt, findet sich in der Nordsee, lebt
von kleinen Meerschnecken und wiro gegessen.
2. Der Seestern, ein röthiicher, spannenbreiter, 5 strahligec
Stern in der Nord- und Ostsee, wo man ihn oft aus dem
Wasser kriechen sieht.
Ptchlicr, Hanrb. 3 Theil.
7
98
§• 62.
2. Ordnung. Schalthierc.
(Äbrfr. I. @.205.)
Die Schalthiere oder Schalwürmer heißen von ihrem
weichen, fast aus bloßem Schleime bestehenden Körper auch Weich-
thiere. Sie haben weder äußere Bewegungswerkzeuge, noch
inneren Knochenbau, ja bei vielen fehlen die Sinneswerkzeuge und
sogar der Kopf. Die einzigen Organe sind 3 bis 6 meist einzieh-
bare Fühler zum Tasten und 2 Augen, doch letztere nicht bei allen
deutlich. Um den zarten Körper zu schützen, gab die Natur fast
allen eine feste Behausung, welche sie mit sich herumtragen, in
welche sie sich ganz zurückziehen, und die sie sogar schließen können.
Alle haben weißes und bläuliches, kaltes Blut. Die meisten
Schalthiere leben von andern Thierchen, welche sie entweder mit
dem Wasser verschlucken, oder auch nur aussaugen; sehr wenige,
und zwar, wie es scheint, nur die des süßen Wassers, fressen
Pflanzen. Manche sind sehr blutgierig, besonders die Meerschnecken.
Die Vermehrung geschieht durch Eier, deren Zahl bei den
Muscheln sehr groß ist, bei den Schnecken dagegen sich auf einige
Dutzend beschränkt. Ihr Aufenthalt ist fast bloß das Meer;
nur wenige Geschlechter halten sich im süßen Wasser und auf dem
Lande auf. Sie finden sich in den kalten, wie in den heißen
Zonen, doch hier in ungleich größerer Menge und Mannichfal-
tigkeit; auch werden sie daselbst viel größer und schwerer, und
es giebt solche, die über einen Centner wiegen, obschon die
Mehrzahl einige Loth nicht übersteigt. Von geistigen Eigen-
schaften, wie bei den Insekten, von Munterkeit, Spielen,
Kunsttrieben, Tönen u. dgl ist hier kaum eine Spur wahrzu-
nehmen. Viele bringen lebenslänglich ihre Zeit in einem Sand-
loche zu; andere kriechen oder rudern nur aus ihren Schlupfwinkeln
hervor, um Nahrung zu suchen. Ihre langsame Bewegung ist
sprüchwörtlich geworden. Der Nutzen, den sie dem Menschen
gewahren, ist mannichfaltig, besonders als Nahrungsmittel und
Leckerspeisen, die Schalen als Zierrathen, zum Kalkbrennen rc.
Schaden bringen nur die Bohrmuscheln und die Landschnecken.
Die Mannichfaltigkeit in der Bildung der Muscheln und Schnecken,
ihre Farbenpracht und die vielfachen Zeichnungen auf denselben
sind höchst merkwürdig.
A. Die Kracken oder Ruderschnecken haben Fangarme
oder Flossen und können nur schwimmen, wenn sie nicht fest-
sitzen. Sie leben sämmtlich im Meere, kommen wenig im mensch-
lichen Verkehre vor und sind daher von keiner großen Wichtig-
keit. Bei uns findet man nur einige versteinerte Thiere dieser
Familie, wie die Donnerkeile oder Belemniten.
99
1. Die Dinrenschnecke oder der Dintensisch Ibis 2" lang,
fast armsdick und mit 8 noch längeren Armen und 2 Flossen
längs der Seiten, hat im Innern einen Beutel mit schwarzer
Flüssigkeit, die zur Bereitung einer feinen Malerfarbe, der Sepia,
dient. Auch enthält dieses Thier im Rücken eine länglichrunde
Kaltschale, welche zum Poliren, zum Zuspitzen der Zeichenstifte,
auch gegen saures Ausstößen angewendet wird, und Os Sepias
oder weiße Sepia heißt. Sie lebt in allen Meeren um Europa,
besonders häufig im Mittelmeere, und nährt sich von Fischen.
2. Der Papier-Nautilus, das Glasboot oder dünne
Schiffsboot im Mittel- und ostindischen Meere hat eine sehr
dünne, glasartige, weiße, über faustgroße Schale mit Höckern
und zwei Gräten auf dem Rücken der Windungen, 6 kürzere und
2 längere Arme.
3. Das Perlboot, dicke Schiffsboot oder der Argonaut
im indischen Meere wird weit über faustgroß, ist ziemlich schei-
benförmig, an beiden Seiten vertieft, mit einer sehr weiten, fast
herzförmigen Mündung, glatt, weißlich und mit gelbrothen Duer-
streifen bedeckt. Das Gehäuse selbst besteht aus Perlmutter und
wird zu Geräthen benutzt.
Z. Die Schnecken haben eine Sohle am Bauche, auf der
sie kriechen können. Die Eingeweide sind bei den meisten nur
von einer einzigen Schale umgeben, die nur der gelben und
schwarzbraunen Waldschnecke, der kleinen Salatschnecke rc. fehlt.
Der Kopf hat außer 2 bis 6 Fühlern noch 2 kleineAugen. Die
Meerschnecken leben sämmtlich von Fleisch und saugen gewöhnlich
andere Thiere aus; nur die Land- und Flußschnecken fressen
Pflanzen. Dagegen werden sie von Fischen, Schilekröten, Krebsen
und Würmern, auch von manchen Säugethieren und Vögeln
gefressen. Ihr Nutzen ist nicht bedeutend, wie auch ihr Schaden.
1. Die Gartenschnecke mit gelber, braungestreifter Schale
findet sich in Gärten, wo sie von Pflanzenblättern lebt.
2. Die Weinbergsschnccke sHdb. l. §. 33. D. c.).
3. Die Posthornschnecke (Hdb. II. S. 106.).
I. Die Erdschnecke mit 4 Fühlfäden auf dem Kopfe findet
sich theils in Gärten, wie die graue Ackerschnecke, die den
Salat benagt; theils in Wäldern, wie die große gelbrothe und
die schwarze Erd- oder Waldschnecke. Alle Schnecken haben
ein schleimiges, nahrhaftes Fleisch und sind daher eine vortreffliche
Speise, besonders für Brustleidende.
3. Die Purpurschnecke im Mittel- und atlantischen Meere
har eine höckerige Schale und liefert eine wunderschöne rothe
Farbe (Hdb. II. S. 337).
0. Die Muscheln haben einen zusammengedrückten, kopf-
losen und von 2 Schalen bedeckten Leib. Der Bauch verlängert
sich gewöhnlich in einen kegelförmigen Fuß, mit dem sie sich im
Sande fortschieben können. Die meisten finden sich im Meere.
100
Viele stecken mit dem Munde nach unten im Schlamm, oder
auch in Steinen und Holz und halten sich mit ihren Athemröhren
ein Loch nach außen offen, indem sie von Zeit zu Zeit das Waffer
herausspritzen. Ändere hängen sich mit ihren Bärten, die sich
nicht selten an dem Fuße befinden, an einander oder an Felsen,
Pfähle rc.; wieder andere kleben mit einer Schale auf dem
Boden oder an Wurzeln fest; sehr wenige sind ganz frei und
liegen mit klaffenden Schalen unter der Oberfläche des Wassers.
Ihre Verbreitung geht über die ganze Erde; sie finden sich in
Bächen, Flüssen, Teichen, See'n und in den Meeren aller Zonen,
doch viel zahlreicher, schöner und größer in der heißen, theils an
der Küste, theils aber auch im hohen Meere.
1. Die Malermuschel findet sich häufig in Europa's See'n
und Flüssen und wird benutzt, um Farben hineinzureiben.
2. Die Auster sitzt meist an den Felsen in den europäischen
Meeren und wird sehr gern gegessen.
. Die Perlenmnschel im ostindischen und persischen Meere
enthält die kostbaren Perlen und liefert in ihren äußerlich schmutzig
grauen Schalen die sogenannte Perlmutter, aus der man
Knöpfe, Schalen, Zierrathen rc. macht.
4. Die Riesenmuschel bei Ostindien wird oft über 4' lang
und mit den Schalen bis 000 Pfund schwer. Das Fleisch ist
eßbar, und die Schalen werden zu Brunnentrögen, Waschbecken
rc. benutzt.
6. Die Bohrmuschel oder der Schiffswurm bohrt sich in
Schiffe und in die am Wasser stehenden Pfähle. Sie soll ur-
sprünglich durch Schiffe aus Ostindien nach Europa gebracht
worden sein. Der Athmungsröhre gegenüber stehen 2 kleine,
rautenförmige Schalen und noch 2 andere an der Wurzel der
beiden Enden, in welche sich die Athmungsröhre theilt, und daher
wird das Thier auch unter die Kracken gerechnet.
$. 63.
3. Ordnung. Strahlthiere.
(Kdrfr. I. S. 293.)
Die Srrahlthiere sind in der Regel rund, ungeringelt,
walzig oder scheibenförmig. Der Mund ist mit einem Kranze
von Fäden oder Strahlen umgeben. Wegen ihrer Aehnlichkeit
mit den Pflanzen hat man sie P stanze nt hie re genannt; weil
in ihnen gleichsam die Anfänge des ganzen Thierreiches liegen,
heißen sie auch Urthiere und wegen ihres gallertartigen Körpers
Gallertthiere. Sie leben bloß im Wasser, und zwar größten-
theils im salzigen. Die meisten schwimmen frei herum, setzen
sich selten irgendwo an, sind durchsichtig wie Kristall, spielen aber
häufig in den schönsten Fqrben und leuchten nicht selten während
101
der Nacht wie Feuerfunken oder Feuerbrande in dem mannich-
faltigsten Lichte. Ihre Bewegung geschieht durch Zusammen-
ziehung und Verlängerung oder Erweiterung des Leibes. Sie
verschlucken sehr kleine, gleichfalls gallertartige Thiere, saugen
junge Fische aus rc. Das Unverdauliche werfen sie gewöhnlich
durch den Mund aus, selten durch eine Hintere Oeffnung.
A. Die Quallen oder Meernesseln haben einen halbdurch-
sichtigen, frei schwimmenden Leib, dessen Berührung bei den
meisten ein Brennen auf der Haut erregt.
Die Blasenqualle schwimme mittelst der mit Luft gefüllten
Blasen, welche das Thier willkürlich entleeren und wieder füllen kann.
B. Die Polypen oder Korallen sind nur eine darmarlige
Blase oder Röhre, die jedoch meistens von einer festsitzenden,
steinigen oder hornigen, undurchsichtigen Hülle^umgeben ist. Die
Fühlfäden wirbeln im Wasser, ergreifen die Speise und führen
sie in den Mund. Die Polypen vermehren sich nicht bloß durch
Eier, sondern auch durch Verzweigung, so daß oft recht niedliche
schwarze, weiße und rothe Srämmchen entstehen. Mit der Zeit
erreichen sie eine so ungeheure Größe, daß sie gleichsam Gebirge
im Meere bilden, die sogenannten Korallenriffe (Malediven und
Lakediven), die den Schiffern sehr gefährlich sind. Korallenfischer
holen diese Gebilde aus der Tiefe, und man verarbeitet sie dann
zu Halsketten, Ringen und andern Schmucksachen, benutzt sie
in der Arznei rc.
1. Das rothe oder Edelkoratt wird als Halsschmuck von
den Negerinnen in Afrika getragen, ist kaum 1' hoch und findet
sich im Mittelmeere.
2. Der grüne Armpolyp wird zuweilen 1" lang. Seine
Arme sind kürzer als der Leib. An seinem unteren Stammende
ist eine Scheibe, mittelst welcher er sich an andere Gegenstände
festsetzen , aber auch wieder von ihnen losmachen kann. In einem
Glase, in das man öfters wieder frisches Wasser mit einigen
Wassergewächsen bringt, kann man ihn ziemlich lange am Leben
erhalten und beobachten.
3. Der gelblichgrane Nrmpolyp ist noch gemeiner als
der grüne, fast überall, wo es Teichlinsen giebt. Bringt man
eine Hand voll solcher Teichlinsen in ein Glas, so sieht man ge-
wöhnlich einen oder mehre dieser Polypen unten an den Teich-
linsen oder am Glase hängen. Er fällt aber nicht so gut in die
Augen wie der grüne, denn er wird nur etwa V2" lang, und
seine Arme (zuweilen bis 12) sind halb so lang als der Körper.
4. Der Badeschwamm, in allen Meeren, vorzüglich aber
bei den griechischen Inseln, an Felsen festsitzend, ist ein meist
faustgroßer Klumpen, dessen Zwischenräume mit einem thieri-
schen, gallertartigen Schleime ausgefüllt sind, welcher leise zuckt
und zittert. Ehe man den Schwamm gebrauchen kann, muß
er erst gereinigt werden.
C. Die Aufgußthierchen oder Infusorien haben einen
frei herumschwimmenden Leib, aber keinen Mund zum Ergreifen
und Saugen, sondern nur eine mit Wimpern besetzte Oeffnung,
jn welche jene das Wasser und damit die Nahrung treiben. —
Um Infusionsthierchen zu erhalten, braucht man nur ein Stück-
chen Fleisch oder ein Pflanzentbeilchen roh oder gekocht im Wasser
faulen zu lassen. Sobald sich die Flüssigkeit trübt, was je nach
der Wärme in 8 bis 14 Tagen geschieht, nimmt man einen
Tropfen, am besten von der Oberfläche, unter das Mikroskop,
und man wird Hunderte von kleinen Punkten mit der größten
Eile durch einander wimmeln sehen, während einige andere wie
Walisische zwischen ihnen herumschwimmen. Im stehenden Wasser
und im Meere sind sie freilich nicht in solcher Menge; wenn man
aber den grünen Schleim abschabt, der an Wasserpflanzen, Pfählen,
Steinen rc. hängt, so wird es an einem reichen Fange nicht fehlen.
Sie haben alle ein zähes Leben und können Hitze und Kälte
ohne Nachtheil ertragen. Beim Vertrocknen des Aufgusses ver-
schwinden sie, kommen aber bei erneuertem Aufgusse wieder zum
Vorschein. Man hat berechnet, daß 500 Millionen dieser Thier-
chen zusammengenommen etwa der Größe eines Kirschkernes
gleichkommen. Zu den zahlreichen Gattungen gehören:
>. Das Kugelthier, ein Kügelchen, in welchem mehrere
kleinere enthalten sind, und das sich stets langsam dreht. Es
findet sich zuweilen in dem Wasser der Dachrinnen.
2. Das Kugelquadrat, bei dem sich gewöhnlich 16 grüne,
kugelige Thierchen zu einem O.uadrate vereinigen.
3. Das Efsigälchen lebt in verdorbenem Essig und sau-
rem Kleister.
Manche Arten dieser Thiere stecken in kleinen Schalen oder
Gehäusen wie die Krebse, und man hat gefunden, daß manche
Gesteine und Erden zum großen Theile aus den Gehäusen vieler
Millionen von Infusorien bestehen. So sollen z. B. einige Stadt-
theile Berlins auf einem ungeheuren Jufusoritnlager erbaut sein.
S. 01.
Allgemeine Iletrachtung des Thierrerches
(Kdrfr. I. Nr. 180 und 193).
Alle Thiere können sich, wenn sie auch nur, wie manche
Seethiere, ein leise zuckender Schleim sind (Badeschwamm) von
selber ein wenig bewegen, und zwar die meisten von ihnen frei
von einem Orte zum andern. Nur manche sind fest am Boden
(Austern), oder an einem strauch- oder baumartigen Stämmchen,
das von einer ganzen Gesellschaft solcher Thierchen belebt und
bewohnt wird (Korallen), angewachsen. Bei manchen ganz un-
vollkommenen, gallertartigen Thierchen (.Infusorien) bemerkt man
103
weder Mund noch Magen, sondern sie saugen ihre Nahrung wie
Löschpapier ein; die vollkommneren Thiere dagegen haben Mund
und Darmkanal, und wenn die Speisen und Getränke verdaut
sind, gehen sie durch eine eigene Art von Gefäßen in die Blut-
adern und aus diesen ins Herz. Dieses treibt das Blut in die
Lungen, wo es durch die eingeathmete Luft abgekühlt und zur
Ernährung des Körpers geschickt gemacht wird. Durch die zu-
rückführenden Lungenblutadern kommt das Blut nach dem Herzen
zurück, wird durch die Pulsadern durch den ganzen Körper ver-
breitet, durch die blauen Blutadern, welche man unter der Haut
durchschimmern sieht, wieder nach dem Herzen hingeleitet. Schon
bei den Fischen ist jedoch der Blutumlauf anders, denn diese haben
Kiemen statt der Lungen. Die Insekten schöpfen die Luft durch
kleine Oeffnungen an den Seiten des Körpers, und bei ihnen
findet gar kein Umlauf, sondern nur «in Hin- und Herwogen
des weißen Saftes statt.
Ihre Glieder bewegen die Thiere mittelst der Muskeln
oder des saftigen Fleisches, das sich an allen Theilen ihres Kör-
pers befindet. Damit aber der Wille vom Gehirne aus, wo
der Hauptsitz der bewegenden Kraft, des Willens und aller
Empfindung ist, nach den Gliedern hinwirken könne, ist der ganze
Leib von feinen Nervenfäden durchzogen, welche von dem Ge-
hirne und dem daraus entspringenden Rückenmarke ausgehen.
Sind die Nerven, die nach einem Gliede hingehen, durchge-
schnitten, so hat das Glied kein Gefühl und keine Bewegung
mehr; ist das Rückenmark durchgeschnitten oder verletzt, so muß
der Leib unterhalb der verletzten Stelle absterben.
Die Knochen liegen bei den vollkommneren Thieren in-
wendig in den fleischigen Theilen und sind von diesen umgeben;
bei manchen unvollkommneren Thieren finden sich theils gar keine
Knochen oder knochenarlig feste Theile, theils haben sie nur eine
knochenfeste Schale, die den Körper umgiebt und ihm, wie bei
den Schnecken, zu einer Art von Wohnung dient.
Die Sinneswerkzeuge sind wohl bei vollkommenen Thieren
leicht zu erkennen und aufzufinden, aber bei vielen unvollkom-
menen Thieren weiß man oft nicht, ob sie besondere Werkzeuge
haben, durch die sie fühlen, riechen, hören rc., was sie doch
offenbar können, oder ob die ganze äußere Hautfläche ihnen zum
Sehen K. dient, was dann freilich nur ein Fühlen des Lichtes,
Schalles rc. wäre. Das Fühlen findet sich nämlich auch bei den
unvollkommensten Thieren, denn diese Eigenschaft macht sie ja
erst zum Thiere.
Wegen des besonderen Baues, welcher ganz für die jedes-
malige Lebensart der Thiere eingerichtet ist, wird es möglich,
daß manche in der Erde, andere in Sümpfen und Wasser, einige
in sehr kalten, andere in warmen Gegenden und wieder andere
in beiden, einige im Wasser und auf der Erde zugleich leben.
104
einige sich hoch in die Luft erheben können. Manche Thiere sind
mit einer starken Decke von Haaren oder Wolle versehen, andere,
besonders in warmen Gegenden, haben wenig oder gar keine
Haare. Einige haben sehr lange, andere kurze Beine; manche
haben einen langen Hals, damit sie desto leichter auf der Erde
Nahrung suchen können; viele haben eine spitze, zum Auf-
wühlen der Erde eingerichtete Schnauze; einige Klauen und
Krallen zum Fangen und Festhalten ihres Raubes, scharfe, starke
Zähne zum Zermalmen desselben und einen langen Schwanz,
der ihnen beim Springen gute Dienste thut. Einige haben einen
Höcker auf dem Rücken, andere sind mit Stacheln versehen, und
viele haben Hörner auf dem Kopfe zu ihrer Vertheidigung.
Ihre Nahrungsmittel nehmen die Thiere vom Wasser,
von verschiedenen fetten Erden, vom Schlamme, von Pflanzen
und deren Theilen, von andern lebendigen oder todten Thieren
und Thiertheilen. Diese suchen sie sich auf verschiedene Weise,
durch Gewalt, Stärke, Behendigkeit und List zu verschaffen,
und manche sammeln sich sogar Vorrath für den Winter ein.
Einige Thiere haben zu ihrer Nahrung bloß Pflanzen nöthig,
andere Fleisch, und wieder andere beides.
Viele Thiere leben beständig in freier Luft, ohne sich eine
Wohnung zu bauen, und suchen sich zuweilen unter Hügeln,
Bäumen und überhangenden Felsen Schutz. Andere graben sich
Löcher in die Erde, wohnen in den Höhlen abgestorbener Bäume,
in Felsenklüften, oder bauen sich Häuser oder Nester, welche sie
immer an den sichersten und bequemsten Orten anzulegen suchen..
Einige Thiere halten sich in großen Gesellschaften zusammen,
wogegen andere nur paarweise entweder immer, oder nur zu
gewissen Zeiten leben. Ganz einsam leben nur sehr wenige
Thiere Die Geselligkeit vieler Thiere dient dazu, daß sie
alle Geschäfte, die zu ihrer Erhaltung dienen, desto besser betreiben
können Vorzüglich leben viele Thiere so lange mit ihren Jungen
beisammen, als diese ihres Schutzes und ihrer Fürsorge bedürfen,
nachher aber verlassen sie dieselben.
Die Art, wie die Thiere sich bewegen, ist sehr mannich-
faltig. Bei einigen ist diese Bewegung langsam, bei andern
schnell. Viele bewegen sich von einem Orte zum andern, und
zwar vermittelst der Füße, Flügel, Flossen, oder der Windungen
und Biegungen des Körpers. Vorzüglich künstlich sind die Be-
wegungen einiger Muschelarten.
Viel? Thiere sind auch eines Unterrichts fähig und nehmen
denselben leicht an, ja viele ahmen, wie die Affen, die Handlun-
gen des Menschen freiwillig und ohne alle Belehrung nach.
Solche gelehrige Thiere schicken sich vorzüglich gut zu Haustbie-
ren, wenn sie anders die übrigen erforderlichen Eigenschaften
haben. — Die Thiere üben gewisse Handlungen, ohne daß sie
dieselben erlernt hätten, und es sind dieses solche, vermittelst
deren sie ihren Bedürfnissen abhelfen, sich fortbewegen, ernähren,
schützen, die Jungen erhalten können rc. — Jedes Thier findet
zu solcher Ausübung ein Verlangen oder einen Trieb in sich,
welchen man den Naturtrieb oder Instinkt des Thieres nennt.
So begeben sie sich in den Winterschlaf, spinnen sich ein, bauen
sich Häuser, locken und warnen ihre Jungen. — Auch scheint
es, als ob einige Thiere Manches durch Erfahrung und durch
eine Art von Ueberlegung lernten und von selbst eine Empfindung
äußerten. Dies findet man besonders bei solchen Thieren, die
in der Umgebung des Menschen leben
Di-Lebensdauer der Thiere ist höchst verschieden. Manche
leben kaum einen vollen Tag, andere an 200 Jahre. Von vielen
Thieren weiß man das Alter nicht.
Wenn man darauf sieht, wie die Thierarten auf der Erde
vertheilt sind, wie stark oder schwach sie sich vermehren, von
welchen Nahrungsmitteln sie sich erhalten rc-, so findet man
in dem allen eine große Weisheit. Diejenigen Thiere, welche
bloß vom Raube anderer leben, vermehren sich lange nicht
so sehr, als diejenigen, welche von pflanzen und ihren Früchten
leben und wieder zur Nahrung vieler anderer dienen. Gerade
in den Gegenden der Erde findet man die meisten Raubthiere,
wo einige andere Thierarten sich in großer Menge vermehren.
Bei der Einrichtung der Erde würden sich viel weniger Thiere
auf derselben ernähren können, wenn alle nur auf einerlei Art,
oder auf einige wenige Arten von Nahrungsmitteln eingeschränkt
waren, wogegen desto mehr Thiere leben können, je mannichfal-
tiger die Nahrungsmittel sind, welche sie nach ihrer Verschieden-
heit erfordern. — Bei aller Verfolgung, welcher schwächere Thiere
ausgesetzt sind, ist dadurch doch noch keine Art von Thieren von
der Erde vertilgt, ja nicht einmal ist eine oder die andere Art
allzusehr vermehrt oder vermindert worden. Wie groß aber die
Zahl der Thiere sein mag, geht daraus heraus hervor, daß über
I3.OOO Arren von Thieren einigermaßen bekannt sind und fast
mit jedem Jahre noch neue Arten entdeckt worden.
Anmerkung. Die vorstehende Betrachtung ist größtenthciltz in Form
emer Wiederholung durchzunehmen. Der Lehrer kleide daher den
Stoff in Fragen und lasse die Schule- fleißig Beispiele aussuchen,
als: Welche Thiere leben in Gemeinschaft? — Welche leben ein-
zeln? — Welche bauen stch Häuser? —Welche werden sehr alt?rc.
106
Zweiter H a u p t t h e i l.
Pflanzenkunde oder Botanik.
§. 65.
Die Theile -er Pflanzen im Allgemeinen.
lKdrfr.I. S. 154.)
Welches Naturreich haben wir bis jetzt betrachtet? — Zu
welchem kommen wir jetzt? (Hdb II. S. 80.) — Was sind
Pflanzen? — Was sagt uns derKdrfr. über die Theile der Pflan-
zen? — Schlaget auf 0. 133! — Welcher Theil der Pflanze
wird zuerst genannt? — Wozu ist die Wurzel bestimmt? —
Welche Theile saugen auch Wasser und Nahrung ein? — Wozu
dient die Wurzel sonst noch? — Wie bewegen sich die Säfte in
der Pflanze? — Welches ist das dritte Geschäft der Wurzel?
— Welche Folgen hat dies für andere Pflanzen? rc. Die Theile
im Innern der Pflanzen, welche wie Bienenzellen gestaltet sind,
heißen auch Zellen, die schlauchartigen Adern Die Zellen und
die Adern könnt ihr auf eurem Tafelrahmen sehen. Die rothen
Adern stehen meist hervor, und die weißen Zellen lassen sich leicht
zusammendrücken. Noch deutlicher erblickt man die Zellen, wenn
man den Hut eines Löcherpilzes auf der untern Seite betrachtet.
Die Spiralgefäße oder Drosseln zeigen sich, wenn man z. B.
ein Blatt des Rosenstockes oder des Wegerichs der Ouere nach
vorsichtig aus einander reißt. Die Stücke hängen dann zusam-
men wie an Spinngeweben, die aus den Vlattrippen kommen.
Auf dem O.uerdurchschnitte eines Stammes zeigen sich ebenfalls
3 Theile, die aus der Verhärtung jener drei ersten entstanden sind,
nämlich Rinde, Bast und Holz. Auch im Längsdurchschnitte
der Pflanze lassen sich 3 Haupttheile unterscheiden, die als Wur-
zel, Stengel (bei dem Banme der Stamm) und Laub bekannt
sind. Die letzteren wiederholen sich dann im Samen, dem
Gröps, der den Samen einschließt, und auf welchem das Weib-
lein oder Pi still steht, und der Blume, welche die beiden ersteren
einhüllt, und zu der man den Kelch, die Blumcnkrone und die
Staubgefäße oder Männlein rechnet. An dem Pistill oder
Stempel unterscheidet man wieder denFruchtknoten, d.i. der künf-
tige Gröps mit dem Samen, den Griffel und die Narbe. Je-
des Staubgefäß besteht aus Staubfaden, dem Staubbeutel
oderStaubkölbchen und dem darin besindlichenVlüthenftaube.
In der Blume bildet sich endlich die Frucht. — Zwar sind der
Früchte mancherlei; doch lassen sie sich sämmtlich auf 4 Haupt-
107
arten zurückführen. Der Same wird gleichsam zur Nuß, derGrops
zur Pflaume, wohin auch die Hülsen und Schoten gehören,
die Blume zur Beere, wohin man auch die Kürbisfrüchte und
die Kapseln rechnen kann, und alle 3 verschmelzen zum Apfel,
der zusammengesetzten Frucht. Betrachten wir diese Theile im
Großen, so zerfallen sie in 3 Haufen: Mark oder Gewebe,
nämlich Zellen, Adern, Drosseln; Scheiden, die durch den
ganzen Pflanzenkörper reichen und einander einschließen, also Rinde,
Vast, Holz; Werkzeuge, welche abgesonderte, aber ganze Theile
des Leibes ausmachen, wie Wurzel,Stengel,Laub, (Ernährungs-
Werkzeuge oder Organe des Stockes), S amen, Gröps, Blume,
(Organe der Blüthe», Frucht, (welche mit den Organen der Blüthe
die Fortpflanzungswerkzeuge bildet). — Während des Lesens und
des Vortrages schreibt der Lehrer die aufgefundenen Pflanzen-
theile an die Tafel und ordnet sie nach folgender Uebersicht:
Pflanzentheile.
Mark Scheiden Werkzeuge.
Stock > Blüthe Frucht
Zellen Rinde Wurzel ’ Sauren (FlüqelfrcbtN Nuß
Adern Bast Stengel Gröpo (Hülse) Pflaume L -
Drosseln Holz Saub Blume (Schote) I Beere «Kapsel) € ^
§. öö.
Dir Wurzel.
(Äbrfr. L S. 133.5
So wie aus dem Samen der zarte Keim hervortritt, senkt
sich ein Theil desselben in den Boden und bildet die Wurzel,
während ein andererer Theil vom Boden aufwärts dem Lichte
zustrebt. Letzteres ist der aufwärtssteigende Stock, die Wurzel
der abwärts steig ende. Fast jede Pflanzengattunz hat eine
eigenthümlich gestaltete Wurzel. Bald geht sie gerade hinunter
wie ein Pfahl und wird daher Pfahlwurzel genannt, wie bei
den Rüben; bald vertheilt sie sich in viele Zasern und heißt
Zaserwurzel, wie bei den Gräsern, oder wenn sie sehr zart
sind, Haarwurzel. Ihrer Gestalt nach heißt die Wurzel spin-
delförmig, wenn sie sich nach der Spitze zu allmäliz verdünnt
(Mohrrübe); rübenförmig, wenn sie mehr kugelförmig ist,
unten sich aber plötzlich verdünnt und in eine lange Spitze aus-
läuft (Radieschen); gegliedert, wenn sie aus mehreren zusam-
menhängenden Stücken besteht (Schwertlilie)', wurmförmig.
108
wenn sie walzenförmig und dabei hin und her gekrümmt ist
Miesen-Knöterich); abgebissen, wenn die Hauptwurzel unten
plötzlich aufhört sWiesen-Skabiose); fasrig, wenn sie aus einem
Büschel feiner Faden besteht (Gräser); Hand förmig, wenn
zwei längliche, flachgedrückte, unten zertheilte Knollen oben zusam-
menhangen (gefleckte Orchis); hängend, wenn mehrere Knollen
durch Faden mit einander verbunden sind (Kartoffel); gekörnt,
wenn sie aus vielen kleinen Knollen besteht (gekörnter Steinbrech).
Manche Wurzeln sind fleischig, saftig, andere mager und
holzig, einige hohl oder fächerig, andere dicht. Ihrer Dauer
nach ist die Wurzel einjährig (Q), zweijährig (tf), oder aus-
dauernd (2J-). Die Knolle ist eine dichte, fleischige Anschwel-
lung der Wurzel mit mehreren Keimgruben an der Oberfläche.
Die Zwiebel hat eine schuppige oder blättrige Beschaffenheit
und treibt nur einen Keim.
tz. 07.
Der Stengel.
(Äbrfr. I. S. 134.)
Der Stengel ist der nach oben wachsende Theil der Pflanze.
Oft zertheilt er sich in Tiefte und Zweige, trägt Blätter und
Blüthen. Ist er grün, weich und saftig, so wird er Stengel im
engeren Sinne genannt, oder Halm, wenn er hohl und von
Knoten unterbrochen ist, wie bei den Gräsern. Der holzige
Stengel der Bäume heißt Stamm. Bei den Pilzen oder
Schwämmen nennt man ihn Strunk. Viele Pflanzen zeigen
gar keinen rechten Stengel; bei diesen hat er eine so große
Aehnlichkeit mit der Wurzel, daß man ihn gewöhnlich für diese
ansieht. Er kriecht entweder unter dem Boden, wie bei dem
wohlriechenden Veilchen, und heißt dann unterirdischer Sten-
gel, oder er ist von fleischigen Blättern ganz überdeckt und
wird in diesem Falle Zwiebel genannt. Trägt ein Stengel
bloß Blüthen, so heißt er Schaft. Entwickelt sich ein Zweig
nicht, sondern zeigt sich bloß als ein spitzer Fortsatz, so heißt er
Dorn. Durch die Veredelung werden die Dornen in blüthen-
tragende Zweige verwandelt. Der Stachel dagegen (wie bei
den Rosen) ist eine bloße Ausdehnung derRinde DerRichtung
nach heißt der Stengel aufrecht, wenn er fast senkrecht steht
slangblättriger Ehrenpreis); gerade, wenn er genau senkrecht
steht (Königskerze); aufsteigend, wenn der untere Theil des-
selben auf dem Boden liegt, der obere aber sich bogenförmig auf-
richtet sarzneilicherEhrenpreis); niederliegend, wenn er, ohne
durch Wurzelfasern befestigt zu sein, stich auf der Erde liegt
(Kronenwicke); kriechend, wenn er dabei Wurzeln treibt skrie-
chender Klee); wurzelnd, wenn er an Gewächsen, Mauern u. dgl.
109
aufsteigt, indem er überall kleine Wurzeln schlägt (Epheu); klim-
mend oder kletternd, wenn ein schwacher Stengel sich durch
fadenförmige Theile, oft durch Wickelranken, festhält ^die meisten
Wickenarten); windend, wenn sich ein dünner Stengel um
andere Pflanzen schlingt (Schlingpflanzen), und zwar rechts ge-
wunden «Winde), oder links (Hopfen); schwimmend, wenn er
auf der Wasserfläche liegt (Wasser-Knötrich).
Nach seiner Form heißt der Stengel rund, wenn alle
seine Ouerdurchschnitte Kreisflächen bilden (Ehrenpreis); halb-
rund, wenn er auf einer Seite rund, auf der andern flach ist
(geflügelte Peperonia); zusammengedrückt, wenn die Kanten
stumpf sind, der Ouerdurchschnitt also eine Ellipse bildet (Cau-
lina fragilis); zweischneidig, wenn die Kanten scharf sind
(Kalmus); eckig, und zwar drei-, vier-, vieleckig (bei vielen
Kaktusarten); geflügelt, wenn die Kanten mit einer blattar-
tigen Haut besetzt sind (Platterbse). — Die Oberfläche des
des Stengels ist blättrig, schuppig; nackt, wenn der Stengel
weder Blätter noch Schuppen hat (Flachsseide); durchwachsen,
wenn er mitten durch das Blatt zu gehen scheint (Durchwachs);
fruchtbar oder unfruchtbar, je nachdem er Blüthen trägt
oder nicht.
An Umfang und Höhe ist der Stengel sehr verschieden.
Bei vielen ist ec dünn, fadenförmig, bei andern, namentlich bei
den Bäumen, so dick, daß manchmal 6 bis 8 Männer den Stamm
nicht umspannen können. Ja auf dem Aetna in Sicilien stehen
Kastanienbäume, deren Umfang 60 bis 70' beträgt. Noch merk-
würdiger ist der Affenbrotbaum, welcher bei 27' im Durchmesser
so dick ist, daß man ein ganzes Häuschen hinein bauen könnte.
Die Höhe, die bei manchen Pflänzchen noch keinen Zoll beträgt,
ist auch bei den Bäumen am bedeutendsten. Die Rothtanne
erreicht eine Höhe von 160 bis 180', und es giebt Palmbäume,
die 500' hoch werden und dabei nur eine geringe Dicke haben.
§. 65.
Die Dtätter.
(Kdrfr. I. S. 133..,
Blatter nennt man die Ausbreitungen der Rinde in eine
dünne Fläche. > Sie haben, mit sehr wenigen Ausnahmen, eine
grüne Farbe, die bald dunkel, bald hell ist. Man unterscheidet
am Blatte den Stiel und die Blattfläche. Der Blattstiel ist
rinnenförmig, rund rc. Der oberste Theil der Blattfläche heißt
die Spitze, der unterste der Grund, der ausgebreitete die
Fläche, und zwar Oberfläche und Unterfläche, und die
Grenze des Umfanges der Rand. Man theilt die Blätter in
einfache und zusammengesetzte. Jene stehen nur einzeln
110
am Blattstiele, bei diesen stehen mehrere Blättchen an einem
gemeinschaftlichen Blattstiele. Ihrem Standorte nach heißen
die Blätter Wurzelblätter, Stengelblatter undBlüthen-
b!älter, je nachdem sie sich aus der Wurzel oder aus dem
Stengel entwickeln, oder in der Nähe der Blüthen sitzen. Nach
ihrer Stellung undRichtung nennt man sie gegenständig,
wenn sie paarweis in gleicher Höhe an entgegengesetzten Seiten
des Stengels sitzen (Klappertopf, Seifnelke); kreuzweisstehend,
wenn zwei Blätterpaare, von oben angesehen, ein Kreuz bilden
(Gundermann); Wechsel ständig, wenn sie abwechselnd bald
auf der einen, bald auf der andern Seite des Stengels stehen
(dreifarbiges Veilchen); zerstreut, wenn sie ohne Ordnung
(Lein), gedrängt, wenn sie dicht beisammen stehen;* drei-,
vierfach rc., wenn sie zu dreien, vieren rc. an einer Stelle um
den Stengel sitzen lgelber Weidrich); büfchelweisstehend,
wenn viele Blätter aus einem Punkte zu entspringen scheinen
(Bocksdorn); Ziegeldach artig, wenn sie dicht stehen und wie
die Ziegel eines Daches einander zum Theil bedecken (scharfer
Mauerpfeffer); angedrückt, wenn sie sich dicht an den Stengel
legen lzweihäusiges Ruhrkraut); aufrecht, wenn sie fast senk-
recht stehen (Weißwurz); abstehend, wenn sie mit dem Stengel
einen spitzen Winkel bilden (Rheinweide);' wagrecht, wenn sie
mit ihm einen rechten Winkel bilden (Flammenblume); nieder-
gebogen, wenn sie nach unten gerichtet sind (die unteren Bl.
bei dem durchlöcherten Johanniskraut) rc. Ihrer Anheftung
nach heißen die Blätter gestielt, wenn sie einen Blattstiel
haben (Linde); sitzend, wenn der Blattstiel fehlt (Klappertopf);
schildförmig, wenn sie in der Mitte befestigt sind (spanische
Kresse); reitend, wenn sich die Blätter mit dem Grunde um-
fassen (Schwertlilie); umfassend, wenn der zweilappige Grund
den Stengel umfaßt (Wiesenknöterich); verbunden, wenn 2
gegenständige Blätter an ihrem Grunde zusammengewachsen sind
(Caprifolium); herab! aufend, wenn die Blattfläche am Sten-
gel herabläuft (Königskerze).
Das einfache Blatt heißt der Spitze nach spitz, wenn es
in einen spitzen Winkel ausläuft, ohne daß die Ränder von ihrer
Richtung abweichen (gelber Weidrich); zugespitzt, wenn die
Spitze länger vorgezogen ist, nachdem die Ränder plötzlich ihre
Richtung verändert haben (Linde); stumpf, wenn es oben ab-
gerundet ist (großer Wegeiritt); abgestutzt, wenn die Spitze in
einer geraden Linie abgeschnitten ist (Blattfcheide des Schneeglöck-
chens); ausgeraubet, wenn ein stumpfes Blatt einen schwachen
Einschnitt hat (Sauerklee); getheilt, wenn der Ausschnitt über
die Mitte des Blattes geht (scharfer Hahnenfuß). Der Grund
des Blattes ist herzförmig, wenn er aus 2 abgerundeten Lap-
pen besteht und das Blatt oben zugespitzt ist (Veilchen); nieren-
förmig, wie das vorige Blatt oben abgerundet (Gunder-
11 t
mann); pfeilförmig, wenn das Blatt oben spitz ist und unten_
ebenfalls 2 spitze Lappen hat, welche mit den Rändern der übri-
gen Blattflä'che fast eine gerade Linie bilden (Ackerwinde); dage-
gen spießförmig, wenn diese Lappen nach außen^gerichtet sind
und fast senkrecht auf der Mittelrippe stehen (Spieß-Melde);
geöhrt, wenn es am Grunde 2 kleine runde Lappen hat (klet-
ternder Nachtschatten); ungleich oder schief, wenn es auf der
einen Seite tiefer am Blattstiele endet, als auf der andern (ge-
meine Rüster); keilförmig, wenn es oben stumpf oder abge-
stumpft ist und unten allmalig in einen spitzen Winkel ausläuft
(Sonnenwend-Wol(smilch); dagegen spatelförmig, wenn es
nach unten plötzlich verschmälert und lang ausgezogen ist (Tau-
sendschön). Die Gestalt ist linienförmig, wenn ein schmales
Blatt fast parallele Seitenränder hat (bie meisten Gräser);
pfriemförmig, wenn es allmälig in eine Spitze ausläuft (kno-
tiger Spark); nadelartig, wenn das linien- oder pfriemför-^
mige Blatt, welches dünn und fest ist, gewöhnlich den Winter'
hindurch stehen bleibt (Kiefer); lanzettli(cl), wenn ein schmales
und längliches Blatt an beiden Enden zugespitzt ist (schmalblät-
triger Wegetritt); schwertförmig ist ein zweischneidiges Blatt
in Form einer Säbelklinge (Schwertlilie); elliptisch, dessen
beide Enden sich gleichmäßig rundlich verschmälern (schwimmendes
Laichkraut); eiförmig, dessen Grund breiter ist als die Spitze
(Vogelmeier); rundlich, das sich der Kreisform nähert (Zitter-
pappel); rautenförmig, das die Form eines verschobenen
Vierecks hat (weißer Gänsefuß). Um die Gestalt eines Blattes
zu bezeichnen, dessen Form zwischen zwei angegebene fällt, setzt
man. beide so zusammen, daß die Hauptform nachfolgt, z. B.
ei-lanzettlich, wenn es sich mehr dem lanzettlichen nähert.
Die umgekehrte Form wird durch verkehrt ausgedrückt, z. B.
verkehrt-herzförmig (Sauerklee) Der Rand des Blattes
heißt gesägt, wenn er spitze Zacken und spitze Einschnitte hat
(langblättriger Ehrenpreis); gezähnt, wenn die Zacken spitz, die
Einschnitte stumpf sind (Zitterpappel); gekerbt, wenn die Zacken
stumpf die Einschnitte spitz sind (Gundermann); buchtig, wenn
Zacken und Einschnitte tiefe Bogen bilden (Eiche); leier-
förmig, wenn die Einschnitte fast bis auf die Mitte gehen,
und der oberste Lappen sehr groß ist (gemeiner Hedrich); lap-
pig, wenn ein rundliches Blatt bis zur Mitte gehende Ein-
schnitte hat (Wald-Malve); getheilt, wenn die Einschnitte bis
auf den Grund reichen (Wiesen-Storchschnabel); ganzrandig,
wenn der Rand eines Blattes weder Zähne noch Einschnitte
hak, wohl aber Lappen, welche durch Ausschnitte gebildet werden
(obere Blätter des kletternden Nachtschattens); sch rot säge för-
mig, wenn der oberste, unpaarige Lappen in eine Spitze aus-
läuft, und die Seitenlappen rückwärts gerichtet und auch zuge-
spitzt sind (Löwenzahn). Die Flache des Blattes heißt Nervig,
wenn sich die Gefäßbündel gleich am Grunde des Blattes in
mehrere Hauptäste theilen, die bis zur Spitze laufen (großer We-
getcitt); geadert, wenn dies auf der ganzen Lange der Mittel-
rippe geschieht (Schöllkraut); netzförmig-geädert, wenn eine
vielfache Verästelung stattfindet (Linde); runzlig, wenn durch
Zusammenziehung der Adern die Blatlfläche mit unregelmäßigen
Erhabenheiten bedeckt ist (arzneilicher Salbei); kraus, wenn das
Blatt sich am Rande auf- und niederbeugt lkraufe Münze);
gefaltet, wenn der Länge nach Falten liegen (Frauenmantel);
kielförmig, wenn ein langes, schmales Blatt nach innen so
zusammengeschlagen ist, daß es längs der Mittelrippe eine scharfe
Kante bildet (wilder Salat). Das zusammengesetzte Blatt
heißt zweizählig, wenn der gemeinschaftliche Blattstiel zwei
Blättchen an der Spitze trägt lgroße Bohne); dreizählig, wenn
er drei Blättchen trägt (Fieberklee); doppelt-dreizählig, wenn
sich der Blattstiel in 3 Aeste theilt, und jeder ein dreijähriges
Blatt trägt (gelbe und weiße Osterblume); gefingert, wenn
der Blattstiel 5 und mehr Blättchen hat (Roßkastanie); g e fi e d e rt,
wenn die Blättchen zu beiden Seiten des gemeinschaftlichen Blatt-
stieles stehen (Akazie); unpaarig-gefiedert, wenn auch an
der Spitze ein Blättchen steht (Kronenwicke); paarig-gefiedert,
wenn dieses Endblättchen fehlt (Zaun-Wicke); unterbrochen-
gefiedert, wenn größere und kleinere Blättchen abwechseln
iKartoffel); doppelt-gefiedert, wenn der gemeinschaftliche
Blattstiel wieder an beiden Seiten gefiederte Blätter trägt (Wie-
sen-Küchenschelle); dreifach-gefiedert, wenn am gemeinschaft-
lichen Blattstiele zu beiden Seiten doppelt gefiederte Blätter
sitzen (Wurzelblätter des breitlstättrigen Merks); vielfach-zu-
sammengesetzt, wenn das Blatt noch öfter und dabei unregel-
mäßig gefiedert ist (Wurzelblätter vieler Doldengewächse).
Der Bekleidung nach sind die Blätter kahl oder mit
Haaren und Filz beseht, so daß manche ganz grau oder weiß
erscheinen, wie z. B. die Silberpappel. Selbst Stacheln finden sich
zuweilen auf der Oberfläche oder an der Spitze derselben (Disteln).
Die Blätter und Stengel der Eispflanzen sind mit lauter kleinen
wasserhaltigen Bläschen bedeckt, so daß es aussieht, als wäre die
ganze Pflanze mit Eis überzogen Die Fläche des Blattes ist
bald glänzend bald matt. Die Größe der Blätter wechselt
nicht weniger als ihre Gestalt. Man darf nur die kleinen Blätter
des Thymians mit denen der Sonnenblume, des Huflattigs, der
Klette vergleichen. Ja manche Palmen haben Blätter, die 15
bis 20' lang und 2 bis 3' breit sind, und von denen schon einige
hinreichen, die Hütte des Indianers zu bedecken.
Die Verrichtungen der Blätter sind für das Leben der
Pflanzen sehr wichtig. Ihre Oberfläche ist mit einer Menge unsicht-
barer kleiner Oeffnungen versehen. Durch diese dünsten sie das von
113
Wurzel aufgenommene Wasser wieder aus, welches sie als Nah«
rungsmittel nicht nöthig haben. Dies beträgt außerordentlich
viel, und derselbe Baum, der in 10 Stunden 15 Pfund Wasser
durch die Wurzel aufsaugt, verdünstet gleichzeitig fast eben so
viel durch die Blätter. Noch merkwürdiger ist eine andere Ver-
richtung der Blätter. Sie athmen nämlich am Tage Kohlen-
säure aus der Luft ein und hauchen dagegen Sauerstoff aus,
daher man sie auch die Lungen der Pflanzen genannt hat. Nachts
aber entwickeln sie Kohlensäure. Hierdurch sind die Blätter so wichtig
für das Gedeihen der Pflanzen, daß, wenn z. B. Bäume durch
Hagelschlag, Raupenfraß oder sonstige Ursache ihrer Blätter ganz
beraubt werden, sie meistens zu Grunde gehen, oder doch sehr
Noth leiden.
Wenn die Pflanzen im Dunkeln stehen, so bekommen ihre
Blätter keine grüne Farbe, wie man an den im Keller aufschie-
ßenden Kartoffeln sehen kann. Das Licht ist daher zum voll-
kommenen Leben der Pflanzen durchaus nothwendig. Ohne das-
selbe werden sie zart, bleich, wässerig und süß, wie die inneren
Blätter bei dem zusammengebundenen Endiviensalat und Weiß-
kohl. Im Herbste werden die meisten Blätter gelb oder roth
und fallen ab. Einige behalten ihre Farbe und bleiben stehen.
Man nennt solche Pflanzen immergrüne, wohin die Nadel-
hölzer, der Epheu, das Immergrün u. a. gehören.
8- 60.
Der Dlüthenflimd.
lKdrfr. I. S. 130.)
Die Art, wie die Blüthen auf einer Pflanze zusammenge-
stellt sind, heißt der Blüthenstand. Man unterscheidet:
1. Die Traube, wenn sich an einem Blüthenstiele der Länge
nach gestielte Blüthen entwickeln. Sie heißt einseitswendig,
wenn die Blüthen nach einer Seite gerichtet sind Maiblume);
zweireihig, wenn sie nach zwei gegenüberstehenden Seiten sich
neigen (Türkenbund); allseitswendig, wenn sie ohne Ordnung
nach allen Seiten gerichtet sind (Hirtentasche).
2. Die Aehre, wenn an dem gemeinschaftlichen Blüthenstiele
mehrere sitzende, oder sehr kurz gestielte Blüthen sich befinden.
Sie ist einfach, wenn der allgemeine Blüthenstiel sich nicht in
besondere Aeste theilt (ausdauernder Lolch); zusammengesetzt,
wenn der allgemeine Blüthenstiel in verschiedener Höhe sich in
besondere Blüthenstiele theilt, von denen jeder eine Aehre trägt,
so daß das Ganze aus einfachen Aehren zusammengesetzt ist (be-
täubender Lolch); entferntblüthig, (Bilsenkraut), oder ge-
drängt (Wegetritt); quirlförmig, wenn mehrere Blumen
ringförmig in regelmäßigen Entfernungen um den Stengel stehen
Pechner, Handb. 3. Thl. 8
114
(rother Weidrich); eiförmig, wenn sie sich der Form eines Eies
nähert, so daß die Querdurchschnitte Kreise, die Längendurch-
schnitte aber Ellipsen geben (Sand-Riedgras); länglich (krie-
chender Weizen) rc. Eine Aehre, deren Achse dick und fleischig
ist, heißt ein Blüthenkolben (Kalmus). Das große ge-
färbte Blatt, welches sich am Grunde des Kolbens befindet,
heißt Blumenscheide (Schlangenwurz). Eine Aehre, deren
Achse fadenförmig, deren unvollkommene Blüthen von einer
Schuppe unterstützt werden, und die mit den Blüthen zugleich
abfällt, heißt ein Kätzchen (Weide, Pappel, Eiche). Bei dem
Tannzapfen bleiben die Schuppen des Kätzchens stehen und
werden holzig. Eine kurze, rundliche Aehre, oder eine Zusam-
menhäufung von mehreren Blumen, die auf einem gemeinschaft-
lichen Blüthenstiele entweder unmittelbar, oder mittelst kurzer
Blüthenstielchen so dicht zusammengestellt sind, daß sie ein zu-
sammengedrängtes Ganzes bilden, das mehr oder weniger einer
runden Gestalt sich nähert, heißt ein Köpfchen (Wiesenklee).
3. Die Doldentraube, wenn bei einer Traube die Blüthen
ziemlich in einer Ebene liegen, indem die Blüthenstiele nach unten
zu immer länger werden (Schafgarbe).
4. Die Rispe, wenn die Blüthenstiele einer Traube wieder
verästelt sind. Sie ist gedrängt, wenn die Aeste anliegen
(weiche Trespe); abstehend, wenn die Aeste sich von der Haupt-
achse entfernen (Froschlöffel); sehr ästig, wenn sich die beson-
deren Blüthenstiele in Aeste, und diese in Blumenstielchen zer-
theilen (Wasser - Schmielen). Sie heißt Strauß, wenn die
Aeste in der Mitte länger sind, als unten und oben, so daß das
Ganze eine eiförmige Gestalt erhält (straußblüthiger Weidrich).
5. Die einfache Dolde, wenn die Blüthenstiele an der
Spitze des gemeinschaftlichen Stieles strahlenförmig beisammen-
stehen (Vogelmilch), und die zusammengesetzte Dolde, wenn
die einzelnen Strahlen einer Dolde wieder Döldchen tragen. Die
einzelnen Blüthenstiele dev,Dolde heißen Strahlen. Sind sie
von Blättern umgeben, so heißt die Hülle der Hauptstrahlen die
allgemeine Hülle, die derNebenstrahlen Hüllchen (Blumen-
binse, Schierling rc.). Sehr merkwürdig ist noch eine Art des
Blüthenstandes, die man z. B. bei der Sonnenblume, dem Gän-
seblümchen, den Astern und vielen andern antrifft. Da bildet
der Blumenstiel oben eine Scheibe, auf welcher dann eine große
Anzahl kleiner Blümchen steht. Die am Rande der Scheibe stehenden
haben ein großes, gewöhnhnlich schön gefärbtes Blatt, gelb, weiß,
roth, blau rc. Sie bilden gleichsam Strahlen und heißen Strah-
lenblümchen. Die in der Mitte der Scheibe stehenden Blümchen
haben dagegen ein sehr kleines Blumenkrönchen, das fast immer
gelb gefärbt ist. Sie heißen Scheibenblümchen. Statt des
Kelches haben sie meist nur Härchen oder Federchen. Man
115
nennt solche aus Strahlen- und Scheibenblümchen bestehende
Blüthen zusammengesetzte Blumen.
tz. 70.
Die Dlüthe selbst.
(Ädrfr. I. S. 136.)
Es scheint, als ob der Nahrungssaft der Pflanzen, indem er
erst die gröberen Theile, nämlich Wurzel, Stamm und Blätter
bildet, sich mehr und mehr veredle, so daß er endlich die zarten
Blättchen und feingebildeten Theilchen hervorbringt, aus denen
die Blüthe besteht. Während wir in den übrigen Gebilden
fast nur der grünen Farbe begegnen, kleidet sich die Blüthe in
die herrlichsten Farben und entwickelt häufig den lieblichsten Duft.
Darum sind auch die Blumen der Schmuck der Natur und
wahre Lieblinge der Menschen. Kein Gärtchen ist so klein, daß
neben dem Salat und Schnittlauch nicht etliche Rosen, Veilchen
und Nelken einen Platz finden sollten, damit man Sonntags ein
Sträußchen holen kann. Wir haben uns so an die freundlichen
Blumen gewöhnt, daß sie uns bei keinem Feste fehlen dürfen.
Selbst dem Todten streuen wir Blumen in das dunkele Grab,
das ihn umschließt, und pflanzen sie auf den Rasen, der seine
Asche deckt, gleichsam als Bild der Auferstehung. Mit welcher
Freude begrüßen wir das erste Schneeglöckchen oder Veilchen,
diese Boten des Frühlings! Wie dankbar sind wir den Astern,
die noch den späten Herbst schmücken, ehe der Winter kommt,
als großer Schlummer- und Ruhetag der Natur, und alles ein-
hüllt in seine Schneedecke!
Der Betrachtung der Blüthe müssen wir eine besondere Auf-
merksamkeit schenken, theils um ihre Verrichtungen kennen zu
lernen, theils wegen der Wichtigkeit, welche dieselbe für die Un-
terscheidung und Eintheilung der Pflanzen hat. Die Haupttheile
jeder vollkommenen Blüthe sind: I. der Kelch, 2. die Blumen-
krone, 3. die Staubgefäße, 4. die Stempel. Nicht an
allen Blüthen finden wir diese Theile. Manchen fehlt der eine
oder der andere Theil, und solche werden unvollkommenene
Blüthen genannt. Bei vielen Pflanzen sieht man aber gar keine
Blüthen, z. B. bei den Pilzen, Flechten, Moosen und Farren-
kräutern. Nur mit Mühe entdeckt man an denselben Theile,
welche die Stelle der Blüthe vertreten. Solche unvollkommene
Pflanzen heißen daher undeutlich blühende zum Unterschiebe
von den vollkommenen, .die deutlich blühende genannt werden.
8*
I
116
71.
Der Kelch und die DlumenkroNe.
(Kdrfr.I. S 136.)
Der Kelch ist die äußere, meist noch grün gefärbte Blumen-
hülle, wie man ihn deutlich bei der Rose und Nelke unterscheiden
kann. An manchen Blumen fehlt er, z. B. beim Mohn, weil
er beim Aufblühen der Blume abgefallen ist Bei anderen
Blumen fehlt er bloß scheinbar, weil er schön gefärbt ist und
daher zu der Blumenkrone gerechnet wird, wie dies bei der Tulpe
der Fall ist. Er besteht aus einem oder mehreren Blättern.
Ist ec mit dem Fruchtknoten verwachsen, so heißt der freie, obere
Theil ein oberständiger Kelch, wenn aber diese Verwachsung
nicht stattfindet, unter ständig. Die Formen des Kelches stim-
men großentheils mit denen der Krone überein.
Die Blumenkrone ist das, was man gemeinhin Blume
nennt, nämlich die innere, meist schön gefärbte Blüthenhülle.
Ihre Farbe ist außerordentlich verschieden und wechselt auch so
sehr, daß sie kein sicheres Merkmal einer Pflanze ist. Stehen
die Theile der Blumenkrone frei, so heißen sie Blumenblätter,
und die Krone selbst mehrblättrig (Rose, Nelke); sind sie da-
gegen verwachsen, so bilden sie die einblättrige Blumen-
krone, und die oberen, getrennt gebliebenen Theile heißen
Lappen oder Zähne. Man unterscheidet daran die Röhre,
den Saum und dieOeffnung an der Grenze beider, den Schlund
(Schlüsselblume). Die Blumenblätter bestehen aus einem unteren,
schmäleren, etwas fleischigen Theile, dem Nagel, und einem
oberen, ausgebreiteten, der Platte. Sind die Blumenblätter
von gleicher Gestalt und Größe, so heißt die Blumenkrone regel-
mäßig (Fingerkraut), im Gegentheile unregelmäßig. Ist sie
weder mit dem Kelche, noch mit dem Fruchtknoten verwachsen,
so heißt sie unterständig, verwächst sie mit beiden, oberstän-
dig, und wenn sie mit dem Kelche allein verwachsen ist, kelch-
ständig.
Die einblättrige Blumenkrone ist bald kugelförmig
Maiblümchen), röhrenförmig (Schwarzwurz, Scheibenkrönchen
vieler zusammengesetzten Blumen), glockenförmig (Glockenblu-
men), trichterförmig (Zaunwinde), präsentirtellerförmig,
wenn die Röhre walzenförmig und lang, der Saum flach ist
(Vergißmeinnicht), radförmig mit kurzer Röhre (Ehrenpreis),
bald bandförmig, wenn die Röhre in einen langgestreckten
Saum übergeht (Strahlenkrönchen des Löwenzahn); zwei kipp ig,
wenn sie in 2, meist ungleiche Hauptabtheilungen (Lippen) ge-
theilt ist (Hohlzahn); einlippig, wenn eine von diesen Lippen
sehr klein ist, oder ganz fehlt (Günsel); rachen förmig, wenn
die Oberlippe "aufrecht steht und gewölbt ist (Bienensaug);
117
maskirt, wenn die Unterlippe gewölbt und gegen die Oberlippe
geschlagen ist Löwenmaul); gespornt, wenn sie unten eine spitze
Verlängerung zeigt (Frauenflachs).
Die vielblättrige Blumenkrone heißt kreuzförmig, wenn
4 gleiche Blumenblätter mit langen Nägeln oben kreuzförmig
ausgebreitet sind (Goldlack); nelkenförmig, wenn 5 dergleichen
von einer einblättrigen langen Hülle eingeschlossen sind (Nelke);
rosenartig, wenn sie aus 5 ziemlich runden Blättchen mit
kurzen Nägeln besteht Mose); malvenartig, wenn 5 gleiche
Blumenblätter vermittelst der verwachsenen Staubfäden zusam-
menhängen (Malve. Eibisch); schmetterlingsartig, wenn sie
aus 5 ungleichen Blumenblättern besteht: dem obersten oder der
Fahne (Segel), welches groß, ausgebreitet und mit einem um-
gebogenen Nagel versehen ist, den zwei einander gegenüberste-
henden Seitenblättchen, den Flügeln, und den beiden unteren,
zusammengeneigten, ober auch mit einander verwachsenen, Kahn,
Kiel oder Schiffchen genannt (Bohnen, Erbsen rc.).
Eben diese Mannichfaltigkeit der Blumen in Farbe, Form
und Geruch macht sie uns so angenehm, und wenn man dieselben
genau kennen lernen will, muß man nicht allein im Buche, son-
dern auch im Garten und Felde sich umsehen und die Blumen
genau betrachten. Zuweilen scheint sie mehrblättrig, und doch
findet man am Ende, daß die vermeintlichen Blätter nur Lappen
sind, indem sie am Grunde zusammenhangen (Ehrenpreis). Manch-
mal ist die Blumenkrone gar nicht groß und prächtig, sondern
klein, grün gefärbt und fast unsichtbar, wie z. B. bei vielen
Waldbäumen, der Eiche, Buche rc.
tz. 72.
Die Staubgefäße und die Stempel.
iKdrsr. I. S. 136.)
Die Staubgefäße sind von Kelch und Blumenkrone um-
geben und leicht zu erkennen; es sind dünne, meist weiße Fäden,
an denen oben die sogenannten Staubkölbchen (Beutel) mit
dem Biüthenstaube hängen. Fehlt der Staubfaden, so heißt
das Kölbchen sitzend; fehlt aber das Kölbchen, so heißt der
Faden unfruchtbar. Die Staubgefäße heißen auch Männchen
der Blüthe, und es giebt Blumen, in denen nur Staubgefäße
sich befinden, und die daher männliche Blumen heißen. Aus
diesen entstehen keine Fruchte. Die Zahl der Staubfäden ist in
verschiedenen Blumen sehr verschieden, für jede Gattung aber
eine ganz bestimmte. So finden sich z. B. in jeder Tulpe nur
6 Staubfäden. Bei manchen Pflanzengattungen trifft man viele
100 Staubfäden in einer einzigen Blume. Die Staubgefäße
heißen unterständig -(Ranunkel), halboberständig (Rose),
118
oberständig (Doldenblumen), genähert (Kartoffel), ausge-
breitet (Epheu), zurückgebogen (Nessel), hängend (Gräser),
eingeschlossen (Schlüsselbume), hervorstehend (gem. Wege-
tritt), gleich (Einbeere), ungleich, nämlich zweimächtig, wenn
2 lange und 2 kurze Staubgefäße vorhanden sind (Bienensaug),
viermächtig, wenn 4 lange und 2 kurze da sind (Rettig); ein-
bündig, wenn die Staubfäden entweder ganz, oder nur an ihrem
unteren Theile in ein Bündel vereinigt sind (Malve); zweibün-
dig, wenn sie in 2 Bündel vereinigt sind (Erbse); vielbündig,
wenn sie mehrere Bündel bilden (Hartheu); röhrenstäubend,
wenn die Staubkölbchen (Sonnenblume), stempelstäubend,
wenn die Staubkölbchen mit dem Stempel verwachsen sind (Or-
chis). — Das Staubkölbchen kann an der Spitze, in der Mitte,
oder am Grunde des Staubfadens befestigt sein. Gefüllte Blumen
entstehen bei besonders kräftiger Nahrung der Pflanzen, indem
die Staubfäden sich in Blumenblätter verwandeln.
Der Stempel (das Pistill) nimmt den mittelsten oder höchsten
Platz in der Blüthe ein. In der Regel findet er sich nur ein-
mal; allein es giebt auch Blumen, in denen 2, 6, 8 rc. Stempel
angetroffen werden. Die Gestalt desselben ist sehr wechselnd;
meist ist er jedoch verkehrt-keulenförmig. Der untere Theil, der
Fruchtknoten, enthält die Eierchen, aus denen später der
Same entsteht. Der Fruchtknoten trägt den Griffel, einen
länglichen Theil, so wie jener von grüner Farbe, und dieser die
Narbe. Man nennt die Stempel auch die Weibchen der
Pflanzen. In den meisten Blumen findet man Staubgefäße und
Stempel zusammen. Solche, in denen nur Stempel sind, heißen
weibliche Blumen. An einem Haselnußzweige sieht man das
sehr deutlich. Die langen Kätzchen, die abfallen, enthalten die
gelben Staubfäden und sind die Männchen; dagegen bleiben die
Weibchen sitzen. Sie sind sehr klein und leicht an den rothen
Federchen kenntlich, die auf dem Stempel fitzen. Es giebt Pflan-
zen, bei welchen die Männchen und die Weibchen gar nicht auf
einer und derselben Pflanze, sondern auf 2 verschiedenen gefunden
werden, wie z. B. bei dem Hanf.
Der Fruchtknoten heißt unter ständig, wenn er mit dem
Kelche und den folgenden Theilen verwachsen ist und unter ihnen
steht (Rose); halb-oberständig, wenn er zum Theil aus den
Blüthenhüllen hervorragt, oder wenn der Kelch rings um die
Mitte desselben eingesetzt ist (Steinbrech); oberftändig, wenn er
vollkommen frei dasteht (Schlüsselblume); einfächrig (wohlrie-
chendes Veilchen); zweifach rig, wenn er durch eine senkrechte
Scheidewand in 2 Hälften getheilt ist (Löwenmaul); dreifächrig
Tulpe); fünffächrig (Apfel); einsamig (Sonnenblume); zwei-
sämig (Pflaume); mehrsamig (Erbse); viertheilig (Bienen-
saug). In Hinsicht der Form und Bekleidung des Frucht-
knotens finden ebenfalls mehrfache Verschiedenheiten statt.
119
Der Griffel ist gipfelständig (?inbe), seitenständig
(Erdbeere), grundständig (Malve), getheilt (Labkraut), zwei-
zäh lig (Steinbrech) rc.
Die Narbe ist sitzend (Mohn), blumenblattartig
(Schwertlilie), fedrig (die meisten Gräser), pinselförmig (Glas-
kraut) rc.
Außerdem bemerkt man in den Blüthen zuweilen noch drü-
senartige Körper, welche eine zuckerartige Flüssigkeit absondern
und daher Honiggefäße genannt werden. Wir sehen sie z. B.
am Kelche der Kaiserkrone, unter den Schuppen der Blumen-
blätter vom Hahnenfüße und in den spornförmigen Verlänge-
rungen derAkelei.
§. 73-
§Ue Frucht.
(Kdrft!. S. 135.)
Die Frucht bezeichnet den zur Reife gelangten Fruchtknoten.
Zuweilen dehnt man diesen Namen auch auf Theile aus, welche
die eigentliche Frucht einhüllen (Erdbeere). Die äußere Hülle des
Fruchtknotens verwandelt sich beim Reifwerden in die Frucht-
hülle, die Eierchen aber in Samen-
Die Fruchthülle zeigt da, wo die Ränder des zusammen-
geschlagenen Stempelblattes sich vereinigen, eine Nath, zuweilen
auch noch an der gegenüberliegenden Seite eine zweite Nath, der
Mittelrippe des Blattes entsprechend. Verwachsen mehrere Frucht-
hüllen zu einer gemeinschaftlichen Frucht, so entsteht eine mehr-
fächrige, durch Scheidewände getrennte. Man unterscheidet.
Balgkapsel, deren Hülle häutig oder lederartig ist, nur eine
Nath zeigt und an dieser aufspringt (Päonie); Hülse, wenn sie
zwei Näthe hat, welche sich beide öffnen (im gemeinen Leben
wird sie Schote genannt, z. B. dei der Erbse); Steinfrucht,
deren Inneres steinartig ist, während sich die äußere Hülle flei-
schig oder saftig zeigt (Pflaume); Schließfrucht oder Achene,
eine einsamige, ziemlich harte und meistens kleine, längliche
Frucht, deren Hülle nur an einer Stelle mit dem Samen zusam-
menhängt (Binse); Grasfrucht, wenn die Hülle mit dem Samen
vewachsen ist (die meisten Gräser); Kapsel, eine zusammengesetzte,
aufspringende Frucht mit trockener Hülle (Mohn); Schote, eine
trockene, zweifächrige, meistens längliche Frucht, welche sich mit
Klappen öffnet und eine Scheidewand zeigt, an deren Ränder
die Samen abwechselnd befestigt sind (also nicht, was man im
gemeinen Leben Schote nennt, z. B. Kohl); dagegen Schötchen,
wenn sie sehr kurz ist (Täschchenkraut); Nuß, eine einsamige,
nicht aufspringende Frucht mit holziger Schale (Haselnuß);
Eichel, mit nicht so harter Schale und einem Näpfchen am
Grunde (Eiche); Beere, eine saftige oder fleischige Frucht, iir
welcher die Samen frei liegen (Wein); Apfel (und Birne), eine
fleischige Frucht mit hohlen Fächern, welche die Samen enthalten
(Apfelbaum); Kürbis, wenn sie mit dem unteren Theile des
Kelches innig zusammenhängt und in ihrem dicken Fleische den
zahlreichen Samen in Reihen trägt (Kürbis, Gurke); Flügel-
frucht, wenn eine häutige Samenhülle sich nur nach einer oder
auch nach 2 Seiten flügelförmig ausbreitet (Ahorn, Kiefer).
Falsche Früchte heißen alle diejenigen, welche nicht un-
mittelbar aus dem Fruchtknoten entstehen, sondern durch Ver-
wachsung des Kelches, der'Krone rc. mit diesem Theile gebildet
werden, wie der Zapfen, die Ananas, die Maulbeere und tie Feige.
Der Same besteht aus dem Keime, der äußeren Hülle
und dem Eiweiß. Einigen Samen, z. B. unsern Obstkernen
fehlt das Eiweiß, während die Getreidekörner fast ganz daraus
bestehen. Er ist entweder ölig (Hanf), oder mehlig (Getreide),
oder hart und hornartig (Garbe) und schließt den Keim ein,
der bestimmt ist, sobald er in die Erde kommt, ein neues Pflänz-
chen zu entwickeln, das seine erste Nahrung aus dem Samen
selbst nimmt. Nach unten entwickelt sich das Würzelchen, nach
oben das Federchen Die seitlichen Theile heißen Samen-
lappen und hängen noch an dem Pflänzchen, wenn es aus der
Erde hervorkommt, z. B bei den Bohnen. Manche Pflanzen
haben nur einen Samenlappen (Gräser), noch andere gar keinen
(Moose). Die Keimkraft verliert sich bei manchen Samen schon
nach einem Jahre, bei andern dauert sie außerordentlich lange.
Man hat Beispiele, daß Getreide, welches man in den ägyptischen
Pyramiden bei Mumien fand, noch aufgegangen ist, also unge-
fähr 2000 Jahre seine Keimkraft erhalten hat.
§. 74.
Dauer, Verbreitung und Anbau der Pflanzen.
(Kdrst.I. Nr. 138. u. 139.)
Viele Pflanzen haben nur ein kurzes Leben. Ein Sommer
reicht hin, sie keimen, wachsen, blühen, Früchte tragen und
welken zu sehen. Man nennt sie einjährige Pflanzen (Mohn,
Flachs). Andere treiben dagegen im ersten Jahre nur Blätter,
im zweiten Blumen und Früchte und sterben dann. Sie werden
zweijährige Pflanzen genannt (Kohl). Pflanzen, die mehr als
2 Jahre leben, nennt man ausdauernde, mehrjährige oder
perennirende (§. 99.), und hierher gehören die Sträucher und
Bäume, die mitunter ein außerordentlich hohes Alter erreichen.
Nicht alle Pflanzen kommen in jeder Gegend vor. Die
Gewächse der heißen Zone sind ganz verschieden von denen der
gemäßigten. Nach den Polen hin nimmt die Menge der Pflanzen
immer mehr ab, bis endlich im ewigen Schnee und Eise alles
Wachsthum aufhört. Ebenso verhält es sich mit den Gebirgen^
deren höchste Gipfel kahl sind.
Merkwürdig ist es, daß manche Pflanzen nicht in der Erde,
sondern auf andern Pflanzen wurzeln. Sie werden Schmarotzer
genannt, weil sie von den Säften der Pflanze leben, auf welcher
sie sitzen. Diese wird dadurch sehr geschwächt und in ihrem
Wachsthum beeinträchtigt. Daher ist die Vertilgung der Schma-
rotzer durchaus nöthig. Am bekanntesten ist die Mistel, die auf
Obstbäumen und Eichen, Kiefern, Linden häufig vorkommt, und
aus deren Beeren der Vogelleim bereitet wird. Andere Schma-
rotzer sind die Flechten, welche die Baumrinde bedecken.
Schon frühe haben die Menschen die Nützlichkeit vieler
Pflanzen erkannt und davon Vortheil gezogen. Als der Be-
wohner auf Erden immer mehr wurden, reichten die von der
Natur gesäeten Gewächse nicht mehr hin, und dies veranlaßte
denn eine Vermehrung derselben durch den Anbau. Wie wichtig
dieser für die Erhaltung des Menschengeschlechtes geworden ist,
weiß Jedermann. Auch war der Ackerbau der Anfang von
größerer Gesittung und Bildung der Menschen, indem er sie am
Boden festhielt, während Völker, die keinen Ackerbau trieben,
mit Heerden unstät umherziehen und wild, roh und räuberisch
bleiben, wie wir dies noch heut zu Tage von manchen Noma-
denvölkern, z. B. den Beduinen in Afrika, erfahren. Allein
nicht nur die Menschen gewannen bei dem Anbau der Pflanzen,
sondern diese wurden auch selbst sehr veredelt, je mehr Sorgfalt
und Pflege man auf sie verwendete. Es ist beinahe unglaublich,
wie groß der Unterschied zwischen manchen Pflanzen im wilden
und im angebauten Zustande ist. Die in den Gebirgen Mexiko's
wildwachsende Kartoffel erzeugt kaum erbsengroße Knöllchen, wäh-
rend sich bei uns manchmal pfundschwere Knollen finden. Die
auf Grasplätzen häufig wildwachsende Mohrrübe hat eine magere,
holzige Wurzel, die beim Anbau dick, süß und saftig wird. Bei
dem Kohl ist nun der Unterschied gar so groß, daß Niemand den
wilden Kohl als die -ursprüngliche Mutterpflanze des Weißkohles,
Rothkohles und der außerordentlich vielen Arten des Kohles halten
wird. Nichts destoweniger stammen alle diese nur von etwa 2
Pflanzen ab, die noch dazu einander sehr ähnlich sind. Beiden
Obstbäumen ist die Veredelung (Hdb. I. §. 5. D. c.) nicht we-
niger merkwürdig. Wer beißt wohl gern in einen sauren Apfel?
Und doch stammen alle unsere guten Aepfelsorten vom wilden
Holzapfel her. Es sind manche durch den Anbau sehr veränderte
Gewächse dadurch wieder in die ursprüngliche Pflanz- zurückge-
führt worden, daß man sie allmalig in immer schlechteren Boden
versetzte. Mit der Fortpflanzung und Vermehrung nützlicher Ge-
wächse beschäftigt sich der Ackerbau. Man setzt nämlich die Pflanze
12S
in den Stand, ihre Nahrungsmittel leicht und in hinreichender
Menge aufzunehmen, und dann vergilt sie dem Menschen diese
Wohlthat reichlich (Hdb. I. §. 74).
§• 75.
Wie Nahrungsmittel -er Pflanzen.
Um die Nahrungsmittel der Pflanzen kennen zu lernen,
muß man ihre Bestandtheile untersuchen, und da findet man denn,
daß die Hauptmasse aller Pflanzen aus Kohlenstoff, Wasser-
stoff, Sauerstoff und Stickstoff besteht sKdrfr. l. Anh. V.
§• 0.). Diese 4 Stoffe sind daher die hauptsächlichsten Nah-
rungsmittel der Pflanzen. Betrachtet man z B. die fette Haus-
wurz, die auf Dächern, den saftigen Mauerpfeffer, der auf
Mauern wächst, sodann manche Zwiebelgewächse, wie z. B. die
Tulpen, die im bloßen Wasser gezogen werden, so fleht man,
daß für viele Pflanzen Lu ft und Wa ff er zum Leben und Wachsen
hinreichen, da sie die genannten Bestandtheile enthalten und so
die Pflanzen ernähren können.
Den Kohlenstoff erhält die Pflanze aus der Luft
durch die Blätter iß- I"I-), hauptsächlich aber und so lange die
Blätter noch nicht entwickelt find, aus dem Boden durch die
Wurzel. Der Kohlenstoff wird mit Sauerstoff verbunden als
Kohlensäure aufgenommen, und der Sauerstoff durch die Blätter
wieder abgeschieden. Daher muß im Boden Kohlensäure enthalten
sein, wenn er die Pflanzen ernähren soll. Dies ist auch der Fast.
Gewöhnlich enthält das von der Wurzel aufgesogene Wasser die
Kohlensäure. Sie kommt von den Pflanzenstoffen her, die in
dem Boden verwesen, wobei viele Kohlensäure entsteht. Deswegen
ist ein schwarzer Boden, in dem viele Pflanzentheile vermodern,
in der Regel sehr fruchtbar. Forstleute nehmen daber den Wäl-
dern das im Herbste abfallende Laub, die sogenannte Waldstreu,
nicht hinweg, weil sie das einzige Düngmiltel derselben sind.
Die Wiesenerde, die Damm- oder Moorecde sind solche kohlen-
reiche Bodenarten und daher sehr geeignet, hellen Sand-, Thon-
und Kalkboden zu verbessern (Hdb II. S. 71.), die daran arm
sind. Auch werden letztere durch Zumischung von Modererde, wie
sie in hohlen Weiden und Eichen angetroffen wird, sodann durch
Kohlenpulver, welches die Fruchtbarkeit des Bodens außeror-
dentlich erhöht, und endlich durch den Dünger oder Mist, der
eine große Menge verwesender Pflanzenstoffe enthält, welche Koh-
lensäure liefern, wesentlich verbessert. Da übrigens der Kohlen-
stoff nicht das einzige Nahrungsmittel der Pflanzen ist, so kann
man wohl schwarzen und kohligen Boden finden, der doch nicht
so fruchtbar ist, weil ihm andere für das Leben der Pflanzen
erforderliche Stoffe fehlen. Ein solcher unfruchtbarer Boden ist
z. B. die schwarze Heideerde.
1S3
Durch das von der Wurzel aufgesogene Wasser erhalten die
Pflanzen ihren Bedarf an Wasserstoff und Sauerstoff, den
Bestandtheilen des Wassers. Wie durchaus nothwendig das
Wasser zum Gedeihen der Pflanzen ist, und welche Wohlthaten
in dieser Beziehung Regen, Thau, Flüsse und Bache sind, ist
bekannt. Durch eine geschickte Bewässerung (Berieselung! können
namentlich beim Wiesenbau beinahe Wunder geleistet werden.
Der Stickstoff, den die Pflanzen zwar in geringer Menge,
aber namentlich in den Früchten enthalten, wird nicht aus der
Luft aufgenommen, sondern durch die Wurzel aus dem Boden.
Dieser Stoff kommt hauptsächlich durch den Dünger (Mistjauche)
in den Boden. Bei der Fäulniß thierischer Stoffe entsteht näm-
lich Ammoniak, eine Verbindung von Stickstoff mit Wasserstoff.
Dies ist daher stets im Dünger enthalten und giebt ihm den
unangenehmen Geruch. Das Ammoniak wird von der Wurzel
aufgesogen, und so kommt der Stickstoff in die Pflanze.
Außer den genannten 4 Hauptbestandtheilen der Gewächse
findet man noch andere Stoffe, die als Asche zurückbleiben, wenn
man dieselben verbrennt. Obgleich dies dem Gewichte nach sehr
wenig beträgt — denn es liefern z B 100 Pfd. Eichenholz nur
21/-2 Pfd. Äsche — so ist doch die Anwesenheit dieser minerali-
schen Stoffe für das Leben der Pflanzen so nothwendig wie für
den Menschen das Kochsalz, das er in seinen Speisen genießt.
Die Asche der Pflanzen enthält aber: Kiesel-, Thon-, Kalk-,
Bittererde, sodann Kali und Natron, welche letzteren meist
mit Schwefelsäure und Salzsäure verbunden sind, ferner Phos-
phorsäure, mit Kalk verbunden, und endlich kleine Mengen von
Eisen und Mangan. Diese Stoffe muß nun die Pflanze aus dem
Boden aufnehmen, daher die Beschaffenheit derselben von großer
Wichtigkeit füt den Anbau ist (Hdb. II. S. 82.)
§ 70. _
Die natürliche Eintheilung der Pflanzen.
Das ganze Pflanzenreich ist als die Zerlegung einer voll-
kommenen Pflanze, etwa eines Apfelbaumes, zu betrachten, und
die einzelnen Pflanzen als die allmälige und selbständige Ent-
wickelung dieser Theile. Daher muß cs eben so viele Pflanzen-
klassen als Theile geben, nämlich Zellenpflanzen, Aderpflanzen,
Drosselpflanzen, Rindenpflanzen rc. Es fragt sich nun, ob das
Pflanzenreich diesen Abtheilungen entspricht.
Entfernen wir von einem Samenkorne, z. B. einer Erbse
oder Bohne, die umhüllende Haut. so zeigen sich 2 mit ihren
ebenen Flächen genau an einander liegende, halbkugelige Körper,
die Samenlappen. Sie sind die ersten Blaktgebilde des jungen
Gewächses, und Pflanzen, deren Samen zwei solcher Samen-
124
lappen in sich schließt, werden zweisamentappjge Pflanzen
oder Blattkeimer genannt. Bei ihnen tritt eine vollkommene
Trennung in Wurzel, Stengel und Laub hervor, und sie sind
mithin die Darstellung der Werkzeuge — Werkzeugpflanzen.
Sie scheiden sich sogleich wieder in 3 große Haufen, nämlich
1. Kelchblümler, deren Blüthenhülle als Kelch betrachtet
wird, weil sie (mit Ausnahme der Apfel-, Birn-, Pflaumen-,
Kicschbäume rc.) grün und weniger zart gebildet ist, als Blu-
, menkronen zu sein pflegen. Ihr Vorzug besteht nicht etwa in
dem Mangel oder der Verkümmerung der Blume, sondern in
der Anwesenheit der Frucht sim engern Sinne): es sind Frucht-
pflanzen, wie die Apfelbäume, Nußbäume, Rüstern rc
2. Blätterblümler — mit mehrblatriger Blumenkrone,
wie die Malven, Nelken, Ranunkeln rc. — Blüthen pflanzen.
3. Röhrenbliimler —mit einer einblättrigen Blumenkrone,
wie die Weiden, Kartoffeln, Taubnesseln rc. — Stockpflanzen.
Bei den Samenkörnern der Gräser, namentlich in den Ge-
treidekö'rnern, findet man nur eine grünlichgelbe, ebencrhabene
Schuppe, auf der ein kleiner, kegelförmiger, aus verschiedenen,
sehr kleinen, auf einander paffenden Scheiden (den künftigen
Blättern) zusammengesetzter Körper liegt. Jene Schuppe ist der
einzige, bei den Gräsern vorhandene Samenlappen. Der kegel-
förmige Körper ist der künftige Stamm, eine Art Scheide am
untersten Ende des Samenlappens die Anlage zur Wurzel. Eben
so ist der Samen der Zwiebelgewächse, der Knabenkräuter rc.
beschaffen Diese Pflanzen heißen daher einsamenlappige oder
Spitzkeimer. Sie haben Blüthen, in welchen der Kelch kaum
von der Blüthe geschieden ist, nur Scheiden statt selbständiger
Blätter, daher einen Stock, in welchem Wurzel, Stengel und
Laub nur in' einander geschachtelt sind, so daß der Längsschnitt
keinen bedeutenden Unterschied giebt. Es sind die Holzpflanzen
(Palmen, Pfeffer, Spargel rc), Bastpflanzen (Lilien, Zwie-
beln, Knabenkräuter rc) und Rindenpflanzen (eigeml. Gräser,
Riedgräser, Simsen rc.)
Endlich giebt es noch Pflanzen, an denen sich zu keiner Zeit
ihres Lebens eine Blüthe wahrnehmen läßt; man nennt sie daher
geheimblüthige Pflanzen, wie die Farrenkräuter, Moche und
Pilze. Da ihre Anfänge keinen Keim, also auch keinen Samen-
lappen in sich tragen, so werden diese Pflanzen samenlappenlofe
oder Nacktkeimer genannt. Sie sind nicht nur ohne Blüthen,
sondern auch ohne einen vollkommenen Stock (Wurzel, Stengel
und Laub sind nicht gehörig gesondert), ohne Scheiden (Rinde,
Bast, Holz) und besteben also nur aus Drosseln, Adern und
Zellen, tragen statt der Blüthe bloß nackte Samen und sind mit-
hin im eigentlichsten Sinne nichts weiter als Pflanzengewebe —
Markpflanzen, die sich in Drosselpflanzen (Farrenkräuter,
Bärlapp, Schachtelhalm rc.), A derpflanzen (Laubmoose, Flechten,
Algen rc.) und Zellenpflanzen (Pilze, Viste, Brand rc) theilen.
Mit dieser Uebersicht stimmt die gewöhnliche und schon im
ersten Kursus (Hdb. ll. S. 80) angedeutete Eintheilung der
Pflanzen so ziemlich überein; nur rechnet man die Palmen in
der Regel zu den Baumen, die Zwiebeln zu den Kräutern, und
sondert von den Moosen die Flechten und Algen. Für die Schule
hat die Aufstellung eines natürlichen Systems weniger Wichtig-
keit als für einen Lehrer, der die Botanik nach irgend einem
Handbuche für sich studiren will. In der Schule genügt die
Eintheilung in folgende neun Klassen: Bälime, Sträucher,
Krauter, Palmen, Zwiebeln, Gräser, Farren, Moose,
Schwämme. Die drei ersten gehören zu den Blattkeimern
sDikotyledonen), die drei mittleren zu den Spitzkeimern <Mono-
kotyledonen) und die drei letzten zu den Nacktkeimern sAkotyledonen).
8' T"7'
Die künstliche Eintheilung der Wanzen oder das
Finnische System.
tKdrfr. l. Nr. 154. 6. 130.)
Wer die Pflanzen genauer kennen lernen will, muß sich eine
Pflanzensammlung oder ein Herbarium anlegen. Zu diesem
Zwecke legt man die Pflanzen wohl ausgebreitet zwischen dicke
Lagen Löschpapier, preßt sie sanft, legt sie fleißig zwischen frisches
Papier, bis sie trochen geworden sind, und bewahrt sie dann,
jede in einen Bogen gelegt und mit Namen, Standort rc. ver-
sehen, ln einer Mappe auf. Um jede Pflanze leicht in diesem
Herbarium aufzufinden, legt man immer die gleichartigen zusammen,
gewöhnlich nach dem Linnö'schen System Was hierunter zu verstehen
ist, ergiebt sich aus der nachfolgenden geschichtlichen Darstellung:
Der berühmte Naturforscher, Karl v. Linnö, geb. 1707
zu Reeshult in Schweden, zuletzt Professor der Botanik in Up-
sala, gest. >778, fühlte das Bedürfniß, in sein wachsendes Her-
barium eine Ordnung zu bringen, die ihm das Wiederaufsi'nden
der Pflanzen erleichterte. Zum Eintheilungsgrunde wählte er die
Zahl der Staubfäden, indem er diese bei einer und derselben
Pflanzengattung meist gleich, bei verschiedenen Gattungen aber
oft sehr verschieden fand. Daraus ließ er sich eine Menge Mappen
machen und legte in die erste die Pflanzen mit einem Staub-
faden, in die zweite die mit 2 Staubfäden und so fort bis zu
10 Staubfäden, vereinigte dann die wenig zahlreichen mit 11
bis 19 Staubfäden in eine einzige Mappe und eben so die mit
20 oder mehr Staubfäden, wo das Zählen schwierig wird. Die
Mappen erhielten dann die Ueberschriflen: Einmännige, Zwmnän-
nige rc. bis Zehnmännige, Zwölfmännige (mit 11 bis 19 Staub-
faden), Zwanzigmännige.
1S6
Bald bemerkte er in der 12., sehr angefüllten Mappe viele
Blumen, die durch den besonderen, übereinstimmenden Bau ihrer
Blüthe sich auszeichneten, fand bei genauerer Untersuchung, daß
sie durch kelchständige Staubfäden von den übrigen, deren Staub-
fäden fruchtbodenständig waren, sich unterschieden, behielt deshalb
nur die ersten in der „Zwanzigmännige" überschriebenen Mappe
zurück und vereinigte die übrigen in einer neuen Mappe, der er
die Aufschrift „Vielmännige" gab.
Nun durchging er seine Mappen der Reihe nach, um Ge-
legenheit zu neuem Sondern aufzusuchen. Schon in der vierten
Mappe fand er viele Pflanzen, die sich von den übrigen hier
vereinigten durch Rachenblumen und dadurch unterschieden, daß
ihre -1 Staubfäden nur paarweise von gleicher Länge waren. Er
vereinigte sie in einer 14. Mappe mit der Aufschrift: „Zweimäch-
tige" (2 lange und 2 kurze Staubfäden).
In der 0. Mappe fand er die durch Kreuzblüthen und 4
gleich lange größere, dann 2 gleich lange kleinere Staubfäden
einander ähnlichen Pflanzen zahlreich genug, um sie in einer 15.
„Niermächtige" überschriebenen Mappe unterzubringen.
Gelegentlich mochte der besondere Bau der Malvenblüthe,
bei welcher die zahlreichen Staubgefäße mit den Fäden zu einem
den Stenpel umschließenden Cylinder verwachsen sind, während
die Kölbchen frei bleiben, seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen
haben. Ec vereinigte die Blumen mit so eingerichteten Staub,
fäden unter dem Namen „Einbündner" in einer 16. Mappe.
In der 6. und 8. Mappe fand er Pflanzen, deren Blumen
viele Uebereinstimmung und deren Staubgefäße sich mit den Fäden
in 2 Bündel verwachsen zeigten, was er bei den andern Blumen
nicht bemerkte. Zu ihnen nahm er aus der 10. Mappe die ihnen
in der Blürhenform ähnlichen Schmetterlingsblümler, deren Staub-
fäden alle (Ginster, Besenpfriemen, Hauhechel) oder alle bis
auf einen Wicke, Erbse, Bohne) in eine den Stempel umge-
bende Haut verwachsen sind. Diese vereinigte er in einer 17.
Mappe und nannte sie „Zweibündner."
In der 18. Mappe sielen ihm durch übereinstimmenden Blü-
thenbau diejenigen Pflanzen auf, welche in dem eigenthümlichen
Merkmale zusammentreffen, daß die Staubfäden an ihrem Grunde
gruppenweise verwachsen und so in strahlige Bündel geordnet
sind (Hartheu). Sie kamen in die 18. Mappe mit der Bezeich-
nung „Vielbündner."
In der 5. Mappe fand er eine große Anzahl von Pflanzen,
deren einzelne Blüthchen gruppenweise auf einem gemeinschaftli-
chen Fruchtboden standen und von einem gemeinschaftlichen Kelche
sBlüthenkorbe) umgeben waren. Er untersuchte sie genauer und
entdeckte, daß bei allen die 5 der Kronenröhre entspringenden
Staubfäden bis an die Kölbchen frei, daß aber die Kölbchen
selbst zu einer den Griffel umgebenden Röhre verwachsen waren.
127
Diese Pflanzen mir sogenannten zusammengesetzten Blumen (Son-
nenblume, Löwenzahn rc.) und diejenigen Gattungen einfacher
Blumen, deren Kölbchen ebenso verwachsen waren (die man aber
später in die 9. Mappe zurückgeschickt hat, z. B. Veilchen), in
eine 19. Mappe, die er „Röhrfläubler" überschrieb.
Dann fielen ihm in der ersten und 2. Mappe verwandte
Blumenformen auf, bei denen Stempel und Staubfäden zu einer
gemeinschaftlichen Stempelsäule verschmolzen sind (Knabenkraut,
Sumpfwurz rc.). Er legte sie in die 20. Mappe und nannte sie
„Stempelstäubler."
Endlich mochte ihn die natürliche Verwandtschaft der Katzen-
blüthler bestimmen, die Pflanzen mit unvollkommenen Blumen
ld. h. mit Blumen, die zum Theil nur Staubgefäße, also keinen
Fruchtknoten und mithin keine Frucht, zum Theil aber auch nur
Stempel tragen) von allen übrigen zu sondern und mit ihnen 3
neue Mappen zu füllen. In die 21. Mappe mit der Ueberschrift
„Einhäusler" legte er diejenigen, wo dieselbe Pflanze Staubblu-
men und Stempelblumen trägt; in die 22. „Zweihäusler" über-
schriebenen Mappe kamen diejenigen, bei denen Staubblumen und
Stempelblumen nie auf einer und derselben Pflanze vereinigt,
sondern immer nur auf 2 verschiedenen Pflanzen vorkommen,
und in die 23. Mappe wurden diejenigen gebracht, wo neben
unvollkommenen auch vollkommene, und zwar bald getrennt auf
verschiedenen Pflanzen, bald auf einer und derselben Pflanze ver-
einigt, vorkommen, „Wirrhäusler" genannt.
Die noch jetzt wenig gekannten verborgenblüthigen Pflanzen,
bei denen keine Blume die Unterscheidung erleichtert, mußten mit
der 24. Mappe „Unblüthler" vorlieb nehmen.
Nachdem so die Pflanzen in 24 genau begrenzte Gruppen
vertheilt waren, spaltete Linne jede Gruppe nach leicht erkenn-
baren Merkmalen sz. B. der Zahl der Stempel) in kleinere Ab-
theilungen oder Ordnungen, die Ordnungen in Gattungen rc.
tz. 78.
Erste Klasse. Iäume.
Wenn sich der Lehrer nicht getraut, die tztz. 60 bis 76 le-
bendig zu behandeln, namentlich unter Vorzeigung grüner Pflan-
zen und Pflanzentheile, guter Abbildungen (wie der von G. Fischer,
Lüben rc.), oder mittelst Zeichnungen an der Wandtafel; so mag
er bald mit der Beschreibung der einzelnen Pflanzen beginnen
und die nöthigen Erläuterungen aus den genannten §§ gelegent-
lich hinzufügen, wie dies Hdb. II. S. 107 bis 113 geschehen ist.
Tille Pflanzen hier so ausführlich zu beschreiben, ist weder mög-
lich noch nothwendig. Es kann im Folgenden nur dasjenige mit-
getheilt werden, was sich an den vorgezeigten Pflanzen nicht
sehen läßt, aber doch von Wichtigkeit ist, oderauch worauf man
128
vorzüglich merken soll. Wo möglich werden die sämmtlichen
Pflanzen einer Ordnung erst vorgezeigt und benannt, die Namen
eingeübt und die gemeinschaftlichen Merkmale aufgesucht; dann
erst geht es an die Beschreibung der einzelnen Gattungen und
Arten. Aus ähnliche Art ist bei Vorführung einer ganzen Klasse
zu verfahren. Daß die Kinder Astes selber angeben müssen, waS
sie wissen oder an der vorgczeigtewPflanze sehen können, versteht
sich von selbst \
Bäume heißen diejenigen Pflanzen, bei denen nur ein hol-
ziger Stamm aus der Wurzel kommt. Oben theilt sich derselbe
in Aeste und Zweige, an denen die Blätter, Blüthen und Früchte
aus Augen hervorkommen Unter allen Gewächsen haben die
Bäume die« längste Lebensdauer. Im gemeinen Leben theilt man
sie in Laubbäume und Nadelbäume, jene wieder in Frucht- oder
Obstbäume und Forst- oder Waldbäumev Wir wollen sie hier
nach ihren Früchten eintheilen.
X
1. Ordnung. Aepfeltragende Jänme.
■ /5*.
1. Der Apfelbaum, der Repräsentant des ganzen Pflan-
zenreiches, besonders der Bäume, und namentlich der äpfeltra-
genden, ist schon Hdb ll. S. 107 ausführlich beschrieben. Die
Früchte des wilden Apfelbaumes sind klein und theils sauer fHolz-
äpfel), theils süß (Johannisäpfel) und geben Essig, oder dienen
dem Wildpret zum Futter. Das röthliche Holz wird von Tisch-
lern und Drechslern benutzt. Von diesem wilden stammen die
edlen Arten ab, welche in Gärten gebaut werden (Hdb l. §. 3.
Lind §• 50. Kdrfr. I. Nr. 13.).
2. Der Birnbaum wachst selten wild in Europas Wäl-
dern, hat eirunde, zottig flaumhaarige (besonders die jüngeren)
Blätter, weiße Blüthen in einfachen Trugdolden und am Grunde
verengte Früchte, welche wie die Aepfel benutzt werden. Die
wilden Birnen heißen Knödeln oder Kruschken, schmecken sehr sauer
und werden erst süß und genießbar, wenn sie einige Zeit gelegen
haben (maudig geworden sind). Die veredelten Birnbäume in
den Gärten stammen von dem wilden ab (Hdb. k. tz. 30. Kdrfr. 1.
Nr. 112.).
3. Der Quitteubaum, in Südeuropa wildwachsend, hat
gelbe Aepfel, deren schleimige Samen in derArznei gebraucht werden.
4. Die Eberesche, der Quit scheu- oder Vogel beer bäum
in Dörfern und deren Nähe, selten in Wäldern, ist ein ziemlich
hoher Baum mit gefiederten Blättern, weiß gefleckter Rinde und
schön rothen, beerenartigen Aepfelchen in Trugdolden, die zum
Futter für Kühe, Schafe, Hühner und als Lockspeise für Vögel
dienen. Das weißliche, harte und maserige Holz dient zu ver-
schiedenen Arbeiten, die Rinde zum Gerben.
i 29
§. 79.
2. Ordnung. Steinfruchttragende Däume.
1. Der Wallnußbaum, 40 bis 60' hoch, mit einer dichten,
sehr ausgebreiteten Krone geziert, wächst in Persiens Wäldern
wild, kam aber schon in den ältesten Zeiten nach Europa, wo
ihm leider die Winterfröste leicht schaden. Der Stamm ist bis
zur Krone 8 bis 12, selten 20'hoch, hat weißliche Rinde, bräun-
liches Holz und mit Mark gefüllte Zweige. In 40 Jahren wird
er etwa 1' dick, mit der Zeit aber 3 bis 5' und gewöhnlich hohl.
Seine Blätter sind fußlang, mit länglichen, etwas zugespitzten,
fast ganzrandigen Blättchen unpaarig gefiedert. Die Blüthen sind
getrennten Geschlechts und entweder in hängende, walzenförmige,
bis 4" lange Kätzchen gesammelt (männliche), oder an den Spitzen
diesjähriger Triebe vereinzelt erscheinend (weibliche). Die Früchte,
welche mit Unrecht Nüsse genannt werden (dieser Name kommt
nur den haselnußartigen Früchten zu), sind grüne, kahle, eiför-
mig-kugelige, mit einer Längsfurche bezeichnete Steinfrüchte.
Die Blätter und die Leifeln (Pulsen oder grünen Schalen) riechen
stark gewürzhaft, schmecken bitter und herbe und werden zum
Braun- und Schwarzfärben gebraucht, auch gegen Ausschläge
und Geschwüre, zur Stärkung des Darmkanals rc. Der Bast
ist besonders scharf und wirkt abführend. Das Holz eignet sich
zu Tischler- und Drechslerarbeiten. Die Nüsse werden frisch
zum Nachtische gegessen und gehören nebst den Aepfeln zu den
Weihnachtsfreuden der Kinder. Die unreifen Nüsse, wenn sie
noch so weich sind, daß man sie mit einer Nadel durchstechen
kann, macht man mit Zucker ein und ißt sie als Leckerbissen.
Den Hauptnutzen gewährt das kalt aus den Nüssen gepreßte Oek,
welches an Speisen, gegen Würmer und Flechten und in der
Malerei gebraucht wird.
2. Der Pflaumenbaum mit seinen weißen Blüthen stammt
aus dem Orient und ist jetzt einer der gemeinsten Obstbäume,
dessen Früchte (Zwetschen) roh, gekocht, geschmort, gebacken, ein-
gemacht und als Muß gegessen werden. Das rothbraune Holz
dient zu feinen Tischlerarbeiten.
3. Der Kirfchbaum (Hdb. I. §. 24 und §. 47. Kdrfr. I.
Nr. 56. und 118.) wuchs ursprünglich bei Cerasunt am schwarzen
Meere. Die Kirschen werden theils roh, theils auf verschiedene
Art zubereitet genossen, und das gelbröthliche Holz benutzen
Drechsler und Tischler. — Zu derselben Gattung gehört auch die
Trauben- und die Vogelkirsche, sowie der Schlehenstrauch
mit weißen, blutceinigenden Blüthen, blauschwarzen, zusammen-
ziehenden Beeren und brauchbarem Holze.
4. Der Pfiisichbaum (Hdb. 1. tz. 10. Kdrfr. I. Nr. 23.)
ist ursprünglich in Persien zu Hause. Die beiden folgenden ge-
hören zu derselben Gattung.
Pechner, Handb. 3. Theil,
9
130
5. Der Aprikosenbaum stammt auch aus Asten und wird
seiner schönen saftigen Früchte wegen bei uns in Gärten gezogen.
6. Der Mandelbaum, wi!d in Asien und Afrika, wird be-
sonders in Südeuropa gepflanzt. Die saftlosen Steinfrüchte ent-
halten einen wohlschmeckenden Kern, die Mandel, der zu Oel,
in der Arznei, an Kuchen und verschiedenen andern Speisen be-
nutzt wird. Die bittern Mandeln enthalten, wie die Kerne der
Steinfrüchte überhaupt, Blausäure.
7. Der Oelbaum, ursprünglich in Palästina zu Hause, kam
von da nach Griechenland und wird jetzt in Italien und Nord-
afrika in ganzen Wäldern angepflanzt. Für den Orient und
manche Länder am Mittelmeere, namentlich Griechenland, Ita-
lien, Provence (spr. Prowang's) und Burgund, ist dieser Baum
eine Quelle des Reichthums geworden. Die Oliven werden frisch
und eingemacht gegessen; der Hauptertrag ist jedoch das Oliven-
oder Baumöl. Das feine wird unter dem Namen Provencer-
Oel zu Salat, in südlichen Gegenden statt der Butter an Speisen
genommen. Die Oclbäume werden Jahrhunderte alt, und auf
dem Oelberge bei Jerusalem stehen so ungeheure Bäume, daß
man glaubt, sie rühren noch von Christi Zeiten her. Das Holz
ist gut zum Brennen und zu Tischlerarbeiten, weil es geadert
ist, sich gut Policen läßt und angenehm riecht. Bei den Griechen
war dieser Baum der Pallas geweiht, und dessen Beschädigung
bei großer Strafe verboten. Ein Kranz von Oelzweigen war der
Preis des Siegers bei den olympischen Spielen und eine Aus-
zeichnung des um den Staat verdienten Bürgers. Noch jetzt ist
der Oelzweig das Sinnbild der Freundschaft und des Friedens.
8. Der Taxus oder Eibenbaum iAnhang IX. 27.), vor-
züglich in gebirgigen Gegenden Europa's und Nordamerikas,
mit Nadeln, rothen Früchten und röthlich geflammtem, harten
Holze, aus dem man Löffel, Gabeln, Körbchen, Kästchen rc.
schnitzt, hat giftigen Saft in Rinde und Blättern; das
süßliche Fleisch der Früchte aber wird ohne Schaden von
den Kindern gegessen. — Ihm ähnlich sind die Cypresfe,
welche man ihres traurigen Ansehens wegen auf Grabstätten pflanzt,
und der Sadebaum, welcher heftig bluttreibend wirkt und daher
mit Vorsicht gebraucht werden muß
9. Der Lorbeerbaum am Mittelmeere, bei uns in Ge-
wächshäusern, hat wohlriechende Blätter, die als Gewürz dienen.
Das Oel von den Früchten wird in der Arznei gebraucht.
10. Der Zimmetbaum in Ost- und Westindien hat eine
wohlriechende, gewürzige Rinde, die von dünnen Zweigen abge-
schält wird und als Gewürz und Arznei dient.
11. Der Kampherbaum, dessen Harz der stark riechende,
in der Arznei gebrauchte Kampher ist, wächst in China und Japan.
12. Die Quassia oder der Bitterholzbaum in Westin-
dien, unserer Esche ähnlich, liefert ein bitteres Holz, das in der
Arznei gebraucht wird.
131
13. Der Muskatennußbaum in Ostindien, auf den Mo-
lucken, Jsle de France, Bourbon, in Westindien rc., ist dem
Birnbaum ähnlich. Die Steinfrucht hat ungenießbares Fleisch,
um den Stein ein faseriges Gewebe (bie sogenannte Muskaten-
blüthe) und im Steine die Muskatennuß, welche als Gewürz und
Arznei dient.
14. Der Terpentinbaum oder die Terebinthe, aus dem
der echte Terpentin fließt, wächst in Südeuropa und Nordafrika.
15. Der Santelbaum, von dem das gelbe Santel- oder
Sandelholz kommt, das die Tischler gebrauchen, wächst in Ostindien.
tz. 80.
3. Ordnung, beerentragende Paume.
1. Der Faulbaum, im nördlichen Europa wachsend, 30
bis 40' hoch, hat eirundlängliche, ganzrandige, rippig geaderte
Blätter, zwitterige, fünfmännige weiße Blüthen und kugelrunde
schwarze Beeren. Das gelbliche, im Alter röthliche Holz ist weich,
auf der Rinde grau getüpfelt und wird vorzugsweise, weil es
seiner Leichtigkeit wegen so gute Kohlen giebt, zur Bereitung des
Schießpulvers angewendet. Rinde und Beeren besitzen purgirende
Kräfte und werden auch zum Färben benutzt. Er gehört nebst
dem Kreuzdorn, dessen Holz man zu Spazierstöcken, Rinde und
Beeren p Färben benutzt, zu der Gattung Wegedorn.
2. Die Myrte, ein Bäumchen mit wohlriechenden Blättern
und heilsamen Beeren, findet sich um das Mittelmeer wild, bei
uns nur in Blumentöpfen. Von der Gewürzmyrte in Ost-
und Westindien kommt das englische Gewürz.
3. Der Zitronenbaum, aus Persien stammend, am Mit-
telmeere häufig angepflanzt, wird bei uns in Gewächshäusern
(Orangerien) gezogen. Die längliche Frucht hat eine dicke, gelbe,
gewürzhafte Schale, ist 10 bis I2fächrig mit 2 bis 6 Samen.
Der angenehm säuerliche Saft ist sehr erfrischend und wird an
viele Speisen und Getränke gethan, besonders an die Limonade
lvon den Limonien, einer Abart der Zitronen) und den Punsch.
Die Schale ist krampfstillend und befördert die Verdauung; eben
so wirken die Blätter. Die Rinde der Wurzel dient gegen das
Fieber. Die Früchte werden auch mit Zucker eingemacht.
4. Der Pomeranzenbaum wächst ebendaselbst und trägt
rothgelbe Früchte (jährlich an 20,000), die man zu Branntwein,
Cardinal und ijn der Medizin anwendet, so wie auch die Blü-
then und Blätter. Eine Abart, die Apfelsine, hat süßen Saft
und wird gegessen.
5. Der Brotbanm auf den Molucken und in Australien
trägt große, höckerige Früchte, welche bei den dortigen Einwohnern
die Stelle des Brotes und vieler andern Speisen vertreten.
9*
132
6. Der Maulbeerbaum stammt aus Persien und hat herz-
förmige Blätter, die fast ausschließlich als Futter für die Seiden-
raupen dienen. Die sä'uerlichsüßen weißen oder schwarzen Beeren
werden gegessen. Die bittere Rinde der Wurzeln ist ein Mittel
gegen den Bandwurm.
7. Der Kaffeebaum in Arabien, Kleinasien, Westindien rc.,
hat weiße Blüthen und rothe Beeren, deren Samen die soge-
nannten Kaffeebohnen sind. Den Mokka-Kaffee halt man für
den besten
8. Der Gewürznelkenbaum auf den Molucken, liefert in
seinen unaufgebrochenen Blüthen die Gewürznelken, welche als
Gewürz und Arznei dienen.
9. Der Krähenaugenbaum in Ostindien, hat platte Sa-
men, die Krähenaugen heißen und zwar giftig sind, aber in der
Arznei gebraucht werden.
10. Der Gnttabaum ebendaselbst, hat einen gelben Saft,
der getrocknet das Gummizuttä giebt, welches zu Arznei und
gelber Farbe dient und giftig sein soll.
I I. Der Balsambaum in Arabien, enthält einen heilsamen,
harzigen Saft (Balsam).
12. Der Drachenblutbaum in Ostindien, hat einen rothen
Saft, Drachenblut genannt, der von Malern und Lackicern ge-
braucht wird.
- §• 81.
4. Ordnung. Nußtragende Däume.
1. Die Eiche (Hdb. I. §. 82. Kdrfr. I. Nr. 164.).
2. Die Hainbuche oder der Hornbaum im gemäßigten
Europa, nicht sehr hoch, mit weißlicher, glatter Rinde und Kätz-
chenblüthen, hat weißes, sehr festes Holz, das zum Brennen, zu
Pressen, Wellen u. dgl. dient.
3. Die Rothbuche bildet in den gemäßigten Ländern Eu-
ropas (selten in Ostpreußen) ganze Wälder, ist ein schöner,
hoher Baum mit Kätzchenblühen, glatter, graulicher Rinde und
meist röthlichem Holze, das gute Kohlen und Asche giebt und
auch von Drechslern, Tischlern, Stellmachern rc. gebraucht wird.
Die Buchnüsse (Bucheckern) sind eine gute Mästung für die
Schweine und liefern auch ein brauchbares Oel.
4. Die Kastanie (nicht zu verwechseln mit unserer Roßkasta- \
nie) in Süddeutschland und Südeuropa hat wohlschmeckendeFrüchte.
5. Ordnung. Külsentragende Daume.
>. Die Accacie in Aegypten liefert das arabische Gummi,
das von den Arabern gegessen und in der Arznei, zur Farben-
und Dintebereitung, zum Steifen mancher Zeuge rc. gebraucht
133
wird. Die bei uns wachsenden sogenannten Attacken gehören
eigentlich der Gattung Robinie an und sind Zierbaume mit ge-
fiederten Blattern, dornigen Aesten und weißen oder rosenrothen
Blüthentrauben.
2. Der Brasilienbaum in Ostindien hat rothbraunes Holz,
das sich gut Policen läßt und eine rothe Farbe giebt. Das eben-
falls rothfärbende Fernambukholz kommt vom Fernambnkbaum
in Südamerika.
3. Der Campechebaum in den wärmeren Ländern Ame-
rikas liefert das dunkelrothe Blauholz, das zum Schwarz- und
Violettfärben und in der Arznei gebraucht wird.
4. Der Iohannisbrotbauin jm Orient und in Südeuropa
trägt eßbare Hülsen, von denen sich Johannes der Täufer in der
Wüste ernährt haben soll.
tz 82.
6. Ordnung. Kapfcltragende Däunie.
1. Die Linde, ein starker, großer Baum mit schöner, blätter-
reicher Krone, wächst an Straßen, in Dörfern, selten in Wäl-
dern, erreicht ein Alter von vielen hundert Jahren, und es giebt
berühmte hohle Linden von ungeheurem Umfange, gewöhnlich 60
bis 80' hoch. Die Blätter sind herzförmig. Die grünlichgelben,
wohlriechenden Blüthen haben einen tief ütheiligen Kelch, eine
3blättrige Krone, mehr als 20 Staubgefäße, einen deutlich 5fä-
cherigen Fruchtknoten mit verlängertem Griffel und verdickter
Narbe, und der Blumenstiel ist großentheils mit einem eigen-
thümlichen Nebenblatte verwachsen. Die beerenartige, erbsengroße
Kapsel ist lederartig, meist einsamig, mit 4 verkümmerten und
verdrängten Fächern. Die Samen enthalten Oel; die Blüthen
geben den Bienen viel Nahrung und werden häufig als Thee
getrunken, um Schweiß zu treiben oder den Krampf zu stillen;
den schleimigen Bast legt man auf Wunden und Geschwüre;
noch häufiger benutzt man ihn zu Binden und Matten (Bast-
decken), das weiße, weiche Holz zu Tischler-, Drechsler- und
Schnitzarbeiten, Bleistifteinfassungen rc., die Kohlen zu Zahnpulver
und zum Zeichnen. Die Wasserlinde grünt und blüht einige
Wochen früher als die Steinlinde, hat auch größeres und
helleres Laub.
2. Die Roßkastanie, aus Persien nach Europa gekommen,
ist ein hoher Baum mit siebensingerigen Blättern und aufrecht-
stehenden, weißen Blüthentrauben, jede Blume mit 7 Staubge-
fäßen. Die Früchte dienen hauptsächlich den Kindern zum Spie-
len, aber auch als Viehfutter, und das Holz ist ebenfalls brauch-
bar. Die zusammenziehende Rinde enthält Gerbestoff.
3. Der Buchsbaum, ein immergrünes, 10 bis 15' hohes
Bäumchen in Südeuropa, in unsern Gärten ein niedriger Strauch
134
zum Einfassen der Gartenbeete (in manchen Gegenden fälschlich
Wintergrün genannt), liefert ein hartes, schweres Holz, das zu
Kegelkugeln, Büchsen, Bechern, Holzschnitten, Flöten und andern
Blaseinstrumenten und nebst den Blättern auch in der Medizin
gebraucht wird.
4. Der Mahagonybaum in Amerika liefert das schönste
und festeste Holz zu Hausgeräthen und zum Schiffbau, weil es
vom Wurme nicht angegriffen und von Kanonenkugeln nicht zer-
splittert wird.
5. Der Fieberrindenbaum auf den Anden in Peru liefert
die wohlthätige und berühmte Fieber- oder Chinarinde, welche
man erst seit 200 Jahren in Europa kennt und anfangs mit
Gold aufwog.
6. Der Cacaobaum, ein Bäumchen oder Strauch in den
sumpfigen Wäldern von Guiana, trägt gurkenförmige Kapseln
mit bohnenartigen Kernen (Cacaobohnen), aus denen Chokolade
bereitet wird.
7. Der Federharzbaum in Südamerika hat einen Milch-
saft, welcher verdickt das bekannte Gummi elasticum für Zeichner,
zu Schuhen rc. liefert.
. §. 83.
7. Ordnung, /lügeifruchttragende Iäume.
A. Laubbäume.
1. Die Birke, ein Waldbaum mit schneeweißer Rinde und
straffen, abstehenden Zweigen, hat meist dreieckige oder rhombische,
fast eirunde, zugespitzte, doppelt gesägte kahle Blätter und
männliche und weibliche Blumen in besonderen Kätzchen. Die
männlichen Kätzchen sind walzenförmig und haben schildförmige
Träger, welche an jeder Seite ihrer Platte kleine Schuppen, un-
ter diesen und der Spitze der Platte 3 Schuppen in einer Äuer-
reihe haben (jeder Träger ist dreiblumig, und die Blumenhülle
eine Schuppe). Die weiblichen Blüthenkätzchen sind walzen- oder
eiförmig, die Schuppen dreitheilig und haben in ihren Winkeln
je 2 Fruchtknoten, jeder mit 2 borstenförmigen Griffeln. Die
Frucht ist eine einsamige, an beiden Seiten breite, kleine Flügel-
frucht. Das weiße Holz wird zu Möbeln verarbeitet und auch
als Brennholz sehr geschätzt Aus der Rinde bereitet man den
Birkentheer (Daggert oder schwarzen Degent), der dem Juften
oder Juchten seinen Geruch giebt. Der Saft, welchen man dem
Baume im Frühjahre abzapft (Birkwasser), liefert ein weinartiges
Getränk, und aus den Blättern bereitet man eine schöne gelbe
Farbe (Schüttgelb). — Die Hängebirke hat schlaffe, hängende
Zweige und glatte Blätter. j
2. Die Esche, ein hoher, schöner Baum mit geflederten
Blättern und grauer Rinde, in ganz Europa wachsend, liefert
i
135
weißlich gelbes, zähes Holz zu allerlei Haus- und Ackergeräts),
Brennholz und Kohlen. Aus der in Südeuropa wachsenden
Manna-Esche fließt ein in der Arznei gebräuchlicher süßer
Saft, das Manna.
3. Der Ahorn oder Leinbaum, in Europa's Wäldern nicht
selten, hat 5lappige, zugespitzte Blätter und weißes, zähes Holz,
das zu Tischen, Sätteln, Spindeln, Wanduhren, Tellern, Löffeln,
Spielzeug rc. verarbeitet wird. — Der Feld-Ahorn oder Maß-
holder hat hartes Holz für Drechsler, Schösse zu Pfeifenröh-
ren, Wurzelmaser zu den berühmten Ulmer Pfeifenköpfen k. —
Der Zucker-Ahorn in Südamerika liefert viel Zucker.
4. Die Rüster oder Feld-Ulme an Waldrändern und um
Dörfer in ganz Europa hat auf ihren am Stiele ungleichen
Blättern oft Blasen, welche die Ulmen-Blattlaus verursacht. Das
harte, zähe Holz wird zu Achsen, Pressen, Mühlrädern rc. ge-
braucht. Ihr ähnlich ist die langstielige Ulme.
B. Nadelbäume.
5. Die Kiefer, Föhre oder der Kienbaum (in vielen Ge-
genden fälschlich Fichte genannt), ein hoher Baum mit quirlför-
migen Aesten und paarweis beisammenstehenden, langen Nadeln,
bildet in den Sandebenen des nördlichen Europa's große Wäl-
der, wächst schnell und soll über 400 Jahre alt werden. Die
männlichen Blumen haben statt der Blumenhülle einige Schup-
pen, sehr viele Staubgefäße mit verwachsenen Fäden, eine läng-
liche Aehre oder ein Köpfchen bildend. Die weiblichen Blumen
bilden Kätzchen mit gedoppelten, ziegelartig sich deckenden Schup-
pen , in deren Winkel 2 Fruchtknoten, jeder mit einem pfriem-
lichen Griffel, befindlich sind. Die Frucht ist ein eirund - kegel-
förmiger Zapfen, welcher in den Winkeln der holzig gewordenen
Schuppen 2 geflügelte Samen trägt. Das Kiefernholz ist das
häufigste und nützlichste Nadelholz, denn es giebt die schönsten
Masten, Bauholz, Brennholz, Kienspan, Leuchtspan, Kienruß,
Terpentin, Colophonium öder Geigenharz, Theer und Pech. Die
sogenannten Fichtensprossen kommen an manchen Orten ins Bier
und sind auch arzneilich. Die große Menge des Blüthenstaubes
hat zur Sage von dem Schwefelregen Veranlassung gegeben; er
wird statt des Bärlappsamens zum Einstreuen gebraucht.
6. Die Weymuthskiefer mit schlaffen, 4" langen, fast
dreieckigen, bläulichgrünen Nadeln, walzigen, 6" langen, lockeren
Zapfen, wird ein ungeheurer Baum, gegen 200' hoch, bildet
große Wälder in Nordamerika, liefert die schönsten Masten und
kommt bei uns in Lustgärten vor.
7. Die Fichte oder Rothtanne, ein hoher, zapfentragender
Waldbaum mit 4kantigen einzelnen Nadeln, liefert nutzbares
Holz und Harz zu Pech.
136
8. Die Weißtanne hat aschfarbige Rinde, einzelnstehende,
flache Nadeln, wächst ebenfalls sehr hoch und giebt Holz zu Ge-
bäuden, Schiffen, Brettern, Saiteninstrumenten und auch viel
Harz.
9. Der Lärchen- oder Lerchenbaum, dessen Nadeln in
Büscheln stehen, findet sich auf den Gebirgen des südöstlichen
Europa und Sibiriens und liefert Terpentin. Bei uns wird er
in manchen Lustgärten angetroffen.
10. Die Ceder auf dem Libanon und Kaukasus wird sehr
alt und hat feines, wohlriechendes und sehr dauerhaftes Holz.
§. 84.
8. Ordnung. Nacktsamige Däume.
1. Die Weide hat sehr viele Arten, Bäume und Sträucher,
die alle feuchten Boden lieben, meist gesägte, doch auch ganzran-
dige, lanzettliche, eirunde oder elliptische Blätter und Blüthen-
kätzchen mit getrennten Geschlechtern haben. Die männlichen
Kätzchen befinden sich aus besonderen Bäumen, eben so die weib-
lichen. Jede Blume hat statt der Hülle nur eine Schuppe, in
deren Winkel sich eine Honigdrüse befindet. Die Zahl der Staub-
gefäße ist bei den verschiedenen Arten 1, meist 2, auch 3, sel-
tener 5 bis 9. Dem Stempel fehlt der Griffel, oder er ist meist
sehr kurz, seltener verlängert, mit 2 einfachen oder getheilten
Narben. Die Kapsel ist einfächerig, zweiklappig, und die Samen
sind mit langer, weißer Wolle besetzt. Die stärkeren Aeste dienen
zn Faßreifen, die dünnen Zweige zum Binden und Korbflechten;
Die Rinde ist arzneilich, und aus den Blüthenkätzchen holen die
Bienen Honig. Außerdem dienen die Weiden zur Befestigung
der Ufer, und ihr Holz giebt Brennholz.
2. Die Pappel, ebenfalls in vielen Arten, hat auch weiches
Holz und Kätzchenblüthen, aber herzförmige Blätter. Die der
Silberpappel sind auf der Unterseite weißsilzig. Die hohe und
schlanke Pyramidenpappel pflanzt man häufig an Kunststraßen
und vor die Häuser. Die Espe oder Zitterpappel hat lang-
gestielte Blätter, welche beim schwächsten Luftzuge zittern.
3. Die Erle, Else oder Eller, ein ziemlich hoher Baum,
der in ganz Europa und dem nördlichen Afrika an feuchten Stellen
wächst, hat länglichrunde, etwas klebrige Blätter und Kätzchen-
blüthen. Das röthliche Holz ist besonders beim Wasserbau nützlich,
und die Rinde dient zum Schwarzfärben und Gerben.
4. Der Feigenbaum in wärmeren Ländern trägt seine
Blümchen in der birnförmigen Frucht. Die lappigen Blätter,
wie die meisten Theile des Bäumchens enthalten einen scharfen
Milchsaft, aber die Früchte sind wohlschmeckend und gesund.
137
§. 85.
Zweite Klasse.
Sträucher.
Sträucher heißen diejenigen Pflanzen, bei denen aus einer
Wurzel mehrere holzige Stämme kommen, oder deren Stamm
sich gleich von unten an in Tiefte theilt. Sie dauern viele Jahre.
Manche Baumarten können sich in einem ungeeigneten Boden
oder Klima nicht gehörig entwickeln und bleiben dann Sträucher,
wie das Krumm- oder Knieholz, die Zwergkiefer rc. Halbsträucher
pflegt man wohl diejenigen zu nennen, welche kaum die Höhe
eines Fußes übersteigen.
1. Ordnung. Sträucher mit Steinfrüchten.
1. Der Kellerhals oder Seidelbast (Kdrfr. l. Anh. IX.
1. S. 30-1.) in den Wäldern des nördlichen Europa, hin und
wieder als Zierpflanze in Gärten, wird gewöhnlich nur 2 bis 5,
zuweilen aber auch 12 bis 16' hoch, hat eine holzige Wurzel mit
vielen zaserigen besten und bräunlicher Rinde. Die Zweige stehen
fast aufrecht, sind gelbbraun und zähe, und die Blätter breit
lanzettlich, ganzrandig, kahl, nach unten in einen kurzen Stiel
verschmälert und anfangs büschelweise, später zerstreut sitzend. Die
Blüthen sind kelchlos, einblättrig, vierspaltig, psirsichblüthfarben,
brechen paarweis oder gedreit hervor und bilden längs der Zweige
gedrungene, einfache Aehren. Später zeigen sich erbsengroße,
scharlachrothe Beeren. Schon der Geruch der Blüthen verursacht
Kopfweh; die Beeren und die Rinde erregen auf der Zunge ein
scharfes Brennen, und ein übermäßiger Genuß dieser Theile zieht
heftige Schmerzen in den Unterleibsorganen, starkes Erbrechen,
Entzündung des Magens und der Gedärme und wohl auch,
wenn nicht schnell die zweckdienlichste Hülfe geleistet wird, den
Tod nach sich. Dessen ungeachtet liefert dieser Strauch kräftige
Arzneimittel.
2. Der rothe Hartriegel in ganz Europa hat weiße Blü-
then, länglichrunde Blätter, im Herbste rothe Zweige und weißes,
festes Holz, das zu Radspeichen, Badestöcken, Pfeifenrohren,
Schuhzwecken (Speilern) und feinen Drechslerarbeiten brauchbar
ist. Der gelbe Hartriegel oder die Kornelkirsche, ein 15
bis 20' hoher Baum, liefert eßbare Früchte.
§ «6.
2. Ordnung, beerentragende Sträucher.
1. Der Weinstock oder die Rebe, ursprünglich im wär-
meren Asien, jetzt beinahe auf der ganzen Erde angebaut, wo
ihm nur irgend das Klima zusagt. Die Trauben werden ge-
138
gessen, meistens jedoch zu Wein, Weingeist und Esstg benutzt.
Der junge, noch süße Wein heißt Most; aus diesem entwickelt
sich Kohlensäure, setzt sich Hefe und Weinstein ab. Die nach
dem Auspressen in der Kelter zurückbleibende Masse der Häute
heißt Trestern oder Trebern. Aus diesen brennt man Brannt-
wein, Treberwasser, macht durch Aufgießen von Wasser den
schwachen Wein, Lyren, fürs Gesinde, oder giebt sie den Schweinen.
Aus dem Weine wird unmittelbar der Weinessig und Wein-
geist, ganz entwässerter Alkohol, bereitet. Die Weinhefe kommt
in feines Backwerk, oder liefert den Franzbranntwein (Cognac).
Aus dem Weinsteine, der sich an die Wände der Fässer setzt,
gewinnt man den gereinigten Weinstein und die Wein-
steinsäure, welche in der Arznei gebraucht wird. Am Mittel-
meere, besonders in Griechenland, trocknet man eine kleine Trau-
benart und versendet dieselbe unter dem Namen Korintbeln
oder kleine Rosinen. Aus Syrien und Spanien kommen die
Cybeben oder großen Rosinen. Das Rebholz und die ver-
brannten Trestern geben gute Buchdruckerschwärze und blaue Farbe.
Aus den Kernen preßt man Oel gegen den Durchfall, und aus
den Reben macht man Spazierstöcke.
2. Der Johannisbeerstrauch, wild und angepflanzt, hat
lappige Blätter und rothe oder weiße, säuerliche Beeren, welche
Trauben bilden und theils zu Wein und Essig benutzt, theils roh
oder eingemacht gegessen werden.
3. Der Stachelbeerstrauch, selten wild, aber häufig in
Gärten, unterscheidet sich vom vorigen durch die Stacheln, klei-
nere Blätter und größere, längliche Beeren, die einzeln stehen
und eben so benutzt werden wie die Johannisbeeren.
4. Der Himbeerstrauch, in Europa's Wäldern und ange-
pflanzt in Gärten, ist auch stachelig und trägt zusammengesetzte
rothe Beeren, welche theils roh gegessen, theils zu Sprup, Essig
u. dgl. benutzt werden.
5. Die Brombeere oder Kratzelbeere, mit der Himbeere
zu einer Gattung gehörend, hat schwärzliche, eßbare Beeren.
0. Der Hollunder oder schwarze Flieder wächst wild in
Gärten, hat weiße Blüthensträuße (Afterdolden) und schwarze
Beeren. Die etwas betäubenden Blüthen sind schweißtreibend,
als Umschläge zertheilend, enthalten Oel, Harz, Gerbestoff und
Schwefel. Die Beeren schaden den Hühnern; das daraus be-
reitete Muß (Fliederkreide) ist ebenfalls ein gutes Schwitzmittel
und wird auch an die Fischbrühe gethan. Die Afterdolden nimmt
man zu der sogenannten Fliedermilch. Die hohlen Zweige geben
Knallbüchsen und Spritzen für die Knaben, die dünneren Weber-
spulen. Das Mark liefert Hollunderkügelchen zur Elektrisirma-
schine, Stehaufe rc. Das gelbe Holz wird von Tischlern und
Drechslern gesucht.
139
7. Der Sauerdorn oder die Berberitze, ein zierlicher
Strauch, selten ein kleiner Baum, in Europa, Nordasien und
Nordamerika, hat dreifache Stacheln, gelbe Blüthentrauben und
rothe Beeren, die sehr sauer schmecken, statt des Zitronensaftes
gebraucht werden können und mit Essig eine rothe Dinte geben.
Die gelbe, bitter schmeckende Wurzel dient als Abführmittel gegen
die Gelbsucht, die säuerlichen Blatter zur Stärkung des Zahn-
fleisches, die Rinde zum Gelbfärben des Safsians, das gelbe Holz
zu eingelegten Arbeiten, der Strauch zu Zäunen und als Zier-
strauch in Anlagen. Man glaubt, daß sein häufiger Rost den
Brand im Getreide verursache.
8. Der Schneebällen, meist in Gärten angebaut, hat weiße,
kugelförmige Blüthensträuße.
9. Der Rosenstrauch mit sehr vielen Arten, von denen die
meisten wegen ihrer schönen, wohlriechenden und gefüllten Blumen
zur Zierde gehalten werden, trägt die Hagebutten oder Han-
butten, welche, von den Borsten und Samen gereinigt, ge-
kocht und zu Brühen, auch mit Zucker eingemacht, als ein Labsal
für Kranke benutzt werden.
10. Der Wachholder im ganzen nördlichen Europa riecht
stark, hat dachziegelartig gestellte Nadeln. Das harte, feine Holz
dient zu Kunstarbeiten und zum Räuchern. Die Beeren werden
ebenfalls zum Räuchern, ferner als Gewürz zu Sauerkraut, zu
dem Wachholderbranntwein und in der Arznei als urintreibendes
Mittel benutzt.
11. Die Heidel- oder Blaubeere, ein Halbstrauch in den
Wäldern des nördlichen Europa, trägt erbsengroße, schwarzblaue
Beeren mit bläulichrothem Safte, die gern gegessen werden so-
wohl rob, wie als Muß gekocht und auf Kuchen; auch werden
sie zu Branntwein und zum Färben des rothen Weines benutzt.
>2. Die Preußelbeere trägt ein Dutzend Blumen in einer
einseitigen Traube, weiß oder röthlich, hernach rothe Beeren,
welche säuerlich und herbe schmecken, aber mit Zucker eingemacht
gegessen werden; man benutzt sie auch als Syrup im Getränk
bei hitzigen Krankheiten, die Blätter gegen Husten und Harn-
krankheiten.
13. Die (der) Mistel, ein hellgrüner, gabelästiger Halb-
strauch auf Waldbäumen, zuweilen auch auf Apfelbäumen, hat
weiße Beeren, aus denen Vogelleim bereitet wird.
14. Der Kaprisolium, auch Geißblatt, Heckenkirsche
und Stretzen genannt, ein kletternder Strauch mit wohlrie-
chenden Blüthen, stammt aus dem südlichen Europa und wird
zu Lauben benutzt.
13. Der Bocksdorn, Teufelszwirn oder die spanische
Weide, ein dorniger Strauch mit langen, hängenden Zweigen
und länglichen, rothen Beeren, bildet Hecken und Lauben.
140
16. Der Jasmin aus Ostindien ist ein Ziergewächs mit
starkriechenden, weißen Blumen.
17. Die Kaper (oder Kapper), deren Blüthenknospen in
Essig eingemacht und als Gewürz in Brühen gebraucht werden,
wächst in Südeuropa und Nordafrika an Mauern und Felsen wild.
§. 87.
3. Ordnung. Nußtragende Sträucher.
1. Der Haselstrauch in den Gebüschen Europa's tragt rund-
lich herzförmige, kurz steifhaarige Blätter, die männlichen Blumen
in walzenförmigen Kätzchen an der Spitze der Zweige und seit-
wärts auf ästigen Stielen. Der Träger ist verborgen 3 lappig
und hat auf der Oberseite 8 Staubgefäße. Die weiblichen Blu-
men sind, etwa 12, in einer aus vielen Schuppen bestehenden
Knospe eingeschlossen. Die Blumenhülle ist außerordentlich klein,
kaum sichtbar, einblättrig, einblumig. Der Fruchtknoten ist sehr
klein, zweifächrig, mit 2 Eierchen. Die beiden borstenförmigen
Griffel von allen in einer Knospe eingeschlossenen Blumen ragen
als ein rother Pinsel hervor. Die Frucht ist eine einfächrige,
einsamige, von der bedeutend vergrößerten, am Rande unordent-
lich zerfetzten Blumenhülle mehr oder weniger eingeschlossene,
nahrhafte Nuß. Das Holz gebrauchen die Böttcher und Korb-
macher, und die Kohlen dienen zu Schießpulver und zum Zeichnen.
2. Der Lambertusnußstrauch, welcher zu derselben Gat-
tung gehört, wächst im südlichen Eurpa wild und wird bei uns
häufig angebaut.
4. Ordnung. Sträucher mit Sülfcnfrüchtcn.
1. Der Vlasenstrauch, dessen Blätter unter die Sennes-
blätter gemischt werden, trägt blaßgelbe Blüthen und Hülsen,
die mit einem Knalle zerplatzen, wenn man sie drückt.
2. Der Indigo in Ost- nnd Westindien liefert die blaue
Jndigofarbe.
3. Das Süßholz am Mittel-und schwarzen Meere, manns-
hoch, der Accacie ähnlich, hat eine süße Wurzel, welche durch
Auskochung und Eindickung den Lakritzensaft liefert.
3. Ordnung. Kapseltragcnde Sträucher.
1. Der Spindelbanm» das Pfaffenhütchen oder Zwick-
holz in den Laubwäldern Europa's, 8 bis 12' hoch, hat läng-
liche Blätter, grünliche Blüthen und rosenrothe Samenkapseln,
welche Brechen erregen. Das gelbe Holz gebrauchen Drechsler
und Schuhmacher (Kdrfr. I. IX. 2.).
2. Der spanische Flieder kam 1560 aus Kleinasien nach
Deutschland, wo er jetzt einer der gemeinsten und schönsten
141
Sträucher, oft ein 20' hohes Bäumchen in Gärten ist, das uns
durch seine wohlriechenden Blüthen erfreut. Seit dem Anfange
dieses Jahrhunderts finden sich die spanischen Fliegen sPflaster-
käser) in Menge auf demselben ein.
3. Der Snmpsporst (IX. 4.) oder wilde Rosmarin wächst
aus Torfwiesen, hat weiße Blumen, ist betäubend, wird aber
gegen Keuchhusten, Bräune und Hautkrankheiten gebraucht.
4. Das Heidekraut, ein Halbstrauch in Nadelholzwäldern,
oft in meilenweiten Strecken, trägt blaßrothe, glockenförmige
Blumen, die ein gutes Bienenfutter abgeben. Das Kraut fressen
die Schafe.
5. Der Baumwollenstrauch in Ost- und Westindien, am
Mittelmeere rc. enthält in feinen Samenkapseln die bekannte
Baumwolle. Eine Art in Ostindien hat gelbe Samenwolle,
welche den echten ostindifchen Nankin liefert.
6. Der Theestrauch, dessen Blätter ein fast allgemein be-
liebtes Getränk liefern, ist in heißen Ländern, namentlich in
China nnd Japan zu Hause, und es werden jetzt jährlich über
400,000 Ctr. nach Europa gebracht.
7. Der Maniokstranch, in Südamerika wild, in Asien
und Afrika angebaut, mannshoch, hat eine knollige Wurzel, von
der ganze Völkerschaften leben, wie bei uns von den Kartoffeln.
8. Die Brechnuß, zu derselben Gattung gehörig, wächst an
Flüssen in Westindien und Südamerika, angebaut in Ostindien
und trägt in einer nußartigen Kapsel 3 Samen wie Bohnen,
welche süßlich schmecken, aber Purgiren und heftiges Erbrechen
erregen.
6. Ordnung. Sträucher mit nackten Samen.
1. Der Rosmarin, in Südeuropa und Asien wild, bei uns
in Gärten und Töpfen, riecht stark, hat schmale Blätter und
blaue oder weiße Blüthen, die arzneilich sind. Auf dem Lande
werden bei Leichen, Hochzeiten rc. die Gäste mit Stengeln von
Rosmarin beschenkt.
2. Der Lavendel, ebenfalls aus Südeuropa, wird bei uns
in Gärten angepflanzt, hat einen vierkantigen Stengel, bläuliche
Lippenblumen und liefert Arznei.
§. 88.
Dritte Klasse.
Kräuter.
Kräuter sind Pflanzen, die einen oder mehrere nicht hol-
zige, sondern weiche und saftige Stengel mit geaderten Blättern
treiben und meist nur ein oder mehrere Jahre dauern. Im ge-
meinen Leben werden die Sträucher, Stauden und Kräuter nicht
immer gehörig unterschieden. Man spricht von Kartoffelstauden,
142
Staudenroggen rc. In der Pflanzenkunde jedoch haben Sträucher
und Stauden holzige Stämme. Jene besitzen wie die Bäume
nur einen holzigen Stamm, der sich gleich übrr der Erde in Aeste
zertheilt, diese viele holzige Stämme, die aber alle aus einer
Wurzel kommen. Wir haben im vorigen Abschnitte die Stauden
zu den Sträuchern genommen, und hier trennen wir wieder die
zwiebelartigen Gewächse, welche sich durch ungeaderte, geradstreifige
Blätter auszeichnen, von den Kräutern, um so den allmäligen
Uebergang von dem alten System zu dem natürlichen anzubahnen.
I. Ordnung, beerentragende Kräuter.
I. Die Erdbeere oder Besinge lHdb. I. §. 11. Kdrfr. I.
Nr. 28.) blüht im April und Mai, reift im Juni und findet
sich in Wäldern und Gebüschen durch ganz Europa. Die aus-
dauernde Wurzel ist braun, liegt wagrecht in der Erde und treibt
außer dem Stengel und den Blättern viele starke Wurzelfasern.
Gewöhnlich kommen neben langen, bald wurzelnden Ranken meh-
rere Schafte aus einer Wurzel. Diese sind 3 bis 4" lang, auf-
recht, stielrund, von ausgebreiteten Haaren zottig und zertheilen
sich nur oben in mehrere Blumenstiele. Die Blätter sind auf der
Oberfläche mit einzelnen Haaren besetzt, auf der untern fast sei-
denartig und blaßgrün. Die Wurzelblätter sind langgestielt und
dreizählig, die einzelnen Blättchen eingeschnitten-sägenartig mit
fast stachelspitzigen Sägezähnen, von denen der äußerste etwas
länger ist als die beiden nebenstehenden. Das gipfelständige ist
fast rautenförmig, die seitenständigen dagegen sind trapezförmig-
eirund. Das gestielte Blüthenblatt ist entweder einfach oder drei-
zählig, den Wurzelblättern ähnlich. Die rinnenföcmigen Blatt-
stiele sind mit zottigen, ausgebreiteten Haaren besetzt. Die Blu-
men bilden fast eine Doldentraube, stehen an den Gipfeln der
Stiele und sind meist höher als die Blätter. Die Blumenstiele
sind mit abstehenden Haaren besetzt, an den Zertheilungen mit
gegenüberstehenden, lanzettförmigen Nebenblättern begabt, die
Blumenstielchen aber mit angedrückten Haaren. Der Kelch be-
steht aus einer einblättrigen, zehnspaltigen, bleibenden Blüthen-
decke, deren spitzige Zipfel wechselsweise außen und innen liegen.
Die äußeren Zipfel find lanzettförmig, die inneren eirund, alle
aber bei der reifen Frucht zurückgeschlagen. Die rosenartige Krone
hat 5 rundliche, weiße, dem Kelche eingefügte Blätter. Die Zahl
der pfriemenförmigen Staubfäden, die dem Kelche eingefügt und
kürzer als die Krone sind, beträgt gewöhnlich 20, seltener 15
oder 25. Ihre Kölbchen sind eirund, länglich, herzförmig und
zweisächerig. Die Stempel bestehen aus vielen sehr kleinen,
länglichen, etwas schief gebogenen, einen Kopf bildenden Frucht-
knoten, seitenständigen, etwas einwärts gebogenen Griffeln und
einfachen Narben. Die Frucht hat keine Hülle. Der fast kugelrunde,
saftig-fleischige, abfallende, entweder rothe oder weiße Samen-
143
träger stellt eine Beere dar. Die Samen sind vielzählig, klein,
schief-rundlich-eirund, stumpf zugespitzt, auf dpr Oberfläche des
fast kugelrunden Samenträgers zerstreut, in dieselbe etwas ein-
gesenkt. Die Beeren werden von Kindern und armen Leuten
gesammelt und in Körbchen, kleinen Töpfen, Krügen, Schüffeln
oder dütenarlig zusammengeschlagener Rinde zum Verkauf in die
Städte getragen. Sie sind nicht bloß das erste Obst, sondern
gehören auch zu dem schmackhaftesten, erfrischendsten und gesun-
desten. Man ißt sie roh, sowohl mit Zucker und Wein, als auch
mit Milch, läßt sie gähren und macht Wein, Essig und Brannt-
wein daraus. Die jungen Blätter können statt des chinesischen
Thee's benutzt, und die gequetschten Beeren auf erfroreene Glieder
gelegt werden.
2. Die Kartoffel, durch den Engländer Franz Drake 1585
aus Amerika nach Europa gebracht, ist jetzt das wichtigste Nah-
rungsmittel für Menschen und Vieh. Aus den Knollen macht
man auch Mehl, Stärke (Kraftmehl) und Branntwein. Die
grünen Samenbeeren sind giftig (Kdrfr. I. S. 30-1. Anh. IX. 12.).
3. Der schwarze Nachtschatten wächst in Gärten, an
Wegen, Mauern, auf Schutthaufen, blüht weiß und trägt schwarze,
giftige Beeren (lX. !0.).
4. Der kletternde Nachtschatten ist staudenartig, trägt
rothe, giftige Beeren, liefert aber in seinen Zweiten einen blut-
reinigenden Thee (lX. II.). Beide Nachtschattenarten gehören
mit der Kartoffel, die in der Pflanzenkunde auch knolliger
Nachtschatten heißt, zu einer Gattung.
5. Der Krapp oder die Farberröthe wächst im südlichen
Europa wild, wird aber häufig angebaut und mit der Wurzel
wird roth gefärbt. Die Blüthen sind gelb. Das Kraut freffen
die Kühe; H"rn, Speichel, Schweiß und Milch sollen aber roth
davon werden.
6. Die Judenkirsche wächst in wärmeren Ländern wild,
wird aber bei uns unter dem Namen Ananaskirsche in Blumen-
töpfen gezogen. Die von dem aufgeblasenen Kelche umgebenen
rothen Beeren schmecken nicht unangenehm.
7. Dir Tollkirsche oder Belladonna, ein hohes Kraut mit
eirunden, auf der Unterseite weißgelblichen Blättern, schmutzig-
röthlichen, violetten Glockenblumen und glänzend blauschwarzen
Beeren, die zwar angenehm schmecken, aber die schrecklichsten Zu-
fälle und, wenn nicht schnelle Hülfe erfolgt, den Tod verursachen,
findet sich in gebirgigen Waldungen Deutschlands und wird in
der Arznei gebraucht (lX. 27.).
8. Das ahrenblüthige Christophs- oder Wanzenkraut
in den schattigen Wäldern und Gebüschen Europa's, trägt weiße
Blüthen in Afterdolden und schwarze Beeren, welche Raserei
und Tod bewirken können (lX. 26.).
144
9. Der Kürbis, ein rankendes, steifhaariges Kraut mit lap-
pigen Blättern, gelben Blumen und sehr großen Kürbisfrüchten,
welche zu Speise und Viehfutter benutzt werden, stammt aus Asien.
10. Die Gurke, eben daher stammend, hat längliche, saf-
tige Kürbisfrüchte, welche unreif auf verschiedene Art zubereitet
und gegessen werden.
11. Die Melone, aus der Kalmücke! stammend, wird bei
uns in Mistbeeten gezogen und hat süßliche Kürbisfrüchte.
12. Die Beistbeere oder der spanische Pfeffer, aus Ame-
rika stammend, in Spanien angebaut, trägt große, rothe Beeren,
welche nebst den Samen als Gewürz an Speisen genommen werden.
13. Die Fackeldistel oder der Cactus, in Mexiko ange-
baut, bei uns in Treibhäusern und Blumentöpfen zu finden, ist
eine sonderbare Pflanzengattung mit vielen, höchst verschiedenen
Arten. Der Stengel besteht aus breiten und kurzen, oder aus
langen, kantigen Gliedern und trägt zwar keine Blätter, aber
meist schöne Blumen und eßbare Früchte.
14. Die Passionsblume, wild in Brasilien, wird bei uns
wegen der ausgezeichnet schönen Blume in Töpfen gezogen.
15. Die Tormentille auf Hügeln, in Gebüschen und auf
Weiden hat gelbe Blumen, ein zusammenziehendes, stärkendes
Kraut und eine herbe Wurzel, die vielen Gerbestoff enthält.
§. 89.
2. Ordnung. Schotentragende Kräuter.
1. Die Brunnenkresse wächst in Bächen und Gräben, vor-
züglich an Quellen und blüht vom Mai bis in den September.
Die faserige Wurzel treibt einen am unteren Theile gestreckten,
dann aufwärts gebogenen Stengel, welcher eckig, kahl, röhrig,
ästig, in den Blattachseln, vorzüglich in den unteren, Wurzeln
treibend, 1' und darüber hoch ist. Die gefiederten, kahlen Blät-
ter stehen wechselsweise. Die Fiedern sind gezähnt-ausgeschweift;
die seitenständigen sind rundlich, die gipfelständigen am Grunde
meist herzförmig. Die vielblumigen Blüthentcauben stehen auf-
recht, einzeln an den Gipfeln des Stengels und der Aeste. Die
zuerst sich entfaltenden Blumen erheben sich kaum über die Blät-
ter. Die Blumenstielchen sind beim Blühen abwärtsstehend,
später ausgespreitet oder gar etwas zurückgeschlagen. Der ab-
fallende Kelch hat 4 eirund-längliche, stumpfe, etwas vertiefte,
abwärtsstehende Blättchen. Die Krone besitzt 4 kreuzförmige und
abwärtsstehende Blätter, welche umgekehrt-eirund, zugerundet
und schneeweiß sind und sich in einem grünen Nagel endigen.
Die Honiggefäße bestehen aus 4 umgekehrt - eiförmigen Drüsen,
2 an jeder der beiden Seiten zwischen dem kurzen Staubgefäße
und dem Stempel. Die 6 Staubgefäße sind etwas bauchig,
145
langer als der Kelch, 2 gegenüberstehende etwas kürzer, die Staub-
kölbchen länglich, 2fächerig, aufrecht und zitronengelb. Der wal-
zenförmige Fruchtknoten ist etwas bauchig, mit 2 gegenüberste-
henden Längsfurchen bezeichnet. Der bleibende Griffel hat nur
den vierten Theil der Lange des Fruchtknotens, steht mit den
längeren Staubgefäßen gleich hoch und hat eine stumpfe, fast
kopfförmige Narbe. Die 2fächerige Schote, deren 2 Klappen
beim Aufspringen gerade bleiben, ist lang, stielrund, knorrig, ein-
wärtsgekrümmt, langgestielt und aufwärtsgebogen. Die Samen
sind mehrzahlig, länglich und an beiden Enden zugerundet. Die
Blätter, welche im Frühlinge als Salat gegessen und auch in
der Arznei gebraucht werden, sind bitter und scharf, verlieren
aber diese Eigenschaften beim Trocknen. Die Wiesenkresse ist
der Brunnenkresse sehr ähnlich, hat aber schmälere Blätter und
etwas röthliche Blumen.
2. Die Kresse wächst in Aegypten und im Orient wild im
Getreide, bei uns in Gärten, wird V¡¿ hoch, schmeckt etwas
scharf und wird daher als Salat zum Rindfleische gegessen.
3. Der Kohl hat viele Arten, von denen man entweder die
Wurzel oder die Blatter ißt. Dahin gehören z. B. die gemeine
Rübe (Feldrübe), dann der Braun- oder Rothkohl, Weiß-
kohl, Wirsingkohl, Blumenkohl, Grünkohl rc.; ferner
die Kohlrabioder Oberrübe, die Kohlrübe oder Vruke rc.
4. Der Rettig und das Radieschen mit rauhen Blättern
und weißen oder röthlichen Blumen haben spindel- oder kreisel-
förmige Wurzeln, die mit Salz roh gegessen werden. Der wilde
Rettig ist der gelbe Hedrich, welcher auf manchen Aeckern so
häufig erscheint, als wäre er angesäet.
5. Der Senf, von dessen Blumen die Felder oft ganz gelb
aussehen, hat schwarze Samen, die, besonders vom weißen Senfe,
zum Mostrich genommen werden und auch als Pflaster zum
Nöthen der Haut dienen. Vom Hedrich unterscheidet er sich
durch die abstehenden Kelchblättchen und Schoten, die bei diesem
anliegend sind.
6. Das Löffelkraut, am Meeresstrande des nördlichen Eu-
ropa wild wachsend, ist ein gutes Mittel wider den Scharbock.
Hierher gehört auch der Meerrettig, welcher eine fleischige,
einen oder mehrere Zoll dicke, über 1' lange, weiße und ästige
Wurzel hat. Man genießt dieselbe, obgleich sie beißend riecht
und schmeckt, roh und gekocht zum Rindfleische, benutzt sie als
Blasenpflaster, gegen Scharbock, Verschleimung und Wassersucht.
7. Der Waid, welcher in mehreren Gegenden Europa's
wild wächst, aber auch angebaut wird, blüht gelb und giebt,
wenn man ihn gähren läßt, eine blaue Farbe, nicht so schön wie
der Indigo. Aus den Samen preßt man Oel. Die Blätter
benutzt man gegen Geschwüre und Milzkrankheiten.
8. Der Raps und der Rübs, so wie auch die Leindotter
Pechner, H^ndb. 3. Theil. 10
146
(Buttersamen) blühen gelb, werden angebaut und liefern Samen
zu Oel und zum Ärzneigebrauch.
9. Die Nachtviole wird wegen ihres Wohlgeruches in Gär-
ten gepflanzt, wo sie besonders des Abends lieblich duftet.
10. Die Levkoje in mehreren Arten gehört auch zu den
Zierpflanzen, besonders der Goldlack mit gelben, die Winter-
und die Sommerlevkoje mit röthlichblauen und weißen Blumen.
An merk. Die vorstehenden Pflanzen gehören nebst dem Knoblauchs-
krant, Steinkraut, Gänsekraut, Taschelkraut, Hungerblümchen rc.
zur Familie der Kreuzblümler, welche die I3te Linne'sche Klaffe
bilden.
11. Das Schöllkraut hat gelbe Blumen und einen röth-
lichen, ätzenden Saft, der in größeren Gaben betäubend wirkt
(IX. 21.). Es gehört nicht zu den Kreuzblümlern, weil es, ob-
wohl eine vierblättrige Blumenkrone und Schoten, doch nicht 4
lange und 2 kurze, sondern sehr viele Staubgefäße hat.
§. 90.
3. Ordnung. Hülsentragende Krauter.
1. Die Bohne ist ein aufrechtes oder windendes Kraut mit
3zähligen Blättern, 2lippigen Kelchen, schmetterlingsartigen Kro-
nen, an denen das Schiffchen mit den Staubgefäßen schnecken-
artig gewunden ist, und Ifachrigen, 2klappigen, mehrsamigen
Hülsen. Die Zwergbohne (Staudenbohne, Krupb., Zuckerb.,
Franzb., Frühb.) hat einen aufrechten, bis kaum 2' hohen Sten-
gel, der sich nur zuweilen durch Ausartung windet. Die Schnei-
debohne (Schminkb., Stangenb., Schwertb., Krummschnabel)
windet sich, und ihre weißen Blumentrauben sind kürzer als die
Blätter. Die türkische Bohne (vielblumige B., Scharlachb.,
arabische B., Fleischb.) hat große scharlachrothe Blumenkronen
und sehr große Samenkörner. Die Bohnen werben in unsern
Gärten häufig angebaut und sowohl getrocknet zur Speise ge-
nommen, als auch frisch, wenn sie noch jung sind, mit grünen Hülsen,
in welchem Zustande sie nicht wie in jenem den Magen beschweren
oderBlähungen verursachen Schon in frühen Zeiten wurden sie grün
mit Oel und Sardellen gegessen, und die Spartaner sollen sie
bei ihren Abendmahlzeiten mit getrockneten Feigen grün als Nach-
tisch aufgesetzt haben. Die weißen Bohnen werden auch zu Mehl
gemahlen
2. Die Wicke kommt bei uns in vielen Arten vor, von
welchen man besonders die Bohnenwicke oder Saubohne
häufig anbaut, um sie entweder als Futter, oder als Nahrung
für Menschen zu benutzen. Ihre weißen Blüthen, die auf jeder
Seite einen schwarzen Fleck haben, riechen sehr angenehm. Eine
andere Art, die Futterwicke, mit rothen oder blauen Blumen
wird besonders zum Viehfutter angebaut.
147
3. Der Wiesenklee mit seinen rothen Blüthenköpfchen und
gedreiten Blattern wird zu Viehfutter häufig angebaut, ist aber
dem Viehe schädlich, wenn es viel davon frißt. Der kriechende
Klee mit weißen Blüthenköpfen dient besonders zu Schaffutter
und giebt auch den Bienen Nahrung.
4. Der Schotenklee, ebenfalls ein gutes Futterkraut, wächst
auf Wiesen und trägt gelbe Blüthenköpfchen.
5. Die Erbse wird häufig angebaut, um sowohl die ganzen
unreifen Früchte (im gemeinen Leben Schoten genannt), als auch
die unreifen und reifen Samen roh, gekocht und eingemacht
zu essen.
6. Die Linse aus Südeuropa trägt eßbare Samen und giebt
auch Viehfutter.
7. Der Ginster wächst auf Bergen, wird 2' hoch, hat
gelbe Blumen, ist arzneilich und dient zum Gelb- oder Grün-
färben. Eine andere Art ist mit Dornen begabt.
8. Die wohlriechende Platterbse am Mittelmeere, bei
uns in Gärten, hat röthlichblaue, wohlriechende Blumen und
wird von den Gärtnern spanischeWicke genannt. Die Sumpf-
platterbse und die Wiesenplatterbse, welche auf unsern
Wiesen wild wachsen, sind gute Futterkräuter.
9. Die gelbe und die weiße Wolfsbohne, Lupine, aus
Südeuropa haben gefingerte Blätter, welche sich stets nach der
Sonne drehen. Jene hat gelbe, diese weißlichblaue Blumen.
Ihre bunten Samen können statt desKaffee's gebraucht werden.
10. Der blaue Steinklee, dessen Kraut in der Schweiz
vorzüglich in den grünen Kräuterkäse genommen wird, wächst im
südlichen Europa. Der gelbe und der weiße Steinklee kom-
men auch bei uns vor und sind arzneilich.
11. Der Schneckenklee im gemäßigten Europa hat blaue
Blüthentrauben, an der Spitze gezähnte Blätter, wird als ein
gutes Futterkraut häufig angebaut und heißt gewöhnlich Luzerne.
Auch die wild wachsende gelbeLuzerne ist ein gutes Futterkraut.
12. Der Süßklee oder die Esparsette mit rothen Blü-
thentrauben wächst in mehreren Gegenden Europas, besonders
auf kreidigem Boden, wild und ist ein gutes Futterkraut. Der
bewegliche Süßklee in Ostindien ist darum merkwürdig, weil
er von selbst seine Blätter den ganzen Tag aus und nieder
bewegt.
13. Die Peitsche oder Kronenwicke (in manchen Gegen-
den Bitterklee genannt, wie man sonst das Dreiblatt oder den
Fieberklee nennt) hat röthlichweiße Blüthenköpfe und gehört zu
den Giftpflanzen.
Anmerk. Die Hülsenfrüchtler machen die Familie der Schmetter-
lingsblümler und die 17te Linnö'sche Klaffe aus.
10*
148
§• 91.
4. Ordnung. Kapsàagende Kräuter.
A. Die Kapsel hat 1 Fach.
1. Die Schlüsselblume (Hdb. U. S. 109) findet sich fast
in ganz Europa wild, wird aber auch unter dem Namen Pri-
mel in vielen Spielarten gezogen. Die beliebte Aurikel, welche
wild auf den Alpen wächst, gehört zu derselben Gattung.
2. Der Fieberklee, Bitterklee oder das Dreiblatt, eine
sehr heilsame Pflanze, die auf Wiesen und an Gräben im nörd-
lichen Europa wächst, gedreite Blätter und einen Strauß röth-
lich weißer, inwendig zottiger Blumen trägt, schmeckt sehr bitter,
ist magenstärkend und kann auch statt des Hopfens ins Bier
genommen werden.
3. Das Tausendgüldenkraut, ein bitteres, kräftiges Arz-
neipflänzchen, das auf etwas trockenen Wiesen des nördlichen
Europa wächst und im Sommer rothe Blumen trägt, kann eben-
falls die Stelle des Hopfens vertreten.
4. Das wohlriechende Veilchen hat blaue Blümchen, die
schon früh erscheinen. Zu derselben Gattung gehört auch das
Stiefmütterchen, dessen Spielarten in unsern Gärten häufig
sind, und das auch einen heilsamen Thee giebt.
9. Der Mohn wird im Orient zur Gewinnung des Opiums
angebaut, das zwar sehr giftig, aber in der Hand des verständi-
gen Arztes ein kräftiges Âàeimittel ist. Bei uns baut man
ihn wegen der ölhaltigen Samenkörner, deren man in einem
großen Mohnkopfe 32,000 annimmt- Sie werden von den Kin-
dern und Vögeln gern gegessen; auch macht man Brei (Mohn-
striezeln) und Kuchen davon, mischt ihn an Suppen und Klöß-
chen rc. Das Mohnöl steht dem Baumöl am nächsten und wird
von Malern gebraucht, weil es leicht trocknet. Die Klatschrosen
im Getreide sind auch eine Mohnart.
6. Die Nelke hat viele Arten, von denen zwar einige bei
uns, die schönsten und wohlriechendsten aber nur in Südeuropa
wild wachsen.
7. Die Kornrade, ein häufiges Unkraut auf Kornfeldern,
hat recht hübsche rothe Blumen.
8. Der Mauerpfeffer auf trockenen, sandigen Stellen trägt
gelbe Blümchen und hat kleine, dicke Blätter, welche die Warzen
und Hühneraugen vertreiben sollen. Die fette Henne mit
knolligen Wurzeln, und die Hauswurz (Hauslob) gehören auch
hierher.
9. Der Hanf stammt aus Persien und wird vorzüglich sei-
nes Bastes wegen angebaut. Man macht aus demselben Bind-
faden, Stricke, Seile, Zwirn, grobe Gewebe rc. Der Samen,
ein gutes Vogelfutter, liefert Oel und wird auch als Heilmittel
149
angewendet. Die zu 5 stehenden Blätter, so wie die ganze Pflanze
riechen betäubend, und der Saft ist wirklich giftig.
10. Der Tannenwedel hat einen gegliederten Stengel mit
erhabenen Streifen, sternförmig stehende, schmale Blätter und in
den Blattwinkeln je ein Staubgefäß und einen Stempel. Er
wächst häufig an und in Gewässern und wird oft mit dem Schach-
telhalme verwechselt, dem die Blüthen in den Blattwinkeln fehlen.
11. Der Wau auf Lehmboden in Europa hat blaßgelbe,
geruchlose Blumen und wird zum Gelbfärben benutzt. Eine an-
dere Art, die Reseda, welche aus Aegypten stammt, wird bei
uns in Gärten gezogen, weil ihre Blümchen sehr angenehm riechen.
12. Die Schwalbenwurz (IX. 27.) in Laubholzwäldern und
Gebüschen, hat viele weißliche Blumen, lang behaarte Samen in
2 Balgkapseln, wird 2 bis 3' hoch, und ihre Wurzel erregt Er-
brechen, Schweiß und Stuhlgang.
13. Die Malve wächst an Wegen und Zäunen, und ihre
Samen bilden kleine, runde Kuchen, welche die Kinder Katzen-
käschen nennen, und woher das Kraut auch Käsepappel heißt.
Wegen ihres Schleimes wird sie in der Arznei gebraucht.
14. Der Eibisch oder Althee sieht aus wie eine Malve,
hat auch einen doppelten Kelch, doch ist der äußere Ospaltig, wäh-
rend er bei den Malven 3blättrig ist. Benutzt wird er wie die
Malven. Der Rosen-Eibisch mit seinen dunkelrothen, gelben
oder bunten Blumen stammt aus Asien und wird unter dem
Namen Stockrose in Gärten gezogen.
15. Der Schwarzkümmel, eine Küchenpflanze, hat schwarze,
gewürzhafte Samen. Die Damastener Nigelle oder Jungfer
im Grünen gehört zu derselben Gattung und ist ein beliebtes
Gartenpflänzchen.
16. Die schwarze Niesewurz (IX. 27.), deren weiße Blu-
men sich schon unter dem Schnee öffnen, wächst im südlichen
Europa wild und ist giftig. Die Wurzel wird in der Arznei gebrancht.
>7. Der blaue Eisenhut oder Sturmhnt (lX. 27.), in
den Gebirgsgegenden Europa's, zuweilen in Gärten, hat helm-
förmige Blumen und ist giftig, wird aber ebenfalls in der Arznei
gebraucht.
18. Die Erdscheibe in den Wäldern Schlesiens, Böhmens
und Oesterreichs, bei uns in Blumentöpfen, hat eine platte, gif-
tige Wurzel, die den Schweinen unschädlich ist und gebraten auch
von Menschen gegessen werden kann. Nach dem Verblühen der
schönen rothen Blumen drehen sich die Blumenstiele schnecken-
förmig zusammen.
19. Die Kranichschnäbel, Storchschnäbel und Reiher-
schnäbel, von denen einige Arten bei uns wild, die meisten aber
in warmen Ländern wachsen, werden meist als Zierpflanzen in
Blumentöpfen gehalten. Sie tragen fast alle schöne Blumen und
langschnäblige Früchte.
150
20. Der Spark, Spork oder Spergel hat schmale Blatter
in Wirteln, wachst auf sandigen, etwas feuchten Aeckern und
wird hin und wieder als ein nahrhaftes Futterkraut angebaut.
Die Kühe sollen danach mehr und gute Milch geben.
21. Der gelbe oder gebräuchliche Enzian» auch Bitter-
Wurzel genannt, auf den Alpen, hat eine sehr bittere Wurzel,
welche ein kräftiges Arzneimittel liefert.
8- 92.
B. Die Kapsel hat 2 Fächer.
1. Der Stechapfel wächst ursprünglich in Ostindien und
Amerika wild; gegenwärtig aber trifft man ihn durch ganz Eu-
ropa in Dörfern, auf Schuttstellen rc., wo er im Juli und August
blüht. Die einjährige Wurzel ist senkrecht, fast spindelförmig.
Der Stengel wird 2 bis 3' hoch, ist aufrecht, fast stielrund, ge-
zweitheilt, glatt und kahl. Die Blätter stehen einzeln an der
äußeren Seite der Zertheilungen des Stengels, sind gestielt,
eirund, eckig-gezähnt, spitzig, geadert, kahl, auf der unteren Fläche
blasser, mit erhabenen Adern. Die gestielten Blumen stehen
aufrecht und einzeln in den Astachseln. Der Kelch ist röhren-
förmig, ñrippig, ñeckig, Szähnig, etwas bauchig, kahl, fast strahlig
gefaltet und bis gegen den Grund abfallend. Die Krone ist eine
Iblättrige, trichterförmige, weiße, fast walzenartige Röhre, nach
oben zu etwas beckig und mit einem aufrecht-abwärtsstehenden,
Leckigen, Sfaltigen, ñza'hnig-zugespitzten Rande versehen. Die 5
Staubfaden sind fadenartig-pfriemförmig, länger als die Röhre
der Blumenkrone und mit länglichen, zusammengedrückten, stumpfen
Kölbchen begabt. Der eirunde Fruchtknoten ist mit kurzen Borsten
besetzt. Der fadenförmige Griffel hat die Länge der Staubgefäße
und endigt in einer dicken, länglichen, stumpfen Narbe mit 2
dicht zusammenschließenden Lappen. Die Kapsel ist länglichrund,
fast 4seilig, an 2 gegenüberstehenden Seiten mit einer Längs-
furche begabt, dornig, 4klappig, 4fächrig, gegen die Spitze aber
nur 2fächrig, hat nathständige Scheidewände, von denen 2 kürzer
sind als die Kapsel. Die 4 Samenträger sind der Länge nach
an den kürzeren, gegenüberstehenden Scheidewänden angeheftet.
Die zahlreichen Samen sind nierenförmig, aus dem Kaffeebraunen
mehr oder weniger in das Nußbraune fallend.^ Der Genuß des
Samens und der Blätter bringt Betäubung, Sinnlosigkeit, Ra-
serei und den Tod hervor. Gegenmittel sind Oel, Essig und
Brechmittel. Kraut und Samen werden gegen Raserei ange-
wendet (IX. 13 ).
2. Das Bilsenkraut (IX. 14.) an Wegen, Aeckern, Zäu-
nen, auf Schutthaufen durch ganz Europa hat schmutzigweiße,
mit purpurrothen Adern durchzogene oder blaßgelbe Blumen und
große, haarige, buchtige Blätter. Die ganze Pflanze stinkt und
151
ist sehr giftig; denn auf den Genuß folgt Schwindel, Doppel-
sehen, Dunkelwerden vor den Augen, Schlaf mit fürchterlichen
Träumen, Wasserscheu, Zuckungen, Lähmungen, Wahnsinn,
Schlafsucht, Erstarrung und wohl auch der Tod. Schafe, Kühe
und Ziegen fressen sie ohne Nachtheil. Mehrere Aerzte haben
sie in der Gicht, beim Kinnbackenkrampfe und andern Nervenzu-
fällen wirksam gefunden. Aeußerlich hat man die Blätter bei
Verhärtungen und schwer heilenden Geschwüren mit Nutzen ge-
braucht. Die Wurzel, sorgfältig getrocknet und im Hause um-
hergestreut, verscheucht die Mäuse.
3. Der Taback, eine klebrige Pflanze, deren Blätter zum
Rauchen, Schnupfen und Kauen benutzt werden, stammt aus
Amerika, wird bei uns in Menge angebaut und macht jetzt einen
bedeutenden Erwerbs- und Handelsartikel aus.
4. Die Königskerze oder das Wollkraut (X. 12.) an
Wegen und auf Aeckern wird mannshoch, hat gelbe, wollige
Blumen, welche gegen Brustbeschwerden dienen.
5. Der Fingerhut (IX. 9.), welcher in gebirgigen Gegen-
den, in Wäldern und auf kahlen Felsen häufig wächst, hat einen
sehr hohen Stengel und trägt eine Menge schöner, rother oder
gelber Glockenblumen, die inwendig braun gefleckt sind, und deren
Geruchs betäubt. Sowohl der Same als auch die Brühe von
den grünen Blättern ist ein scharfes und tödtliches Gift für Men-
schen und Thiere; indeß wird auch diese Pflanze in der Arznei
gebraucht.
6. Das Krenzblümchen auf Wiesen hat blaue Blümchen,
welche mit einem kleinen Pinsel oder Barte versehen sind, ist
bitter und wird in der Arznei gebraucht (besonders das bittere Kr.j.
7. Der Ehrenpreis (X. 12.) hat viele auch bei uns wach-
sende Arten. An ihren 4theiligen, meist schön blauen Blümchen
ist stets ein Lappen kleiner als die 3 andern. — Der arznei-
liche E. wird als Thee gegen Brustkrankheiten gebraucht.
8. Die Ackerwinde in Feldern und an Wegen hat desto
Ahere Blumen, je lehmiger der Boden ist, auf dem sie wächst.
Die Zaunwinde hat größere, ganz weiße Blumen, und die
dreifarbige Winde ist eine Zierpflanze.
9. Der Wegerich hat mehrere Arten meist mit rosettenar-
tigen Wurzelblältern, welche herbe und bitter sind und daher
gegen Wunden angewendet werden.
8 93.
C. Die Kapsel ist dreifächerig.
1. Die Wolfsmilch (IX. 19.) hat viele Arten mit gelblich-
grünen Doldenblumen auf gabelig 2 oder 3theiligen Strahlen.
Der rundlich-glockenförmige Kelch hat 4 bis 5 kleine, meist ein-
wärts gebogene Zähne. Die Sblättrige Krone (Honiggefäß, Theile
der Blumenhülle) ist meist schildförmig. Zwischen den 8 bis 30
Staubfäden befinden sich schmale, blattartige Körperchen (beson-
derer Kelch). Der gestielte Fruchtknoten ragt beim Blühen hervor.
Die 3knö'psige Kapsel springt elastisch aus. Aus allen Theilen
quillt ein milchiger Saft, welcher Warzen wegbringen soll, beim
Genusse aber heftiges Brechen und Purgiren erregt. Die Sumpf-
Wolfsmilch wendet man gegen die Wasserscheu an.
2. Das ausdauernde Bingelkraut (IX. 20.) in Wäldern
erregt Betäubung und Erbrechen und wird getrocknet blau.
3. Die Rapunzel (Rapünzchen), deren Wurzelblätter im
Frühjahre den gewöhnlichen Feldsalat liefern, wächst auf Aeckern
und Weinbergen und hat einen gabeligen Stengel.
4. Der Baldrian (X. 12.) in Wäldern und an Ufern wird
4' hoch und hat eine gewürzhafte, fast wie Katzenurin riechende
Wurzel, welche häufig bei Nervenkrankheiten angewendet wird.
0. Die Kapsel ist fünffächerig.
1. Der Lein, in Südeuropa wild im Getreide, wird bei uns
und selbst in Liefland häufig angebaut und der Bast zu Flachs
gemacht. Der Stengel ist aufrecht, oben ästig und trägt schmale,
lanzettliche Blätter. Der 5blättrige, bleibende Kelch umschließt
eine 3blättrige blaue, abfallende Krone mit 5 Staubgefäßen und
3 Stempeln. Die Kapsel hat 5 getheilte Klappen (also eigentlich
10 Fächer) und in jedem Fache ein Samenkorn. Die Samen
sind arzneilich und liefern das Leinöl (Kdrfr. I. Nr. HO).
2. Der Sauerklee hat kleine, herzförmige, gedreite Blätter
und weiße oder gelbe Blumen, schmeckt angenehm sauer und
kühlend, wächst in Wäldern und Gebüschen und wird zur Be-
reitung des Sauerkleesalzes angewendet.
3. Die Balsamine hat einen saftigen Stengel, wächst in
Ostindien und China auf Wiesen und wird bei uns in Töpfen
gehalten, wo sie fleißig begossen werden muß.
4. Die Raute, ein strauchartiges Kraut mit fieberigen Blät-
tern und gelben Blumen, am Mittelmeere und in Süddeutschland
einheimisch, wird in Gärten angebaut, riecht sehr stark und un-
angenehm, schmeckt bitter, ist arzneilich und wird auch wie Schnitt-
lauch auf Butterbrot gegessen.
§• 94.
5. Ordnung. Kräuter mit nackten Samen.
A. Mit 1 Samenkorn.
a. Zusammengesetzte Blumen, d. h. mehrere Blüm-
chen sind von einem gemeinschaftlichen Kelche umgeben und bilden
so zusammen eine größere Blume, in welcher aber zu jedem
Blümchen 1 Samenkorn gehört (Familie der Bündner oder Com-
poseen, Linne's 19. Klasse).
153
1. Der Löwenzahn (Kdrfr. I. Nr. 139.) blüht fast das
ganze Jahr hindurch aus Grasplätzen. Die Wurzel ist ausdauernd,
senkrecht, mehr walzen- als röhrenförmig, singersdick, einfach
oder wenig ästig, außen gelblichbraun, inwendig weiß und mit
einem bitteren Milchsäfte reichlich angefüllt. Sie trägt gewöhnlich
mehrere aufrechte oder aufwärtsgebogene Schafte, welche 3 bis
18" lang, stielrund, röhrig, etwas glänzend und hin und wieder
mit einigen leicht abreibbaren Haaren bekleidet sind. Die Blätter
sind sämmtlich wurzrlständig, fast immer rosettenartig ausgebreitet,
4 bis 8" lang, zwar vielgestaltig, doch in der Regel schrotsäge-
förmig, und entweder kahl, oder schwach behaart. Die Zipfel
derselben sind im Allgemeinen dreieckig, ganzrandig oder mit feinen
Zähnchen versehen. Die Hauptblume ist groß, aufrecht, zusam-
mengesetzt, auf einem kahlen, hohl punktirten Boden ruhend und
stets einzeln an der Spitze des Schaftes erscheinend. Der Haupt-
kelch ist doppelt: die inneren Blättchen sind aufrecht und nur an
ihrem oberen Theile etwas ausgebreitet, ferner linealisch und sehr
dicht bei einander stehend; die äußeren Blättchen sind zurückge-
schlagen, lanzettlich und jene am Grunde gleichsam einhüllend.
Die einzelnen Krönchen sind ungemein zahlreich, l blättrig, gold-
gelb und mit Rücksicht auf Form und Geschlecht sämmtlich von
einerlei Art. Ihre Röhre ist sehr lang und von vielen feinen,
aufrecht stehenden Haaren umgeben. Der Saum ist gleich breit,
bandförmig und hat an seiner abgestutzten Spitze meist 5, selten
bloß 3 Zähnchen. Die 5 Staubgefäße ragen hervor, und ihre
Kölbchen sind zu einer Röhre zusammengewachsen, durch welche
der fadenförmige Griffel mit seiner drüsig-feinhaarigen, zurück-
gerollten Narbe geht. Die Früchtchen sind lineal-lanzettlich, zu-
sammengedrückt-viereckig, gereift, etwas scharf und mit einer
langgestielten, aus feinen Haaren gebildeten Samenkrone geziert.
Das Vieh frißt diese Pflanze sehr gern und giebt viel Milch danach.
Wurzel und Blätter dienen gegen Fieber-, Brust- und Haut-
krankheiten, und die jungen Blätter werden als Salat genossen.
2. Der Salat oder Garten-Lattich hat kleine, gelbe Blü-
then, wird häufig angepflanzt und giebt eine geschätzte Speise.
Der wilde Lattich hat senkrechte, auf der Unterseite am Kiele
stachlige Blätter und ist giftig; noch giftiger aber ist der giftige
Lattich (IX. 8.) mit wagrecht stehenden Blättern. Beide wachsen
an Wegen, in Gärten und Dörfern.
3. Die Cichorie mit schön blauen Blumen, von denen
immer 2 dicht bei einander stehen, wächst durch ganz Europa
wild, wird aber auch angebaut und die Wurzel dann unter den
Kaffee genommen.
4. Die Klette, deren stachelige Kelche gern an den Kleidern
hängen bleiben, liefert in ihren Blättern ein Mittel gegen alte
Geschwüre, und die Wurzel ist auch arzneilich.
154
5. Die Krebsdistel hat filzige, grauliche, große Blätter,
die, so wie auch die Kelche, mit starken Stacheln versehen sind,
wächst um Städte und Dörfer und besitzt in ihren Blättern eben
solche Heilkräfte wie die Klette. Die Samen werden von den
Stieglitzen gern gefressen.
6. Die Karden- oder Weberdistel, 3 bis 5' hoch, auf
Rainen, an Gräben und Bächen, von Tuchscherern angebaut,
weil sie die hakigen Kelche zum Rauhen der Tuche benutzen. Blü-
then und Samen werden gegen den Biß toller Hunde angewendet.
7. Die Scharte im nördlichen Europa hat rothe Blüthen
und dient zum Gelbfärben.
8. Der Saflor in Ostindien und Aegypten wird bei uns
hin und wieder angebaut, weil seine Blumen mit Wasser gelb,
mit Weingeist scharlachroth färben.
9. Der Beisuß und der Wermuth (X. 11.) mit ihren
zerschlitzten, bitteren und stark riechenden Blättern unterscheiden
sich dadurch, daß dieser einen mit Haaren besetzten Fruchtboden
und umfassende Blätter hat. Der Beifuß wird als Gewürzkraut
an Gänsebraten genommen, der Wermuth zu Arznei, bitterem
Branntwein rc. Der jüdische Wermuth im gelobten Lande
liefert den Zittwersamen zur Vertreibung der Würmer.
10. Die Kamille oder der wohlriechende Romei (X. 4.)
wächst auf trockenen Aeckern sehr häufig, riecht angenehm und
ist sehr heilsam. Die Randblümchen sind weiß, die Scheiben-
blümchen gelb, und wenn man die letzteren auszupft, so bemerkt
man den hohlen, kegelförmigen Fruchtboden, welcher bei den un-
echten Kamillen halbkugelig ist. — Die Färberkamille hat
ganz gelbe Blumen, welche zum Gelbfärben dienen, und wächst
auf trockenen Hügeln.
11. Die Schafgarbe oder Schafschere (X. 1.) mit zier-
lichen, ebenfalls sehr zertheilten Blättchen und weißen oder röth-
lichen Blumen ist eine häufig vorkommende Arzneipflanze.
12. Das Tausendschön, Maslieb oder Gänseblümchen
wächst auf Triften und wird in Gärten zum Einfassen der Beete
benutzt. Sobald der Schnee geschmolzen ist, treibt es schon seine
Blümchen hervor und blüht dann auch bis in den späten Herbst.
13. Die weiße Wucher-, Johannis- oder große Gän-
seblume mit großen, weiß und gelben Blumen wächst häufig auf
Wiesen und Aeckern und verdrängt nebst der gelben Wucherblume
oft das Getreide.
14. Die Kornblume ist ebenfalls ein häufiges Unkraut, wird
aber wegen ihrer schönen, blauen Blumen doch sehr geliebt.
15. Die Aster aus China und Japan kommt in unsern
Gärten in vielen Spielarten vor und blüht meist im Herbste.
10. Die Artischocke am Mittelmeere, bei uns in Mistbeeten,
wird 2' hoch uud trägt violette Blumen, welche gekocht und mit
weißer Brühe wie Spargel gegessen werden.
17. Die Sonnenblume, aus Amerika stammend, wird in
einem Sommer mannshoch, hat große, gelbe Blumen, die vielen
Samen hinterlaffen zu Oel und zu Futter fürs Federvieh. Eine
Art hat knollige Wurzeln, welche unter dem Namen Erdäpfel
hin und wieder gegessen werden, aber meist als Futter für die
Schweine dienen.
§• 95.
b. Einfache Plumea.
Jede Blume hat ihren besonderen Kelch und Stiel.
1. Die rothe Rübe, Bete oder Mangold ist ein hohes
Kraut mit dicker, fleischiger Wurzel, braungrünen, breiten, roth-
rippigen Blättern und zahlreichen, grünlichen Blumen. Die Blu-
menhülle ist tief 5theilig, und die 5 Staubgefäße sind auf dem
Grunde des Kelches befestigt. Der Fruchtknoten ist halb unter-
ständig, und die Hautfrucht bildet sich im Grunde des bleibenden
Kelches. Die Wurzel giebt eine angenehme Speise, und die
Blätter frißt das Vieh. — Die Runkelrübe hat eine gelbe,
weiße oder geflammte Wurzel, welche Viehfutter, Syrup, Zucker
und Branntwein giebt.
2. Die Melde, ein Küchengewächs mit dreieckigen Blättern,
stammt aus der Tatarei. Die bei uns wildwachsenden Arten
dienen als Viehfutter.
3. Der Spinat, auch nicht selten in Küchengärlen, stammt
ebenfalls auö Asien, ist ein kleines aufrechtes Kraut mit pfeil-
förmigen Blättern und kleinen, grünlichen Blumen in blattachsel-
ständigen Rispen.
4. Das Glasschmalz wächst am Meere und an Salzquellen.
Der Stenael wie die gegenüberstehenden Aeste sind gegliedert, ohne
deutliche Blätter. Das Kraut schmeckt salzig und liefert ein Lau-
gensalz, das zur Bereitung des Glases gebraucht wird; auch
dient die Pflanze als Küchenkraut, Viehfutter, zur Farbenberei-
tung und in der Arznei.
5. Der Knötrich hat viele Arten, meist mit geschwollenen
Gelenken, an denen der Grund des Blattstieles eine Tute bildet.
Hierher gehört der Buchweizen oder bas Heidekorn mit
ro'thlichen Blüthen und piekensörmigen Blättern, dessen Samen
Grütze und Arznei liefert.
6. Der Sauerampfer wächst auf Grasplätzen und ist an
seinem sauren Geschmacke und den pfeilförmigen Blättern leicht
zu erkennen. Er dient zur Bereitung des Sauerkleesalzes, wird
auch als Gemüse gegessen, gegen den Schaebock und faulige
Fieber, der Same gegen den Durchfall angewendet.
7. Die große Breun-Nessel brennt zwar heftig, giebt
aber doch, besonders jung, ein gutes Futter für Vieh und junge
Gänse, dient als Gemüse und liefert, wie Flachs bereitet, ein
schönes Garn, das Nesselgarn und Nesseltuch. Der ausge-
156
preßte Saft dient gegen Blutspeien, der Same als schleimiges
Mittel.
8. Der Hopfen, ein hohes, windendes Kraut mit lappigen,
schärflichen Blattern, trägt Samenblüthen in schuppigen Kätzchen,
mit einem gelben, harzigen Staube bedeckt, welcher dem Biere
jene angenehme, gesunde und nicht zu ersetzende Bitterkeit verleiht.
9. Der Rhabarber, dem Sauerampfer ähnlich, wächst im
mittleren Asten und liefert in seiner Wurzel ein Abführmittel
und auch eine gelbe Farbe.
tz. 96.
6. Mit 2 Samen.
Die Blüthenstiele entspringen alle aus einem Punkte am
Ende des Stengels und der Aeste und bilden eine Dolde. Die
beiden Samen liegen mit der flachen Seite dicht an einander
(Familie der Doldenblüthler, Linne's 2. Ordnung der 5. Klaffe).
I. Der Wasserschierling (IX. 17.) oder giftige Wüth-
rich in tiefen Sümpfen und an den moorgründigen Ufern der
See'n und Flüsse, auch auf Floßholz, blüht im Sommer. Die
ausdauernde Wurzel ist wurzelstockig, dick, fächerig, viele senk-
rechte, ziemlich straffe Wurzelfasern austreibend, die braun sind
und 4 bis 9 Quirle bilden. Die Fächer enthalten einen hellgel-
ben, höchst giftigen Milchsaft, der an der Luft ins Saffrangelbe
übergeht. Der Stengel ist 2 bis 4' hoch, aufrecht, stielrund,
leicht gestreift, kahl, gegen den Grund purpurfarbig, röhrig und
gezweitheilt. Die Blätter sind kahl, die wurzelständigen gefiedert-
vielfach-zusammengesetzt, zuweilen 12" und darüber lang; die
stengelständigen stehen wechselweis; die unteren sind gesiedert-
doppeltzusammengesetzt, die oberen gefiedert-zusammengesetzt. Die
Blättchen sind lanzettförmig und sägenartig; das unpaare ist stets
dreitheilig, die gepaarten aber sind ungetheilt, 2- und drei-
theilig. Die Blattstiele sind stielrund, röhrig, kahl am Grunde
scheibenförmig und mit einem häutigen Rande versehen. Die
Blumen bilden gipfelständige und dem Blatte gegenüberstehende,
zusammengesetzte Dolden. Die allgemeine Dolde ist vielstrahlig
und gewölbt, die besondere vielblumig, fast halbkugelförmig. Die
allgemeine Hülle fehlt; die besondere hat viele linienförmige
Blättchen, von denen die äußeren öfters breiter als die übrigen,
länger als die Döldchen und fast sägenartig sind. Der kaum
. bemerkbare Kelch hat 5 Zähne, die Krone 5 gleiche, eingebogen-
herzförmige, weiße Blätter. Die 5 fadenförmigen Staubfäden
tragen rundliche, zweifächrige Kölbchen. Der fast halbkugelför-
mige Fruchtknoten befindet sich unter dem Kelche und trägt 2
fadenförmige, anfangs aufrechte, dicht an einander liegende, nach-
her auswärts gebogene Griffel mit stumpfen Narben. Die Frucht
ist fast kugelrund, niedergedrückt, mit breiten, wenig erhabenen
157
Rippen versehen, in 2 Hälften theilbar und sowohl mit dem
stehen gebliebenen Kelche, als auch mit den beiden auseinander
fahrenden Griffeln gekrönt. Die beiden Samen sind fast halb-
kugelförmig, auf der gewölbten Seite Srippig, auf der ebenen
mit einer kaum bemerkbaren Längsfurche bezeichnet, jeder an
einem eigenen Samenstielchen befestigt. Der Genuß der ganzen
Pflanze ist nicht nur dem Menschen, sondern auch allen Thieren
höchst gefährlich. Die Wurzel erzeugt Berauschung, Schwindel,
unüberwindliche Neigung zum Schlafe, Wahnsinn, Zuckungen in
den Gliedern, heftige Magenschmerzen, ungemein starkes Klopfen
in der Herzgrube, schwarze Flecken auf der Haut, Blindheit,
Blutfluß aus Nase, Mund, Augen Ohren rc und oft den Tod,
der bisweilen plötzlich erfolgt. Pflanzensäuren sollen das beste
Mittel gegen diese Wirkungen sein. Das Kraut ist übrigens auch
arzneilich.
2. Die Gleiße oder Hundspetersilie (IX. 16.) wird oft
mit der echten Petersilie verwechselt, woraus leicht Unglücksfälle
entstehen können, indem die Hundspetersilie giftig ist. Man
merke daher auf folgende Unterschiede.
Gleiße. Petersilie.
Wurzel, einjährig, nur einen 2 jährig, mehrere Stengel trei-
Stengel treibend, bend.
Stengel, röhrig, schon bei den markig, später entstehend,
jüngsten Pflänzchen bemerkbar,
fast immer mit einem bläulichen
Reife bedeckt,
Blätter, oben matter, dunkler auf beiden Seiten leuchtend,
gefärbt, unten glänzend, ge- blasser, wohlschmeckend und
schmack- und geruchlos, oder riechend,
knoblauchartig riechend,
Allgem. Hülle, fehlend, einblättrig.
Besondere Hülle, einseitig, vielblättrig mit kurzen, borsten-
dreiblättrig, hangend mit linien- förmigen Blättchen,
förmigen Blättchen, die länger
sind als die Strahlen der Döld-
chen,
3. Der Wasserfenchel (IX. 27.) hat längliche Früchte, die
gegen die Schwindsucht benutzt worden sind. Das Kraut soll
giftig auf die Pferde wirken.
4. Der gefleckte Schierling (IX. 15.), welcher besonders
am untern Theile seines Stengels dunkelroth gefleckt ist, wächst
an Gräben, auf Wiesen und in Gärten, wird 3 bis 4' hoch,
1" dick. Die Blätter gleichen der Petersilie, riechen aber wie
Pastinak und haben rothgefleckte Stiele. Die ganze Pflanze ist
sehr giftig, wird aber in der Arznei gebraucht.
158
5. Der Kälberkropf (IX. 18.), eine ziemlich hohe Pflanze
in Wäldern, Gebüschen und an Wegen, hat einen aufrechten, ge-
zweilheilten Stengel und ist giftig.
6. Die Mohrrübe, Möhre oder gelbe Rübe wächst zwar
wild, hat aber dann eine kleine, unschmackhafte Wurzel. Man
pflanzt sie häufig in Gärten, weil sie ein gesundes Nahrungs-
mittel und einen guten Syrup liefert.
7. Der Kümmel auf Wiesen im nördlichen Europa trägt
stark riechende, angenehm schmeckende Samen, welche ein vor-
treffliches Gewürz geben und gewöhnlich Garbe genannt werden.
8. Der Pastinak, ein Küchengewächs, findet sich nicht selten
wild, hat aber dann eine unschmackhafte Wurzel.
9. Die Petersilie wächst in Südeuropa wild, wird aber
bei uns in Gärten angepflanzt, um Wurzel und Blätter in der
Küche zu gebrauchen. Die Samen sind Vögeln ein Gift.
10. Der Sellerie, welcher zu derselben Gattung gehört,
wächst im nördlichen Europa und Amerika wild am Meere und
wird seiner Wurzel wegen in Gärten angepflanzt.
I I. Der Anis, dessen Samen ein vortreffliches Gewürz
und Arzneimittel sind, stammt aus Aegypten und wird in meh-
reren Gegenden Europas angebaut. Die Tauben lieben den Anis-
geruch und wenn man sie recht sicher an den Taubsnschlag ge-
wöhnen will, darf man nur einige Tropfen Anisöl auf den Boden
desselben spritzen.
12. Der Fenchel wächst am Mittelmeer auf Felsen, wird
Lei uns in Gärten angebaut, riecht und schmeckt sehr gewürzhaft
und süßlich und liefert in Wurzel und Samen einen Thee gegen
Blähungen, Schwäche des Darmkanals und der Lunge, auch Fen-
chelöl und Fenchelwasser.
13. Der Dill, wild in Südeuropa, liefert ebenfalls sehr ge-
würzhafte Samen, die in der Apotheke und an den sauren Gurken
gebraucht werden.
14. Der Koriander, ebenfalls in Südeuropa, stinkt zwar
unerträglich nach Wanzen; seine reifen Samen riechen aber sehr
angenehm und geben ein gutes Gewürz.
15. Der Kerbel, ebendaher, hat wohlriechende, gewürzige
Blätter, die man an Suppen nimmt.
16. Die Angelika oder Engelwurzel an Bächen in hohen
Gebirgsthälern und in Gärtrn, mannshoch, hat eine kurze, dicke,
geringelte, vielästige, braune, inwendig weiße Wurzel, welche ge-
würzhaft, bitter und scharf riecht und schmeckt, als ein kräftiges
Arzneimittel und zu Branntwein gebraucht wird.
17. Das stinkende Steckenkraut in Persien enthält in
seiner Wurzel ein Gummi, Assafötida genannt, welches ein vor-
treffliches Arzneimittel ist, aber ganz unbeschreiblich stinkt.
159
§. 97.
C. Mit 4 Samen.
1. Der Gundermann, auch Gundelrebe, Hundetrage
und Erdepheu genannt, hat eine faserige Wurzel, einen I Fuß
langen, kriechenden, zuweilen aufrechten Stengel mit 3 bis 12"
langen, aufrechten, dünnen, fast weichhaarigen und blumenbrin-
genden Aesten und gegenständigen, langgestielten, herz-nierenför-
migen, gezähnten, oberhalb drüsig punktirten, zottigen Blättern.
Dit Blumen sitzen meist zu 3 oder 5 auf kurzen Stielen in den
Blattwinkeln und bilden einseitige, halbe Quirle. Der Kelch ist
röhrig, I5rippig, hat eine 5 zahnige, fast 2lippige Mündung, an
der die 3 oberen Zähne etwas höher stehen. Die blaue Krone
ist rachenförmig, hat eine Röhre, die sich allmälig in den 3 eckigen
Rachen erweitert, einen geraden, fast flachen Helm mit 2 stumpfen
Lappen und eine gefärbte Unterlippe mit bläulich-purpurrothen
Flecken. Von den 4 fadenförmigen Staubfäden sind 2 länger
als die beiden andern. Die Staubkölbchen sind 2lappig und
stehen in Form eines Kreuzes dicht beisammen. Der 4fache
Fruchtknoten bildet sich zu 4 freien Samen aus. Die Pflanze
wächst auf schattigem Boden an Zäunen, in Gärten und Wäl-
dern, ist ausdauernd und blüht vom April bis Juni. Das Kraut
ist etwas scharf und gelinde balsamisch von Geschmack, wird gegen
Lungen- und Harnkrankheiten gebraucht, ist kranken Schafen
tödtlich und soll Pferden, welche Lungenfehler haben, den Tod
bringen.
2. Der Thymian, Quendel oder Feldkümmel, ein wohl-
riechendes Pflänzchen mit röthlichblauen Lippenblumen, kriecht an
Wegen und Waldrändern umher, giebt den Bienen Nahrung
und wird in der Küche und Arznei benutzt.
3. Die Münze (X. 5.) hat meist bläuliche Blumen in ge-
drängten Quirlen, Köpfen, oder fast in Aehren und ist arzneilich,
besonders die krause Münze und die Pfeffermünze.
4. Der Andorn {X. 12.) wächst in Sandfeldern, an Hecken
und Zäunen, ist weißsilzig, hat kleine, weiße Blumen in dichten
Wirteln und wird gegen Unterleibskrankheiten und Brustbe-
schwerden gebraucht.
5. Die Melisse in Südeurpa, bei uns nicht selten in Gärten,
riecht nach Zitronen und giebt einen angenehmen Thee. Die
Bienen lieben dieses Kraut.
0. Der Salbei hat zwar einen vierkantigen Stengel, gegen-
ständige Blätter und Rachenblumen wie alle Lippenblümler, aber
nur 2 lange Staubfäden; die beiden kurzen fehlen ihm. Der
wohlriechende Salbei stammt auch aus Südeuropa und ist
eine gute Arzneipflanze.
7. Das Pfefferkraut wird als gewürzhafter Zusa^an
manche Speisen, namentlich an die grünen Bohne«, genommen
160
und ist daher aus Südeuropa in unsere Gärten verpflanzt
worden.
8. Der Majoran hat rundliche, wohlriechende Blätter und
weiße Blümchen, wird an Wurst und andere Speisen gethan und
ist auch arzneilich.
9. Der Jfop giebt einen heilsamen Thee, wächst in Süd-
europa wild, bei uns hier und da in Gärten und trägt seine
blauen Blümchen, die alle nach einer Seite stehen, in einer
Aehre.
Anmerkung. Die vorstehenden Pflanzen gehören zur Familie der
Lippenblümler und zur 1. Ordnung der 14. Limw'schen Klaffe.
10. Das Vergißmeinnicht mit seinen himmelblauen, mit
einem gelben Sternchen gezierten Blumen wächst in feuchten
Gegenden und ist überall beliebt.
11. Der Natterkopf» ein rauhes Kraut mit rothpunktirtem
Stengel und glockenförmigen, blauen Blumen, wächst an sandigen
Stellen überall häufig und wird von den Bienen fleißig besucht.
12. Die Ochsenzunge mit blauen Blumen und weißen
Honigdrüsen und die Hundszunge mit röthlichen Blumen und
eben solchen Honigdrüsen liefern auch den Bienen Nahrung und
sind arzneilich.
§. 98.
0. «Mit viele«» Samen.
1. Der Hahnenfuß (IX. 23.) enthält sehr viele Arten,
welche auf unsern Wiesen und in Wäldern und Feldern nicht
selten sind. Sie haben einen meist 5-, auch 3- bis 8blättrigen
Kelch, eine 5- auch bis 9 blättrige, ausgebreitete, gelbe, selten
weiße Krone, deren'Blättchen am Grunde des Nagels mit einem
Grübchen oder einer Schuppe versehen sind, viele Staubgefäße,
kurze Griffel und viele von dem bleibenden Griffel kurz geschnä-
belte Samen. Die meisten sind scbarf, einige sogar giftig, z. B.
der knollige Hahnenfuß mit knolliger Wurzel und zurückge-
schlagenen Kelchblättchen; der scharfe Hahnenfuß mit sehr zer-
spaltenen Wurzelblättern; der giftige Hahnenfuß an Wasser-
graben und sumpfigen Stellen, gegen 2' hoch, welcher, innerlich
genossen, die heftigsten Schmerzen bewirkt und sogar lebensge-
fährlich werden kann. Schon der aus der zerquetschten Pflanze
aufsteigende Dunst erregt Schmerzen und Betäubung, der Saft,
auf die Haut gebracht, bösartige und hartnäckige Geschwüre.
Man erkennt ihn leicht an dem länglichen Samenkopfe und
dem dicken, fleischigen Stengel. Einige Hahnenfußarten pflanzt
man in Gärten als Zierpflanzen (Ranunkeln und Goldknöpfchen),
andere werden auch als Salat gegessen, z. B. der Scharbocks-
Hahnenfuß (Schmirgel, Löffelsalat), der lauter kleine Knollen an
seiner Wurzel hat und in schattigen Gebüschen wächst.
161
2. Die Anemone (IX. 5.) sieht man in Wäldern schon in
den ersten Frühlingstagen Ihre «blättrigen Blumen sind weiß
oder röthlich (weiße Osterblume), oder gelb (gelbe Osterblume).
Der Stengel trägt 3 Blätter, von denen jedes wieder in 3 kleinere
getheilt ist. Die äußerst giftige Wurzel liegt wagrecht .in der Erde.
3. Die schwarze oder Wiesen-Küchenschelle (IX. 27.)
mit violetten Blumen, die sich schon im Anfange des Frühlings
öffnen, wächst hin und wieder auf trockenen Triften, ist ebenfalls
giftig und besitzt Heilkräfte.
Anmerkung. Alle 3 Gattungen gehören in die «.Ordnung der 13.Lin-
ne'schen Klasse.
§. 96.
Vierte Klasse. *
Palmen.
Die Palmen sind bäum-, strauch-, stauben- und krautartig,
wachsen größtentheils im Trockenen, haben eine faserige oder
knollige Wurzel und einen meist holzigen, dichten und ungeglie-
derten, oft weit laufenden oder hohen Stengel, an dem in der
Regel unmittelbar die vielrippigen, nicht geaderten Blätter stehen.
Die Blüthe ist nur kümmerlich, 3zählig oder schuppig, bildet oft
Kätzchen, Kolben und Trauben mit einsamigen Nüssen, Beeren
oder Steinfrüchten, und die Samen haben nur einen Samen-
lappen.
A. Die eigentlichen Palmen haben einen hohen, schlanken
Stamm, der nur an der Spitze einen Büschel sehr langer Blät-
ter trägt. Man kennt schon über 100 Arten, die aber alle in
heißen Ländern wachsen.
1. Die Sagopalme in Ostindien, China, Japan ist in den
ersten Jahren ein kleiner, unansehnlicher Strauch, später indeß ein
schöner 30 bis 50' hoher und 5 bis 6' dicker Baum. Die starke
Wurzel kriecht mittelst ihrer kräftigen Zasern weit umher und
entwickelt bald hier, bald dort neue Triebe. Der Stamm ist
unregelmäßig grubig genarbt und im Innern seines kaum 2"
dicken Holzer mit einem feuchten, weißen, mehlartigen Marke
überaus reichlich begabt. Die Blätter stehen aufrecht, sind gefie-
dert und erreichen eine Länge von 20' und darüber. Ihre Stiele
sind sehr breit, scheibenförmig, unterwärts wohl 1' dick, auf dem
Rücken abgerundet und mit vielen Stacheln, die mehrere schräge
Reihen bilden und entweder kurz und hinfällig, oder dünn, lang
und stehenbleibend sind (letztere befinden sich an dem obersten
Theile), besetzt. Die Blättchen sind über 4' lang, gegen 4 Fin-
ger breit, länglich-linealisch, kahl und am Rande ebenfalls mit
einigen, jedoch nur schwachen Stacheln versehen. Die kleinen
Blüthen sind einhäusig, schmutzigröthlich treten aus einer stach-
ligen, 3' langen Scheide hervor und bilden eine 6 bis 10' lange,
an ihrem Grunde ästig getheilte Rispe, deren 8 bis Iv Aeste
Pcchner, Handb. 3 Theil. 11
16S
aufrecht stehen und aus mehreren zweireihigen Nebenzweigen,
welche sich auf ähnliche Weise nochmals verzweigen, zusammenge-
setzt sind. Die letzteren Aestchen sind 5 bis 6" lang und sinqers-
dick. Der Kelch ist bei den männlichen und den weiblichen
Blumen gleich, nämlich einblättrig, glockenförmig und in 3 Zähn-
chen sich auflösend. Die Krone der männlichen Blüthen ist
3 blättrig, die der weiblichen hingegen I blättrig. 3zipfelig und
auch von glockiger Gestalt. Die Zahl der Staubgefäße wechselt
von 6 bis 12. Die 3 Stempel sind besonders an den 3 Narben
erkennbar. Die Frucht ist eine I sämige, fast kugelrunde, etwas
stachelst),tzige, bei völliger Reife braune und glänzende, und auf
ihrer Oberfläche mit abwärts gekehrten, rautenförmigen, nur nach
oben hin angehefteten Schuppen ziegeldachartig bedeckte Stein-
frucht mit rundlichen, beinharten blaß-purpurrothen Samen. —
Das weiße, schwammige Mark liefert sein einziger Baum oft 6 Ctr.)
ein angenehmes und gesundes Mehl. Das Holz wird auf man-
nichfache Art benutzt. Die Blattstiele nimmt man zu Wänden,
Getäfel, Zäunen, Bänken, Stühlen, Flößen rc. Daraus gebaute
Häuser sehen aus, als wenn sie aus Orgelpfeifen beständen.
Mit den Blättern deckt man die Dächer Die Häuser sind da-
her so leicht, daß einige Männer sie wegtragen können. Das
geköcnelte Mark kommt unter dem Namen Sago zu uns und
wird zu Suppen benutzt.
2. Die Dattelpalme, über 100' hoch, in Arabien, Syrien,
Persien, Ostindien, Nordafrika sBiledulgerid oder Dattelland —
Hdb. ll. @.304.) auch in Portugal, Spanien und Sicilien, wo
sie aber selten Früchte trägt, erfreut ganze Völker durch ihre
honigsüßen Steinfrüchte (Datteln) und schützt sie gegen die heißen
Sonnenstrahlen. Die ganz jungen Blätter geben Kohl; aus
dem Safte, welcher aus dem geritzten Stamme fließt, wird eine
Art Wein bereitet > das Holz dient zum Bauen, und überhaupt
ist diese Palme die nützlichste Pflanze der Erde.
3. Die Kokospalme oder der Kokusnußbaum (Kdrfr. 1.
Nro. 117.) ist ebenfalls eine der nützlichsten Pflanzen. Sie
wächst an feuchten, sandigen Stellen längs der Küste zwischen
den Wendekreisen und ragt mit ihrer Blätterkrone weit über die
andern Bäume hervor. Der Kern ist anfangs flüssig und milch-
ähnlich, fließt aus der Spitze der Blüthenscheide, wird aber fest
und behält eine milchige Flüssigkeit in sich, so daß er Speise
und Trank giebt. Die Kokosmilch (b. h. der Saft aus den
Nüssen) wird häufig getrunken, das Mark mit einem Löffel heraus-
genommen und roh, oder mit Essig, Salz und Oel gegessen.
Man kocht auch Oel aus dem Marke. Die Schale wird zu
Näpfen und Bechern verarbeitet, oft schön geschnitzt und mit
Silber eingefaßt; auch macht man Pfeifenspitzen, Stockknöpfe
und andere Verzierungen daraus. Die Fasern benutzt man zu
Malerpinseln, und aus den Blättern verfertigt man Fächer, Hüte,
163
Sonnenschirme, Siebe, Körbe, Besen, Papier, auf welchem man
mit einem Griffel von Bambus schreibt. Die Palmenzweige
(Blätter) sind Zeichen des Friedens und der Freundschaft.
4. Die Arekapalme in Ostindien ist deshalb Merkwürdig,
weil. man dort den Kern der Steinfrucht mit Kalk bestreut, in
die Blatter einer Pflanze, Betel genannt, rollt und dann kaut,
was Vornehme und Geringe thun.
5. Die Wachspalme, ein ungeheurer Baum auf den Ber-
gen Südamerika's, schwitzt aus seinem Stamme Wachs, welches
zwar mit Harz gemischt ist, jedoch von den dortigen Einwohnern
wie anderes Wachs benutzt wird. Das Holz dient zum Bauen.
6. Die Kohlpalme auf den karaibischen Inseln wird 300'
hoch und giebt in ihren jungen Blattern den berühmten Palm-
kohl. Auch wird alles Uebrige von ihr benutzt wie von der
Kokospalme.
Die Facherpalme in Amerika, die Mehlpalme in Ost-
indien, die Oelpalme in Guinea, die Weinpalme auf den
Malediven u. a. sind ebenfalls sehr nützlich.
tz. 100.
6. Palmenartige Pflanzen.
Sträucher, Stauden und Kräuter mit geradnervigen Blät-
tern, die zum Theil auch bei uns vorkommen.
1. Die vierblattrige Einbeere (lX. 6.) wächst in schat-
tigen Laubholzwäldern und blüht vom April bis Juni. Die aus-
dauernde Wurzel liegt wagrecht, ist verschieden gebogen und treibt
mehrere Wurzelfasecn. Der Stengel ist aufrecht, l/2 bis l' hoch,
sehr einfach, ftielrund, kahl, größtentheils nackt, nur an der
Spitze mir 4 sitzenden, in Form eines Kreuzes zusammengestellten,
eirunden, zugespitzten, kahlen, dreinervigen Blättern versehen.
Die gestielte Blume steht einzeln am Gipfel des Stengels. Der
Kelch ist 4blättrig, bleibend, mit lanzettförmigen, spitzigen, ganz-
randigen, dreinervigen, ausgebreiteten Blättchen von der Länge
der Blumenkrone begabt. Die Krone hat 4. linienförmige, spiz-
zige, zurückgekrümmte, dem Kelche ähnliche Blättchen. Die 8
pfriemförmigen Staubfäden tragen unter der Mitte ihrer Höhe
die länglichen, doppelten Kölbchen. Der rundliche Fruchtknoten
ist unvollkommen vierseitig, fast vierfurchig und trägt 4 aufrecht
abwärtsstehende Griffel, kürzer als die Staubgefäße, mit ausge-
randeten, zurückgekrümmten Narben. Die blaue Beere ist fast
kugelrund-vierseitig und viecfächng, und die mehrzähligen, schief-
eiförmigen Samen liegen in 2 Reihen. — Wurzel, Blätter und
Beeren erregen Erbrechen, heftigen Durchfall je.
2. Der Kalmus in den Sümpfen Europa's und Asiens hat
schwertförmige Blätter, auf denen die Kinder gern schmatzen, eine
lange, kriechende, daumensdicke Wurzel, die außen röthlich, innen
11*
164
weiß ist, sehr gewürzhaft riecht, scharf und bitterlich schmeckt,
verzuckert gegen Magenschwäche gegessen, überhaupt häufig als
Arznei und in Bädern angewendet wird. Die Landleute schmücken
Pfingsten ihre Zimmer mit Kalmus^
3. Der Spargel wächst auf Sandboden in Europa. Man
stanzt ihn in Gärten, um die jungen Sprossen zu genießen.
4. Die Maiblumen, zu denen auch der Salomonssiegel
und die Weißwurz gehören, wachsen in unsern Wäldern, haben
grünlichweiße Blumen mit einem angenehmen Gerüche und sind
arzneilich.
5. Der Pfefferstrauch in Ost- und Westindien trägt 4"
lange, hängende Kätzchen mit 20 bis 30 rothen Beeren, die aber
vor der Reife abgelesen und daher schwarz werden. Von den
reifen Beeren beizt man die Haut hinweg und erhält so den
weißen Pfeffer.
6. Die Ananas in Südamerika wird bei uns in besonderen
Treibhäusern gezogen und trägt sehr wohlschmeckende Früchte, die
fast einem Tannzapfen ähnlich sehen, roh, mit Zucker gekocht,
oder auch mit Wein, Zucker und Zimmet (Ananaspunsch) ge-
nossen werden.
7. Der gefleckte Aron oder die punktirte Aronspflanze
(IX. 27.) wächst nicht in Preußen, aber in Deutschland, Frank-
reich und Italien, ist eine niedrige Pflanze mit sehr giftiger
Wurzel, die jedoch in der Arznei gebraucht wird.
§. 101.
Fünfte Klasse.
Zwiebeln.
Die Zwiebelpflanzen wachsen gern auf Sand- und Kalk-
boden, werden in der Regel nur einige Fuß hoch und haben einen
aufrechten, weichen, aber vollen, meist knotenlosen Schaft, welcher
unmittelbar aus Knollen oder Zwiebeln kommt, selten aus Faser-
wurzeln, meist mit schwertförmigen, selten mit eiförmigen Blät-
tern umgeben. Die Blüthen stehen am Ende bald einzeln, bald
in Aehren oder Dolden, sind meistens groß, zart, schön gefärbt
und wohlriechend, wenigstens der Staub. Kelch und Blume sind
immer 3theilig, manchmal in eine Röhre verwachsen, so daß die
ganze Blüthe ötheilig erscheint. Die Zahl der Staubfäden ist m
der Regel 6, bisweilen aber durch Verkümmerung nur 3, 2, 1.
Es ist nie mehr als 1 Griffel vorhanden, der sich jedoch manch-
mal in 3 Narben theilt. Die Frucht ist eine häutige, selten
beerenartige Kapsel mit vielen Samen, die nur einen Samen-
lappen besitzen.
Die Knollen enthalten gewöhnlich viel Schleim, die Wur-
zeln reizende, gewürzhafte, die Zwiebeln scharfe Stoffe, welche
sehr heftiges Niesen erregen, Erbrechen, Durchsall, bisweilen
Darmentzündung und selbst den Tod verursachen. Es sind daher
165
größtentheils kräftige Arzneimittel. Die Knollen hängen an den
Wurzeln und bestehen, wie die Kartoffeln, aus einer gleichartigen
Fleischmasse von Stärkemehl. Die Zwiebeln sind eigentlich
nur die unteren, dicht auf einander gepreßten Wurzelblätter, aus
deren Grunde viele Würzelchen kommckr. Die Stengel und
Blätter werden häufig als Zugemüse gebraucht, auch in Salben
verwandelt und auf Ausschläge und Geschwüre gelegt.
1. Der Pisang, die Obstbanane oder Paradiesfeige,
ein ziemlich hoher Baum in heißen Ländern, mit den ungeheuren
Blättern am Ende 20' hoch, trägt fußlange Früchte wie Gurken
in 3 bis 4' langen Trauben. Sie sind sowohl roh als gebraten
eine angenehme Speise. Man hält sie für die Frucht, an wel-
cher Eva zuerst gesündigt hat, auch für die Trauben, welche
Josua und Kaleb aus dem Thale Eskol brachten.
2^ Die Lilien haben meistens steife Stengel mit zerstreuten
Blättern und großen Blumen. Die Zwiebel besteht aus fleischi-
gen, schuppigen Schalen. Die weiße Lilie wird 3' hoch' wächst
in Palästina wild und ist das Sinnbild der Unschuld — Die
Feuerlilie hat feuerrothe, geruchlose, doldenartige Blumen. —
Di( Goldlilie (Krullilie oder Türkenbund) hat zimmetbraune
Blumen und eilanzettliche Wirtelblätter, wächst wild und wird
auch in Gärten gezogen.
3. Die Tulpen haben einzelne glockenförmige Blumen am
Ende des Stengels, stammen aus der Türkei und werden mit
einer Menge Abarten von den mannichfaltigsten Farben in Gär-
ten gezogen Vor hundert Jahren war die Liebhaberei in Hol-
land, wo man noch jetzt bei Harlem ganze Tulpenfelder hat, so
groß, daß für eine seltene Zwiebel 6 bis 700 Thaler gezahlt
wurden.
4. Die Hyacinthen, von denen man einige 1000 Abarten
zählt, sind mit die beliebtesten Blumen in unsern Zimmern und
Gärten, meist blau, weiß und röthlich, auch häufig gefüllt. Die
besten Zwiebeln kommen aus Harlem.
3. Die Narcissen haben weiße, wohlriechende Blumen mit
einer Nebenkrone, eine etwas giftige Zwiebel und werden auf
ähnliche Art gezogen.
Jö- Das Schneeglöckchen, das gleich nach dem Schmelzen
des Schnee's blüht, und die ihm ähnliche Frühlingsknoten-
blume (Märzglöckchen, großes Schneeglöckchen oder Frühlings-
weiß), die etwas später blüht, sind ein Paar niedliche Garten-
blümchen
7. Die Milchsterne (Vogelmilch) mit gelben oder weißen
Blumen wachsen auf Aeckern, Triften und in Gebüschen und
werden auch in Gärten gepflanzt.
8. Die Zaunlilien mit zarten, weißen Glöckchen wachsen
- auf trockenen, sandigen Grasplätzen, Bergwiesen rc.
9. Die Siegwurz mit schönen, rothen, singerhutförmigen
166
Glocken in einer einseitswendigen Aehre wächst auf manchen
Wiesen.
10. Die Schwertlilie mit gelben Blumen wachst im Schilfe
an Flüssen und See'n, und die blaue Schwertlilie (Iris) ist eine
Zierpflanze in Gärten. • •
11. Die gemeine Zwiebel (in der Mark Bolle), welche
in unsern Küchenzärten häufig angepflanzt wird, stammt aus
Asien und hat eine scharfe Wurzel, welche bekanntlich an Speisen
genommen wird. Noch schärfer und dabei stärker riechend ist die
Zwiebel des Knoblauchs, welche auch Arzneikräfte besitzt. Der
kleine Schnittlauch, dessen Blätter grün auf Butterbrot und
an andern Speisen gegessen werden, und der Porree, ein Sup-
penkraut, sind in Küchengärten nicht selten.
12. Die Herbstzeitlose (IX. 24.) auf fetten Wiesen in
mehreren Gegenden Europa's ist mit ihrer schönen, rötblichen
Likienblume die letzte Zierde des Herbstes. Kapsel und Blätter
kommen erst im nächsten Frühlinge aus der Erde hervor. Die
Zwiebel sitzt ziemlich tief, ist dicht, braun, inwendig weiß, sehr
scharf und unangenehm riechend, erregt heftiges Erbrechen und
gehört daher unter die Giftpflanzen-
13. Die Meerzwiebel, eine Arzneipflanze mit sehr scharfer
Zwiebel, wächst in Portugal, Spanien und andern Gegenden am
Mittelmeere wild.
14. Der Safran oder Krokus in Südeuropa wird in Gär-
ten als Zierpflanze gezogen; man baut ihn aber auch an wegen
der scharlachrothen Narben, die zum Gelbfärben und als krampf-
stillendes Mittel gebraucht werden.
l-i. Die Aloe - Arten wachsen fast alle im heißen Afrika,
besonders am Cap, und werden bei uns in Gewächshäusern ge-
zogen. - Sie enthalten meistens einen bittern Saft, welcher ab-
führend wirkt. Aus einer Rose rwn sehr dicken, fleischigen und
stachligen Blättern erhebt sich gewöhnlich ein dünner, fast holzi-
ger Stengel mit schönen, meist rothen oder gelben Blumen in
Aehren.
16 Die Gelbwurz oder Curcuma, deren Wurzel zum
Gelbfärben gebraucht wird, wächst in Ostindien.
17. Der Ingwer in Ost- und Westindien liefert in seiner
Wurzel ein bekanntes Gewürz und Arzneimittel. Der weiße ist
der beste.
18. Die Vanille, welche im heißen Amerika auf Bäumen
wächst, trägt schotenartige Kapseln von angenehmem Gerüche,
welche zur Chokolade dienen.
19. Der Cardamom in Ostindien und auf Madagaskar
trägt sehr gewürzhafte Samen.
20. Die Knabenkräuter (Orchis oder Ragwurz) haben
schleimige, knollige oder'handförmige Wurzeln, eine schwarze (vor-
jährige) und eine weiße (diesjährige), vom Volke Teufelshand
167
und Gotteshand genannt, und lippenförmige, gespornte Blumen.
Die beiden Staubkölbchen sind auf dem Stempel angewachsen
(Linne's 20. Klasse). Die Knollen der Triften - Orchis oder
des Salep-Knabenkrautes liefern eine leicht verdauliche
Speise. Aehnliche Blumen haben auch die Sumpfwurz, das
Vogelnest, das Zweiblatt oder die Listere, der Frauen-
schuh mit einer silzschuhförmigen Honiglippe rc.
§• 102.
Sechste Klasse.
Gräser.
Die Gräser haben eine faserige Wurzel und einen hohlen, meist
knotigen Stengel mit Scheibenblättern. Die Blüthen sind größ-
tentheils dreizählig, unscheinbar, oft spelzenartig mit einem ein-
zigen Samen oder einer kümmerlichen Blume mit vielen ver-
wachsenen Kapseln; sie stehen selten einzeln, häufig in Rispen
oder Aehren. Der Samen ist nicht groß und enthält fast nichts
als Mehl und einen sehr kleinen Keim. Dieser ist mit einem
dünnen Schlauche bedeckt, welcher in einem Griffel mit meist 2
behaarten Narben endigt. Unten um das Korr? stehen 3 schlaffe
Staubfäden mit langen, schwebenden Kölbchen, um diese 3 Paar
häutige Blättchen (Nektarblättchen, Spelzen und Bälge). Die
äußere, größere Spelze umfaßt die innere, kleinere und hat oft
eine verlängerte Mittelrippe, Granne genannt.
Die Gräser sind auf der ganzen Erde verbreitet und be-
decken vorzüglich die feuchten Niederungen in der Nähe der Flüsse,
sind also hier das, was die Wälder auf Bergen; auch gehören
sie der Zahl der Gattungen yach zu den reichsten Pflanzenhaufen,
und man glaubt, daß sie den 20. Theil aller Pflanzen ausmachen.
Sie gehören zu den nützlichsten und nothwendigsten des ganzen
Reiches, indem sie durch Stengel und Blätter das Vieh, durch
die Körner besonders den Menschen ernähren. Ihre Bestand-
theile sind größtentheis milde, arzneilich unkräftig und nicht giftig,
mit Ausnahme des Lolches. Der Stengel enthält allgemein
einen süßen Saft, aus dem man bei den dicken Zucker gewinnt.
In den Wurzeln kommt nur Schleim, selten ein gewürzhaftes
Harz oder ein purgirender Stoff vor. In Europa und Nord-
amerika nähren sich die Menschen hauptsächlich von Roggen,
Weizen und Dinkel; in Südamerika von Welschkorn, in Afrika
von Negerkorn, in Asien von Reiß. Der Hafer ist allgemein
Pferdefutter in den nördlichen Ländern. Hirse und Schwaden
werden fast auf der ganzen Erde als Grütze gegessen. Man rechnet
an 2000 Gattungen, die uns Mehl geben zu Brot und Kuchen,
zu Speisen rc.
168
1. Ordnung. Fruchtgräser.
Kelch und Blume sind meist regelmäßig, die Kapseln ver-
wachsen
1. Die Seerose mit weißen, und die Teichrose mit gelben
Blumen, großen, schwimmenden, langgestielten Blättern und
einer armsdicken Wurzel, die zum Gerben und zur Schweine-
mast gebraucht wird, wachsen in See'n und Teichen, selten in
Flüssen.
2. Die Wasseraloe, Krebs- oder Wasserscheere über-
zieht in manchen Gegenden die Teiche und Wassergräben, trägt
eine weiße Blume und wird, fein zerhackt, zuweilen als Futter
für die wilden Schweine benutzt. Im Herbste senkt sich die
Pflanze unter das Wasser und kommt erst im Frühjahre wieder
herauf.
3. Der Froschbiß am Ufer der See'n hat rundlich-herz-
förmige Blätter, zarte, weiße, von aufrechten, singerslangen Stielen
getragene Blumen.
4. Der Froschlöffel zeigt sich mit seinem quirlförmig ästi-
gen Schafte, an welchem die kleinen, röthlichweißen Blümchen
stehen, öfters an und in Sümpfen und Gräben Die Blätter
sind eirund, oder lanzettförmig. Ebendaselbst wachsen auch das
Pfeilkraut, der Jgelskopf und andere unbedeutende Pflan-
zen, die hierher gehören. .
5. Der Wasserliesch oder die Blumenbinse hat röthlich-
weiße, in einem Schirme beisammenstehende Blumen mit 9 Staub-
fäden, einen oft über > Elle hohen Schaft, wächst im Wasser
und ist eine der schönsten Pflanzen dieser Ordnung.
§• 103.
2. Ordnung. Aehrengräser.
Die Blüthen stehen in einer einfachen Spindel.
1. Der Roggen (Hdb. ll. S. 110 ), ein herrliches Geschenk
Gottes, stammt wahrscheinlich aus Asien und wird im größten
Theile Europas und in mehreren andern gemäßigten Theilen der
Erde angebaut.
2. Der Weizen, die zweite Getreideart, welche in vielen
Ländern der Erde angebaut wird, liefert Stärke, Puder und
Mehl und wird auch zum Brauen des Weißbieres gebraucht.
Der kriechende Weizen oder das Queckengras ist wegen
seiner in der Erde umherkriechenden Wurzelsprossen ein beschwer-
liches Unkraut; es können jedoch dieselben zu Mehl und Brannt-
wein benutzt werden und geben ein vortreffliches Viehfutter.
3. Die Gerste, leicht an den langen Grannen kenntlich,
wird zu Futter, Grütze, Graupen, Mehl und besonders zum
Bierbrauen benutzt.
169
4. Der Mais oder das Welschkorn, auch türkischer Wei-
zen genannt, hat am oberen Ende des Stengels die Blüthen,
welche die Staubfäden enthalten, oder die männlichen Blüthen;
unten befinden sich die weiblichen Blüthenähren (Linne's 21. Klasse)
mit ihren sehr langen, fadenförmigen Stempeln, Die Körner
in diesen Aehren sind von Erbsengröße, gelb oder braun und
Menschen und Thieren sehr nahrhaft. Die Pflanze flammt aus
Amerika, wird aber jetzt in mehreren Gegenden Europa's ange-
baut.
5. Das Ruchgras, das einzige Gras, welches in jeder
Blüthe nur 2 Staubfäden hat, wächst in ganz Europa, Nord-
amerika und Nordasien auf Wiesen und in Wäldern und zeichnet
sich durch seinen trefflichen Geruch aus, den es dem Heue mit-
theilt. Es giebt dem Viehe ein gesundes und wohlschmeckendes
Futter.
6. Der Wiesenfuchsschwanz, ein treffliches Futtergras,
blüht im Mai und Juni und ist dann leicht an seiner Höhe und
seiner mit röthlichen Staubkölbchen gezierten, walzenförmigen
Aehre zu erkennen.
7. Das Wollgras wächst auf fetten Wiesen, taugt nicht
zum Viehfutter und hat Samen mit langer, weißer Wolle, die
man fast wie Baumwolle und sogar zum Stopfen der Betten
gebrauchen kann.
8. Die Binsen und Simsen oder Blüthengräfer haben
hohle Stengel, fast ohne Knoten, kümmerliche Kelche und Blumen,
3 bis ü Staubfäden und mehrfächrige Kapseln, wie die Hain-
simse mit flachen Blättern, die Markbinse, deren Mark sich
ausziehen und zu Dochten, zur Verzierung der Ostereier jc.
gebrauchen läßt. Auch benutzt man die Binsen zum Dachdecken,
zu Flechtwerk rc.
0. Die Riedgräser haben einen hohlen Schaft ohne Knoten
und die Samen in einem nußartigen Schlauche, wie die Seggen
mit meist dreikantigem Halme und die Cyperngräser. Sie
lieben sumpfige Oerter und trocknen diese' auch mit der Zeit aus.
Auf den Wiesen werden sie nicht gerne gesehen, da sie dieselben
theils verderben, theils zu Futter nicht zu gebrauchen sind.
10. Der ausdauernde Lolch trägt eine lange, platte Aehre,
an welcher die Körner in 2 Reihen stehen Er bildet gute Rasen,
ist aber als Futter zu hart. — Der Taumel-Lolch (IX. 22.),
dem vorigen ähnlich, aber mit Grannen versehen, ist nur ein-
jährig und soll sehr giftig sein.
I I. Das Kanarien-Glanzgras, wild in Südeuropa, liefert
den Kanariensamen, mit welchem man Singvögel, besonders Ka-
narienvögel füttert. Eine Spielart des schilfartigen Glanzgrases
ist das grün und weiß gestreifte Bandgras in manchen Gärten.
>2. Das eßbare Eyperngras in Südeuropa und Nord-
asrika hat Wurzelknollen, welche fast wie Mandeln schmecken
170
und daher Erdmandeln heißen. Auch die schöne, in Italien und
Aegypten wachsende Papierpflanze oder Papyrusstaude,
aus welcher die Alten Papier machten, gehört hierher.
8- 104.
3. Ordnung. Rispengräser.
Die Aehrchen sitzen an einer verzweigten Spindel oder in
Rispen.
1. Der Hafer wurde schon von den alten Deutschen zur
Nahrung gebraucht, ist ein vortreffliches Pferdefutter, wird aber
auch von Rind- und Federvieh gern gefressen und giebt eine
gute Grütze.
2. Das Mannagras oder Schwaden wächst im größten
Theile von Europa auf feuchten Wiesen und in Sümpfen, blüht
den ganzen Sommer hindurch und trägt daher an einer Rispe
Blüthen, reife und unreife Samen, welche die sehr nahrhafte
und wohlschmeckende Schwadengrütze geben.
3. Die Schmielen haben meist sehr schmale Blätter, fein
zertheilte Rispen, sehen überhaupt sehr zierlich aus und sind ein
gutes Viehfutter, überwuchern aber zuweilen das Getreide.
4. Die Trespe hat quirlförmige Rispen und ist ein schäd-
liches Unkraut.
5. Das gemeine Rohr oder Schilf wächst durch ganz
Europa in Flüssen, Teichen und Sümpfen und wird zum Dach-
decken, zum Berohren der Wände und Decken, zu Weberspulen
rc. gebraucht.
6. Die Hirfe fauch der Hirse), aus Ostindien stammend,
hat hängende, purpurrothe Rispen und liefert eine beliebte Grütze,
weshalb man sie auch in manchen Gegenden Europa's anbaut,
um sie als Brei oder Suppe zu genießen.
7. Das Bambusrohr oder der Baumschilf ist das größte
Gras, denn es wird ein völliger Baum von 30 bis 00' Höhe,
bildet an sumpfigen Orten in Ostindien ganze Wälder und dient
zum Bauen und zu den gegliederten Spazierstöcken. In seiner
Jugend hat es viel Zuckersaft in sich.
8. Der Reiß, ursprünglich wild in den Morästen Ostin-
diens, wird jetzt in allen warmen Ländern, selbst im südlichen
Europa, auf feuchten Aeckecn angebaut. In warmen Ländern
ist er das vorzügliche Nahrungsmittel, und auch bei uns wird
er häufig genossen.
0. Das Zuckerrohr, auch aus Ostindien stammend, wird
jetzt in vielen heißen Ländern, sogar auf Sicilien. angebaut.
Aus dem auf besonderen Mühlen ausgepreßten Safte wird Syrup,
MoscovadelRohzucker) und Raffinade igereinigterZucker) gewonnen.
10. Das spanische Rohr wächst jenseit der Alpen und auf
den kanarischen Inseln an Ufern, aber nicht im Wasser selbst.
171 <
wird über 12' hoch und daumensdick, dient zu Spazierstöcken,
zu Angelruthen Weberkämmen, Sonnen- und Regenschirmen,
Mundstücken auf Klarinetten, zum Dachdecken und Brennen und
wird in manchen Gewächshäusern gezogen.
§• 105.
Siebente Klasse.
Farrenkräuter.
Die Farrenkräuter haben statt der eigentlichen Wurzel
einen Wurzelstock, aus dem nach unten feine Wurzelfasern,
nach oben die sogenannten Stengel oder vielmehr Blüthen-
schäfte entspringen. Zur Bildung eines echten Stengels und
wahrer Blätter kommt es bei dieser und den beiden folgenden
Klassen nicht mehr, daher auch nicht zu Samen mit Lappen.
Dafür haben sie Kapseln mit Keimpulver. Im Ganzen lieben
sie Schatten und Feuchtigkeit, und manche selbst das Wasser.
Sie sind auf der ganzen Erde verbreitet, dienen als Streu, zur
Bereitung der Pottasche, zum Theil als Nahrungs-, häufig als
Arzneimittel, besonders gegen die Würmer.
1. Der männliche Punktfarren, Wald- oder Wurm-
farren mit den Fruchthäufchen auf der Unterseite der zweisiede-
rigen Blättchen ist das gemeinste Farcenkraut in trockenen Wäl-
dern, wo man es sammelt und als Streu benutzt, im Norden
selbst als Futter, die Asche in Glashütten, die Wurzel zum Ger-
ben. Die letztere riecht widerlich, schmeckt bitterlich und wird
als ein vortreffliches Mittel gegen den Bandwurm benutzt.
Betrüger schnitzen die Wurzel wie eine kleine Hand, verkaufen
sie unter dem Namen Iohannishand, und abergläubische Leute
trauen ihr Wunderkräfte zu.
2. Das Engelsüß, auch wildes Süßholz und Baum-
farren genannt, wächst in Felsspalten, an Bäumen, besonders
Eichen, wird 1' hoch, hat tief siederspaltiges Laub und eine knol-
lige Wurzel, welche süßlich schmeckt und das Süßholz einiger-
maßen ersetzt.
3. Der Adlerfarren unterscheidet sich von jenem durch die
hellbraune Wurzel, während jener eine schwarze hat. Erzeigt auf
dem Duerdurchschnitte über der Wurzel die weißlichen Spiralge-
fäße, von einer schwärzlichen Zellenlage umgeben, in der Gestalt
von zwei abgewendeten Monden, die man bald mit einem Dop-
peladler, bald mit den Buchstaben J. C. verglichen hat, daher
der Name Jesus-Christ-Wurzel.
4. Der Schachtelhalm hat einen gegliederten Stengel,
dessen Glieder sich leicht auseinander ziehen lassen, und sieht aus
wie eine kleine Tanne, hat aber keine Blüthen in den Astachseln
172
wie der Tannenwedel, sondern eine Art Aehre von Schuppen,
- an denen das Keimpulver sitzt. Man gebraucht die Stengel zum
Poliren des Holzes (namentlich von dem Winter-Schachtelhalme),
Hornes und Zinnes.
5. Der Bärlapp oder das Kolbenmoos (Hdb. II. S. 112.)
gehört eigentlich zu den Moosen, die nur eine einfache Kapsel am
Ende des Stengels tragen, denn es hat ordentliche Aehren. Das
schlangenföcmige Kraut wird (in Preußen unter dem Namen
Mirsemau) zu Kränzen benutzt.
tz. 106.
Achte Klaffe.
Moose.
Die Moose, zu denen hier auch die Flechten und Algen ge-
rechnet sind, haben weder echte Blätter noch Blüthen, sondern
sind nur langgezogene, grüne Zellen oder walzige Schlauche,
welche Körner entfalten und meistens fadenförmig mit einander
verwachsen. Bald bilden diese Fäden die ganze Pflanze selbst
(Wafferfäden), bald legen sich viele an einander und verwachsen
zu einem rundlichen Stengel, oder zu breiten Lappen (Tange und
Flechten). Die Samen, oder vielmehr das Keimpulver, finden
sich bei den niederen in den Schläuchen selbst, bei den höheren
in besonderen Häufchen (Flechten) und nur bei den eigentlichen
Moosen in Kapseln auf einem Stiele, der von feinen Blättchen
dicht besetzt ist. Obsckon sie häufig vorkommen und oft das
Waffer, auch große Erdflächen und Bäume bedecken, so ziehen
sie doch wenig das Auge auf sich und haben auch keinen großen
Werth für das Leben. Nur einige Tange und Flechten sind
eßbar; jene dienen manchen Fischen zur Nahrung, und die kleinen
Wafferfäden den Schallhieren. Aus den Tangen gewinnt man
Soda und Jod. Am meisten werden sie zum Verpacken und
Ausstopfen gebraucht, besonders die Moose, welche sich überdies
in Torf verwandeln. Einige Flechten liefern Farbestoffe. Gif-
tige giebt es nicht, und schädlich werden sie überhaupt nur durch
ihre Menge, die Moose und Flechten als Ueberzüge der Wiesen
und Bäume, die Wafferfäden durch übelriechende Ausdünstung,
wenn sie faulen.
A. Die eigentlichen Moose haben das Keimpulver in
Kapseln mit einem Deckelchen, das bei der Reife abspringt.
I. Das Torfmoos wächst in stehendem Wasser und wird
meistens über fußhoch, ist sehr blattreich und theilt sich oben in
mehrere kurze, sehr belaubte Aeste, auf denen die Kapseln ohne
borstenförmigen Stiel stehen (der einzige Fall unter den Moosen).
Merkwürdig sind auch die großen, harten, fast nußartig krachen-
den Kapseln. Es ist das nützlichste aller Moose, denn es über-
zieht große Strecken von sumpfigem Boden und verwandelt sich
allmälig in Torf, indem auf dem vermoderten immer neues wächst.
173
Manchmal verfilzt es sich so, daß es Inseln in Teichen bildet,
welche selbst Bäume tragen und vom Winde langsam hin und
her getrieben werden.
2. Das Haarmoos, ein schönes, hohes Moos, welches in
feuchten Waldungen durch ganz Europa wächst, hat lange, gelbe
oder röthliche Stiele. Diese tragen Kapseln mit einem gelblichen
Filzmützchen.
B. Die Flechten sind lappige, verschieden gefärbte und ge-
staltete Häute, welche Steine, Bäume und Zäune rindenartig
überziehen, und auf deren Oberfläche die staubähnlichen Samen
entweder zerstreut liegen, oder in Warzen, Schüsselchen oder
Näpfchen und Schildchen gesammelt sind.
1. Die Rennthierflechte, welche sich auf dem Boden in
trocknen Nadelwäldern findet, dient in Lappland, besonders im
Winter, den Rennthieren zur Nahrung.
2. Die isländische Flechte, gewöhnlich isländisches Moos
genannt, wächst zwischen Heidekraut und in Bergwäldern in allen
nördlichen Ländern (nicht bloß in Island), wo sie oft weite Strek-
ken bedeckt. Sie ist grünlichbraun, am Grunde blutroth, unten
weißlich und trägt gefärbte Samenschildchen auf einem laub-
oder besenartigen Stocke. Für Brustkranke liefert sie eine nahr-
hafte und heilsame Gallerte. Man hat sogar versucht, sie mit
anderem Mehl zu Brot zu backen, was jedoch bitter schmeckt.
Die Isländer achten sie höher als alle Pflanzen, da sie ihnen
ein tägliches und kräftiges Nahrungsmittel giebt.
3. Die Wandflechte, fast an allen Bäumen, Zäunen und
alten Brettern wachsend, hat röthlichgelbe Samenschildchen und
Liebt eine gelbe Farbe.
4. Die Milchflechte an Bäumen und Felsen ist weiß, dient
zur Bereitung des Lackmus und giebt eine schöne blaue und
rothe Farbe.
5. Die Färberflcchte auf Klippen am Mitttelmeere giebt
eine herrliche rothe Farbe und Lackmus (zum Blaufärben).
0. Die Veilchenflechte ist roth, später gelblich, überzieht
Steine und Felsen und riecht nach Veilchen, weshalb solche von
ihr überzogene Steine Veilchensteine heißen.
C. Die Algen bilden theils Schleimknollen, theils Fäden
oder Bänder und tragen das Keimpulver im Körper selbst. Es
giebt Meer- und Süßwasser-Algen; jene nennt man Tange.
1. Der Zuckertang hat einen fußlangen, zufammgedrückten
Stiel, welcher sich in ein klafterlanges l bis 8" breites Blatt
ausdehnt, ohne Rippen und Einschnitte. Er findet sich häufig
im atlantischen Meere, an Island, Norwegen, den Färöern,
selten in der Ostsee truppweise auf einer knolligen Wurzel.
Die Oberfäche der getrockneten Pflanze beschlägt mit einem wei-
ßen, süßen Pulver, in welchem viel Meersalz sein soll, weil es
abführt. In Island soll man ihn mit Milch kochen und als
174
Brei essen, in England wie Kohl. Man gewinnt aus ihm
viel Jod.
2. Der Btasentang ist in der Nord- und Ostsee sehr häu-
fig und wird fast täglich ans Land geworfen. Er verzweigt sich
mehrmals und trägt viele Blasen, von denen gewöhnlich 2 und 2
beisammenstehen. Seine Färbe ist anfangs grün, wird aber beim
Vertrocknen braun, und seine schalenförmige Wurzel klebt auf
Steinen,, an Pfählen u. dgl. fest. Die Äsche dieser und anderer
Tangarten wird bei der Bereitung der Seife benutzt, und einige
dienen theils Menschen und Thieren zur Nahrung, theils zum
.Ausstopfen der Betten oder zum Einpacken des Tabacks.
3. Die Wasserfäden finden sich als grüne Fäden in flie-
ßenden und stehenden Gewässern. Einige wachsen so schnell, daß
man es sehen kann.
4. Die Pflaumen - Tremetle besteht aus schleimigen Klum-
pen von der Größe einer Erbse und größer, welche sich an man-
chen Wasserpflanzen finden.
§. 197.
Neunte Klasse.
Schwämme oder Pilze.
Die Schwamme oder Pilze sind ohne grüne Farbe und
haben weder Laub, noch einen Schein von Blume oder Kapsel,
sind also eigentlich weiter nichts als eine Anhäufung von Zellen,
mit wässerigem Safte angefüllt, der nur einige wenige braune
Körner enthält. Gewöhnlich verdichtet sich die äußere Zellenlage
zu einer Art Haut, und die darin liegenden Zellen, vertrocknen
zu Keimpulver, welches entweder von selbst ausfällt, oder durch
Fäulniß ins Freie kommt, daselbst schleimiges Wasser anzieht
und wieder zu einem Pilze aufwächst. Es scheint aber auch, daß
aus jedem Pflanzensafte sich Pilze entwickeln können.- wenigstens
entstehen sie überall auf faulenden Pflanzen und Thieren und
selbst im ausgefloflenen Pflanzensafte, besonders im Dunkeln, wo
er nicht so leicht .verdunstet, und daher die Schleimkügelchen
Zeit haben, sich mit einander zu verbinden. Gewöhnlich ent-
stehen die Pilze bei feuchtem und warmem Wetter, zwischen dem
Juli und November, am häufigsten im Herbste, wo die Säfte
der Pflanzen stocken oder aussickern. Viele erreichen in einer
Nacht ihre vollkommene Größe; die wenigsten leben über
14 Tage. In der Regel sind sie klein und erscheinen nur als
Staub oder Fäden, die größeren als Kugeln, Walzen und Hüte,
meistens nur einige Zoll, selten über eine Spanne hoch. Die
kleineren vertrocknen und zerfallen, die mittleren zerfließen und
zwar oft in bläuliche oder dintenartige Flüssigkeit; die größeren
pflegen zu verholzen. Insofern die Pilze nur geronnener Pflan-
zensaft oder Schleim sind, haben sie etwas Gemüse- oder Fleisch-
artiges, und die größeren sind nicht selten eßbar. Da sie aber
175
aus faulenden Stoffen entstehen, so riechen sie meistens unange-
nehm, erregen Ekel, Erbrechen und selbst den Tod. Solche
Pilze sind giftig, und man schreibt die Wirkung einer harzartigen
Materie zu, welche heftiges Purgiren und Darmentzündung her-
vorbringt. Obschon es nicht leicht ist, die giftigen von den un-
giftigen zu unterscheiden, so kündigen die ersteren doch durch ihr
bleichsüchtiges oder grelles Aussehen etwas Verdächtiges an, und
nimmt man noch den Geruch und Geschmack dazu, so kann man
sie zremlich unterscheiden, wenigstens ist es immer rathsam die-
jenigen wegzuwerfen, von denen uns weder Geruch noch Geschmack
behagt. Das beste Mittel, sie zu unterscheiden, ist daher, daß
man einmal den guten Blätterpilz (Champignon) roh kostet und
sich seinen Geschmack, der Aehnlichkeit mir dem der Haselnuß
hat, merkt. Kaut man nun den grellen Fliegenpilz, so wird man
kaum im Stande sein, ihn zu verschlucken. Diejenigen, welche
wie dumpfe Keller, oder scharf wie Rettige riechen, und die bitter
schmeckenden muß man nicht sammeln, wohl aber die gewürz-
haften, pfefferartigen, säuerlichen oder nach Knoblauch riechenden.
Die blaßgelden und die dunkelrothen sind verdächtig; die weiß-
lichen, weingelben, festen, trockenen und leicht zerbrechlichen aber
sind gut, besonders die mit goldgelben Blättern; auch wachsen
diese mehr an der freien Luft, am Rande der Wälder, in Schlä-
gen, unter kleinen Hecken und auf Weiden, jene dagegen im
dicken Gebüsch, wohin das Licht nicht dringt. Auch ist es nöthig,
sie bei trockener Witterung einzusammeln, und zwar die reifen,
aber nicht die zu alten. Blätter, Röhren und das Ende des
Stieles schneidet man ab; wird der letztere bei den Löcherpilzen
blau, so muß man sie nicht essen. Sind sie gereinigt, so weicht
man sie dann in laues Wasser mit etwas Essig ein und gießt
hernach das Wasser weg. Gekocht muß man sie nicht stehen
lassen. Um das ganze Jahr Pilze zu haben, trocknet man die
kleineren, ,z. B. die Morcheln, und schneidet die größeren, z. B.
die Löcherpilze, in Stücke oder Schnitten, reiht sie auf eins Schnur
und bängt sie in den Schatten, oder man legt sie in Essig.
Die Trüffeln werden nicht gewaschen, sondern nur abgebürstet
und im Sande aufbewahrt.
Die Wirkung der giftigen Schwämme verspürt man erst
nach mehreren Stunden. Es entsteht heftiges Grimmen, Er-
brechen und Stuhlgang, Durst und Krämpfe, dann folgt Schwindel,
Ohnmacht, kalter Schweiß, endlich auch wohl der Tod, ohne daß
je das Bewußtsein wäre verloren gewesen. Man nimmt sogleich
zu brechen und zu laxiren ein, nachher Ricinusöl und Syrrrp,
auch Klystire. Hat sich aber schon Darmentzündung eingestellt,
so darf man nicht mehr zu purgiren nehmen.
In Böhmen, Polen, Ungarn und Italien sind zu gewissen
Jahreszeiten die-Pilze fast die tägliche Nahrung, ein Beweis,
daß sie wirklich viel Nahrungsstoff enihalten und gesund sind.
176
Die höheren Volksklassen benutzen die Pilze nur als Gewürz
in Brühen an verschiedenen Speisen und wählen dazu vorzüglich
die Trüffeln, Morcheln, den gemeinen Blätterpilz, den Herren-
pilz und den Reizker.
A. Ungiftig und genießbar sind:
1. Der Reizker, schmackhafte Goldbrätling oder
Bruchrcizker hat einen 272" breiten, halbkugelförmigen, schlei-
migen, blaß hochgelben Hut mit dunkleren Kreisen, hochgelbe
Blätter auf einem sehr kurzen, hohlen und grubigen Stiele, wächst
sehr häufig in Nadelwäldern, besonders gegen den Herbst und
wird wegen seines reizenden Geschmackes sehr geschätzt.
2. Der Pfifferling oder das Hähnchen wird I bis 2" groß,
dottergelb, hat einen fleischigen, glatten und ausgeschweiften Hut
mit angeschwollenen Falten auf einem dichten, nach unten ver-
jüngten Stiele, ist im Sommer und Herbste sehr häufig in Na-
delwäldern, von mildem Geschmacke, ohne Geruch und wird sehr
häufig und ganz allein als Gemüse gegessen.
3. Der Herrenpilz, Brachpilz, Feldreizker oder Cham-
pignon sspr. Schampinjong') hat einen fleischigen, trockenen,
schwach beschuppten oder seidenartigen Hut mit freien, rundlichen,
braunen Blättern auf einem vollen, weißen Stiele und wächst
überall in Feldern, Grasgärten, besonders auf Weiden und wo
Mist untergraben ist, auch in luftigen Eichwäldern vom Mai
bis Oktober. Dieser Pilz ist einer der gemeinsten und gesunde-
sten. Sein Fleisch ist weich, weiß, ohne Geruch, aber von mil-
dem Geschmacke, fast wie Haselnüsse.
4. Der Räßling (Mousseron) ist ganz weiß und hat einen
2 bis 3" breiten, derben, fleischigen, rundlichen, dann ziemlich
flachen Hut mit ungleichen, quergestreiften Blättern auf einem
dicken, zolllangen, dichten Stiele, riecht nach frischem Mehle und
wächst in lichten Wäldern, unter Zäunen, wo der Boden mit
Moos oder Gras überzogen ist, vom Mai bis in den Herbst und
ist einer der schmackhaftesten und theuersten Pilze.
5. Der Steinpilz hat einen fleischigen, rothen, 6" langen,
netzartigen Stiel mit einem 3" breiten, glatten, polsterigen, bräun-
lichen Hute, unter welchem rundliche, ziemlich freie und weiße,
später gelbe Röhren stehen (wie bei' allen sogenannten Löcher-
pilzen). In trockenen Wäldern findet man ihn überall im Som-
mer und Herbste. Sein Geruch ist nur schwach, sein Geschmack
sehr gut, wie Haselnüsse; er wird daher von Menschen und
Thieren gern gegessen.
6. Die Morchel oder der Keule npilz findet sich im Früh-
linge in Wäldern, die etwas hoch liegen, hat einen fleischigen,
meist großen Stock mit einem braunen, keulenförmigen Hute,
welcher mit netzförmigen Falten versehen ist. Sie wird häufig
in Suppen gegessen, soll aber zuweilen giftig sein.
177
7. Der Ziegenbart oder die gelbe Zweigmorchel bildet
3 bis 4" hohe, unten 1" dicke, weiße Büsche mit runden, gleich
hohen, gelben, meist dreizähnigen Aesten, findet sich besonders in
großen Nadelwäldern im Spätsommer, große Rasen bildend, und
ist sehr schmackhaft.
8. Die Trüffel bildet wallnußgroße Knollen, welche 1/2 bis
1" unter der Erde liegen und anfangs weiß sind, später aber
schwarz werden. Man richtet kleine Pudel (Trüffelhunde) ab,
um sie aufzusuchen. Sie findet sich in mehreren Ländern Eu-
ropas und ist sehr theuer.
ß. Giftige Schwämme sind:
1. Der Ftiegenschwamm (Hdb.il. S. I l3.).
2. Der Bitterling oder Pfefferschwamm, auch bittrer
Täubling und Herbling genannt, hat einen 4 bis 6" breiten,
glatten, trichterförmigen und weißen Hut mit schmalen und ge-
drängten Blättchen auf einem dicken, 2" langen, weißen Stiele,
wächst im Herbste häufig in Wäldern, ergießt viel scharfe Milch
und ist daher schädlich. Dennoch sind die Eichhörnchen so erpicht
darauf, daß man sie damit soll fangen können.
2. Der langgestielte Giftschwamm (Kdrfr. l IX. 28.) und
4. Der stinkende Gichtpilz sind gestielte, mit Schleim und
Samen überzogene Keulen über einem zweihäutigen, lappig zer-
rissenen Balge (Samenblase),.
6. Ungiftig, aber ungenießbar sind:.
1. Der Feuerschwamm, rin Löcherpilz, welcher ohne Stiel
an den Stämmen verschiedener Bäume sitzt, ist bräunlichgrau,
um den Rand ins Rothe fallend und von bedeutender Größe.
Aus ihm und einigen ähnlichen wird durch Beizen und Klopfen
der bekannte Feuerschwamm oder Zunder bereitet.
2. Der Hausfchwamm, die Faltenreische oder der
Thränenschwamm bildet spannen-, ja fußgcoße, rostfarbene
Lappen mit netzartig gewundenen Falten und einem weißen, schim-
meligen Rande, ist sehr häufig und schädlich in feuchten Häusern,
besonders an faulen Balken und Dielen, in Kellern, an alten
Stubben in Nadelwäldern, und wächst das ganze Jahr hindurch.
Er fängt schimmelartig an, schwitzt so stark, daß immer Tropfen
vom Rande herunterfallen, kriecht auf dem Holze fort, dringt in
dasselbe ein und zerstört es allmälig ganz. Besonders entsteht
er gern in neuen Häusern, welche zu früh beworfen werden und
daher nicht austrocknen können, oder auch wenn die Balken,
die Unterlagen der Dielen rc. von grünem Holze sind. Durch
Bestreichen mit Schwefelsäure, Steinkohlentheer rc. sucht man
ihn zu vertilgen.
3. Der Bovist oder Wolfsrauch findet sich auf Triften
und bildet eine weiße Kugel, mit braunem Staube angefüllt.
Man gebraucht ihn zum Blutstillen bei großen Verwundungen;
Pichn er, Handb. 3. Thl.
12
178
nur muß man den Staub nicht in die Augen kommen kaffen,
da diese davon schlimm werden.
4. Der Brand ist ein trocknes, schwarzes Pulver, welches
die Körner mehrerer Getreidearten zuweilen anfüllt und dieAeh-
ren verdirbt.
3. Der Rost bildet braunrothe und dunkelbraune Staub-
streifen auf den Blättern und Halmen der meisten Getreidearten
und anderer Gräser, welche dabei kränkeln. Wo viel Sauer-
dorn (Berberitze) in der Nähe der Getreidefelder steht, soll das
Getreide am häufigsten an dieser Krankheit leiden. -
Der Schimmel auf Brot, Käse und andern Gegenständen,
der Schlamm auf stehenden Gewässern und die Haut auf
faulenden Flüssigkeiten bilden gleichsam die untersten Stufen des
Pflanzenreiches.
tz. ,08.
Allgemeine Betrachtung über die Pflanzen.
(Kdrsr.I. S. 29.)
Nachdem die wichtigsten Glieder des Pflanzenreiches betrachtet,
und die hierher gehörigen Abschnitte aus Kdrfr. I. öfters gelesen
worden sind, kann nun in Form einer Wiederholung und Ueber-
sicht eine allgemeine Betrachtung des ganzen Pflanzenreiches
diesen Theil der Naturgeschichte beschließen.
Welches Naturreich haben wir jetzt beendigt? — Was
sind Pflanzen? Welche Bestimmung haben sie in dem großen
Haushalte der Natur? — Was wird aus den vermoderten Wur-
zeln und dem abfallenden Laube? — Wozu dient die Dammerde?
— Wozu dienen die Pflanzen bei Betrachtung der Schöpfung?
-— Wodurch bereiten sie Leben, Munterkeit und Erquickung? —
Für wen hat das Pflanzenreich großen Nutzen? — Auf wie vieler-
lei Weise? — Welche Pflanzen dienen dem Menschen mittelbar?
— Von welchen Pflanzen werden die Wurzeln zum Futter ge-
braucht? — Von welchen die Früchte, Blätter, Stengel? —
Welche Thiere nähren sich von diesen Pflanzen und Pflanzen-
theilen? — Welche ausschließlich von Blättern? — Welche von
Blüthen? — Welche gewähren unmittelbar dem Menschen Nutzen
und können ohne weitere Bereitung sogleich als Nahrungsmit-
tel genossen werden? — Wie nennt man die Erzeugung, Ver-
arbeitung, Benutzung der Pflanzen und den Handel mit densel-
ben? — Was für Pflanzen gehören zu diesem Verkehr? — Von
welchen Pflanzen werden die Wurzeln zu Getränken benutzt? —
Von welchen der Saft, die Blätter, die Blüthen, die Früchte,
die Samen? — Nennet Gewürzpflanzen, von denen wir
die Wurzeln, die Stengel, Blätter. Samen benutzen! — Nennet
Oe lp stanzen! — Von welchen Pflanzen genießen wir gleichsam
als Obst die Wurzel, die Blätter, die Samen, die Blumen! —
179
Aus welchen Blumen holen uns die Bienen Honig? — Welche
Früchte werden als Obst genossen? — Von welchen Pflanzen
genießt man als Gemüse oder Salat die Wurzeln? — Von
welchen die Stengel, Blätter, Blumen, Früchte, Samen? —
Welche Pflanzen liefern Mehl aus Wurzel, Stengel, Blättern,
Samen? — Nennet Futterpflanzen, von denen das Vieh
die Wurzeln, Stengel und Blätter, die Blumen, die Früchte,
die Samen verzehrt! — Wer kann die wichtigsten Arzneipflan-
zen nennen? fAnh. X,) — Von welchen Arzneipflanzen benutzen
wir die Wurzel, die Stengel, die Rinde, die Blätter, die Blüthen,
die Früchte, die Samen? — Nennet Färbepflanzen! — Von
welchen dienen die Wurzel, Stengel, Blätter, Blumen, Früchte
zum Färben? — Von welchen Geräthschaftspflanzen benutzen
wir die Wurzeln, Stengel, Blätter, Samen, Früchte? — Nennet
Zierpflanzen, die in Blumengärten, Gewächshä'ufern, Zimmern
gezogen werden! — Welche Forstpflanzen liefern Brenn- und
Bauholz, Streu, Bast, Band, Reifen, Dauben, Kohlen, Kien-
ruß, Loh, Galläpfel, Zunder (Feuerschwamm), Mästung, Harz,
Pech, Theer? — Nennet die wichtigsten Giftpflanzen!
sAnh. IX.) — Welche Pflanzen geben Stoff zu unserer Beklei-
dung? — Welche Bindfaden, Stricke, Taue, Segeltücher rc.?
— Welche enthalten Gerbeftoffe? — Welche Pflanze benutzt
der Tuchscheerer? — Welche liefern Matten, Polster, Papier rc.?
— Welche Pflanzen kommen schon in der Bibel, in der Welt-
geschichte vor? — Wer kennt sinnbildliche Pflanzen?
Dritter Haupttheil.
Mineralien.
§• 109.
Die Mineralien im Allgemeinen.
(Kdrft.l. Nr. 81. u. 113.)
Welche Körper Mineralien heißen, haben die Kinder schon
in der allgemeinen Weltkunde (Hdb. H. S. 74.) und in der Ein-
leitung zur Naturgeschichte gelernt. Jetzt werden sie gewiß besser
als damals im Stande sein, die Unterschiede zwischen den Mine-
ralien und den Thieren und Pflanzen anzugeben. Der Lehrer
bringt zu diesem Zwecke einige Steine, Metalle rc. mit in die
12*
180
Schule, auch wohl einen Käsig mit einem Vogel und einen Ro-
senstock oder sonst eine Topfpflanze und fordert nun die Schüler
auf, das Eigenthümliche an den Mineralien aufzusuchen. Dabei
stellt sich etwa Folgendes heraus:
1. Die Mineralien können sich nicht bewegen, sondern blei-
ben in vollkommener Ruhe, so lange keine äußere Gewalt auf
sie einwirkt; denn sie haben keine Werkzeuge zur Bewe-
gung.
2. Die Thiere und die Pflanzen nehmen Nahrung zu sich,
verwandeln diese in Theile ihres Körpers und sondern auch ge-
wisse Stoffe (Schweiß, Unrath rc. aus ihrem Körper ab, wodurch
ein steter Wechsel des Stoffes und der Form unterhalten wird;
die Mineralien nehmen keine Mahrung zu sich, haben keine
Werkzeuge zur Ernährung.
3. Alle Pflanzen und Thiere vermehren sich, indem sich ein
kleiner Theil von ihnen ablöst und wieder die Gestalt des Gan-
zen bekommt; die Mineralien aber haben auch keine Werk-
zeuge zu ihrer Fortpflanzung.
4. Dagegen können die Theile der Mineralien (wenn man
z. B. Kreide in kleine Stücke zerschlägt) für sich bestehen und
sind von demselben Stoffe; das Blatt, der Arm, der Finger?c.
müssen absterben, sobald sie von dem Ganzen getrennt werden,
und das Blatt z. B. ist auch von anderem Stoffe als der Stamm.
Man nimmt ferner an den Mineralien und ihren einzelnen
Theilen keine besondere Thätigkeit wahr, die wir Leben nennen:
die Mineralien sind leblos.
5. Die Pflanzen und Thiere entstehen, wachsen und ver-
gehen, nachdem sie eine Reihe verschiedener Zustände durchlaufen
haben; die Mineralien aber wachsen nicht mehr, nachdem ihre
Gestalt vollendet ist. Wenn sich auch fremdartige Stoffe an
einen Stein ansetzen, so wächst doch der Stein selbst dadurch
nicht im geringsten. Dagegen zerfallen sie, wenn sie lange Zeit
der Witterung ausgesetzt bleiben, und werden am Ende zu Staub
und Erde Bei den Thieren und Pflanzen, läßt sich die Lebens-
zeit wenigstens ungefähr bestimmen; das Dasein und Bleiben
des gleichförmig fortbestehenden Minerals ist an keine Zeit ge-
bunden.
6. Die Mineralien haben keine Seele wie die Thiere.
Mineralien sind werkzeuglose (unorganisirte), unbe-
lebte, unbeseelte Naturkörper. Sie bilden in ihrer Ge-
sammtheit das Mineralreich und sind die festen Bestandtheile
des Erdkörpers.
Bei der Betrachtung der Mineralien hat man besonders
auf die Gestalt, Theilbarkeit, den Bruch, die Härte, Schwere/
Durchsichtigkeit, Farbe, den Glanz und die chemischen Bestand-
- theile derselben zu achten. — Wenn sich die Mineralien rein
und ungestört ausbilden können, so geschieht es in bestimmten
181
Gestalten, die man Kristalle nennt. Diese zeichnen sich oft durch
eine bewundernswürdige Regelmäßigkeit aus, indem sie Würfel,
Achtflache, Nautenzwölfflache, Säulen*) rc. bilden, als wenn sie
von Menschenhand geschnitten oder geschliffen wären. — Die
meisten Kristalle lassen sich nach einer bestimmten Richtung
spalten: manche schon mit einem Messer, andere mit Meißel und
Hammer. Zerschlägt man ein Mineral, so zeigt sich an den
neuentstandenen Flächen die Art des Bruches, der eben, körnig,
muschelig rc> sein kann. Als hart gelten diejenigen Mineralien,
welche am Stahle Funken geben oder das Glas ritzen; weich
sind alle. welche sich mit der Messerspitze oder mit Glas ritzen
lassen. Das härtere Mineral ritzt das weichere. Zerreiblich nennt
man ein Mineral, das man zwischen den Fingern zerdrücken
kann. Läßt es sich nicht mit dem Messer ritzen und giebt es
auch keine Funken am Stahle, so heißt es halbhart. Sehr hart
oder edelhart heißt ein Mineral, mit dem man in ein hartes
einschneiden kann. — Einige Mineralien haben eine bedeutende,
andere eine sehr unbedeutende Schwere. Um die eigenthümliche
Schwere eines Minerals angeben zu können, untersucht man,
wie es sich zu einer gleich großen. Menge Wasser verhält. Steht
z. B. bei der Beschreibung eines Minerals 2, oder 3, so heißt
das; es ist 2. oder 3 mal so schwer als eine gleich große Menge
Wasser. — Einige Metalle haben einen Glanz wie Fett, Seide
oder Glas; andere sind matt oder haben gar keinen Glanz;
den stärksten Glanz haben die Metalle. In Durchsichtigkeit,
Farbe und Zeichnung nimmt man eine große Verschiedenheit
wahr. Es giebt undurchsichtige, durchscheinende, durchsichtige,
punktirte, gefleckte, gestreifte, gewölkte Mineralien. — Ihre Be-
standtheile lassen sich meist nur mit Hülfe der Chemie ermitteln.
§. 110. ^ *
Die Eintheilung der <Minera1ien.
(Kdrfr. I. S. 297 )
Um die Kinder mit den 4 Klassen der Mineralien bekannt
zu machen, bringt der Lehrer einen Stein, reinen Sand, etwas
Kochsalz oder ein Stückchen Steinsalz, Bernstein, Blei, ein Licht
und 3 Gläser mit Wasser in die Schule. Der Sand wird in
das erste Glas geschüttet; er trübt zwar das Wasser, setzt sich
aber nach einiger Zeit auf den Boden, das Wasser wird wieder
klar, und der Sand bleibt Sand. Schüttet man aber das Salz
in das zweite Glas, so zergeht es, löst sich im Wasser auf.
Der Bernstein und das Blei werden in das dritte Glas gethan,
bleiben aber unaufgelöst wie der Sand. Die Kinder erkennen
) Vergl. Pechner's Raumlehre.
hieraus: Das Salz lost sich im Waffer auf, andere Mineralien
nicht. Hierauf hält der Lehrer den Stein, das Steinsalz, den
Bernstein und das Blei nach einander in das Licht. Es zeigt sich,
daß Stein und Salz nicht verbrennen, daß aber der Bernstein
brennt, und das Blei schmilzt. Aus diesen Versuchen ecgiebt sich:
Die Mineralien zerfallen in 4 Klassen: 1. Erden und Steine,
2. Salze, 3. brennbare Mineralien oder Erdharze und 4. Metalle.
>. Die Steine verändern sich weder im Wasser, noch in
der Luft, noch im Feuer (wenigstens nicht ohne fremde Bei-
mischungen und auch nicht im gewöhnlichen Glühfeuer), d. h.
sie sind unauflöslich, unverbrennlich, unschmelzbar.
2. Die Salze lösen sich im Wasser auf, verbrennen aber
nicht und lassen sich nicht schmelzen.
3. Die brennbaren Mineralien verbrennen oder ver-
glimmen und verwandeln sich in luftartigen Dunst, werden aber
nicht im Wasser aufgelöst und nicht im Feuer geschmolzen.
4. Die Metalle sind unauflöslich, unverbrennlich, aber
schmelzbar.
§. Ul.
Erste Klaffe.
Erden und Steine.
(Kdrfr. I. S. 297.)
Wie im vorigen Paragraphen das Verhalten der Mineralien
in Wasser und Feuer, so wird vier das Verhalten der Erden in
Wasser und Säuren untersucht. Die Kinder nehmen den
Kieselsand zwischen die Zähne und finden, daß er knirscht; daß
er sich nicht im Wasser auflöst, haben sie schon in der vorigen
Lektion gesehen, und im Essig verhält er sich ebenso. Der Thon
hängt sich an die Zunge, trübt das Wasser, saugt es begierig
ein und läßt sich dann kneten; in Essig verhält er sich nicht
anders. Der Talk (nicht Talg, in der Apotheke zu bekommen)
fühlt sich fettig an, glänzt wie Schwefel oder Fett, löst sich
nicht im Wasser, aber im Essig auf und zerfällt an der Luft in
selektrische) Blättchen. Gestoßene oder geschabte Kreide (d. i. Kalk-
erde), oder Kalk wird in ein Glas gethan und Essig oder auch
verdünnte Schwefelsäure darauf gegossen, wobei die Kalkerde
aufbraust. Ein Stückchen Gipsspath (ebenfalls Kalkecde, in der
Apotheke zu bekommen) wird im Lichte weiß und mürbe ge-
brannt. Dasselbe geschieht mit den Kalksteinen im Kalkofen.
Der mit Wasser vermischte, gebrannte Kalk ätzt (frißt auf
Fleisch). Demnach zerfallen die Erden in 4 Ordnungen: Kiesel,
Thon, Talk und Kalk.
1. Die Kieselerde, welche durch Wasser und selbst durch
Säuren unveränderlich ist.
2. Die Thonerde, welche durch Säuren, und selbst durch
183
Wasser verändert wird, indem sie Säuren und Wasser einsaugt
und sich kneten läßt.
3. Die Talkerde, welche wie Schwefel oder Fett glänzt,
sich fettig anfühlt, mit Säuren aufbraust, sich gern mit ihnen
verbindet und an der Luft zerfällt. Sie ist im Kdrfr. nicht auf-
geführt, weil sie selten vorkommt.
4. DieKalkerde, welche sich im Feuer verändert, im Was-
ser ätzend wird und mit Säuren aufbraust.
Es leuchtet ein, daß die 4 Ordnungen der Erden den 4 Mi-
neralklassen entsprechen, so wie diese den 4 Elementen Erde,
Wasser, Luft, Feuer. Die Steine bestehen aus Erden und sind
als verhärtete Erden zu betrachten. Beim Verwittern zerfallen
sie auch in Erde.
tz. 112.
j. Ordnung. Kiesel.
(Kdrft.I. S. 297.)
Die Kiesel sind meist glasartige, durchsichtige oder durch-
scheinende Mineralien, die 2 bis 3 wiegen, am Stahle Feuer
geben und sich in Säuren, Wasser, Luft und Feuer nicht
verändern. Nur von Spathsäure wird die Kieselerde angegriffen,
und, mit Pottasche vermischt, schmilzt sie bei starkem Feuer zu
Glas. Im reinen Zustande ist sie ganz unfruchtbar, wie der
Fluß- und Flugsand; nur durch Beisätze von andern Erdarten
und aus dem Thier- und Pflanzenreiche wird sie fruchtbar. Da-
gegen benutzt den reinen Sand der Maurer, Töpfer, Glasfabri-
kant rc. Silbersand heißt der feine, silberglänzende Sand, den
man aus die Schrift (Streusand) und in die Stuben streut
(Der Goldsand enthält mehr Glimmer). Flugsand nennt man
den feinenSand auf Steppen, weil er im Winde fortfliegt und sich
bald da bald dort anhäuft. An Duellen nennt man ihn auch
Quellsand. Flußsand heißt der an fließenden Gewässern
und an den Ufern befindliche Sand. Man gebraucht ihn zum
Scheuern und Reinigen der Zimcher und hölzernen Geräthe, zur
Bereitung des Mörtels, zu Gußformen, zum Untermengen unter
Töpferwaren, zum Ausfüllen rc., den feinsten, glasartigen zu
Porzellan. Kies heißt der ganz grobe, mit allerlei Steinchen
untermengte Sand, den man unter, den Mörtel und zum Wege-
machen gebraucht. Zu den gemischten Erden gehören: Garten-
erde, Sumpferde, Farbenerde (Ocker, Umber rc.) Baum-, Holz-
oder Gewächserde, Thiererde rc. (Hdb. II. S. 71.).
A. Edelharte Kiesel (Edelsteines
1. Der Granat ist entweder edel oder unedel, fast immer
in andere Kieselarten eingewachsen. Der unedle oder gemeine
findet sich in den meisten Ländern der Erde, ist 'gelbbraun, grün
und schwarz und wird besonders beim Einschmelzen gebraucht.
Der edle ist blutroth, härter als jener, sehr glänzend und giebt,
184
geschliffen und mit einem Demant durchbohrt, schöne Halsperlen.
Der schönste findet sich in Böhmen.
2. Der himmelblaue Saphir und der blutrothe Rubin
finden sich in Ostindien und Böhmen und sind sehr theure Schmuck-
steine.
3. Der Topas ist ein beliebter Edelstein, meist von gelber
Farbe; die rolhen sind theurer. Er findet sich in mehreren
Ländern Europa's, in Brasilien und Sibirien. Unter dem Namen
Chrysolith lGoldstein) kommt er auch in der Bibel vor.
4. Der grüne Smaragd kommt vorzüglich aus Peru.
ñ. Der Schmirgel dient wegen seiner Harte zum Poliren
des Glases und des Stahles und zum Schleifen der Edelsteine.
Er ist blau und wird im Erzgebirge, in Spanien und in Amerika
gefunden.
0. Der Demant oder Diamant, wafferhell und von herr-
lichem Glanze, ist der härteste Körper der Erde, das edelste unter
allen Mineralien. Die beste englische Feile greift ihn nicht an;
doch in der Hitze starker Brennspiegel verwandelt er sich in
Kohlenstoff. Er ist der theuerste Schmuckstein und kommt nur
aus Brasilien und Ostindien. Einen der schönsten besaß ein
indischer Fürst; er war von der Größe eines Taubeneies und
3 Millionen Thaler werth. Die kleinen Splitter gebrauchen die
Glaser zum Glasschneiden. Ein kaum bemerkbares Körnchen
kostet gewöhnlich einen Friedrichsd'or.
8. Harte Kiesel.
1. Der Feldsparh, weniger hart als Ouarz, bricht eben
und schmilzt in starkem Feuer. Den durchsichtigen nennt man
Adular, den in verschiedenen Farben schillernden Labrador.
Man nimmt ihn besonders zum Porzellan. Er ist ein Hauptbe-
standtheil unserer Feldsteine.
2. Der Feuerstein, welcher härter, röthlich, bläulich, grün-
lich, gelblich rc. ist, wird in Kalksteingebirgen, Mergelschichten,
auch in rundlicher Gestalt und mit einer Kalkkruste überzogen
auf dem Felde gefunden und ist ein nützliches Werkzeug zum
Feueranschlagen. Die härtesten schlägt man mit Hämmern zu
Flintensteinen. Außerdem werden die Feuersteine auch, wenn sie
rein und durchsichtig sind und eine schöne Farbe haben, zu aller-
lei Schmuck- und Kunstsachen benutzt. Man schleift z. B Stock-
knöpfe, Dosen u. dgl. davon oder schneidet erhabene Figuren
hinein. Unsere Vorfahren machten Opfermeffer, Waffen und
andere Werkzeuge daraus. Dergleichen Geräthschaften findet man
nicht selten bei den Urnen in Grabhügeln, wo sie länger als
1000 Jahre gelegen haben, ohne von ihrer Härte und ihrem
schönen Glanze zu verlieren. Er giebt den Hauptstoff zum eng-
lischen Steingute, so wie zu dem härtesten Glase, dem Flintglase,
das zu Fernröhren unentbehrlich geworden ist.
3. Der Quarz (Hdb. II. S. 114.).
185
4. Der Bergkristall unterscheidet sich vom gemeinen Quarze
nur durch. seine stärkere Durchsichtigkeit- Die feinste Art ist
unter dem Namen böhmische Steine bekannt, ja den wein-
gelben (Citrin), der auch böhmischer Topas heißt, faßt man sogar
in Ringe. Vorzüglich findet er sich in den Klüften der Alpen,
der sächsischen, böhmischen und schlesischen Gebirge, in den so-
genannten Kristall kellern; doch kommt auch viel Bergkristall
aus Madagaskar. Aus den großen Stücken werden allerlei Ge-
fäße, Kronleuchter, Dosen, aus den kleineren Knöpfe, Petschafte,
Ringe und Nadelsteine rc. gemacht. Unganze, rissige Stücke
werden in Glasflüsse verwandelt, durch Metallfacben den Edel-
steinen ähnlich gemacht und als Stellvertreter derselben verkauft.
5. Der Amethyst, dem Bergkrystall ähnlich, aber meist
violett gefärbt, findet sich in Gebirgsländern und wird als Schmuck-
stein verarbeitet
6. Der Chalcedon, gewöhnlich fast so durchsichtig wie Glas,
doch auch milchblau und anders gefärbt, findet sich rm sächsischen
Erzgebirge, im Harz, in Schlesien, Island k. Der braun und
weiß gestreifte heißt indischer Sardonyr, weil er so am
schönsten aus Ostindien kommt. Man macht daraus Dosen,
Petschafte rc. ■,
7. Der Chrysopras ist grün, wird in Schlesien gefunden
und als Ringstein verarbeitet.
8. Der Carneol ist roth, wird zwar in Europa, am schön-
sten aber in Asien gefunden und zu Ringen und Petschaften
benutzt.
9. Der Jaspis, ein- und mehrfarbig, gewöhnlich gelbroth,
gestreift rc. findet sich fast in allen Gebirgen und giebt Säulen,
Leuchter, Dosen rc.
10. Der Heliotrop, schön dunkelgrün mit rothen Pünktchen,
findet sich vorzüglich in Aegypten, aber auch in Böhmen und
wird wie der Jaspis verarbeitet.
11. Der Lasursteiu, besonders aus Persien kommend, ist
schön himmelblau mit gelben, glänzenden Pünktchen (Schwefel-
kies). Man benutzt ihn zu Tischplatten, Halsschnüren und be-
sonders zur Bereitung der herrlichen Ultramarinfarbe.
12. Der Achat besteht aus Bergkristall, Amethyst, Jaspis rc.
und wird, gar mannichfaltig gefärbt, marmorirt, bandirt und
mit Augen besetzt, in Baiern, Sachsen, Schlesien, Böhmen rc.
gefunden. Nach den verschiedenen Zeichnungen, welche die Ge-
mengtheile durch ihre verschiedenartige Verbindung hervorbringen,
unterscheidet man Band-, Röhren-, Punkt-, Wolken-, Moos-,
Landschafts-, Kestungs-, Trümmer-, Regenbogen-Achat rc. Er
wird zu kleinen Mörsern, in denen man harte Stoffe pulvert,
zu Wagschalen, Vasen, Dosen, Uhrschlüsseln, Petschaften, Spiel-
marken, Balsambüchsen, Glättsteinen, Messerheften, Rosenkränzen
Mosaik (Steinbilderei) rc. verarbeitet.
186
13. Der Kieselfchieser ist dichter, mit Thon, Kalk, Eisen,
Kohle rc. vermengter Quarz, im Großen unvollkommen schieferig,
im Bruche muschelig, grau, roth, grün, kommt im Schwarz-
walde, Harz, Erz- und Riesengebirge r-c. vor und wird zum
Straßenbau, zu Reibsteinen, und der schwarze als Probierstein
benutzt.
C. Halbharte Kiesel.
1. Der Bimsstein ist meist von fasrigem Gewebe, wie
Seide glänzend, spröde, scharf anzufühlen und so leicht, daß er
auf dem Wasser schwimmt. Man findet ihn nur in vulkanischen
Gegenden und hält ibn für ein Produkt des Feuers, aus Kiesel,
Thon und Talk entstanden. Er dient verschiedenen Künstlern
und Handwerkern, z. B. Lederarbeitern, Pergament- und Hut-
machern, Papparbeitern rc., zum Poliren, den Schuhmachern
znm Abreiben und Zuspitzen der Borsten. Die Morgenländer
gebrauchen ihn schon seit alten Zeiten in den Bädern, die Haut
damit zu reiben, und die Juden schleifen mit deckiselben den ge-
zwickten Bart ab. Im gestoßenen Zustande dient er auch zum
Filtriren.
2. Der edle Opal ist milchblau, spielt aber in allen ver-
schiedenen Farben und wird deshalb zum Schmuck verarbeitet.
3. Der Pechstein sieht bräunlich, röthlich, grünlich und
schärzlich aus, wird in Baiern, Ungarn, Mexiko rc. gefunden und
zu Bausteinen benutzt.
8. 113.
2. Ordnung. Thone.
(Kdlfr. I. S. 297.)
Die Thonerde liefert mit Vitriolsäure Alaun, saugt das
Wasser begierig ein, läßt es aber nickt durchdringen, sondern
wird zu einem bildsamen Teige und durch den Strich mit dem
Fingernagel mehr oder weniger glänzend, fühlt sich fettig an,
hängt an der feuchten Lippe und giebt beim Befeuchten einen
eigenthümlichen Geruch von sich, zieht sich in der Hitze stark zu-
sammen und bekommt Risse, wird durch Glühen steinhart, so
daß sie am Stahle Funken giebt, läßt sich aber hernach nicht
mehr mit Wasser in einen bildsamen Teig verwandeln.
Halbharte Thone.
1. Der Basalt hat eine dem Dachschiefer ähnliche Farbe, aber
eine Härte, welche dem Meißel schlechterdings widersteht; daher läßt
er sich nicht zu Quadern behauen, sondern muß in verschieden ge-
formten Stücken, wie sie unter starken Hammerschlägen springen,
vom Maurer bearbeitet werden. Am liebsten benutzt man ihn zu
Kunststraßen, welche fast von unverwüstlicher Dauer sind; auch
wird er zu Glas, als Probierstein rc. gebraucht. Man findet
ihn gewöhnlich in senkrechter Stellung, säulenförmig (3- oder
187
6 fettig) und häufig über den Boden hervorragend. Bald stehen
die Säulen wie Orgelpfeifen dicht neben einander, bald in etwas
weiteren Zwischenräumen, 30 bis 60, wohl gegen 300" hoch.
Von dieser Höhe sind .sie wenigstens auf dem berühmten Riesen-
damme in Irland, wo an 30,000 beisammenstehen, armsdick
und bis zu 12" Umfang sHdb. LI. S. 77.).
2. Die Lava ist eine durch unterirdisches Feuer bewirkte
Verglasung verschiedener Erdarten. Sie bricht bei heftigen Be-
wegungen der feuerspeienden Berge in ungeheuren Strömen
hervor und liegt z. B. um den Aetna 50 bis 100" hoch und oft
noch weit höher über einander, ist gewöhnlich schwarzgrau, sehr
löcherig und wird zu Kunstarbeiten, Pflaster- Bau- und Mühl-
steinen verarbeitet.
B. Weiche Thone.
1. Der Glimmer hat seinen Namen von den gold- oder
silberartig schimmernden Blättchen sKatzengold, Katzensilber), welche
ec am Bruche zeigt. Man findet ihn mehcentheils in andern
Steinarten eingesprengt, namentlich in Quarz und Feldspath,
mit denen er zusammen den Granit bildet. Die großen sibi-
rischen Glimmertafeln kommen unter dem Namen Marienglas,
Frauenglas, russisches Fraueneis in den Handel. In
Sibirien selbst werden sie schon häufig in dünne Blätter ge-
spalten und zu Fensterscheiben benutzt. Auf kleine Glimmer-
bsättchen klebt man solche Käfer, die sich nicht wohl an Nadeln
spießen lassen. Bei Mikroskopen legt man die kleinen Gegen-
stände, welche betrachtet werden sollen, zwischen Glimmmerblättchen.
Die feinen Glimmerschuppen benutzt man zu Streusand.
2. Der Thonschiefer ist .schwarz, schwarzblau oder grau,
grobblättrig und läßt sich in dünne Tafeln spalten. Es giebt
ganze Gebirge von Schieler, z. B. in Sachsen und der Schweiz.
Man trifft ihn in großen Blöcken und spaltet diese, so lange
sie noch feucht sind, benutzt ihn zum Dachdecken, zu Schiefer-
tafeln, Griffeln, Tischblättern, Wetzsteinen rc. Die schwarze
Kreide oder der Zeichenschiefer ist eine weiche Schieferart,
die man zum Zeichnen benutzt.
3. Der Wetzschiefer, gewöhnlich schwarzgrau, etwas härter
als der vorige, aber an denselben Orten sich findend, wird beson-
ders zum Schleifen der Messer gebraucht.
C. Sehr weiche, zum Theil zereibliche Thone.
I. Der gemeine Thon begreift mehrere Arten von ver-
schiedener Farbe undReinheit. Der Töpferthon ist die reinste
Thonerde, welche auch mit dem Namen Weißerde bezeichnet
wird und sich in der Regel, selbst bei grauer Färbung, weiß
brennt. Man hat ihn übrigens von allen Farben: schwarz,
grün tc., am häufigsten aber grauweiß. Thongruben giebt es an
vielen Orten, z. B. bei Bunzlau, wo sehr schöne Töpferwaren
verfertigt werden. Der weiße wird zu Steingut, Fayence
188
lspr- Fajang's) und feinem Töpfergeschirr, so wie zu Tabackspfei-
sen sPfeifenthon) verwendet, und wenn er ziemlich kalk-, bit-
tererde- und eisenfrei ist, zu Schmelztiegeln. Fetter,'reiner Thon
wird auch zum Waschen der Tuche Malker- oder Füllerde),
zum Rafsiniren des Zuckers je. benutzt. Der beste ist der Por-
zejlanthon, aus dem man das echte Porzellan brennt, welches
am Stahle Feuer giebt. Es wurde im I. 1702 durch den Apo-
theker I. Friede. Bötticher in Meißen erfunden. Früher erhielten
wir es aus China und Japan. Den Porzellanthon findet man
in Sachsen, Schlesien, Oesterreich rc.
2. Der Lehm ist unreiner, ockergelber, gelblichgrauer oder
brauner Thon, der sich vermöge seines Eisengehaltes roth brennt
und im strengen Feuer zu einer grünen Schlacke schmilzt. Ge-
wöhnlich enthält er Quarzkörner eingemengt nnd öfters auch
Kalk, der sich durch das Aufbrausen der Masse zu erkennen giebt,
wenn man sie mit einer Säure übergießt. Im Wasser zerfällt
er. Man benutzt ihn vorzüglich zur Anfertigung von Ziegeln,
Luft- oder Backsteinen, irdenen Oefen, gewöhnlichen Töpferwaa-
ren, zu Kitt, als Mauerfpeife bei Oefen, Feuermauern und zur
Formerei für Gußwaaren. Ein vorzüglich aus Lehm bestehender
Boden ist naß, kalt, schwer und im Allgemeinen dem Anbaue
ungünstig. Dagegen ist gebrannter Thon und Lehm für solchen
Boden ein vortreffliches Düngungsmittel. Durch Vermischung
mit Kalk, Torfasche und durch Abziehen des Wassers mittelst
Gräben wird der Thon- und Lehmboden verbessert.
3. Die Ambra ist braun und wird von den Tischlern zum
Anstreichen benutzt. Die beste kommt von der Insel Cypern;
auch bei Cöln gräbt man eine gute Umbraerde.
4 Der Bolus, eine stark eisenhaltige, mehrentheils röth-
liche Thonerde, fein, weich und fettig anzufühlen, wurde vor
Zeiten häufig in der Medizin gebraucht. Vorzüglich stand dieser-
halb die lemnische Erde <Siegelcrde) im Rufe. Der beste
Bolus ist der armenische. Man' hat auch blauen, gelben, grünen,
schwarzen und weißen Bolus. Den rothen nimmt man zum
Anstreichen der Feuerheerde; auch wird aus ihm Berlinerroth
bereitet. Den weißen benutzen die Soldaten zum Anstreichen
des Riemzeuges; er zieht auch Fettflecken aus Holz, Papier rc.
Guter Bolus wird bei Striegau, Zittau und Nürnberg gefunden.
5. Der Tripel, sogenannt von der Stadt Tripolis in Afrika,
wird jetzt auch in Böhmen, Sachsen, Schlesien rc. gefunden und
ist mager, spröde, gelblich, bald mehr, bald weniger verhärtet
und wird zum Poliren der Metalle und des Glases gebraucht.
6. Die Gelberde ist gelb, etwas fettig und wird besonders
zum Anstreichen der Zimmer und Häuser gebraucht. In der
Lausitz wird sie häufig gefunden.
189
§• 114.
3. Ordnung. Talke.
Die Talke wiegen höchstens 3, sind meist grün, blätterig,
oder säulenförmig und ziemlich weich, geben selten Feuer, ver-
ändern sich in Säuren und an der Luft, aber nicht, im Wasser
und wenig im Feuer. Man findet die Talkerde gewöhnlich nur
in Steingestalt oder im Wasser, namentlich im Seidschützer, aus
dem sie geschieden und unter dem Namen Magnesia verkauft
wird. Sie heißt Bittererde oder Biktecsalzerde, nicht als
ob sie selbst einen bittern Geschmack hätte — denn sie ist wie
alle reine Erden geschmacklos — sondern weil sie in Verbindung
mit Vitriolsäure ein bittres Salz liefert. Da sie begierig Säuren
verschlingt, ist sie ein erprobtes Mittel gegen das Sodbrennen.
1. Der gemeine Talkstein ist meist grünlich, wie Perl-
mutter glänzend, fühlt sich fettig, an, läßt sich leicht spalten und
zeichnet sich durch geringe Härte aus. Der weiße Talk wird zur
Bereitung von Schminken und Pastellfarben, zum Poliren des
feinen Leders rc. verwendet. Wegen seiner Fettigkeit empfiehlt
er sich als ein vorzügliches Mittel, das Reiben der Maschinen
zu- verhindern, wozu er auch besser als Seife und Oel sich eignet,
indem das Holzwerk nicht von dem Talksteine anschwillt. Auch
soll er endlich Flecken aus den Kleidern wegbringen.
2. Der Serpentin ist schwarz und grün gemasert, ziemlich
weich, wenn ec frisch aus der Erde kommt, und wird auf der
Drehbank zu Apothekermörsecn, Dintenfässern, Schreibzeugen,
Wärmsteinen, Leuchtern, Pfeifchen, Würfeln, auch in der Bau-
kunst zu Gesimsen, Taufsteinen, Tafeln, Platten, Säulen, von
Bildhauern zu Büsten, kleinen Bildsäulen rc. verarbeitet. Man
findet ihn fast in allen Gebirgen.
3. Der Seifenstein oder Speckstein ist so weich, daß
man' ihn unter dem Namen spanische Kreide zum Zeichnen
auf dunklem Grunde, zum Fleckenausmachen und zum Walken
gebraucht. Die Züge, welche man damit auf Glas macht, hängen
so fest an, daß sie nach dem Abwischen mit einem Tuche wieder
zum Vorschein kommen, wenn man die beschriebene Stelle an-
haucht.
4. Der Meerschaum hat den Namen von seiner Leichtig-
keit und wird am häufigsten in Natolien, doch auch in Mähren
gegraben. Aus der Eide kommend ist er mehr thon- als stein-
artig und kann daher in Formen gepreßt werden, in welchen
man ihn auch zu Pfeifenköpfen ausbohrt. Noch in den Formen
wird er anfangs an der Sonne, dann aber ohne die Formen in
Oefen ausgetrocknet. Gewöhnlich werden alsdann die Köpfe in
Wachs oder Oel gesotten.
5. Der Asbest ist grünlichgrau, glänzt wie Seide« und be-
steht aus lauter feinen, zum Theil ziemlich langen Haaren
190
fAmianth oder Steinflachs). Er findet sich meist in Serpentin-
gebirgen, z. B. auf Korsika, in Italien, Frankreich und der
Schweiz. Die alten Völker machten Tücher und Gewänder
daraus, auch um die Leichen darin zu berbrennen, deren Asche
man aufbewahren wollte. Der von erdigen Theilen gereinigte,
langfaserige-Ami ant h kann recht gut, mit Flachs zusammenge-
sponnen, auf die gewöhnliche Weise gewebt, das Gewebe sodann
über Kohlen ausgeglüht und so der Flachsfaden zerstört werden.
Das zurückbleibende Amianthzeug hat das Ansehen grober Lein-
wand. Kaiser Karl V. hatte Tischzeug von diesem Gewebe, das
er zum Vergnügen seiner Gäste ins Feuer warf und weiß brennen
ließ. Man gebraucht den Amianth überdies zu Dochten, als
Träger der Schwefelsäure in gewissen chemischen Feuerzeugen und
kauft ihn in den Apotheken unter dem Namen Federalaun.
tz. 115.
4. Ordnung. Kalke.
(Kdrfr. I. S.297.)
Die aus Kalkerde bestehenden Steine wiegen meist weniger
als 3, selten etwas mehr, sind gewöhnlich weiß, höchstens halb-
hart, meistens jedoch viel weicher, brennen sich im Feuer weißer,
mürber und leichter, werden ätzend und brausen mit Säuren auf.
Da die Kalke mit verschiedenen Säuren verbunden sind, zerfallen
sie nach diesen in mehrere Unterordnungen, von denen wir jedoch
nur folgende anführen wollen:
A. Kohlensaure Kalke.
1. Der Kalkstein ist mehrentheils gelblich, aschgrau, weiß,
röthlich, braun, gestreift, geflammt, geadert ic. verliert im Feuer
die Hälfte seines Gewichtes, erhitzt sich gebrannt durch zugegossenes
Wasser bis zum Sieden und löst sich in einen Brei auf. Man
gewinnt ihn bergmännisch, auch in losgerissenen Stücken auf
den Feldern, Den meisten' findet man in England, dem Harze,
Erzgebirge, Schwarzwalde rc. Der gelöschte Kalk giebt, mit Sand
vermengt, den Mörtel und dient auch zum Anweißen der Wände,
in den Gerbereien zum Enthaaren der Häute, bei den Seifen-
siedern zur Verstärkung der Lauge, beim Blaufärben zum Aus-
schließen der Farbestoffe im Indigo und Waid, zur Läuterung
des Zuckers, in den Schmelz- und Glashütten zur Beförderung
des Schmelzens der Mineralien. Roh giebt er ziemlich haltbare
Bausteine und Quadern. Die schieferigen benutzt man auch zum
Steindrucke (bec beste hierzu ist der Solenhofer in Mittelfranken).
Roher gemahlener oder gebrannter Kalk auf nasse, thonigeAecker
gestreut, verbessert dieselben, befördert die Auflösung des Düngers
und der* natürlichen Feuchtigkeiten in der Erde und macht sie
wirksamer. Bei Pest und Viehseuche deckt man die verscharrten
191
Körper mit Kalk zu, um die Austrocknung derselben zu bewirken
und langsame Fäulniß und Ansteckung zu verhindern. Der un-
gelöschte Kalk wirkt innerlich als ein schwaches Gift; gelöscht
ist er zwar nicht so scharf, erregt aber doch hartnäckige Verstop-
fungen und andere Krankheiten. Daß man sich vor den Aus-
dünstungen frisch gebauter oder auch nur geweißter Zimmer zu
hüten habe, ist bekannt — Tropfstein heißt der Kalkstein,
welcher sich beim Heruntertröpfeln des Kalkwassers von der Decke
der Berghöhlen in Zapfen ansetzt, wodurch häufig allerlei Figuren
und sogenannte Naturspiele gebildet werden (die 80' hohe Höhle
auf Antiparos, die Baumannshöhle im Blankenburgischen rc.). —
Kalktuff entsteht, wenn sich Kalk aus dem Waffer absetzt, ohne
durch Erdschichten zu träufeln. Legt man in solches Wasser Etwas,
so wird es bald mit Kalk überzogen (Jnkrustat), wie in Karls-
bad. Wenn sich die Kalkerde um Baumwurzeln und ähnliche
Gewächstheile legt und nach deren Zerstörung knochenförmige
Röhren vorstellt, nennt man sie Beinbrech. — Der Kalk-
sinter ist eine faserige, der Erbsenstein eine schalige Abän-
derung des Kalksteines.
2. Die Kreide ist von verschiedener Härte, besteht aus
feinen, mager anzufühlenden Theilen, läßt sich leicht schaben
und färbt ab. Sie hat ihren Namen von der Insel Creta (jetzt
Candia), welche sie in großer Menge und von vorzüglicher Güte
liefert. Hier und da bildet sie ganze Vorgebirge, z. B. in Eng-
land, Dänemark, Rügen. In Deutschland gräbt man eine sehr
gute Kreide bei Köln. Man brennt und verarbeitet sie wie den
Kalk, streut sie aus thonige und sandige Felder, gebraucht sie
zum Anstreichen, zum Schreiben auf Tafeln und als Säure ver-
schlingendes Mittel, zum Poliren verschiedener Metalle rc. In
Verbindung mit Leinöl giebt sie den Glaserkitt.
3. Der Marmor übertrifft alle Kalkarten an Lebhaftigkeit
der Farben, an Politurfähigkeit, Härte und Dauer. Der blen-
dendweiße wird am höchsten geschätzt und vornehmlich zu Stand-
bildern benutzt. Am berühmtesten ist der carrarische. Er wird
nicht nur zu kleinen Kunstsachen, zu Grabmälern. Altären, Kan-
zeln, sondern auch zu großen Säulen, ja ganzen Gebäuden ver-
arbeitet. Die Abgänge und schlechten Sorten werden gebrannt
und zum Düngen der Felder benutzt.
B. Schwefelsaure Kalke.
I. Der Gips hat gewöhnlich eine weißliche oder hellgraue,
gelbliche oder röthliche Farbe und eine geringere Härte als der
Kalkstein. Man macht Gipssiguren, Häuserverzierungen, Gips-
marmor, Putzpulver rc. daraus. Roh gemahlen giebt er ein Ver-
besserungsmittel der Aecker und Wiesen. Auch benutzt man ihn
als Mörtel, besonders bei Wasserbauten, und zum Anweißen.
Man unterscheidet blättrigen oder späthigen Gips, Gipsspath,
der als Kristall in Kalk, Mergel und Thon gefunden wird und
192
sich spalten läßt wie Glimmer. fasrigen Gips oder Stcahlgips,
der auch in einzelnen Stücken auf dem Felde gefunden wird,
körnigen, schuppigen und erdigen Gips. Die reinen, feinkörnigen
Abänderungen, wie der Alabaster, werden in der Bildhauerei
benutzt. Die schönsten Alabasterarbeiten kommen jetzt aus der
Gegend von Florenz.
2. Der Schwerspat- besteht mehr aus Baryt- oder Schwer-
erde als aus Kalk und ist daher 4 bis 5 mal so schwer als das
Wasser. Er hat einen fettartigen Glanz, ist weiß, graulich, gelb-
lich, röthlich rc. und findet sich vorzüglich in den erzführenden
Lagern und Gangen der Grund- und Uebergangsgebirge. Man
benutzt ihn zu weißer Farbe, gemahlen zur Verfälschung des Blei-
weißes, zur Verbesserung des Bodens, als Zuschlag beim Schmel-
zen, in der Scheide- und Arzneikunst. Geglüht leuchten manche
Abänderungen lange im Dunkeln fort und heißen dann Bolog-
neser Steine.
C. Flußsaure Kalke.
1. Der Flußspat- kommt häufig in schönen Würfeln und
Achtflachskristallen vor und hat oft die schönsten Farben, unter
denen sich besonders das Veilchenblaue, Weingelbe, und Smaragd-
grüne auszeichnen. Den Namen hat er von seiner Eigenschaft,
die Erze, mit denen er vermischt wird, leichter zum Schmelzen
zu bringen. Schön gefärbte größere Stücke werden zuweilen zu
Eafeln, kleinen Dosen, Vasen rc. verarbeitet. Allgemeiner be-
nutzt man ihn zur Bereitung des Porzellans, des weißen Schmelz-
glases und der Flußsäure, welche so scharf ist, daß sie sogar Glas
angreift.
§- I'6.
Gesteine und Versteinerungen.
Die bisher beschriebenen Steine sind meist ungemengt. Außer
diesen giebt es noch große Steinmassen, die ganze Gebirge bilden
und aus verschiedenen Erdarten zusammengebacken oder zusam-
mengeschmolzen sind. Man nennt sie gemengte Steine, Ge-
steine oder Felsen. Die wichtigsten Gesteine sind;
1. Der Sandstein, aus lauter kleinen Kieselkörnern beste-
hend, die durch Kalk verbunden sind. Bald ist er grob-, bald
feinkörnig, von Farbe weißlich, gelblich, braun und roth. Man
benutzt ihn vorzüglich zu Bildhauerwerken, Säulen. Treppen,
Fenster- und Thürgestellen, zu Mühl-, Schleif- und Wetzsteinen,
in großen Stücken — Quadern — zu Bauwerken und zum
Pflastern. Aus Sandstein sind die herrlichsten Gebäude Deutsch-
lands, namentlich die Dome zu Freiburg und Köln, erbaut.
2. Der Granit besteht aus weißem Quarz, Feldspath und
Glimmer und hat daher ein körniges, gesprenkeltes Ansehen;
Wegen seiner außerordentlichen Härte ist er schwer zu bearbeiten
und wird daher selten als Baustein, wohl aber zum Straßenbau
193
und als Fundament der Gebäude Vortheilhaft benutzt. Beim
Verwittern giebt er eine fruchtbare Erde (Hdb. II. S. 75,).
3. Der Mergel ist eine Mischung von Thon, Kalk und
Gips. Man findet ihn oft schichtweise 10 bis 20' tief unter
der Erde, vorzüglich im Hannoverschen, und benutzt ihn zu Töpfer-
waaren und unechtem Porzellan, am häufigsten aber zur Ver-
besserung des magern Kalk- und Sandbodens.
Versteinerungen (Petrefakten — Hdb. Ii. S. 77.) sind
Thier - und Pflanzenkörper, welche in der Erde, besonders in
Schichten von Thon, Mergel, Kalkstein und Kreide, statt zu ver-
wesen und in Erde zu zerfallen, von Erde nur durchdrungen und
durch die Länge der Zeit selbst steinartig geworden sind. Häufig
findet man auch nur Abdrücke von Thieren und Pflanzen, die
bei plötzlichen Umwälzungen der Erdoberfläche von der erdigen
Masse bedeckt wurden Besonders häufig sind Versteinerungen
von Schalthieren, namentlich die gewundenen Ammonshörner,
zuweilen von der Größe eines Pflugrades, Belemniten (Donner-
keile), fingerförmig und mitunter fußlang, Echiniten (See-Igel),
Mammut en^Zahne, Gräten und Fischschuppen.
Die Salze haben einen merklichen Geschmack, brennen nicht/
lösen sich im Wasser auf und schießen beim Verdunsten deS
Wassers in Kristallen an. Nach der Säure, welche sie enthalten,
giebt es:
A. Salzsaure Salze.
1. Das Koch- oder Küchensalz und das Steinsalz (Hdb. II.
S. 113.).
2. Der Salmiak gehört unter die flüchtigen Salze, welche
nicht nur einen scharfen, brennenden Geschmack, sondern auch
einen durchdringenden, stechenden Geruch haben (besonders wenn
man ihn auf gebranntem Kalk reibt); daher man auch den Sal-
miakspiritus, als eins der heftigsten Riechmittel, Scheintodten
zu ihrer Wiederbelebung unter die Nase hält, es auch eben ss
bei starkem Kopfweh zur Betäubung gebraucht. In vulkanischen
Gegenden, z. B. am Aetna und Vesuv, findet man den Salmiak
natürlich. Künstlich bereitet man ihn in Aegypten aus Ruß von
verbranntem Kameel- und Kuhmist, bei uns aus einem von Urin,
Hörnern, Knochen, Torfruß rc. gezogenen flüchtigen Laugensalze,
welches man mit Salzsäure versetzt. Man gebraucht ihn in der
Arznei, zur Verzinnung des Eisens und Kupfers, zum Löthen,
Pechner, Handb. 3. Theil. 13
§. 117.
Zweite Klasse.
Salze.
(Kdrfr.l. S.207.)
194
zum Schmelzen des Goldes, zur Schnupftabacksbeize, in der
Färberei ic.
B. Salpetersäure Salze.
1. Der Salpeter kommt als Ausblühung der Erdoberfläche
in mehreren trockenen Ebenen warmer Länder vor, wie in Ungarn,
Spanien rc. Bei uns wird er aus salpeterhaltiger Erde und
aus künstlich angelegten Salpeterwänden ausgelaugt. Diese be-
stehen aus Moorerde, thierischem Unrathe, verwesten thierischen
Körpern rc. Die beste Salpetererde wird in Viehställen gegraben.
Er ist um des Schießpulvers willen das wichtigste Salz nach
dem Kochsalze und wird auch, mit diesem vermengt, zum Einpö-
keln des Fleisches benutzt. Das Scheidewassec wird bloß
aus Salpeter und gebranntem Vitriol oder Alaun gewonnen und
in einer Blase destillirt. Es löst alle Metalle auf, nur nicht
Gold und Platina, wird zur Aetzung der Kupfer- und Stein-
platten, zu äußern Heilungen rc gebraucht.
€. Schwefelsaure Salze.
1. Der Alaun besteht aus Thonerde (nebst Kali oder Am-
moniak) und Schwefelsäure und erscheint, gehörig bereitet, als
ein sehr klares, glasartiges Salz von herbsüßlichem Geschmacke.
Man gebraucht ihn am häufigsten zur Erhöhung der Farben,
zur Bereitung des Weißleders, zum Vertilgen der Wanzen, zum
Ausziehen des Frostes aus erfrornen Gliedern und gewinnt ihn
meist durch Kunst aus Alaunthon, Alaunschiefer und Alaunstein,
Letzterer wird farblos, auch graulich, gelblich, röthlich gefärbt in
einigen Gebirgen des Kirchenstaates, Ungarns und Frankreichs
gefunden. Das berühmte Alaunwerk zu Tolfa im Römischen,
welches seit 1458 arbeitet, erzeugt davon gegenwärtig allein jähr-
lich I00,E) Etr.
2. Das Glaubersalz hat seinen Namen von einem deutschen
Chemiker, Namens Glauder, der 1008 zu Amsterdam starb. Es
besteht aus glashellen Kristallen, welche jedoch, der Luft ausgesetzt,
in weißes Pulver zerfallen. Natürlich findet man es in mehreren
Salzquellen, z. B. bei Hildburghausen, in der Schweiz, Oesterreich
rc, jedoch auch trocken und unrein in Salzbergwerken. Man be-
nutzt es als Abführungsmittel.
3. Das Bittersalz enthält Schwefelsäure und Bittererde
und findet sich gewöhnlich als Ausblühung auf bittererdehalkigen
Gesteinen. Kommt Wasser mit solchem Gestein in Verbindung,
so laugt dieses das Bittersalz aus, und es entstehen die soge-
nannten Bitterwasser, wie zu Sedlitz, Seidschütz rc. Das
Bittersalz ist eins der besten und wohlfeilsten Abführungsmittel.
4. Der grüne oder Eisenvitriol, unrichtiger Weife Ku-
pferwafser genannnt, besteht aus Eisen und Schwefelsäure, ist
lauchgrün, ins Berg- und Spangrüne übergehend, und findet
sich besonders in Eisenbergwerken. Der größte Theil des im
Handel vorkommenden Eisenvitriols wird jedoch künstlich dargestellt
195
und zur Schwarzfärberei, zur Bereitung der schwarzen Dinte,
des Berlinerblaues, zur Beschützung des Holzes vor Schwamm,
Fäulniß, Wurmfraß rc. angewendet.
5. Der blaue oder Kupfervitriol (der beste ist der cyprische)
wird ebenfalls meist künstlich bereitet, löst sich auch in den Gru-
benwassern auf und bildet die sogenannten Cementwasser, aus
welchen mittelst Eisen das Kupfer metallisch ausgeschieden werden
kann. Aus der Auflösung des Kupfervitriols scheidet sich eben-
falls das metallische Kupfer, wenn man Eisen hineinlegt. Die
Galvanoplastik ist die Kunst, mit Hülfe des Galvanismus aus
aufgelösten Metallsalzen das reine Metall auszuscheiden und in
bestimmte Formen zu bringen. Von Farbe ist der Kupfervitriol
dunkel himmelblau, ins Spangrüne und Berlinerblaue übergehend,
hat einen höchst widerlich zusammenziehenden Geschmack, besteht
aus Kupfer und Schwefelsäure und löst sich leicht im Wasser
auf. Man benutzt ihn zur Bereitung blauer und grüner Farben
und auch in der Heilkunst.
6. Der weiße oder Zinkvitriol, auch Gallitzenstein ge-
nannt, welcher Zink enthält und meistens künstlich bereitet wird,
dient in der Färberei und Medizin.
D. Kohlensaure Salze.
1. Das Natron oder die Soda ist farblos oder grünlich
und gelblich gefärbt, hat einen scharfen, laugenhaften Gesckmack,
verwittert an der Lust und besteht aus Natrium, Kohlensäure
und Wasser. Es kommt vorzugsweise als Absatz aus dem Wasser
kleiner See'n in Aegypten vor, die deshalb Natronsee'n heißen,
und unter ähnlichen Verhältnissen in Persien, Tibet, China,
der Tatarei, sodann als Ausblühung auf der Erdoberfläche in
einigen Gegenden von Italien, Böhmen, Ungarn, und zwar in
solcher Menge, ^daß daselbst jährlich mehrere >000 Ctr. gesammelt
werden. Die Soda wird vorzüglich zur Glas - und Seifenfabrik
kation, in der Färberei und zu andern chemischen und gewerb-
lichen Darstellungen benutzt.
E. Boraxsaure Salze.
1. Der Borax ist ein klares, durchsichtiges Salz, dessen
Kristalle 0- bis 8seilige Säulen bilden. Er wird gewöhnlich aus
Ostindien nach Holland gebracht und zum Schmelzen und Löihen
der Metalle, in Glasfabriken, bei Feuerwerken zu grünem Feuer,
selten in der Arznei gebraucht.
13*
196
§. "8.
Dritte Klasse.
B r e n z e.
(Kdrfr. I. S. 297.)
Brenze, brennbare Mineralien, Erdharze oder Inflam-
mabilien sind Mineralien, welche aus einem verbrennlichen Stoffe
bestehen und in der Hitze an der Luft verbrennen oder doch ver-
glimmen.
1. Die Steinkohle ist schwarz, mehr oder wenigerglänzend
und brennbar, besteht aus eisenhaltigem Thon und Kalk, von
Bergöl oder Schwefelkies durchdrungen. Ihren Ursprung leitet
man aus dem Gewächsreiche her. Man findet sie in großen
Lagen und Schichten in der Erde, z. B. in Schlesien, im Mag-
deburgischen, der Grafschaft Mark, Belgien, von ungeheurer Tiefe
und Ausdehnung aber in England. Das Steinkohlenbergwerk
bei Newcastle sHdb. ll. S. 254.) läuft wenigstens 1/2 Meile
unter dem Meere hin und beschäftigt an 30,000 Menschen, von
denen viele in dem Bergwerke geboren werden und heranwachsen,
ohne jemals das Tageslicht gesehen zu haben. Nach London allein
werden jährlich über 24 Millionen Scheffel Steinkohlen verfahren.
Am allgemeinsten wird die Steinkohle als Brennmaterial benutzt,
dann aber auch bei der Gasbeleuchtung, zur Bereitung des
Steinkohlentheeres rc- Aus den glasartigen Stücken werden
Knöpfe, Halsgehänge, Dosen, Spielmarken, Kämme rc. geschnitten
und polirt.
2. Die Braunkohlen sind offenbar verschüttetes und nicht
einmal versteinertes, sondern verstocktes und vermodertes, jedoch
mit etwas Erdöl durchdrungenes Holz, an welchem man zuweilen
noch die Holzart, ob Eichen, Buchen, Kiefern rc. unterscheiden
kann; oft ist es aber auch ganz in braune oder schwarze Erde
zerfallen und muß zum Gebrauche erst in ziegelartige Kuchen ge-
formt werden. Sie ist zwar ein gutes Brennmaterial, steht aber
der Steinkohle weit nach und hinterläßt immer mehr Asche als
diese. Die kies- und thonhaltige Braunkohle wird zur Vitriok-
und Alaunfabrikation benutzt. Die ergiebigsten Fundörter sind
in der Nähe der Alaunbergwerke, wie zu Gleißen in der Neu-
mark, Freienwalde, Muskau, ferner bei Fürstenwalde, Wronke
in der Provinz Posen rc.
3. Der Torf lHdb. II. S. 115.).
4. Der Schwefel hat eine gelbe, ins Grünliche spielende
Farbe, einen unangenehmen Geruch und fast gar keinen Ge-
schmack. In der warmen Hand knistert er, schmilzt bei gelinder
Wärme, verbrennt mit einer blauen Flamme ohne Rauch und
Ruß und ohne Rückstand, verbreitet aber dabei einen sauren, er-
stickenden Geruch. Theils wird er gediegen sJungfernschwefel),
197
theils vererzt (Schwefelkies) gefunden, selbst in Wassern (Schwe-
felbädern) und thierischen Körpern, am häufigsten in der Nähe
der feuerspeienden Berge. Man benutzt ihn zum Feueranmachen,
zu Schießpulver, zur Feuerwerkerei, zur Scheidung und Schmel-
zung der Metalle, in der Arznei äußer- und innerlich (bei Krätze
und Gicht), zum Einschwefeln der Weinfässer, zum Bleichen der
Korbruthen und zur Bereitung der Schwefelsäure.
9. Der Bernstein (Kdrfr. l. Nr. 100. Hdb. I. §. 79. D. c).
0. Das Erdöl oder die Naphtha ist wasserhell, dünnflüs.
sig und so leicht, daß es auf Weingeist schwimmt, brennt mit
einer wohlriechenden Flamme und ist so flüchtig, daß es selbst in
verstopften Gefäßen allmälig verdunstet und Feuer fängt, wenn
man eine Flamme nur in seine Nähe bringt. Die reichsten
Naphthaquellen sind bei Baku (Hdb. H. S, 287.).
7. Das Steinöl unterscheidet sich vom Erdöl durch seine
braungelbe Farbe; auch ist es nicht so dünnflüssig und riecht un-
angenehm. Das durch einen asphaltartigen Stoff dickflüssige
Stein- oder Beczöl heißt Bergtheer. Bei Baku sind auch
mehrere >00 Steinölbrunnen im Betriebe. In Europa kommt
es vor in Schlesien, Ungarn, Baiern, der Schweiz rc. Es wird
vorzüglich als Brenn- und Leuchtmaterial benutzt, namentlich am
Kaukasus und im Parmesanischen, sodann in der Medizin, ferner
zur Aufbewahrung der leicht rostenden Metalle (wie Kalium),
zur Bereitung von Firnissen rc. Der Bergtheer wird als Schmiere
und zur Anfertigung von Kitt und wasserfestem Mörtel, zu
künstlichen Platten für Bedachungen und Pflasterungen (Trot-
toir's) benutzt.
8. Das Erd- oder Judenpech (Asphalt) ist von schwarz-
brauner Farbe, undurchsichtig, glänzend und überhaupt dem Peche
ähnlich. Man findet es in Schweden, am Harze, in Frankreich,
am todten Meere und benutzt es zu Fackeln und zu verschiedenen
Firnissen.
9. Das Reißblei oder der Graphit fühlt sich fettig an,
schmilzt, brennt und verfliegt im Feuer bis auf einen ganz klei-
nen Rückstand. In Deutschland findet man es bei Passau,
Regensburg und an anderen Orten; das beste kommt aus Eng-
land Es kann, wie es aus den Bergwerken kommt, geschnitten,
oder auch geschmolzen und in Hülsen gefaßt werden. Bleistift-
fabriken sind zu Nürnberg, Wien, Berlin, Meißen rc. Unreine
Abänderungen werden mit Thon zu feuerfesten Tiegeln verwandt,
die vorzüglich zum Metallschmelzen bienen (Passauer Schmelztie-
gel). Geschlemmter Graphit wird auch zur Reibungsverminde-
rung,^zum Policen rc. gebraucht, die gewöhnlichen Vorkommnisse
zum Schwärzen von Eifenwaaren, Oefen, Röhren rc. In neue-
rer Zeit har man ihn auch als Heilmittel gegen die Flechten
empfohlen.
198
§• 119-
Vierte Klasse.
Metalle.
(Kdrfr. I. S. 297.)
Die Metalle sind Mineralien, welche 5 bis 20 wiegen
(also die schwersten Körper der Erde), sich dehnen und schmel-
zen lassen, stark glänzen, aber kein Licht durchlasten (Hdb.1l.
S. 77.). Man findet sie in der Natur
1) gediegen, d. h. ganz rein, ohne Beimischung anderer
Mineralien, z. B. Gold;
2) vererzt, d. h. mit andern Metallen und Schwefel ver-
mischt, z. B. Schwefelkies;
3) verkalkt oder oxydirt, d. h. mit Sauerstoff verbunden
und in eine erdige Masse ohne Mekallglanz verwandelt, z. B. Röthel.
Man kennt bis jetzt über 18 verschiedene Metalle, von de-
nen die meisten sich im Feuer verflüchtigen und an der Luft ver-
kalken (oxydiren). Man nennt dieselben unedle, die übrigen
aber edle Metalle.
A. Edle Metalle.
1. Das Gold, das kostbarste von allen Metallen, kommt
fast nur gediegen vor, und zwar in Würfeln, Rautenzwölfflachen,
Achtflachen rc. *), ist oft 19mal fo schwer als das Wasser, gelb,
dehnbar und geschmeidig, aber selten ganz rein. Oft wird es
aus den Gebirgen losgerissen und mit den Flüssen in die Ebenen
gebracht, wo man es dann sucht und Fluß-oder Waschgold nennt.
Bei Bahia in Guiana fand man 1782 einen Klumpen, der
2360 Pfund wog. Die ehemaligen spanischen Kolonien haben
in einem Zeiträume von 311 Jahren 3,625,000 Mark Gold ge-
liefert, und während dieser Zeit ist öie Goldcrzeugung von Bra-
silien wenigstens doppelt so groß gewesen, so daß man sie mit
Wahrscheinlichkeit auf 6,300,000 Mark anschlagen kann **). Im
Ganzen werden jährlich ungefähr 151,000 Mark Gold gewonnen.
Der gewöhnlichste Gebrauch ist zu Münzen, Schmucksachen,
Vergoldungen rc. Selten wird es aber rein verarbeitet, weil es
zu weich ist, sondern mit Silber (weiße Legirung) oder mit Ku-
pfer (rothe Legirung) verbunden.
2. Das Silber (Hdb. II. S. 116.).
3. Die Platina oder das Weißgold, grauweiß und stark
glänzend, findet man in Spanien, Amerika und Rußland, woher
man sie in ganz kleinen Kornern von grauer und blauer Farbe
erhält, gewöhnlich mit Gold und Eisen gemischt. Gereinigt von
diesen fremden Theilen, ist sie schwerer als Gold, schmilzt sehr
*) Bergl. Pechner's Raumlehre Thl 1. S. 206-208 und S. 232.
**) Gegenwärtig ist auch Kalifornien durch seinen fabelhaften Gold-
reichthum berühmt.
199
schwer und löst sich wie das Gold nur in Kö'nigswaffer — einem
Gemische von Scheidewasser und Salzsäure — auf Die Waa-
ren, welche man von derselben macht, als Metallspiegel, Münzen,
Tabacksdosen, Schnallen, Schmelz- und Siedegefäße in Apothe-
ken rc sind fast so theuer, als ob sie von Gold wären.
§. >20.
B. Unedle Metalle.
(Kdrfr. I. S. 297.)
l. Das Eisen kommt gediegen nur in den Meteorsteinen,
selten in Gängen in Amerika vor; häufiger findet man es vec-
erzt auf der ganzen Erde, selbst im Blute der Menschen und der
warmblütigen Thiere. Es ist eins der nützlichsten und wichtig-
sten Metalle, wird zu den mannichfaltigsten Zwecken gebraucht,
und seine Anwendung hat in neuerer Zeit eine unglaubliche Aus-
dehnung erhalten. Die verschiedensten Maschinen, Straßen- oder
Eisenbahnen, Pfeiler, Kanonen, Denkmäler, Brücken, ja ganze
Häuser und Schiffe werden aus ihm gearbeitet. Das gehärtete
Eisen oder der Stahl liefert die nutzbarsten und unentbehrlich,
sten Gerälhe, wie Messer, Scheren, Nähnadeln, Sensen, Sägen,
Feilen, Bohrer, Aexte, Beile rc. Am häufigsten wird es durch
verschiedene Schmelzungen aus den Eisenerzen gewonnen und auf
den Eisengießereien. Eisen- und Blechhämmern entweder in For-
men gegossen oder in Stabeisen und Bleche geschlagen, auch zu
Drath gezogen und dann von Schmieden, Schlossern, Klempnern rc.
verarbeitet Auch bereitet man jetzt aus Eisen vortreffliche Heil-
mittel zur Stärkung schwächlicher Körper. — Die wichtigsten
Eisenerze sind:
a) Der Schwefel- oder Eisenkies kommt in Kristallen,
körnig, derb und eingesprengt vor, ist gold- oder messinggelb,
röthlichbraun, braun und bunt durch Anlaufen, hat Metallglanz
und giebt am Stahle Funken. Man findet ihn in Schlesien,
Westphalen, Hessen, Schwaben rc beinahe in allen Gebirgsbil-
dungen, auf den verschiedensten Erzlagerstätten und benutzt ihn
zur Gewinnung des Schwefels, des Eisens, des Eisenvitriols rc.
d) Der Magneteisenstein ist stark magnetisch, eisenschwarz,
wird in außerordentlicher Menge in der Steiermark und in
Schweden, ferner in Sachsen, Tyrol, Böhmen, Piemont rc. ge-
sunden und zur Darstellung des reinen Eisens benutzt.
c) Der Röthel oder Rothstein ist eine mit Rotheisenocker
vermengte Thonart von vorherrschend braunrother Farbe und ro-
them Striche, die man bei Nürnberg, Marburg, Saalfeld, in
Böhmen rc. häufig gräbt, in Stücke zersägt, auch in Holz ein-
saßt, als Farbematerial und zum Zeichnen und Schreiben benutzt.
ö) Der Rotheisenstein oder Blutstein, fasrig, schuppig,
dicht und erdig, dunkelstahlgrau, bräunlich und blutroth, zeigt
200
auch geritzt einen rothen Strich, kommt im Harze, in Schlesien,
dem Erz- und Fichtelgebirge, Schwarzwalde, den Alpen rc. vor
und giebt gutes Eisen, das aber dem aus dem schwedischen Mag-
neteisensteine dargestellten nachsteht. Der fasrige (rothe Glaskopfj
wird auch zum Policen goldener, silberner und zinnerner Gefäße,
so wie zur rothen Farbe angewendet.
e) Der Raseneisenstein oder das Sumpfwiesenerz, das
man auch bei uns findet, ist das schlechteste Eisenerz.
2. Das Kupfer wird häufiger gediegen, sogar in Kristallen
angetroffen, namentlich auf dem Westerwalde, in Ungarn, Schwe-
den, Norwegen, England rc., selten jedoch in großen Massen.
Das meiste wird durch mehrmaliges Schmelzen aus Kupfererzen
gewonnen. Der allgemeinste Gebrauch desselben ist der zu Schei-
demünzen, Geschirren verschiedener Art, Brennerei-Apparaten,
Braupfannen, Feuerspritzen, in Plattenform zum Beschlagen der
Schiffe, zum Decken von Gebäuden, zum Kupferstechen, zu
Pochstempeln in Pulvermühlen und zahllosen andern Gegenstän-
den. Es läßt sich auch mit sehr vielen Metallen zusammenschmel-
zen, woraus alsdann sogenannte Kompositionen entstehen, wie
Glockengut, Stück- oder Kanonengut (mit Zinn), Semilor, Tom-
back (mit Messing und Zinn), Weißkupfer (mit Arsenik), Bronze
(mit Messing) rc. Der Grünspan ist ein Kupferrost, den man
auch aus Kupfer und Salmiak bereitet und zum Malen benutzt.
Er entsteht von selbst, wenn man Speisen, besonders saure, in
kupfernen Gefäßen erkalten läßt, und ist der Gesundheit nach«
theilig. Aus Messing werden Blech, Schienen, Kessel, Wag-
schalen und Gewichte, Leuchter und Lichtscheren, Plätteisen, Thür-
klinken und Fensterwirbel, Schnallen, Knöpfe, Zirkel and andere
Meßgeräkhe, Drath rc. verfertigt. Letzter wird zu Klaviersaiten,
Stecknadeln, Käfichen rc, auch mit Zwirn und Seide zu unech-
ten Treffen und Borten verarbeitet. — Zu den Kupfererzen ge-
hören unter andern:
») Der Kupferkies kommt in Kristallen, derb, körnig, ein-
gesprengt rc. vor, ist messinggelb, häufiger bunt angelaufen, hat
Metallglanz, wird bei Freiberg, Goslar, Mansfeld rc. gefunden
und zur Darstellung des metallischen Kupfers und zur Bereitung
des Kupfervitriols benutzt.
d) Der Malachit ist schön grün, weich und braust mit
Säuren.
o) Die Kupferlasur, blau, weich, braust auch mit Säu-
ren und wird wie der Malachit zum Ausbringen des Kupfers
und zur Farbenbereitung benutzt.
3 Das Zinn ist ausgeschmolzen von weißer Farbe, knistert
beim Biegen und ist sehr weich Das beste Zinn ist das englische
und ostindische, nach diesem das böhmische und sächsische, doch
kommt es nirgends gediegen vor, sondern gewöhnlich verkalkt im
Zinnstein. Dieser ist farblos und gefärbt, gelb, roth, braun
201
bis pechschwarz und findet sich in Kristallen, derb, eingesprengt rc.
in England, Frankreich, Schweden, Deutschland, Sibirien,
Ostindien rc. Die Gruben in Eornwall sHdb- U. S. 25 J.)
liefern jährlich über 40,000 Ctr. Reines Zinn ist das leichteste
und ein sehr leicht flüssiges Metall, welches sich im Feuer erst
in einen grauen, dann weißen Kalk verwandelt, hat keinen Klang,
wird aber, mit andern Metallen gehörig vermischt, hart, klingend
und glanzend. Man benutzt es zur Verfertigung vieler Geräthe,
zum Lothen, zum Verzinnen eiserner, kupferner, blecherner und
messingener Gesäße, zur Erhöhung rother Farben, wie auch zur
Bereitung der Spiegelfolie und des Stamols. Mit Schwefel
giebt Zinn das Mussivgold, und mit Blei das sogenannte Schnell«
^oth; auch wird eine weiße Oelfarbe daraus bereitet. — Der
Zinnkalk wird zum Email, zum Policen der Metalle, zur wei-
ßen Glasur des Porzellans und der Töpferwaaren und auch zum
Schleifen des Glases gebraucht.
4. Das Blei kommt drath- und haarförmig und in Kör-
nern vor, ist dehnbar, geschmeidig, abfärbend, 11 mal so schwer
als das Wasser; es beschlägt die Kohle gelb, wird beim Schmel-
zen auf Knochenasche von dieser allmalig eingesogen, löst sich in
Salpetersäure auf und wird durch Schwefelsäure aus der Auf-
lösung niedergeschlagen. Man findet es in England, Spanien,
Sibirien, Nordamerika, Sachsen, Böhmen rc. und benutzt es zu
Kugeln, Schrot, Fensterblei, Gewichten, Rinnen und Röhren und
in Verbindung mit andern Metallen zu Dachrinnen, Lettern rc.
Das Bleiweiß ist durch Essig aufgelöstes Blei. Auch gewinnt
man aus Blei Bleigelb (Kasselergelb), Mennige, Silb-er-
glätte rc. Gediegenes Blei findet man selten; unter den Blei-
erzen ist vorzüglich reich an Blei der Bleiglanz/der gewöhnlich
wie reines Blei aussieht und meist in blätterigen Würfeln kri-
stallisirt erscheint. Er ist 7 schwer und liefert auch viel Silber
und andere Metalle. — Die Mennige ist ein Bleikalk (Super-
oxyd) von rother Farbe, wird erdig, derb, eingesprengt und als
Anflug in der Nachbarschaft von Bleierzen gesunden, wie in der
Eifel, in Westphalen rc. Die Mennige, welche man in den
Apotheken erhält, wird vornehmlich in England und Holland aus
Bleiasche bereitet und zum Malen benutzt. — Die Blei- oder
Silberglätte wendet man in der Arznei und zur Glasur der
Töpferwaaren an.
5. Der Zink hat eine glänzend bläulichweiße Farbe und ist
weniger spröde als die andern sogenannten Halbmetalle sdie sich
nicht gut dehnen und hämmern lassen); denn er läßt sich zu
Drath ziehen und zu ziemlich dünnen Platten schlagen, die man
zum Dachdecken, zu Dachrinnen rc. benutzt. Er kommt nicht
gediegen vor, sondern theils verkalkt im Galmei, theils vererzt
in der Zinkblende. Der Galmei oder Zinkspath besteht aus
Zink, Kieselsäure rc., ist farblos und grau, durch Verunreinigung
202
gelb, roth, grün, braun rc-, kommt im Kalkstein und Muschelkalk
in Schlesien, der Rheinprovinz, Polen, Kärnthen rc. vor und
wird zur Darstellung des Zinkes und Messings angewendet. —
Von der Zinkblende giebt es mehrere Arten, die meistens in
Würfeln kristallisiren.
6. Das Quecksilber kommt flüssig vor, in Gestalt von
Tropfen, ist zinnweiß, nächst dem Golde das schwerste Metall,
denn es wiegt beinahe 14, erstarrt bei einer Kälte von 40° C.
(— 32° R.) und schießt dabei in regelmäßigen Achtflachen an,
siedet bei 3ü00@., verflüchtigt sich vor dem Lölhrohre ohne Rück-
stand, löst sich leicht-in Salpetersäure auf, wird durch Salzsäure
und Kochsalz niedergeschlagen und metallisch durch Kupfer ausge-
schieden. Es kommt theils eingesprengt, theils in Höhlungen
und Drusenräumen des Zinnobers oder in schieferigen Gesteinen
vor, wo es in Tropfen aus den Ritzen der Gesteine und Erden
hervorquillt. Die reichhaltigsten Quecksilberbergwerke sind zu
Idria in Jllyrien (Hdb. ll. S. 21-1.), zu Almaden in Spanien
(Hdb. li. S. 260.), in Ungarn, Peru rc. Am häufigsten wendet
man es zur Bereitung des Zinnobers an (einer rothen Farbe,
die in den Fabriken zu Venedig, Wien, in Holland rc. aus
Schwefel und Quecksilber bereitet und zur Fabrikation des ro-
then Siegellacks, zum Malen rc. benutzt wird), ferner zur Schei-
dung der Metalle, zum Vergolden und Versilbern im Feuer,
zur Unterlage der Spiegel, zu Barometern und Thermometern,
in der Arznei (Mercur), zur Vertilgung vieler Insekten rc.
7. Der Kobalt, rein von ftahlgrauer Farbe, kommt nicht
gediegen vor, sondern nur als Kies und Ocker, und wird zur
Bereitung der Schmälte (blauen Stärke) gebraucht. Die Schmälte
ist giftig, wird häufig in Schlesien und Sachsen bereitet und
nicht nur zum Blauen der Wäsche, sondern auch zum Malen
auf Glas und Porzellan angewendet.
8. Der Nickel ist hellbleigrau, kommt nur in Verbindung
mit andern Mineralien vor und wird zu allerlei Metall-Compo-
sitionen, namentlich zur Darstellung des Neusilbers angewendet.
9. Das Spießglanz oder Spießglas (Antimon) hat ein
spießiges oder strahliges Gewebe, ist spröde, zinnweiß, grau oder
roth, leichtflüssig, verbrennt mit Funkensprühen, wenn eine stark
erhitzte Kugel durch Herabfallen in viele kleinere sich zertheilt,
und beschlägt den Körper, über welchen die Kügelchen hingleiten,
weiß, löst sich in Salpetersäure auf und wird durch Wasser nie-
dergeschlagen. Es findet sich theils derb mir körniger Zusammen-
setzung, theils in traubigen und nierenförmigen Gestalten auf dem
Harze, in Böhmen, Frankreich, Ungarn, Siebenbürgen, Schwe-
den rc. und wird in Verbindung mit andern Metallen zu Brenn-
spiegeln, Lettern, ferner zur Reinigung des Goldes, vorzüglich
aber zur Arznei (Brechmittel), zu Farben für Porzellanmalerei
und zur Schnupstabacksbeize benutzt.
203,
10. Der Arsenik, ein fürchterlich giftiges Metall, findet
sich besonders als:
«) gediegener Arsenik von weißgrauer Farbe, oft schwärz-
lich angelaufen. Er bildet flache, über einander liegende Schäl-
chen, fast wie eine durchschnittene Zwiebel, und findet sich vor-
züglich im Erzgebirge, am Harze und in Norwegen;
b) Arsenikkies wird kristallisi'rt, derb, stängelig, körnig,
eingesprengt rc. angetroffen, ist silber- und zinnweiß, glänzt me-
tallisch, giebt Funken und wird in Schlesien, Sachsen, Böhmen,
auf dem Harze, in England, Schweden rc. gefunden. Sebr häu-
fig benutzt man ihn nicht bloß zur Darstellung von weißem Ar-
senik, sondern auch zum Färben und Drucken des Kattuns, in
der Malerei, in Glashütten, zum Schmelzen und Reinigen der
Metalle, zu mancherlei Metallverbindungen, z. B. des Weißku-
pfers, zu Leuchtern, Kaffeekannen, Löffeln, Knöpfen, falschen
Münzen, Metallspiegeln, in Stahlfabriken zur Politur rc.
*:) Rauschgelb, Auripigment, gelb, glänzend, blätterig
und sehr schwer, findet sich sehr häufig in Kleinasien, doch auch
in Ungarn und Siebenbürgen, und giebt eine schöne gelbe Farbe.
Der Arsenik ist darin mit Schwefel verbunden.
Aller Arsenik riecht, wenn man ihn ins Feuer bringt, stark
nach Knoblauch; daher muß man mit denjenigen Mineralien,
welche im Feuer diesen Geruch von sich geben ^ sehr vorsichtig
umgehen. Der Gebrauch des Arseniks als Rattengift ist sehr
gefährlich.
11. Der Braunstein, Mangan ist meist bläulich, bräun-
lich oder schwärzlich, strahlig, blätterig, dicht und erdig. Der
strahlige begreift die in feinen, nadelförmigen Kristallen vor-
kommenden Stücke (weicher oder Jlmenauer Braunstein), so wie
die derben von dünnstängeliger Zusammensetzung; der blättrige
umfaßt die Kristalle und die derben, deutlich theilbaren Abände-
rungen; der dichte begreift die Stücke von bis zum Verschwin-
den der einzelnen Körner feinkörniger Zusammensetzung, und der
erdige die pulverförmigen Vorkommnisse. Der Braunstein ist
das wichtigste und häufigste aller Manganerze. Er findet sich
beinahe in allen Abänderungen in Thüringen, Sachsen, Schle-
sien, Westphalen, Mähren, Steiermark, Ungarn, Schweden,
Norwegen rc. Man benutzt ihn zur Bereitung von Sauerstoff
und Chlor, zur Entfärbung des Glases, zum Schnellbleichen der
Leinwand, in der Glas- und Emailmalerei zur Hervorbringung
der violetten Farbe, zur Töpferglasur und zu vielen chemischen
Verrichtungen.
12. Der Wismuth wird in Kristallen, baumförmig, ge-
strickt, in Blechen, derb und eingesprengt gefunden, ist das schwerste
Halbmetatt, denn es wiegt beinahe 7, röthlichsilberweiß, durch
Anlaufen grau, roth oder blau, schillert oft wie die Farben des
Taubenhalses, hat ein blättriges, zuweilen etwas strahliges Ge-
204
webe, läßt sich pulvern, ist sehr leichtflüssig, löst sich in Salpe-
tersäure auf und wird durch Wasser niedergeschlagen. Es kommt
im Ganzen nur selten vor, z. B. im Erzgebirge, dem Schwarz-
walde und Harze, in Hanau. Norwegen rc Seiner Leichtflüssig-
keit wegen wird es in Verbindung mit Zink, Messing und Zinn
zum Schnell-Loth benutzt, in Verbindung mit andern Metallen
auch zu Metallspiegeln, Abdrücken von Münzen, in der Arznei,
zur Bereitung des unechten Malersilbers, des Spanischweiß rc.
>3. Das Wasserblei, Molybdän, ist bellbleigrau, metal-
lisch glänzend, abfärbend, wird in Schlesien. England, Schweden,
Norwegen rc. gefunden und zu groben Bleistiften, Schmelztie-
geln, zur Bereitung von blauer Farbe, zum Policen des Stah-
les rc. angewendet.
Vierter H a u p t t h e i l.
Anthropologie oder Lehre vom Menschen.
(Kindersieund k. Anhang Vlll.)
§. 12,.
Vorzüge des Mlenfchen.
(Kdrfr. I. S. 297. und Nr. 87. S. 72.)
Der Mensch steht als das größte Wunder der Allmacht
und Weisheit Gottes da. Die ganze Natur ist zu seinem Ver-
gnügen und Nutzen geschaffen. Um seinetwillen geschieht es,
daß die Erdoberfläche mit tausend Farben bemalt ist, daß sich das
Pflanzenreich entwickelt, die Thiere leben und regen, die Minera-
lien aus den Eingeweiden der Erde hervorgehen, und daß tausend
mit Schätzen beladene Schiffe die Ebenen des großen Weltmee-
res pflügen. Scheinen nicht alle Elemente um das Vergnügen
zu streiten, ihm nicht nur das Nothwendige, sondern auch das
Angenehme und Nützliche zu verschaffen? — Welches andere
Wesen außer ihm bewundert die unzählige Menge der Sonnen,
die in den unermeßlichen Räumen des Firmaments schwimmen?
— Er allein erkennt und empfindet, daß Gott diese ganze Welt
nur aus Liebe geschaffen hat. Sollte er es wagen, von seinem
Lobe zu schweigen? Die Luft, welche er athmet, das Licht, wel-
ches ihm leuchtet, die Thiere und Pflanzen, welche ihn ernähren,
diese Quellen, aus denen er Leben und Gesundheit in vollen
Zügen trinkt, die Blumen, deren Anblick ihn ergötzt, und deren
205
Geruch ihn erquickt, verpflichten ihn zur Liebe und zum Danke
gegen den allliebenden Schöpfer der Welt. Wären wir aber
wohl dankbar für diese großen Vorzüge, wenn wir kein Verlan-
gen trügen, uns selbst, unser körperliches und geistiges Wesen,
kennen zu lernen? — Nein, der Mensch ist von Gott hoch ge-
achtet, darum achte er sich selber; er lerne sich selbst erkennen,
damit er erfahre, wie er seine menschlichen Kräfte zum Wohlge-
fallen und zur Ehre Gottes gebrauchen und erhalten solle.
Der Mensch besteht seinem Wesen nach aus Leib und
Seele. Der Leib gehört der Erde, die Seele dem Himmel an.
Hiernach zerfällt die Lehre vom Menschen in zwei Hauptabschnitte,
in die Lehre vom menschlichen Körper sSomatologie) und in
die Lehre von der menschlichen Seele sSeelenlehre oder
Psychologie).
I Etwas vom Baue des menschlichen Körpers.
§. 122.
Die Knochen.
(Kdrfr.I. Anh. VIII. 1.)
Das Knochengerüst bildet sowohl durch seinen Grundbe-
standtheil, welcher größtenthcils Kalkerde, also Stein ist, als auch
durch seine Lage zwischen Muskel- und Nervenmasse das feste
Zimmerwerk des thierischen Gebäudes. Die Form-der Knochen
ist sehr verschieden. Einige sind kugelförmig und laufen in schüs-
selförmigen Vertiefungen, wie die Köpfe an den Arm- und Schen-
kelknochen. Im Alter verstopfen sich die feinen Gefäße der Bein-
haut; es fehlt an Nahrungszufluß; die Knochen werden spröde,
zerbrechen leichter und heilen oft gar nicht wieder zusammen, oder
doch weit langsamer als bei jüngeren Personen. Wären unsere
Knochen nicht sehr porös, sondern ganz dicht von harter Kno-
chenmasse, dann würde ihnen nicht, nur der stete Zufluß von
Nahrungssäften fehlen, sondern ihr Gewicht würde auch so lä-
stig sein, daß wir sie kaum schleppen und bewegen könnten. Wa-
ren sie um so viel dünner und folglich eben so leicht, als sie
wirklich sind, so würden sie doch allzu zerbrechlich sein, dem Kör-
per ein schwächliches Ansehen geben und für die Menge von
Muskeln, welche an ihnen festsitzen sollen, nicht Raum genug
darbieten. Man kann die Knochen eintheilen in Knochen des
Kopfes, des Rumpfes und der Glieder. Zu den Knochen des
Kopfes, welche zusammen den Schädel bilden, gehört auch
das Hinterhauptbein über dem Genick. Bei jungen Kindern
sind im ersten Lebensjahre diese Knochen noch nicht vollkommen
ausgebildet und an manchen Stellen, namentlich auf dem Scher-
206
tel, nur durch eine feste, sehnige Haut verbunden, an der man
auch so lange die klopfende oder pulsirende Bewegung des Gehir-
nes wahrnimmt. Die untere Halste des Schädels wird von den
beiden Kiefern gebildet, von denen man den unteren auch die
Kinnlade nennt. Die sieben obern Rippenpaare verbinden sich
vorn mit einem langen, flachen Knochen, dem Brustbeine,
das von der Kehle bis zur Herzgrube geht, und heißen ganze
oder Brustrippen, die fünf übrigen Rippenpaare aber falsche oder
Bauchrippen. Die Schulterblätter sind vorn mit dem oberen
Ende des Brustbeines durch einen dünnen, krummen Knochen,
das Schlüsselbein, verbunden. Im Unterarme befinden sich
zwei Knochen, die Speiche und die Elle. Jene geht vom El-
lenbogengelenke nach dem Daumen, diese vom Ellenbogen nach
dem kleinen Finger. Die Handwurzel besteht aus 2 Quer-
reihen würfelförmiger Knochen, in jeder 4. Darauf folgen 5
lange Mittelhandknochen neben einander. Jeder Finger hat
ein Hinter-, Mittel- und Vorderglied. Dem Daumen fehlt das
Mittelglied; daher ist er kürzer als die andern Finget. Im
Unterschenkel ist vorn das Schienbein, hinten das Waden-
bein. Im Oberarme und im Oberschenkel befindet sich je nur
ein Knochen. Die Knochen der unteren Gliedmaßen stimmen so
ziemlich mit denen der oberen überein. Der obere Theil eines
Zahnes heißt die Krone und ist ganz mit Schmelz überzogen.
Der untere Theil, die Wurzel, ist dünner und besteht aus ge-
wöhnlicher Knochenmaffe. Die Schneide- und die Eckzähne ha-
ben nur eine Wurzel, die Backenzähne 2 bis 4. Vom 7ten bis
1 Oten Jahre verlieren die Kinder ihre ersten Zähne, die Milch-
zähne, und bekommen dafür die stärkeren Schiebezähne. Das
Stochern in den Zähnen mit Gabeln, Nadeln k., überhaupt mit
allen Dingen, die härter sind als die Zähne, ist diesen nachtheilig.
§. 123.
Die Muskeln.
(Kdrfr.I. Anh. VIII. 2.)
Die Muskeln umkleiden überall die Knochen, mit Aus-
nahme der Nägel und Zähne. In der Mitte sind sie weich und
dicker, an den Enden aber zäh, sehnig, dünn und verlängert.
Uebrigens heften sie sich jedesmal an 2 Knochen, ausgenommen
vorn am Bauche, wo statt des Knochens nur ein sehniges Band
vom Brustbeine an herunterläuft, ferner an verschiedenen Oeff-
nungen, die durch einen, Ringmuskel geschloffen werden, wie
Mund und Augen. Jeder Muskel gehört daher 2 Knochen an
und überspringt jedesmal ein Gelenk, manchmal 2 und mehrere,
wo die Knochen sehr kurz sind, wie an der Handwurzel und den
Wirbeln. Sie wechseln daher eigentlich mit den Knochen ab
S07
und füllen gleichsam die Lücken aus, welche jene in den Gelenken
gelassen haben. Es giebt 2 Arten von Muskeln, Beuger und
Strecker; jene laufen über den innern Winkel des Gelenkes,
diese über den äußern, oder jene stellen je 2 Knochen in einen
Winkel gegen einander, diese dagegen in einerlei Richtung. Dies
gilt vorzüglich von den Gliedmaßen. Die Muskeln, 500 an der
Zahl, theilen sich, wie das Knochengerüst, in verschiedene Haupt-
massen. Eine Abtheilung bewegt den Kopf, eine andere den
Rumpf, und noch eine andere die Glieder: Kopf-, Rumpf-
und Gliedermuskeln, die jedoch nicht immer streng von ein-
ander getrennt sind. Jeder Muskel ist mit einer Fetthaut, dem
Zellgewebe, umgeben, damit sich keiner am andern reiben oder
mit dem andern zusammenwachsen kann. Das erstere würde
uns Schmerzen verursachen, und letzteres den freien Gebrauch
jedes Muskels hindern. Ohne Hülfe der Muskeln könnten wir
nicht stehen, nicht gehen, kein Glied und kein Auge rühren, nicht
sprechen und nicht schlingen, nicht kauen, nicht verdauen, kein
Herzschlag und kein Athemholen könnte stattfinden.
Außerordentlich ist die Kraft und Schnelligkeit der
Muskeln. Welche Gewalt üben nicht unsere Backenmuskeln aus!
Welch' schwere Lasten hebt nicht ein starker Mann! Durch Ue-
bung und Arbeit werden sie gestärkt; daher sind Leibesübungen
(das Turnen) von großem Nutzen sowohl zur Erhöhung der Kör-
perkraft und Beförderung der Gesundheit, als auch zur Erhöhung
des Muthes in Gefahren. Jeder Muskel, der keine Uebung hat,
wird schwacher. Durch Uebung haben es manche von Natur
schon starke Menschen zu einer übermenschlichen Stärke gebracht,
wie z. B. Simson und viele hundert Menschen aus der älteren
und neueren Zeit. So bewundernswürdig wie die Kraft der
Muskeln ist auch ihre Schnelligkeit Mit welcher Behendigkeit
sprechen wir nicht! Wie viele tausend Laute bilden unsere Sprach-
werkzeuge in einer Viertelstunde, und gleichwohl erfordert fast
jeder Laut eine besondere Muskelbewegung. Mit welcher Behen-
digkeit bewegt der Clavierspieler seine Finger! Auch reden unsere
Muskeln eine ganz eigene Zeichensprache; denn durch sie drücken
wir alle Gemüthsbewegungen aus. Daß man Liebe, Mitleiden,
Zorn, Verachtung, Scham und Verlegenheit auf unserm Gesichte
liest, daß unser ganzer Körper durch Geberden ausspricht, was
wir denken und reden, kommt einzig und allein von der Einwir-
kung unserer Seele auf unsere Muskeln. Die Veränderungen,
welche unsere Muskeln bei jeder Gemüthsbewegung machen, las-
sen allmälig so bleibende Spuren zurück, daß man den meisten
Menschen ihre Gemüthsart mit großer Wahrscheinlichkeit aus
dem Gesichte lesen kann. Auch Geistesfähigkeiten und Eigen-
schaften leuchten gewöhnlich aus den Augen und Gesichtszügen
hervor; daher sagt man: der Mann hat ein gescheidtes, ein
schlaues und witziges, oder dummes Ansehen; er sieht spöttisch.
208
oder gutmüthig, zornig, schwermüthig, leichtsinnig rc. auS. Leute,
welche sich gut auf das Gesichtlesen verstehen, nennt man Phy-
siognomen und ihre Kunst Physiognomik. Das Eigenthümliche
der Gesichtszüge rührt aber größtentheils von einer oft wieder-
kehrenden Einwirkung unserer Nerven auf die Muskeln her.
Eine krankhafte Zusammenziehung eines Muskels heißt Krampf.
Er vergeht meistens von selbst oder durch sanftes Reiben.
tz. 12-1.
Die Kaut, die Kaare und die Nage!.
(ftbvfr. I. Anh. VIII. 3.,
Die Haut besteht aus 3 Lagen, von außen nach innen in
folgender Ordnung: Lederhaut, Fleischhaut, Zellhaut. An
der Lederhaut kann man wieder 3 Lagen unterscheiden, Ober-
haut, Schleimhaut und Gefäßhaut. Die Lederhaut schwitzt
nämlich auf ihrer äußern Fläche Schleim aus, welcher vertrocknet
und ein dünnes Häutchen, die Oberhaut bildet. Sie ist durch-
sichtig und gänzlich unempfindlich. An Stellen, wo sie immer
gedrückt wird, wie in der hohlen Hand und an den Sohlen,
wird sie viel dicker, indem sich mehrere Lagen auf einander setzen.
An den Fingern und den Zehen hat sie eine Menge Furchen,
welche besonders an den Spitzen regelmäßige Windungen bilden.
In diesen sitzen viele Gefühlswärzchen, welche von ihr überzogen
und geschützt werden. Auf dem ganzen Leibe hat sie feine Ein-
fenkungen, welche man Schweißlöcher nennt. Aus ähnlichen
Einsenkungen kommen die Haare hervor. Unter der Oberhaut
findet sich eine dünne Lage von Färbestoff, welche manSchleim-
haut nennt, und die von den Blutgefäßen eben so abgesondert
wird wie die Oberhaut. Sie ist im Grunde nichts anderes als
die untere, undurchsichtige Schicht der Oberhaut, der sie anliegt.
In heißen Ländern, wo die Sonne sehr brennt, besteht sie fast
ganz aus Kohlenstoff und erscheint daher schwarz bei den Negern,
röthlich bei den Amerikanern, braun bei den Malayen, gelb bei
den Mongolen. In den gemäßigten Ländern ist sie ziemlich farb-
los, also fast wie die Oberhaut, so daß die allgemeine Färbung
ins Weiße fällt, und an gewissen Stellen, besonders auf den
Wangen und an den Lippen, die rothen Blutgefäße durchscheinen.
Dann folgt die Gefäßhaut, eine dicke, aus Zellen, Gefäßen
und Nerven gefilzte und zähe Lage, welche eigentlich die Haut
bildet. Ueber ihr ragen unzählige kleine Wärzchen hervor, die
man nur durch ein Vergrößerungsglas sieht, und welche aus ei-
nem Büschel von feinen Nervenfäden bestehen, die hier endigen.
Sie erheben die Oberhaut etwas und ragen daher besonders an
den Fingerspitzen hervor. In ihnen ist der eigentliche Sitz des
Gefühls. Die Fleischhaut ist beim Menschen nur auf dem
209
Kopfe, am Halse, auf der Schulter und auf den Schenkeln vor-
handen. Unter ihr und der Lederhaut findet sich ein lockere-
Zellgewebe, das mit Fett angefüllt ist. welches an gewissen
Stellen, z. B. auf den Backen, sich in größerer Menge findet,
bisweilen aber, besonders im mittleren Älter, sich am ganzen
Leibe in noch viel größerer Menge ansammelt, wodurch die Dick-
leibigkeit entsteht.
Als Veränderungen, Verlängerungen, Vertrocknungen der
Haut müssen die Haare und die Nägel angesehen werden. Die
Haare stecken in einer Haut-Einfaltung, welche tief in die Le-
derhaut dringt und Haarzwiebel heißt. Die Färbung der
Haare geschieht ans dieselbe Weise wie die der Haut, nämlich
aus dem abgesetzten Färbestoffe des Schleimgewebes, welcher in
dem Haare befindlich ist. Dieses wächst auch — wie auch die
Nägel — nur an seiner Wurzel. Im Ganzen ist das Haar
walzenförmig, doch etwas plattgedrückt und am Ende zugespitzt.
Der Gesundheit zuträglich ist fleißiges Baden und das täg-
liche Waschen des ganzen Körpers mit frischem Wasser, selbst
im Winter. Zur Reinlichkeit gehört auch das Beschneiden der
Nägel und das fleißige Kämmen der Haare. — Krankheiten und
Verletzungen der Haut: Pocken oder Blättern tEduard Jenner
erland 1708 die Schutzpocken), Masern, Rötheln, Scharlachsieber,
Frieseln, Brandschäden, Quetschungen, Wunden rc.
§. >25.
Die Luftröhre und die Fungen.
(Kdrfr I. Anh.Vlll 4 und 5.)
Das Äkhemgerüst besteht aus der Luftröhre und den
beiden Lungenflügeln, jene vorn im Halse, diese in der Brust-
höhle, welche sie mit dem Herzen ganz ausfüllen. Kehle heißt
eigentlich der vordere Theil des Halses unter dem Kinne.
Obschon die Luftröhre nicht so unmittelbar mit der Nase
zusammenhängt wie die Speiseröhre mit dem Munde, so muß
sie doch als eine Fortsetzung derselben betrachtet werden. Sie
besteht oben aus dem Kehlkopfe, dann aus der eigentlichen
Luftröhre und unten aus den 2 Luftröhrenästen, welche
sich in die Lungenflügel verzweigen.
Der Kehlkopf öffnet sich vorn in den Schlund durch eine
schmale Längsspalte, die Stimmritze, vor der ein knorpeliger
Lappen, der Kehl decket, in die Höhe ragt, welcher beim Schlucken
auf die Stimmritze zurückschlägt und verhindert, daß Getränke
oder Speisen in die Luftröhre kommen. Spricht oder lacht man
aber während des Essens, so muß sich jener Deckel öffnen, und
es kann lercht Etwas von den Speisen in die Luftröhre fallen;
wir müssen dann husten, bis es heraus ist. Geht dies nicht, so
Pe chner, Handb. 3.Thl. ' 14
210
muß man schleunigst ärztliche Hülfe suchen, um nicht zu ersticken.
Pressen wir die Luft durch die Stimmritze, so entsteht der Ton.
Je enger diese Ritze ist, desto höher ist der Ton, wie bei Kindern
und Frauen; je weiter, desto tiefer, wie bei Männern. Drücken
wir den Kehlkopf und mit ihm die Stimmritze abwärts, so wird
der Ton tiefer; ziehen wir ihn empor, wird er höher. Es ist
also sehr natürlich, daß Männer in der Regel eine Baß- oder
Tenorstimme, Kinder und Frauen eine Diskant- oder Altstimme
haben.
Die eigentliche Luftröhre wie auch den Kehlkopf findet
man vorn am Halse. Sie ist von ungefähr 20 Knorpelringen
umgeben, welche meistens an den Seiten gespalten sind, als
wenn sie aus zweien zusammengesetzt wären Hinten sind sie
unganz, so daß bloß die Haut übrig bleibt. Daher kann man
an zu großen Bissen, welche in dem hinter der Luftröhre liegen-
den Schlunde hinabgleiten sollen, leicht ersticken. In der Brust
theilt sich diese Röhre rechts und links in 2 Aeste, welche sich
mit 5 Hauptzweigen in die Lungen begeben, wo sie sich immer
weiter verzweigen und zuletzt in kleine, häutige Bläschen endigen
über und über mit feinen Blutgefäßen bedeckt.
Die Lungen sind eigentlich nichts anderes als diese Masse
von Bläschen, daher ihr schleimiges und aufgedunsenes Ansehen.
Da beide Lungen die Brusthöhle anfüllen, so haben sie ungefähr
das Ansehen eines kurzen, sehr dicken Kegels, der senkrecht von
vorn nach hinten durchschnitten ist, wodurch die Gestalt jeder
einzelnen Lunge sich von selbst ergiebt. Die rechte hat auf der
äußern, gewölbten Fläche zwei quere Einschnitte, durch welche
sie in 3 Lappen getheilt wird; die linke hat nur einen Einschnitt,
mithin nur 2 Lappen, weil sie durch die Lage des Herzens in
ihrer Entwickelung gehemmt wird.
Vortheile, welche die Lungen gewähren, sind:
1. Ohne sie würden wir keinen Ton von uns geben können;
denn zum Sprechen, Singen rc. ist die Lunge so unentbehrlich
wie der Blasebalg zum Orgelfpielen. Diejenigen Insekten, welche
gleichwohl einen Ton hören lassen, bringen ihn nicht durch Lungen,
sondern auf andere Weife, wie z. B. die Grille durch schnelle
Reibung der Flügel auf den Springfüßen hervor.
2. Durch die in die Lunge gezogene frische Luft erhält das
vom schnellen Umlaufe erhitzte Blut, während es durch die Mil-
lionen Luftbläschen rinnt, die nöthige Abkühlung.
3. Die Saugäderchen der Lunge nehmen zugleich den edelsten
Theil der eingeathmeten Luft, die Lebenslust, auf, ohne welche
kein thierischer Körper bestehen kann. Essen und Trinken können
wir allenfals Tage lang entbehren; wird aber unserer Lunge die
Lust nur ein paar Minuten ganz entzogen, so ist es um unser
Leben geschehen.
SIL
4. Eine Menge unreiner Dünste, welche das erhitzte Blut
aus den feinsten Pulsadern von sich stößt, werden durch das
Ausathmen weggehaucht. Wie beträchtlich diese Ausbauchung,
verbunden mit der Ausdünstung des ganzen Körpers, sein müsse,
erhellt besonders aus der Betrachtung, daß ein Mensch, der täg-
lich 4 Pfund Speise und Trank zu sich nimmt nur 2 Pfund
durch die gewöhnlichen Ausleerungen von sich giebt und gleich-
wohl nach Jahr und Tag an seinem Gewichte mehr ab- als zu-
genommen hat.
5. Die Lunge befördert endlich den Kreislauf des Blutes
und die zur Verdauung so nöthige Bewegung des Magens mit-
telst des auf ihn niedersinkenden Zwerchfelles. Dieses Auf- und
Niedersteigen wirkt auch sehr wohlthätig auf die Bewegung des
Darmkanals, besonders beim Stuhlgange, wobei wir durch Ein-
athmen der Luft vermittelst des Zwerchfelles einen Druck auf die
vollen Gedärme hervorbringen.
Ein kalter Trunk bei einer Erhitzung bewirkt eine Stockung
des Blutes in seinem Laufe, und es entsteht eine Entzündung
der Lunge, die schnell tödten oder zeitlebens siech und elend
machen kann.
tz. 126.
Herz, Adern und Hlut.
(Kdrst. l. Anh. VIII. 0 und 7.)
Das Herz ist ein fleischiger, länglichrunder Körper zwischen
beiden Lungen in der Brusthöhle. Es ist eigentlich ein doppeltes
Werkzeug und besteht aus einem linken und einem rechten Her-
zen. Jedes hat wieder der Länge nach 2 Höhlen, von denen
die unteren in der eigentlichen Fleischmasse Kammern, die
oberen, nur von einer schlaffen Haut umgebenen Vorkammern
oder Herzohren heißen. Vermöge seiner Muskeln ist dasHerz
ununterbrochen in Bewegung, wodurch der Umlauf des Blutes
durch den ganzen Körper bewirkt wird. So oft sich das Herz
zusammenzieht, stößt es mit großer Gewalt das Blut aus der
linken Herzkammer durch die Hauptstämme der Pulsadern hin-
aus bis in die entferntesten Theile des Körpers. An den Schläfen,
der Handwurzel, überhaupt wo die Pulsadern an der Oberfläche
des Körpers liegen, kann man es fühlen, wie oft das Herz schlägt
und das Blut forttreibt. Wie erstaunenswürdig ist diese Be-
wegung, besonders wenn man bedenkt, daß das Herz sich von
selbst, ohne irgend einen Anstoß oder Trieb von außen, bloß durch
den Reiz des andringenden Blutes bewegt! Wie sehr müssen
wie dabei die Weisheit des Schöpfers bewundern, der das Herz
so eingerichtet hat, daß seine Bewegung nicht von dem Willen
des Menschen abhängt, sondern ohne daß er sich dessen bewußt
14*
SIS
wird geschieht; denn wie leicht könnten wir dabei Etwas ver-
gessen, und augenblicklich hörte dann unser Leben auf.
Die Adern zerfallen in 3 Abtheilungen, Puls- oder Schlag-
adern (Arterien), Blutadern (Venen) und Saugadern (Lympf-
aefäße). Die letzteren enthalten nur einen ungefärbten Saft, die
Lympfe. Die Pulsadern führen das Blut aus dem Herzen
zum Umfange des Leibes, die Blut- und Saugadern umgekehrt.
Alle verzweigen sich am Umfange ins Unendliche und in so feine
Röhren, daß man sie mit bloßem Auge nicht mehr erkennt, und
sich sogar die rothe Farbe verliert, indem oft die Blutkügelchen
wegen ihrer Größe nicht mehr durchgehen. Diese feinen Puls-
und Blutadern, welche sich überall netzförmig mit einander ver-
binden und unmittelbar in einander übergehen, heißen Haar-
oder Capillargefäße. In ihnen gehen die Ausscheidungen
sowohl zur Ernährung als Ausdünstung und Absonderung vor sich.
Die Pulsadern entspringen mit einem großen Stamme
(Aorta) in der linken Herzkammer. Er steigt anfangs nach oben,
bildet aber bald einen Bogen und steigt hinten auf den Wirbel-
körpern etwas mehr links hinunter, geht durchs Zwerchfell und theilt
sich am Ende der Wirbelsäule in eine Gabel nach den Beinen
zu. Oben aus dem Bogen geht eine ähnliche Gabel nach dem
Kopfe und den Armen ab. Aus der rechten Herzkammer ent-
springt die Lungenschlagader, spaltet sich aber bald in 2Aeste
zur rechten und linken Lunge, wo sich jeder in resp. 3 und 2
größere Zweige vertheilt, welche den Luströhrenästen folgen und
zuletzt auf den Lungenbläschen ein feines Netz bilden.
Alle Blutadern entspringen aus den Vorkammern, und
zwar die des Leibes aus der rechten, die der Lungen aus der
linken. Der Hauptstamm, welcher der Aorta entspricht, die Hohl-
ader, kommt aus der rechten Vorkammer und theilt sich schon
in derselben in die obere, welche dem Hirn bestimmt ist, und in
die untere, welche dem eigentlichen Leibe angehört. Die Blut-
adern nehmen das Blut aus den feinen Pulsadern auf und
führen es dem Herzen wieder zu. Die Bewegung des BluteS
vom Herzen durch die Pulsadern in die Blutadern, und aus diesen
in das Herz zurück nennt man den Kreislauf des Blutes.
Dir Saugadern bestehen aus dünnen Röhren mit wässe-
rigem Safte, den sie in allen Theilen des Leibes einsaugen und
in beide Aeste der oberen Hohlader ausleeren.
Das Blut ist der flüssige Inhalt der Adern, besteht aus
Wasser und rothen Blutkügelchen und hat eine Wärme von
29* R. oder 96 bis 100° F. Fette Menschen haben weniger
Blut als magere, kaltblütige weniger als warmblütige; auch sind
die Blutkügelchen der ersteren größer.
S13
§ 127.
Die Verdauungswerkzeuge.
(Äbrfr. I. Anh. VIII. 8.)
Der Verdauungskanal beginnt eigentlich schon mit dem
Munde. Hinten entspringt in demselben die Speiseröhre, ein
langer, grader, zum Theil fleischiger, im gewöhnlichen Zustande
leerer Schlauch, dessen Wände zusammengezogen sind und an
einander liegen. Sie lauft hinter der Luftröhre bis unters Zwerch«
fell hinunter, wo sie sich in den Magen ausdehnt.
Der Magen ist ein weiter, häutiger, gegen die Speiseröhre
und den Darm offner Beutel, ungefähr von der Gestalt einer
gebogenen Jagdtasche, und liegt quer, dicht unter dem Zwerchfelle,
wo er in den Darm übergeht und vorn von der Leber bedeckt
wird. Oben hat er einen kleinen, einspringenden Bogen, unten
einen großen, ausspringenden. Links, wo die Speiseröhre in ihn
tritt, ist er weiter und bildet nach dieser Seite einen Sack, den
Blindsack, an welchem die Milz liegt. Am rechten Ende ist
der Magen enger. Der Eingang wie der Ausgang des Magens
ist von. Kreiskasern umgeben, wodurch jener während der Ver-
dauung verschlossen gehalten wird. Um den Magenafter liegen
viele Schleimbälge, welche sich in den Magen öffnen und diesen
zum Theil schlüpfrig machen. Uebrigens wird von der ganzen
innern Fläche des Magens, außer dem Schleime, eine be-
sondere wässerige Flüssigkeit abgesondert, der Magensaft, wel-
cher für sich allein im Stande ist, die Speisen aufzulösen, zu
verdauen und in Speisedrei zu verwandeln.
Die Gedärme, etwa 30par. Fuß lang, sind inwendig mit
der Schleimhaut überzogen, welche überall mit feinen Zotten wie
Sammet bedeckt ist, von denen man glaubt, daß sie den Nah-
rungssaft einsaugen. Sietheilen sich in Dünn- und Dickdarm,
von denen der letztere nicht etwa eine bloße Erweiterung des
ersten, sondern ein ganz eigener Schlauch mit einem besonderen
Anfange ist, in dem sich der vorige, und zwar unter einem rech»
ten Winkel, einbohrt. Der Dünndarm zerfällt in den Zwölf-
fingerdarm und den gewundenen Darm. Jener fängt am
Magen an ist, etwa 12 Quersinger lang, weiter als die andern,
läuft quer unter dem Magen zur Linken, macht 3 Krümmungen
und erhält gegen die Mitte den Gallengang und die Bauchspeichel-
drüse bei einander. Er ist, gleich dem Magen, durch kein Ge-
kröse an die Wirbelsäule befestigt und stellt daher einen zweiten
Magen vor, da überdies in ihm ein eben so wichtiges Geschäft
wie im Magen vorgeht, nämlich die Auflösung und Scheidung
des Speisedreis durch den Bauchspeichel und die Galle. Der ge-
wundene Darm ist enger als der vorige und der folgende, überall
vom Gekröse umgeben, wohl 5 mal langer als der Dickdarm,
é
214
mißt über 20' und ist daher vielfältig hin- und hergewunden.
Man theilt ihn in den Leerdarm, der gewöhnlich eine dünne
Flüssigkeit enthält, und in den kürzeren Krummdarm. Der
Dickdarm fängt unter dem rechten Hüftblakte an, steigt herauf,
geht hinter dem Magen quer zur Rechten, senkt sich Kförmig
zum Becken herunter und läuft nach einem Wege von 5' zum
After. Der Anfang ist ein blinder Sack, der mit einem fingers-
langen. wurmförmigen Fortsätze anfängt. Einige Zoll davon
begiebt sich in diesen erweiterten Sack der enge Dünndarm in
entgegengesetzter Richtung, so daß er mit der Fortsetzung des
Dickdarmes einen rechten oder spitzen Winkel bildet, und dieser
Winkel eine Art Klappe gegen den Dünndarm macht, wodurch
der Inhalt verhindert wird, rückwärts zu gehen. Das Stück
des Dickdarms vor Einführung des Dünndarms heißt Blind-
darm und ist nur einige Zoll lang. Der zunächst folgende
Theil des Dickdarmes, welcher zum Magen heraufsteigt, heißt
Grimmdarm, hat sehr viele Anschwellungen oder Einschnürun-
gen, und seine Längsfasern sammeln sich um ihn in 3 langen
Muskelstreifen, welche sich auf dem folgenden Darme so vermehren,
daß sie ihn ganz umgeben. Dieses Stück erhält den Namen
Mastdarm, der wieder vom Gekröse frei, weiter wird und auch
eigene Gefäße hat, die nicht von den Gekrösgefäßen kommen
und die güldenen Adern heißen. Am Ende ist ec von einem
starken Bündel Ringfasern, den Schließmuskeln, umgeben. Unten
am Mastdarme liegen stärkere Drüsen, welche einen schlüpfrigen
Saft absondern.
Die Leber wird durch den Gallengang gleichsam in viele
zarte Kanälchen verzweigt, die überall von Blutgefäßen umgeben
sind und durch die Zellgewebe zusammenhängen. Zwischen beiden
Leberlappen liegt die Gallenblase, welche auch nichts anderes
als eine blinde Aussackung des Gallenganges ist. Die Milz ist
4" lang, 2" breit und 3//' dick.
Die Bauchspeicheldrüse — von den Fleischern die Süße
genannt — ist eine dünne Aussackung des Zwölffingerdarmes zu
einem Kanal, welcher sich wieder seitwärts in eine Menge Zweige
aussackt. Sie sondert eine speichelartige Flüssigkeit ab, welche
ivährend der Verdauung in den Zwölffingerdarm träufelt und
daselbst die Speisen bereiten hilft.
tz. 128.
Einige Oesundheitsregeln.
tKdrft. I. Anh. VIII. 8.)
Um dem Magen fein Verdauungsgeschäft nicht zu erschweren,
sind folgende Regeln zu beobachten:
21s
1. Man überfülle den Magen nicht. Allzuviel ist un-
gesund. Zu voll gepfropft kann er die Speisen nicht gehörig
unter einander mengen; der Magensaft, der nachher sich zu-
mischende Gekrösdrüsensaft und die Galle reichen nickt zur Auf-
lösung hin; die Speisen gehen größtentheils unverdaut wieder
ab und geben also wenig Milchsaft, folglich keine Nahrung. Die
übertriebene Ausspannung des Magens hindert das Zwerchfell,
sich beim Athmen tief genug herabzusenken, dadurch auch die
freie Ausdehnung der Lungen, stört den Blutumlauf und macht
uns zu allen ernstlichen Kopf- und Handarbeiten, selbst zu einem
ruhigen Schlafe, ungeschickt.
2. Man esse nicht zu hastig, sondern arbeite dem Ma-
gen durch tüchtiges Kauen und Vermischen mit Speichel vor.
Gut gekaut, ist halb verdaut.
3. Man trinke nicht zu viel unter und nach dem
Essen, um nicht den auflösenden Magensaft zu sehr zu ver-
dünnen.
4. Kein Getränk befördert die Verdauung so sehr
als frisches Wasser; Branntwein ist derselben eher hinderlich.
Kinder sollten überhaupt gar keinen Branntwein trinken. Dieses
flüssige Feuer hindert das Wachsthum, erzeugt Schärfe, Haut-
krankheiten, Trockenheit und Steifigkeit der Fasern, Husten,
Engbrüstigkeit, Lungenkrankheiten und, was das schlimmste ist,
eine schreckliche Abstumpfung des körperlichen und geistigen Ge-
fühls. Daher haben sich zum Segen der Menschheit Vereine
gegen den Genuß desselben gebildet, und manche Regierungen
(z. B. Schweden) beschränken die Fabrikation des Branntweins.
5. Man mache sich nach demEssen eine gelinde Be-
wegung. Gleich darauf sitzen, oder schwer arbeiten ist der Ver-
dauung hinderlich. Am schädlichsten ist nach Tische starke An-
strengung des Geistes, weil auch die Nerven bei dem Verdauungs-
geschäfte thätig sind.
6. Man suche sein Gemüth so viel als möglich in
heiterer Stimmung zu erhalten. Heitere Seelenstimmung
befördert die Thätigkeit aller Lebenswerkzeuge, also auch die Ver-
dauung und Verwandlung der Speisen in Saft und Blut. Die
Einflüsse des Geistes auf den Körper sind eben so groß, als die
des Körpers auf den Geist.
7. Endlich muß man auch in der Wahl der Speisen die
goldene Regel nicht vergessen: Prüfe, was deinem Leibe ge-
sund ist! Obst und Wein sind z. B. denen ungesund, die an
Magensäure leiben, obgleich beide an und für sich nicht schädlich
sind und gesunden Menschen sehr wohl bekommen. Es giebt
aber Nahrungsmittel, die fast auf alle Menschen nachtheilig
wirken. Unverdaulich und die Säfte zäh machend sind z. B. alle
klebrigen Speisen und diejenigen, welche sich schon während deS
Kauens zusammenballen, z. B. unausgekochter, kleisterartiger Brei,
S16
frisch gebackenes Brot rc. Ferner sind unverdaulich, wie sich von
selbst versteht, alle zu harten Körper, z. B. Steine von Pflaumen,
Kirschen, auch manche eben nicht harte Speisen, z. B. Pilze,
allzu fette Sachen, alter Käse, harte Eier rc. — Es giebt Men»
schen, die für Geld, oder zur Stillung ihrer unmäßigen Eßlust
die atterunverdaulichsten Sachen, z. B. Sand, Ziegel- und Kie-
selsteine zu sich nehmen. So erzählte im November 1840 die
vossische Zeitung von einem Mädchen, das täglich mehrere Pfund
Sand verzehrte, und deren Mutter schon zu ihrer täglichen Mahl-
zeit eines halben Ziegelsteines bedurfte.
Das Fasten bei gesundem Leibe ist schädlich. Schon das
Uebelriechen des Athems bei unnöthigem Fasten zeigt, daß die
Säfte des Magens anfangen faulig zu werden, und eben so be-
kannt ist es, daß auf Hungersnoth gern Faulsieber folgt. Um
des Abendmahles willen fasten, ist Aberglaube, über welchem zu-
weilen alle Andacht verloren geht.
Oft befreit sich der Magen gewaltsam von schädlichen Dingen
durch das Erbrechen. In diesem Falle muß man es durch
lauliches, gesalzenes Wasser oder durch Kamillenthee erleichtern
und eine kurze Zeit unterhalten. Kommt es aber zu oft, so ist
warmes Bier mit viel Zimmet dienlich; noch besser sind zuweilen
ein paar Löffel voll Eitronensaft, oder ein warmer Umschlag über
dem Magen. Dauert es gleichwohl fort, so muß man unverzüglich
die Hülse des Arztes suchen. Wer einen Leibesschaden hat, ist
bei starkem Erbrechen in der größten Gefahr Brechmittel sollte
überhaupt Niemand ohne Vorwissen des Arztes nehmen.
Ein sehr gemeines Magenübel ist das Sodbrennen, wenn
sich der Magen von schädlichen Säuren zu entleeren sucht. DaS
bewährteste Mittel dagegen besteht in einigen Löffelchen voll
Bergmagnesia oder gestoßener Kreide.
Auch durch Laxiren sucht sich der Magen öfters selbst zu
helfen, und künstlich sucht man es durch Abführungsmittel zu
bewirken. Der Grund, warum beim Lariren der Stuhlgang so
wässerig ist, liegt darin, daß die Saugadern der Gedärme die
schon ausgesaugten Säfte aus dem Gekröse wieder rückwärts
fließen lassen. Das unnatürliche Laxiren entsteht nicht immer
aus Schärfen und Unreinigkeiten des Magens, sondern häufig
auch durch Erkältung. Im Herbste entsteht aus demselben nicht
selten die Ruhr. Besonders muß man sich also vor Erhitzung
und Erkältung hüten, wenn die Ruhr um sich greift, vorzüglich
den Unterleib und die Füße warm halten. Wer sich, naß von
der Arbeit oder vom Tanzen, auf den kühlen Boden legt, die
Kleider aufreißt, sich der Zugluft aussetzt, in Keller und andere
kühle Oerter läuft rc., darf nickt fragen, wo heftiger Schnupfen,
Husten, Gicht, Rothlauf und Ruhr herkommen.
Zu den natürlichen Ausleerungen gehört auch der Urin.
Die von den Saugadern aufgenommenen Säfte müssen, um
S17
durch so feine Röhrchen dringen zu können, sehr wässerig sein.
In dieser Beschaffenheit würden sie aber unser Blut allmälig
zu dünn und zu wenig nahrhaft machen. Daher sorgte die Na-
tur dafür, daß ein Theil dieser wäfferigen und salzigen Stoffe
wieder abgeschieden werde. Das geschieht durch die beständige
Ausdünstung und durch den eigentlichen Schweiß. Aber
diese Ausdünstung allein würde nicht hinreichen; darum gab uns
der weise Schöpfer noch ganz eigene Absonderungswerkzeuge in
den Nieren. In ihnen scheiden sich die scharfen Feuchtigkeiten
vom Blute und gehen durch besondere Ableitungskanäle in die
tief unten im Becken liegende Harnblase. Ist in dieser eine
gewisse Menge vorhanden, so entsteht ein Reiz und wir empfin-
den einen Drang, den Urin zu lassen. Damit dieser aber nicht
beständig fließe, ist die Unnblase mit einem eigenen Schließmus-
kel versehen, den wir durch einen Druck öffnen. Bei Schwäche
dieses Muskels lassen wir den Urin unwillkürlich. Hiergegen
hilft ein Thee von Bärentrauben-Blättern vor dem Schlafenge-
hen. Langes, gewaltsames Verhalten des Urins ist ungesund
und kann Veranlassung zu der schrecklichen Krankheit des Bla-
sensteines geben. Indeß muß man sich doch frühzeitig gewöhnen,
den Urin nicht bei jedem kleinen Reize fließen zu lassen, weil
man sonst nicht sicher ist, einmal im Schlafe das Bett zu be-
netzen. In Krankheiten hilft sich die Natur häufig durch den
Schweiß. Auch im Urin bemerkt man sehr oft deutlich die Ab-
sonderung der Krankheitsmaterie und allerlei Veränderungen, aus
welchen man auf die Beschaffenheit der Krankheit schließen kann.
Selbst die geschicktesten Aerzte sehen daher bisweilen nach dem
Urin. Die Harnpropheten aber, welche bloß das Uringlas zum
Leitsterne ihrer Kuren machen und gar nicht verlangen, den Kran-
ken zu sehen, sind — Betrüger.
§. 129.
Die Empffn-ungswerkzeuge, die Nerven — das Gehirn —
das Rückenmark.
(Kdrfr. I. Anh. VHI. 9.)
Die Nerven bestehen aus langen, dünnen Markschnüren,
welche durch eine häutige Scheide zusammengehalten werden.
Sie verbreiten sich wie die Adern durch den ganzen Leib und
gehen zu den Muskeln, Eingeweiden und Sinneswerkzeugen, in-
dem sie sich ins Unendliche verzweigen, so daß man an allen be-
grenzten Oberflächen nicht im Stande ist, einen Punkt anzugeben,
an welchem nicht Nervenfäben angetroffen würden. Sie zerfallen
in Rückenmarks- und Hirnnerven, die dann wieder nach
den verschiedenen Theilen, zu denen sie gehen, ihre besonderen
Namen erhalten. Die Kopfnerven gehen zwar größtentheils zu
218
den Sinneswerkzeugtn, jedoch auch zu Muskeln, zur Haut und
selbst zu den Eingeweiden. Die eigentlichen Eingeweidenerven
entspringen alle aus 2 langen Stämmen, welche vom Kopfe an
in Hals, Brust, Bauch und Becken an den Seiten der Wirbel-
körper herunterlaufen, unterwegs Knoten und Geflechte bilden
und Zweige von allen Rückenmarksnerven erhalten. An jeder
Seite der Bauchschlagader bilden sich ein Dutzend großer Ner-
venknoten, die man das Sonnengeflecht nennt (und mittelst
deren die Somnambulen sollen wahrnehmen können). — Ner«
venflebec und Epilepsie oder Fallsucht sind Krankheiten der Nerven.
Der Nerv'enstamm füllt die Kopf- und Rückgrathshöhle
aus und zerfällt hiernach in Gehirn und Rückenmark.
Das Rückenmark gleicht einem plattgedrückten Stabe, liegt
im Rückgrathskanale, welcher durch die Körper und Bogen der
Wirbel gebildet wird, und läuft vom Gehirne, dessen Fortsetzung
es ist, bis gegen das Ende der Wirbelsäule, wo es sich ganz in
Nerven auflöst, welche man den Roßschweif nennt. Es scheint
überhaupt nicht anderes als eine Zusammensilzung von unendlich
vielen Nervenfäden zu sein, wie auch das Gehirn, in welchem
man an vielen Stellen die Fadenbildung deutlich erkennt. Es
hat knotige Anschwellungen und ist völlig mit einem düynen
Knotenstocke zu vergleichen, welcher vorn und hinten plattgedrückt
ist, auch etwas von den Seiten, so daß es scheint, es sei aus 2
neben einander liegenden Gerten zusammengesetzt. Auch läuft
an jeder Seite eine jedoch schwächere Spalte hinunter, durch
welche das Rückenmark in eine vordere und Hintere Hälfte ge-
schieden wird. Außerdem liegt vor und hinter dieser Spalte eine
schwache Furche, in der die Wurzeln der Nerven entspringen.
Schneidet man das Rückenmark quer durch, so zeigt sich in der
Mitte der weißen Masse ein röthlicher Kern, der graue Mark-
stoff. Ec läuft vom untern Ende bis zum obern und hat 4
Kanten, welche.mit den Spalten abwechseln.
Das Rückenmark ist von einer Hülle umgeben, welche aus
3 Häuten besteht, wie fast alle Häute des Leibes, namentlich der
Adern und des Darmes Jederseits giebt es zwischen zwei Wir-
beln einen Nerven ab, der sich in 2 Aeste theilt. Der eine läuft
nach hinten und außen zu den fleischigen Theilen des Leibes, den
Armen, Rippen und Füßen, der andere nach vorn in die Höhle
des Halses, der Brust und des Bauches, wo er sich durch An-
schwellungen oder Knoten mit dem Eingeweid-Nervengerüste ver-
bindet, dessen Hauptstämme, wie gesagt, als zwei lange Stränge
neben den Wirbelkörpern herunterlaufen.
Zum Gehirne rechnet man das verlängerte Mark, da-
kleine und das große Hirn. Oben verdickt sich nämlich der
Rückenmarksstab, nachdem er in die Hirnschale getreten ist, wie
ein Stockknopf, heißt das verlängerte Mark und ist derjenige
Theil, durch dessen Verletzung plötzlicher Tod erfolgt; daher töd-
319
tet man die Thiere am leichtesten durch einen Stich zwischen
dem Hinterhauptsbeine und dem ersten Wirbel. Lies wußten
schon die Alten, welche die Elephanten, wenn sie sich gegen die
eigenen Leute umkehrten, durch Einschlagen eines Meißels an
dieser Stelle tödteten.
Nach diesem Knopfe, d. h. weiter in die Hirnschale hinein,
bildet sich plötzlich auf der Vorder- oder Unterseite des Nerven-
stabes ein dickes Querb-md, welches die Hirnbrücke heißt. Sie
hat in der Mitte eine Längsfurche wie die vordere Rückenmarks-
spalte, und aus ihr laufen die Fasern quer nach außen. Hier
ist der eigentliche Anfang des Hirnes. Die strangformigen Kör-
per, die Ränder dieser Brücke und eine Markmasse vor derselben
treten von dem Stabe ab, steigen nach hinten oder vielmehr oben
wie drei große Aeste oder Schenkel in die Höhe, breiten sich in
viele Lappen aus und verwachsen mit einander, indem sie eine
kleine Höhle zwischen sich lassen. Diese Masse heißt das kleine
Hirn, stellt 2 Halbkugeln vor mit vielen ziemlich parallelen Fal-
ten und sieht ungefähr aus, wenn man sie senkrecht von vorn
nach hinten durchschneidet, wie ein mehrmals gefiedertes Blatt,
welche Figur der Lebensbaum heißt.
Die vordere Hälfte des verlängerten Markes läuft zwischen
der Brücke und dem kleinen Hirne vorwärts und verwandelt sich
auf ähnliche Art in das große Hirn, indem es gleichfalls in
zwei große Schenkel sich auseinander begiebt. Vor denselben lie-
gen noch 2 große Knollen, die Sehhügel, und noch mehr nach
vorn die gestreiften Körper. Die Masse des großen Hirnes
hat gleichsam in der Hirnschale nicht Platz und senkt sich daher
mit seinem grauen Ueberzuge mannichfaltig ein. wodurch viele
und gewundene Furchen entstehen, welche Hirnwindungen
heißen. Das große Hirn wiegt ungefähr 3 Pfd. Apothekergewicht
(ju 24 Loth) oder 36 Unzen (zu 2 Loth), das kleine 5, das Rüc-
kenmark nicht viel über eine, das verlängerte Mark eine halb
Unze. Uebrigens ist das Gehirn von einem häutigen Sacke um-
geben wie das Rückenmark, so daß angesammeltes Wasser nicht
heraus kann, wie die Kopfwassersucht zeigt. •
§. 130.
Das Gesicht.
(Äbrfr.I. Aich. VIII. 10.)
Das Gesicht hat zum Werkzeuge das Auge, den unabhän-
gigsten Theil des Leibes, indem es, rund für sich abgeschlossen,
kaum durch einige Nerven, Muskeln und Adern mit demselben
zusammenhängt. Im Grunde ist es nichts anderes als ein frei
zur Hirnschale herausgetretener Nerv, der sich in eine große Blase
erweitert, umgeben von feinen Häuten und dagegen selbst ein-
220
schließend nervenmarkartige Kugeln nebst Flüssigkeiten. Es zer-
fällt in den Augapfel und seine Hüllen.
Der Augapfel ist eine Kugel von 3 in einander steckenden
Blasen, die sich auf folgende Weise entwickeln: Der Sehnerv
entspringt aus der Mitte des großen Hirnes, das in dieser Hin-
sicht nur für das Auge gebildet zu sein scheint und daher das
Augenhirn heißen könnte. Er erweitert sich in der Augenhöhle
zu einer dünnen Blase, welche so groß als das Auge selbst ist,
Netzhaut heißt und zunächst eine eiweiße oder hirnmarkartige
Kugel einschließt, den Glaskörper oder die Glasfeuchtigkeit.
Bor diesem Glaskörper liegt in einer flachen Vertiefung sehr lose
die Kristall-Linse.
Mitten durch den Sehnerven läuft eine Pulsader sEentral-
Arterie) ganz auf dieselbe Weise, wie andere Zweige der Kopf-
Schlagader mitten durch die Hirnmasse laufen, bis in die Höhle
der Netzhaut, auf deren Fläche sie sich verzweigt bis in das
Innere des Glaskörpers. Wie das Hirn von der Gefäßhaut
umgeben ist, so auch der Sehnerv; diese erweitert sich ebenfalls
um die Netzhaut, mit der sie bis zu ihrem vorderen Rande an
der Linse klebt, roth ist, dann aber etwas weiter nach vorn läuft,
braun, grau oder blau wird und frei vor der Linse schwebt, nur
durch Waffer von ihr abgesondert. Dieser vordere Theil der
Gefäßhaut heißt Regenbogenhaut lIris), ist undurchsichtig
und voller Gefäße, welche in ihrem Mittelpunkte zusammenlaufen
sEiliargefäße). Sie öffnet sich in der Mitte wie die Lippen oder
die Augenlieder, und diese Oeffnung heißt das Sehloch oder die
Pupille. Auf der inneren Fläche der Gefäßhaut liegt ein
schwarzer Färbestoff wie unter der Oberhaut der Neger, der aber
weggewischt werden kann. Wenn er fehlt, so erscheint das Auge
roth, weil dann die unbedeckte Gefäßhaut durchschimmert. Solche
Menschen nennt man Albino's, sie können das Licht nicht gut
vertragen. Wie endlich das Hirn von der harten Hirnhaut um-
geben ist, so auch der Sehnerv. Diese Haut erweitert sich um
die Gefäßhaut, heißt- die harte Augenhaut, ist weiß und läuft
ebenfalls blasenartig nach vorn, wo sie mehr gewölbt und durch-
sichtig wird — die Hornhaut iCornia) Sie ist von der Re-
genbogenhaut ebenfalls durch Wasser geschieden, besteht aus meh-
reren Blättern und ist in ihrem Umfange von dem übrigen
Theile der harten Augenhaut abgegliedert, so daß sie in dersel-
ben wie ein Uhrglas in seinem Rahmen steckt. Der Raum vor
und hinter der Regenbogenhaut heißt die vordere und hintere
Augenkammer.
Um die harte Augenhaut liegen die Kopfknochen. An die
harte Haut setzen sich inwendig 6 Muskeln, 4 gerade und 2
schiefe, welche von den Knochen der Augenhöhle kommen und
das Auge nach allen Seiten bewegen. Uebrigens ist die Augen«
221
höhle mit Fett ausgepolstert, welches im Alter oder in Krankheit
schwindet, wodurch die Äugen einfallen.
Oben in der Augenhöhle liegt die Thränendrüse, etwa
9'" lang und 6'" breit, mit 6 feinen Ausführungsgängen, welche
sich im obern Augenlide öffnen, so daß die Thränen über das
Auge herunter fließen und es rein halten. Wenn sie, wie beim
Lachen und Weinen, zu häufig abgesondert werden, tropfen sie
über das untere Augenlid; sonst laufen sie durch den sogenann-
ten Thränenkanal zur Nase.
Das Auge ist endlich oben und unten mit einem Lide (Lid
— Deckel), dessen Ränder mit den Augenwimpern besetzt sind,
versehen. In jedem Augenlide steckt der Länge nach ein Knor-
pel. Sie sind ferner mit einem Ringmuskel umgeben, und das
obere hat einen Aufhebmuskel, der oben aus der Augenhöhle
kommt. Außerdem besitzt das Äuge noch verschiedene andere, die
zur Absonderung oder zur Bewegung dienen.
Durch die Pupille dringen die Lichtstrahlen in das Auge,
und damit die zarten Theile desselben vor den Wirkungen eines
zu heftigen Lichtes gesichert werden, so verengt sich bei starkem
Lichte die Pupille; in der Dunkelheit erweitert sie sich. Daher
sind unsereAugen geblendet, wenn wir plötzlich aus der Finster-
niß in ein hell erleuchtetes Zimmer treten, bis die Pupille sich
allmälig verengt hat. Im entgegengesetzten Falle findet das
Umgekehrte statt. Alle Gegenstände, welche wir sehen, werden
im Auge abgespiegelt, und durch die Kristall-Linse wird ihr Bild
auf die Netzhaut geworfen, von wo es mittelst des Sehnerven
dem Gehirne zugeführt wird. Damit die Augen Vieles wahr-
nehmen können, liegen sie am obersten Theile des Körpers und
sind nach allen Seiten hin beweglich.
Den Augen schadet besonders blendendes, zu schwaches,
schnell abwechselndes und ungleiches Licht. Daher sind sehr nach-
theilig: das Sehen in die Sonne und in den Blitz, der Anblick
einer weißen, von der Sonne beschienenen Wand, das Lesen im
Sonnenscheine und in der Dämmerung, der plötzliche Uebergang
aus der Dunkelheit in das hellste Licht, Lichtschirme, die einen
Theil des Zimmers verdunkeln rc. Außerdem muß man die
Gegenstände, auf welche man steht, z. B. beim Lesen das Buch,
nicht zu nahe vor die Augen, auch nicht schief oder seitwärts
halten, nicht Brillen gebrauchen, die für das Auge nicht passen rc.
Unmäßigkeit und Unkeuschheit schwächen auch das Gesicht. Ver-
härtet die Kristall-Linse, so entsteht der graue, verhärtet aber
die Netzhaut, der schwarze Staar. Jener kann durch das
Herausziehen der schadhaft gewordenen Kristall-Linse beseitigt
soperirt) werden; dieser ist unheilbar. Das Schielen ist nicht
immer Folge einer üblen Gewohnheit, sondern hat oft in der
Verkürzung eines Muskels seinen Grund. Durch Zerschneiden
desselben erhält dann das Äuge seine gehörige Richtung. Eine
2SS
unrichtige- Behandlung, oder eine Verletzung der Augen kann leicht
Blindheit herbeiführen. Wer seine Augen gesund erhalten
will, der strenge sie nicht zu sehr an bei Lichte, namentlich im
Zwielichte; er schlafe nicht mit dem Gesichte nach einem Fenster,
zumal wenn dasselbe von der Morgensonne beschienen wird; er
hüte sich vor schnellem Wechsel des Lichtes und der Finsterniß;
dagegen lasse er das Auge oft auf grünen Flächen, Wiesen, Wäl-
dern rc. verweilen und wasche es oft mit klarem Wasser.
tz. 131.
Das Gehör.
(Äbrfr.I. Anh. VHI. 11.)
Die Werkzeuge des Gehörs sind die Ohren. Jedes Ohr
besteht aus dem äußeren, mittleren und inneren Ohre, oder der
Ohrmuschel, den Ohrknochen und den Röhren.
Die Ohrmuschel ist eine ziemlich ovale, durch Knorpel ge-
steifte Haut, welche besonders oben, hinten und unten frei am
Kopfe hervorragt und zum Auffangen des Schalles dient. Es
sind im Grunde zwei in einander geschobene, ovale, vorn offene
Knorpelringe, von denen der hintere und längste die Ohrleiste^
der davor liegende die Gegenleiste heißt. Die vor dem Gehör-
gange liegende Hervorragung heißt Bock oder Klappe, das
untere Ende der Gegenleiste Gegenbock oder Gegenklappe.
Drei Muskeln bewegen die Ohrmuschel nach oben, nach vorn
und nach hinten. In der Ohrmuschel selbst kann man 5 kleine
Muskeln unterscheiden, welche an den verschiedenen Leisten hän-
gen. Diese Muskeln bringen beim Menschen wenig Bewegung
hervor, wohl aber bei den Thieren, welche ihre Ohrmuschel ver-
engen und erweitern, vor- und rückwärts wenden und hin- und
herschieben können, aber auch mehr Muskeln haben. Aus der
Ohrmuschel führt eine gekrümmte und allmälig enger zufallende
Röhre, die man den Gehörgang nennt, bis gegen die Mitte
des Ohres, wo sie durch das Trommelfell geschlossen wird.
Die Trommelhöhle oder das mittlere Ohr ist kaum
Vz" weit und enthält Luft, welche durch einen häutigen Kanal
— die Ohrtrompete — der sich hinten im Gaumen öffnet, mit
dem Munde in Verbindung steht. Wenn man plötzlich bläst,
so dringt bisweilen Luft aus dem Munde in die Trommelhöhle,
wodurch ein Sausen entsteht. Durch die Luft aus- und inwen-
dig am Trommelfelle wird es trocken und elastisch erhalten. Aus
der Trommelhöhle führen ins innere Ohr oder in das sogenannte
Labyrinth zwei gleichfalls mit einem Felle verschlossenen Löcher,
das ovale oben zu dem sogenannten Vorhofe vor den zirkelför-
migen Kanälen oder Bogengängen, das runde unten zu einem
Gange der Schnecke. In der Trommelhöhle liegen von vorn
223
nach hinten 3 Knöchel in einer Reihe, von denen das vordere,
wegen seiner Gestalt Hammer genannt, mit dem Stiele am
Trommelfelle hängt. Das hintere vereinigt sich mit der Haut
des ovalen Loches und heißt Steigbügel, weil es ungefähr
diese Form, nämlich die eines gestielten Ringes hat, der übrigens
auch durch eine Haut geschlossen ist. Zwischen beiden liegt ein
größeres Knöchel, das beweglich an sie gegliedert ist, zwei Fort-
sätze hat wie ein zweiwurzliger Zahn und Amboß heißt. Es
verbindet den Stiel des Hammers mit dem Steigbügel. Diese
Knöchel haben sogar kleine Muskeln, durch welche sie an einan-
der bewegt werden wie die Knochen des Armes. Die Trommel-
höhle ist übrigens von 2 Knochen umgeben und mit Haut aus-
tapeziert; der größte ist muschelförmig und bildet die eigentliche
Trommel; der kleine ist ein oben unterbrochener Ring, an wel-
chem das Trommelfell ausgespannt ist.
Das Labyrinth theilt sich in 3 zirkelförmige Kanäle und
die Schnecke, beide aus Knochenmasse bestehend und im Ganzen
wieder von einer harten Knochenschale umgeben, die mehrere
Spalten oder Löcher hat zum Durchgänge für die Nerven und
Gefäße.
Die 3 zirkelförmigen Kanäle stehen in verschiedenen
Richtungen auf einander und sind vorn gegen das ovale Loch
geöffnet. Uebrigens sind sie durch dünne Hautröhren ausgefüt-
tert, welche überall geschlossen, mit Wasser und Nerven ausge-
füllt sind und an den Oeffnungen sich in Säckchen erweitern,
die in dem sogenannten Vorhofe liegen, nämlich in dem Raume
hinter der Trommelhöhle, zwischen dem ovalen Loche und diesen
Kanälen.
Die Schnecke ist eine Röhre, welche drittehalb Windungen
bildet, ziemlich so wie die Schale der Weinbergsschnecke. Ihre
Mündung steht gegen das runde Loch. Durch ein Spiralblatt
ist sie in 2 Gänge geschieden, welche ebenfalls mit Haut ausge-
füttert und mit Wasser und breiartiger Nervenmasse ausgefüllt
sind. Der längere Gang stößt an das runde Loch, der äußere,
kürzere öffnet sich in den Vorhof und mithin gegen das ovale
Loch Jener heißt Trommel-, dieser Vorhofstreppe.
Der Gehörnerv theilt sich in 2 Bündel, von denen das
eine durch den Vorhof zu den Säckchen der zirkelförmigen Kanäle
geht, das andere in die Schnecke. Diese Nerven werden so weich,
daß sie fast als Flüssigkeit erscheinen. Der Gehörnerv entspringt
im kleinen Hirne, so daß man dieses als das Hirn des Ohres,
wie das große als das Hirn des Auges betrachten kann. Außer
dem eigentlichen Gehörnerven hat das Ohr noch einen besonderen
Nerven, der die Bewegung der Gehörknöchel k. vermittelt.
Durch starke Schläge auf das Ohr, oder durch einen hefti-
gen, unerwarteten Schall kann das Trommelfell verletzt werden
und der Mensch um sein Gehör kommen. Beim Abfeuern der
224
Kanonen ist es daher rathsam, den Mund zu öffnen, damit die
Lufterschütterung gegen das Trommelfell von innen und außen
erfolgen könne. Zu Zeiten muß das Ohrenschmalz weggeschafft
werden, damit es sich nicht zu sehr anhäufe und Taubheit ver-
ursache. Auch müssen die Ohren täglich gewaschen werden, weil
sich in den Windungen der Ohrmuschel leicht Staub ansetzt.
§- 132.
Der Geschmack.
(Kdrfr. I. Anh. VIII. 12.)
Die Zunge, das Werkzeug des Geschmackes, kommt in
ihrem Baue ziemlich mit der Haut überein; nur hat sie größere
Nervenwärzchen, und ihre Fleischhaut entwickelt sich zu 2 förm-
lichen Muskeln. Diese hängen hinten am Zungenbeine und
laufen neben einander bis zur Zungenspitze, welche daher einen
kleinen Einschnitt hat, der sich als Furche über die Mitte der
Zunge bis nach hinten verlängert. Hier hängt sie der ganzen
Breite nach an dem Zungenbeine. Sowohl an diesem als an
der Zunge selbst hangen verschiedene Muskeln, welche sich nach
hinten an den Kopf und an den Schlund, seitwärts und vor-
wärts an den Unterkiefer heften und auf diese Weise die Zunge
nach allen Seiten bewegen.
Die obere Fläche der Zunge ist ganz mit feinen, kugelför-
migen Wärzchen besetzt wie eine Bürste; dazwischen sind grö-
ßere, pilzförmige zerstreut, besonders an der Zungenspitze. Sie
haben einen dünnen Stiel wie der Hut eines Pilzes. Auf der
Zungenwurzel steht ein Dutzend kelchförmiger Warzen in einer
gabelförmigen Reihe, deren Spitze hinten liegt. Diese Wärzchen
sind die Enden der Geschmacksnerven, die aus dem verlän-
gerten Marke entspringen, das man in dieser Hinsicht das Hirn
der Zunge nennen könnte.
Zu ihrer Wirksamkeit bedarf aber die Zunge noch einer
Flüssigkeit, des Speichels, welcher von verschiedenen Drüsen im
Munde abgesondert wird und die Speisen auflöst.
§. 133.
Der Geruch.
(Kdrfr. I. Anh. VIII. 13.)
Der Geruch hat seinen Sitz in der sogenannten Riech-
oder Schleimhaut in der Nase. Der Schleim in dieser Haut
gehört wesentlich unter die Bedingungen des Riechens; denn bei
trockener Nase verliert sich die Empfindung des Geruches. Die
vielen Höhlungen der Nase stehen zwar mit ähnlichen im Stirn-
225
und Oberkieferbeine in Verbindung, tragen aber zum Riechen
kaum etwas anderes bei, als daß sie gleichfalls einen Schleim
absondern. Auf diese Weise vergrößert sich die Riechhaut so sehr,
daß ihre Oberfläche mehrere Quadraifuß einnehmen kann Die
Nasenhöhle ist durch eine Scheidewand in zwei Hälften geschieden.
Vor den Nasenbeinen breitet sich diese Scheidewand nach den
Seiten in dreieckige Platten aus, wodurch die Nasenspitze gebil-
det wird. Noch liegt ein Knorpelblatt in jedem Nasenflügel und
zwei vorn an der Nasenscheidewand. Diese Knorpel werden durch
verschiedene Muskeln nach oben, nach außen und unten gezogen,
so wie zusammengedrückt, wodurch die Nase gerümpft, erweitert
und verengert wird. Der eigentliche Riechnerv kommt vom
vorderen Theile des Hirnes und besteht größtentheils aus dem
grauen Stoffe, der sich in der weißen Hirnmasse befindet. Es
scheint also, als wenn dieser Stoff für das Geruchswerkzeug be-
stimmt wäre. Außerdem bekommt die Nase noch viele Nervenfä-
den, welche theils die Absonderung, theils die Bewegung zu be-
wirken haben. Ihre Adern erhält sie von der inneren und äu-
ßeren Drosselnder.
Der Schnupfen besteht in einer unterdrückten Ausdün-
stung und rührt meistens von Erkältung her. Durch warme
Fußbäder, den Genuß des Fliederthee's rc. wird ein Schweiß be-
wirkt, der gewöhnlich den Schnupfen beseitigt Zu häufiger
Schnupfen, so wie übermäßiges Tabacksschnupsen stumpft die
Geruchsnerven ab und bringt zuletzt ganz um den Geruch.
tz 134.
Jas Gefühl oder der Tastsinn.
(Kdrfr.I. Anh.VIII. 14.)
Die Haut ist nicht bloß die äußere Bedeckung des Körpers,
sondern zugleich auch das Werkzeug des Gefühls. Gleichsam
zur Entschädigung für ihren einfachen Bau hat sie unter allen
Sinneswerkzeugen die größte Ausdehnung, und durch die Glied-
maßen, welche zu ihrer Vollkommenheit vorbanden sind, den
größten Umfang der Bewegung erhalten. Man kann dieses
Sinneswerkzeug abtheilen in das leidende (passive) oder die
eigentliche Haut und in das thätige (aktive) oder die Glied-
maßen. Die sämmtlichen Nerven der Haut kommen aus dem
Rückenmarke, die des Kopfes zwar vom Hirnnerven, größtentheils
aber aus dem verlängerten Marke, mithin auch noch aus dem
Rückenmarke. Erst in Verbindung mit den Knochen und Mus-
keln erreicht die Haut den Gipfel ihrer Ausbildung in den Glied-
maßen, besonders in den Fingern. In den Spitzen derselben
sind die Gefühlswärzchen größer, zahlreicher und in eigenthümliche
Schneckenlinien gestellt.
Pechner, Handb. 3 Theil.
13
226
§. 135.
Wer Schlaf.
Der Schlaf entsteht entweder aus Erschöpfung unserer
Empfindlichkeit und Reizbarkeit gegen äußere Eindrücke (also aus
Mattigkeit oder Ermüdung), oder aus Mangel an äußeren Rei-
zungen (Arbeit, Gespräche, Musik rc.), daher wir auch aus lan-
ger Weile vom Schlafe befallen werden. Außerdem giebt es
auch einen Schlaf aus Betäubung der Nerven durch Trunken-
heit, Krankheit rc. Der Schlaf unterscheidet sich von der Ohn-
macht. in welcher wir uns dessen, was außer uns vorgeht, noch
weniger als im Schlafe bewußt sind, dadurch, daß in der Ohn-,
macht nicht nur die äußere, sondern auch die innere Lebens-
»häligkeit unterbrochen ist, während im Schlafe die innere, das
Athmen, der Blutumlauf, die Verdauung rc. ununterbrochen fort-
dauern. Der Schlaf ist also derjenige Zustand eines lebenden
Wesens, in welchem die äußere Lebensthäkigkeit größtentheils
aufhört, die innere aber fortdauert. Dabei verbrauchen wir we-
nig Kraft und sammeln also einen Ueberfluß, den wir im wa-
chenden Zustande wieder verwenden. Ein gesunder Schlaf ist
daher stärkend für Leib und Seele; denn er giebt den Nerven
neue Regsamkeit und Empfindlichkeit, kühlt alle Lebenswerkzeuge
ab, herubigt in Kummer, Mißmuth und Schmerz oft mehr als
aller Trost und alles Einreden, unterbricht die Einförmigkeit des
Lebens durch eine Art Scheintod und bewahrt uns dadurch vor
Lebensüberdruß. Guter Schlaf ist uns nothwendiger als gute
Kost; denn bei schlechten Nahrungsmitteln kann man stark und
gesund bleiben, nicht bei schlechtem Schlafe. Wollen wir gut
schlafen, so müssen wir den Tag über uns anstrengen und uns
durch Schlafen am Tage die Nacht nicht verderben, besonders
des Abends mäßig sein (Schlaf aus Betäubung ist kein gesunder
Schlaf), ein reinluftiges Schlafgemach und keine zu warme oder
zu frostige Bedeckung, wählen, uns vor dem Schlafengehen alle
unangenehmen Gedanken, wo möglich, aus dem Sinne schlagen
und — ein gutes Gewissen mit zu Bette bringen; denn „ein
gut Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen." Zu viel schlafen ist
ungesund, macht träge und dumm, raubt die Zeit zu vielen gu-
ten Werken, die man wachend verrichten könnte, bringt um Cre-
dit und häuslichen Wohlstand und ist endlich wahrer Lebensver-
lust (Kdrfr. I. Nr. 3ll. Hdb. I. §.28). Ganz kleine Kinder ver-
schlafen wohl die Hälfte des Tages, größere müssen sich mit 8
Stunden begnügen, und für den unverwöhnten erwachsenen
Menschen sind 0, höchstens 7 Stunden genug. Nur Schwäch-
lichkeit, große Erschöpfung und Krankheiten, wie es sich von selbst
versteht, machen ein Ausnahme von der Regel. Die beste Zeit
zum Schlafen ist offenbar die Nacht, wie dies schon die Dun-
kelheit und die feuchte, ungesunde Nachtluft schließen lassen. Am
SÄ7
gesundesten ist es, des Abends zeitig zu Bette zu gehen und des
Morgens früh wieder aufzustehen. — In fremden Betten zu
scklafen, besonders wenn sie nicht rein überzogen sind, ist immer
gefährlich, weil durch dieselben leicht Krankheiten mitgetheilt
werden können. In schlechten Wirthshäusern lege man sich nie
anders, als völlig angekleidet, aufs Bette, oder lasse sich lieber
ein Lager aus frischem Stroh bereiten. — Ohne dringende Noth-
wendigkeit sollten nie Kinder bei Erwachsenen oder mehrere Kin-
der in einem Bette schlafen; denn so muß Einer des Andern
Ausdünstungen einathmen, wobei man nicht gesund sein und
nicht ruhig schlafen kann. Noch schädlicher, ja sehr gefährlich ist
es, wenn ein gesunder Mensch bei einem Kranken oder in einem
Bette schläft, in weichem ein Kranker gelegen hat, ohne daß eS
zuvor gehörig gereinigt, gelüftet und ausgeklopft wurde. Ist die
Krankheit sehr bösartig gewesen, so müssen die Betten verbrannt
oder vergraben werden.
Wenn wir während des Schlafes Vorstellungen haben, aber
ohne Vollständigkeit und Richtigkeit des Bewußtseins, so träu-
men wir. Dies geschieht theils aus körperlichen, theils aus
geistigen Ursachen, z. B. aus Ueberladung des Magens, aus
Andrang des Blutes nach dem Herzen und Kopfe (Alpdrücken),
aus zu großer Anstrengung und Aufregung der Seele kurz vor
dem Schlafengehen rc.
§. 136.
Gesundheit und Krankheit.
Gesundheit ist der Zustand des Menschen, in welchem alle
Verrichtungen des Körpers frei und leicht von statten gehen, der
Mensch keinen Schmerz fühlt, heitern Sinnes arbeitet, ihm das
Essen schmeckt, und die Witterung nicht schadet. Manche Men-
schen verwenden wenig Aufmerksamkeit auf ihren Körper, folgen
nicht der Vernunft, sondern den Leidenschaften und Begierden,
indem sie das falsche Sprüchwort im Munde führen: Dem Ge-
sunden ist Alles gesund. Einige sind z. B. unmäßig im Essen
und Trinken, Andere in Arbeit und Vergnügen; Viele vergeu-
den in Ausschweifungen sorglos die edelsten Kräfte; Manche
trotzen eines eitlen Gewinnes wegen allem Ungemach. Auf die
Dauer kann auch der festeste Körper nicht widerstehen; das Ue-
bel kehrt ein, wenn man es am wewgjm, vermuthet.
Wie sehr schadet sich ferner der Mensch dadurch, daß er sei-
nen Leib anders haben will, als er aus der Hand des Schöpfers
hervorgegangen ist! In China gehören kleine Füße zu den we-
sentlichsten Erfordernissen weiblicher Schönheit. Deshalb werden
den Mädchen schon in zarker Jugend sehr enge Schuhe gegeben,
und die Zehen mit Riemen an die Fußsohlen gebunden. Die
Füße wachsen daher nicht aus, sind zwar klein, aber ganzmißge-
15*
S28
staltet und können den Körper nicht gehörig tragen. Eine in-
dianische Völkerschaft klemmt den Kopf des Kindes zwischen zwei
flache Hölzer, damit er nicht rund, sondern platt wachse. Einige
amerikanische Völker machen sich in die Unterlippe einen Quer-
schnitt so groß, daß sie die Zunge durch die Oeffnung, die wie
ein zweiter Mund aussieht, stecken können; andere klemmen einen
Holzpflock in dieselbe, damit sie nicht wieder zuwachse. Wir hö-
ren mit Widerwillen von solchen Verunstaltungen, und doch ge-
schieht bei uns Aehnliches. Pressen nicht viele Mädchen ihren
Körper in Schnürleiber, daß er widernatürlich aussieht? Einen
solchen wespenartig verdünnten Leib hält man für schön! Die
Eitelkeit macht hier blind gegen alle Nachtheile, welche daraus
hervorgehen. Die Eingeweide können, in einen engen Raum ge-
drängt, ihr Geschäft nicht verrichten; das Blut und andere Flüs-
sigkeiten werden in ihrem Laufe aufgehalten; es entstehen Stoc-
kungen und Krankheiten. So kommen Leiden über solche, die
an Gottes Werken freveln.
Kein Geschöpf der Erde ist so vielen Krankheiten unterwor-
fen als der Mensch, keins weicht aber auch öfter von dem Pfade
der Natur ab als er. Unsere altdeutschen Vorfahren übten und
stählten von Jugend auf ihren Körper, nährten sich von den Er-
zeugnissen des Vaterlandes und waren dabei gesund, stark und
groß. Wir sind ihnen zwar an Geist überlegen, aber unser Kör-
per steht dem ihrigen nach, weil wir seine Ausbildung und Kräf-
tigung vernachlässigen. Wie gut ist es daher, daß überall wieder
Leibesübungen für die Jugend eingeführt werden sollen! Kommt
noch eine verkehrte Lebensweise hinzu, so ist es kein Wunder,
wenn die angestammte Kraft und Schönheit immer seltener wird.
Statt von dem zu leben, was unser Boden hervorbringt, schlep-
pen wir allerlei Erzeugnisse der heißen Erdstriche zusammen und
genießen Thee, Kaffee, Reiß, Sago, Zucker, Zimmt, Pfeffer rc.
Daraus entsteht eine Schaar von Krankheiten, gegen welche wie-
der eine Schaar von Aerzten und Apothekern mit tausenderlei
Waffen in Flaschen und Büchsen, die aus allen Erdtheilen zu-
sammengesetzt sind, zu Felde ziehen.
Bei dem Ausbruche einer Krankheit beobachte man genau
seinen Zustand. Viele Krankheiten sind fieberhafter Art und
nehmen meist folgenden Anfang: Man fühlt sich matt, hat keine
Eßlust, aber desto mehr Neigung zum Trinken; der Schlaf fehlt
oder ist meist unruhig, Holler Träume; das Verdauungsgeschäft ist
gestört; es stellt sich Frost und dann Hitze ein. Kommen derglei-
chen Anzeigen, so thue man, was die Natur zu fordern scheint.
Man esse nicht, trinke aber desto mehr, besonders frisches Was-
ser; man halte sich ruhig, am besten liegend; denn die Mattig-
keit deutet an, daß die Kräfte, welche der Körper noch besitzt,
zum inneren Kampfe verbraucht werden müssen. Manche Leute
können nicht schnell genug nach dem Arzte schicken, wenn
sss
das Uebel auch nur gering ist; es muß ihnen bald ein Mit-
tel verschrieben werden. Ändere warten wieder so lange, bis
die ärztliche Hülfe zu spät kommt. — Während der Krankheit
sei man auf die Ableitungswege, die sich die Natur wählt, recht
aufmerksam, ob sie sich durch Schweiß, Durchfall, Nasenbluten
oder Ausschläge zu helfen sucht, weil damit dem Arzte angedeutet
wird, worauf er hinzuwirken habe. Endlich ist bei jeder Krank-
heit die Reinlichkeit wohl zu berücksichtigen. Man lasse frische
Luft in das Krankenzimmer, schaffe die Ausleerungen sogleich
hinaus und entferne zu viele Menschen, Thiere, Blumen, über-
haupt alles, was stark ausdünstet. Diejenigen, welche einen
Kranken zu pflegen haben, müssen denselben liebreich und freund-
lich behandeln. Man rede nicht viel mit ihm, verschaffe ihm die
nöthige Ruhe und weise häufige Besuche ab. — Das Räuchern
bei Kranken ist schädlich; es verbessert die Luft nicht, sondern
verdirbt sie noch mehr. In den Krankenstuben darf es weder
zu hell, noch zu dunkel, auch nicht zu heiß sein. Das Lager des
Kranken sei sauber und ordentlich, das Deckbelte nicht zu schwer,
das Unterbette nicht zu weich. Man nöthige den Kranken nicht
zum Essen und gebe ihm keine künstlich zubereiteten Gerichte;
auch ist hierin selbst bei Genesenden Vorsicht zu empfehlen. —
Manche Krankheiten verbreiten sich durch Ansteckung, als Blat-
tern, Masern, Rötheln, Krätze, Scharlach, Ruhr, Faul- und
Nervensieber. Nicht bloß durch Berührung, sondern auch durch
die Ausdünstung des Kranken kann man angesteckt werden. Um
sich gegen Ansteckung zu schützen, muß man nicht nüchtern bei
dem Kranken sein, in der Krankenstube weder essen noch trinken,
die Haut durch kaltes Waschen rein halten, mit Vorsicht zwar,
doch nicht ängstlich, die Pflege verrichten.
§. 137.
Der Tod und der Scheintod.
(Kdrsr. I. Anh. XI.)
Der Mensch hat, wie jedes andere Geschöpf, eine bestimmte
Dauer. Sein Leben währet 60 bis 70 Jahre, und wenn's hoch
kommt, sinds 80; nur Wenige erreichen ein Alter von 100 biS
120 Jahren. Wäre unsere Lebensweise mehr der Natur ange-
messen, und suchten wir unsere Leidenschaften besser zu bezähmen,
so würde ein Alter von 100 Jahren nicht seltener sein, als das
von 70 oder 80. Es giebt 3 Perioden des menschlichen Lebens:
Zunahme (Jugendalter), Stillstand fMannesalter) und Ab-
nahme jGreisenalter). Mit dem Aufhören aller Lebensthätigkeit
erfolgt der Tod, und das Scheiden der Seele vom Leibe heißt
Sterben. Doch nur der Körper, die irdische Hülle des unsicht-
baren, ewigen Geistes, fällt wieder in seine Bestandtheile zurück-
230
der Geist selbst geht zu Gott, der ihn gegeben hat sPred. Sät.
12, 7.). — Daß fast alle Menschen den Tod scheuen, ist ganz
natürlich, denn er hat allerdings etwas Grausiges; allein ihn
übermäßig zu fürchten, dazu ist kein Grund vorhanden, es sei
denn, daß man ein lasterhaftes Leben geführt habe. Die dem
Tode gewöhnlich vorhergehende Krankheit stumpft bas Nerven-
system und mit ihm nothwendig auch die körperliche Empfindung
nach und nach ab und b-wi:kt dadurch, daß der Kranke desto
weniger Schmerzen empfindet, je naher er dem Tode kommt.
Der eigentliche Tod selbst oder der Augenblick des Sterbens ist
aller Wahrscheinlichkeit nach völlig schmerzlos, so daß er von
dem Sterbenden gar nicht gefühlt wird. Das krampfhafte Ver-
ziehen der Gesichtsmuskeln, welches sich oft dabei einstellt, ist
kein Beweis inneren Schmerzes; man findet es bei Fallsüchtigen
oft weit gräßlicher als bei Sterbenden, und doch erinnern sich
jene, wenn sie wieder zu sich kommen, ihres früheren, dem An-
scheine nach so schrecklichen Zustandes gar nicht, woraus folgt,
daß die krampfhaften Verziehungen bloß körperlich Und nicht die
Wirkungen heftigen Leidens waren. Diejenigen Menschen,
welche dem Sterben schon sehr nahe gewesen sind, erinnern sich
gleichfalls meistentheils dieser entscheidenden Augenblicke gar nicht,
oder sie haben nur eine große Mattigkeit, aber keine Schmerzen
mehr gefühlt. Hieraus folgt, daß die körperlichen Schmerzen
schon vor dem Tode nachlassen, und wir also gar keine Ursache
haben, ihretwegen den letzten Augenblick zu fürchten. Hüten wir
uns nur jetzt, da es noch Zeit ist, daß nicht einst auf dem Ster-
bebette die Rückerinnerung an ein lasterhaftes Leben unsern Geist
ängstige und uns mit Furcht erfülle, vor den Augen unsres himm-
lischen Vaters zu erscheinen! Getrost können wir dann dem
Tode entgegen gehen, ja uns sogar dessen freuen; denn er er-
scheint, uns nur-als Ueberganq zu einem bessern Leben.
Nicht immer, wenn der Leib regungslos daliegt, hat sich die
Seele schon wirklich von ihm geschieden. Ein solcher Zustand ist
oft nur ein Scheintod, und dann kann der Mensch später ent-
weder von selbst wieder erwachen, oder doch durch eine zweck-
mäßige Behandlung ins Leben zurückgeführt werden. Ein sicheres
Kennzeichen des wirklich erfolgten Todes ist der sogenannte
Todtengeruch, mit welchem zugleich auch schwarzblaue Flecken
am Leichnahme zu erscheinen pflegen, und welcher nicht eher ent-
steht, als der Leichnahm zu verwesen beginnt. Bevor dieser Ge-
ruch sich einstellt, darf nie eine Leiche zur Erde bestattet werden,
man hätte sie denn von einem Arzte untersuchen lassen. Fast bei
allen Menschen, die eines gewaltsamen, oder sonst eines plötzlichen
Todes sterben, geht dem wahren Tode ein solcher Scheintod vor-
her, der oft lange anhält. Ein Jeder muß mit der Behandlung
der Scheintodten einigermaßen bekannt sein; denn Niemand kann
wissen, ob er nicht einmal in seinem Leben einen Verunglückten
231
finden werde, den er durch eine zweckmäßige Behandlung noch
retten könne. Die wichtigsten Regeln hierüber liefert der Kdrfr. L
Anh. IX. — Einem verunglückten, todtscheinenden Menjchen nach
Möglichkeit zu Hülfe zu kommen, ist eines Jeden Pflicht, und
Nichts kann uns dieser Pflicht überheben. Wäre er ein Selbst-
mörder, so würde das an der Sache selbst nichts ändern. Nicht
der Glückliche, sondern bloß der Unglückliche kommt zum Selbst-
morde, und letzterer hat also schon deshalb, weil er unglücklich
ist, Anspruch auf unser Mitleid; aber wir haben kein Recht,
ihn zu verdammen. Die meisten Selbstmörder haben schon, bevor
sie sich zu dem letzten verzweifelten Schritte entschließen, den
freien Gebrauch ihrer Vernunft verloren, sind also nicht zu-
rechnungsfähig. Sehr häufig zeigt sich auch in ihrem Gehirne
ein Fehler, der durch anhaltenden Gram oder auch auf andere
Weise eine Art Wahnsinn bewirkte. Dem Selbstmörder eine
Stelle auf dem Begräbnißplatze verweigern, zeugt von einer Lieb-
losigkei, die eben so strafbar ist als der Selbstmord.
IS. Seelenlehre oder Psychologie.
§. 138.
Die drei Hauptkräfte oder Vermögen der Seele.
Der Naturgeschichte gehört eigentlich nur die leibliche Seite
des Menschen an; des Zusammenhanges wegen lassen wir jedoch
hier das Wichtigste aus der Seelenlehre folgen.
Im Menschen hat der Schöpfer das Sichtbare mit dem
Unsichtbaren, die Geister- mit der Körperwelt wunderbar verbun,
den. Jeden mit einem Leibe verbundenen Geist nennt man eine
Seele. Die Verbindung der Seele mit dem Leibe dauert, bis
durch den Tod eine Trennung erfolgt. Dann geht die Seele
wieder in die Geisterwelt, der sie angehört; ihre künstliche Woh-
nung aber, der Leib, bleibt leblos zurück. Weil die Seele sich
mit keinem Sinne wahrnehmen läßt, so ist es schwer, sie kennen
zu lernen. Alles, was wir von ihr wissen, gründet sich bloß
auf die Beobachtung ihres Wirkens. Die Seele kann auf man-
nichfache Art thätig sein; deshalb muß sie verschiedene Kräfte
besitzen.
Anna hält sich die Augen zu; ich stecke ihr Etwas in den
Mund, und sie ruft sogleich: Ach, das ist Zucker; sie freut sich
darüber und bittet, ich möchte ihr noch mehr geben. Hier läßt
sich in Anna's Seele eine dreifache Thätigkeit unterscheiden.
Zuerst erkennt sie durch den Sinn des Geschmacks den Zucker;
dann folgt ein Empfinden von Freude und zuletzt ein Wün-
schen oder Begehren. Hermann ist beim Spielen von Theodor
geschimpft worden; er betrübt sich darüber und nimmt sich vor.
S32
ihn bei der nächsten Gelegenheit dafür zu züchtigen. Das Horen
der Schimpfworts ist ein Erkennen, die Betrübniß ein Ge-
fühl, der Vorsatz, sich zu rächen, die Folge des Willens oder
Begehrens. Der Mensch kann also die Dinge um sich er-
kennen, kann Schmerz und Freude empfinden oder fühlen,
das Gute wollen oder begehren, aber auch das Böse. Dem-
nach Kat die menschliche Seele drei Hauptkräfte: Erkennt-
nißvermögen, Gesühlsvermögen und Begehrungsver-
mögen
Sehe ich z. B. eine Blume, so empfange ich eine Vor-
stellung von dieser Blume, ich erkenne sie. Indem mir Je-
mand eine Eisenbahn beschreibt, empfange ich eine Vorstellung
von Eisenbahn, oder ich verarbeite vielmehr früher empfangene
Vorstellungen sWege, Wagenzüge, Geleise rc.) und bringe da-
durch eine neue Vorstellung (Eisenbahn) hervor. Sobald ich nun
eine Eisenbahn sehe, erkenne ich sie. Die Thiere können zwar
auch Vorstellungen empfangen, aber sie vermögen es nicht, diese
Vorstellungen zu verarbeiten und dadurch neue Vorstellungen zu
erzeugen. Das Vermögen der Seele, Vorstellungen zu
empfangen, zu bearbeiten hervorzubringen und da-
durch zur Erkenntniß von Dingen und Thätigkeiten
zu gelangen, heißt Erkenntnißvermögen.
Schlägt der Lehrer einen Schüler, so empfindet der Ge-
schlagene gewiß Schmerzen; aber auch der Lehrer empfindet Et-
was, das ihm vielleicht noch weher thut, nämlich Zorn, oder
Kummer, oder Mitleiden. Selbst die übrigen Schüler bleiben
dabei nicht gefühllos, sondern empfinden Schrecken, Bedauern,
Mißbilligung der bestraften Unart, vielleicht gar Schadenfreude.
Die Empfindungen des Lehrers und der übrigen Schüler sind
aber nicht, wie bei dem geschlagenen, Empfindungen des Körpers,
sondern (unmittelbar) der Seele. Dergleichen sind auch die Ge-
fühle des Wohlwollens, der Freundschaft, der Dankbarkeit, des
Zutrauens, der Hochachtung der Bewunderung, der Selbstliebe,
der Ehrliebe, des Froh, und Trübsinnes, der Sehnsucht, der Reue,
des Argwohnes, der Furcht rc. Sind diese innern Empfindungen
stark, so nennt man sie Gemüthsbewegungen oder Affekte.
Das Gefühlsvermögen ist das Vermögen der Seele,
sich freuen und betrüben zu können und sich überhaupt
der Zustände der Seele (seiner jedesmaligen innern
Verfassung) unmittelbar bewußt zu werden, oder an-
genehme und unangenehme Gefühle zu haben, oder
die Empfänglichkeit für angenehme und unangenehme
Gefühle.
In der Regel begehren wir das Angenehme, das Unange-
nehme verabscheuen wir, und das haben wir mit den Thieren
gemein. Wir sind aber auch im Stande, aus guten Gründen
gerade das Unangenehme zu begehren und das Angenehme zu
S33
verwerfen. Das können die Thiere nicht. Wir sind erhitzt und
enthalten uns dennoch eine geraume Zeit des Trunkes, so sehr
auch unsere Zunge danach lechzen mag. Da steht vor uns ein
kaltes, leckerhaftes Getränk, das uns erfrischen würde; wir
wissen aber, daß es uns in der Erhitzung ungesund ist, und wir
greifen nach dem erwärmten, weil es uns unter diesen Umständen
besser gedeiht. Das Begehrungsvermögen ist das Vermö-
gen der Seele, Etwas zu begehren oder zu verabscheuen,
oder die Fähigkeit, Etwas zu wollen oder nicht zu
wollen, oder Etwas zu erlangen und zu streben, daß
dieses Verlangen erfüllt werde.
§• 139.
A. Das Erkenntnißvermögen.
1. Das Wahrnehmungs- oder Anschauungsvermögen.
Vor mir liegt ein Buch. Dieses Buch nehme ich wahr
mit meinem Gesichtssinne, und vermittelst meines Gesichtssinnes
erhält meine Seele eine Vorstellung von dem Buche- Den Tisch
vor mir nehme ich auch mit geschlossenenAugen wahr durch den
Sinn des Gefühls (den Tastsinn) und erhalte durch denselben
eine Vorstellung von dem Tische. Zu der Vorstellung von dem
Dufte des Veilchens gelange ich, indem ich denselben mit meinem
Geruchssinne wahrnehme. Die Vorstellung von dem Geschmacke
der Aprikose erhalte ich durch meinen Geschmackssinn. Es schlägt
eben acht Uhr. Den Klang der Glocke nehme ich wahr durch
meinen Gehörssinn. Jede Einwirkung auf unsere Sinne heißt
eine Wahrnehmung. Alle Wahrnehmungen, welche die Seele
mittelst der Sinne erhält, heißen auch Anschauungen. Hier-
unter versteht man also nicht bloß diejenigen Wahrnehmungen,
welche unsere Seele vermittelst des Gesichtssinnes empfängt,
sondern überhaupt jede Wahrnehmung, zu welcher wir durch die
Sinne gelangen. Wenn ich z. B. jetzt eine Uhr schlagen höre,
so habe ich eine Anschauung von dem Klange der Uhrglocke durch
den Gehörssinn; indem ich eine Rose rieche, habe ich eine An-
schauung von dem Gerüche der Rose durch den Geruchssinn;
indem ich Erdbeeren esse, habe ich eine Anschauung von dem Ge-
schmacke der Erdbeeren durch den Geschmackssinn; indem ich
Eis anfühle, habe ich eine Anschauung von der Kälte des Eiseö
durch den Gefühlssinn. Zu der Benennung „Anschauung" hat
der Sinn des Gesichts Veranlassung gegeben; denn wer eine
Sache recht wahrnehmen soll, dem muß sie vor die Augen ge-
stellt werden, oder er muß sie anschauen. Hat er sie angeschaut,
so kann er sich dieselbe, auch wenn er den Blick abwendet, vor
sich gestellt denken: er hat eine Vorstellung von der Sache, d. h.
er ist sich ihrer Merkmale bewußt. Die Vorstellung wird schon
234
wahrend des Anschauens gebildet; allem sie drückt sich dabei
auch in die Seele ein, so daß sie noch eine Zeit lang in der
Seele bleibt, wenn die Anschauung schon aufgehört hat. Man
pflegt daher auch zu sagen: Die Sache hat einen Eindruck auf
mich gemacht, der nicht sobald verlöschen wird. Das Wahr-
nehmungs- oder Anschauungsvermögcn ist das Vermögen
der Seele, Anschauungen und Eindrücke zu empfangen
und dadurch zu Vorstellungen von demjenigen zu ge-
langen, was außer uns oder in uns ist und vorgeht.
Das Anschaungsvermögen besitzt also einerseits Empfänglichkeit,
d. h. die Fähigkeit, einen Eindruck zu empfangen, und ander-
seits Selbstkhätigkeit. d. h. das Vermögen, den Eindruck zu
ergreifen und festzuhalten. Das Licht macht z. B. einen
Eindruck auf meinen Gesichtssinn; es drängt sich demselben auf.
Das Vermögen verhält sich dabei mehr leidend (empfänglich)
als selbstthätig; es wird angeregt, einen Eindruck zu empfangen.
Einen solchen Eindruck kann man bloß eine Wahrnehmung oder
Empfindung nennen, weil die Selbstthätigkeit weniger dabei mit-
wirkt. Richte ich aber meine Augen absichtlich nach dem Lichte,
und nehme ich selbstthätig die Eindrücke von dem Lichte, z. B.
feine Farbe, Größe, Gestalt u. dgl. in meine Vorstellung auf, so
erhalte ich eine Anschauung von dem Lichte. Anschauungen von
Dingen und Thätigkeiten, welche außer uns sind und vorgehen,
erhallen wir mittelst der Sinneswerkzeuge. Man nennt daher
diese Anschauungen äußere Anschauungen, und die Vorstel-
lungen, welche wir auf diese Weise erhalten, sinnliche Vor-
stellungen oder Vorstellungen des äußern Sinnes. Wir können
uns aber auch unmittelbar vorstellen, was in unserer Seele selbst
vorgeht, z. B. wie uns in diesem Augenblicke zu Muthe ist, was
wir wünschen, denken, wollen u. s. f. Indem wir uns vorstellen,
was in uns selbst (oder auch in der Seele eines Andern) vorgeht,
haben wir eine Anschauung von dem innern Zustande unserer Seele.
Das Vermögen, sich vorzustellen, was in der Seele selbst vorgeht,
nennt man den innern Sinn oder das Anschauungsver-
mögen des Innern und die Vorstellungen selbst geistige
Vorstellungen. Durch diesen Sinn kann der Mensch zu jeder
Zeit erfahren, was in ihm vorgeht, ob er denkt, fühlt oder be-
gehrt, froh, niedergeschlagen, muthig, furchtsam oder andächtig
ist. Er kann sich Vorstellungen von verflossenen oder künftigen,
frohen oder trüben Stunden, von Sorgen, Leiden und Freuden
machen.
Das Vorstellungsvermögen macht die Grundlage der Geistes-
bildung aus. Die äußeren Sinne bringen die Seele zur Er-
kenntniß der Natur- und Kunstgegenstände, ihrer Eigenschaften,
Kräfte und Veränderungen. Je schärfer unser Blick in die Welt
wird, desto mehr begründen wir unsere Herrschaft über sie, und
desto mehr erweitern sich unsere Kenntnisse. Daher bieten wohl-
235
^ordnete Anschauungsübungen der Jugend wesentliche Vortheile.
Der innere Sinn ist von großer Wichtigkeit. Gewöhnen wir
uns, auf das, was in uns vorgeht, genau zu achten, so sind wir
auf dem Wege zur Selbstkenntniß, zu der nicht Alle gelangen,
und die doch überaus nothwendig ist; denn wer seine Gefühle,
Neigungen und Leidenschaften kennt, wird leichter das Gute
wählen und das Böse unterlassen.
Da die Thiere auch Sinne, und manche von ihnen noch
schärfere als der Mensch, besitzen, so müssen sie auch Vorstellun-
gen von den äußern Gegenständen erhalten. Das beweisen die
Zugvögel, die im Frühlinge ihre Nester, die Bienen, die ihren
Korb wiederfinden, das Lamm, das seine Mutter erkennt, der
Staar, der gesprochene Wörter nachahmt. Wmn der Hund den
Jäger das Gewehr von der Wand nehmen sieht, so springt er
auf, bellt und zeigt Freude; aber ob er auch weiß, daß er sich
freut, ob er sich die Freude vorstellen, sie wünschen kann, davon
haben wir keine sicheren Beweise. Man rechnet daher zu den
Vorzügen, auch den innern Sinn oder das Vermögen, sich dessen
bewußt zu sein, was in der Seele vorgeht.
tz. 140.
2. Das Rcrvußtfein.
Wer eine Vorstellung von sich selbst, von seinem Zustande
und von den Eindrücken hat, welche von außen auf ihn gemacht
werden und sich derselben bewußt ist, der hat ein bewußtes
Sein; er weiß, daß er ist, wie ihm ist und was außer ihm ist.
Das Bewußtsein ist die Kraft der Seele, sich der Ein-
drücke, welche durch die Sinne auf sie gemacht werden,
oder unmittelbar in ihr entstehen, auch bewußt zu
sein. Ohne Vermögen, uns der Eindrücke auf unsere Seele
bewußt zu sein, halfen uns alle 5 Sinne nichts. Wir würden
durch sie eben so wenig Erfahrungen sammeln als der Spiegel,
der weder von sich selbst, nrch von den Gestalten etwas weiß,
die sich in ihm abbilden. Auch die Thiere haben ein Bewußtsein,
aber nur ein dunkles; keins derselben hat das klare, deutliche
Bewußtsein des Menschen. Wir- sind uns j- B. nicht nur be-
wußt, daß wir dieses oder jenes sehen, sondern auch, ob es so
ist, wie es scheint^ was es ist; wie es ist; wodurch es sich
von allen andern unterscheidet; warum es so oder so ist und
sein muß; wozu es nützt, oder was es schadet, — und endlich,
daß wir es sind, die dieses Bewußtsein besitzen.
Unsere sinnliche Wahrnehmung stimmt freilich nicht immer
mit dem, was außer uns ist, überein. Wie oft glauben
wir, Etwas von der Linken zu hören, was von der Rechten
kommt! Wie oft sehen wir Eins für das Andere an! Welche
Täuschung bewirkt nicht der Spiegel! So scheint uns z. B.
236
unser Bild um so weiter hinter dem Spiegel zu stehen, je
weiter wir uns von demselben entfernen. Der Wilde, dem
ein solches Ding nie vor die Augen gekommen ist, glaubt daher,
einen seiner Brüder zu sehen, und kuckt neugierig wie ein Vogel
hinter den Spiegel. — In weiter Ferne scheint eine doppelte
Baumreihe ganz nahe zusammen, und weit entfernte Menschen
erscheinen uns wie kleine Puppen. Unter Mitwirkung unseres
Verstandes sind wir uns jedoch bewußt joder können uns doch
bewußt werden), daß das Täuschung ist. Ganz anders betrachtet
das Thier die Werke der Natur und Kunst. Es kann nicht
Wirklichkeit und Täuschung unterscheiden und eben so wenig
Grund und Folge des Wahrgenommenen einsehen. Der Vogel
sieht zwar auch das Grünen der Bäume und das Reifen ihrer
Früchte; aber er hat kein Bewußtsein von Ursache und Wirkung.
Er weiß nicht, daß das Grünen und Blühen eine Folge der
Frühlingswärme und des innern Baues der Pflanzen ist; nicht,
daß aus den Knospen Blüthen und aus den Blüthen Früchte
entstehend. Er vermag nicht einmal, sich selbst von dem Baume
genau zu unterscheiden.
Die Seele ist gleichsam ein Spiegel, in welchem sich tau-
senderlei Gegenstände der Außenwelt abspiegeln; aber sie ist ein
lebendiger Spiegel, der sich seiner selbst und dessen, was
sich in ihm abspiegelt, bewußt ist. Sie unterscheidet sich in
ihrem Bewußtsein nicht nur von den Außendingen, die durch
die Sinne sich in ihr abspiegeln, sondern auch von den Verän,
derungen, die durch die Abspiegelung in ihr vorgehen; so wie
auch von den Thätigkeiten und Zuständen, die dadurch
in ihr hervorgebracht werden. Spiegelt sich ein Gegenstand, sei
er nun ein Außending oder ein Innending, durch den äußeren
oder innern Sinn in der Seele ab, und die Seele wird sich
dieses Gegenstandes nicht so bewußt, daß sie ihn von allen andern
Gegenständen unterscheiden kann, so hat sie eine dunkele Vor-
stellung von demselben. Kann sie ihn aber von allen andern
Gegenständen wohl unterscheiden, obgleich seine Theile nicht alle
von ihr unterschieden werden, so hat sie eine klare Vorstel-
lung. Kann sie aber auch alle seine einzelnen Theile unterscheiden
sammt dem Ganzen und sich derselben bewußt werden, so hat
die Seele eine deutliche Vorstellung von dem Gegenstände. Ist
z. B. Jemand an dem königlichen Schlöffe nur vorübergegangen;
hat ein Anderer es von außen genau besehen, und ist ein Dritter
mehrere Stunden lang auch in demselben gewesen und in allen
Sälen und Zimmern herumgeführt worden, so daß er es be-
schreiben kann; so hat der Erste eine dunkele, der Zweite
eine klare, und der Dritte eine deutliche Vorstellung von
dem königlichen Schlosse.
237
§. >41.
3. Die Einbildungskraft.
Einen Gegenstand, den ich einmal aufmerksam angeschaut
habe, kann ich mir auch nach vielen Jahren noch so lebhaft vor-
stellen, als ob er wirklich vor mir stände. Ihr könnet euch jetzt
eure elterliche Wohnung mit allem Stubengeräthe, den Vater,
die Mutter rc. vorstellen, und wenn ihr die Augen schließet, so
seht ihr den Lehrer deutlich vor euch stehen. Eine Freude, eine
Angst, eine Furcht, die ich schon einmal gehabt habe, kann ich
mir ebenfalls wieder vorstellen, eben so eine Melodie, einen Ge-
sang, eine schöne Gegend rc. Wir haben aber nicht bloß das
Vermögen, ein Bild in uns aufzunehmen und zu erneuern, son-
dern auch das Vermögen, aus den mannichfaltigsten Anschauun-
gen ganz neue Bilder zu schaffen (Dichtungsvermögen). So kam
die alte Fabelwelt auf die sonderbarsten Umgestaltungen. Einen
Mädchenkopf und eine Mädchenbrust fügte sie an den Leib eines
Löwen, und so entstand die Sphinx. Kopf, Leib und Arme
des Menschen verband sie mit einem Fischschwanze, und es gab
Wassernixen und Tritonen. Einen Mannskopf, Brust und
Hände setzte die Einbildungskraft an einen Pferdekörper, und so
hatte man den Centaur. Bocksschenkel und Füße verband man
mit einem Menschenleibe, setzte Bockshörner auf den Menschen-
kopf und nannte dies Geschöpf Satyr. Vogelsittiche gab man
dem Pferde und nannte es Pegasus rc. — Aus hundert gese-
henen Gegenständen setzen wir uns eine ganz neue Landschaft
und aus tausend Menschen und Begebenheiten einen Roman zu-
sammen rc. Die Einbildungskraft ist das Vermögen der
Seele, eine Vorstellung in sich zu erneuern oder zu
erschaffen. Man unterscheidet demnach eine schaffende oder
schöpferische (produktive) und eine wiedererneuernde (re-
produktive) Einbildungskraft.
Der Nutzen der Einbildungskraft ist sehr groß; denn ohne
sie wären wir nicht im Stande, schon gehabte Vorstellungen zu
erneuern; wir könnten das, was zusammen gehört, uns nicht
zusammen vorstellen, weil sich das Zusammengehörige nicht im-
mer auch in der Wirklichkeit beisammen findet; wir könnten
uns von solchen Gegenständen, die wir bloß durch Beschreibung
kennen lernen müssen, gar keine Vorstellung machen (Kdrfr. I.
Nr. 135. Kdrfr. II. Nr. 52. rc ); es wären keine absichtlichen Er-
findungen möglich. Der Kunsttischler verfertigt z. B. hunderter-
lei Formen von Geräthschaften, Kästchen, Tischen, Stühlen und
dgl.; der Kleidermacher erfindet immer wieder neue Moden; der
Dichter dichtet Fabeln, Mährchen rc. Was der Künstler hervor-
bringen will, das schwebt ihm zuerst im Bilde vor, wird erst in
der Einbildung geschaffen und nachher in der Wirklichkeit aus-
geführt. Ohne Einbildungskraft würden einige der edelsten Ge-
238
müthsbewegungen, wie Mitleiden, Mitfreude rc. die angenehmen
Empfindungen vor und nach dem Genusse eines Vergnügens rc.
wegfallen. Ueberhaupt würde ohne Einbildungskraft unser Be-
gehrungsvermögen größtentheils schlummern, und die Einsamkeit
oft sehr langweilig werden. Auch verschönt und verherrlicht die
Einbildungskraft die Wirklichkeit, wie bei den Spielen kleiner
Kinder, verlängert den Genuß des Angenehmen und bestimmt
endlich einen großen Theil unserer Denk- und Handlungsweise.
Sie kann aber auch sehr nachlheilig werden, wenn sie sich
nicht von dem Verstände beherrschen läßt; denn sie zerstreut uns
oft zur Unzeit, tobtet den zu vielen Geschäften erforderlichen
Ernst und die nöthige Beharrlichkeit, spiegelt uns Freuden und
Genüsse vor, wo keine sind; sie malt uns Vergangenheit und
Zukunft meistens schöner, als sie in der Wirklichkeit sind, und
macht uns daher nicht selten unzufrieden mit der Gegenwart;
sie vergrößert oft die wirkliche Gefahr, schafft Sckreckbilder der
Furcht, verleitet uns zu Thorheiten und Sünden jKdrfr. l. Nr.
I/O 101. rc.) und hebt durch ihr? Macht nicht selten die Wirk-
samkeit des Verstandes und der Vernunft gänzlich auf jKdrfr. I.
Nr. 120 100 rc.).
Auch Thiere haben zum Theil Einbildungskraft. Ohne sie
könnten Storch und Schwalbe das Dach ihres allen, gastfreund-
lichen Wirthes nicht wiederfinden fKdrfr. I. Nr. 17.). Ein Bild
erweckt ohne deutliches Bewußtsein das andere. Der Hunger
z. B. weckt die Vorstellung von Futter; diese die Vorstellung
von dem Orte, wo es zu finden ist rc Der Hund knurrt und
bellt zuweilen im Schlafe; er muß also träumen: seine Einbil-
dungskraft muß auch während des Schlafes noch thätig sein.
Im Traume ist die Einbildungskraft besonders thätig Sie führt
uns bekannte und unbekannte Dinge vor und mengt sie oft selt-
sam unter einander. Manche Menschen werden auch im wachen-
den Zustande so von ihr beherrscht, daß sie Vieles zu seden und
zu empfinden wähnen, was andere nicht wahrnehmen; man nennt
solche Leute Schwärmer und diejenigen, welche gewisse leere Ein-
bildungen anhaltend für Wirklichkeit halten, Verrückte.
ß. 142.
4. Das Gedächtniß.
Das Vermögen der Seele, empfangene Vorstel-
lungen und Gedanken in ihrem Innern aufzubewah-
ren, nennt man Gedächtniß. Wir denken aber nicht jeden
Augenblick an alles das, was wir schon einmal in unsere Seele
aufgenommen haben und darin aufbewahren, können fedoch das
Aufbewahrte wieder in das Bewußtsein zurückrufen fKdrfr I.
Nr. 13. 122. ic.) und schreiben daher der Seele auch ein Erin-
nerungsvermögen zu. Gedächtniß und Erinnerungsvermögen
239
können auch als eine Seelenkraft angesehen werden. Wer Nichts
im Kopfe hat, oder wer keine Vorstellungen in seinem Innern
aufbewahren kann, der ist auch nicht im Stande, sich an Etwas
zu erinnern, das gar nicht in ihm vorhanden ist. Und wer zwar
Vorstellungen ausbewahrt, sich aber nickt derselben wieder erin-
nern kann, für den sind die gehabten Vorstellungen so gut als
gar nicht vorhanden; denn er kann ja keinen Gebrauch von ihnen
machen.
Oft sind wir uns bewußt, daß wir irgend eine Vorstellung
in uns aufbewahrt haben, aber es fallt uns eben nicht ein: wir
müssen uns anstrengen, um darauf zu kommen, z. B ein Name,
ein Ausdruck, der Anfang eines Gedichtes, einer Melodie jc.
Oft geben wir uns dagegen alle Mühe, gewisse Gebilde unserer
Einbildungskraft aus unserer Seele zu verdrängen, z. B. das
Bild eines grausenhaften Anblickes, oder auch angenehme Bilder,
die uns in unsern Geschäften stören und unsere Aufmerksamkeit
unwillkürlich immer wieder von dem abziehen, womit wir uns
ernstlich beschäftigen wollen (Kdrfr. I. Nr. Hi).). Gedächtniß und
Einbildungskraft sind mit einander verwandt. Indem ich mich
früher erlangter Vorstellungen erinnere oder derselben bewußt
werde, erneuere ich sie zugleich auch, und dieser Vorgang ist eine
Thätigkeit der Einbildungskraft. Das Gedächtniß läßt sich in-
dessen von der Einbildungskraft dadurch unterscheiden, daß es die
gehabten Vorstellungen willkürlich erneuert; denn wenn wir
uns an etwas erinnern wollen, so müssen wir uns besinnen,
d. h. in dem Vorrathe der aufbewahrten Vorstellungen danach
suchen, während die Einbildungskraft uns häufig ungesucht ihre
Gebilde vorführt, ja uns dieselben oft so mächtig aufdringt, daß
wir ihrer kaum los werden können.
Das Gedächtniß ist eine überaus wichtige Kraft der Seele.
Was würde es uns helfen, noch so viele Kenntnisse gesammelt
zu haben, wenn sie bald wieder verschwänden! Der Schöpfer
sorgte weislich dafür, daß das Erworbene aufbewahrt und zum
Gebrauche' beliebig herbeigeschafft werden kann. Jeder gesunde .
Mensch besitzt diese Seelenkraft. Indessen nimmt man doch
eine große Verschiedenheit des Gedächtnisses' wahr. Der Eine
kann Vorstellungen leicht und schnell auffassen und behalten,
während der Andere sich viele Mühe geben muß, bis Etwas in
seinem Gedächtnisse haftet. Jener hat ein schnelles, dieser ein
langsames Gedächtniß. Wer erlangte Vorstellungen genau so,
wie er sie empfangen hat, aufbewahren und wieder erwecken
kann, der besitzt ein treues Gedächtniß. Wer eine große Menge
von Vorstellungen lange aufbewahren kann, besitzt ein starkes
Gedächtniß: wer aber leicht und schnell wieder vergißt, heißt
vergeßlich. Selten sind alle Vollkommenheiten des Gedächt-
nisses vereinigt. Mancher Mensch faßt schnell und vergißt schnell,
mancher faßt langsam, behält aber das Gefaßte lange. Bei ein-
240
zelnen Menschen findet sich ein außerordentliches Gedächtniß. Der
Italiener Mirandola soll im Stande gewesen sein, tausend
Wörter, die man ihm nur einmal vorgelesen, in derselben Ord-
nung auswendig zu wiederholen. Der berühmte Leibnitz konnte
noch in seinem hohen Alter ein lateinisches Buch von Wort zu
Wort hersagen. Der persische König Cyrus soll die Namen
aller seiner Soldaten gewußt haben. Das Gedächtniß ist sehr
abhängig von dem Anschauungsvermögen; ist dieses stark, so ist
es auch gewöhnlich das Gedächtniß. Je deutlicher man einen
Gegenstand wahrnimmt, je genauer man ihn in seinen einzelnen
Theilen, wie im Ganzen überschaut und begriffen, je öfter man
seine Merkmale der Seele vorgeführt hat, desto bleibender ist er
im Gedächtnisse und desto leichter die Erinnerung an denselben.
Daß auch die Einbildungskraft dem Gedächtnisse wesentliche
Dienste leistet, geht schon aus dem weiter oben Gesagten hervor.
Wo beide zugleich thätig sind, da entstehen tiefere, deshalb auch
dauerhaftere Eindrücke.
Durch fle>ßige Uebung kann das Gedächtniß sehr gestärkt
und zu einem hohen Grade der Vollkommenheit gebracht werden.
Uebung macht auch hier den Meister. Man muß aber das Ge-
dächtniß an mannichfaltigen Gegenständen üben und nicht etwa
bloß an Liederversen. Mancher hat ein gutes Sachgedächtniß,
aber Namen und Zahlen kann er nicht behalten. Ein Anderer
hat ein sehr treues Ortsgedächtniß, erkennt aber die Personen
nicht leicht wieder. Beim Auswendiglernen beobachte man fol-
gende Regeln:
1) Suche man das Auswendigzulernende durchaus zu verste-
hen und denke sich besonders recht deutlich den Zusammenhang
desselben.
2) Lese man es noch etlichemal vor dem Schlafengehen durch
und versuche es noch im Bette, ob man es nothdürflig hersagen
könne.
3) Denselben Versuch mache man gleich des Morgens und
lese dann die Aufgabe noch etlichemal durch; denn was man vor
dem Schlafengehen seinem Gedächtnisse einzuprägen sucht, wird
nicht so schnell wie am Tage durch neue Vorstellungen wieder
verdrängt, und wenn man das Nämliche beim Erwachen aber-
mals durchdenkt, so stehen ihm keine alten Bilder im Wege.
4) Lese man beim Auswendiglernen laut, weil da der Ge-
hörssinn das Gedächtniß eben so unterstützt wie der Gesichtssinn,
wenn man genau auf die Zeilen und ihren Stand, oder auf
einzelne Merkzeichen sieht, die man sich etwa mit Bleistift macht.
5) Schreibe man sich das Auswendigzulernende ab und
nehme so das Auge zu Hülfe, wie beim lauten Lesen das Ohr.
6) Kann man sich auch das Behalten sehr erleichtern, wenn
man das Unbekannte an etwas Bekanntes anschließt. Wußte
ich z. B. schon, daß Friedrich d. Gr. 1740 zur Regierung kam.
241
so merke ich mir dann leicht, daß 100 Jahre früher der große
Kurfürst, 2OO Jahre früher Friedrich der Eiserne, 100 Jahre
später unser jetziger König den Thron bestieg. Eben so ist eS
mit dem, was zu gleicher Zeit geschah, z. B. 888 v. Chr. Sar-
danapal, Untergang Assyriens — Lykurg, Gesetzgeber in Sparta
— Dido, Gründung Karthago's rc.
7) Bei Namen verbinde man, wo es angeht, die Anfangs-
buchstaben oder Anfangsstlben zu Wörtern, z. B. die Anfangs-
buchstaben der 4 Flüsse, welche auf dem Fichtelgebirge entsprin-
gen (Main, Eger, Nabe, Saale), zu dem lateinischen Worte
MENS (der Verstand); die Anfangssilben von den Namen der
kleinen sächsischen Staaten in WeiKoMeinAl rc. Jeder muß
sich indeß nach eigener Erfindung zu helfen suchen, bis die Re-
geln der Gedächtnißkunst (Mnemotechnik) allgemein bekannt sein
werden.
§• 143.
5. Der Verstand.
a) Das Begriffsvermögen oder der Verstand im engeren Sinne.
Wenn ich jene Eiche und dann die daneben stehende Kiefer
betrachte, so erhalte ich eine Vorstellung von jedem der genann,
len Gegenstände. An beiden läßt sich nun mancherlei wahrneh-
men, als: Aeste, Blätter, Nadeln, Rinde, grün, braun, hoch,
dick, alt, Frucht, Samen. Unter diesen Vorstellungen find meh-
rere, die der Eiche und Kiefer gemeinschaftlich angehören, und
andere, die nur der einen allein zukommen. Die ersteren heißen
Aehnlichkeiten, die letzteren Unähnlichkeiten oder Verschie-
d.'enheiten. Einige Aehnlichkeiten sind: beide haben Wurzeln,
Stamm, Rinde, Holz, Krone, Aeste, Zweige, im Frühjahre Bm-
then, später Früchte, Samen, sie wachsen hoch, werden stark rc.
Unähnlichkeiten: die Kiefer hat Nadeln, die Eiche Blätter; die
Kiefer wächst schneller und wird nicht so umfangreich wie die
Eiche; die Kiefer enthält viel Harz, die Eiche keins; die Früchte
der Eiche sind Eicheln, die der Kiefer Zapfen; das Holz der Eiche
ist härter als das der Kiefer rc. Beide haben also manches
Aehnliche und manches Verschiedene. Das Aehnliche fasse ich in
eine Vorstellung zusammen; die Verschiedenheiten lasse ich unbe-
achtet. So erhalte ich eine Vorstellung von „Baum". Indem
wir mehrere Vorstellungen mit einander vergleichen, uns die Aehn-
lichkeiten derselben zusammen denken und von den Verschieden-
heiten ganz hinwegsehen, entsteht in uns eine Vorstellung, die
bloß Aehnlichkeiten enthält, und solche Vorstellungen nennt man
Begriffe. Unsere Seele hat also nicht bloß das Vermögen,
sich durch Wahrnehmungen einzelne Vorstellungen zu erwerben,
sondern auch das Vermögen, Gesammtvorstellungen oder Begriffe
zu bilden. Das Vermögen, mehrere einzelne Vorstel-
Pechñer, Hanrb. ».Theil. 16
S4S
lungen in eine Gesammtvorstellung zusammenzufas-
sen, nennt man das Begriffsvermögen oder den Ver-
stand im engeren Sinne.
Bei der Begriffsbildung kommt es also darauf an, die ge-
eigneten Ähnlichkeiten aufzufinden, welche gleichsam ein Band
schlingen um das, was man zusammenfassen will. Die Aehn-
lichkeiten, auf die der Begriff gegründet ist, heißen seine we-
sentlichen, die Unähnlichkeiten seine zufälligen Merkmale.
Wesentliche Merkmale von Baum sind z. B. Wurzel, Stamm,
Krone; von Stuhl: Sitz, Füße, Lehne; von Thier: Empfindung
und willkürliche Bewegung. Oft ist das Merkmal für einen
Begriff bloß durch die Sinne wahrnehmbar, läßt sich aber nicht
mit Worten ausdrücken. Wie verschieden ist z. B. die Farbe
der Feuerlilie, der Rose, des Zinnobers, und dennoch heißt sie
ein Roth, ohne daß wir im Stande sind, die Aehnlichkeit
anzugeben.
Die eben erwähnten Begriffe sind aus Vorstellungen der
äußeren Sinne entstanden; es können aber auch aus den Vor-
stellungen des inneren Sinnes Begriffe gebildet werden. Jemand
erzählt z. B, er habe neulich ein besonderes Gefühl gehabt, als
er auf dem schmalen Brette ging, das über den tiefen Bach ge-
legt ist. Noch heftiger hätte bald darauf ein Geschrei von meh-
ren Menschen auf ihn eingewirkt, die einen tollen Hund verfolg-
ten. Das Thier kam zwar nicht auf ihn zu, lief aber ins Dorf,
wo mehrere vor den Häusern spielende Kinder gebissen werden
konnten. — Die Vorstellungen von den Gefühlen, die der innere
Sinn zur Seele brachte, waren gleich und auch verschieden. Das
Ähnliche liegt darin, daß beide unangenehme Gefühle waren,
und daß sie aus dem Gedanken an ein nahes Unglück entspran-
gen. Die Unähnlichkeiten sind: das unangenehme Gefühl ent-
stand im ersten Falle, weil dem Erzähler selbst, im zweiten, weil
seinem Nächsten ein Unglück drohte; ferner war das eine Unglück
ein Ertrinken, das andere eine Vergiftung. Läßt man nun das
Verschiedene außer Acht und sieht bloß auf das Gleiche, nämlich
„unangenehmes Gefühl durch den Gedanken an ein nahes Un-
glück", so erhält man den Begriff „Furcht".
So wie es dunkele, klare und deutliche Vorstellungen giebt,
so sind auch unsere Begriffe dunkel, klar, oder deutlich, wie wir
aus folgenden Beispielen sehen können. Drei Knaben werden
gefragt, was ein Garten sei. Der erste antwortet: was da an
unserm Hofe liegt und wo sich eine Laube befindet; der zweite:
es wachsen Blumen und Obstbäume darin; der dritte: ein Gar-
ten hat einen Zaun, und es werden Blumen, Obstbäume, Ge-
müse und andere Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen in dem-
selben gezogen.
Man unterscheidet ferner Artbegriffe von Gattungsbegriffen.
Eiche ist ein Arlbegriff, so auch Kiefer, Pappel, Weide. Diesen
243
Arten kann man aber den Gattungsnamen Baum geben. Das
Wort „Baum" drückt daher einen Gattungsbegriff aus. Es
giebt mehr Baume als Eichen; denn alle Eichen sind auch Baume,
und außer den Eichen giebt es noch viele andere Bäume. Der
Gattungsbegriff hat also einen weiteren Umfang als der Artbe-
griff, da mehrere von diesen in jenem enthalten sind. Eiche ist
ein Artbegriff, Baum ein Gattungsbegriff; vergleiche ich aber
Baum mit Pflanze, so ist Baum wieder ein Artbegriff, und
Pflanze ein Gattungsbegriff. Demnach kann ein und derselbe
Begriff ein Begriff der Art und ein Begriff der Gattung sein;
in Vergleichung mit einem über ihm stehenden höheren ist er ein
Artbegriff, in Vergleichung mit einem ihm untergeordneten ist
er ein Gattungsbegriff. Eiche, Baum, Pflanze, Naturprodukt,
Körper sind immer höher steigende Begriffe; der erste liegt in
dem zweiten, der zweite in dem dritten re-
Will man einen Begriff erklären sdesiniren), so giebt man
ihm den Namen der zunächst über ihm stehenden Gattung und
fügt noch das ihm eigenthümliche Merkmal hinzu, durch welches
er sich von seiner Gattung und allen seinen Nebenarten unter-
scheidet, z. B. ein Baum ist eine Pflanze, die nur einen holzi-
gen Stamm hat. Bei Dingen, die Theile eines andern sind,
nennt man statt der Gattung das Ganze, von dem jenes Ding
ein Theil ist sKdrfr. I. Nr. 124. 148. 175. 200.).
Vorstellungen und Begriffe werden zuweilen mit einander
verwechselt. Sagt man: der Baum aus unserm Hofe blüht die-
ses Jahr nicht, und: ein Baum muß eine Wurzel haben, so ist
im ersten Satze „Baum" eine Vorstellung, weil damit ein Ge-
genstand bezeichnet wird, den ich entweder jetzt wirklich anschaue,
oder vor meinen Augen denke; im zweiten Satze ist „Baum"
ein Begriff, denn ich meine damit nicht ein Ding, sondern alle
solche Dinge, die den Namen „Baum" haben.
Ohne das Vermögen der Seele, mehrere ähnliche Vorstel-
lungen in eine zusammenzufassen, würden unsere Kenntnisse
sehr beschränkt sein. Wie wäre es auch nur möglich, die unge-
heure Menge der Naturkörper zu übersehen, wenn man sie nicht
in Reiche, Klassen, Ordnungen, Geschlechter und Gattungen
sonderte. Alle diese Abtheilungen sind aber nichts anderes als
Begriffe.
§. 144.
d) Die Urtheilskraft.
Gans und Vogel sind zwei Vorstellungen. Wenn ich nun
sage: die Gans ist ein Bogel, so bestimme ich, daß die Vorstel-
lung „Vogel" zu der Vorstellung „Gans'^ gehöre sich ordne den
Artbegriff unter den Gattungsbegriff. — Sage ich: das Kamee!
hat keine Hörner, so bestimme ich, daß die Vorstellung „Hörner"
nicht-zu der Vorstellung „Kameel" gehöre sich spreche dem Gan-
16*
244
zm einen Theil ab oder zu). — Wenn wie bestimmen, ob zwei
Vorstellungen zusammengehören oder nicht, ob sie als Gattung
und Art, Ganzes und Theil, Ursache und Wirkung (bie Sonne
wärmt), Ding und Eigenschaft (die Kugel ist rund) mit einander
verbunden werden können oder nicht, so urtheilen wir. DaS
Vermögen der Seele, zu urtheilen, heißt Nrtheilskraft
oder Beurtheilungsvermögen. Zu jedem Urtheile werden
zwei Vorstellungen erfordert, deren Verhältniß zu einander durch
das Urrheilen bestimmt wird. Eine dieser Vorstellungen ist eine
allgemeine, die andere eine besondere. Indem man nun urtheilt,
wird das Allgemeine auf das Besondere angewendet. Man kann
daher auch sagen-. Urtheilen heißt, das Verhältniß zweier Vor-
stellungen zu einander bestimmen, oder: Vorstellungen und Re-
geln auf besondere Fälle anwenden. Das Urtheil „die Gans ist
ein Schwimmvogel" enthält zwei Vorstellungen, eine allgemeine
(Schwimmvogel) und eine besondere (Gans). Indem ich nun
denke: Die Gans ist ein Schwimmvogel, wende ich die allgemeine
Vorstellung (Schwimmvogel) auf die besondere (Gans) an,
oder ich ordne das Besondere (Gans) unter das Allgemeine
(Schwimmvogel).
Wird durch ein Urtheil ausgesagt, daß die in demselben ent-
haltenen Vorstellungen sich als vereinigt denken lassen, so ist eS
ein bejahendes Urtheil, z. V. der Baum blüht; das Wasser
ist flüssig. Ist das Gegentheil zu bestimmen, sind also die Vor-
stellungen zu trennen, so entsteht ein verneinendes Urtheil,
als: die Schlangen haben keine Füße; die Eidechsen sind nicht
giftig-
Man unterscheidet ferner einzelne, besondere und all-
gemeine Urtheile. Im einzelnen Urtheile wird nur von einer
Sache etwas ausgesagt, z B. Königsberg ist die Hauptstadt von
Preußen; mich friert; unser Schulhaus ist nicht massiv. In den
besonderen Urtheilen wird mehreren Dingen derselben Art etwas
zugeeignet oder abgesprochen, z. B. manche Blumen welken bald;
einige Gegenden sind nicht fruchtbar; die meisten Brandenburger
sind evangelisch. Allgemeine Urtheile bestimmen, daß eine Vor-
stellung mit allen Gegenständen einer Gattung vereinbar sei oder
nicht, als: jeder Mensch ist sterblich; die Fische haben keine
Lungen.
Oft drückt ein Urtheil nur eine Möglichkeit aus, z. B.
ein Tisch kann rund sein; Anstrengungen können schaden; oder
eine Nothwendigkeit, z. B. zum Holzhacken braucht man eine
Axt; am Wagen müssen Räder sein; der Mensch bedarf der
Nahrung. Jene werden zweifelhafte, diese nothwendige
Urtheile genannt (Hdb. l. tz. 52.).
Manche Urtheile bestehen aus zwei Sätzen, z. B. wenn
der Apfel reif ist, so fällt er ab. Hier wird eia Satz ohne den
andern nicht verstanden; der erste enthält die Bedingung, der
245
zweite die Folge, und beide machen ein Bedingungsurtheil
aus sKdrfr. 1. S. 17. Nr 23. 2.).
Viele Urtheile sind aus sorgfältigen Beobachtungen, aus Er-
fahrungen hervorgegangen, z. B. unreifes Obst darf man nicht
effen. Dergleichen Urtheile heißen Regeln sKdrfr. I. S. 23.
Nr. 30., Nr 132. und 133. 140. 178 183.).
Die Urtheilskraft wird um so scharfer, je mehr wir über
unsere oder fremde Urtheile nachdenken und die Begriffe prüfen,
aus denen sie zusammengesetzt sind. Die Ursachen falscher Ur-
theile sind sehr verschieden. Ein Gutsbesitzer fand auf seinem
Felde weiße Steine, die ec für Kalksteine hielt. Er ließ sie in
einem dazu neu erbauten Ofen brennen, allein der Stein blieb
unverändert, wurde nicht zu Kalk; denn es war kein Kalkstein,
sondern Schwerspat!). Dem Gutsbesitzer kam das falsche Urtheil
„das ist Kalkstein," welches aus Mangel an einer deutlichen
Vorstellung von Kalkstein entstanden war, theuer zu stehen. Um
also nicht aus Irrthum falsch zu urtheilen, müssen wir suchen,
uns richtige Vorstellungen zu erwerben. — Ein Knabe wußte,
daß man nicht stehlen soll; dessen ungeachtet pflückte er sich
einige Aepfel von einem Baume, dessen Aeste zum Theil über
den Zaun eines fremden Gartens hingen. Als ihm bemerkt
wurde, er habe gestohlen, wollte er es nicht glauben. Ich bin
ja, sagte er, in kein Haus eingebrocben, um dort heimlich etwas
zu entwenden. Sein Begriff vom Stehlen war also unklar. Er
hatte das siebente Gebot zwar auswendig gelernt, aber nicht
ganz verstanden; daher kam die verkehrte Meinung. Es ent-
stehen also auch falsche Urtheile aus unrichtigen Begriffen. Wem
die Fähigkeit fehlt, Begriffe zu bilden, ist einfältig, und wer
wenig Urtheilskraft besitzt, gilt für dumm. Falsche Urtheile
können also aus Irrthum, aus Einfalt oder aus Dummheit
(ober wohl gar aus Bosheit) entstehen.
Die einem Menschen angeborne Anlage, schnell und richtig
zu urtbeilen, nennt man gesunde Urtheilskraft oder gesun-
den Menschenverstand, oder auch Mutterwitz sd. h. ein
Wissen und Können, das man nicht erst in der Schule erlernt,
sondern gleichsam von der Mutter empfangen, mit auf die Welt
gebracht hat, wie das Hirtenbüblein in den früheren Auflagen
des Kdrfr.). Das Vermögen, versteckte Aehnlichkeiten leicht auf-
zufinden, nennt man Witz, und die Fähigkeit, Verschiedenheiten
leicht und schnell zu entdecken, heißt Scharfsinn. Witz und
Scharfsinn betrachtet man als Zweige der Urtheilskraft. — Wer
immer nach witzigen Einfällen hascht, wird ein Witzbold, und
wer wiederum überall Unterschiede finden will, ein Klügling
genannt.
246
§• 145.
c. Das Schlußvermögen.
Wenn ich spreche: „die Eiche hat Wurzeln, denn sie ist
rin Baum," so fälle ich eigentlich drei Urtheile, nämlich:
1. Alle Bäume haben Wurzeln;
2. Die Eiche ist ein Baum:
3. folglich hat die Eiche Wurzeln.
Das dritte Urtheil ist aus den beiden ersten hergeleitet.
Die Thätigkeit der Seele, aus zwei Urtheilen ein
drittes abzuleiten oder zu schließen, wird Schlußver-
rnögen oder Schlußkraft genannt. Indem man aus zwei
Urtheilen ein drittes herleitet, thut man eigentlich auch nichts
Anderes, als daß man das Besondere lein besonderes Urtheil)
dem Allgemeinen seinem allgemeinen Urtheile) unterordnet, oder
das Besondere aus dem Allgemeinen ableitet. Man kann daher
das Schlußvermögen als eine Art der Urtheilskraft ansehen.
Jeder Schluß besteht, wenn er vollständig ausgedrückt ist, aus
einem Obersatze, einem Untersatze und einem Schlußsätze.
Der Obersatz enthält ein allgemeines Urtheil, der Untersatz ein
besonderes, und der Schlußsatz das abgeleitete Urtheil. Die bei-
den ersteren nennt man zusammen auch Vordersätze, den
letzten Nachsatz.
Obersatz: Alle Zugvögel ziehen im Herbste fort;
Untersatz: der Storch ist ein Zugvogel:
Schlußsatz: also zieht er im Herbste fort.
Ueber das Schließen merke man folgende Regeln:
1) Die Vordersätze müssen entweder beide bejahen, z. B.
Alle Menschen sind sterblich;
ich bin ein Mensch:
also bin ich sterblich.
2) Oder der eine Vordersatz muß bejahen, der andere verneinen, z.B.
Kein Mensch ist unsterblich;
ich bin ein Mensch:
also bin ich nicht unsterblich.
3) Aus lauter verneinenden Sätzen folgt gar nichts, z. B.
Kein Thier hat Vernunft;
der Mensch ist kein Thier:
also? —
Der Stein und der Baum sind auch keine Thiere; daraus
folgt aber weder, daß sie Vernunft haben, noch daß sie keine
haben.
4) Auch aus lauter einzelnen oder besonderen Urtheilen folgt
nichts, z. B.
247
Einige Menschen stehlen; oder: Mancher Gelehrte ist buckelig;
einige sind ehrlich: mancher Buckelige ist ungelehrt:
also? — also? —
Aus dem letzteren folgt höchstens, daß das Gelehrtsein nicht
von dem Buckeligsein abhänge und umgekehrt.
5) Schlüsse können aber auch falsch sein entweder wegen Be-
schaffenheit der Vordersätze, oder wegen Beschaffenheit der
Schlußfolge.
a. Wenn ein Vordersatz falsch ist, muß auch der Schlußsatz
fasch sein, z. B.
Wer gut ist, straft nicht; (?) Alle Vögel legen Eier;
Gott ist gut: die Fledermaus ist ein Vogel: (?)
also straft er nicht. (?) also legt sie Eier. i?)
b. Wenn ich vom Einzelnen auf's Ganze schließe, z. B.
Bauern sind häufig grob;
Hans ist ein Bauer:
also ist er grob. (?)
Von vielen einzelnen Fällen kann man nur auf Wahrschein-
lichkeit, nicht aber auf Gewißheit schließen.
c. Falsch sind auch Schlüsse, wenn ich die Wörter in beiden
Vordersätzen nicht in gleicher Bedeutung nehme, z. B.
Jeder Baum hat eine Rinde; Jeder Baum hat Blätter;
das Brot hat eine Rinde: das Buch hat Blätter:
also ist es ein Baum. also ist es ein Baum.
d. Ueberhaupt ist ein Schluß falsch, wenn man aus den Vor-
dersätzen folgert, was gar nicht in ihnen liegt, z. B.
Alle Menschen sind sterblich;
der Hund ist sterblich:
also ist er ein Mensch. (?)
Die Regel des Schließens heißt; Was von Allen gesagt
wird, gilt auch von den Einzelnen derselben Gattung; der Hund
aber gehört nicht zu der Gattung „Mensch." Es ist also nicht
genug, daß der Untersatz etwas mit dem Obersatze gemein habe.
Eine vollständige Anleitung zum Schließen giebt die Denklehre
(Logik).
Das Vermögen, zu begreifen, zu urtheilen und zu
schließen heißt der Verstand.
tz. 146.
6. Die Vernunft.
Wir haben noch nie gesehen, daß Etwas von sich selbst,
ohne einen Urheber entstanden sei. Bei dem Anblicke der sicht-
baren Welt schließen wir nicht bloß auf einen Schöpfer, sondern
aus der Einrichtung derselben auch auf dessen Allmacht, Weis-
heit und Liebe. Der Mensch kann unterscheiden, was recht und
248
unrecbt, gut oder böse, wahr oder falsch ist. Das Vermögen
der Seele, sich über das Sinnliche und Vergängliche
zu erheben, heißt Vernunft. Sie ist das Wahrnehmungs-
vermögen für das Uebersinnliche und Göttliche. Indem wir von
der Wirkung auf die Ursache, von dem Sichtbaren auf das Un-
sichtbare, von dem Sinnlichen auf das Uebersinnliche, vom Zeit-
lichen auf das Ewige schließen, gelangen wir allerdings auch durch
das Schlußvermögen zur Erkenntniß des Uebersinnlichen, und in-
sofern kann man auch das Schlußvermögen zur Vernunft rechnen,
oder umgekehrt. Allein die Vernunft ist doch noch mehr als
bloßes Schlußvermögen; sie ist der Sinn für das Uebersinnliche;
sie vernimmt, wie schon ihr Name sagt, auch das, was ganz
unabhängig von den Sinnen, über allem Irdischen ein Dasein
hat. Wer viel weiß, richtige und klare Begriffe und überhaupt
einen großen Reichthum von Kenntnissen besitzt, ist darum noch
nicht vernünftig, wenn er nicht auf die Stimme der Wahrheit
und des Rechtes allein achtet, seine Begierden und Leidenschaften
beherrscht und überall strebt, seine Handlungen mit dem, was
gut, wahr und recht ist, in Uebereinstimmung zu bringen. Die
Vernunft ist daher der höchste Vorzug des Menschen, die geistige
-Hauptkraft, welche ihn vor allen andern geschaffenen Wesen auf
Erden auszeichnet. Verstand haben in einem gewissen Grade
auch die Thiere; Vernunft aber besitzt allein der Herr der Erde-
tz. 147.
8. Das Gefühlsvermögen.
Betrachten wir die Personen z. B. in der Erzählung „Die
Feierstunden" lKdrfr I. Nr. 170.), so erblicken wir in der Seele
derselben allerlei Gefühle, in den jüngeren Kindern das Gefühl
der Freude, des Schreckens, des Unmutbes, der Furcht und Un-
ruhe, in den älteren das Gefühl der Pflicht, im Vater das Ge-
fühl des Zornes. Diese Gefühle wurden hervorgerufen durch
den Einblick des schönen Sonnenscheines und der goldenen Schmet-
terlinge, durch den Gedanken an das vernommene Gebot des
Vaters und durch die verlegenen Gesichter der Kinder. Das
Gefühlsvermögen ist die Fähigkeit der Seele, durch
äußere Eindrücke oder durch bloße Vorstellungen be-
wegt und in angenehme oder unangenehme Seelenzu-
stände versetzt zu werden. Der Eindruck, welchen äußere
Dinge auf unsere Sinneswerkzeuge machen, wird Empfindung
genannt; was aber in unserer Seele durch die Empfindung ent-
steht, fFreude, Schreck, Zorn ic) heißt Gefühl. Die Empfin-
dungen erregen Gefühle, sind das von außen Einwirkende, und
die Gefühle sind erregte Seelenthätigkeiten. Man kann die Ge-
fühle unterscheiden nach ihrer Beschaffenheit, nach ihrer
Stärke und nach ihren Duellen.
T4S
Der Beschaffenheit nach sind die Gefühle:
s. Angenehme (Lustgefühle), z. B. Freude (bei den kleineren
Geschwistern, als sie im Garten spielten), Hoffnung (bei dem
Vater, indem er erwartete, die Kinder würden ihre Arbeiten be-
endigen), das Gefühl der Kraft (der Greis in Nr. I88-), der
Uebermacht (der Husar in Nr. 135.).
b. Unangenehme (Unlustgefühle), wie Furcht (die kleineren
Geschwister, als sie nicht vermochten zu arbeiten), Angst, Schrecken,
das Gefühl der Schwache, Machtlosigkeit k.
o. Gemischte, wie das Gefühl der Wehmuth (Nr. 180.),
der Sehnsucht nach einem erwarteten Glücke rc.
Im gewöhnlichen Zustande sind die Gefühle so schwach,
daß wir kaum sagen können, ob sie angenehm oder unangenehm
sind; dann sind wir weder besonders froh, noch betrübt. Ein
solcher Zustand wird Gleichgültigkeit genannt und scheint
für uns ohne Gefühle zu sein. An diesen Zustand der Gleich-
gültigkeit grenzt einerseits Behagen, Behaglichkeit, Wohlbefinden,
und andrerseits Unbehagen, Unbehaglichkeit, Mißbehagen, Uebel-
befinden. Von diesen kaum bemerkbaren Zuständen der Seele
bis zu der größten Lust und dem wonnevollsten Entzücken einer-
seits und bis zu dem heftigsten Schmerze und der unerträglichsten
Qual andererseits giebt es so viele Abstufungen, daß es Nicht
möglich ist, dieselben durch besondere Namen zu bezeichnen.
In Hinsicht auf die Quellen, aus denen die Gefühle ent-
springen, unterscheidet man sinnliche oder körperliche und
geistige Gefühle. Die sinnlichen Gefühle entstehen schon da-
durch, daß Etwas auf die Sinne oder auf unsern Körper über-
haupt wirkt, die geistigen aber hauptsächlich dadurch, daß wir
uns in unserer Seele etwas Angenehmes oder Unangenehmes
vorstellen. Die geistigen Gefühle haben also ihren Ursprung in
den Vorstellungen und sind ganz unabhängig von körperlichen
Gefühlen. Bei den größten Körperleiden kann der Mensch innere
Freudigkeit haben, bei den reizendsten Sinnengenüssen von den
qualvollsten innerlichen Gefühlen gepeinigt werden. Die geistigen
Gefühle unterscheiden sich auch dadurch von den körperlichen, daß
sie bei verschiedenen Menschen auch sehr verschieden sind, was
bei den letzteren nicht in gleichem Grade der Fall ist. Körperliche
Schmerzen z. B. werden von dem einen Menschen wie von dem
andern als unangenehm empfunden; was dem einen als eiskalt
erscheint, hält der andere nicht für siedend heiß, wenn auch der
eine mehr oder weniger empfänglich ist für sinnliche Eindrücke.
Aber bei den geistigen Gefühlen verhält es sich anders; es giebt
wirklich Menschen, die für das Schöne, Wahre, Gute und Edle
gar kein Gefühl haben und am Gegentheiligen Freude empfinden
können. Die Anlage zu geistigen Gefühlen ist dem Menschen
zwar angeboren; aber es kommt doch Alles darauf an, daß diese
Anlage gebildet wird, denn ohne Anregung und Einwirkung aus
250
dieselbe wird der Mensch sich selten oder nie zu geistigen Gefüh-
len erheben.
Die geistigen Gefühle werden ferner unterschieden in:
a. Das Gefühl für das Schöne (Schönheits- oder ästhetisches
Gefühl), das wir demjenigen zuschreiben, der das Schöne an Ge-
genständen leicht entdeckt und an dem Schönen an sich (ohne
Rücksicht auf Nutzen oder Vortheil) Wohlgefallen hat (Kdrfr.1l.
Nr. 89.).
b. Das Gefühl für das Wahre (Wahrheits- oder intellectu-
elles Gefühl) besitzt derjenige, der Wohlgefallen hat an der Wahr-
heit und ihrer Erkenntniß und zugleich auch fähig ist, das Wahre
leicht und schnell zu entdecken, zu beurtheilen und zu treffen,
ohne sich erst die Gründe dafür vorhalten oder entwickeln zu
dürfen. Das Wahrheitsgefühl treibt uns zum Lernen, Nachdenken,
Forschen mächtig an; das Wissen macht Vergnügen und schafft
uns jene reinen Freuden der Erkenntniß. Das Zweifeln über
eine Wahrheit, das Schweben in der Ungewißheit macht uns
unruhig und erregt ein Gefühl von Unlust, das seinen Grund
eben in dem erwachten Wahrheitsgefühle hat (Kdrfr. 11. Nr. 14.).
c. Das Gefühl für das sittlich Gute (das sittliche oder mo-
ralische Gefühl) schreiben wir demjenigen zu, welcher an dem,
was recht und gut ist, Wohlgefallen und an allem, was unrecht
und böse ist, ein Mißfallen hat. Das Wohlgefallen an dem,
der recht und gut handelt, nennen wir Achtung. Das sittliche
Gefühl bezieht sich sowohl auf unsere eigenen, als auch auf
fremde Gesinnungen und Handlungen. Sind wir uns guter
Gesinnungen und Thaten bewußt, so werden wir uns selbst achten,
bei dem Gegentheil verachten (Kdrfr. 11. Nr. 133 ).
d. Das religiöse Gefühl ist das höchste und heiligste aller
Gefühle. Es entspringt aus dem Glauben an ein höheres Wesen,
das der Mensch vermöge seiner Vernunft ahnen und erkennen
kann, und giebt sich kund in den Gefühlen der Ehrfurcht, der
Liebe und des unbeschränktesten Vertrauens gegen Gott, als den
Urquell alles Schönen, Wahren und Guten. Bei der Mangel-
haftigkeit, Veränderlichkeit und Unbeständigkeit alles Irdischen
findet der Mensch nur Trost und Beruhigung in dem Gedanken
an ein ewig unveränderliches, höheres Wesen; es wird ihm
wohl in dem Aufblicke zu diesem Urwesen, und aus dem Glauben
an Gott und eine göttliche Weltregierung keimen alle jene be-
seligenden Gefühle hervor, welche zu frommen Gesinnungen und
Thaten entflammen und sich auch in den wohlwollenden Gefühlen
der Mitfreude, des Mitleides, der Barmherzigkeit rc. gegen
andere Menschen aussprechm.
251
§. 148.
C. Das Begehrungsvermögen.
Wenn plötzlich Etwas auf uns zu kommt, so weichen wir
demselben aus, ohne daß wir nur daran denken, oder uns der
Gefahr bewußt werden. Da dieser Trieb auf Erhaltung und
Beschützung des Lebens gerichtet ist, so heißt er Lebens trieb.
Der Mensch macht gern das nach, was er andere Personen
thun sieht, und dieser Trieb heißt Nachahmungstrieb.
Der Mensch richtet gern sein Ohr dahin, woher er ein
Geräusch kommen Hort, ist begierig, immer etwas Neues zu
sehen und zu hören. Diesen Trieb nennt man Neugierde.
Der Mensch will immer etwas zu thun haben; sonst ist
ihm nicht recht wohl: ec hat einen Trieb, immer mit Etwas
beschäftigt zu sein, und diesen Trieb nennt man Thätigkeits-
trieb.
Der Mensch wird also durch Etwas, das er sich wenigstens
im Anfange garnicht vorstellen kann, zu einem Streben, einem
Begehren oder Verabscheuen genöthigt, und dieses dunkele Etwas
nennt man Trieb Insofern jedem Menschen ein solcher Trieb
angeboren ist, wird derselbe Naturtrieb genannt. Die oben
erwähnten Naturtriebe haben das mit einander gemein, daß sie
sich auf Etwas beziehen, was die Sinne angenehm berührt. In
sofern nun der Mensch das begehrt, was seine Triebe befriedigt,
und das zu entfernen strebt, was seinen Sinnen unangenehm
ist, schreibt man ihm ein sinnliches Begehrungsvermö-
gen zu.
In Krankheit bittere Arzneien zu nehmen, ist für den Au-
genblick sehr unangenehm; die ganze Natur sträubt sich oft
dagegen, und doch kann man dieselben verlangen und sehr gern
einnehmen, weil man sich vorstellt, daß man seine Gesundheit
wieder erhalte. — Wenn man sehr erhitzt ist, erscheint nichts
angenehmer und köstlicher als ein frischer Trunk nach Herzens-
lust; dennoch kann man sich denselben versagen, wenn man sich
vorstellt, daß derselbe für die Zukunft schädlich werde. Die Vor-
stellung von eigenem Vortheile oder Schaden kann uns also an-
treiben, Etwas zu begehren und zu verabscheuen, und insofern
haben wir ein verständiges Begehrungsvermögen.
Der Menschenfreund stürzt sich in die Wasserflächen, um
einen Verunglückten zu retten (Kdrfc. I. Nr. 146.). Die ersten
Christen opferten Blut und Leben für ihren Glauben (Kdrfr. 11.
Nr. 52.). Man läßt sich durch keine Drohungen und keinen
Verlust von dem Pfade der Rechtschaffenheit abbringen (Kdcfr. 1.
Nr. 113. — Der Römer Fabricius). Der Soldat opfert sein
Leben der Vertheidigung des Vaterlandes (Kdrfr. I. Nr. 174.).
Der Mensch kann sich also auch entschließen zu thun, was recht und
gut ist, und zu vermeiden, was unrecht und böse ist, ohne darauf
252
Rücksicht zu nehmen, ob es den Sinnen angenehm oder unan-
genehm sei, und ohne danach zu fragen, ob es ihm Nutzen oder
Schaden bringe. Dieses Vermögen nennt man das vernünf-
tige Begehrungsvermögen, weil die Vernunft dem Menschen
gebietet, das Rechte und Gute zlr thun und das Unrechte und
Böse zu meiden.
In dem vernünftigen Begehru-ngsvermögen besteht der freie
Wille des Menschen, d. h. das Vermögen, durch Vorstellungen
von dem, was recht oder unrecht ist, zum freien Begehren oder
Verabscheuen bestimmt zu werden. Dadurch zeigt sich der Mensch
in seiner Erhabenheit über das Thier, über sich selbst und über
jedes Geschick. Man nennt daher dieses Vermögen auch das
obere Begehrungsvermögen im Gegensatze zu dem sinnlichen
und bloß verständigen, welche beide unter der Benennung nie-
deres Begehrungsver.mögen zusammengefaßt werden. Auch
die Thiere haben ein verständiges Begehrungsvermögen, denn sie
Unterlasten oft Etwas, das ihnen angenehm erscheinen muß, um
einem aus dem Genusse entstehenden Schaden auszuweichen, und
thun etwas Unangenehmes, um dadurch einen Vortheil zu er-
haschen, z. B der Hund, der sich vor den Schlägen fürchtet;
die Maus, die der Falle einmal glücklich entkommen ist rc. Aber
kein Thier hat freien Willen, weil es keine Vernunft hat und
zwischen Gut und Böse nickt unterscheiden kann.
Wie sich bei den Gefühlen verschiedene Grade der Stärke
unterscheiden lasten, so ist dies auch der Fall bei den Begehrungen.
Von der leisesten Regung eines dunkeln Triebes bis zur kräftig-
sten Entschiedenheit und Entschlossenheit des Willens giebt eS
unendlich viele Abstufungen. So lange das Begehren nicht auf
einen bestimmten Gegenstand der Begehrung gerichtet und also
noch nicht mit der Vorstellung von irgend Etwas, das man be-
gehrt, verbunden ist, heißt der Grund des Begehrens Natur-
trieb. Stellt man sich bei der Begehrung zugleich einen be-
stimmten Gegenstand vor, den man zu erhalten strebt <z. B.
Speise), so heißt das Begehren ein Verlangen. Eine heftige
Begehrung nennt man Begierde (3. B. nach Ruhm). Dauert
die Begierde auch dann noch fort, wenn das erste Verlangen
schon befriedigt worden ist, so nennt man sie Neigung fz. B.
zur Musik). Erhält sich die Neigung eine Zeit lang ununter-
brochen, so entsteht ein Hang <z. B. zum herumschweifenden
Leben). Wird der Hang so stark, daß er schwer oder gar nickt
mehr zu besiegen ist, so nennt man ihn Leidenschaft, oder
auch lim verächtlichen Sinne) Sucht, die nach den verschiedenen
Gegenständen, auf die sie gerichtet ist, auch verschiedene Namen
erhält, z. B. Ehrsucht, Herrschsucht, Habsucht, Spielsucht, Streit-
sucht rc.
Wer nur selten in Gesellschaft geht oder nur selten spielt,
wird nie ein besonderes Verlangen nach Spiel und Gesellschaft
253
haben, ja es wird ihm sogar schwer ankommen auszugehen und
am Spiele Theil zu nehmen. Wer aber öfter ausgeht und häu-
siger spielt, in dem entsteht bald eine Neigung hierzu; es kostet
ihm große Mühe, sich auch nur einmal der Gesellschaft oder des
Spieles zu enthalten, und aus der Neigung kann gar leicht Lei-
denschaft entstehen.
Unsere Triebe und Begierden können ausarten und uns in
namenloses Unglück stürzen, wenn sie nicht von dem sittlichen
und religiösen Gefühle und von der Vernunft geleitet werden.
Wir muffen sie a'so bewachen und immer unter die Herrschaft
des vernünftigen Begehrungsvermögens stellen.
§. 149.
Die Temperamente.
Die Menschen fühlen und begehren unter ähnlichen Um-
ständen nicht alle einerlei. Manchen reißt Etwas zu tiefem Schmerz
und Gram hin. was den andern gar nicht anficht. Was diesen
bis zur Ausgelassenheit froh macht, ist jenem oft zuwider.
Mancher ist durch eine Kleinigkeit in Zorn zu setzen, und Alles,
was er unternimmt, thut er mit ausdauernder Anstrengung und
Heftigkeit, indeß ein Anderer bei Allem, was er thuu muß,
Trägheit blicken läßt und selbst nicht leicht in Zorn zu bringen
ist, weil er die Ruhe über Alles liebt. Dieser Beobachtung zu-
folge hat man vier Gemüthsverschiedenheiten oder Tem-
peramente angenommen.
a. Das sanguinische oder leichtblütige ist zum Froh-
und Leichtsinne geneigt; die Gefühle entstehen und vergehen leicht
und neigen sich am liebsten auf die heitere Seite. Das Ansehen
ist munter, der Blick lebhaft, der Gang rasch. Der Leichtblütige
faßt Etwas leicht auf, vergißt es jedoch bald. In der Arbeit
ist er flüchtig und scheut die Anstrengung. Seine Reden hört
man gerne, denn sie sind anmuthig und witzig. Man kann ihn
leicht böse, doch gleich wieder gut machen. Eine traurige Bege-
benheit rührt ihn bald zu Thränen. Zu seinen Mängeln gehören
Unbeständigkeit, Leichtsinn und Unentschlossenheit; das Gegenge-
wicht hingegen halten Gutmüthigkeit, Liebenswürdigkeit und
Edelmuth.
d. Das melancholische oder schwerblütige ist zum
Gram und Trübsinne geneigt; die Gefühle entstehen schwerer
und neigen sich am liebsten zur Schwermuth. Der Schwerblü-
tige ist etwas blaß im Gesichte, hat einen festen ruhigen Blick,
ist oft in sich gekehrt und für die Freude wenig empfänglich.
Hat er sich zu Etwas entschlossen, so führt er es auch aller
Mühe ungeachtet aus. Der Witz ist ihm wenig, der Scharfsinn
mehr eigen. Oft zeigt er heiteren Ernst, jedoch zuweilen Neigung
zum Trübsinne. Cr sucht nicht viele, aber treue Freunde. Es
SSL
gehört ihm eben so wohl fester Wille und Beharrlichkeit, als
Hartnäckigkeit und Abgeschiedenheit an.
c. Das cholerische oder warmblütige macht den Men-
schen warm und heftig nicht bloß im Zorne, sondern auch in
der Liebe und in allen Unternehmungen, die ein Interresse für
ihn haben. Der Warmblütige ist von angenehmem Aeußern;
seine Augen sind feurig und durchdringend; in seinem Körper
liegt Fülle und Stärke, in seinem Benehmen viel Anstand und
Würde. Er ist gern thätig, doch nicht anhaltend. Die Furcht
scheint ihm fremd, weil er seine Kraft fühlt. Er wird leicht
zornig und zur Rache geneigt. Er will gern verehrt und be-
wundert sein, herrschen und gebieten, daher man ihm Stolz
vorwirft.
<l. Das phlegmatische oder kaltblütige ist der Ruhe
und Besonnenheit am günstigsten, aber nicht der angestrengten
Thätigkeit. Der Kaltblütige sieht wohlgenährt, fast aufgedunsen
aus; sein Auge ist matt und starr. Er arbeitet langsam und
ungern, schläft lange und kann viel Wärme ertragen. Wie der
Körper, so liebt auch sein Gemüth die Ruhe. Die Einbildungs-
kraft ist selten bei ihm rege. Er ist gleichgültig gegen Freuden
und Leiden. Weil ihm das Erwerben schwer scheint, so scheut
er jede Ausgabe und hat Neigung zum Geize. Er ist furchtsam
und eigensinnig. Zu seinen guten Eigenschaften gehören Gelassen
heit und Ordnungsliebe.
Man ist der Meinung, daß die Beschaffenheit unseres Kör-
pers auf das Gefühls- und Begehrungsvermögen Einfluß habe,
und in früheren Zeiten wollte man dies vom Blute herleiten,
daher jene Benennungen. Gegenwärtig versteht man unter
Temperament die Art und Weise zu empfinden und zu handeln,
insofern sie vom Baue ^des Körpers und der Mischung seiner
Säfte abhängt. Selten werden jedoch die Temperamente so
unvermischt angetroffen, wie sie hierausgestellt sind. Die meisten
Menschen haben von mehreren einige Kennzeichen an sich. Dann
setzt man die Namen zusammen, und zwar den Namen immer
hintennach, welcher das vorherrschende Temperament bezeichnet,
z. B. sanguinisch-cholerisch, oder cholerisch-sanguinisch. Zu den
größten Unternehmungen ist das sanguinisch-cholerische Tempe-
rament am geschicktesten. Uebrigens ändern sich die Tempera-
mente mit dem Lebensalter. Das Kind hat meist das sangui-
nische, der Greis das phlegmatische. Wir dürfen jedoch unsere
Fehler nicht mit unsern Temperamenten entschuldigen; denn
jedes läßt sich, wenn wir ernstlich wollen, unter die Herrschaft
der Vernunft bringen, und in diesem Falle hat jedes seinen ei-
genthümlichen Werth. Auch hat ja der Mensch freien Willen
und kann also wählen, was gut ist, selbst gegen seine heftigsten
Leidenschaften. Zwar wird ihm der Kampf oft sehr schwer, allein
desto größer ist auch seine Tugend, wenn sie die Oberhand
255
behält. Daher, ist "auch der gute Wille, das Höchste und
Edelste im Menschen, zur Ueberwindung unsers Temperaments
unentbehrlich. Und dieser gute Wille wird bei redlichem Streben
von unserer Seite um so gewisser unser Theil werden, je ver-
trauensvoller wir als Christen aus die unsere sittliche Schwach-
heit unterstützende Gnade Gottes rechnen dürfen. Hat sich Je-
mand einen festen Willen angeeignet, durch den er die Neigung
zum Bosen unterdrückt, so legt man ihm einen guten Charakter
bei. Unter Charakter versteht man hier den herrschenden Sinn,
den der Mensch, durch seine Vernunft geleitet, angenommen hat,
und dem er treu bleibt. Vernunft und freier Wille sind die
vornehmsten Kräfte der menschlichen Seele, und eben, weil die
Seele diese Kräfte besitzt, nennt man sie einen Gei-st. Die
Seele des Thieres kann sich keine Grundsätze des Verhaltens
bilden und sich auch nicht deren Befolgung vornehmen. Wohl
uns, daß wir nicht bloß Seele, sondern auch Geist sind! Schon
die Seele als Seele belebt den Körper, der ihr Werkzeug ist,
wodurch sie außer sich wirkt, die Außenwelt erkennt und zuerst
ihre Kräfte äußert. Doch als Geist ist sie fähig, sich selbst zu
erkennen, zu beobachten, sich über das Irdische zu einer bessern
Welt, zu ihrem Schöpfer emporzuschwingen. Sie trägt die
Hoffnung ihrer Fortdauer nach dem Tode in sich selbst und er-
hebt sie zur Gewißheit durch unumstößliche Gründe. Was wäre
auch der Mensch ohne den Glauben an Unsterblichkeit! Welchen
Zweck hätte das kurze Erdenleben, das so Viele nur zu früh ver-
lassen!
- §. 150.
Wer Verlauf des menschlichen Lebens.
Mit welcher Freude sehen wir einen neugebornen Fremdling
auf dieser Erde erscheinen! Aber oft hat das Kind kaum das
Licht der Welt erblickt, kaum einige verworrene Blicke auf die
es umgebenden Gegenstände geworfen, kaum durch ein unschul-
diges Lächeln das Herz der Eltern gewonnen, so muß es diesen
Schauplatz schon wieder verlassen und das erfreuliche Licht der
Sonne mit der Finsterniß des Grabes vertauschen. Mit zer-
rissenem Herzen und thränenvollem Auge sehen die Eltern dem
theuren Lieblinge nach, der ihnen so früh aus den Armen ge-
rissen ward. So welkt die Knospe am frühen Morgen, noch
ehe sie sich zur Blüthe entfalten konnte.
Viele gelangen glücklich über die gefahrvollen Jahre der
Kindheit und erreichen das Knaben- oder Mädchenalter. Froh
und heiter ist ihr Sinn und Geist, und sorglos überlassen sie
sich den Freuden der Gegenwart; was die Zukunft für sie ver-
argt, kümmert sie nicht. Doch auch viele derselben scheidet der
Tod von ihren muntern Gespielen und zärtlichen Eltern.
Der Knabe reift zum Jüngling, das Mädchen zur Jung-
frau heran. Beide treten nun in die glücklichste Periode ihres
Lebens. Noch frei von Mühen und Sorgen, blicken sie mit hei-
terem Auge in die Zukunft. Ihre geschäftige Einbildungskraft
malt sich Alles herrlich aus; ihr jugendliches Gemüth ergreift
Alles mit Heftigkeit; ihr Herz ist noch offen für das Gute, Edle
und Schöne. Sie fangen an, über sich und über ihre eigentliche
Bestimmung nachzudenken, und in den Augenblicken frommer
Begeisterung fassen sie den Entschluß, durch Tugend ihr künf-
tiges Glück vorzubereiten. Jedoch auch Viele von ihnen erliegen
dem allgemeinen Gesetze der Natur. Der Todesengel winkt,
und sie sinken in der Blüthe ihres Lebens, in der Schönheit
ihrer Jahre hin in den Schooß der Ewigkeit.
So sterben Viele, ehe sich noch die Anlagen ihres Geistes
entwickelt haben. Allein auch der Mensch, welcher ein höheres
Alter erreicht hat, geht unvollkommen, mit kaum begonnener
Ausbildung seiner Kräfte aus der Welt. Denn welcher außer-
ordentlichen Vervollkommnung ist unsere Seele fähig! Die gött-
liche Vorsehung wird indeß bei Allen aufs beste für die weitere
Ausbildung sorgen, so wie sie es während unseres Daseins auf
der Erde thut. Sie wird das nicht zerstören, was sein Ziel
noch nicht erreicht hat. Wie entsetzlich wäre der Gedanke an
den Tod, wenn all' das Herrliche, das im Menschen liegt, der
Vernichtung übergeben werden sollte! Dieser Gedanke streitet
auch so sehr gegen das innere Gefühl, spricht laut gegen die
Weisheit und Vaterliebe des Schöpfers, daß er nur als der Ge-
danke eines Wahnsinnigen, oder als der Wunsch eines Böse-
wichtes erscheint. Wenn also unsere Seele befreit ist von den
Fesseln des Körpers, so wird der gerechte und allgütige Gott sie
dahin bringen, wohin sie ihrer Bildungsstufe und ihrem sitt-
lichen Werthe oder Unwerthe nach gehört. Der gottesfürch-
tige und tugendhafte Mensch sieht daher mit Ergebung und
Vertrauen dem Tode entgegen, der ihn zu seinem himmlischen
Vater führt.
257
Zweite Abtheilung.
Naturlehre.
(Kdrfr. I- Anh. V.)
Einleitung.
Alles, was Gott geschaffen hat, heißt mit einem Worte
Welt. Sie wird eingetheilt in die Geisterwelt und dieKör-
perwelt. Zu jener gehören die Engel und die Seelen der Men-
schen, zur Körper- oder Sinnenwelt (Universum) alle vorhandenen
Körper. Ein Körper ist Materie in einem begrenzten Raume
(begrenzte Materie). Unter Materie oder Stoff aber versteht
man Alles, was einen Raum ausfüllt. Tische, Bücher, Tafeln,
Mineralien, Pflanzen, Thiere, Menschen, Sonne, Mond, Sterne rc.
sind Körper, denn sie bestehen aus Materie. Der Stoff des
Tisches ist Holz, der Kacheln — Thon, des Stiefels — Leder,
der Nadel — Metall rc. Weil die Körper aus Materie bestehen,
kann man sie auch sehen und fühlen, überhaupt sinnlich wahr-
nehmen. Der Schatten ist kein Körper, obgleich man ihn sehen
kann, ebenso wenig der Schall, obgleich er hörbar ist; denn diese
Dinge bestehen nicht aus Materie. Es giebt Erd- und Him-
melskörper. Erdkörper sind Mineralien, Pflanzen, Thiere,
Menschen; Himmelskörper sind Sonne, Mond und Sterne
(vergl. Einleitung zur Naturgeschichte). Die Erdkörper werden
eingetheilt in organische und unorganische (Kdrfr. I. Nr. 113.),
und die unorganischen in Natur- und Kunstkörper. Die
Naturlehre hat es bloß mit den unorganischen Naturkörpern
auf der Erde zu thun. Diese kommen in 3 Hauptzuständen oder
Aggregat-Formen*) vor; sie sind nämlich entweder fest, flüssig
oder lustformig. Feste oder starre Körper sind diejenigen, welche
in bestimmten Formen vorkommen, und deren Theile nur mit
Gewalt verschoben werden können, z. B. Eisen, Steine, Holz rc.
— Flüssige Körper dagegen sind solche, die keine bestimmte
*) Aggregat ist der Zustand eines Körpers, in welchem die Theile
desselben so mit einander verbunden sind, daß sie als ein zusammen-
hängendes Ganzes. erscheinen, ohne daß die Eigenschaften der Theile
verschieden sind.
Pechner, Handb. 3.Theil.
17
258
Form haben, sondern immer die Gestalt des Raumes annehmen,
in den sie eingeschlossen sind, frei aber als Tropfen erscheinen,
und deren Theile sich leicht verschieben und trennen lassen, z B.
Wasser, Oel, Quecksilber rc. Es giebt übrigens verschiedene
Grade der Festigkeit und der Flüssigkeit. Luftförmige Körper
oder Lustarten endlich sind solche, deren Theile sich noch leichter
als die der flüssigen verschieben lassen, und die außerdem das
Bestreben haben, sich in einem immer größeren Raum auszu«
dehnen sd. i. sie sind expansibel), und zwar desto starker, je mehr
sie zusammengedrückt werden. Die Luftarten sind entweder Gase
oder Dämpfe. Jene behalten unter allen Bedingungen die
Luftform, diese werden durch einen hinlänglich hohen Grad von
Zusammendrückung oder Kälte flüssig oder gar fest. Ueberhaupt
hängt der Aggregat-Zustand der Körper hauptsächlich von der
Temperatur (Hdb. II. S. GO.) ab. Feste Körper können in flüs-
sige, flüssige in feste, tropfbare Flüssigkeiten in expansible und
umgekehrt verwandelt werden. Eis z. B. ist ein fester Körper,
wird aber bei einer höheren Temperatur zu Wasser und ver-
wandelt sich in einer noch höheren in Dampf.
Bei genauer Betrachtung der Körper bemerkt man Ver-
änderungen an ihnen. Wasser z. B. verwandelt sich bei
großer Kälte in Eis, Holz durch große Hitze in Rauch und Asche,
das Eisen rostet und verwandelt sich in Erde rc. — Den In-
begriff allerKörper sammt den Veränderungen, welche
an und mit ihnen vorgehen, nennt man die Natur.
Alles, was an einem Körper irgend eine Veränderung hervor-
bringt, heißt Kraft. Die Kräfte und die durch sie hervorge-
brachten Veränderungen der Körper verhalten sich zu einander
wie Ursache und Wirkung; sie stehen also in geradem Verhält-
niß zu einander, d. h. je größer jene, desto größer diese. Wir
schließen aber hier nur immer aus der Größe der Veränderung,
d. i. der Wirkung, auf die Größe der Kraft, d. i. die Ursache.
Je fester z. B. das Eis, desto größer die Kälte; je mehr ein
Magnet anzieht, desto größer seine Kraft. Die Veränderungen
der Körper sind aber doppelter Art; entweder wird nämlich die
Materie der Körper ganz umgewandelt, also neue Materie her-
vorgebracht, — oder die Materie bleibt unverändert. Jene
nennt man innere (chemische), diese äußere (mechanische) Ver-
änderungen. Eben so kann man auch innere und äußere Kräfte
unterscheiden. Das Zermalmen der Getreidekörner in Mehl ist
eine äußere, die Verwandelung des Mehles in Stärke eine innere
Veränderung; das Ausdehnen des Kupfers durch Hämmern eine
äußere, die Vermischung desselben mit Galmei und Zink zu
Messing eine innere Veränderung. Die Veränderungen _ der
Körper (Phänomene, Naturerscheinungen, Naturbegebenheiten)
erfolgen nach bestimmten, unwandelbaren Gesehen, und es ist
Gegenstand der Naturlehre, nicht bloß die Veränderungen zu
259
entdecken, sondern auch die Gesetze zu erforschen, nach denen sie
erfolgen. Erscheinungen heißen diejenigen Wahrnehmungen,
deren wir uns bewußt sind. Wir sehen j. B. den Blitz, hören
den Donner, fühlen den Wind; Blitz, Donner, Wind, sind Na-
turerscheinungen. Eine Erscheinung, die wir schon wahrgenommen
haben, heißt eine Erfahrung. Die Veränderungen der Körper
lernen wir durch Erfahrungen kennen; zu den Naturgesetzen aber
gelangen wir, indem wir mittelst des Verstandes aus einer Menge
von Erfahrungen allgemeine Regeln ableiten Die Wahrnehmung
heißt Beobachtung, wenn wir die Naturkörper so betrachten,
wie sie sich von selbst unsern Sinnen darstellen, ohne daß wir
ihren Zustand geändert haben. Ein Versuch aber heißt diejenige
Erfahrung, bei der wir den Zustand der Körper vorsätzlich ändern,
um zu sehen, wie sie sich in diesem geänderten Zustande verhalten.
So ist die Wahrnehmung, daß die Körper drücken, oder schwer
sind, eine Beobachtung, die Wahrnehmung aber, daß sie, unter
Wasser versenkt, weniger drücken, ein Versuch. Man kann
Forschungs-, Bestätigungs- und Spielversuche unterscheiden. Zur
Anstellung der Versuche werden gewöhnlich Werkzeuge, physi-
kalische Instrumente, erfordert, deren Inbegriff man den
physikalischen Apparat nennt (Luftpumpe, Elektristrmaschine,
galvanische Säule rc). Derjenige Theil der Physik, welcher bloß
die Versuche oder Experimente zum Gegenstände hat, heißt die
Experimental-Physik. Naturerscheinungen erklären heißt,
sie auf Naturgesetze zurückführen, einsehen, daß sie nach den be-
kannten Naturgesetzen erfolgen. Das Steigen des Quecksilbers
im Barometer erklärt sich z. B. durch das Naturgesetz: die
Wärme dehnt die Körper aus. — Erscheinungen, welche mit
den bekannten Naturgesetzen übereinstimmen, heißen natürliche
Erscheinungen; sind sie gegen diese Gesetze, so heißen sie wider-
natürlich, und wenn sie sich aus den Naturgesetzen auf keine
Weise begreifen lassen, übernatürlich. Ungewöhnliche Abwei-
chungen von dem natürlichen Verhalten der Dinge nennt man
unnatürlich, z. B. wenn ein Mensch so viel verzehrt als 6 andere,
wenn er mit Vergnügen Kieselsteine verschlingt rc. Daß ein Stein,
den man in die Höhe wirft, wieder zur Erde herabfällt, ist eine
natürliche Erscheinung, weil sie sich aus dem Gesetze der Schwere
erklären läßt. Bliebe er aber fortwährend im Steigen, so wäre
dies eine widernatürliche Erscheinung. Die sogenannten Wunder
sind übernatürliche Erscheinungen. — Eine Hypothese ist eine
wahrscheinliche Erklärung einer Naturbegebenheit, wogegen die
kathegorische Erklärung auf lauter Vernunft- und Erfahrungs-
sätzen beruht (Glückliche Hypothesen sind z B. das kopernikanische
System — Kdrfr. I. S. 216 — und Newton's Attractionslehre).
Natnrlehre oder Physik ist derjenige Theil der Natur-
kunde, welcher die Eigenschaftey der Naturkörper auf-
finden lehrt und zu den allgemeinen Gesetzen hinführt,
17*
260
nach welchen, und zu den Ursachen, durch welche alle
Veränderungen in der Körperwelt erfolgen.
An merk. Die vorstehende Einleitung wird am besten erst bei einer
Wiederholung des ganzen Kursus dinchgenommen.
I. Die allgemeinen Eigenschaften der Körper.
§. i.
Die Ausdehnung.
(Kdrfr.I. Anh.3. A. I. 1.)
Die Ausdehnung ist diejenige Eigenschaft eines
Körpers, daß er einen Raum einnimmt oder Ausdeh-
nung in die Länge, Breite und Dicke hat. Die Vorstel-
lung von dem bloßen Raume des Körpers, also die Materie
ganz hinweggenommen, giebt den mathematischen Körper.*)
Die Summe der Materie eines Körpers heißt Masse- Diese
kann nicht bis ins Unendliche fortgehen. Wo die Masse aufhört,
da ist auch die Grenze des Körpers. Durch die Begrenzung
wird seine Gestalt und durch den Raum, welchen er einnimmt,
seine Größe bestimmt. Durch die Gestalt unterscheiden sich
selbst solche Körper, die sonst der Größe, der innern Beschaffen-
heit und dem Gewichte nach gleich sind, z. B. ein Metallwürfel
von einer gleich schweren Metallkugel.
Die Gestalt der Körper ist unendlich mannichfaltig, und
man glaubt, daß es in der ganzen Natur nicht zwei Körper von
völlig gleicher Gestalt gebe. Freilich können wir nicht immer
mit bloßen Augen die Unterschiede wahrnehmen. Die Kleinheit
der Körper macht oft, daß weder unser Auge, noch unser Gefühl
eine Gestalt an ihnen wahrnimmt; allein sie müssen dennoch eine
Gestalt haben, weil sie einen Raum einnehmen. Leuwenhök
that Pfeffer in Wasser und entdeckte darin nach einiger Zeit
durch ein Vergrößerungsglas Thierchen, die tausendmillionenmal
kleiner waren als ein Sandkorn, und jedes Theilchen eines sol-
chen Thierchens hat seine Gestalt zu seiner Bestimmung. So
hat auch jedes Sonnen- und Blumenstäubchen seine eigene Ge-
stalt.
Nicht minder verschieden als die Gestalt ist die Größe der
Körper. Welcher Unterschied ist zwischen einem Aufgußtierchen
und einem Wallsische! Wie klein erscheint wieder der Wallsisch,
wenn wir ihn mit dem Erdbälle vergleichen! Was ist aber die
Erde gegen die mehr als eine Million mal so große Sonne!
Selbst der kühnste Gedanke vermag nicht, ihre Größe zu fassen.
Vergl. Pechners Raumlehre Theil I. §. 1.
S61
Alle Planeten zusammengenommen machen noch nicht den 600sten
Theil ihrer Masse aus. Wäre sie hohl, so fände nicht nur die
Erde in ihr Raum, sondern es könnte noch überdies der Mond,
obgleich er 50,000 Meilen von uns entfernt ist, seinen Lauf um
dieselbebewerkstelligen, ohne irgendwo anzustoßen. Auch die Werke
der Menschen sind bedeutend verschieden in Hinsicht ihrer Größe.
Nicht bloß jene Riesentempel in ihrer Schönheit und Herrlich-
keit, auch Dinge ganz entgegengesetzter Art zeugen von dem den-
kenden Geiste und den kunstreichen Händen der Menschen. In
dem grünen Gewölbe zu Dresden befindet sich ein Kirschkern,
auf welchem 100 menschliche Gesichter eingeschnitten sind. In
einem andern Kirschkerne befinden sich zwei Dutzend Löffel und
eben so viele Messer und Gabeln, also 72 Körper. Verbringet,
ein Augsburger, machte aus einem Pfefferkorne eine Dose, in
der 12,000 andere Döschen, auch von ihm aus Elfenbein gefer-
tigt, Platz fanden, ungeachtet jedes derselben noch mit einem Füßchen
und mit einem goldenen Rande versehen war. Ein Künstler in Paris
verfertigte aus Gold eine Kutsche mit beweglichen Rädern, einen
Kutscherauf dem Bocke und zwei Personen in dem innern Raume,
und dies Alles so überaus klein, daß ein Floh, an einer goldenen
Kette davorgespannt, mit der Kutsche davoneilte.
§ 2.
Die Porosität.
(Äbrfr. I. Anh. V. g. 1. 2.)
An mehreren Körpern, z. B. Kork, Schwamm, Bimsstein,
Brot, Semmel rc. kann man mit bloßem Auge erkennen, daß
sie Zwischenräume (Poren) haben, welche von Kork, Schwamm rc.
leer sind; an andern lassen sich dieselben durch Vergrößerungs-
gläser zeigen oder durch Versuche darthun. Wirft man z. B.
ein Stück Zucker in den Kaffee, so sieht man Luftblasen aus
demselben in die Höhe steigen, weil in den Poren des Zuckers
erst Luft vorhanden war, die nun, weil sie leichter ist als das
Wasser, in die Höhe steigt und dem eindringenden Wasser Platz
macht. Feuchtes Holz nimmt einen kleineren Raum ein, wenn
es trocken wird, wie man dies an den Fenstern und Thüren
sehen kann, welche im Winter verquollen waren. Das Wasser
nämlich, das sich in seinen Poren befindet, verdunstet und ge-
stattet so den Holzfasern, näher an einander zu treten, wodurch
das ganze Holz zusammenschrumpft. Schneidet man aus weichem
Holze einen Stab, an jedem Ende mit einem Knoten, wie ihn
der Trommelstock an einem Ende hat, und bohrt in ein Brett
ein Loch von der Weite, daß die Knoten nicht hindurch gehen,
preßt aber dann den einen Knoten, etwa in einem Schraubstocke,
so dünn, daß er durch das Loch geht, und bringt ihn hieraus in
26S
Wasser; so quillt er bald zu der anfänglichen Größe wieder auf,
und man kann den Stab nicht wieder herausziehen, ohne den
einen Knoten wieder dünn gepreßt zu haben. Seht man auf
eine Platte metallene Buchstaben, wie die Buchdruckerlettern,
schlägt dann auf diese, daß sie einen scharfen Eindruck machen
müssen, hobelt hierauf das Holz über den Eindrücken bis auf
den Grund der Eindrücke ab und legt endlich die Holzplatte ins
Wasser, so guillen die bloß niedergedrückten Holztheile wieder
zur ursprünglichen Höhr auf und stellen sich folglich als Erha-
benheiten dar. Quecksilber dringt in die Poren des Goldes und
färbt es weiß. (Man darf nur, um dem Golde seine natürliche
Farbe wieder zu geben, dasselbe mittelst einer Zange über glühende
Kohlen halten.) Aus Holz im Wasser und eben so aus bloßem
Wasser unter der Glocke der Luftpumpe und beim Kochen steigen
Luftblasen auf. Durch die Poren der Haut dringt der schweiß.
Wasser, Quecksilber rc. können mittelst der Luftpumpe durch
Holz und Leder getrieben werden. Schreibt man mit einer Auf-
lösung von Bleizucker und Wasser auf ein Blatt Papier, läßt
es trocknen und legt es dann in irgend ein Buch, bestreicht
hierauf irgend ein anderes Blatt mit einer Mischung von Wasser
und Schwefelkalk und legt dieses Blatt 100 bis 200 von jenem
entfernt in dasselbe Buch, macht dann das Buch zu und läßt
es eine Zeit lang ruhig liegen; so findet man auf dem ersten
Blatte statt der farblosen Schrift eine braune, indem der Schwe-
felkalk durch die Poren des Papiers bis zu dem Bleizucker hin-
durchgedrungen ist. In die Poren des festesten Steines dringt die
Wärme und durch die feinen Poren desGlases dringt zwar keine Luft,
wohl aber daS Licht. Jeder Körper hat also Poren, und Poro-
sität ist die Eigenschaft der Körper, daß sie Poren oder
Zwischenräume haben, welche von demjenigen Stoffe
leer sind, aus dem der Körper eigentlich besteht.
Salz, in Wasser aufgelöst, vergrößert das Volumen des
letzteren nicht; denn das Salz dringt in die Poren des Wassers
ein. Wasser und Oel, Wasser und Weingeist, ebenso Wasser
und Schwefelsäure, mit einander vermischt, nehmen weniger
Raum ein, als ihre Räume vor der Mischung betrugen. —
Ohne die Porosität der Körper würden wir — angenommen,
daß es möglich wäre, doch zu leben — Vieles entbehren. Wir
würden z. B. in ewiger Finsterniß tappen müssen, wenn die
Lichtstrahlen der Sonne und anderer leuchtender Körper nicht
durch die Poren der Luft dringen könnten. Kein Metall würde
schmelzen, kein Feuer wärmen, kein Gewürz die Speisen würzen.
Ohne diese Eigenschaft könnten wir nicht bauen, nicht kochen,
nicht waschen, nicht backen und so viele andere nützliche Geschäfte
des Lebens verrichten.
Wäre das Volumen eines Körpers ganz mit der ihm eigen-
thümlichen Materie angefüllt, so wäre dies ein durchaus (absolut)
263
dichter Körper; dergleichen giebt es aber in der Natur nicht.
Der bis jetzt uns bekannte dichteste Körper ist die Platina.
Man unterscheidet dichtere und minder dichtere oder lockere
Körper. Derjenige Körper ist dichter, der in Vergleichung mit
einem andern weniger Zwischenräume enthält, also eine größere
Menge Stoff im gleichen, scheinbaren Raume hat. Man sagt
alsdann, der Körper habe mehr Masse. Die Dichtigkeit eines
Körpers ist gleichförmig, wenn gleich große Theile des schein-
baren Raumes mit gleich viel Stoff angefüllt sind; im Gegen-
theil ist sie ungleichförmig.
Das Gewicht eines Körpers wird nur dann verändert, wenn
man Stoff hinzuthut oder hinwegnimmt. Im ersten Falle wird
das Gewicht vermehrt, im andern vermindert Hieraus folgt,
daß sich das Gewicht der Körper nach ihrer Masse richtet, daß
sich die Massen zweier Körper wie ihre Gewichte verhalten, und
baß man Gewicht für Masse setzen könne. Dabei muß aber
auch das Volumen in Betracht gezogen werden. Gesetzt A wöge
6 Pfd., und B, der eben so groß ist, 2 Pfd., so verhalten sich
ihre Dichtigkeiten, wie 6:2 — 3 :1, d. h. die Dichtigkeit des
Körpers A voäte dreimal so groß, als die Dichtigkeit des Kör-
pers B. Daraus folgt die allgemeine Regel: Bei gleichem
Volumen erhalten sich die Dichtigkeiten zweierKörper
wie ihre Gewichte.
Hätte A etwa 4 Kubikz. und B 12 Kubikz. Volumen, beide
wögen aber gleich schwer, so verhielten sich ihre Dichtigkeiten wie
12:4 — 3:1. Das Volumen des Körpers B ist dreimal so
groß, als das Volumen des Körpers A. Da nun A eben so
viel wiegt als B, oder mit andern Worten, da der Körper A in
einem dreimal so kleinen Raume eben so viel Masse enthält, als
der Körper B; so muß auch die Dichtigkeit des Körpers A drei-
mal so groß sein, als die Dichtigkeit des Körpers B. Also:
Bei gleichen Gewichten verhalten sich die Dichtigkeiten
zweier Körper umgekehrt wie ihre Räume.
Wenn nun Volumen und Gewichte zweier Körper ungleich
sind, so ist das Verhältniß ihrer Dichtigkeiten aus dem geraden
Verhältnisse der Gewichte und dem umgekehrten der Volumen
zusammengesetzt, und: Es verhalten sich die Dichtigkeiten
zweierKörper von ungleichen Gewichten undungleichen
Räumen wie die Produkte aus den Gewichten und umge-
kehrten Räumen, oder wie die Gewichte, durch ihre Räume
dividirt.
Gesetzt, A hätte 4 Kubikz. Volumen und wöge 2 Pfd., 8
9 Kubikz. Volumen und 3 Pfd. Masse, so verhielte sich die Dich-
tigkeit des Körpers A zur Dichtigkeit des Körpers B wie 2X9 zu
3X4 — £: 4 = 72: 7j = 3 : 2. Man sieht hieraus, das die
Quotienten 1/2 und Vs das Gewicht eines Kubikzolles von der
ganzen Masse der Körper anzeigen; denn wenn 4Kubkz. 2 Pfd.
264
wiegen, so wiegt ein Kubikzoll V- Pfd-, vorausgesetzt, daß die
Dichtigkeit des Körpers gleichförmig ist. Dadurch also, daß man
die Gewichte durch die Raume dividirt, bestimmt man das Ge-
wicht jedes Kubikzolles und setzt also die Raume gleich, wo
sich dann die Dichtigkeiten wie die Gewichte verhalten.
Allgemein sei das Volumen des Körpers A = V (volumen),
sein Gewicht — P (pondus) und seine Dichtigkeit — I) (densi-
tas). Das Volumen des Körpers B sei =v, sein Gewicht — p
und seine Dichtigkeit — d. Man nehme einen dritten Körper
C an, dessen Volumen dem Kolumen des Körpers A gleich, also
V, sein Gewicht aber dem des Körpers B gleich, also — p sei,
und bezeichne seine Dichtigkeit mit y. Nun verhält sich
D : y = P : p, weil ihr V gleich ist;
y : d — v : V, weil ihr P gleich ist: folglich
Dy: yd — Pv :pV; denn das Produkt aller ersten Glieder rc.
D: d = Pv : pV (das erste Verhältniß ist mit y gehoben),
d. i. die Dichtigkeiten verhalten sich wie die Produkte aus den
Gewichten und umgekehrten Räumen. Hebt man das zweite
Verhältniß mit vV, so erhält man: D:d — ^ ^ oder
P p
D : d =— : d. i. die Dichtigkeiten verhalten sich wie die
Gewichte, durch ihre Räume dividirt.
. 8- 3.
Die Zusammendrückbarkeit und die Ausdehnsamkeit.
Drückt oder preßt man einen Körper, so entweichen die
fremden Materien (Wasser, Luft, Licht, Elektrizität rc), mit denen
die Zwischenräume des Körpers ausgefüllt sind. Dadurch wird
es den Theilen des Körpers möglich, näher zusammenzutreten.
Der Körper erhält alsdann ein kleineres Volumen, ohne daß er
von seiner Masse verloren hat. Dies geschieht häusig bei Tuch,
Pappe, Papier, Leder rc. — Die Zusammendrückbarkeit
(Compressibilität) ist die Eigenschaft eines Körpers, einen
kleineren Raum einzunehmen, ohne daß der Körper
dabei von seiner Masse etwas verliert. Einige Körper
lassen sich leicht zusammendrücken, z. B. Kork, Schwamm, Sem-
mel rc., andere schwer, und manche gar nicht merklich, z. B.
Steine, Wasser rc. Jene heißen weiche, diese harte Körper.
Wird die Verminderung des scheinbaren Volumens eines
Körpers ohne Verlust seines eigenthümlichen Stoffes nicht durch
äußere Gewalt (Pressen, Klopfen rc.), sondern durch andere Ur-
sachen hervorgebracht, so heißt dies (bei Gasen und Dämpfen)
eine Verdichtung (Condensation) oder (bei festen Körpern)
Zusammenziehung (Contraction). Eine solch« Ursache ist z. B.
S65
die Entziehung eines Theiles des Wärmestoffes, wie im Ther-
mometer, die Verwandlung der Dämpfe bei der Destillation in
tropfbare Flüssigkeiten, das Trocknen und Brennen der Ziegel,
Töpfergeschirre, Kalksteine rc.
Eine starke, völlig dichte Blase dehnt sich bis zum Zerplatzen
aus, wenn sie beinahe leer und, an ihrer Oeffnung fest zuge-
bunden, über glühende Kohlen gehalten wird;-die Luft ist also
ausdehnsam. Die Ausdehnsamkeit ist die Eigenschaft
eines Körpers, ohne Zunahme an Stofs einen größe-
ren Raum einzunehmen. Die Ausdehnsamkeit oder Aus-
breitung (Expansion) ist der Preßbarkeit oder der Zusammenziehung
und Verdichtung entgegengesetzt. Ein Körper dehnt sich aus,
wenn seine Masse genöthigt wird, ein scheinbar größeres Volumen
einzunehmen. Da alsdann die Dichtigkeit eines Körpers ver-
mindert wird, so nennt man unter gewissen Umständen die
Ausbreitung auch Verdünnung.
§. 4.
Die Undurchdringlichkeit.
(Kd,fr. I. Anh.V. H. l. 3.)
Hier auf dem Tische liegt ein Buch. Soll auf diese Stelle
ein anderes Buch kommen, so muß zuvor das erste weggeschafft
werden; beide zugleich können nicht in einem und demselben
Raume sich befinden. Wo ich jetzt stehe, kann nicht zugleich
ein anderer stehen. Dieses Glas ist ganz voll Wasser. Ich lasse
einen Kieselstein hineinfallen, und sogleich fließt ein Theil des
Wassers heraus; denn in dem Raume, welchen jetzt der Stein
einnimmt, war vorher Wasser, und dieses wurde von dem hinein-
geworfenen Steine aus dem Glase verdrängt. Daraus folgt:
In dem Raume, wo schon ein Körper ist, kann nicht zugleich
auch ein anderer sein. Diese Eigenschaft der Körper, ihren Stoff
von keinem andern durchdrinzen zu lassen, wird die Undurch-
dringlichkeit genannt. Die Undurchdringlichkeit ist diejenige
Eigenschaft der Körper, vermöge welcher kein Körper
in demjenigen Raume sein kann, welcher schon von
einem andern Körper eingenommen wird, oder daß er
erst vorher jenen daraus vertreiben muß, wenn er
diesen einnehmen will.
Die Undurchdringlichkeit fester Körper giebt ein Jeder leicht
zu; aber bei manchen Körpern, besonders bei den flüssigen und
luftförmigen, bei denen sie sich nicht auf eine so merkliche Art
äußert, weil die Theilchen derselben auch dem unmerklichsten
Drucke nachgeben, wird sie leicht bezweifelt. Der durch die
Luft geworfene Stein scheint die Luft, der ins Wasser getauchte
Finger das Wasser zu durchdringen, während doch Wasser und
266
Luft nur aus ihrer Stelle verdrängt werden. Daß sich auch
selbst die Luft wohl zusammendrücken, aber nicht ducchdringen
läßt, zeigen folgende Versuche. Eine starke Handspritze, die luft-
dicht ist, erlaubt, wenn sie an der Mündung zugehalten wird,
auch der größten Kraft nicht, den Stempel bis nach der Spitze
zu bewegen, sondern, je nachdem die drückende Kraft größer oder
kleiner ist, dringt auch der Stempel mehr oder minder tief ein;
er schnellt aber, sobald der Druck nachläßt, von selbst wieder zu-
rück. — Bei der Knallbüchse kann der eine Pfropfen nicht mit
dem Stöpsel bis an den andern Pfropfen gestoßen werden, ohne
daß dieser herausfliegt. — Wird ein Trichter in den Hals einer
leeren Flasche gesteckt, dann mit Wachs fest umklebt und schnell
mit Wasser angefüllt, so fließt davon anfangs nur wenig, dann
nichts mehr in die Flasche, weil die Luft dem Waffer den Ein-
gang verwehrt, und wo Luft ist, nicht zugleich Wasser sein kann.
Hätte man den Trichter lose in die Flasche gesteckt, so wäre das
Wasser hineingelaufen, denn da konnte die Lust dem eindringen-
den Wasser ausweichen und neben der Außenseite der Trichter-
röhre heraufsteigen. — Wenn man ein Weinglas mit der Mün-
dung nach unten in ein Biecglas mit Wasser drückt, so wird
allerdings etwas Wasser in das Weinglas eindringen, weil sich
die Luft zusammendrücken läßt; es wird aber doch der bei weitem
größere Theil des Weinglases vom Wasser leer bleiben. Legt
man aber das Weinglas seitwärts um, so sieht und hört man
deutlich das Herausfahren der Luft, und dann füllt es sich auch
mit Wasser. — Klebt man ein kleines, brennendes Wachslichtchen
auf eine Korkscheibe, legt diese auf das Wasser in einem Zucker-
oder Einmachglase, stürzt dann ein langes Quartglas umgekehrt
über das Licht und drückt damit die Scheibe sammt dem Lichte
im Wasser hinunter bis an den Boden des Zuckerglases; so
bleibt das Licht brennen, brennt aber nach und nach dunkler
und geht zuletzt aus, worauf dann auch etwas Wasser in dem
Bierglase in die Höhe steigt. Das Licht erlischt nur deshalb,
weil es den zum Brennen erforderlichen Bestandtheil der Luft
(das Sauerstoffgas) verzehrt und nur den untauglichen (das
Stickstoffgas) zurückgelassen hat.
Auf diesen Versuch gründet sich die Erfindung der Taucher-
glocke, mit der sich Menschen bis auf den Grund des Meeres
hinunterlassen können. Auf einem Schiffe, oder auch zwischen
zwei Schiffen, befindet sich ein starkes Gerüst mit Rollen
(Flaschenzug), über welche ein starkes Tau mit einer großen, me-
tallenen Glocke hängt. Unter der Mündung der Glocke ist ein
Sitzbrett so angebracht, daß der auf demselben sitzende Mensch
seinen Kopf in der Glocke hat. Die Glocke wird an jenem Taue
ins Wasser gelassen. Der Mensch kann dann in der Luft der
Glocke noch eben so wohl athmen, als das Licht bei dem obigen
Versuche in der Luft des Bierglases zu brennen vermochte.
267
Durch das Athmen des Menschen wird aber die gesunde Luft
der Glocke eben so verzehrt, als durch das Brennen des Lichtes
im Bierglase. Deswegen könnte der Mensch in der zurückblei-
benden, ungesunden Luft eben so ersticken, als dort das Licht
ausging, wenn er sich nicht augenblicklich mit der Glocke empor-
ziehen ließe, sobald ihm das Athmen schwer wird. Die Menschen,
welche sich mit der Taucherglocke in das Meer hinablassen, sind
gewöhnlich Taucher, d. h. solche L-ute, die eine Zeit lang
ohne zu athmen leben können. Sind sie am Boden des Meeres
angekommen, so steigen sie, um etwa Kostbarkeiten oder Perlen-
muscheln auf dem Grunde des Meeres zu suchen, von ihrem
Sitzbrette herunter und bleiben, so lange sie es aushalten können,
im Wasser; wenn sie aber wieder eine Portion Luft athmen
wollen, so schlüpfen sie in die Glocke zurück. Weil aber dieser
Vorsicht ungeachtet, schon einmal ein Mensch unter der Taucher-
glocke erstickt ist, so Hot man in neuester Zeit die Einrichtung
getroffen, der unten im Meere befindlichen Glocke in eigenen
langen Schläuchen, die der Taucher vom Schiffe aus hinter sich
her mit ins Meer zog, durch Hülfe von Blasebälgen oder Druck-
pumpen frische Luft zuzuführen.
Daß es zuweilen scheint, als durchdränge ein Körper den
andern, hat seinen Grund auch in der Porosität der Körper.
Salz dringt z. B. in die Poren des Wassers, Wasser in die
Zwischenräume des Löschpapiers, des Schwammes, Holzes !c.
§• 5.
Zlie Theilbarkeit.
(Kdrft. k. Anh. V. s. 1. 4.)
Ein Stück Holz kann man spalten oder brechen, ein Blatt
Papier zerreißen, den Stein mit einem Hammer zerschlagen;
die Metalle werden, wenn sie glühend oder geschmolzen sind,
leicht getheilt. Jeder solche Körper läßt sich zerstoßen, zerreiben,
zerquetschen oder zersprengen. Auch Wasser, das zusammen ein
Ganzes ausmacht, läßt sich trennen, aus einem Gefäße in
mehrere gießen, in kleine Tropfen verwandeln. Wir sagen daher
mit Recht: Jeder Körper ist theilbar. Theilbarkeit bezeich-
net die Eigenschaft eines Körpers, vermöge welcher
er sich in kleine, dem Ganzen ähnliche Stücke trennen
läßt.
Die Theilbarkeit übersteigt alle unsere Einbildung. Ihre
Grenzen, wenn sie anders dergleichen hat, sind so weit hinaus-
gesteckt, daß die Körper in unzählige, kaum bemerkbare Theile
zerlegt werden können. Man zerschlage z. B. einen Stein in
mehrere Stücke, diese abermals und sofort ins Unendliche. Ver-
möchten wir mit unsern groben Instrumenten, die Theilung auch
268
nur bis auf einen gewissen Grad zu treiben, so könnten wir
uns bei den kleinsten Stückchen immer noch eine fernere Theilung
wenigstens möglich denken. Manche Körper trennen sich von
selbst in so winzige Theilchen, daß wir darüber erstaunen müssen.
Der Duft, den eine Blume, ein wohlriechendes Wasser oder
Del, ein Körnchen Weihrauch, das man über glühenden Kohlen
verrauchen läßt, Räucherpulver, Räucherkerzchen, Kampfer, Mo-
schus k. verbreiten, rührt einzig von der großen Theilbarkeit der
riechenden Theile her, die wegen ihrer Leichtigkeit aus diesen
Körpern in die Höhe steigen und in unserer Rase mit den Ge-
ruchsnerven in Berührung kommen. Es giebt stark riechende
Blumen, die eine Luftmasse von 20' im Durchmesser, also 8000 Ku-
bikfuß Luft, mit wohlriechenden Theilen erfüllen, die jeden Au-
genblick erneuert werden. Der Geruch des auf den Küsten der
Provence wachsenden Rosmarins verbreitet sich 20 bis 30 Meilen
weit über die See. Ein Gran Moschus kakn ein Zimmer
20 Jahre lang mit merklichem Gerüche erfüllen, wenn auch die
Luft in demselben alle Tage erneuert wird. Eine Masse Assa-
fölida verlor ihres unausstehlichen Geruches ungeachtet in 6 Ta-
gen an der freien Luft nur /8 <3tan von ihrem Gewichte, wo-
raus man berechnet hat, daß die Größe eines jeden Theilchens
geringer als 38 Trilliontel eines Kubikfußes gewesen sei. Diese
Ausflüsse dringen daher oft durch die feinsten Zwischenräume
und werden von andern Körpern eingesogen. Auf diese Art
haben oft die verderblichen Ausflüsse kranker Personen, welche
in andere Gegenstände eindrangen, auf eine bisweilen unbegreif-
liche ?srt Krankheiten, z. B. die fürchterliche Pest, Cholera rc.,
verbreitet. Wenn man 1 Gran Karmin mit lOPfd. Wasser
übergießt, so wird dasselbe roth gefärbt. Rechnet man auf
1 Psd. 7680 Tropfen, und das Gewicht eines Wassertropfens
auch zu einem Gran, so betragen loPfd. 70800 Gran. Nimmt
man nun im Durchmesser des Tropfens nur 10 erkennbare
Theile an, und dies ist sehr wenig, so enthält der ganze Tropfen
1000 solcher Theile. Der Carmin wird also wenigstens in
7680000 sichtbare Theile zerlegt. — Vermittelst einer Unze
Koschenille können wir mindestens 10 Unzen Seide hinreichend
roth färben. Erwägen wir nun, daß 10 Unzen Seidenfäden gegen
150000' lang sind, daß ein einzelner Faden aus ungefähr 50 Ko-
konfäden zusammengesetzt ist, und daß in jedem Fuße wenigstens
2000 deutlich von einander zu unterscheidende Theilchen sichtbar
werden; so erhalten wir von jener Unze Koschenille >50000 X50
X 2000 — 15,000,000,000 Theilchen, deren jedes, unter ein
gutes Vergrößerungsglas gebracht, noch immer roth gefärbt er-
scheint. Ein Stückchen Waschblau von der Größe eines Wei-
zenkornes färbt eine Kanne Wasser blau; mit einem Tropfen
von diesem Wasser kann man ein Stück Papier färben, dasselbe
in viele tausend Stückchen zerschneiden und auf jedem noch eine
269
bedeutende Anzahl Farbentheilchen finden. Aehnlich ist dieTheil-
barkeit bei Dinte, Indigo und andern Farben. Stahl und Dia-
mant, bekanntlich die härtesten aller Körper, haben, meisterhaft
polirt, solche Oberflächen, an denen wir weder mittelst des Ge-
sichtes, noch durch unser Getast die geringste Unebenheit bemerken.
Und doch ist diese Politur durch kleine Körnlein hervorgebracht,
-von denen jedes einen seiner Größe entsprechenden Ritz in den
Stahl oder Diamanten machte. Hier entzieht sich die Teil-
barkeit all unsern Sinnen. Ein einziger Tropfen Flüssigkeit aus
dem Darm eines Frosches genommen, zeigt unter dem Mikro-
skop unzählige Thierlein (Infusorien), die mit Werkzeugen der
Ernährung und Bewegung versehen sind (vergl. tz I.). Das
Blut ferner ist nicht, wie cs den Anschein hat, eine gleichförmige
Flüssigkeit; es besteht vielmehr aus einer Menge kleiner Körper-
chen (bet den Menschen und Säugethieren kugelig, bei den Vögeln
und Fischen länglich), die in einer Flüssigkeit (Serum) umher-
schwimmen. Ungeachtet nun die Blutkügelchen des Menschen
einen Durchmesser von kaum dem 300sten Theile einer Linie
haben, so können sie doch noch, wie die Chemie uns zeigt, in
Theile zerlegt werden. Zur Verfertigung der Goldtressen wird
eine Stange Silber von 45 Mark mit einer Unze Gold über-
zogen. Aus dieser Stange zieht man den feinsten Faden, der
dennoch allenthalben mit Gold überzogen ist. Dieser Drath
wird zwischen zwei polirten Stahlwalzen abgeplattet und dadurch
um 7? verlängert. Die Länge eines solchen Fadens schätzt man
auf 1,320,000 par. Fuß — 110 franz. Meilen (66 deutsche) —
190,080,000'". Nimmt man auf jeder Linie nur 12 erkennbare
Theile an, so entstehen 2,280,960,000 sichtbare Theile. Nun
hat der platte Faden zwei Seiten, und jede ist mit Gold bedeckt.
Ferner ist die innere Seite, die das Silber berührt, von der
äußern Seite verschieden und muß daher auch in Betracht ge-
zogen werden. Multiplizirt man daher die angegebene Zahl der
sichtbaren Theile der einen äußern Seite mit 4, so ergiebt sich,
daß eine Unze Gold wenigstens in 9,123,840,000 Theile, die noch
mit dem bloßen Auge sichtbar sind, getheilt werden könne. —
Das Brustbild Luthers und seiner Gattin, nach Lukas Kranach,
von der Größe eines mäßigen Oktavblattes, bestand aus den
vier Evangelien. Die Buchstaben waren so fein, daß man ihre
herauf- und heruntergehenden Züge für feine, in einanderlaufende
Pinselstriche in einem Tuschgemälde halten konnte. — Fcauen-
hofer hat auf Glas und Metall so überaus feine und so unglaub-
lich nahe aneinanderliegende parallele Linien eingeschnitten, daß
die Theilung eines Zolles in 10,000 ganz genau und in 32,000 Theile
fast genau war. Ein Pfund Baumwolle kann zu einem Faden
von 40 deutschen Meilen gesponnen werden. — Der Faden, an
dem sich eine Spinne herabläßt, soll aus 6770 (oder gar aus
60,000) andern dünnen Fäden bestehen. — Durch ein Mikroskop
270
sieht man, daß der Schimmel am Brote ein Wald von Ge-
wachsen und mit Thieren bevölkert ist. — Wie fein müssen die
Lichtstrahlen sein, welche durch die engen Zwischenränme des
Glases dringen! — Die kleinsten denkbaren Theile heiße Atome.
Wird der Zusammenhang der Theile eines Körpers durch eine
äußere Gewalt aufgehoben, so heißt die Theilung eine mechanische
Theilung oder Zertrennung. Dergleichen sind z. B. bas
Zerreiben, Zerstoßen, Abtröpfeln, Abgießen rc. Die Theile, welche
man durch solche Theilung erhalt, heißen Aggregat- oder Er-
gänzungstheile. Ist ein Körper durchaus gleichartig, so sind
die Theile, welche man durch die mechanische Theilung erhält,
von dem Körper nicht wesentlich, sondern nur der Größe nach
verschieden: sie heißen dann gleichartige (homogene) Theile.
Die ungleichartigen (heterogenen Theile) sind in Ansehung
ihrer sinnlichen Eigenschaften sowohl unter sich, als von dem
Ganzen verschieden. Gleichartige Theile können nicht durch die
mechanische Theilung in ungleichartige Theile getrennt werden; wir
müssen uns hierzu der Hülfe der Chemie bedienen, und deswegen
heißt diese Theilung die chemische Theilung oder Scheidung.
Die meisten Körper, welche die Natur uns darbietet, sind aus
mehreren Stoffen, die sich durch die Kunst zerlegen oder scheiden
lassen, zusammengesetzt. DieseKörper heißen gemischte Körper
oder Gemische, und die Theile, aus welchen sie zusammenge-
setzt sind, jBestandtheile oder Grundstoffe. So sind z. V.
Schwefel und Quecksilber die Grundstoffe des Zinnobers, Kiesel-
erde und Laugensalz die Bestandtheile des Glases, Natron und
Salzsäure die Bestandtheile des Kochsalzes rc. Es giebt Körper,
welche die Kunst noch nicht in ungleichartige Theile hat zerlegen
können. Man nennt sie einfache Körper oder Elemente,
Grundstoffe, Urstoffe, besser aber wohl unzerlegte, weil
Körper, die wir für einfach halten, dennoch aus ungleichartigen
Stoffen zusammengesetzt sein können. Dergleichen kennen wir
bereits 55, als die Erden, Metalle, Sauerstoff, Wasserstoff, Stick-
stoff, Chlor, Schwefel, Kohlenstoff, Phosphor rc. (im Xll. Ab-
schnitte mehr hierüber).
§ 6.
Der Zusammenhang.
(Kdrst. I. Anh V. 8. I. 5.)
Wenn wir einen Stab zerbrechen, einen Faden oder ein
Blatt Papier zerreißen wollen, so müssen wir Gewalt anwenden;
denn die Theile dieser Dinge hängen mehr oder weniger stark an
einander. Eben so ist es auch bei den Theilen flüssiger Körper.
Läßt man behutsam einen Rechenpfennig nach dem andern von
der Messerspitze in ein bis zum Rande mit Wasser gefülltes Glas
gleiten, so entsteht auf dem Glase ein kleiner Wasserberg, ehe
271
das Wasser überläuft. Eine Nähnadel behutsam auf das Wasser
gelegt, schwimmt auf demselben. Man nennt dieses Festhalten
der Theile eines Körpers den Zusammenhang oder die Cohä-
sion, und die Kraft, welche den Zusammenhang bewirkt, die
Cohärenz. Zusammenhang bezeichnet die Eigenschaft
des Zusammenhaltens der Theile eines Körpers, so
lange er noch wirklich ein ungetrenntes Ganze bildet,
oder die Eigenschaft der Körper, vermöge deren sie
jedem Trennungsversuche ihrer Theile einen Wider-
stand entgegensetzen. Jener Widerstand thut sich uns sowohl
beim Zerreißen, als auch beim Zerbrechen kund, ist also ein zwie-
facher; der erstere, den nämlich irgend ein Körper kraft seiner
Cohäston beim Zerreißen leistet, bestimmt die absolute, der
andere, den er beim Zerbrechen offenbart, die relative Festigkeit.
Bei jener wirkt die trennende Kraft auf den ganzen Körper, bei
dieser nur auf eine einzelne Stelle. Die Kraft, welche nöthig
ist, ihn zu zerdrücken, wird die rückwirkende Festigkeit des-
selben genannt.
Die Theile eines Eisendrathes von Vio" im Durchmesser
hängen mit einer solchen Kraft zusammen, daß 450 Pfd. Gewicht
angehängt werden muß. um ihn zu zerreißen. Ein Drath von
Kupfer von derselben Stärke erfordert 2991/* Pfd., von Gold
nur 30 Pfd., Zinndrath 49y2 Pfd., Bleidrath 29 y2 Pfd. Die
Cohästonskraft ist also bei verschiedenen Körpern verschieden.
Die Stärke der Cohäston oder die Festigkeit starrer Körper
hat man auf dreierlei Art geprüft. Man hat nämlich gleiche,
säulenförmige Körper aus verschiedenen Stoffen verfertigt und
untersucht,
a. welche Kraft (in Gewichten ausgedrückt) sie in der Richtung
ihrer Länge zerreißen,
d. sie, an beiden Enden unterstützt, senkrecht auf die Richtung
ihrer Länge zerbrechen und endlich
c. welche Kraft, wenn sie dieselben nach der Längenrichtung
zusammenzudrücken strebt, sie zerdrücken kann.
Diese Kräfte sind das Maß der absoluten, relativen und
zurückwirkenden Festigkeit der Körper.
Muschenbroek, ein sehr berühmter, in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts zu Leiden lebender Naturforscher, befestigte
2"' breite Metall- und 3'" breite Holzstäbchen an einem Ende
so, daß sie eine senkrechte Richtung erhielten, und beschwerte
hierauf das andere allmälig mit immer mehr Gewichten, bis sie
zuletzt zerrissen. Hierzu waren erforderlich, ehe die Zerreißung
erfolgte, bei
engl. Blei 25 Pfd. jap. Kupfer 573 Pfd.
Spießglanz 30 „ fein. Gold 578 „
goslar. Zink 76 bis 83 „ schweb. Kupfer 1059 „
Wismuth 85 bis 93 „ fein. Silber 1156 „
deutsch. Eisen 1930 „
272
Fichtenholz 550 Psd.
Tannenholz 600 „
Lindenholz 1000 „
Eichenholz 1150 „
Buchenholz 1250 „
Auch außerordentlich feine Körper besitzen nicht selten eine
wahrhaft überraschende Tragkraft. Ein einfacher, seidener Faden,
wie ihn die Seidenraupe spinnt, kann gegen 80, und ein
Menschenhaar sogar 1500 bis 2000 Gran (1 Pfd. — 5760 Gran
tragen.
Sämmtliche Versuche lehren, daß die Festigkeit der Körper
auf keinem allgemeinen Gesetze beruht, und daß sie am aller-
wenigsten mit der Dichtigkeit in einem bestimmten Verhältnisse
steht. So ist z. B. Gold viel dichter als Eisen, jedoch bei weitem
nicht so fest wie dieses Metall. Bei manchen Körpern ist die
Festigkeit nach verschiedenen Richtungen auch verschieden stark.
So spaltet sich z. B. Holz, Fischbein, Federspule am leichtesten
nach der Längsrichtung.
Es giebt mancherlei Mittel, die Cohäsion zu verstärken,
z. B. bei den Metallen das Schmieden und Hämmern; bei
Papier, Leder, Zeug das Pressen; bei Tuchen das Pressen und
Walken. Durch alle diese Mittel werden die Poren kleiner, die
Theile rücken näher an einander, ziehen sich stärker an, und die
Festigkeit muß zunehmen. Daher sind auch ungebleichte Fäden
fester als gebleichte, geflochtene Fäden haben mehr Festigkeit, als
wenn sie parallel neben einander liegen. Zu starkes Drehen
schadet aber der Festigkeit der Stricke, und man theert die Stricke,
um sie vor Wasser und Luft zu schützen, auf Kosten ihrer Festig-
keit. Gewisse Zusätze vermehren die Festigkeit der Metalle; auch
sind zwei Metalle, mit einander vereinigt, gewöhnlich stärker, als
jedes allein war. So hält ein Gemisch von Zinn und Blei
besser als Blei oder Zinn für sich. Messing ist fester als Kupfer
und Zink.
Um die relative Festigkeit der Körper zu bestimmen, dürfen
wir uns nur ähnliche Stäbchen verschaffen, wie sie einst Mufchen-
broek gebrauchte, sie an beiden Enden unterstützen und in der
Mitte so lange, bis sie brechen, mit immer mehr Gewichten be-
lasten. Dabei wird sich uns das Gesetz offenbaren: Die Tra-
gekraft befindet sich, wenn nämlich die Körper aus
einerlei Stoffe bestehen, im geraden Verhältnisse der
Breite und des Quadrates der Höhe, aber im umge-
kehrten der Länge. Die Kenntniß der Festigkeit der Metalle
und Hölzer ist besonders für Bauhandwerker, Stellmacher rc.
von der größten Wichtigkeit.
Auf der Wirkung der Cohäsion beruht die Möglichkeit der
Körper; ohne sie würde die Materie sich im Raume zerstreuen.
Sie macht nämlich, daß die Dinge fest zusammenhalten. Ohne
273
sie würden wir keine Häuser bauen, nicht zusammenleimen, kitten,
lochen rc. können. Ferner beruhen hierauf auch die Aggregat-
formen der Körper (Festigkeit, Tropfbarkeit, Ausdehnsamkeit) und
insbesondere die verschiedenen Abstufungen fester und flüssiger
Körper, welche wir weich, hart, spröde, elastisch, zähe, biegsam,
strenge und leichtflüssig rc. nennen.
Härte und Weichheit, Fähigkeit und Sprödigkeit.
tKdrfr. I. Anh. V. 8.1. 3.)
Drückt man auf die Oberfläche eines Steines auch noch so
sehr, so nimmt er doch keine Eindrücke an, und seine Theile
lassen sich auch nicht dichter an einander schieben. Aehnliches
erfahre ich unter denselben Umständen an Eisen, Silber, Gold rc.
Deswegen nennen wir solche Körper hart. Indessen besitzt kein
Körper eine solche Härte, die ihn unzerstörbar machte; selbst der
Diamant wird durch sein eigenes Pulver geschliffen,*) brennt
beim Glühen mit heller Flamme und löst sich in unmerklich kleine
Theile, in einen blauen Rauch auf. Härte heißt die Eigen-
schaft derKörper, vermöge deren sich ihre Gestalt, d. i.
die Lage ihrer Theile gegen einander, durch Druck und
Stoß nur sehr schwer ändern läßt.
Teig, feuchter Thon, Kuchen, Wachs, Talg, Butter, frischer
Käse rc nehmen leicht Eindrücke an und lassen ihre Gestalt leicht
in eine andere verwandeln, z B. die würfelförmige in die kugel-
förmige. Die Lage ihrer Theile gegen einander kann ohne große
Kraftanstrengung geändert werden, und sie heißen daher weiche
Körper. Weichheit ist also die Eigenschaft, vermöge
welcher ein Körper leicht Eindrücke annimmt, ohne
sich nach aufgehobener Kraft wieder in seine vorige
Form auszudehnen.
*) Die Uhrenfabrikanten im Canton Neuenburg bringen jetzt zur
Bearbeitung ihrer Edelsteine, wozu sie bisher nur das theure Diaman-
tenpulver gebrauchen konnten, einen neuen Stein in Anwendung, der
ihnen große Vortheile sowohl in Bezug auf die Bearbeitungsweise als
auch in Hinsicht der Kosten verspricht. Dieser Stein ist von schwärzlicher,
undurchsichtiger Farbe, von kristallischem, porösem Bruche und hat im
Aeußeren viele Aehnlichkeit mit kleinen Stückchen von Anthracit; dabei
ist er so hart, daß er mit Leichtigkeit sogar den Diamanten schneidet.
Wie es scheint, bildet er den Uebergang vom Anthracit zum Diamanten.
Die Engländer, sagt die „Karlsruher Ztg." hatten ihn wahrscheinlich in
der chinesischen Tartarei entdeckt, verheimlichen aber seinen eigentlichen
Fundort, um die Concunenz der Ausfuhr zu verhüten. — Vosstsche Ztg.
vom 22. Juli 1847.
Pechner, Handb 3. Theil.
18
274
Weichheit und Härte lassen sich nur beziehungsweise auf
einen Körper anwenden; denn selbst ein harter Körper kann unter
Umständen und in Vergleichung mit einem andern weich sein.
So ist z. B. das Silber hart gegen das Blei, weich gegen das
Eisen; so kann man mit der weichen Butter in dem harten,
spröden Pech Eindrücke machen, wenn die erstere hart und kalt,
und das letztere warm ist. Auf die flüssigen Körper läßt sich
indessen der Begriff „weich" nicht anwenden; denn obgleich man
die Lage ihrer Theile leicht ändern kann, so behalten sie doch
nicht die ihnen gegebene Gestalt. Die Mittel, harte Körper
in weiche zu verwandeln, sind theils der Wärmestoff, theils Feuch-
tigkeit. Beide schwächen den Zusammenhang.
Will man eine Glasröhre, eine Stange Siegellack, festen
Leim, rohes Pech, gebrannten Thon rc. nach verschiedenen Seiten
biegen, so zerspringen diese Körper eher in Stücke, als daß sich
ihre Theile in eine andere Lage bringen ließen; daher sind solche
Körper spröde. Die Sprödigkeit, Brüchigkeit oder Zer-
brechlichkeit besteht darin, daß die Theile der Körper
sich nicht durch mechanische Kräfte von einander
schieben lassen, ohne daß die Körper zerbrechen.
Diese Eigenschaft ist indessen ebenfalls relativ. Ein Körper
kann unter Umständen spröde, ec kann auch dehnbar sein. Das
Glas z. B. läßt sich zu den feinsten Fäden spinnen, und dennoch
ist es, wenn es mehr oder minder schnell erkaltet, ein mehr oder
weniger, oft sehr spröder Körper. Eine ganz besondere Sprödig-
keit besitzen die Bologneser Fläschchen oder Springkolben
und die sogenannten Glastropfen. Jene sind kleine birnför-
mige, ziemlich dicke Kolben von weißem Glase, die von außen
einen sehr beträchtlichen Schlag aushalten, aber durch ein Stückchen
Feuerstein von der Größe eines Hirseköcnchens, in die Oeffnung
hineingeworfen, in mehrere Stücke zerspringen. Sie werden wie
anderes Glas geblasen, allein nicht im Kühlofen, sondern in der
freien Luft abgekühlt. Dadurch erkalten die äußern Glastheilchen
eher als die innern und bekommen eine ungleiche Spannung;
der scharfe hineingeworfene Körper macht in ihnen einen Riß,
der sich sogleich durch die gespannten Theile fortsetzt. Die Glas-
tropfen entstehen aus flüssigem Glase, von dem man einen
Tropfen in kaltes Wasser fallen ließ. Sie nehmen dadurch die
Gestalt eines ovalen Körpers an, der sich in einen dünnen, ge-
bogenen Schweif endigt, und besitzen die merkwürdige Eigenschaft,
daß sich der kugelige Theil mit dem Hammer schlagen und ab-
schleifen läßt, ohne zu zerbrechen, da hingegen, wenn man ein
kleines Stückchen des dünnen Schweifes abbricht, der ganze
Tropfen sogleich in feinen Glasstaub zerspringt. Die Ursache
dieser Erscheinung liegt einzig in dem plötzlichen Abkühlen der-
selben im Wasser. Beide Körper verlieren die ihnen eigenthüm-
S75
ljche Sprödigkeit, wenn man sie auf glühende Kohlen legt und
so nach und nach erkalten läßt.
Metallsaiten, Fischbein, Weidenruthen, Blech rc. lassen sich,
an beiden Enden erfaßt, bald nach dieser, bald nach jener Seite
wenden, ohne daß sie zerbrechen. Ein Körper, dessen Theilen
man, ohne daß sie dadurch ihren Zusammenhang verlieren, alle
Lagen gegen einander geben kann, heißt zähe. Zähigkeit,
sDehnbarkeit, Streckbarkeit oder Geschmeidigkeit) ist die Eigen-
schaft, vermöge welcher die Theile der Körper durch
mechanisch auf sie wirkende Kräfte nach allen Rich-
tungen verschoben, in alle beliebige Lagen versetzt
werden können, ohne daß ihr Zusammenhang leidet.
Ein Loth Gold läßt sich ;■ B. in einen Faden von 140 Mei-
len ziehen. Ein Gran desselben kann in 36*/, Quadratzoll aus-
gedehnt werden. Die Erscheinungen dieser Dehnbarkeit lassen
sich überhaupt auch nur in vorzüglichem Grade bei den Metallen
anschaulich machen. Sonst nimmt man das Wort „Zähigkeit"
häufig in einer andern Bedeutung und bezeichnet damit z. B.
nassen Thon, weiches Pech, weiches Wachs rc. Auch unterscheidet
man bei dieser Eigenschaft des Zusammenhanges zwei verschiedene
Zustände desselben, nennt den einen geschmeidig, wenn der
Körper beträchtlich verlängert werden kann, den andern steif, wenn
dies nicht der Fall ist. Die Zähigkeit ist übrigens ein relativer,
mittlerer Zustand der Körper zwischen Festigkeit und Flüssigkeit,
und sehr vermuthlich eine Wirkung des Wärmestoffes, die zwar
groß genug, aber nicht hinreichend ist, sie in Flüssigkeit zu ver-
wandeln. Ist sie der Flüssigkeit entgegengesetzt, so heißt sie Te-
nacität, und man unterscheidet sie sorgfältig von der Kleb-
rigkeit oder derjenigen Zähigkeit, die mit Anhängen an andere
Körper verbunden ist, z. B. bei Harz, Pech, Kleister, Leim rc.
8. 8.
Die Elasticität.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 1. 5.)
Drückt man einen Gummiball zusammen, so nimmt er
seine Kugelgestalt wieder an, sobald die drückende Kraft zu wirken
aufhört. Wird eine Darmsaite auf der Violine länger gezogen,
so zieht sie sich von selbst wieder zusammen, wenn sie frei wird.
Biegt oder dreht man Fischbein oder Rohr, so nehmen sie von
selbst ihre vorige Richtung wieder an, wenn man losläßt. Wegen
dieser Eigenschaft nennt man die Körper elastisch. Elasticität
(Federkraft, Springkraft oder Schnellkraft) bezeichnet die Ei-
genschaft der Körper, mittelst welcher sie, wenn ihre
Gestalt oderLage in irgend einerArt geändert worden
ist, von selbst, sobald die Kraft zu wirken aufhört, die
18*
276
ursprüngliche Gestalt oder Lage wieder annehmen,
oder kürzer: das Bestreben, die Gestalt zu behalten
und nicht zu verändern. Elastisch sind also alle Körper,
welche:
1. wenn sie zusammengedrückt worden sind, sich von selbst
ausdehnen (expansive Elasticität). Eine aufgeblasene Blase nimmt
Eindrücke an, die von selbst vergehen. — Ein senkrecht ins Wasser
gedrücktes Glas springt losgelassen von selbst in die Höhe. —
Ein in einem verschlossenen Cylinder herunter bewegter, genau
anschließender Kolben geht losgelassen auch von selbst wieder auf-
wärts. — Läßt man eine elfenbeinerne Kugel auf eine Marmor-
platte fallen, so wird sie in dem Augenblicke, wo sie die Mar-
morplatte berührt, zusammengedrückt, erhält aber, sobald die
Wirkung des Falles aufhört, ihre vorige Gestalt wieder. Man
sieht dies deutlich, wenn man die Marmorplatte vorher mit Oel
oder Fett überstreicht. Der Eindruck, den die Kugel erhalten hat,
zeigt sich dann als eine Kreisfläche, die nicht entstehen konnte,
wenn die Kugel in dem Augenblicke des Auffallens nicht zusam-
mengedrückt worden wäre, indem eine völlig runde Kugel die
Platte nur in einem Punkte berühren kann.
2. Wenn sie ausgedehnt worden sind, sich von selbst zusam-
menziehen (attractive Elasticität), wie bei Gummi elastikum, Uhr-
federn, Bogensehnen, Stricken rc.
3. Wenn sie zusammengebogen worden sind, sich von selbst
wieder zurückbiegen, oder wenn sie gedreht worden sind, sich von
selbst wieder zurückdrehen, wie Fischbein, Rohr, Stahl, Haare,
Seide rc.
Fast alle Körper sind elastisch, einige mehr, andere weniger.
Einige, z. B. feuchte Thonerde, haben eine sehr unmerkliche
Elasticität; sie heißen unvollkommen elastische Körper.
Manche Körper zeigen dieselbe nach einer gewissen Behandlung
merklicher noch als vorher. So besitzt die erwärmte Luft eine
weit größere Expansivkraft, d. h. sie drückt weit stärker gegen
das, was sie umschließt. So ist das Glas nur dann erst elastisch,
wenn man es in dünne Fäden gesponnen hat, und wird eben
dieser Eigenschaft wegen zu Federn für den Kopfputz der Damen
gebraucht. Das weiche Eisen, das Kupfer und andere Metalle
erhalten dadurch, daß sie kalt gehämmert werden, eine merkliche
Federkraft, weil sie durch das Hämmern zugleich dichter werden,
und sie verlieren dieselbe wieder, wenn man sie ausglüht. Eben
so erhalten manche Metalle, z. B. die Glockenspeise, durch Mi-
schung, andere, z. B. Stahl, durch Ablöschung eine größere
Elasticität.
Auf der andern Seite ist es eben so gewiß, daß es keinen
vollkommen elastischen Körper giebt. Ein solcher müßte eine
Kraft besitzen, die genau derjenigen gleich wäre, welche ihn zu-
sammendrückt, und solche Körper kennt man nicht; vielmehr kann
277
ein Körper den größten Theil seiner Elasticität verlieren. Ein
Bogen z. B., der zu'lange gespannt wird, erschlafft merklich und
bleibt gekrümmt. Haare, Wolle und Federn, die zum Ausstopfen
der Polster gebraucht werden, verlieren ihre Federkraft immer
merklicher. Nur die expanflblen Flüssigkeiten, die Gasarten und
der Wärmestoff scheinen hierin eine Ausnahme zu machen.
Uebrigens richtet sich auch die Elasticität nicht nach der Dichtig-
keit der Körper. Gold ist z. B. dichter als Stahl, aber der ge-
härtete Stahl ist in einem hohen Grade elastischer als' das Gold.
Wärme, Kälte und Feuchtigkeit verändern die Elasticität der
Körper, besonders der flüssigen.
Die Elasticität fester Körper prüfte man, indem man sie
1. nach ihrer Länge ausdehnte oder spannte;
2. indem sie, an beiden Enden unterstützt, oder nur an
einem Ende fest eingeklemmt, im ersten Falle durch eine Last in
der Mitte, im zweiten durch eine Last an dem freien Ende her-
untergebogen wurden;
3. durch den Widerstand, welchen sie ausübten, wenn man
sie um ihre Achse zu drehen suchte.
Die größte Elasticität findet man an gehärtetem Stahle,
geschlagenem Messing, Elfenbein, Knochen.
Nur die festen Körper haben die doppelte Eigenschaft, so-
wohl sich auszudehnen, wenn sie zusammengedrückt, als auch sich
zusammenzuziehen, wenn sie ausgedehnt worden sind. Die flüs-
sigen Körper, insbesondere Waffer, kehren zwar, wenn sie zu-
sammengedrückt worden, nach Wegräumung der zusammendrücken-
den Kraft in den ursprünglichen Raum zurück; aber ob sie dieses
auch thun, wenn sie ausgedehnt worden, wiffen wir bis jetzt
noch nicht, weil uns außer der Wärme kein anderes Mittel be-
kannt ist, tropfbare Körper auszudehnen. Bei den luftförmi-
gen Körpern können wir auch nur eine solche einseitige Elasti-
cität annehmen. Sie lasten sich in einen engeren Raum bringen
und dehnen sich von selbst wieder aus; aber sie können dem
ihnen eigenthümlichen Bestreben, einen immer größeren Raum
einzunehmen, zuwider nie einen kleineren von selbst einnehmen.
Der Nutzen der Elasticität der Körper ist sehr groß. Sie
dient uns in der Mechanik zur Hervorbringung der Bewegung,
als bewegende Kraft bei solchen Maschinen, bei denen die Kraft
nicht sehr groß zu sein braucht (z. B. in Taschenuhren, bei Flügeln
zur Verschiebung der Claviatur ?c ) Das in Stahl verwandelte
Eisen gewährt uns große Vortheile. Die Elasticität veranlaßt
in einem Augenblicke die fürchterliche Explosion des Feuergewehrs;
sie macht die Bewegung des Wagens sanft und verstattet den
bequemsten Gebrauch desselben. Der gespannte Bogen, ein
elastischer Stab, treibt, indem er in seine frühere Lage und Ge-
stalt zurückkehrt, den Pfeil mit großer Geschwindigkeit fort. Ein
ausgespanntes Seil hebt den Mann, der auf ihm der gaffenden
278
Menge seine wunderlichen Künste vormacht, zu wiederholten
Malen hoch empor rc Bekannt ist der Gebrauch der Betten,
Polster, der elastischen Wage rc.
§- 9.
Die Anhängung.
Schwimmende Körperchen, z. B. Korkstücke, ziehen einander
an; der Staub hängt sich an die Wände und Decke der Stube;
Bleistift, Kreide, Rothstift rc. hängen sich beim Zeichnen und
Schreiben an die Tafel oder das Papier; der ins Wasser ge-
tauchte Körper wird naß; ferner gehört hierher das Vergolden,
Verzinnen, Kitten, Löthen, Leimen, Lakiren, Anstreichen, Malen,
Schreiben mit Dinte, Mauern mit Mörtel, Verfertigen der
Glasspiegel rc. Anhängung oder Adhäsion bezeichnet die
wechselseitige Anziehung getrennter, gleichartiger und
ungleichartiger Körper von denselben, wie auch von
verschiedenen Aggregatformen. Die Adhäsion ist eine
Flächenanziehung und daher adbäriren die Körper desto stärker,
in je mehr Punkten sie sich berühren. Der Tischler hobelt daher
das Holz, welches er leimen will, zuvor glatt und preßt nachher
die Stücke zusammen. Beim Kitten gleicht man die Uneben-
heiten durch den Kitt aus, und es giebt Kittarten, die eine so
innige Verbindung gewisser Körper bewirken, daß diese eher in
der Mitte ihrer eigenen Masse zerreißen. Kupferbleche von der
Dicke einer halben Linie, zu Röhren geformt, erhalten, wenn sie
mit einer doppelt so dicken Lage starken und wohlgeleimten Pa-
piers überzogen werden, eine Festigkeit, die sich zu ihrer ursprüng-
lichen wie 2 zu l verhält. Ein Cylinder, der aus mehreren
zusammengeleimten Papierlagen besteht, und dessen Querschnitt
etwa I Quadratzoll hat, ist (kaum sollte man es glauben) im Stande,
30,000 Pfd. und darüber zu tragen; ja ein Cylinder aus guten
Hanffäden, auf dieselbe Weise bereitet, zerreißt gewöhnlich erst
bei 00,000 Pfd. Zwei starke, wohlgeschliffene, trockene Spiegel-
glas- oder Marmorplatten heben nicht allein ihr eigenes Gewicht,
sondern sie sind auch im Stande, wenn sie etwas an einander
gedrückt oder geschoben werden, eine nicht unbeträchtliche Last zu
tragen. Man kittet zu dem Ende durch feinen Siegellack kleine
Messingplatten, die mit Ringen versehen sind, an die abgerundeten
Glas- oder Marmorplatten, oder läßt sie in Messing einfassen,
so daß die Flächen des Glases oder Marmors frei sind (Adhäsions-
platten). Erwärmt man diese Platten, bestreicht sie dann mit
Talg oder Fett, drückt sie hierauf, so sehr man kann, zusammen
und läßt' sie in diesem Zustande erkalten; so muß man eine be-
trächtliche Kraft anwenden, um die Platten von einander zu
reißen. Sind die Ringe durch guten Kitt an den Platten be-
festigt, so bricht dieser doch meistens eher los als die Platten.
279
Die in Messing eingefaßten Cohäsionsplatten haben daher be-
trächtliche Vorzüge vor den andern, weil dies bei ihnen seltener
geschieht. Durch die Bestreichung mit Talg werden nämlich
die Poren des Glases oder Marmors ausgefüllt; die an einander
gedrückten Platten berühren sich folglich in mehr Punkten und
die Cohäsion muß also stärker sein, als sie ohne diese Ausfüllung
sein konnte.
Vorzüglich merkwürdig ist die Adhäsion zwischen den festen
und flüssigen Körpern. Es kann dabei nämlich die Eohäsion der
Flüssigkeitstheile unter einander größer sein, als die Adhäsion
zwischen den festen Körpern und der Flüssigkeit, oder es findet
das Umgekehrte statt Je nachdem dieses oder jenes der Fall
ist, hängt sich die Flüssigkeit an den Körper an und macht ihn
naß oder nicht. Töpfer versehen daher ihre Gefäße mit einem
nach außen gebogenen Rande oder mit einer Schnippe. Zwei
Wassertropfen verwandeln sich bei Berührung in einen. Kleine
Mengen einer Flüssigkeit, auf feste Körper gethan, zerfließen im
ersten und bilden Tropfen im andern Falle. Wasser, Weingeist,
Oele K. benetzen Metalle, Glas, Holz, Stricke, den menschlichen
Körper rc ; Wasser aber benetzt nicht befettete, mit Wachs über-
zogene, mit Bärlappsamen oder Hexenmehl bestreute oder be-
staubte Körper, so wie Quecksilber alle Metalle, Eisen ausge-
nommen, benetzt, aber nicht Glas, Holz, Leinwand, Papier, Horn,
Porzellan rc. Die Oelsirnisse sind daher wasserabhaltend; sie
machen wollne Zeuge und Filzhüte wasserdicht, so wie auch das
Wachs, die Seide. Wasserfarben können auf keine nassen festen
Körper aufgetragen werden.
tängt man eine Cohäsionsplatte durch einen Faden an das
nde eines Wagebalkens, von dem man eine Wagschale ab-
genommen hat, und bringt das andere Ende mit der daran be-
findlichen Schale durch Gewichte mit der Cohäsionsplatte ins
Gleichgewicht, setzt dann ein Gefäß mit Wasser unter die Platte
und läßt dieselbe und das Wasser einander so nähern, daß nur
noch ein kleiner Raum zwischen ihnen ist, so wird die Glas- oder
Marmorplatte sich an das Wasser hängen, schwerer werden, und
man wird müssen in die Wagschale mehr oder minder kleine Ge-
wichte thun, um das nun aufgehobene Gleichgewicht wiederher-
zustellen. Eben diese Gewichte, welche zur Losreißung der Platte
von der Wasserfläche nöthig sind, geben die Stärke der Cohärenz
an. Auf diese Weise prüfte Morveau die Adhäsion fester Körper
an flüssige. Die Metalle folgten hinsichtlich ihrer Adhäsion dem
Quecksilber, das stärker adhärirende immer vorangeschickt, so auf
einander: Gold, Silber, Zinn, Blei, Wismuth, Zink, Kupfer,
Spießglanz, Eisen, Kobalt.
Alle Flüssigkeiten, welche fremde Körper benetzen, ziehen sich
auch an diesen, wenn man sie zum Theil hineintaucht, in die
Höhe, so daß eine solche Flüssigkeit unmittelbar um den hinein-
280
getauchten Körper eine merkliche Erhöhung bildet; alle Flüssigkeiten
dagegen, welche feste Körper nicht benetzen, ziehen sich an ihnen
herab und bilden so Vertiefungen um einen zum Theil in si-
getauchten Körper. Jene Flüssigkeiten haben in Gefäßen eine
vertiefte (konkave), diese eine erhabene (konvexe) Oberflache. Sind
die Gefäße sehr weit, so zeigt sich diese Konkavität oder Kon-
vexität nur an den Rändern derselben durch eine schwache Er-
höhung oder Erniedrigung der Flüssigkeit. An einem ins Wasser
gesteckten Glasstäbchen zieht sich das Wasser herauf; steckt man
es dagegen in Quecksilber, so zieht sich dieses herab. Wasser in
gläsernen Gefäßen hat eine konkave, Quecksilber aber eine kon-
vexe Oberfläche, wie Quecksilber in zinnernen Gefäßen eine kon-
kave. Diese Erscheinungen werden lediglich durch Adhäsion und
Cohäsion hervorgerufen. Ist die Adhäsion zwischen der Materie
des Körpers oder des Gefäßes und der Flüssigkeit stärker als
die Eohäsion der Flüssigkeitstheile, so findet dort eine Erhöhung
der Flüssigkeit statt, bewirkt durch die über derselben sich befin-
dende und sie anziehende Materie, und hier, da es eine Erhöhung
von allen Seiten geben muß, eine konkave Oberfläche. Im um-
gekehrten Falle ist auch die Erscheinung umgekehrt.
§. 10.
Die Haarröhrchen-Anziehung.
Auf die Kraft der Adhäsion gründen sich auch die Haarröhr-
chen-Erscheinungen. Haarröhrchen sind sehr enge an beiden
Enden offene Röhrchen, die wegen ihrer Aehnlichkeit mit den
Haaren, welche ebenfalls, wie das Mikroskop zeigt, hohle Röhren
sind, ihren Namen erhalten haben. Indessen ist dies nicht ganz
so strenge zu nehmen, als wenn die Glasröhren nun auch wirk-
lich nicht stärker als Haare sein müßten; vielmehr erhallen sie
schon dann diesen Namen, wenn der Durchmesser ihrer Höhlung
nur nicht über 1/11" rhein. beträgt. Sie. brauchen übrigens
weder von Glas noch rund zu sein, wenn sie nur an beiden
Enden offen sind, damit die in denselben eingeschlossene Luft
nicht das Steigen der Flüssigkeit hindert. Wenn man ein solches
Haarröhrchen in ein Gefäß mit einem durch Dinte, Safran rc.
färbenden Stoff gemischtes Wasser taucht, so steigt die Flüssig-
keit im Augenblicke des Eintauchens innerhalb der Röhre be-
trächtlich höher als der äußere Wasserspiegel in dem Gefäße.
Jedes Glastheilchen nämlich zieht in einer sehr kleinen Entfernung
das Wasser stärker an, als ein gleiches Wastertheilchen es an-
zieht. Wenn man daher ein Haarröhrchen in eine Flüssigkeit
steckt, so muß diese von dem untern Rande des gläsernen Röhr-
chens mit dem Ueberschusse jener Kraft in die Höhe gezogen
werden. Die Wassertheilchen heben sich rund herum inwendig
an der Röhre in die Höhe; es hängen sich wegen des Zusammen-
281
Hanges des Wassers andere Theilchen an die gehobenen, und da
die Röhre sehr enge ist, so füllt sie sich in ihrer ganzen Weite
an. Die kleine Wassersäule wird von den nächsten Glasringen
über ihrer Oberfläche immer höher gezogen; endlich bleibt sie
stehen und wird in diesem Zustande von den nächsten Glastheil-
chen über ihrer Oberfläche, die einen Ring bilden, erhalten.
Alle unteren Glastheilchen haben unter sich Wasser, welches sie
heraufziehen, und zugleich über sich Wasser, welches sie herunter-
ziehen; sie tragen also zum Halten der Wassersäule nichts bei.
Weil die Röhre enge ist, so fließen diese rings herum aufgestie-
genen Wassererhebungen oder Ringe in einander und bilden eine
ganze Masse, welche nun, von dem Glase stärker angezogen, als
von dem übrigen Wasser, zurückgehalten wird, bis endlich die
Schwere der Wassersäule der in dem Haarröhrchen aufgestiegenen
Flüssigkeit im Gleichgewicht steht mit der Adhäsion, die zwischen
dem Glase und der Flüssigkeit obwaltet. Dadurch wird dem
Aufsteigen eine Grenze gesetzt. Dieses Steigen richtet sich nach
der Weite des Röhrchens, nach der Beschaffenheit der Flüssigkeit
und des Glases und ist um so höher, je enger die Röhre ist;
denn desto geringer ist das Gewicht der Wassersäule, und desto
größer die Anzahl der Berührungspunkte. Ist also ein Haar-
röhrchen doppelt so weit als ein anderes, so sind auch die Glas-
ringe in jenem doppelt so groß als in diesem. Da aber jener
Ueberschuß sich durch die Oberflächen der in den Röhrchen hän-
genden Wassersäulen gleichförmig vertheilt, und die Oberfläche
des weiteren Röhrchens viermal größer ist als die des engeren,
so erhält auch jedes Theilchen der größeren Oberfläche nur den
vierten Theil der doppelten, also nur die Hälfte der einfachen
Kraft Daher kann in dem weiteren Röhrchen das Wasser auch
nur halb so hoch steigen als in dem engen.
Die Flüssigkeit kann bei sehr kurzen Röhren bis zur Mün-
dung oder der obern Oeffnung emporsteigen, aber sie kann nie
aus ihr überfließen oder herauslaufen, weil, wenn das Wasser
die obere Oeffnung erreicht hat, es nicht gehoben werden kann,
indem keine Glaswände mehr da sind, die es anziehen, und die
Oberfläche desselben, wie wir schon gesehen haben, von dem
unter ihm befindlichen Glase zurückgezogen wird. Nicht alle
Flüssigkeiten steigen in diesen Haarröhrchen gleich hoch, sondern
sie erheben sich bald mehr, bald weniger; sie nehmen verschiedene
Höhen ein, und es findet die anschauliche Regel hier nicht statt,
daß die schwereren Flüssigkeiten weniger steigen als die leichteren.
So steigt z. B. der leichtere Alkohol weniger als das schwerere
Salzwasser. Nach Muschenbroek folgen die Flüssigkeiten, die am
höchsten steigenden vorangestellt, so auf einander: Kohlensäure,
Salmiakgeist (472"), ätzender Salmiakgeist, destillirtes Wasser,
Vitriolgeist, Terpentinöl, Salpetergeist, Salzgeist, Alkohol, Vitri-
vlöl (13/io") Es kommt also hierbei nicht auf die Dichtigkeit
S8S
«bet (specifische) Schwere bet Flüssigkeit an. Je größer der
Tropfen ist, ber am Glase hängen bleibt, wenn man es in eine
Flüssigkeit getaucht hat, je stärker also tiefe vom Glase ange-
zogen wirb unb in sich selbst zusammenhängt, um besto stärker
steigt sie in einem gläsernen Haarröhrchen. Ist aber bas gläserne
Röhrchen inwenbig fettig ober ölig, so erhebt sich bas Wasser
in demselben nicht, weil bas Oel unb Fett es schwächer anzieht,
als es zusammenhängt, unb zugleich verhinbert, baß es bem
Glase nahe genug kommen kann. Die Flüssigkeit behält ihre
Höhe bei, unb ist biese selbst von der Natur, baß sie sich nicht
an bie Wänbe bes Haarröhrchens anhängt, so steht es in ihr
sogar stets niedriger als außen, unb bies um so mehr, je enger
das Haarröhrchen ist. So steigt z. B. bas Quecksilber in einem
Haarröhrchen nicht aufwärts, benn hier ist an bem untern
Rande bes Röhrchens der Ueberschuß ber Cohäsion auf Seiten
des Quecksilbers, welches stärker in seinen Theilen zusammen-
hängt, als es von den Glastheilen angezogen werben kann.
Eben bieses Verhältniß finbet auch bei dem geschmolzenen Bleie
statt. Haarröhrchen-Anziehung (Eapillar-Attraction) heißt
die Art der Anziehung, welche sich uns in dem Hin-
aufsteigen tropfbarer Flüssigkeiten an den Wänden
enger Röhren kunbgiebt, Haarröhrchen-Abstoßung (Ca-
pillar-Depression), wenn die Flüssigkeit inwendig niedri-
ger als auswendig steht.
Aus allen Versuchen mit den Haarröhrchen scheint das Ge-
setz sich zu ergeben, baß die Erhebungen in den Haarröhrchen von
einerlei Glase, aber von verschiedenem Durchmesser, in einerlei
Flüssigkeit gestellt, sich umgekehrt verhalten wie die verschiedenen
Durchmesser der Höhlungen.
Das Aufsteigen der Säfte in Pflanzen unb überhaupt in
jedem Naturkörper, der ein RöhrenZewebe bildet, wie bas Auf-
steigen des Saftes in den Haaren der Menschen, beruht auf
diesen Erscheinungen der Haarröhrchen-Anziehung. Nur kommt
noch eine zweite Kraft hinzu, nämlich die Lebenskraft, die Kraft
der Vegetation, welche diesen Saft bis in die Gipfel der höchsten
Bäume erhebt unb die Säfte brr Thiere in Bewegung setzt;
denn im abgestorbenen Baume kann sich die Flüssigkeit nur auf
eine sehr geringe Höhe erheben. — Das Aufschwillen der Stricke,
der Darmsaiten, des Holzes rc., wenn sie feucht werben; bas
Einbringen jeder Flüssigkeit in Schwamm, Zucker, Löschpapier;
das Naßwerben des Sandes, der Asche, der Erbe, des Mauer-
werkes durch unter ihnen befindliches Wasser; bas Hinaufsteigen
des Talges, Wachses, Oeles in Licht- unb Lampenbochten; bas
Hinüberbringen einer Flüssigkeit aus einem Glase in ein anderes
mittelst eines aus rohem Flachs geflochtenen Zopfes rc.: alle
diese Erscheinungen sind uns aus dem über die Haarröhrchen
Gesagten begreiflich, wenn man annimmt, daß die Poren mancherlei
283
rnge Kanäle bilden. Bei den Dochten entstehen diese Kanäle
durch die neben einander sehr nahe und parallel liegenden Fädchen.
Quillendes Holz übt, wenn seinem Aufquillen Hindernisse
in den Weg gesetzt werden, so große Gewalt aus, daß es metallene
Bänder, Mühlsteine, ja Felsen sprengen kann. Wie macht man
durch Trockniß locker sspach) gewordene Fässer wieder brauchbar?
— Wie kann Holz mittelst Feuer und Wasser gekrümmt werden?
§. n.
Die chemische Anziehung.
Harz oder Kampfer lösen sich in Weingeist auf; gießt man
aber Wasser in das Gemisch, so verbindet sich der Weingeist mit
dem Wasser, und das Harz oder der Kampfer fällt zu Boden,
scheidet sich aus oder wird frei. — Schabt man Kreide in ein
Glas und gießt Essig darauf, so machen beide ein Gemisch aus,
das sich in diesem Zustande erhält, und nicht, wie dies bei einer
mechanischen Mischung der Fall sein würde, wieder von einander
absondert. Kommt aber ein Laugensalz (Kali oder Pottasche)
hinzu, so läßt der Essig die Kreide auf den Boden fallen und
verbindet sich wählend mit dem Kali. Die Essigsäure hat eine
Verwandschaft mit der Kreide, aber eine nähere Verwandtschaft
(stärkere Anziehung) mit dem Kali als mit der Kreide. — Löst
man blauen Vitriol im Wasser auf und legt ein polirtes Stück
Eisen, z. B. einen Schlüssel, in die Auflösung, so wird nach
einigen Minuten dasselbe mit Kupfer überzogen sein. — Um den
sogenannten Bleibaum zu verfertigen, löst man l Lth. Blcizucker
in einem Bierglase voll Wasser auf, oder läßt Bleispäne in Essig
sich auflösen und steckt sodann eine kleine Stange Zink in das
Glas, die, wenn sie nicht lang genug ist, oben in einen Pfropfen
eingelassen werden kann, und nach kurzer Zeit, höchstens nach
einigen Stunden, hat sich das Blei in metallisch-glänzender Ge-
stalt an die Zinkstange angesetzt, wächst nach unten zu, setzt Zweige
an, vergrößert sich, und das Ganze sieht einem Bäumchen von
glänzenden Zweigen ähnlich.
Aus diesen Versuchen zeigt sich: die verschiedenen, ungleich-
artigen Theile der Körper hängen nicht allein nicht mit gleicher
Kraft unter einander zusammen, sondern sie zeigen auch nicht
eine gleiche Anziehung mit den Grundstoffen oder Bestandtheilen
anderer Körper. Die sorgfältigen Beobachtungen und daraus ge-
machten Erfahrungen berühmter Naturforscher haben gelehrt, daß
selbst zwei zu einem gleichartigen Ganzen vereinigte, ungleichartige
Grundstoffe durch die Dazwischenkunft eines dritten von einander
getrennt (zersetzt) werden können, wenn dieser dritte gegen einen
von den. beiden verbundenen eine größere Anziehungskraft äußert,
als jene unter sich selbst besaßen. Diese bei den Grundstoffen,
wenn sie in Berührung gebracht werden, sich zeigende, verschiedene
284
Anziehung heißt chemische Wahlverwandtschaft, Wahl-
anziehung der Stoffe, Affinität. — Chemische Anzie-
hung oder Wahlverwandtschaft ist die Anziehung ver-
schiedenartiger Körper; durch welche sie sich zu einem
einzigen, durch und durch gleichartigen Ganzen verei-
nigen. Eine solche Verbindung ungleichartiger Körper zu einem
durchgängig gleichartigen Ganzen heißt eine chemische Zusam-
mensetzung oder eine Mischung. Ihr entgegengesetzt ist die
mechanische Zusammensetzung oder dasGemenge, welches
eine Verbindung gleich- oder ungleichartiger Körper ist, wobei
diese gar keine Veränderung erleiden. Die Körper, welche sich
mit einander zu einer Mischung verbinden, heißen Bestand-
theile derselben, die sich zu einem Gemenge verbinden aber Ge-
mengtheile. Die Bestandtheile lasten sich in der Mischung
nicht von einander unterscheiden, wohl aber die Gemengtheile im
Gemenge. Gemische sind z. B. Weingeist mit Wasser, Salz
oder Zucker mit Wasser, Harz mit Weingeist, Oel und Laugen-
salz zu Seife, Schwefel und Quecksilber zu Zinnober, Sand
und Pottasche zu Glas, Zink und Kupfer zu Messing rc. Ge-
menge sind: Roggen und Weizen, Roggen und Gerste, Sand
und Wasser, Oel und Wasser, Oel und Essig rc.
Zwei ungleichartige Stoffe, die äußerst wenig, ja vielleicht
gar nicht mit einander verwandt sind, wie Wasser und Oel oder
Fett, können mit Hülse eines dritten Körpers, hier Laugensalz
oder Pottasche, falls dieser ihnen nahe genug steht, in genaue
Verbindung gesetzt und zur Auflösung gebracht werden (durch
jene Verbindung entsteht bekanntlich die Seife). Eine solche
Verbindung heißt Aneignung oder aneignende Verwandt-
schaft. Derjenige Körper ferner, welcher gleichsam diese Ver-
wandtschaft hervorruft, wird das Aneignungsmittel genannt.
Das zweite Hauptgeschäft der Chemie-ist die Scheidung
(chemische Zersetzung oder Trennung); sie ist der Mischung ent,
gegengesetzt. Auch sie beruht in den meisten Fällen auf der
chemischen Anziehung, indem man z. B. zu einem aus zwei Be-
standtheilen A und B bestehenden Körpern einen andern Körper
€ bringt, der zu einem der beiden Bestandtheile, 5. B. zu A,
eine größere Verwandtschaft als zu dem andern B hat; dann
hebt A seine Verbindung mit B auf, verbindet sich mit C zu
einem neuen Körper, und B wird ausgeschieden, niedergeschlagen
oder frei. Wenn diese Scheidung in sichtbarer, fester Gestalt
geschieht, so nennt man sie Niederschlagung, den auf diese
Art abgeschiedenen Körper den Niederschlag und den den Nie-
derschlag bewirkenden Körper das Niederschlagungsmittel.
285
§. 12.
Die Anziehung entfernter Körper oder die allgemeine Schwere.
(Anhang V. 8-1- 8.)
Hält man einen Stein in der Hand, so äußert er sein Be-
streben zu fallen durch einen Druck. Es kommt uns vor, als
ob eine Kraft von oben herab auf den Stein wirkte, die ihn
gegen die Oberfläche der Erde zu drücken strebt. — Die An-
ziehung unserer Erde gegen alle Körper auf ihr und
in geringer Entfernung von ihr heißt die Schwere. —
Hängt man einen Körper an einem Faden auf, so spannt der
Körper den Faden; er sucht ihn zu zerreißen, um sich gegen die
Erde herab bewegen zu können. Ist der Körper in Ruhe, und
der Faden zerreißt oder wird zerschnitten, so bewegt er sich in
der Richtung, in welcher der Faden angespannt war, zur Erde
herab. Die Richtung, in der er fällt, ist die verlängerte gerade
Linie, die der gespannte Faden anzeigte; sie macht mit der Fläche
eines stillstehenden Wassers rechte Winkel Diese Richtung heißt
lothrecht, senkrecht, scheitelrecht (vertikal), und die Richtung
der Wasserfläche wasserrecht, wagrecht (horizontal).*) Ein Körper,
der mit der Oberfläche der Erde in Berührung ist, drückt auf
den Erdboden; er hat also ein Bestreben, sich noch weiter fort-
zubewegen. Da nun die Erde eine Kugel ist, und diese Erschei-
nung sich überall auf der Erde zeigt, so folgt hieraus, daß die
Wirkung der Schwere gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet
sein müsse. Die Richtungen der Schwere an verschiedenen Orten
der Erde vereinigen sich verlängert also alle im Mittelpunkte der-
selben. Man nimmt jedoch diese Richtungen, wenn die Oerter
nicht weit von einander entfernt sind, wie bei den Wänden eines
Hauses, wegen des 860 Meilen langen Erdhalbmessers als pa-
rallel an.
Die Luft umgiebt die Erde, weil sie schwer ist; darum
ist sie auch nahe an der Oberfläche der Erde dichter als auf
hohen Bergen. Der Regen fällt aus den Wolken nicht in den
unermeßlichen Weltraum hinein, sondern auf die Oberfläche der
Erdkugel. Die in die Höhe abgeschossene Kanonenkugel fliegt
nicht in den Mond oder in eine Wolke, und wenn sie auch die-
selbe erreichen sollte, so bleibt sie doch nicht in derselben hängen,
obgleich die Wolke ebenfalls aus körperlichen Theilen besteht und
eine anziehende Kraft besitzt; sondern sie fällt wieder zurück auf
die Erde. Di? Schwere der Körper ist die Ursache, daß uns
' niemals schwindelt, wenn wir in die Höhe d. h. in die uner-
meßliche Tiefe des Weltenraumes, sehen, so wie uns schwindelt,
wenn wir in einen Abgrund der Erde hinabsehen. Wir sind
*) Vergl. meine Raumlehre Thl. I. S. 65.
286
nämlich durch dir Erfahrung überzeugt, daß uns die Schwere an
den Erdball zurückhält und uns nicht in die schauervolle Tiefe
des Himmels hinabfallen läßt. Da sie nun unsere Gegenfüßler
ebenfalls an die Erde bindet, so können diese immer ihre Füße
gegen die unsrigen kehren, ohne in den Himmel hinabzusinken.
Wenn zu unsern Füßen eine Grube durch die Erde hindurch ge-
graben werden könnte, so würde ein hineingeworfener Stein nicht
durch die andere Oeffnung bei unsern Gegenfüßlern wieder heraus-
kommen, sondern nach einigem Auf- und Niederfallen endlich
ruhig werden und im Mittelpunkte der Erde ganz frei, ohne
Unterstützung hängen bleiben.
Bei einigen Körpern fällt das Bestreben zu fallen nicht in
die Augen. Rauch, Dünste, kleine Flaumfedern rc. steigen in
die Höhe und scheinen keine Schwere zu haben. Dies rührt
daher, daß Rauch, Dampf rc. eigenthümlich leichter sind als die
Luft und von derselben getragen werden, wie Holz vom Wasser.
Jene Körper steigen so weit in die Höhe, bis die Luft so dünn
wird, daß sie von ihr nicht mehr getragen werden können. Auch
vermischen sich im Steigen die Rauchtheile mit andern Körpern,
wie mit wässerigen, salzigen und öligen Theilen, werden dadurch
schwerer als die Luft und fallen mit dem Regen, Schnee, Ha-
gel rc. herunter. Leistete die die Erde umgebende Luft keinen
Widerstand, so würden Körper von verschiedener Dichtigkeit,
von einer und derselben Höhe herabfallend, auch genau in dem-
selben Augenblicke die Erde erreichen.
Der Druck, den ein Körper vermöge seiner Schwere auf
einen andern Körper ausübt, heißt sein Gewicht. Das Gewicht
der Körper wird im gemeinen Leben nach Pfund, Loth, Quent-
chen rc. bestimmt. Das Werkzeug, dessen man sich dazu bedient,
heißt die Wage, und das Geschäft selbst wägen (gewöhnlich wie
der Zustand des zu wägenden Körpers wiegen genannt). So
werden Fleisch, Salz, Metalle jc gewogen (eigentlich gewagt).
Dieses Gewicht muß sorgfältig von der Schwere oder dem eigen-
thümlichen Bestreben der Körper, in senkrechter Linie zu fallen,
unterschieden werden. Das Gewicht bezeichnet die Summe der
schweren Theile, die ein Körper in einem gewissen Umfange ent-
hält. Die Schwere <d. I die Anziehungskraft der Erde) kann
für sich weder vermehrt noch vermindert werden, es mögen die
Theile der Körper zu einem Ganzen vereinigt, oder sie mögen
von einander getrennt sein; das Gewicht aber nimmt immer im
Verhältnisse mit der Masse des Körpers zu oder ab, und daher
mißt man auch die Masse durch das Gewicht. Ein Körper hat
also zwei- oder dreimal so viel Masse als ein anderer, wenn
er zwei- oder dreimal so viel wiegt. Der Körper A ist schwerer
als der Körper 8, wie man oft hört, hat auf den Druck oder
das Gewicht, nicht aber auf die Anziehungskraft der Erde, welche
nur der Grund jenes Druckes ist, Bezug.
S87
Wagt man eine Reihe Körper von verschiedener Masse, aber
von gleicher Größe mittelst einer gewöhnlichen Wage, so wird
man, um das Gleichgewicht zu finden, mehr oder weniger Ge-
wichte anwenden müssen. Die Erfahrung lehrt also, daß die
Körper bei einem gleichen Umfange nicht einen gleichen Druck
auf ihre Unterlage äußern. Eine Kugel von Blei übt offenbar
mehr Druck als eine eben so große von Holz, d. h- sie hat mehr
Gewicht. Wenn man nun den leichtesten von diesen gewogenen
Körpern als Maß der Vergleichung für die übrigen wählt, sein
Gewicht durch die Zahl 1 ausdrückt und hiernach das Gewicht
aller übrigen Körper durch Zahlen bezeichnet; so hat man das
Verhältniß der Gewichte verschiedener Körper nach einem gemein-
schaftlichen Maßstabe verglichen, und dies ist es, was man das
specifische oder eigenthümliche Gewicht nennt, wogegen
der Druck eines Körpers, nach Gewichten bestimmt, sein abso-
lutes Gewicht heißt (Anhang V. §. I. 10.). Das specifische
Gewicht setzt also bei allen Körpern gleiches Volumen voraus
und giebt das Verhältniß ihrer absoluten Gewichte in unbe-
nannten Zahlen an. Es wird hierbei das Gewicht des Wassers
als Einheit angenommen und das specifische Gewicht eines jeden
Körpers bestimmt, indem man angiebt, wie vielmal schwerer oder
leichter er ist, als Wasser von genau demselben Volumen. Spe-
cifisches Gewicht ist mithin ein relativer Begriff, d. h. setzt alle-
mal eine Vergleichung voraus. Wird z. 25. gesagt, das speci-
fische Gewicht des Quecksilbers sei 11, so will das so viel sagen,
man habe durch Untersuchung gesunden, daß ein gewisser Raum,
angefüllt mit Quecksilber, vierzehnmal schwerer sei, als ein eben
so großer Raum Wasser, welches hier als Einheit angenommen
wird.
Die Anziehung oder die Schwere zeigt sich nicht bloß an
den Körpern unserer Erde, sondern wir nehmen sie auch an jenen
Körpern wahr, die den unermeßlichen Raum über uns, im ge-
meinen Leben Himmel genannt, ausfüllen. Hier schweben außer
den zu unserm Sonnensystem gehörigen Planeten und ihren
Monden eine unzählbare Schaar von Sonnen und Sonnensyste-
men, und sie alle erhalten durch diese einzige, allgemeine Natur-
kraft ihre Gestalt, werden durch sie in immer gleichen Abständen
von einander gehalten und gehen ewig ihren großen, sichern, festen
Gang. ^ So übt die Erde auf unsern Mond eine Anziehung,
und dieser wieder auf dieselbe, und beide mit den übrigen Pla-
neten gegen die Sonne, und die Sonne gegen sie, und Alles ver-
einigt sich in der Hand des allmächtigen Urhebers und Bau-
meisters der Welt zu einem schönen Ganzen, das Menschensinrr
nicht zu fassen vermag.
Schon mehrere alte griechische Weltweise kannten diese Na-
turkraft; Kopernikus erklärt die runde Gestalt der Weltkörper
aus dem Bestreben ihrer Theile nach Vereinigung; Keppler
288
und Andere kommen mehr oder minder in dem System der all-
gemeinen Schwere überein- allein die eigentliche Entdeckung
dieses Naturgesetzes war dem unsterblichen englischen Malhema-
tiker Newton (spr. Njuttn) vorbehalten. Indem er im I. >666
in einem Garten spazieren ging, soll ihn ein herabfallender Apfel
veranlaßt haben, über,die Schwere weiter nachzudenken. Die
Kraft, fand er, nimmt nicht merklich ab, wenn man sich auch
auf die höchsten Berge begiebt. Der Apfel wäre also auch zur
Erde gefallen, wenn der Baum, dem er angehörte, unendlich
höher gewesen wäre und vielleicht mit seinem Gipfel gar die
Oberfläche des Mondes berührt hätte. Ist dies aber der Fall,
so muß die Schwere natürlich einen Einfluß auf die Bewegung
des Mondes haben, vielleicht gar dazu dienen, ihn in seiner
Bahn zu erhalten. Und hält diese Schwere den Mond in seiner
Bahn, so muß dieselbe Naturkraft die Jupitersmonde gegen den
Jupiter, die Erde und alle übrigen Planeten gegen die Sonne
in ihren Bahnen erhalten. Er bewies hierauf, daß die Bewe-
gung der Himmelskörper die Folge einer mitgetheilten Bewegung
sei; daß der einmal bewegte Körper nicht von der geradlinigen
Richtung abweicht, wenn ihn nicht irgend eine Kraft von der-
selben entfernt; daß die Planeten durch die fortdauernde Wir-
kung eines anfänglichen Stoßes, verbunden mit einer stets wir-
kenden Kraft, um die Sonne getrieben werden; daß eben dieses
Gesetz auch bei den Nebenplanrten stattfindet und überhaupt bei
allen Himmelskörpern, welche sämmtlich mit einer verhältniß-
mäßigen Kraft sich zu vereinigen streben. Eine Menge Erschei-
nungen, von denen jede einzelne die allgemeine Schwere beweisen
könnte, setzen die Sache außer jedem Zweifel. Und so stellte
Newton das Gesetz auf: Die Schwere steht im geraden
Verhältnisse der Masse des anziehenden und des an-
gezogenen Körpers und im umgekehrten Verhältnisse
der Quadrate der Entfernungen.
Die Sonne hat einige hundertmal so viel Masse, als alle
14 Planeten zusammengenommen, und kann daher den entfern-
testen (Neptun, der von ihr 800 Mill. Meilen entfernt ist) noch
mächtig anziehen. Der Mond, 60 Erdhalbmesser vom Mittel-
punkte der Erde entfernt, wird daher 60 X 60 — 3600 schwächer
angezogen, als die auf der Erde sich befindenden Körper. Die
Schwere muß daher desto geringer sein, je näher wir uns auf
der Erde dem Aequator befinden, und je höher wir uns in die
Atmosphäre denken.
Newtons allgemeine Schwere ist eigentlich keine Hypothese,
sondern eine durch Untersuchung der Erscheinungen bestätigte
Thatsache. Aus Newtons Gesetzen allein erklären sich Ebbe
und Flurh, die Ungleichheit des Mondlaufes, die Bewegung der
Planeten um die Sonne, die elliptische Gestalt aller Planeten-
bahnen rc. Alle Einwürfe, die man gegen die Newton'sche
289
Gravitation gemacht hat, sind unbedeutend und halten bei ruhiger
Ueberlegung nicht Stand.
II. Ruhe und Bewegung der Körper im
Allgemeinen.
(Kdrft.I. Anh.V. 8.1. 6. 7. 9. und II.)
§• 13.
Ruhe und Deweguug überhaupt.
(Kdrfr.I. Anh.V. 8-1. 6. und 7.)
Das Buch liegt auf dem Tische; dies ist sein (relativer)
Ort oder seine Lage. Bleibt das Buch in dieser Lage, so ruht
es. Ruhe ist also das Verbleiben eines Körpers in
seiner Lage. Der Ofen, die Tische, das Katheder ruhen, weil
sie in ihrer Lage verharren.
Die Schiffe segeln auf dem Wasser; Lastwagen fahren auf
den Straßen dahin; Vögel fliegen von Baum zu Baum: alle
diese Dinge verlassen ihren Ort oder bewegen sich. Bewegung
ist also Veränderung des Ortes.
Die Tische und Bänke, das Tafelgestell, der Ofen rc. schei-
nen zu ruhen, weil sie ihre Lage gegen einander und in Be-
ziehung auf die Stube nicht ändern; bedenken wir aber, daß
sämmtliche Gegenstände mit dem Schulhause zugleich auf der
Erde stehen, und daß sich diese mit unbegreiflicher Geschwindig-
keit um sich selbst und um die Sonne bewegt, unser Schulzim-
mer also jährlich einen Weg von 121,000,000 Meilen und noch
täglich einen Umschwung von 3400 Meilen macht: so erkennen
wir, daß ihre Ruhe nur eine scheinbare ist.
Im Gegentheil kommt es uns zuweilen vor, als ob gewisse
Gegenstände sich bewegten, und andere sich in Ruhe befänden,
während gerade das Umgekehrte der Fall ist. Die Gegenstände
am Ufer scheinen sich der Richtung des Schiffes, dessen Be-
wegung der auf demselben Stehende gar nicht bemerkt, entgegen
zubewegen; ein Gleiches findet statt, wenn man schnell vor einer
Reihe von Bäumen vorüberfährt; die Sonne scheint sich zu be-
wegen, und die Erde still zu stehen; wer auf einer Brücke steht
und über das Geländer in den schnell strömenden Fluß hinab-
sieht, dem kommt es vor, als wenn die Brücke sich bewegte, das
Wasser aber still stillstände ic.
Eine Kugel, die an der Erde liegt, zeigt nimmer das Be-
streben, die einmal angenommene Lage zu verlassen; sobald man
sie aber anstößt, wird sie genöthigt, ihre bisherige Ruhe aufzu-
geben: sie rollt auf dem Fußboden dahin. Hieraus folgt, daß
ein Körper, der einmal in Ruhe ist, so lange in Ruhe bleibt, bis
Pcchner, Handb. z. Thl. / 19
290
er durch eine Kraft aus diesem Zustande getrieben wird. Stoßt
man eine liegende Kugel an, so bewegt sie sich nicht bloß so
weit, als sie gestoßen wird, sondern sie rollt auch nach dem
Stoße noch fort, ja sie würde nicht aufhören sich zu bewegen,
wenn sie nicht durch die Luft und die Reibung auf ihrer Bahn
daran verhindert würde. Die Eigenschaft eines Körpers,
im Zustande der Ruhe oder der Bewegung zu verhar-
ren, bis eine hinreichende Kraft ihn nöthigt, seinen
Zustand zu verändern, heißt das Beharruugsvermögen,
weniger gut die Trägheit.
§ 44.
Mittheilung -er Pewegung.
(Kdrfi. I. Anh. V. 8.1. 6.)
Der bewegte Arm des Kegelschiebers setzt die Kugel in Be-
» wegung; der Wind dreht die Wetterfahne, beschleunigt oder
hemmt den Lauf eines Schiffes, bestimmt dessen Richtung rc.
Ein Körper also, der in Bewegung ist, kann einen zweiten, der
sich in Ruhe befindet, auch in Bewegung setzen oder, wenn sich
der zweite ebenfalls bewegt, den Zustand der Bewegung desselben,
d. h. seine Richtung und Geschwindigkeit, abändern. Man sagt
alsdann, der erste Körper habe dem zweiten Bewegung mitge-
theilt.
Der Wagen, dem die Pferde Bewegung mitgetheilt haben,
und die Personen auf dem Wagen, denen diese Bewegung gleich-
falls mitgetheilt worden ist, bewegen sich gemeinschaftlich. Die
elastische Kugel dagegen, der man durch den Stoß Bewegung
mitgetheilt hat, rollt allein weiter. Wenn also ein Körper einem
andern Bewegung mitgetheilt hat, so bewegen sich entweder beide
Körper gemeinschaftlich und gleichmäßig, oder der Körper, dem
die Bewegung mitgetheilt worden ist, setzt seinen Weg allein
weiter fort.
Ein Nagel treibt sich ins Holz, wenn man auf die entge-
gengesetzte Seite des Brettes schlägt. Dem Holze wird durch
den Schlag Bewegung mitgetheilt, der Nagel aber bleibt in Ruhe
und dringt daher tiefer ins Holz hinein, Die Handwerker be-
dienen sich dieser Erfahrung, um Feilen und ähnliche Werkzeuge
in ihren Heften, Stiele in Hämmern und Aexten rc. zu befestigen.
Der Sand auf dem Teller scheint sich gegen die Drehung zu
bewegen, bleibt aber in Ruhe, weil ihm die Bewegung des
Tellers nicht sogleich mitgetheilt wird, und der Teller bewegt sich
unter dem Sande weg. — Ein Kartenblatt, auf welchem ein
Stück Geld liegt, läßt sich schnell unter dem Geldstücke weg-
schlagen (fortknipsen), und das Geldstück bleibt auf der Finger-
spitze liegen, wo vorher das Kartenblatt lag, oder es fällt in
291
das unter ihm stehende Schnapsglas. Eben so kann man (von
innen nach außen) einen Reifen unter einem Geldstücke weg-
schlagen, so daß das oben liegende Geldstück in die Mündung
der Flasche fällt, auf welcher der Reifen stand. — Legt man
eine Kugel auf ein horizontal gerichtetes Brett und zieht das
Brett schnell fort, so theilt sich die Bewegung nicht der Kugel
mit, sondern diese rollt zurück oder bleibt, wenn man das Brett
sehr schnell vorzieht, auf der Stelle liegen; sie folgt aber der
Bewegung des Brettes, wenn es langsam in Bewegung gesetzt
und so der Kugel die Bewegung des Brettes mitgetheilt wird.
— Ein Pfeifenstiel, der aus zwei ausgespannten Haaren liegt,
läßt sich in der Mitte entzweischlagen, ohne daß die Haare zer-
reißen. Der Schlag muß aber schnell geschehen, damit der
Pfeifenstiel zerbricht, ehe sich die Bewegung den äußersten Enden,
welche auf den Haaren liegen, mittheilt. — Legt man die Steine
des Damenspieles auf einander, so kann man durch einen Schlag
mit dem Messer einen Stein aus der Mitte fortschlagen, ohne
daß die Säule umfällt. — Eine aus einem Feueraewehre abge-
schossene Kugel, oder auch ein mit großer Kraft geworfener
Stein macht nur ein rundes Loch in einer nahen Glasscheibe. —
Eben so kann man ein Talglicht durch ein nahes Brett schießen.
— Der Riß eines scharf gefalteten Papierbogens läuft nur dann,
wenn er mit Schnelligkeit die Theile trennt, von oben bis unten
hin längs der Kante fort. — Maurer können Steine auf ihrer
Hand zerschlagen,^ohne sich dabei wehe zu thun. — Wir fühlen
keinen geringen schmerz, wenn wir mit der flachen Hand stark
aus die Oberfläche des Wassers schlagen. — Die Stricke reißen
gewöhnlich, wenn die Pferde vor einem schwer beladenen Wagen
unvorsichtiger Weise plötzlich angetrieben werden. — Wer auf
einem Wagen oder Boote steht, das schnell in Bewegung gesetzt
wird, der fällt, wenn er nicht aufmerksam ist, in entgegengesetzter
Richtung, in welcher der Wagen oder das Boot sich bewegt. Dem
oberen Theile seines Körpers wird die Bewgung des Bootes
nicht so schnell mitgetheilt, während die Füße schon nach der
Richtung, die das Boot nimmt, in Bewegung sind. Die Mit-
theilung der Bewegung geschieht demnach nicht in untheilbaren
Augenblicken, sondern erfordert eine bestimmte Zeit.
Die Elasticität der Gasarten, welche durch die Entzündung
des Schießpulvers plötzlich entwickelt werden, ist die bewegende
Kraft, welche Geschützkugeln in Bewegung setzt. Der Zeitraum
ihrer Wirkung ist zwar sehr kurz, allein vermöge der Trägheit
bewegt sich die Kugel so lange, bis ihre Geschwindigkeit durch
die Schwerkraft und den Widerstand der Luft gleich 0 geworden
ist. — Eine Kugel, die auf einem horizontalen Brette liegt und
sich mit diesem gemeinschaftlich bewegt, läuft vorwärts, wenn
das Brett schnell in seiner Bewegung aufgehalten wird. Der
Kugel ist die Bewegung des Brettes mitgetheilt, und sie setzt
19*
292
vermöge der Trägheit ihre Bewegung noch fort, wenn die Kraft,
welche das Brett in Bewegung setzte, zu wirken aufhört. — Aus
eben dieser Ursache fällt ein Mensch, der stehend in einem Boote
ans Ufer stößt, nach dem Ufer hin, und zwar um so leichter, je
größer die Geschwindigkeit des Bootes ist. — Stößt man beim
Schreiben mit der vollen Feder an eine Unebenheit des Papiers,
wodurch die Feder in einen augenblicklichen Stillstand geräth,
so spritzt die Dinte vorwärts. — Vermöge der Trägheit setzt
jeder Körper, dem Bewegung mitgetheilt worden ist, seine Be-
wegung in der Richtung und mit der Geschwindigkeit fort, die
ihm mitgetheilt wurde. Da aber auf unserer Erde die Schwer-
kraft ununterbrochen wirkt, und überdies Reibung und andere
Hindernisse die Bewegung des bewegten Körpers mindern, so läßt
sich einsehen, daß die Geschwindigkeit endlich Null werden, mithin
die Bewegung des Körpers aufhören, und er in Beziehung auf
die Erdoberfläche in Ruhe kommen müsse.
§. 15-
Ursachen, Nichtung, Weg und Zeit der Pewegung.
(Kdrfr I. Anh. V. §. 1. 6.)
Ein Wagen setzt sich nicht von selbst in Bewegung, wenn
er nicht durch Menschen, Zugthiere, Dampf rc. dazu genöthigt
wird. Menschen und Thiere bewegen sich durch die Kraft ihrer
Muskeln. Zur Hervorbringung einer jeden Bewegung, ja selbst
zu einer jeden Aenderung der Bewegung in Absicht aus Richtung
und Geschwindigkeit ist eine wirkende Ursache, d. i. eine Kraft,
erforderlich; ohne diese würde jeder Körper in dem Zustande der
Ruhe oder der Bewegung, in der er einmal ist, ohne Ende be-
harren. Bei leblosen Körpern sind es gewöhnlich äußere Ursachen,
die jene in Bewegung setzen oder ihren Zustand der Ruhe oder
der Bewegung abändern. So bewegen wir eine Kugel durch
die Kraft unserer Hände und setzen Maschinen in Bewegung,
indem wir uns der Gewichte, des Wassers, des Windes, des
Feuers, des Dampfes, der Thiere rc. hierzu bedienen. Es er-
folgen aber auch in leblosen Körpern sehr oft Bewegungen, über-
haupt Aenderungen ihres Zustandes durch Kräfte, die in ihnen
selbst liegen, z. B, Gährung, Kristallisation (d. i. das Ausschei-
den fester Körper aus flüssigen, wobei sie regelmäßige Formen
annehmen). Immer können wir jedoch die Materie an sich als
leblos betrachten und sie von den Kräften unterscheiden, die ent-
weder von außen auf sie wirken, oder ihr ursprünglich inwohnen.
Die Richtung der Bewegung wird immer durch eine ge-
rade Linie dargestellt, welche man sich von einem bewegten
Punkte nach demjenigen Orte, wohin er zu gehen getrieben wird,
gezogen denkt. Die Bewegung selbst heißt aber geradlinig
293
oder krummlinig, je nachdem sie dieselbe Richtung behält, oder
in jedem Augenblicke eine andere annimmt.
Der zurückgelegte Weg oder durchlaufene Raum eines be-
wegten Körpers ist die Entfernung eines später eingenommenen
Ortes von einem früher eingenommenen.
Da ein bewegter Körper die verschiedenen Orte des Weges
nicht auf einmal, sondern nur nach und nach einnehmen kann,
so erfordert jede Bewegung auch eine gewisse Zeit.
Die Maße des zurückgelegten Weges sind Linien, Zolle,
Fuße, Ruthen, Meilen, Erdhalbmesser rc■, die der Zeit dagegen
Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre.
8- 16.
Geschwindigkeit der Dewegung.
Der Wind bewegt sich in einer Sekunde 100' und darüber,
der Schall in derselben Zeit >040', die Erde 03,700'. — Immer
geht eine gewisse, längere oder kürzere Zeit darüber hin, um
von einer Stelle zur andern zu kommen. — Vergleichen wir
den -Weg, welchen der Körper durchläuft, mit der Zeit, die er
dazu nöthig hatte, so ergiebt sich daraus seine Geschwindigkeit.
Geschwindigkeit der Bewegung ist das Verhältniß
des Weges, den ein Körper durchläuft, zu der Zeit,
die er dazu nöthig hat. Begreiflich hat derjenige Körper
die größte Geschwindigkeit, welcher in einer gewissen Zeit den
größten Weg, oder welcher einen gewissen Weg in der kürzesten
Zeit zurücklegt. Manche Körper bewegen sich mit einer so ge-
ringen Geschwindigkeit oder so langsam, daß wir mit dem Auge
die Bewegung gar nicht wahrnehmen, z. B. der Stundenzeiger
an einer Uhr, der doch in 12 Stunden auf seinem Kreise ganz
herumkommt. Andere Körper bewegen sich wieder so schnell,
daß wir wegen dieser großen Schnelligkeit, den Körper gar nicht
sehen, oder daß wir glauben, der Körper stehe still. So sehen
wir eine abgeschossene Flinten- oder Kanonenkugel, die in einer
Sekunde ungefähr 1800 bis 2000' fortfliegt, gar nicht in der
Luft, obgleich wir ihr Geräusch hören; und Kanonenkugeln, die
mit außerordentlicher Kraft -auf den Erdboden stoßen, drehen sich
auf demselben oft so außerordentlich schnell um ihre Achse, daß
es aussieht, als lägen sie ganz still da; aber wehe dem, der sie
in dieser Meinung anrührt. An einer Wand hat man eine weiße
Scheibe angebracht, welche durchaus zu ruhen scheint. Sie bläst
jedes Licht, das man ihr nähert, mit großer Gewalt aus und
wirft leichte Körper, z. B. Federn, Papierschnitzel rc. weit von
sich, wenn sie ihr nahe kommen. Und doch hat sie einen aus-
nehmend ruhigen Stand an der Wand; auch ist außer ihr Nichts
da, was etwa durch Blasen jene Erscheinung bewirken könnte.
Die Scheibe ist aber nichts weniger als ruhig; ihre Ruhe ist
294
nur scheinbar. Sie besteht nämlich aus 4 genau gearbeiteten
Flügeln in einer Welle, die mit außerordentlicher Geschwindigkeit
sich umdreht. Die aus der Wand hervorragende Welle erhält
ihre so schnelle Bewegung durch eine Art Uhrwerk oder durch
ein aus vielen Rädern und Getrieben bestehendes Räderwerk,
von dem das letzte Rad oder (betriebe, dessen Welle die Flügel-
welle ist, am schnellsten umläuft. Da nun die ungemein schnell
umlaufenden Flügel sich sehr genau in einer Ebene drehen, so
bilden sie bei der so höchst geschwinden Bewegung für das Auge
eine Scheibe, welche stillzustehen scheint. Natürlich machen sie
davon einen so heftigen Wind, daß Lichter, die man in ihre Nähe
bringt, sogleich ausgelöscht, und Federn, Papier u. dgl. gewalt-
sam hinweggeweht werden. — Wenn man einen brennenden
Fidibus sehr schnell im Kreise herumschwingt, so bildet er einen
ganzen leuchtenden Ring, obgleich der Fidibus sich in jedem Au-
genblicke an einer andern Stelle befindet; er kommt nämlich in
die andere Stelle so schnell, daß in unfern Augen immer noch
der Eindruck des Lichtes von den vorhergehenden Stellen sich be-
findet, und daß bei einer ganzen Umdrehung des Fidibus die
Summe der Eindrücke von allen Stellen, die den Kreis bilden,
noch in den Augen ist. — Eine ähnliche Erscheinung kommt an
den Flügeln der Spuhle des Spinnrades und bei gar manchen
andern Gelegenheiten vor. — Taschenspieler haben es durch viele
Uebung gelernt, mit ihrer Hand so schnelle Bewegungen zu
machen, um z. B eine Sache von einer gewissen Stelle wegzu-
nehmen, oder an irgend eine Stelle hinzulegen, daß die Zuschauer
diese Bewegung gar nicht sehen können.
Hat sich ein Körper in 30 Sekunden durch 60' Raum be-
wegt, so war seine Geschwindigkeit — — 2. Die Ge-
schwindigkeit ist gleich dem Raume, dividirt durch die
Zeit.
Hat ein Körper einen Raum von 48' mit der Geschwindig-
keit 8 (b. h. in einer Sekunde 8') durchlaufen, so hat er darauf
— 6 Sekunden zugebracht. Die Zeit ist gleich dem
Raume, dividirt durch die Geschwindigkeit.
Ein Körper, der in einer Sekunde 4' durchläuft und sich
6 Sekunden gleichmäßig bewegt, hat in dieser Zeit einen Raum
von 4X6 — 24' durchlaufen. Der Raum, den ein Körper
während der ganzen Zeit seiner Bewegung durchlaufen
hat, ist ein Produkt der Zeit, welche während der Be-
wegung verflossen ist, mit der Geschwindigkeit-
Welche Geschwindigkeit hat ein Körper, wenn ec in 2 Mi-
nuten 960' zurücklegt? (8') — Einen wie großen Raum legt ein
Körper mit der Geschwindigkeit von 5 in 6 Minuten zurück?
(1800') — In welcher Zeit wird ein Körper mit der Geschwin-
digkeit von 7 einen Raum von 1260' zurücklegen? (3 Mi-
nuten). —
295
Betrachtet man die Geschwindigkeit eines bewegten Körpers
an und für sich, so heißt sie absolut; vergleicht man aber die
Geschwindigkeiten mehrerer sich zugleich bewegender Körper unter
einander, so nennt man sie relative Geschwindigkeiten.
Ein Körper, der in einer Sekunde 2' durchlauft, hat un-
streitig eine doppelt so große Geschwindigkeit als ein anderer, der
in derselben Zeit sich nur 1' bewegt, und es verhalten sich ihre
Geschwindigkeiten wie 2:1., d. i. wie die Raume. Wenn zwei
Körper sich gleiche Zeiten hindurch bewegen, so ver-
halten sich die Geschwindigkeiten wie die durchlau-
fenen Räume. Ein Bote legt in 8 Stunden nur 4 Meilen,
ein anderer aber in derselben Zeit 6 Meilen zurück; wie steht es
unter solchen Umständen mit ihrer Geschwindigkeit? (4:6 =
2:3)
Wenn ein Körper, um einen gewissen Raum zu durchlaufen,
2 Sekunden, ein anderer aber, um sich durch eben diesen Raum
zu bewegen, 4 Sekunden bedarf, so hat ersterer unstreitig eine
noch einmal so große Geschwindigkeit als letzterer, und es ver-
hält sich die Geschwindigkeit des ersteren zur Geschwindigkeit des
letzteren, wie die Zeit des letzteren zur Zeit des ersteren, also wie
4:2— 2:1. Sind die Räume, welche zwei Körper
durchlaufen, gleich, so verhalten sich die Geschwindig-
keiten wie die verkehrt gesetzten Zeiten. Ein geschickter
Schlittschuhläufer flog während 20 Minuten 18,000' weit auf
dem Eise dahin; ein Schlitten, der ihn stets zur Seite begleiten
sollte, erreichte aber erst nach 36 Minuten das vorgesteckte Ziel:
welche Zahlen deuten hier das Verhältniß der Geschwindigkeiten
an? (9:5)
Gesetzt, ein Körper durchläuft in 2 Sekunden 4', ein anderer
in 3 Sekunden 18'; so findet man mittelst der Division der
Räume durch die Zeiten, wie viel Fuß jeder Körper in einer Se-
kunde zurücklegt. Der erstere bewegt sich nämlich in einer Sek.
durch 4 — 2, der andere durch 4r — 6'. Da nun, wenn
die Zeiten gleich sind, die Geschwindigkeiten sich wie die Räume
verhalten ; so verhalten sich in diesem Falle die Geschwindigkeiten
beider Körper wie 2:6 — l: 3, d. h. wie die Räume durch die
Zeiten dividirt.
Ferner kann man die Geschwindigkeiten vergleichen, wenn
man aussucht, wie viel Zeit beide Körper nöthig haben, um einen
gleich großen Raum zu durchlaufen. Da nun bei gleichen Räu-
men die Geschwindigkeiten sich verhalten wie die verkehrt gesetzten
Zeiten, so multiplizirt man den Weg eines jeden mit der Zeit
des andern; dann werden sich für jeden die Zeiten finden, die
er zur Durchlaufung eines gleich großen Raumes nöthig hat,
und die Geschwindigkeiten werden sich also wie jene Produkte
verhalten, d. h. wie bte Räume, multiplicier durch die umgekehrt
gesetzten Zeiten. Für obiges Beispiel multiplicirt man also 4 mit 3,
296
und 2 mit 18, so sind die Zeiten, welche beide zu einem gleich
großen Raume brauchen, für den ersten 2 X 18 — 36, für den
zweiten 4X3 — 12, in welchen jeder 72' zurücklegen würde.
Die Geschwindigkeit des ersteren verhält sich also zur Geschwin-
digkeit des letzteren wie 12:36 — 1:3. — Wenn Zeiten
und Räume ungleich sind, so verhalten sich die Ge-
schwindigkeiten zweier Körper wie die Räume, multi-
plicier mit den umgekehrt gesetzten Zeiten, oder wie
die Räume, dividirt durch die Zeiten.
Die relativen Geschwindigkeiten zweier Körper lassen sich
auch aus den Verhältnissen der bewegenden Kräfte und der Massen
der Körper bestimmen. Je größer die bewegende Kraft, und je
geringer die Masse des Körpers, desto größer muß die Geschwin-
digkeit sein. Es würde zu weit führen, wenn wir auch diese
Verhältnisse noch näher betrachten wollten.
§• 17.
Wirkung der Dewegung.
Ein Stein, der von einer bedeutenden Höhe herab auf
unsern Kopf fällt, ist im Stande, uns zu tödten. — Tropfen,
die vom Dache herabfallen, höhlen mit der Zeit die Steine unter
der Traufe aus rc. Die Kraft, mit welcher ein bewegter
Körper auf einen andern wirkt, heißt seineBewegnngs-
größe sBewegungsmoment). Wenn eine Kugel die Geschwin-
digkeit von 100 hat, d. h. in einer Sekunde 108' durchfliegt,
eine andere aber von derselben Masse eine Geschwindigkeit von >000,
so hat die letztere auch eine lO mal so große Kraft als jene.
Während diese etwa durch einen Pfahl von 10" geht, dringt
jene kaum einen Zoll tief ein. Bei gleichen Massen ver-
halten sich die Bewegungsgrößen wie die Geschwin-
digkeiten. — Bewegt sich aber ein Körper von 2 Pfd. in einer
Sekunde durch 50", und ein anderer von 4 Pfd. mit derselben
Geschwindigkeit, so wirkt der letztere mit noch einmal so viel
Kraft als der erstere, und die Bewegungsgröße des ersteren ver-
hält sich zu der des letzteren wie 2:4 — 1:2. Bei gleichen
Geschwindigkeiten verhalten sich die Bewegungsgrö-
ßen wie die Massen. — Bewegen sich zwei Körper, deren
Massen beziehungsweise 4 und 7 sind, mit den Geschwindigkeiten
6 und 8, so verhalten sich ihre Bewegungsgrößen wie s4 X 6) zu
{7 X S) — 24:56 — 3:7. — Die Bewegungsgrößen
der Körper verhalten sich wie die Produkte aus ihren
Geschwindigkeiten und Massen. — Eine Kugel, 1 Lth.
schwer, mit der Geschwindigkeit 64, hat eine gleiche Wirkung mit
einer 1 Pfd. schweren Kugel, die sich mit der Geschwindigkeit 2
bewegt sl Pfd. — 32 Lth. X 2 — 64). Zwei ungleiche Kör-
per bringen gleiche Wirkungen hervor, wenn sich ihre
S97
Geschwindigkeiten umgekehrt wie ihre Massen ver-
halten. — Mit einem Talglichte kann man, wie schon erwähnt,
durch ein beträchtlich dickes Brett, und mit einer Wachskugel
durch eine Blechplatte schießen, wenn man dicht vor dem Ziele
steht. — Aber nicht bloß auf die Geschwindigkeit und die Masse,
sondern auch auf die Richtung des bewegten Körpers kommt
es bei seiner Wirkung an. Ein Körper bewegt sich gegen einen
andern gerade, wenn die Richtung seiner Bewegung auf der
Fläche des Körpers senkrecht steht; im Gegentheil ist seine Be-
wegung gegen den andern Körper schief. Bei einer solchen
Bewegung kann der Körper nicht mit seiner ganzen Kraft, sondern
nur mit einem Theile derselben seiner Seitenkraft, wie wir in
der Folge sehen werden) auf den andern Körper wirken. So
wirkt auf Schiffe, die mit halbem Winde segeln, d. h. wo die
Richtung des Windes mit der Richtung des Schiffes einen
schiefen Winkel bildet, nur ein Theil von der Kraft des Windes.
Eine Billardkugel, an welcher der Stoß von der Seite ange-
bracht wird, hat weniger Gewalt, als wenn die Richtung des
Stoßes gerade nach dem Mittelpunkte geht.
tz. 18.
Einwirkung einer Kraft auf die Pewegung.
(Kdrfr. I. Anh.V. §.l. 6.)
Der Minutenzeiger einer Uhr dreht sich in je 5 Minuten
von einer Zahl des Zifferblattes zur andern, wenn nicht etwa
die menschliche Hand oder eine andere Kraft auf seine Bewegung
einwirkt. Die Geschwindigkeit eines bewegten Körpers bleibt so
lange unverändert, als nicht eine neue Kraft auf ihn einwirkt,
und seine Bewegung heißt alsdann eine gleichförmige Bewe-
gung. Der Körper fegt dabei in gleichen Zeittheilchen auch
gleiche Wege zurück. Die Lokomotive auf der Eisenbahn be-
wegt sich in der Regel gleichförmig.
Je näher ein fallender Körper der Erde kommt, desto stärker
wird er von ihr angezogen, und desto schneller bewegt er sich.
Wächst die Geschwindigkeit eines bewegten Körpers durch öfters
erneuerte Einwirkungen einer Kraft, so heißt die Bewegung eine
beschleunigte. Dabei durchläuft ein Körper in jedem folg en-
genden, gleichen Zeittheilchen einen größeren Raum.
Einem in die Höhe geworfenen Körper raubt die Schwere
jeden Augenblick einen Theil der ihm mitgetheilten Bewegungs-
kraft, und er steigt daher immer langsamer. Nimmt die Ge-
schwindigkeit eines Körpers durch entgegengesetzte Wirkungen
ab, so entsteht eine verminderte oder verzögerte Bewegung.
Die Bewegung heißt stetig, oder gleichförmig be-
schleunigt wenn sie, worauf schon ihr Name hinweist, in jedem
298
folgenden, selbst noch so kleinen Zeitthsilchen im Wachsen be-
griffen ist. Eben so giebt es auch eine gleichförmig verzö-
gerte Bewegung. Ein ganz frei (im luftleeren Raume) herab-
fallender Körper versinnlicht jene, ein senkrecht auswärts gewor-
fener Körper diese Bewegung.
Genau angestellte Versuche haben gezeigt, daß ein fallender
Körper in der erster! Sekunde 15 (genauer 15*/,Z, in der zweiten
3 X 15 — 45, in der dritten 5 X 15 — 75 rc Fuß sinke, daß
sich also die Fallräume in den auf einander folgenden Zeiten
verhalten, wie die ungeraden Zahlen. Dieses Gesetz entdeckte der
Domherr Galliläi im Jahre 1002. — Bei dem in die Höhe
geworfenen Körper sind natürlich diese Verhältnisse umgekehrt.
So viel Zeit ein Körper zum Aufsteigen braucht, eben so viel
braucht er auch zum Niederfallen, und seine Geschwindigkeit ist
am Ende so groß, als sie bei dem ersten Aufsteigen war. —
Ein wagrecht oder schräg geworfener Körper senkt sich immer
tiefer, und sein Weg beschreibt einen Bogen. Hierauf müssen
Schützen und Artilleristen Rücksicht nehmen beim Zielen.
Eine ungleichförmig beschleunigte oder ungleichför-
mig verzögerte Bewegung kommt z. B. bei Wagen vor,
wenn die Zugthiere müde sind und vom Fuhrmanns bisweilen
angetrieben werden.
Hat die Kraft, welche auf einen bewegten Körper einwirkt,
eine andere Richtung als jener, so folgt er der Richtung jener
Kraft, wie dies z. B. beim Fechten häufig vorkommt, wenn wir
den Hieb oder Stich abwehren, der auf uns eindringen will. —
Ein bewegter Körper bewegt sich so lange mit unver-
änderter Geschwindigkeit und in derselben Richtung
fort, bis eine neue Kraft seine Bewegung ändert.
Die Veränderung entspricht dann der einwirkenden
Kraft und erfolgt immer nach der Richtung dieser
Kraft.
Eine Kugel, welcher von einer andern Bewegung mitgetheilt
wird, gewinnt so viel an Bewegungögröße, als die stoßende ver-
liert. — Wer, auf einem Boote stehend, ein anderes an sich
zieht oder von sich stößt, setzt beide Boote in Bewegung; aber
wenn die Massen beider Boote ungleich sind, mit verschiedenen
Geschwindigkeiten, die sich umgehrt wie die Massen verhalten.
— Eine Spinne, die an einem Faden hängt, schlägt man, ohne
ohne ihr merklich zu schaden, weil nicht mehr Kraft auf die
Spinne wirken kann, als diese Widerstand leistet. — Wenn ein
Körper den Zustand eines andern Körpers ändert, so erleidet ec
dadurch selbst eine Veränderung: er verliert einen Theil seiner
Kraft, der auf die Aenderung des Zustandes eines andern Körpers
verwandt wird und ihm entgegenzuwirken scheint. Man stellt
sich vor, daß der andere Körper auf den ersten zurückwirke, und
nennt dies Gegenwirkung (Reaction). Der Körper kann nicht
299
mehr von seiner Kraft verlieren, als er auf die Aenderung des
Zustandes des andern Körpers verwandt hat, oder als der andere
ihm Widerstand leistet; daher sind Kraft und Widerstand,
oder Wirkung und Gegenwirkung immer einander gleich.
tz. 19.
Einwirkung mehrerer Araste aus die Dcwegung.
(Kdrfr. I. Anh. V. s. I. 0.)
Wirft man im Stillstehen einen Stein nach einem Ziele,
so ist die Bewegung des Steines eine einfache, und er kann
das Ziel treffen, wenn er genau nach demselben gerichtet war
(abgesehen von der anziehenden Kraft der Erde). Wenn man
aber im schnellen Vorbeilaufen den Stein seitwärts nach dem
Ziele hinwirft, so trifft er das Ziel nicht, sondern fliegt unter-
halb desselben vorbei; denn hier war seine Bewegung eine zu-
sammengesetzte; die eine war die ihm von der seitwärts wer-
fenden Hand, die andere von dem vorwärts laufenden Körper
mitgetheilte. Wird ein Schiff an beiden Ufern gezogen, so folgt
es weder der Richtung des einen, noch der des andern Seiles,
sondern schwimmt — vorausgesetzt, daß die ziehenden Kräfte auf
beiden Ufern ziemlich gleich sind — mitten auf dem Strome da-
hin. Die Richtungen der Seile bilden hier einen Winkel, deffen
Schenkel man als die anliegenden Seiten eines Parallelogramms*)
betrachten kann. Man nennt dieses Parallelogramm das Paral-
lelogramm der Kräfte. Das Schiff bewegt sich auf der
Diagonale dieses Parallelogramms (der Lehrer versinnliche diese
Erklärungen durch Zeichnung). Die beiden Kräfte, deren Rich-
tungen einen Winkel einschließen, heißen äußere, zusammen-
wirkende oder Seitenkräfte. Von der Bewegung des Kör-
pers durch die Diagonale sagt man, daß sie durch eine zusam-
mengesetzte, mittlere oder Diagonalkraft hervorgebracht
werde. Je kleiner der Winkel ist, den die Richtungen der Sei-
tenkräfte bilden, desto größer ist die Diagonalkrafc. — Ein Schiff,
das mit halbem Winde segelt, folgt der Mittelkraft des Windes
und des Ruders. — Wenn man auf einem Kahne quer über
einen Fluß setzen will, so wird der Kahn von zwei Seitenkräften,
von dem Strome des Waffers und vom Ruder, getrieben und
folgt der Diagonalkraft. — Das Kind drückt den Kirschkern
zwischen der Spitze des Daumes und der des Zeigefingers und
schnellt ihn gerade vorwärts. Der Druck des Daumens und des
Zeigefingers sind die Seitenkräfte. — Der Fisch fängt, wenn er
gerade vorwärts schwimmen will, seine Bewegung mit zwei ent-
gegengesetzten Schlägen des Schwanzes an. Er schlägt das
*) Vergl. meine Raumlehre Thl. I. S. 136.
300
Wasser rechts und links, und sein Körper folgt einer aus beiden
zusammengesetzten Richtung. — Vögel thun, wenn sie gerade
vorwärts fliegen wollen, mir ihren Flügeln dasselbe. — Werfen
wir im schnellen Laufen, Reiten oder Fahren Körper in die Höhe,
so folgen diese unserm Laufe, und wir können sie leicht wieder
auffangen; denn ihre Bewegung ist zusammengesetzt aus der-
jenigen, welche die werfende Hand ihnen mittheilte, und der,
durch welche wir weiter vorwärts kommen. So erhält der Kör-
per eine schräg aufwärts gehende Bewegung, welche die aus
jenen Kräften erzeugte Diagonale bildet. Häufig sehen wir ein
solches Emporwerfen von Körpern bei den englischen Bereitern,
welche im vollen Jagen auf dem Pferde Bälle, Äepfel u. dgl.
in die Höhe werfen und mit den Händen, mit Gabeln rc.
auffangen. — Wer im schnellen Fahren von einem Wagen springt,
der kann es kaum vermeiden zu fallen. Die Bewegung seines
Körpers ist während des Sprunges so sehr zusammengesetzt, daß
viel Gewandtheit dazu gehört, wenn er, indem er den Boden
berührt, nicht fällt. Es wirken nicht allein die beiden Seiten-
kräfte, die Bewegung des Wagens und die Bewegung/ welche
er durch den Sprung seinem Körper mitgetheilt hat, auf ihn,
sondern auch noch die Schwere. Dieser zusammengesetzten Be-
wegung folgt der obere Theil seines Körpers noch, indem die
Füße schon den Boden berühren, und die fast unvermeidliche
Folge davon ist, daß er fällt. Die Sicherheit erfordert, so zu
springen, daß man von den Pferden und den Rädern des Wa-
gens nicht verletzt wird, d. i. aus der Mitte des Wagens, nahe
bei den Hinterrädern weg.
tz. 20.
Die Kreis- oder Centralbewegung.
Jeder in einem Kreise oder in einer andern krummen Linie
um einen gewissen Punkt herumfliegende Körper hat eine zusam-
mengesetzte Bewegung. Es wirken immer zwei Kräfte auf ihn,
von denen die eine ihn nach jenem Punkte hinziehen, die andere
zu gleicher Zeit davon abtreiben will; aus beiden Kräften ent-
steht eine mittlere Kraft um jenen Punkt herum. Beide Kräfte
wirken aber, so lange die Bewegung dauert, ununterbrochen auf
ihn- Daher entsteht in jedem Augenblicke die Diagonale eines
unendlich kleinen Parallelogramms, und alle diese an einander-
liegenden unendlich kleinen Diagonalen machen in der Zusammen-
setzung eine Kreislinie, oder auch — je nach Verhältniß der bei-
den wirkenden Kräfte zu einander — eine Ellipse oder sonst eine
krumme Linie aus.
Eine solche Bewandtniß hat es mit einem Steine oder Balle,
den man an einer zwischen den Fingern gehaltenen Schnur im
Kreise herumschwingt. Zwei Kräfte wirken da auf den Stein
301
oder Ball: die eine zieht ihn vermöge der Schnur nach der
Hand, dem Mittelpunkte des Kreises, zu, die andere ebenfalls
durch die Hand herbeigeführte, gleichsam hinwegwerfende Kraft
treibt dieselben Körper ab. Sie können daher weder nach der
Hand zu fallen, noch wegfliegen, sondern müssen ihre Bahn um
die Hand herumnehmen. Die nach der Hand hintreibende Kraft
nennt man Ziehkraft (Eentripetalkraft). die andere Fliehkraft
(Centrifugalkraft); aus beiden aber entsteht diejenige mittlere
Kraft, welche Schwungkraft heißt. Die Bewegung selbst wird
Kreis- oder Centralbewegung genannt. In der Welt
kommen solche Kreisbewegungen gar vielfältig vor; selbst der
Lauf der Himmelskörper, einer um den andern, der Erde um
die Sonne rc. sind solche Kreisbewegungen.
Klemmt man einen Stein in einen zusammengelegten Rie-
men, nimmt dessen Enden in die Hand und schwingt den Stein
im Kreise herum, so fällt der Stein nicht aus der Schleuder;
sobald man ihm aber eine geradlinige Bewegung giebt, die dann
natürlich eine einfache, von der Muskelkraft des Armes herrüh-
rende ist, so fliegt der Stein fort. — Künstler stellen ein Glas
mit Wasser in einen Reifen und schwingen denselben mit dem
Glase um einen Finger, ohne daß das Glas herabfällt, oder nur
ein Tropfen von der Flüssigkeit im Glase verschüttet wird. —
An den Schleifstein hängt sich vermöge der Schwungkraft und
der Anhängung des Wassers ein breiter Wassecring. — Aus
demselben Grunde bewegt sich ja auch der Koth ringförmig um
die rollenden Räder des Wagens- — Die Achse eines tan-
zenden Kreisels verharrt in der Lage, die sie zu Anfang der
Drehung erhalten hat. — Ein Hammer mit längerem Stiele
wirkt mehr als ein anderer mit kürzerem. — In den Künsten
und Gewerben macht man manche nützliche Anwendung von der
Schwungkraft.
8- 21.
Die Dogendewegung (das Pendel).
(Kdrfr. I. Anh.V. ß. 1. 11.)
Wenn wir an das Ende eines Fadens irgend ein Gewicht,
etwa eine bleierne Kugel oder einen Schlüssel, befestigen und den
Faden oben festhalten (oder am Tafelgestell hängen lassen), so
haben wir ein Pendel. Denken wir uns den Faden ohne
alles Gewicht und die Kugel als einen schweren Punkt, so haben
wir ein einfaches (mathematisches) Pendel, ist aber der Faden
oder die Stange (wie an dem Perpendikel der Wanduhr) aus
lauter schweren Punkten zusammengesetzt, ein zusammenge-
setztes (physisches).
Die Kugel des Pendels wird durch die Schwerkraft nach
dem Mittelpunkte der Erde hingezogen und bringt also den
302
Faden in eine senkrechte Richtung. Heben wir die Kugel nach
einer Seite in die Höhe, so daß der Faden stets gespannt bleibt,
und lassen sie dann los, so will sie auch alsdann sich senkrecht
bewegen, kann aber nicht, weil der Faden sie festhält; sie macht
daher eine zusammengesetzte Bewegung und kommt wieder an
den Ort ihrer Ruhe. Jetzt kann sie aber daselbst nicht ruhen,
sondern ihr Beharrungsvermögen, so wie die erlangte beschleu-
nigte Geschwindigkeit, treiben sie nach der andern Seite hin, von
wo sie auch wieder zurück muß; aber auch jetzt bleibt sie noch
nicht in Ruhe, sondern geht wieder über den Ruhepunkt weg u. s. w.
Wegen des Widerstandes der Luft und der Reibung am Auf-
hängepunkte macht sie ihre Bewegungen immer kleiner, bis sie
endlich zur Ruhe kommt. Das abwechselnde Steigen und Fallen
nennt man die Schwingungen. Die Bewegung von der
Höhe des Fallens bis zur Höhe des Steigens heißt ein einfacher
Schwung jPendelfchlag), eine Schwingung hin und her ein
ganzer oder zusammengesetzter Schwung.
Je kürzer ein Pendel iss desto mehr, je länger es ist, desto
weniger Schwingungen vollbringt es in einer bestimmten Zeit.
Macht das Pendel in jeder Sekunde nur eine Schwingung, so
heißt es ein Sekundenpendel. Man bedient sich des Pendels,
um durch dasselbe den Gang der Uhr gleichmäßig zu erhalten.
Je kürzer das Pendel ist, desto schneller, je länger es ist, desto
langsamer geht die Uhr. Die Länge des Sekundenpendels ist in
unsern Gegenden 36" S1/^" par. Da die Schwere der Körper
in Gegenden, die näher nach dem Pole zu liegen, größer ist als
derer, die weiter davon entfernt sind, so macht auch das Pendel
desto mehr Schwingungen in einerlei Zeit, je näher es dem Pole
ist, und desto weniger, je näher der Ort nach dem Aequator zu
liegt. - Auch auf hohen Bergen schwingt ein Pendel langsamer
als in der Ebene Drehte sich die Erde 17 mal schneller um
ihre Achse, so würden Schwungkraft und Schwerkraft unter dem
Aequator gleich sein, d. h. die Körper würden daselbst gar keine
Schwere haben, würden, wenn man sie in die Höhe würfe, nicht
wieder auf die Erde fallen, sondern in der Luft schweben bleiben.
tz. 22.
Die Stoßbewegung.
Legt man eine irdene Tabackspfeife so auf den Tisch, daß
der Pfeifenkopf über die Kante des Tisches hinunterhängt, und
schlägt dann mit einem Stocke oder Messerhefte kräftig und pa-
rallel mit dem Stiele gegen das Ende dieses Stieles, so fliegt in
demselben Augenblicke von dem andern Ende dör Kopf ab. —
Das Zusammentreffen zweier Körper, von denen sich
wenigstens einer bewegt, heißt Stoß. — Zur Erklärung
jener Erscheinung diene Folgendes: Wenn eine Reihe an Fäden
303
hängender, elfenbeinerner oder steinerner Kugeln einander berüh-
ren (Stoß- oder Perkussions-Maschine), und man entfernt die
letzte Kugel von der Reihe (wie beim Aufheben des Pendels) und
läßt sie dann wieder gegen jene stoßen, so fliegt die erste Kugel
von der Reihe ab; läßt man zwei dagegen stoßen, so fliegen zwei
ab rc., und dies geschieht immer in demselben Augenblicke und
mit derselben Geschwindigkeit des Anstoßens. Der Stoß braucht
gar keine Zeit, um sich durch die ganze Reihe fortzupflanzen.
Nun ist die Pfeife gleichsam als eine Meihe an einander liegen-
der, elastischer Kügelchen oder doch Theilchen anzusehen. Wäre
has letzte Theilchen loser, oder hätte es wenigstens mit dem be-
nachbarten Theilchen einen geringen Zusammenhang, so würde
es mit der Geschwindigkeit des Stoßes oder Schlages sogleich
abfliegen. Dies geschieht auch wirklich, wenn man einen bloßen
Pfeifenstiel (ohne Kopf) in der Nähe des einen Endes rings um
den Stiel herum einfeilt, so daß nur ein geringer Zusammenhang
zwischen diesem Ende und dem übrigen Stiele stattfindet, und
schlägt dann ziemlich stark an das andere Ende, so wird jenes
kleine Stück Pfeifenstiel am andern Ende abfliegen. Der Kopf
ist nur wegen seiner größeren Masse weit eher durch einen Stoß
oder Schlag von der Pfeife zu trennen, als irgend ein Theil des
Pfeifenstieles. Schlägt man also gewaltsam an das Ende des
Stieles, so pflanzt sich der Stoß bis zum Kopfe hin fort, bleibt
da gleichsam hasten und trennt so den Kopf von dem Stiele. —
Wenn man mit einem Hammer auf einen Amboß schlägt, der
auf einem elastischen Körper ruht, so springt er beinahe mit der
nämlichen Geschwindigkeit wieder in die Höhe, mit welcher er
niedersiek. Daher können manche Menschen sich einen schweren
Amboß auf die Brust oder auf den Bauch setzen und auf dem-
selben Eisen schmieden lassen, wenn sie sich so auf den Rücken legen,
daß der Theil, auf welchem der Amboß ruht, nicht unterstützt
ist. — Trifft ein bewegter elastischer Körper eine unbewegliche,
harte oder elastische Ebene, so springt er von dieser unter einem
eben so _ großen Winkel zurück, als der ist, unter dem er sie
trifft, wie man dies besonders beim Billardspiele bemerken kann.
§. 23.
Die Hindernisse der Dewegung.
Die Kugel wird in ihrer Bewegung auf der Kegelbahn ge-
hindert durch den Hammerschlag oder das Brett, auf wechem sie
sich reiben muß, und durch den Widerstand der Luft (abgesehen
von der Anziehungskraft der Erde). Das Pendel wird in seiner
Bewegung aufgehalten durch die Steifigkeit des Fadens oder
Strickes. Die Reibung, den Widerstand des Mittels
und die Unbiegsamkeit oder Steifigkeit der Stricke rech-
net man in der Naturlehre vorzugsweise zu den Hindernissen
304
der Bewegung. Vorzüglich wichtig sind die beiden ersteren,
weil sie bei jeder Bewegung entweder einzeln oder gemeinschaft-
lich derselben hindernd in den Weg treten.
Die Reibung (Friction) ist die Folge der bei jeder noch
so glatten Fläche stattfindenden Erhöhungen und Vertiefungen.
Wird ein Körper über einen andern fortbewegt, so füllen gleich-
sam die Erhabenheiten des einen die Vertiefungen des andern
aus, wodurch, indem sich jene aus diesen herausheben, die Be-
wegung langsamer werden muß und endlich sogar aufhören kann.
Man vermeidet sie möglichst durch Glätten oder Poliren der
Körper, durch Ausfüllen der Vertiefungen mit Oel, Fett, Wasser
(die Wagenräder z. B. werden mit Theer, Fett rc. eingeschmiert)
und durch Verwandlung der schleifenden Bewegung in eine rol-
lende, indem man 5. B. große Lasten auf Walzen oder Kugeln
fortbewegt, wodurch die Berührung in wenigeren Punkten statt-
findet. Oft ist uns die Reibung auch sehr nützlich, und wir
vermehren sie deshalb absichtlich.
Durch die Hemmschuhe an den Frachtwagen im Gebirge
wird die rollende oder wälzende Bewegung in eine gleitende oder
schleifende verwandelt. Ohne Reibung könnten wir nicht gehen,
nichts halten weder mit der Hand noch mit der Zange, auch
nicht einmal fest stehen, so wie ohne Reibung kein Pack mit
Stricken festgebunden werden könnte, alle Gegenstände auf der
Straße durch den Wind fortbewegt und Steine von den Ab-
hängen der Berge leicht herunter gerollt werden würden.
Im Wasser geht sich's schwerer als in der Luft; beim
schnellen Laufen fühlen wir den Widerstand der Luft, während
er beim langsamen Gehen fast unmerklich ist; die Schiffe laufen
an den Enden spitz zu, um den Widerstand des Wassers zu
theilen; der in der Athmosphäre fallende Körper kommt später
zur Erde, als lder im luftleeren Raume. — Die Luft und das
Wasser werden einem in ihnen sich bewegenden Körper dadurch
ein Hinderniß, daß sie von ihm erst auf die Seite geschoben
werden müssen, ehe er vorwärts kommen kann, und dadurch seine
Geschwindigkeit mindern. Dieses Hinderniß, ausgeübt von einem
flüssigen oder luftförmigen Körper auf den in ihm sich bewegen-
den Körper, heißt der Widerstand des Mittels. Dieser
Widerstand ist desto größer, je dichter das Mittel, je schneller der
Körper sich bewegt und je größer die das Mittel zertheilende
Fläche ist. Auch der Widerstand des Mittels ist uns oft nütz-
lich, z. B. beim Schwimmen, Rudern, beim Fliegen der Vögel,
beim Fallschirme rc.
Die Steifigkeit der Stricke ist überall, wo Rollen vor-
kommen, ein Hinderniß der Bewegung.
305
111. Ruhe und Bewegung fester Körper.
(Kdrsr.!. Anh. V. §. 2.)
§. 24.
Der Schwerpunkt.
(Kdrsr. I. Anh. V. 8.2. 1.) x
Schiebt man ein Pineal auf der Spitze eines senkrechten
Stiftes lange genug hin und her, so findet man endlich den
Punkt, auf welchem es vollkommen wagrecht schwebt oder sich
im Gleichgewichte erhalt. Bei einer gleichmäßig gearbeiteten
Kreisscheibe liegt dieser Punkt im Mittelpunkte, bei einer vier-
eckigen in Form eines Parallelogramms im Durchschnittspunkte
beider Diagonalen, bei einer dreieckigen im Durchschnittspunkte
der von zwei Winkeln nach den Halbirungspunkten der Gegen-
seiten gezogenen Linien. So kann man auch einen Spazierstock
auf der Fingerspitze senkrecht im Gleichgewicht erhalten. Leute,
die im Balanciren geübt sind, können zuweilen die verschiedenar-
tigsten Dinge übereinandergesetzt auf Stirn, Nase, Kinn rc. ba-
lanciren.
Wenn ein Theil eines festen Körpers in Bewegung gesetzt
wird, so geräth der ganze Körper in Bewegung vermöge des Zu-
sammenhanges seiner Theile; folglich wird auch der ganze Körper
in Ruhe gehalten, wenn ein Theil desselben unbewegt ist. Man
kann daher einen festen Körper hindern zu fallen, wenn man
einen Theil desselben auf irgend eine Act zurückhält. Jede
äußere Zurückhaltung aber läuft am Ende auf eine gänzliche
oder theilweise Unterstützung hinaus. Diese braucht nur an einer
einzigen Stelle, in einem einzigen Punkte angebracht zu werden;
doch ist es nicht gleichgültig, auf welche Art und in welchem
Punkte. Hängt man den Körper auf, so kann das Band, das
ihn zurückhält, an jeder Stelle befestigt sein, insofern es nur
darauf ankommt, daß er nicht falle. Soll er aber auf einer
stehenden Unterlage frei ruhen, so muß der Unterstützungspunkt
so gewählt werden, daß die Theile, die auf entgegengesetzten Sei-
ten desselben liegen, einander im Gleichgewichte halten. Als-
dann kann der Körper sich auf keine Seite neigen, ohne die ent-
gegenstehende in die Höhe zu heben, und da diese ein gleiches
Bestreben äußert, so heben ihre Wirkungen einander auf, und
der Körper bleibt in Ruhe. Ist ein Körper nur in einem ein-
zigen Punkte unterstützt, so muß die Unterlage unstreitig das
ganze Gewicht desselben tragen. Es ist daher eben so, als ob
sein ganzes Gewicht, in einem einzigen Punkte vereinigt, darüber
läge; diesen Punkt nennt man den Schwerpunkt. Der
Pkchner, Handb. 3.Theil. 20
306
Schwerpunkt ist derjenige Punkt, in welchem man sich
das ganze Gewicht eines Körpers vereinigt denkt.
Der Mittelpunkt der Schwere darf nicht mit dem Mittel-
punkte der Größe verwechselt werden. Nur bei Körpern, die eine
überall gleiche Dichtigkeit besitzen, fallen beide Punkte zusammen.
Ein ausgeblasenes Ei, in welches etwas Quecksilber gefüllt ist,
laßt sich daher leicht auf die Spitze stellen, weil in ihm der
Schwerpunkt fast ganz unten liegt. Der Schwerpunkt befindet
sich auch nicht immer im Körper selbst, sondern zuweilen in dem
Raume, welchen er umschließt, z. B. bei Ringen, Reifen, offnen
oder durchbohrten Cylindern, Triangeln rc. Ist die Gestalt eines
Körpers veränderlich, wie bei Menschen und Thieren, so verharrt
auch der Schwerpunkt nicht immer in einerlei Lage. Bei einem
Menschen, der fehlerfrei gebildet ist, aufrecht steht und beide
Hände herabhangen läßt, liegt er ungefähr in der Mitte zwischen
beiden Hüftknochen.
Liegt die Unterstützung eines Körpers gerade unter seinem
Schwerpunkte, so wird der Körper zwar nicht fallen; wenn sie
aber so beschaffen ist, daß ihn eine kleine Neigung oder irgend
eine äußere Veranlassung jz. B. Stoß, Luftbewegung rc.) aus
der Richtung der Unterstützung herausbringt, so ist der Körper
in Gefahr umzufallen. Will man dies verhindern, so muß man
die Unterstützungsfläche vergrößern. Es ist dabei nicht nöthig,
daß der Schwerpunkt selbst unterstützt sei, sondern es ist genug,
wenn die Theile um ihn her so unterstützt sind, daß die Scheitel-
oder Fall-Linie durch denselben innerhalb der Unterstützungsfläche
falle. Wir stellen z. B. die Beine weit aus einander, wenn wir
fest stehen wollen; .Seeleute und Fechter stehen bei ihren Ge-
schäften mit ausgespreizten Beinen.
Je näher der Schwerpunkt über dem Unterstützungspunkte
liegt, desto sicherer steht der Körper. — Ein hoch beladener Wagen
fällt leichter um als ein niedrig beladener. — Wenn beim Fahren
ein Wagen umzufallen droht, muß man nicht aufstehen, denn
dadurch wird der Schwerpunkt des Ganzen gehoben. — Pyra-
miden und Kegel stehen fester als Prismen und Cylinder; denn
bei jenen ist der Schwerpunkt 1/i der Höhe, bei diesen 1/2 der-
selben von der Grundfläche entfernt. — Der 300' hohe Thurm
zu Pisa liegt 12', und der 130' hohe zu Bologna 9' über, und
beide stehen fest.
Leichte und kurze Körper lassen sich übler balanciren als
schwere und lange: leichte, weil wir bei ihnen die Stelle des
Schwerpunktes nicht gut bemerken; kurze, weil ihr Schwer-
punkt, wenn er anfängt zu fallen, einen Bogen von allzu gerin-
gem Halbmesser beschreibt und uns daher nur wenig Zeit ver-
stattet, die Grundfläche unterzuschieben und das Umschlagen zu
verhüten. Eine Stecknadel zu balanciren, dürfte vielleicht Nie-
307
mand im Stande sein. Ein Degen ist auf der Spitze leichter zu
balanciren als auf dem Knopfe.
Bringt man die Unterstützung irgendwo gerade über dem
Schwerpunkte an, so kann der Körper eben so wenig fallen;
denn die Unterstützung wirkt der Kraft des Schwerpunktes gerade
entgegen und hebt sie daher auf. Wird sie aber zur Seite ange-
bracht, so fallt der Schwerpunkt und mit ihm der ganze Körper,
wofern nicht die Unterstützung so beschaffen ist, daß sie den Körper
zurückhalt. Alsdann senkt sich der Schwerpunkt bis unter den
Aushängungspunkt.
Nicht bloß bei ruhenden, sondern auch bei bewegten Körpern
kommt viel auf ihren Schwerpunkt an. Die Wirkung eines
Körpers ist nämlich unter übrigens gleichen Umständen am größ-
ten, wenn er mit seinem Schwerpunkte auf den andern Körper
trifft. Da nämlich die Wirksamkeit eines Körpers zum Theil
von seiner Masse abhängt, und diese sich im Schwerpunkte
gleichsam vereinigt hat, so ist sie hier größer als in jedem andern
Theile. — Ein Balken, der uns auf den Fuß fällt, schadet mehr,
wenn uns die Mitte, als wenn uns bei gleicher Geschwindig-
keit das Ende desselben trifft.
tz 25.
Der Hebel.
lKdrfr. I. Anh.V. A.2. 2.)
Will der Fuhrmann ein Rad abziehen von seinem beladenen
Wagen, so stellt er eine starke Stange, Hebebaum genannt, mit
dem einen Ende unter den Wagen, legt das andere auf seine
Schulter und bebt so den Wagen in die Höhe. Wegen dieser
Anwendung nennt man den Hebebaum und alle ähnliche Werk-
zeuge Hebel und versteht darunter einen unbiegsamen Stab,
der in irgend einem Punkte unterstützt und an zwei
andern Punkten mit Gewichten versehen ist, die das
Bestreben haben, ihn nach entgegengesetzten Richtun-
gen zu drehen. Denkt man sich statt des Stabes eine schwer-
lose Linie, statt der Gewichte allgemeine Kräfte B. die Schwer-
kraft, Muskelkraft rc.), so hat man den mathematischen oder
einfachen Hebel, von dem die nachfolgenden Gesetze gelten;
jener oben beschriebene aber ist ein physischer oder zusammenge-
setzter Hebel. Die beiden Kräfte am Hebel werden unterschie-
den durch die Ausdrücke Kraft und Last Widerstand). Bei
jedem Hebel sind drei Punkte zu merken: der Unterstützungs-
oder Drehpunkt und die Angriffspunkte der Kraft und
der Last. Die Lage dieser drei Punkte bestimmt es, ob der
Hebel ein einarmiger oder zweiarmiger heißt; bei jenem liegen
die beiden Angriffspunkte auf einer und derselben Seite, bei diesem
20*
308
auf entgegengesetzten Seiten des Drehpunktes. Da aber beim
einarmigen Heb ' die Last näher oder entfernter vom Drehpunkte
wirken kann als die Kraft, so ist er in dieser Beziehung doppel-
ter Art. Man unterscheidet daher Hebel erster lFig. 1.), zwei-
ter (Fig. 2.) und dritter Art lFig-3.), je nachdem sich der
Drehpunkt zwischen den beiden Angriffspunkten, oder der An-
griffspunkt der Last zwischen dem Drehpunkte und dem Angriffs-
punkte der Kraft, oder endlich der Angriffspunkt der Kraft
zwischen jenen beiden befindet.
Bei einem zweiarmigen Hebel (Fig. 1.) wirken Kraft und
Last nach einer und derselben, bei einem einarmigen (Fig. 2. u. 3.)
immer nach entgegengesetzten Seiten hin; denn nur auf diese
Weise kann in den Armen eine Drehung nach entgegengesetzten
Seiten entstehen. Im andern Falle würden Kraft und Last sich
nur gegenseitig unterstützen, statt gegen einander zu wirken.
Die Arme eines Hebels können gerade oder krumme Linien
oder einen Winkel bilden, in welchem letzteren Falle der Dreh-
punkt im Scheitelpunkte des Winkels liegt; daher unterscheidet
man geradlinige, krummlinige und Winkehhebel. Die
Kräfte können bei dem geradlinigen und Winkelhebel senkrecht
oder schief auf die Hebelsarme wirken.
Diejenige gerade Linie, welcke man sich vom Drehpunkte
senkrecht auf die Richtung der Kraft oder Last gezogen denkt,
heißt die Entfernung der Kraft oder der Last vom Drehpunkte.
Wirken die Kräfte senkrecht auf die Hebelsarme, so stellen diese
selbst die Entfernungen dar. Die Produkte aus den Kräften
und ihren Entfernungen vom Drehpunkte heißen die statischen
Momente.
Bei allen Arten von Hebeln gilt ohne Unterschied das Gesetz:
Der Hebel ist im Gleichgewichte, wenn sich Kraft und Last um-
gekehrt zu einander verhalten, wie ihre Entfernungen vom Dreh-
punkte, oder, was dasselbe ist, indem es aus dieser Proportion
folgt (K, d. h. große Kraft, zu J, d. h. kleine Last, — e, d. h.
kleine Entfernung, zu E, d. h. große Entfernung, also K : 1 e : E.
In jeder geometischen Proportion ist das Produkt der äußern
Glieder gleich dem Produkte der innern, also hier KE — le,
d. h. die Kpaft, multiplicirt mit ihrer Entfernung, ist gleich der
Last, multiplstict mit ihrer Entfernung). Der Hebel ist im
Gleichgewichte, wenn die statischen Momente gleich
sind. Geschieht diesem Grundgesetze kein Genüge, so findet eine
Bewegung statt. Die Last steigt oder fällt, je nachdem die Kraft
größer oder kleiner ist, als das Gleichgewichtsgesetz sie erfordert.
Bei dieser Bewegung beschreiben die Angriffspunkte der Kräfte
Kreislinien um den Drehpunkt, und je nachdem die Hebelsarme,
als die Radien dieser Kreislinien, gleich oder ungleich sind, werden
die Angriffspunkte sich mit gleicher oder ungleicher Geschwindig-
keit bewegen. Ihre Geschwindigkeiten stehen im geraden Ver-
309
Haltnisse der Hebelsarme, d. h. je langer der Hebelsarm, desto
geschwinder bewegt sich die an ihm wirkende Kraft.
Der zweiarmige Hebel heißt gleicharmig, wenn Last
und Kraft in gleichen Entfernungen vom Drehpunkte wirken, wie
z. B. an der gewöhnlichen Kaufmannswage, der Pede oder
Wassertrage, der Bracke oder Wage am Wagen :c. Er ist im
Gleichgewichte, wenn Last und Kraft einander gleich
sind. Die Last kann hier nur durch eine Kraft, die größer ist
als die Last, gehoben werden. Da aber dann Kraft und Last
in gleichen Zeiten gleiche Raume durchlaufen, so haben sie gleiche
Geschwindigkeiten. Wenn das Gleichgewicht eine 'Kraft verlangt,
die kleiner ist als die Last, so sagt man^ es sei ein mechani-
scher Vortheil vorhanden, wenn aber bei stattfindender Bewe-
gung die Kraft einen größeren Weg zurücklegen muß als die
Last, so nennt man das einen mechanischen Nachtheil. Beide
sind unzertrennlich; je größer der mechanische Vortheil, desto
größer ist auch der mechanische Nachtheil. Beim gleicharmigen
Hebel ist keiner von beiden vorhanden.
Soll bei einem ungleicharmigen Hebel, wie z. B. bei
einer Schnellwage — auch römische Wage*) tFig. 4.; in neuerer
Zeit hat man verschiedene andere Schnellwagen erfunden), Bese-
mer, Desener oder Jnzert (Fig. 5.) genannt — Schere, Zange,
Klappe an Blasinstrumenten, Klavis am Flügel, Steuerruder,
Pumpenschwengel, Schlagbaum w. ein Gleichgewicht stattfin-
den, so muß das Gewicht an dem längeren Arme um so
vielmal leichter sein als das an dem kürzeren Arme,
um so vielmal seine Länge die Länge des kürzeren Ar-
mes übertrifft. Wir ersparen also durch den ungleicharmigen
Hebel nur dann an Kraft, wenn diese am längeren Arme wirkt.
Ist z. B. der kürzere Arm, an dem die Last wirkt, 3' lang, der
längere, an dem die Kraft wirkt, >5' so übertrifft der längere
den kürzeren 3 mal; die Kraft kann also 3 mal kleiner sein als
die Last, um ihr das Gleichgewicht zu halten. Mittelst eines
solchen Hebels kann daher ein schwaches Kind zuweilen eine
große Last, ein starker Mann aber eine kleine Last nicht heben,
wenn nämlich in letzterem Falle die Kraft am kurzen Hebelsarme
wirkt.
Bei Hebeln zweiter Art wirkt die Kraft immer entfern-
ter vom Drehpunkte als die Last; daher wird hier immer an
Kraft gespart, aber auch an Weg und Zeit zugesetzt. Dergleichen
Hebel sind Schubkarren, Schlüssel rc. Tragen zwei Personen
eine Last auf einem Stabe, so sind eigentlich zwei Hebel zu be-
trachten, und die Hand oder Schulter der einen Person ist der
Drehpunkt für den Hebel der andern; sind dabei die Personen
*) Bei der rom. W. ist das Gewicht oder der Läufer, beim Bese-
mer der Drehpunkt beweglich.
310
ungleich stark; so muß die Last so aufgehängt werden, daß ihre
Entfernungen vom Angriffspunkte der Personen sich umgekehrt
verhalten wie die Stärke derselben.
Hebel dritter Art, wie Schreibfedern, Bleistifte, Pinsel
(der Daumen ist der Drehpunkt, Zeige- und Mittelfinger wirken
als Kraft, die Reibung auf der Fläche ist die Last), Sehnen und
Muskeln rc. wendet man da an, wo Kraft genug vorhanden ist
und eine schnelle Bewegung hervorgebracht werden soll, indem
hier immer die Kraft näher am Drehpunkte wirkt als die Last.
Kraftersparniß kann also hei diesen Hebeln nicht vorkommen,
Der Winkelhebel, wie die Thürklinke, das Klingelgerüst,
der Hammer, indem man mit ihm einen Nagel auszieht, das
Steuerruder rc. ist ein Hebel erster Art.
§. 26.
Die Nolle und der Flaschenzug.
(Kdrfr.I. Anh.V. 8.2. 3.)
Zugvieh zieht eine Last am stärksten wagrecht; Menschen
können zwar nach allen Richtungen, am stärksten aber von oben
nach unten ziehen, weil ihnen dabei das Gewicht ihres Körpers
zu Hülse kommt. Sollen Lasten in einer andern Richtung be-
wegt werden, als es den bewegenden Kräften bequem ist. sollen
z. B. Menschen eine Last von unten nach oben bringen, so wen-
det man Rollen an. Eine Rolle ist eine Scheibe aus
fester Masse (Holz, Metall rc.) mit einem rinnenförmig
ausgehöhlten Rande, in welchen man ein Seil (eine
Schnur oder Kette rc.) legt, dessen Enden mit Gewichten
versehen, oft aber auch irgendwo befestigt werden.
Wenn sich die Rolle um ihren festen Mittelpunkt bewegt,
und die Schnur über sie hinweggehend, auf beiden Seiten herab-
hängt, so heißt sie eine feste oder un bewegliche Rolle (Fig. 6.).
Der Drehpunkt ist der Mittelpunkt, Kraft und Last wirken gleich-
sam an den Enden des wagrechten Durchmessers*), sind also jede
um den Halbmesser vom Drehpunkte entfernt. Eine solche
Rolle ist offenbar ein zweiarmiger, gleicharmiger Hebel und kann
mithin nicht zur Ersparniß an Zeit und Kraft dienen; ihr großer
Vortheil besteht aber darin, daß man durch sie eine Kraft in je-
der beliebigen Richtung wirken lassen kann, weshalb man sie
auch Richtungsrolle nennt. Sie kommt vor an der ge-
wöhnlichen Ramm-Maschine, an manchen Kronleuchtern, Straßen-
laternen rc.
Hängt die Rolle in der Schnur, so daß das eine Ende der-
selben irgendwo befestigt ist, am andern Ende die Kraft hinauf,
*) S. meine Raumlehre Thl. l. S. 162.
311
wahrend im Mittelpunkte die Last herabzieht, so heißt sie eine be-
wegliche Rolle ($ig. 7.). Eine solche Rolle ist ein einarmiger
Hebel, dessen Drehpunkt ein Punkt des Umfanges ist. Die Last
ist um den Halbmesser, die Kraft um den Durchmesser vom
Drehpunkte entfernt; das Gleichgewicht erfordert mithin eine
Kraft, welche die Hälfte der Last beträgt, und man spart also
durch die bewegliche Rolle die Hälfte der Kraft. Soll die be-
wegliche Rolle <Fig. 8.) mit der Last 1' in die Hohe, so müssen
sich die Stricke a und b auf jeder Seite 1' verkürzen, die Kraft
also in e um 2' herabsinken. Die unbewegliche Rotte dient bloß
als Leitscheibe zur senkrechten Richtung der Kraft. Während die
Hälfte der Kraft gespart wird, geht doppelt so viel Zeit verloren.
Die bewegliche Rolle kommt z. B. an Laternen vor, die frei
über der Straße hängen.
Verbindet man mehrere bewegliche Rollen mit einander, daß
sich dieselben mit der Last in die Höhe bewegen, während eine
oder mehrere unbewegliche Rollen, in der Höhe angebracht, zur
Leitung der Kraft dienen, so hat man einen Flaschenzug. Wir
heben hier nur den Potenzenflaschenzug und den gemeinen Fla-
schenzug heraus.
Der Potenzenflaschenzug (Fig. 0.) hat nur eine unbe-
wegliche Rolle und mehrere (bec unsre 3) bewegliche Rollen. Die
Last L hängt an der Rolle 1, die auf einem Seile ruht, das mit
einem Ende oben, mit dem andern an den Mittelpunkt der Rolle 2
befestigt ist. Das Seil der Rolle 2 ist ebenfalls mit einem
Ende oben, mit dem andern an Rolle 3 befestigt. Das Seil
der Rolle 3 ist zwar auch mit einem Ende oben befestigt, geht
aber mit mit dem andern Ende über die unbewegliche Rolle, an
der K als Kraft wirkt. Nach dem obigen wird durch jede be-
wegliche Rolle die Last um die Hälfte erleichtert. Ist also die
Last — 800 Pfd., so wirken an Rolle 2 nur 400, an Rolle 3
nur 200, und da auch diese die Last um die Hälfte erleichtert,
an der unbeweglichen Rolle nur noch 100 Pfd., mit welchem die
Kraft X das Gleichgewicht halten muß. Hieraus folgt, daß man
die Kraft findet, welche der Last das Gleichgewicht hält, wenn
man die Last so viel mal durch 2 dividirt, als bewegliche Rollen
da sind, oder, was gleich viel ist, 2 so vielmal mit sich selbst
multiplicirt, als bewegliche Rollen vorhanden sind, und mit dem
Produkte in die Last dividirt, nämlich —*^ — ioo.
. 2X2X2 8
Steigt Rolle I mit der Last I', so wird das Seil a um 1'
verkürzt, b um 1' verlängert, Rolle 2 aber steigt um 2'; das
Seil v wird also um 2' verkürzt, d um 2' verlängert, folglich
mus? Rolle 3 um 4' steigen; dazu ist aber erforderlich, daß sich
die Seile e und f jedes um 4' verkürzen, und die Kraft sich um
8' abwärts bewege. Wir finden also, um wie vielmal die Ge-
schwindigkeit der Last von der Geschwindigkeit der Kraft über-
312
troffen wird, wenn wir 2 so oftmal mit sich selbst multipliciren,
als bewegliche Rollen da sind. 2X2X2 —8.
Der gemeine Flaschenzuq fFig. 10.) besteht aus zwei
Kloben, d. h. Gehäusen oder Hülsen, in deren einem sich beweg-
liche, in dem andern unbewegliche Rollen über oder neben einan-
der gewöhnlich in gleicher Anzahl befinden. Es fällt in die Au-
gen, daß, da die Last in der Mitte an den Seilen der beweglichen
Rollen hängt, sich die Last auch in die Zahl dieser Seile gleich
vertheilen muß Da aber jede Rolle in zweien dieser Seile
hängt, so kommt auf jede derselben zweimal soviel Last als auf
ein Seil. Man findet also die Kraft, welche der Last das Gleich-
gewicht hält, wenn man mit der Zahl der Seile an den beweg-
lichen Rollen in die Last dividirt. Ist die Last 600 Pfd., die Zahl
™ „ 600 600
der beweglichen Rollen 3, fo ist die Kraft ~ iooPfd.
— Soll beim gemeinen Flaschenzuge die Last um 1' steigen, so
muß sich jedes Seil an den beweglichen Rollen um 1' verkürzen»
folglich muß die Kraft so vielmal 1' zurücklegen, als die bewegli-
chen Rollen Seile haben (ein Theil des ganzen Seiles, der von
einer Rolle bis an die andere geht, ist hierbei für ein Seil ge-
rechnet). Ist die Zahl der Rollen 3, die Zahl der Seile also
2X3, so ist die Geschwindigkeit der Kraft — 6, d. h. die Kraft
muß 6' herabsinken, wenn die Last 1' (leiten soll.
Der Potenzenflaschenzug wird nur gebraucht, wo man schon
durch eine geringe Hebung der Last bestimmte Zwecke erreicht,
z. B. auf Schiffen; überall, wo Lasten auf größere Höhen
gehoben werden sollen, benutzt man den gemeinen Flaschen-
zug, z. B. beim Aufbringen der Baumaterialien auf hohe Ge-
bäude, in Getreidemagazinen rc.
§- 27.
Aas Rad an der Welle, das gezahnte Nad und die gezahnte
Stange, das Räderwerk und der Kranich.
<Kdrfr. I. Anh. V. §. 2. 3.)
Durch eine unbewegliche Rolle wird zwar weder Kraft noch
Zeit gespart, wohl aber durch eine Verbindung zweier unbewegli-
cher Rollen. Verbindet man nämlich zwei ungleich große unbe-
wegliche Rollen (Fig. N.) so mit einander, daß sie einen und
denselben Mittelpunkt haben und fest an einander gemacht sind,
und läßt man die Last, an einem Seile hängend, an dem Um-
fange der kleineren Rolle, die Kraft aber an dem Umfange der größe-
ren Rolle, der Last entgegengesetzt, wirken, so hat man einen zwei-
armigen ungleicharmigen Hebel. Denkt man sich nun statt der
313
kleinen Rolle eine Walze, statt der großen ein Rad, welches mit
jener fest verbunden ist und auf ihm senkrecht steht, so daß die
Achse der Walze durch den Mittelpunkt des Rades geht, so nennt
man diese Verbindung ein Rad an der Welle (Fig. >2.). Die
Last hängt an einem Seile, welches um die Welle herumge-
schlungen ist, die Kraft, durch Menschen, Thiere, Waffer, Wind
k. ausgeübt, wirkt am Umfange des Rades (innerhalb, außer-
halb oder auf dessen Rande) oder an den statt des Rades ge-
brauchten Sprossen. Speichen oder Hebeln, von denen die gera-
den Triebstöcke, die gebogenen Kurbeln heißen. Das Rad an
der Welle heißt Haspel, wenn die Welle wagrecht liegt, das
Rad also senkrecht steht, wie bei Spinnrädern, Rad-, Kreuz-
und Hornhaspeln (je nachdem die Kraft an einem Rade, an
Speichen oder an einer Kurbel wirkt), bei Wind- und Wasser-
mühlen, Brunnen, Schachten, Schleifsteinen rc. — Erdwinde,
wenn das Umgekehrte stattfindet, wie bei der Bäckerwinde, der
gemeinen Erdwinde (Fig. 13. ), Treträdern, Tretscheiben rc.
Gezahnte Räder sind Räder, auf deren Umfange sich Ver-
tiefungen und Hervorragungen in immer gleichen Entfernungen
befinden. Diese Hervorragungen heißen Zähne. Werden zwei
gezahnte Räder so gestellt, daß die Zähne des einen in die Ver-
tiefungen des andern eingreifen können, so setzt das eine in Be-
wegung gebrachte Rad auch das andere in Bewegung. Ein Glei-
ches findet statt, wenn ein gezahntes Rad und eine gezahnte
Stange wie bei der Fuhrmannswinde (Fig. 14.) und an den
Schirmlampen, in einander greifen. Eine Vereinigung von ge-
zahnten Rädern und gezahnten Stangen heitzt ein Räderwerk.
Befinden sich dabei an ein und derselben Achse oder Welle zwei
ungleich große gezahnte Räder, so heißt das größere vorzugsweise
das Rad und seine Zähne Zähne schlechtweg, das kleinere aber
Getriebe und seine Zähne Triebstöcke. Beispiele sind die
Räderwerke in Uhren, Mühlen und anderen Maschinen. Bringt
man mehrere Paare von Rädern und Getrieben so an einander,
daß immer ein Rad in das nächste Getriebe eingreift, so bewirkt
ein solches Räderwerk eine große Krastersparniß und eine große
Geschwindigkeit der Bewegung.
Der Kranich oder Krähn ist eine Maschine, die aus ei-
nem Flaschenzuge besteht, welcher mittelst eines Räderwerkes be-
wegt wird. Man findet ihn in Maschinenbauanstalten, auf Seeschif-
fen und in Häfen, wo große Lasten aus- und eingeladen werden.
Er hat die doppelte Bestimmung, mit Krastersparniß Lasten zu
heben und mittelst seines beweglichen Armes oder Zapfens, in wel-
chem er sich dreht, seitwärts zu bewegen. sFig. 15.)
314
§. 28.
Die schiefe Ebene, der Keil und die Schraube.
Fuhrleute, Schiffer oder auch andere Leute legen, wenn sie
z. B. Fässer, Steine rc. auf ihre Fahrzeuge, oder von denselben
herunter bringen wollen, ein Brett oder ein Paar Bäume, die
wie eine Leiter s Schrotleiter) verbunden sind, in schräger Rich-
tung an, um Kraft zu sparen. Wie sie ihren Zweck erreichen,
soll folgende Untersuchung lehren: Legt man eine Schiefertafel
auf den Tisch, stellt auf diese ein Dintenfaß und hebt dann die
Tafel an einer schmalen Seite in die Höhe, so bildet die Tafel
einen Winkel mit dem Tische, welchen man den Neigungs-
winkel nennt. Je größer dieser ist, oder je mehr ich die Tafel
aufhebe, desto schneller gleitet das Dintenfaß von der Tafel
herab, ja wenn zuletzt die Tafel vollkommen senkrecht steht, bei-
nahe mit einer Geschwindigkeit wie beim freien Falle. Jede
gegen den Horizont geneigte, oder, was dasselbe ist,
jede mit der Richtung der Schwere einen Winkel bil-
dende Ebene heißt eine schiefe Ebene sFig. 16 ). Den
senkrechten Durchschnitt einer schiefen Ebene stellt ein Dreieck
ABC vor, dessen wagrechte Kathete*) die Grundlinie oder
Basis AB, die senkrechte die Höhe CB, die Hypothenuse die
Länge AC, so wie der an der Grundlinie liegende spitze Winkel x
der Neigungswinkel der schiefen Ebene heißt. Wenn alle
Reibung weggedacht wird, so muß ein auf eine schiefe Ebene ge-
legter Körper herabfallen, da der Schwerpunkt c nicht unterstützt
ist, zugleich aber auch auf die schiefe Ebene drücken. Die Kraft
ca, mit welcher der Körper frei fallen würde, theilt sich hier
gleichsam in zwei Seitenkräfte, von denen die eine cd den Kör-
per an die schiefe Ebene andrückt, die andere aber cd ihn auf
derselben herabtreibt. Soll er also genöthigt werden, auf irgend
einem Orre der schiefen Ebene ruhig zu verharren, so muß ihm
eine Kraft entgegen gestellt werden, die sich zu seinem absoluten
Gewichte verhält, wie die Höhe CB jene Ebene zur Länge AC
derselben (wie dies aus der Ähnlichkeit der Dreiecke cda und
ABC hervorgeht), oder der sovielte Theil von seinem Gewichte,
als so oft die Höhe in der Länge der schiefen Ebene enthalten
ist. — Legt man z. B. auf einen Wagen von 3' Höhe eine
Schrotleiter von 12' Länge, so kann eine Last von 12, 24,
36 Etr- mit 3, 6, 9 ins Gleichgewicht gesetzt werden. Eine Last
die nur vier gleich starke Männer zu heben im Stande sind,
kann mittelst dieser schiefen Ebene schon einer von ihnen zu der
verlangten Höhe bringen.
Der Keil wird zum Spalten der Körper, zum Aneinander-
*) Bergt, meine Raumlehre Th. I. S. 134.
315
drücken, Festhalten, Auspressen der Flüssigkeiten, auch zum He-
ben von Lasten rc. gebraucht. Messer, Beile, Aerte, Scheren,
Schwerter, Pflüge, Nägel, Zahne rc. sind Keile. Man kann den
Keil als ein Prisma ansehen, das aus zwei geneigten Ebenen
besteht, deren Grundflächen in einander fallen. Je schmaler der
Rücken ist, desto leichter dringt der Keil ein; aber je leichter er
sich eintreiben laßt, desto schmaler ist der Spalt. Indem ec
nämlich um seine ganze Seite eingepreßt wird, treten die Kör-
pertheile erst um die Breite seines Rückens auseinander.
Die Schraube ist eine schmale schiefe Ebene, um einen Cy-
linder in die Höhe gewunden, der sich in der ähnlichen cylindri-
schen Höhlung eines andern Körpers bewegt. Legt man das
rechtwinklige Dreieck abc (Fig. 17.), dessen Grundlinie bc genau
dem Umfange des Cylinders gleich ist, so um denselben, daß bc
den Umfang des Kreises deckt (Man schneide ein solches Dreieck
aus Papier und lege es um eine Federbüchse); so zieht sich die
Hypothenuse ba schief am Cylinder heraus, wie BUA, welche
krumme Linie ein Schraubengang heißt. Schließt sich an die-
sen Schraubengang ein zweiter, ihm ganz gleicher/ an diesen ein
dritter rc., so entsteht dadurch eine Schraubenlinie, unter de-
ren Neigung man den Winkel abe, so wie unter der Höhe ei-
nes Schraubenganges die AK — ab versteht. Werden auf der
Schraubenlinie Hervorragungen angebracht, so erhält man die
Sehraübenspindel; wird sie aber in einer cylindrischen Höh-
lung vertieft, die Schraubenmutter. Berücksichtigt man die
Reibung nicht, welche gerade bei der Schraube sehr groß ist, so
verhält sich hier die Kraft zur Last, wie die Höbe eines Schrau-
benganges zum Umfange der Spindel. Nun läßt man aber die
Kraft gewöhnlich an einem Hebelsarme (Schraubenschlüssel, Preß-
bengel) wirken, wodurch die nöthige Kraft noch so vielmal ver-
kleinert wird, als der Hebelsarm den Halbmesser der Spindel
an Länge übertrifft. Angewendet wird die Schraube bei Buch-
drucker^, Buchbinder-, Wein-, Del-, Münzpressen rc. ferner
zur Befestigung an Gewehren, Wagen, Thürschlössern, Uhren
und andern Jstrumenten, beim Unterschwellen alter Häuser rc.
Eine Schraube ohne Ende besteht aus einer Spindel mit
einigen Schraubengängen, deren Hervorragungen, wenn sie ge-
dreht wird, ein gezahntes Rad in Bewegung setzen. Sie wird
gebraucht, sanfte Bewegungen hervorzubringen, auch andere In-
strumente genau zu stellen.
316
IV. Bewegung und Gleichgewicht flüssiger
Körper.
(Kdrft.!. Anh.v. 8.3. u. Hdb. U. S. 19.)
ß. 29.
Die tropfbar flüssigen Körper überhaupt.
Gießt man Wasser oder irgend eine andere Flüssigkeit auf
den Tisch oder auf eine schief gehaltene Schiefertafel, so zerfließt
es auf jenem und fließt von dieser herab. Die oberen
Waffertheilchen drücken nämlich vermöge ihrer Schwere auf die
unteren, und diese weichen vermöge ihrer leichten Verschiebbarkeit
aus. Daher kann Wasser nur in Gefäßen angesammelt werden,
und seine in Ruhe gekommene Oberfläche muß horizontal sein.
Diese horizontale Oberfläche heißt der Spiegel der Flüssig-
keit, beim Wasser der Wasserspiegel (Niveau oder Libelle).
In Haarröhrchen ist, wie wir §. 10. gesehen haben, die Ober-
fläche nicht horizontal, sondern erhaben (konvex), oder vertieft
(konkav); in andern Gefäßen ist dies nur am Rande der Fall.
Alle Erscheinungen flüssiger Körper beruhen auf der Schwere
und der leichten Verschiebbarkeit ihrer Theile. Da unter allen
flüssigen Körpern das Wasser der wichtigste ist, so wird hier vor-
zugsweise von ihm die Rede sein. Alles, was im Folgenden
über das Wasser gesagt ist, gilt mehr oder weniger auch von den
übrigen Flüssigkeiten.
tz. 30.
Der Druck des Wassers.
Jedes Flüssi'gkeitstheilchen drückt vermöge seiner Schwere
auf das unter ihm befindliche. Dieses aber drückt nicht bloß
herabwärts, sondern auch seitwärts, wie ein von oben nach un-
ten zusammengedrückter Gummiball zeigt. Daher muß die in
einem Gefäße befindliche Flüssigkeit nicht nur auf den Boden,
sondern auch aus die Seitenwände desselben einen Druck
ausüben.
Die Größe des Druckes auf den Boden hängt nicht im-
mer von der Menge der Flüssigkeit ab, welche in dem Gefäße
ist, sondern nur von der Größe des Bodens und der Höhe, bis
zu welcher es über demselben steht. Nur in einem Gefäße von
überall gleicher Weite ist der Druck auf dem Boden gleich dem
Gewichte der in demselben enthaltenen Wassermenge. In Ge-
fäßen, deren Wände sich nach oben erweitern, wie Stalleimer,
Töpfe, Tassen rc. wird ein Theil des Druckes von den Seiten-
wänden getragen, und es drückt nur die Wassersäule aboü in
Fig. 18., welche senkrecht über dem Boden steht, auf denselben.
317
Dagegen drückt in Gefäßen, deren Wände sich oben verengen,
wie in Wasserkannen, Flaschen ic nicht bloß die Wassersäule aboä
Fig. 19. unter der Oeffnung gegen den Boden, sondern eine
Wassersäule efgh, deren Grundfläche der Boden, und deren Höhe
gleich der Höhe des Wasserspiegels im Gefäße ist, weil die
Wassertheilchen den Druck nach allen Seiten fortpflanzen. —
Der Bodendruck ist gleich dem Gewichte einer senkrech-
ten Wassersäule, deren Grundfläche gleick demBoden
des Gefäßes, und deren Höhe die Entfernung des
Wasserspiegels vom Boden ist. — Um ein gefülltes Gefäß
zu halten oder zu wägen, ist aber immer eine Kraft nöthig, die
der Summe der Gewichte des Wassers und des Gefäßes selbst
gleich ist. Der Kubikfuß Wasser wiegt 66Pfd.; wäre nun eines
Gefäßes Grundfläche 4 Quadrats-, und stände in ihm das Wasser 10'
hoch, so hätte der Boden einen Druck von 4X10X66—2640 Pfd.
auszuhalten. DieserBodendruck ist bei allenGefäßen von 4 Quadrat-
fuß Grundfläche und 10' Wasserhöhe derselbe, so verschieden sie auch
der Form nach sein mögen, während das Gewicht der drücken-
den Flüssigkeit nach der Menge derselben bei jedem ein anderes
sein kann. Hohe Gefäße, die sich nach oben bedeutend verengen,
müssen einen starken Boden haben.
Je näher eine Stelle der Seitenwand dem Wasserspiegel,
desto geringer, je weiter von ihm entfernt und je näher am Bo-
den, desto größer ist der Druck, welchen eine Flüssigkeit auf die
Seitenwände ausübt. — Der Seitendruck ist gleich dem Ge-
wichte einer senkrechten Wassersäule, deren Grund-
fläche die betrachtete Stelle der Seiten wand, und de-
ren Höhe die Entfernung des Schwerpunktes dieser
Stelle vom Wasserspiegel ist. — Gleich hohe Gefäße zur
Aufbewahrung verschieden schwerer Flüssigkeiten müssen auch ver-
schieden starke Wände haben; dagegen braucht ein weites Gefäß
keine stärkeren Wände zu haben als ein enges von derselben Höhe,
wenn in beiden einerlei Flüssigkeit aufbewahrt wird. Die Röhren
der Wasserleitungen müssen desto stärker sein, je tiefer sie zu lie-
gen kommen.
§. 31.
Das Gleichgewicht der Flüssigkeiten in cominuneirenden
Röhren.
Gießt man in eine gebogene Rohre oder in zwei Gefäße,
die unten durch eine Rohre verbunden sind, eine Flüssigkeit; so
wird diese nicht bloß bis zur tiefsten Stelle der Röhre hinabsin-
ken, sondern auch in dem andern Schenkel so lange emporsteigen,
bis es in demselben eben so hoch steht als in demjenigen, wo
man das Wasser hineingegossen hat. Dies geschieht, die Röhren
mögen gleich oder ungleich, krumm oder gerade sein. Gießt man
aber in die eine Röhre Quecksilber, und in die andere, die mit
318
jener verbunden ist, Wasser, so steigt dieses 14mal so hoch als
das Quecksilber. — Röhren oder Gefäße, die so mit ein-
ander verbunden sind, daß Flüssigkeiten aus einer in
die andere fließen können, heißen communicirende
Röhren. — Dergleichen kommen bei Wasserleitungen, Wasser-
wagen sNivellirwagen), Studirlampen rc. vor. Mit dem Grund-
wasser bei Flüssen, den Brunnen in der Nähe der Flüsse, See'n
oder unterirdischer Wasserbehälter hat es eine ähnliche Bewandt-
niß. — Gleichartige Flüssigkeiten stehen in communi-
cirenden Röhren gleich hoch; ungleichartige dagegen
im umgekehrten Verhältnisse ihrer specifischen Ge-
wichte.
Verstopft man von zwei ungleich langen communicirenden
Röhren die kürzere und gießt in die längere so lange Wasser,
bis sie voll ist; so muß aus der kürzeren, wenn sie darauf ge-
öffnet wird, das Wasser herausfließen, und zwar so lange, bis
es in der längeren zur Höhe der kürzeren herabgesunken ist.
Endigt die kurze Röhre in eine Spitze, so steigt das Wasser frei
in die Höhe, und wir haben dann einen Springbrunnen.
Der Wasserstrahl erreicht jedoch nicht die Höhe des Wasserspie-
gels in der langen Röhre, weil die Wassertheilchen sowohl von
ihrer eigenen Schwere, als vom Drucke der Luft zurückgehalten
werden. Im Springbrunnen zu Wilhelmshöhe bei Kassel springt
das Wasser, welches in geneigter Ebene 250' herabfällt, 140'
hoch, in Herrenhausen bei Hannover 120', in Nymphenburg bei
München 80,; auch die Springbrunnnen zu Sanssouci bei
Potsdam treiben das Wasser zu einer bedeutenden Höhe. — Die
artesischen Brunnen — von der Provinz Artois in Frank-
reich so genannt, weil sie dort häufig angelegt worden — sind oft
mehrere >00' tief in die Erde gebohrte Löcher, mit Röhren aus-
gefüllt, durch welche das Wasser aus dieser großen Tiefe über
die Oberfläche der Erde kräftig herausströmt. Stehen nämlich
höher und tiefer liegende, mit Wasser gefüllte Höhlen mit ein-
ander in Verbindung, so muß das Wasser durch ein in den tie-
fer gelegenen Wasserbehälter gebohrtes Loch hervorquillen.
Wenn eine der communicirenden Röhren lang und eng, die
andere aber kurz und weit ist, so kann sehr wenig Wasser einen
bedeutenden Druck ausüben. Wird nämlich die kürzere Röhre
durch einen Deckel geschlossen, und die längere voll Wasser ge-
gossen, so erleidet der Deckel nothwendig einen Druck nach oben.
Hierauf gründen sich mehrere Arten Pressen und andre Instrumente.
tz. 32.
Der Druck der Flüssigkeit gegen die Flüssigkeit.
Den Druck, welchen irgend eine Stelle des Bodens oder
der Seitenwand eines Gefäßes von der in demselben enthaltenen
319
Flüssigkeit leidet, erduldet auch die Flüssigkeit selbst an dieser
Stelle. Macht man an der Stelle eine Oeffnung, so ist dieser
Druck die Kraft, welche die Flüssigkeit heraustreibt. Mit der
Höhe des Wasserstandes nimmt diese Kraft zu, mit ihr die Ge-
schwindigkeit des herausströmenden Wassers und zugleich die
Menge desselben. Doch sind nicht etwa bei einem 2, 3, 4 mal so
hohen Wasserstande auch die Geschwindigkeiten und die Wasser-
mengen in bestimmten Zeiten 2, 3, 4 mal so groß, sondern erst
bei 4, 9, 16mal so hohen Wasserständen. Die Erfahrung giebt
immer eine kleinere Menge, als sie der Rechnung nach sein sollte:
die Ursache liegt in der Zusammenziehung des Wasserstrahles, die
wieder ihren Grund in der Cohäsion der Wassertheilchen unter
sich und in der Adhäsion derselben an die Wände des Gefäßes
haben mag. Durch Ansatzröhren wird die Zusammenziehung des
Wasserstrahles vermindert, und dadurch die ausströmende Wasser-
menge vermehrt.
Werden mehrere Flüssigkeiten von verschiedenem specifischen
Gewichte in ein und dasselbe Gefäß gegossen, so ordnen sie sich
so über einander, daß sie, von unten nach oben betrachtet, am
specifischen Gewichte abnehmen, wie dies von Oel und Wasser
bekannt ist. Gießt man ein Glas bis zur Hälfte voll gutes
Braunbier, deckt ein Tuch über das Glas und drückt es so tief
in das Glas hinunter, daß die Spitze das Bier berührt, gießt
dann am Rande hinab behutsam Wasser, bis das Glas voll
ist, und nimmt dann das Tuch vorsichtig heraus, so steht das
klare Wasser oben auf dem Biere.
§. 33.
Das Verhalten fester Körper zu flüssigen.
Wird ein fester Körper auf einen flüssigen gethan, so kann
die Erscheinung dreifacher Art sein, je nachdem er von demselben,
von größerem oder von kleinerem specifischen Gewichte als die
Flüssigkeit ist.
Hat der feste Körper dasselbe specifische Gewicht wie die
Flüssigkeit, so wird er, auf diese gelegt, so lange untersinken, bis
seine ganze Oberfläche unter den Wasserspiegel fällt, so wie er
auch an jeder Stelle der Flüssigkeit ruhen könnte. Die Wasser-
säule unter ihm trägt sein ganzes Gewicht, so wie sie vorher den
eben so großen und eben so schweren, durch ihn verdrängten
Wasserkörper trug. Da in Bezug auf eine Wage, oder über-
haupt auf eine fallende Kraft, das Gewicht des festen Körpers
in diesem Falle als gar nicht vorhanden zu betrachten ist, so
sagt man: Ein fester Körper verliert sein ganzes abso-
lutes Gewicht, wenn er in eine Flüssigkeit von glei-
chem specifischen Gewichte gebracht wird.
320
Ist der feste Körper specifisch schwerer als die Flüssigkeit, so
sinkt er, auf sie gelegt, zu Boden, aber nicht mit seinem ganzen
Gewichte, sondern nur mit einem Theile desselben. Es wird
nämlich durch die unter ihm befindliche Flüfsigkeitssäule so viel
von seinem Gewichte getragen, als die durch ihn verdrängte
Flüssigkeit wog; er sinkt daher mit dem Unterschiede zwischen sei-
nem Gewichte und dem einer Flüssigkeitsmenge von derselben
Größe hinab; man sagt daher: Jeder feste Körper verliert,
in eine specifisch leichtere Flüssigkeit getaucht, so viel
von seinem absoluten Gewichte, als die durch ihn ver-
drängte Flüssigkeit wog. — Ein Mensch kann eine größere
Last im Wasser tragen als in der Luft. — Man kann oft
Steine im Waffer bis an, aber nicht bis über den Wasser-
spiegel heben. — Ein Hund kann einen ins Wasser gefallenen
Menschen retten, indem er ihn unter dem Wasser bis ans
Ufer zieht.
Wird endlich ein fester Körper auf eine specifisch schwerere
Flüssigkeit (z. B. Kork auf Wasser) gelegt, so taucht ec nur zum
Theil ein, und zwar desto weniger, je schwerer sie ist. Er taucht
immer nur so weit ein, bis die durch seinen eingetauchten Theil
verdrängte Flüssigkeit so viel wiegt, als sein ganzes Gewicht be-
trägt. — Ein fester Körper verliert, in eine specifisch
schwerere Flüssigkeit gebracht, sein ganzes absolutes
Gewicht und muß noch in die Höhe steigen d. h. schwim-
men. Aber auch specifisch schwerere Körper können zum Schwim-
men gebracht werden, wenn man ihnen eine solche Form giebt,
daß sie weniger wiegen als Wassermengen derselben Größe, oder
wenn man sie mit so bedeutend specifisch leichteren Körper ver-
bindet, daß im Ganzen die verbundenen Körper weniger als die
durch sie verdrängten Wassermengen wiegen. — Hohle blecherne
oder gläserne, wohl zugestopfte Kugeln und Flaschen schwimmen
auf dem Wasser; für die See gehörig belastete Schisse müssen
zum Theil entlastet werden, wenn sie in einen Fluß fahren (weil
Flußwasser leichter ist als Seewasser); Leichname schwimmen,
aufgetrieben durch die bei der Fäulniß sich entwickelnden Luft-
arten; ein Ei, welches in reinem Wasser zu Boden sinkt, steigt
in die Höhe und schwimmt, wenn das Wasser durch Auflösung
hineingeworfenen Salzes gehörig schwerer geworden ist (Prüfung
der Lauge zum Seifekochen). — Das specifische Gewicht des
Menschen ist l“/ioo- Kork, Blasen, Binsen rc. können, an den
menschlichen Körper gebunden, ihn über dem Wasser erhalten,
und im Seewasser ist es leichter zu schwimmen als im Fluß-
wasser. Der Neapolitaner Paolo Moccia, welcher in der zwei-
ten Hälfte des I8ten Jahrh, lebte, sank im Meerwasser nur bis
an die Mitte der Brust ein. — Archimedes (430 v. Chr. in
Syrakus), der Entdecker obiger Gesetze, fand durch feine Unter-
suchungen, daß ein Künstler eine Krone statt von reinem Golde
321
zu machen, eine eiserne, mit Gold überzogene verfertigt hatte,
bloß dadurch, daß er die Krone in ein volles Gefäß mit Waffer
tauchte und auf die abfließende Wassermenge achtete.
8- 34.
Die Senluvagen oder Aräometer.
Die Senkwagen oder Aräometer sind Instrumente,
die man zur Bestimmung des specifischen Gewichtes
fester und flüssiger Körper gebraucht. Sie gründen sich
auf das Gesetz, daß ein schwimmender Körper desto tiefer einsinkt,
je specifisch leichter die Flüssigkeit ist. Es giebt deren zwei Haupt-
arten, nämlich Aräometer mit Skalen und Aräometer mit
Gewichten. Nur von ersteren, die im gemeinen Leben häufig
angewendet werden, soll hier die Rede sein (Stg. 20).
Die Skaleu-Aräometer sind nur bei Flüssigkeiten an-
wendbar und so eingerichtet, daß sie entweder bloß bei Flüssig-
keiten, die schwerer, oder bloß bei Flüssigkeiten, die leichter als
Wasser sind, gebraucht werden. Jene haben eine herabwärts-
gehende Skala; im reinen Wasser finkt das Aräometer ganz ein,
daher oben das Null der Skala, und je schwerer die Flüssigkeit
ist, desto weniger taucht es ein. Eine solche Einrichtung haben
die Bierwagen (Saccharometer), Laugenwagen, Soolwagen rc. Mit
dem specifischen Gewichte nimmt die Güte der Flüssigkeit zu.
Die andere Art hat eine aufwärtsgehende Skala; im reinen
Wasser sinkt ein solches Aräometer am wenigsten tief ein, daher
unten das Null der Skala, und je leichter die Flüssigkeit, desto
tiefer taucht es ein. So sind die Branntweinwagen (Alkoholo-
meter) Oelwagen rc. eingerichtet. Mit dem specifischen Gewichte
nimmt die Güte der Flüssigkeit ab. Bei der allgemeinen Senk-
wage von Baume sind beide Skalen vereinigt. Die Mischungen
werden theils nach Gewichten, theils nach dem Maße der einzelnen
Stoffe gebildet. Richrer's Alkoholometer ist ein Gewichtsprocenten-
Alkoholometer, Tralle's dagegen ein Maßprocenten-Alkoholometer.
V. Bewegung und Gleichgewicht luftförmiger
Körper.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 3. und Hdb. II. S. 44.)
§. 35.
Die luftförmrgen Körper im Allgemeinen.
(Kdrfr. I. Anh. V. H.3. 1. und 2.)
Die luftförmigen Körper haben mit den flüssigen die
Schwere, vermöge welcher sie einen Druck ausüben, und die
Pkchner, Handb. 3, Theil. 21
3S2
leichte Verschiebbarkeit ihrer Theile, folglich auch die von
diesen Eigenschaften abhängigen Erscheinungen gemein, besitzen
aber außerdem noch einen hohen Grad Zusammendrückbarkeit
und Ausdehnsamkeit und bewirken dadurch Erscheinungen, die
bei jenen nicht vorkommen. Die atmosphärische Luft, hier schlecht-
weg Luft genannt, ist der Repräsentant der luftförmigen, wie es
im vorigen Abschnitte das Wasser für die flüssigen Körper war.
Je mehr man die Lust zusammendrückt, desto dichter wird
sie, und je dichter sie ist, desto ausdehnsamer. Es wächst also
mit der Zusammendrückung sowohl die Dichtigkeit als auch die
Ausdehnsamkeit; nur das Volumen nimmt ab. — Die Dich-
tigkeiten der Luft stehen im geraden Verhältnisse der
zusammendrückenden Kräfte, oder was dasselbe ist: die
Räume einer und derselben Menge Luft stehen im um-
gekehrten Verhältnisse der zusammendrückenden Kräfte.
Verschiedenartige Luftarten von verschiedenen specifischen Ge-
wichten zu einander gethan, ordnen sich nicht nach ihren speci-
fischen Gewichten, wie flüssige Körper, über einander, sondern es
dehnt sich jede für sich aus, als wären die andern gar nicht vor-
handen, so daß an jeder Stelle alle Luftarten angetroffen werden,
eine Eigenthümlichkeit der Luftarten, die noch nicht genügend
erklärt ist.
Weil die Luft schwer ist, übt sie einen Druck herabwärts
aus, und weil ihre Theile sehr leicht verschiebbar sind, pflanzt sich
dieser Druck auch seitwärts fort. Es nimmt daher der Druck
in der Atmosphäre von oben nach unten und mit ihm die Dich-
tigkeit der Lust nicht nur zu, sondern es muß auch im Innern
von Gebäuden die Luft eben so stark zusammengedrückt, eben so
dicht sein und eben so stark nach allen Seiten drücken, als die
Luft draußen in derselben Höhe von der Erde. Nach genau
angestellten Versuchen und Berechnungen drückt auf einen Qua-
dratfuß eine Luftsäule von etwa 2240 Pfd. Danach hätte der
Körper eines erwachsenen Menschen, dessen Oberfläche man
ungefähr auf 15 Quadratfuß schätzt, einen Druck von etwa
33,000 Pfd. zu tragen — eine Last, die er nicht tragen könnte,
wenn nicht der Luftdruck von allen Seiten gleich stark wäre.
Auf dem nach allen Richtungen stattfindenden Luftdrucke,
so wie auf der Zusammendrückbarkeit und Ausdehnsamkeit der
Luft beruhen sehr viele Erscheinungen und physikalische Instru-
mente. Ein volles Glas Wasser, mit einem Blatte Papier be-
deckt, kann umgekehrt werden, ohne daß das Wasser heraus-
fließt. — Wasser fließt nicht aus Gefäßen mit sehr enger Oeff-
nung, Bier nicht aus einem Fasse, dessen Spundloch zu ist, wenn
man auch den Zapfen öffnet. — Ein hohler Schlüssel, aus dem
man die Luft gesogen hat, hängt sich an die Lippe. — Die Luft
dringt in jeden leeren oder dünnere Luft enthaltenden Raum ein.
Es gehört ferner hierher das Athmen, Trinken rc.
323
§. 36.
Per Stechheber und der Winkelhcber.
(Kdrst. I. Anh. V. ß. 4. 3.)
Der Stechheber sFig. 2«.) ist eine gläserne oder blecherne,
in der Mitte bauchige, oben und unten offene Röhre, welche
dazu dient, eine Flüssigkeit aus dem Spundloche eines Faffes
zu heben. Einen ganz kleinen Heber steckt man bis an die
obere Oeffnung in die Flüssigkeit, hält den Daumen auf die
Oeffnung und hebt nun das Instrument sammt der darin ent-
haltenen Flüssigkeit in die Höhe, hält es über ein Gefäß, nimmt
den Daumen hinweg und läßt die Flüssigkeit auskaufen. Bei
größeren Hebern steckt man bloß die lange, dünne Röhre in die
Flüssigkeit, muß dann aber mittelst der oberen dünnen Röhre
die Luft aus dem Heber saugen.
Der Winkelhebcr sFig. 22.) ist eine gebogene, gewöhnlich
aus zwei ungleich langen Schenkeln bestehende Röhre, die an
beiden Enden offen ist. Steckt man den kürzeren Schenkel in
ein Gefäß mit Wasser, so daß die Ausflußöffnung, d. i. das
Ende des längeren Schenkels, tiefer liegt als der Wasserspiegel,
saugt hierauf an der Ausflußöffnung so lange, bis das Wasser
dahin 'gekommen ist, und entfernt den Mund; so fließt das
Wasser non selbst so lange, als das Ende des kürzeren Schenkels
noch im Wasser ist. — Daß das Wasser, sobald beide Schenkel
davon voll sind, immer fort fließt, ist Folge des ungleichen
Druckes, mit welchem es in den beiden Schenkeln hinaufgedrückt
wird. In beiden Schenkeln drückt die Atmosphäre das Wasser
gleich stark hinauf (denn baß der längere Schenkel tiefer herun-
tergeht, kann hier als ohne Einfluß betrachtet werden), im kürzeren
mittelbar durch das Wasser im Gefäße, im längeres aber unmittel-
bar. Diesem Luftdrucke nach oben wirkt in den Schenkeln das
Gewicht des sich darin befindenden Wassers entgegen. Da im
kürzeren Schenkel dieser Gegendruck, weil er weniger Wasser
enthält als der längere, geringer ist als im längeren, so bleibt
von dem Luftdrucke nach oben im kürzeren Schenkel mehr übrig
als im längeren. Dieser größeren Kraft folgend, muß daher das
Wasser aus dem längeren Schenkel herausfließen, natürlich so
lange, als der kürzere Schenkel noch im Wasser ist und da-
bei der Wasserspiegel höher liegt als die Ausflußöffnung, da so
lange die das Auöfließen bewirkenden Umstände ungeänderl bleiben.
21*
324
§. 37.
Die Wasserpumpe.
(Äbrfr. I. Anh. V. §.4. 3.)
Wenn man eine gewöhnliche Wasserpumpe (Fig. 23.) —
in der Volkssprache Plumpe — nur oberflächlich betrachtet,
so scheint es, als schöpfe man mit dem Schwengel das Wasser
bis an die Äusgußröhre gerade so, wie mit dem Eimer aus
einem Schöpfbrunnen. In der Wirklichkeit aber muß der Druck
der Luft auf die Oberfläche des Wassers im Brunnen das Stei-
gen bewirken; denn die ganze Maschine thut nichts, als daß sie
einen luftleeren Raum nach dem andern macht und das empor-
steigende Wasser nicht wieder zurückläßt.
Die gemeine Wasserpumpe ist aus zwei übereinander
stehenden Röhren zusammengesetzt. Das Saugrohr CD steht fast
tanz unter dem Wasser; nur ein kurzes Stück ragt über den
Vasserspiegel hervor und ist in den Stiefel oder oberen Brunnen-
stock AC eingezapft. Dicht über der Vereinigung beider Röhren
ist eine aufwärts sich öffnende Lederklappe — Ventil — ange-
bracht, welche so fest anschließt, daß das über sie hinaufgestiegene
Wasser nicht wieder zurückfließen kann. In dem Stiefel oder
oberen Brunnenrohre bewegt sich ein Kolben oder Stempel 8,
welcher hohl ist und oben ein sich aufwärts öffnendes Ventil
hat. An den Seiten ist er mit Leder oder Werch umwickelt,
damit er in der Röhre gut anschließt, und über dem Ventil hat
er einen Henkel, an welchem sich die Ziehstange befindet. Stößt
man diesen Kolben mittelst des Pumpenschwengels und der Zieh-
stange nieder, so drückt er die unter ihm befindliche Luft zusam-
men. Diese aber kann abwärts nicht weiter, als bis zu dem
Bodenventil C, weil sie selbst dieses zurückdrängt; sie öffnet da-
her das Kolbenventil 8 und geht durch den Stiefel ins Freie.
Zieht man nun den Kolben wieder aufwärts, so entsteht zwischen
den beiden Ventilen ein luftleerer Raum, den die äußere Luft
auszufüllen sucht. Von oben her kann jedoch keine eindringen,
weil die atmosphärische Luft selbst das Kolbenventil zudrückt;
aber die Luft in der Saugröhre stößt die Klappe über ihrer Oeff-
nung auf und füllt den Raum aus. Dadurch wird indeß die
Luft in der Saugröhre dünner und leichter, als sie zuvor war,
und sogleich fängt in ihr das Wasser an zu steigen, weil die
verdünnte Luft dem Drucke der atmosphärischen auf die Wasser-
fläche des Brunnens nicht mehr das Gleichgewicht hält. Stößt
man den Kolben abermals nieder, so preßt er die schon verdünnte
Luft nochmals zusammen; sie entweicht, wie zuvor, durch das
ausgestoßene Kolbenventil. Beim wiederholten Aufziehen entsteht
noch einmal ein luftleerer Raum, welchen die wenige Luft in
der Saugröhre auszufüllen sucht, worüber sie sich so verdünnt,
325
daß das Waffer fast gar keinen Widerstand mehr findet und ge-
wöhnlich schon beim zweiten Zuge über das untere Ventil Her-
auftritt. Natürlicher Weise dringt nun beim folgenden Nieder-
stoßen das Wasser mit dem Ueberrest von verdünnter Luft auch
über das Ventil des Kolbens hinauf; dieser hebt es mit sich
empor (weil es wegen der sich schließenden Klappe nicht wieder
hinab kann) und von nun an füllt das von unten herauf ge-
preßte Wasser jedesmal den luftleeren Raum zwischen den zwei
Ventilen aus. Der Kolben aber hebt es so lange, bis es aus
dem Ausgußrohre E läuft.
§. 33.
Die Spritzen.
In der Handspritze, aus einem Stiefel und einem Kolben
mit einer Kolbenstange bestehend, wird das Wasser in den durch
das Heraufziehen des Kolbens im Stiefel entstandenen luftleeren
Raum und durch den Druck der Luft herausgetrieben und durch
den herabgehenden Kolben hinausgetriehen.
Die Feuerspritze (Fig 24.) dagegen besteht aus einem
Druckwerke und einem Windkessel. Die tragbaren Feuerspritzen
haben außer dem Windkessel nur eine Druckpumpe, die in ein
Gefäß mit Wasser gestellt werden kann; bei den fahrbaren da-
gegen ist ans den Rädern ein Wasserkasten angebracht, in welchem
sich zwei Druckpumpen^befinden, deren Kolben mittelst Hebel so
bewegt werden, daß sie abwechselnd auf- und niedergehen.
Zwischen ihnen steht der kupferne Windkessel, welcher mit den
Pumpen durch Seitenröhren verbunden ist, und in dem das mes-
singene Steigrohr beinahe bis auf den Boden reicht. Gewöhn-
lich hat die Spritze außer dem Steigrohre auch noch einen langen
ledernen Schlauch mit einem messingenen Mundstücke. In jedem
Stiefel ist ein nach innen, und in jedem Seitenrohre ein nach
dem Windkessel sich öffnendes Ventil angebracht.
Bei dem Heraufgehen des Kolbens entsteht in dem zuge-
hörigen Stiefel ein luftleerer Raum; die äußere Luft öffnet das
Stiefelventil und treibt das Wasser hinein, welches bei gehöriger
Höhe das Stiefelventil schließt; der hierauf heruntergehende
Kolben preßt das innere Wasser zusammen, welches das Stiefel-
ventil noch fester schließt, das Kesselventil aber öffnet und in den
Kessel tritt. Sobald so viel Wasser im Kessel ist, daß das Ende
des Steigrohrs _ hineintaucht, ist die Luft im Windkessel abge-
schlossen und wird durch fortgesetztes Pumpen, indem immer mehr
Wasser eindringt, auch immer mehr verdichtet, so daß sie bei
jedem Drucke einen starken Wasserstrahl aus dem Rohre sendet.
Anmerk. Bei der Windbüchse treibt die in der Kolbe oder in einer
besondern kupfernen Kugel zusammengepreßte Luft die Flintenkugel
hinaus, und beim HeronSball und Heronsbrunnen verursacht
sie einen Springbrunnen im Kleinen.
326
8 39.
Das D acometer.
(Äbrfr. I. Anh. V. §. 4. 2. und 4.)
Einst — so erzählt die Geschichte — wurde in einem Garten
zu Florenz eine ungewöhnlich lange Pumpe ausgestellt. Als die
Arbeiter sie versuchen wollten, befremdete es sie und alle Zuschauer
nicht wenig, das Wasser nur bis zur Höhe von 32" steigen zu
sehen. Dieses unerwartete Ereigniß setzte sie in Erstaunen und
Verwirrung. Nach langem, vergeblichen Hin- und Hersinnen
begaben sie sich zu G a li liai, einem um die Naturwissenschaften
unsterblich verdienten Manne ser wirkte fast die ganze erste Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts hindurch), machten ihn mit der
höchst auffallenden Erscheinung bekannt und fragten nach der
Ursache derselben. Galiläi's Ruhm stand auf dem Spiele. Zwar
war dieser gelehrte Mann bereits zu der Ansicht gelangt, daß
nicht nur die in Rede stehende, sondern auch manche andere Er-
scheinung ihren Grund bloß in der Wirkung der Luftschwere
haben könnte; allein noch hatte ec wahrscheinlich seine Gedanken
über einen so neuen Gegenstand nicht ganz in's Klare gebracht.
Und so fertigte er jene Leute mit der Antwort ab: „Der Ab-
scheu der Natur vor dem leeren Raume (wodurch die. Alten der-
gleichen Erscheinungen erklärten) hat seine Grenzen." Kurze
Zeit darauf starb er. Torricelli, sein früherer Schüler und
nun sein Nachfolger im Lehramte, nahm jenes Ereigniß wieder
auf und kam auf den glücklichen Gedanken: „Wie, wenn dieselbe
Kraft, welche das Wasser in der Pumpe 32" emportreibt, auf
Quecksilber wirkte, müßte dieses dann nicht in irgend einer Rohre
13 oder 14mal niedriger stehen?" Darauf füllte er eine 3" lange
und an dem einen Ende verschlossene Röhre mit Quecksilber an,
und kehrte sie dann um. Was er sehnlich gewünscht und er-
wartet hatte, erfolgte sogleich. Das Quecksilber sank zwar ein
wenig; allein gerade zur rechten Zeit blieb es zur größten Freude
Torricelli's in einer Höhe von 28"' ruhig stehen (14X28 Zoll
— 392" — 32%"). Liegt die unbekannte Kraft, so schloß Tor-
ricellt weiter, wirklich in der Schwere der Luft, wie schon Gali-
läi vermuthet hat, dann muß ja offenbar das Quecksilber in der
Röhre sinken, wenn man sich mit derselben auf hohe Berge be-
giebt. Und auch diese Erwartung wurde bestätigt, als Pascal
einen 3000" hohen Berg bestieg, und das Quecksilber bis auf
25'" sank. So war es denn klar, daß nicht der Abscheu der
Natur vor dem leeren Raume, wie einst Aristoteles lehrte (oder
die anziehende Elasticität der Luft, wie Herr von Drieberg be-
hauptet), sondern die Kraft des Luftdruckes das Wasser im Pum-
xenstiefel 32" hoch erhielt. Man versah nun die Glasröhre mit
einer Skale (Grad-Eintheilung) und unten mit einem kleinen
327
Gefäße, in welchem sich das aus der Röhre gesunkene Quecksilber
sammeln kann, und so war das Barometer (Schwermesser)
fertig. Mit ihm kann man nicht nur die Größe des Luftdruckes
bestimmen, sondern auch aus dem Sinken des Quecksilbers die
Höhe eines Berges bestimmen; ferner läßt sich aus seinem Stei-
gen und Fallen auf die Beschaffenheit der Luft und der Witte-
rung schließen, und in dieser Beziehung heißt das Barometer
auch Wetterglas (Fig. 25).
§. 40.
Die Fuft balle.
(Äbrfr. I. Anh. V. §. 4. 6.
Daß es die Menschen längst schon gelüstet habe, bas Luft-
meer wie Vögel zu durchsegeln, nachdem sie gelernt hatten, auf
Schiffen das Wassermeer wie Fische zu durchschwimmen, läßt
'sich denken; aber mit angeschnallten Flügeln wollte es nicht
gehen. Die Arme waren zu schwach, solche Maschinen zu re-
gieren. Endlich kam ein französischer Papierfabrikant, Stephan
Montgolfier (golfjee), der in seinem Garten zu Annonay (na)
den Rauch aus Schornsteinen steigen sah, auf folgende Betrach-
tung: „Dieser Rauch steigt ohne Flügel, bloß weil er leichter
ist, als die Luft. Wäre es nicht möglich, durch Feuer die Luft
in einem Balle so zu verdünnen, daß der ganze Ball dadurch
noch leichter wäre als Rauch? und müßte dann nicht der Ball
eben so'in die Luft steigen?" Gedacht, versucht! Unter Beihülfe
seines Bruders Joseph verfertigte er im I. 1782 von Papier
einen Ballon, unten mit einer geräumigen, durch ein Reifchen
auseinandergehaltenen Oeffnung, und verdünnte mit Strohfeuer
die Luft darin so, daß der Ball sich nicht nur stark ausdehnte,
sondern auch glücklich in die Höhe hob. Dadurch ermuthigt,
machten im folgenden Jahre die Brüder einen Ballon, welcher
einige Centner wog und 110" Umfang hatte. Auch in diesem
dehnten sie die Luft bloß durch Strohfeuer allmälig aus, und
siehe da, er stieg mit großer Geschwindigkeit in Gegenwart einer
Menge von Zuschauern 6000' hoch. — Ein Gedanke weckte den
andern. Professor Charles (spr. Scharl) in Paris hörte kaum
von diesem angestaunten Versuche, als er schon auf Verbesserun-
gen sann. Der Ballon, dachte er, war zu schwer; er muß aus
einem leichteren Stoffe gemacht werden, und er bediente sich da-
her des Taffets, den er mit elastischem Firniß überzog. Aber
mit der Leichtigkeit allein war nicht geholfen. Ihm schien das
Verdünnen der Luft durch Strohflammen ein gefährliches Ding,
weil der Ballon durch bas Feuer leicht in Brand gerathen kann.
Statt der Verdünnung der atmosphärischen Luft wandte er die
13 mal leichtere brennbare Luft an. Mit dieser füllte er seinen
3S8
nur 25 Pfd. wiegenden', 36' im Umfange haltenden Ballon.
Im August 1783 stieg er unweit Paris so schnell in die Höhe,
daß er sich bald aus dem Gesichte der zahllosen Zuschauer verlor
und erst 5 Stunden von Paris, wiewohl zerplatzt, wieder auf die
Erde kam. Darauf unternahm es Pilatre de Rozier (spr.
Roßjee) und der Marquis d'Arlandes (Marki d'Arland), mit
einem durch Montgolsi'er's Mittel gehobenen Luftballe selbst empor
zu steigen. Unter dem mit einem Stricknetze eingefaßten Balle
<Fig. 26.) brachten sie ein Schiffchen an und stiegen in demselben
am 21.Nov. 1783 zu Paris, zum Erstaunen einer großen Volks-
menge, den Wolken entgegen. Die Reise lief glücklich ab, und
schon im Januar 1784 machte Pilatre de Rozier eine zweite Luft-
fahrt, die auch gelang; eine dritte aber, welche er am 15. Juni
1785 unternahm, kostete dem kühnen Segler und feigem Be-
gleiter Romain (spr. Romäng') das Leben. Ihr Bau gerieth
durch den Feuerkessel in Brand, die Luftschiffer stürzten bei Bou-
logne aus hoher Lukt, und ihre Leichname lagen, in Trümmer
zerschmettert, am Boden. Indessen hatte Charles durch das
Verunglücken seines ersten mit brennbarer Luft gefüllten Balles
das Vertrauen in seine Erfindung so wenig verloren, daß er
schon am i. Dez. 1783 einem mit brennbarer Luft gefüllten
Balle sein eigenes Leben anvertraute und in Gesellschaft eines
andern Wagehalses, Namens Robert, aus der Mitte einer un-
geheuren Menge von Zuschauern vor Paris emporstieg. 'Mit
reißender Schnelligkeit hob sich der Ball zu einer Höhe von 1800'
und verlor sich dann in den Wolken. Endlich näherten die Luft-
schiffer sich der Erde wieder, und Robert stieg unter dem Zu-
jauchzen von vielleicht 300,000 Menschen aus seiner Gondel.
Freudetrunken wagte Charles auf der Stelle zum zweiten Male
den Flug und stieg mit dem erleichterten Balle noch schneller zu
einer Höhe von 9000'. Hier aber dehnte sich der Ball in der
oberen, dünneren Luft so sehr aus, daß er dem Zerbersten nahe
war. Vorsichtig hatte der kühne Schiffer schon eine Klappe an
dem Balle angebracht, durch welche er einen Theil der brennbaren
Luft ausströmen ließ. Er kam abermals glücklich zur Erde und
klagte nur über die unerträgliche Kälte in einer solchen Höhe.
Eine Luftfahrt folgte nun auf die andere. Blanchard (spr.
Blang'schaar), der fast ganz Europa durchzog und über 100 mai
seine Kunst sehen ließ, wagte sich sogar am 7. Jan. >785 über
die 5 Meilen breite Meerenge zwischen Frankreich und England
und legte die gefährliche Fahrt in zwei Stunden zurück. Er hatte
allerlei Segel- und Ruderwerk an seiner Maschine angebracht
und glaubte schon, die Kunst, sie nach Belieben lenken zu können,
erfunden zu haben; aber mehrere Versuche bewiesen die Unzu-
länglichkeit seiner Vorrichtungen. Jedoch kann man mit beiden
Arten von Luftbällen nach Belieben auf- und abwärts steigen.
Man legt nämlich in die Gondel (das Schiffchen) eines mit brenn-
329
barer Luft gefüllten Ballons Sandsäcke (Ballast), die man nach
und nach über Bord wirft, wenn man in die höhere und dünnere
Luft kommt. Will man abwärts, so darf man nur brennbare
Luft ausströmen lassen. Bei dem bloß durch Verdünnung der
Luft gehobenen Ballon braucht man nur Brennmaterial in den
unter der Oeffnung des Balles angebrachten Kohlenkefsel zu
legen, wenn man steigen will, und mit der Feuerung nachzulassen,
wenn man abwärts zu sinken wünscht. Da in den verschiedenen
Luftschichten der Wind zuweilen eine andere Richtung hat, so
wird es hierdurch möglich, dem Ballon einigermaßen eine be-
stimmte Richtung zu geben. Im Sommer 1846 machte in Berlin
der Engländer Green (spr. Grihn) mehrere glückliche Luftfahrten,
auf denen ihn auch andere Personen begleiteten.
§- 41
Die Luftpumpe.
(Kdrft I. «nh. V. §. 4. 7.)
Das wichtigste, schönste, aber auch kostbarste Instrument
bei den Versuchen über die Luft ist die Luftpumpe, erfunden
von Otto von Guerike, dem berühmten Bürgermeister von Mag-
deburg (IG02 —1687), einem Zeitgenossen Torricelli's. Nur
die einfachste Art der Luftpumpen soll hier beschrieben werden.
Ihre wesentlichen Theile sind: der Stiefel (Fig. 27.) ab, ein
hohler Cylinder; der Stempel oder Kolben c, ein niedriger
massiver Cylinder, der in jenen genau paßt und mittelst eines
an der Kolbenstange angebrachten Handgriffes d herauf und
herunter bewegt wird; die Röhre es, welche den Stiefel mit
einem Teller g so verbindet, daß sie bis auf den Boden des letz-
teren reicht, und zwei Ventile, von denen sich das Bodenven-
til li am Boden des Stiefels, das Kolbenventil i aber im
Kolben; beide öffnen sich, wenn die Luft von unten nach oben
strömt, und schließen sich im umgekehrten Falle. Der Hahn k
hat die Bestimmung, die Verbindung der Glasglocke oder des
Recipienten 1 mit der äußern Luft zu verbinden, oder aufzu-
heben. Wird der Stempel, den wir uns am Boden des Stiefels
denken, heraufgezogen, so entsteht im Stiefel ein luftleerer Raum,
und es findet daher auf das Bodenventil kein Druck von oben
herab statt, wohl aber von unten herauf durch die sich ausdehnende
Luft des Recipienten, welche daher das Ventil öffnet, in den
Stiefel strömt und hierdurch verdünnt wird. Das Kolbenventil
muß dabei verschlossen bleiben, da die äußere Luft, als die dich-
tere auf dasselbe stärker herabdrückt, als die innere, verdünnte
hinauf. Wenn man nun hierauf den Kolben herabdrückt, so
verdichtet sich die Luft im Stiefel, schließt das Bodenventil und
330
öffnet, wenn sie dichter geworden ist als die äußere Luft, das
Kolbenventil, durch welches sie entweicht rc.
Die gewöhnlichsten Versuche mit der Luftpumpe sind fol-
gende: I) Der Recipient steht fest auf dem Teller, wenn die
Luft in ihm verdünnt worden ist, kann aber mit gewöhnlicher
Leichtigkeit herabgenommen werden, sobald man den Hahn k
öffnet. 2) Die magdeburgischen Halbkugeln, mit denen Guerike
1654 zu Regensburg vor Kaiser Ferdinand III. und vielen Reichs-
fürsten experimenrirte, lassen sich, wenn die Luft möglichst aus
ihnen herausgepumpt worden ist, kaum von 20 Pferden ausein-
ander reißen. 3) Blasen und Glasplatten können durch den
Druck der Luft zersprengt werden. 4) Quecksilber wird durch
Holz getrieben (Quecksilberregen). 5) Wird ein an beiden Enden
offener Cylinder auf den Teller gesetzt, das obere Ende mit der
stachen Hand zugedeckt, und die Luft aus dem Cylinder gepumpt,
so kann man die Hand nicht wegnehmen. Eine schlaff zugebun-
dene Blase dehnt sich unter dem Recipienten, wenn die Luft
verdünnt wird, völlig aus und fällt wieder zusammen, sobald Luft
hineingelassen wird; ein Gleiches findet bei einem Stück Sauerteig
statt. Ein runzeliger Apfel wird unter dem Recipienten voll
und eben. Ein genau verschlossenes Glas, unter den Recipienten
gestellt, springt bei hinlänglicher Verdünnung der Luft. 8) Der
Heronsball springt unter dem Recipienten. 9) Der Heber fließt
nicht im luftleeren Raume. 10) Aus Wasser, Bier, Milch rc.
steigen im luftleeren Raume Blasen; eben so beim Holze, welches
außerdem noch, wenn wieder Luft in den Recipienten eingelassen
wird, tiefer einsinkt. II) Steht eine enge, oben zugeschmolzene
Röhre mit einem Recipienten so in Verbindung, daß ihr unteres
Ende in ein unter denselben gestelltes Gefäß mit Wasser reicht,
treten während des Auspumpens Luftblasen aus dem Wasser
(nach 10.), und so wie in den Recipienten Luft gelassen wird,
hebt sich das Wasser in der Röhre zu einer bedeutenden Höhe
und sinkt bei wieder erfolgter Verdünnung. 12) Ein Dukaten
und eine Flaumfeder sinken im luftleeyen Raume gleich schnell.
13) Thiere sterben, z. B. Mäuse, Sperlinge rc., unter den Re-
cipienten gebracht, wenn man ihnen die Luft entzieht.
Anmerkung. Kdrfr. I. Anh. V. 8-4- 5. findet seine Erledigung Hdb. H.
S. 46.
331
VI. Der Schall (Akustik.)
(Kdrsr. I. Anh. V. 8.5.)
§. 42.
Pie Entstehung des Schalles.
(Kdrfr.I. Anh. V. §. 5. 1.)
Was ich so eben zu euch sage, vernehmt ihr durch euerGe-
hör; so auch das Geläute der Glocken, die Musik, das Rasseln
des Wagens, den Schlag des Lineals auf den Tisch rc. Jede
Einwirkung auf unser Gehör heißt ein Schall. Streiche
ich eine Violinsaite an, oder schlage ich mit dem Messerrücken
an ein Glas, so gcräth die Saite, das Glas, während der Schall
entsteht, in eine zitternde oder schwingende Bewegung. Ein
straffer Bindfaden schwingt wohl auch, schallt aber nicht. Die
Schwingungen der Saite und des Glases erfolgen sehr schnell.
Zur Hcrvorbringung eines Schalles ist also erforderlich, daß die
Schwingungen in einer gewissen Schnelle auf einander folgen.
Bei dem schlaff gespannten Bindfaden kann man die Schwin-
gungen zählen, bei einem schallenden Körper aber nicht. In
Schwingungen können alle Körper versetzt werden, am meisten
jedoch die festen und die lufttörmizen, jene vermöge ihrer Elasti-
cität, diese vermöge ihrer Ausdehnsamkeit. Je elastischer ein
fester, je ausdehnsamec ein luftförmiger Körper ist, desto mehr
eignet er sich zur Hervorbringnng eines Schalles.
Klang heißt der Schall, wenn er durch regelmäßig auf ein-
ander folgende Schwingungen erzeugt wird; das Gegentheil
wird Geräusch, Gepolter, Pochen, Sausen, Zischeln, Knistern, Ge-
murmel rc. genannt, lauter Ausdrücke, welche den durch unregel-
mäßige Schwingungen hervorgebrachten Schall bezeichnen. Klin-
gende Körper, wie Saiten und Glocken, setzen weit mehr Elasti-
cität voraus als solche, die nur ein Geräusch, Knistern rc. hervor-
bringen. Der Ton ist ein Schall, der sich nach Höhe und
Tiefe bestimmen läßt. Knall heißt ein plötzlicher und mehr
oder weniger starker Schall. Laute sind die einfachsten Be-
standtheile der Sprache.
tz. 43.
Pie Fortpflanzung des Schalles.
(Kdrfr.l. Anh. V. §. 5. 1.)
Der Laut, welcher aus meinem Munde in eure Ohren
kommt, muß erst durch die Luft gehen, die uns überall umgiebt.
Auf hohen Bergen, wo die Luft sehr dünn ist, hört der Mensch
332
lange nicht so gut, als unten in der dichteren Luft. Im luft-
leeren Raume vernehmen wir gar keinen Schall (§. 41). Wir
müssen also die Luft als ein Fortpflanzungsmittel des Schalles
annehmen. Aber auch feste Körper pflanzen den Schall fort.
Leget das Ohr auf das eine Ende des Pulttisches, und ihr
werdet es deutlich hören, wenn ich am andern Ende mit einer
Nadel kritzele, oder meine Taschenuhr dort ticken lasse. Daß man
in bedeutender Entfernung die Huftritte der Pferde und einen fah-
renden Wagen deutlicher hört, wenn man das Ohr an die Erde
legt, ist eine bekannte Sache. Hält man eine Taschenuhr zwischen
den Zähnen und verstopft sich dann beide Ohren, so hört man
doch ganz deutlich den Schlag. Eben so vernimmt man die Töne
des Klaviers, wenn man einen Stab zwischen die Zähne nimmt,
der auf dem Resonanzboden ruht. Nach diesen Beispielen pflan-
zen also Holz, Erde und feste Körper überhaupt den Schall weit
besser fort, als es die Luft thut. Selbst flüssige Körper tragen
den Schall von einem Orte zum andern. Ginge der Schall
nicht auch durch Wasser, so würden die Fische niemals, wenn
sie der Teichbesttzer mittelst einer Glocke zur Fütterung ruft, an
die Oberfläche kommen. Der berühmte Franklin, von dem wir
später noch einigemal sprechen werden, versichert, das Reiben
zweier Steine eine halbe englische Meile tief unter dem Wasser
gehört zu haben
Wenn die Luft den Schall bis zu unserm Ohre hinführen
soll, so muß sie nothwendig sich bewegen. Schlage ich stark auf
den Tisch, an das Fenster, an ein Glas rc., so werden diese Sachen
erschüttert, wie wir das oft sehen können; sie gerathen in eine
zitternde Bewegung. Steht Etwas auf dem Tische, z. B. ein
Glas Wasser, so bemerken wir auch an demselben eine Erschüt-
terung, die zuerst dem Glase, hernach auch dem Wasser mitge-
theilt worden ist Nun liegt an allen Flächen des Tisches Luft;
diese wird auch erschüttert, erst nahe am Tische, dann weiter
weg, darauf noch weiter bis zu unserm Ohre hin. Werfe ich
einen Stein in stehendes Wasser, so erheben sich von da aus,
wo er hineinfällt, kreisförmige Wellen, die an Umfang zunehmen,
immer schwächer werden, bis sie zuletzt verschw nden. In fließen-
dem Wasser sind diese Wellen elliptisch. Hieraus läßt es sich
erklären, warum der Wind den Schall dahin weiter fortpflanzt,
wohin er weht. Werfen wir einen Stein in einen Wasserfall,
so bemerken wir gar keine Wellen. Eben so übertönt auch ein
starkes Geräusch einen schwachen Schall. Wie das Wasser beim
Hineinwerfen eines Steines, so wird die Luft bei der Entstehung
des Schalles in eine zitternde Bewegung gesetzt. Diese Luft-
wellen bewegen sich vom Entstehungspunkte nach allen Seiten,
nach oben und unten, werden aber, je weiter sie kommen
immer schwächer. Die Fortpflanzung des Schalles ist zwar der
wellenförmigen Bewegung des Wassers ähnlich; wir sind jedoch
333
zu der Annahme berechtigt, daß er sich in einer geraden Linie
fortbewege, indem immer ein Lufttheilchen an das andere anstößt,
welchen Weg wir einen Schallstrahl nennen. Je stärker die
Schwingungen sind, die an unsere Gehörwerkzeuge kommen, desto
starker ist der Schall, und umgekehrt. Daher hören wir einen
Schuß in der Nähe sehr stark, in der Ferne schwach. Die beim
Schalle erregte Luft wirkt auch wiederum erschütternd auf die
Körper. Wird in der Nähe eines stillstehenden Waffers getrom-
melt, so kommt das Wasser in eine zitternde Bewegung; ein
heftiger Donner macht, daß die Fenster klirren und ganze Ge-
bäude erbeben.
§. 44.
Die Geschwindigkeit des Schalles.
(Kdrfr.I Anh. V. 8 5- 3.)
Steht ihr ganz nahe bei einem Holzhacker, so vernehmet
ihr den Schall in demselben Augenblicke, wenn die Axt nieder-
fällt. Seid ihr aber einige 100' von ihm entfernt, so hört ihr
den Schall erst, wenn der Mann die Axt wieder hebt- Daraus
sehen wir, daß der Schall Zeit braucht, um in unser Ohr zu ge-
langen. Um diese Zeit genau kennen zu lernen, haben die Leute
die Kanonenschüsse beobachtet, weil bei einem Knalle, wie ihn
diese Werkzeuge hören lassen, die Beobachtung in einiger Ferne
angestellt werden kann. Denket euch nämlich zwei Berge (auf-
zuzeichnen), die einige Meilen von einander entfernt liegen, eine
Kanone auf einem derselben, die etwa in jeder Viertelstunde
einmal abgeschossen wird, und auf dem andern den Beobachter
mit allen Instrumenten, die zu seinem Geschäfte erforderlich
sind, wenigstens mit einem Fernrohre und einer Sekunden- oder
Tertienuhr! Sobald der Blitz erfolgt, läßt der Beobachter, wel-
cher schon früher einen Finger auf den Drücker gelegt hat, seine
Uhr, die bis dahin gehemmt gewesen ist, gehen, hält sie aber auch
eben so schnell wieder an, wenn der Donner seine Gehörweck-
zeuge trifft. Die Zeit zwischen Blitz und Donner ist ihm nun
bekannt. Da das Licht, wie wir später hören werden, für jede
Entfernung auf der Erde als unendlich schnell gelten kann; so
darf er bloß die Entfernung beider Berge mit der Zeit zwischen
Blitz und Knall vergleichen, um die Geschwindigkeit des Schalles
zu ermitteln. Durch solche oft wiederholte Versuche wurde man
gewahr, daß er in einer Sekunde einen Weg von 1040' zurücklegt.
Hohe und tiefe, starke und schwache Töne pflanzen sich gleich
schnell fort; denn wir hören in der Ferne die Töne einer Musik
in derselben Ordnung auf einander folgen, in welcher die Spie-
lenden sie ihren verschiedenen Instrumenten entlocken.
Lasset ihr in weiter Entfernung etwa zwei silberne Löffel
auf einen festen, recht elastischen Körper gleichzeitig niederfallen;
334
so kommen die Töne, welche durch sie hervorgerufen worden sind,
in demselben Augenblicke bei euch an: befestigt ihr aber den einen
an das eine Ende eines langen Bindfadens, leget das andere in
euer Ohr und wiederholt so den vorigen Versuch; so werdet ihr
den Ton des angebundenen Löffels eher hören, als den des
freien. Schlägt Jemand mit einem Hammer an das Ende einer
Metallröhre, so vernehmen wir an dem andern einen doppelten
Schall: einen früheren, der durch das Metall, und einen spateren,
welcher durch die in der Rohre eingeschlossene Luft fortgeführt
worden ist. Durch gußeiserne Röhren erfolgt der Schall 8 bis
loiml so schnell, als in der Luft. Durch vielfache Versuche der
Art hat man gefunden: Das Mittel, durch welches sich
der Schall fortpflanzt, die Temperatur der Luft und
die Richtung des Windes erhöhen oder verringern
die Geschwindigkeit des Schalles. Je dichter dasFort-
pflanzungsmittel ist, desto geschwinder ist auch der
Schall, je dünner, desto langsamer.
§. 45.
Die Zurückwerfung des Schalles.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 5. 2. und 4.)
Daß eine Kegel- oder Billardkugel, die man an die Seiten-
wand schiebt, von da abprallt und unter einem Winkel nach der
andern Seite laust, oder auch gerade zurückkehrt, wenn sie geradezu
auf einen elastischen Gegenstand geschoben wird, ist bekannt.
Eben so macht es auch der Schall. In großen und leeren Zim-
mern, Kirchen rc. bemerken wir deutlich, daß die Schallstrahlen
von den Wänden zurückgeworfen werden. Diese Wände sind
jedoch viel zu nahe, als daß wir Zeit hätten, den zurückgewor-
fenen Schall von dem Urschalle zu unterscheiden, wozu wenigstens
7i0 Sekunde erforderlich ist. In diesem Falle heißt der zurückge-
worfene Schall Wiederhall. Vergeht aber mehr als Vio Se-
kunde, so können wir beide Schälle genügend von einander unter-
scheiden, und dann heißt der zurückgeworfene Schall Echo.
Rechnet man nämlich 1000' auf die Geschwindigkeit eines Schalles
in einer Sekunde, so durchläuft er in Vio Sekunde loo'; folg-
lich müßte der harte Gegenstand, an welchem eine Silbe unter-
scheidbar zurückprallt, zum allerwenigsten 50' (50' auf den Hin-
und 50' auf den Herweg gerechnet» von dem Punkte, wo der
Schall ausgeht, entfernt sein. Gewöhnlich rechnet man aber 60',
und so weit muß auch wirklich der den Schall zurückwerfende
Gegenstand von dem schallenden Körper abstehen, wenn man an
letzterem ein einsilbiges Echo deutlich unterscheiden soll. Einsil-
big heißt es, weil man beim Aussprechen eines mehrsilbigen
Wortes nur die letzte Silbe hört, indem die vorausgehenden
335
Silben wegen der Nähe des den Schall zu ückwerfenden Gegen-
standes schon während des Aussprechens zurückkommen. Da man
jedoch das Echo nicht bloß an dem Orte, wo der Schall ur-
sprünglich erregt wird, Horen kann; so sollte man glauben, man
müsse 60' diesseit des schallenden Körpers ein zweisilbiges hören.
So ist es aber nicht, denn der weiter rückwärts Stehende hört
ja auch den Urschall so viel später. Nur dann, wenn er selbst
dem Echo zuruft, kann er wirklich ein zweisilbiges hören, weil er
120' weit von dem zurückwerfenden Gegenstände entfernt ist.
Bei einer Entfernung von etwa 500' könnte das Echo sogar
achtsilbig werden, wenn anders auch im übrigen Alles so beschaf-
fen ist, wie es zu einem Echo gehört.
Es giebt aber nicht nur vielsilbige, sondern auch vielfache
Echo's. Das vielsilbige prallt nur von einem festen Gegenstände,
das vielfache aber von mehreren Gegenständen zurück. Was
ich dem vielsilbigen zurufe, wiederholt es nur einmal; das viel-
fache giebt eine und dieselbe Silbe mehrmals zurück, weil der
Schall an mehreren Orten anstößt und zurückprallt, wie eine
Billardkugel an verschiedenen Banden. Man unterscheidet dem-
nach I) das einsilbige, einfache; 2) das einsilbige, mehrfache;
3) das mehrsilbige, einfache und 4) das mehrsilbige, mehrfache
Echo. Da jedoch zu einem Echo eine ganz eigene Lage und Be-
schaffenheit der Gegenstände gehört, welche den Schall zurück-
werfen; so sind selbst drei- und viersilbige, zwei- und dreifache
nicht sehr häufig. Bei Koblenz soll indeß ein siebenzehnsübiges
sein, und bei Adersbach in Böhmen ein siebensilbiges, dreifaches.
Eins der merkwürdigsten ist bei Rouen.
Auf der Zurückweisung der Schallstrahlen beruhen viele
akustische Instrumente und sogenannte akustisch merkwürdige
Gebäude.
Das Communications-Rohr dient, einen Schall weiter
fortzupflanzen, als es seiner Stärke nach ohne dieses Mittel ge-
schehen würde. Das Ohr muß dicht an das Rohr gehalten
werden, damit sich die Schallstrahlen nicht erst ausbreiten können.
Das Sprachrohr, am besten kegelförmig, ist bestimmt, die
menschliche Stimme auf weite Entfernung verständlich zu machen.
Man erreicht das dadurch, daß die Schallstrahlen, indem man
zu dem engern Ende hineinspricht, nach mehrmaligem Zurück-
werfen endlich alle der Are des Kegels, folglich sich selbst gleich-
laufend heraustreten und so die Luft bedeutend stärker erschüttern,
als es geschehen würde, wenn sie auseinanderfahrend vom Munde
fortgingen. Schon das Vorhalten der bloßen Hände um den
Mund ist geeignet, den Schall nach einer Richtung hin zu ver-
stärken und weiter zu verbreiten.
Das Hörrohr, dessen Bestimmung ist, schwer hörenden
Personen die menschliche Stimme verständlich zu machen, ist so
beschaffen, daß es durch sein weites Ende die Schallstrahlen auf-
336
fängt, sie durch Zurückwerfung in einem Punkte vereinigt und
durch sein engeres Ende in das innere Ohr, mit dem es in Ver-
bindung gesetzt wird, gelangen laßt. Man kann es als eine
Vergrößerung der menschlichen Ohrmuschel betrachten. Daß ein
solches Instrument den Schall sehr verstärkt in unser Ohr bringt,
werdet ihr sogleich erkennen, wenn ihr, während ich zu euch rede,
die offene Hand hinter das Ohr haltet.
Die Sprachgewölbe haben meist eine elliptische Form, so
daß die Schallstrahlen aus einem Brennpunkte nach dem andern
geworfen werden. Dergleichen bilden die Kuppel der Peterskirche
in Rom, die der Paulskirche in London rc.
"'§• 46.
Die Deschañenheit der schallenden Körper.
Werft einen Klumpen harten Thon auf den andern, so
plumpt er bloß; — erweicht giebt er nur einen platzenden Schall.
Laßt aber einen Topf daraus drehen und gut brennen, so giebt
dieser nun elastische Körper einen glockenartigen Klang. Doch
nicht Alles, was elastisch ist, geräth in die zum eigentlichen
Klange erforderliche regelmäßige Bebung; sonst müßte auch das
Klopfen der Feder- und Roßhaarkissen einen Klang.verursachen.
Es ist also außer der Elasticität entweder eine gewisse Steif-
heit und Härte, oder eine Spannung erforderlich. Ein Schlag
an einen Metallstab, an ein Glas, eine Glocke rc. giebt ohne
weitere Spannung einen Klang; denn diese Körper sind an und
für sich steif genug. Darm- und Metallsaiten, Roßhaare rc.
müssen erst an beiden Enden befestigt und gespannt werden.
Indeß ist doch nicht zu jedem Klang und Ton ein harter elasti-
scher Körper erforderlich; auch der weiche elastische kann in schal-
lende Bewegung gesetzt werden, wie z. B. unsere Stimmwerk-
zeuge. Der eigentliche Ton der menschlichen Stimme hängt von
der weitern oder engern Oeffnung der Stimmritze ab. Machen
wir sie ganz weit, so giebt die aus der Lunge gestoßene Luft
bloß den kaum vernehmbaren Laut des Hauches. Etwas verengt
fangen die tiefsten Töne an, bei welchen man auch deutlich das
Zittern der Kehlbänder am Luftröhrenkopfe fühlt. Mehr verengt
kommen immer höhere Töne, bei welchen man weniger die Be-
bung als die Verengung der Kehlbänder und die Pressung der
Luft fühlt. Bei den tiefen Tönen senkt der Baßsänger das
Kinn, um die Stimmritze zu erweitern, bei hohen hebt er es.
Durch die übrigen Sprachwerkzeuge, wie Gurgel, Rase, Zunge,
Zähne und Lippen geben wir den Tönen noch eine Menge Mit-
laute, wodurch die bewundernswürdige Abwechselung derSprach-
laute gebildet wird. Beim Pfeifen muß die Pressung der Luft
durch die verengten Lippen den Ton hervorbringen. Auch bei
Blase-Instrumenten ist es weit weniger das Zittern des Stoffes
337
derselben, als vielmehr die durch die Lunge oder durch einen Bla-
sebalg hervorgebrachte eigene Art der Lustschwingung, welche von
dem vielfachen An. und Zurückprallen in der Höhlung des In-
struments abhängt und sich dann auch außerhalb in gleicher Art
fortpflanzt. Man könnte hier die Luft selbst als eine in dem
Instrumente ausgespannte Saite betrachten.
Die Verschiedenheit des Klanges (bekanntlich hat jedes Ton-
werkzeug seinen eigenthümlichen Klang) hängt von dem Stoffe
ab, aus welchem die Instrumente bestehen, von ihrer eigenthüm-
lichen Form und Zusammensetzung, von der Beschaffenheit des
Mundstückes und besonders auch von dem Mittel, durch welches
sie in Bewegung gesetzt werden (Hämmer, Roßhaare, Federspulen,
Fingerspitzen rc.j. Anders klingt die mit dem Bogen gestrichene,
anders die mit den Fingerspitzen geschnellte Violinsaire; anders
die Glocke, wenn sie mit einem hölzernen, anders wenn sie mit
einem metallenen Hammer geschlagen wird. Die Glasglocken
der Harmonika tönen unter den nassen Fingern ganz anders,
als wenn man sie mit Etwas schlägt.
8. 47.
Die Verschiedenheit der Schwingungen schallender Körper.
Streicht man eine Saite an, so schwingt sie quer nach bei-
den Seiten; die Luftsäule in Blase-Instrumenten schwingt der
Länge nach, das Paukenfell in Kreisen. Hiernach sind die
Schwingungen schallender Körper von dreifacher Art: Quer-
oder Transversalschwingungen, Längs- oder Longitudi-
nalschwingungen und Rund- oder Rotundinalschwin-
gungen. Die Querschwingungen kommen besonders bei Saiten-,
die Längsschwingungen bei Blase-Instrumenten, und die Rund-
schwingungen bei Trommeln, Pauken, Becken, Glasscheiben,
Glocken rc. vor.
In Querschwingungen kann eine Saite auf verschiedene
Art versetzt werden, z. B. durch Streichen, wie bei der Violine,
durch Schlagen, wie beim Klavier, durch Blasen, wie bei der
Aeolsharfe, durch Zupfen, Reißen rc., wie bei der Guitarre,
Harfe rc. Durch diese Mittel wird die Saite aus ihrer geraden
Lage in eine gekrümmte gebracht und dadurch verlängert; siekehrt
dann von selbst, sich verkürzend, in die ursprüngliche Lage zurück,
geht darauf, sich verlängernd auf die andere Seite in eine ge-
krümmte Lage, kehrt dann wieder in die gerade zurück rc. Die
Schwingungen und die durch sie hervorgebrachten Töne hängen
hier ab von der Länge, Dicke oder dem Durchmesser, und von
der Spannung der Saite. Je kürzer, feiner und gespannter
eine Saite ist, desto höher ist der Ton. Daher haben Harfen
und Klaviere Saiten von verschiedener Länge, Dicke und Span-
nung. Bei den Saiten aus Violinen, Guitarren rc. werden die
Pechner, Handb. 3. Theil. 22
338
verschiedenen Töne einer Saite durch den Fingersatz hervorge-
bracht. Der tiefste hörbare Ton ist derjenige, der durch unge-
fähr 32 Schwingungen, und der höchste derjenige, der durch
8192 Schwingungen in einer Sekunde entsteht. (Jener ist daK
C einer 32 füßigen offenen Orgelpfeife, dieser das sogenannte
5 mal gestrichene €.). Giebt die ganze Saite den Grundton an,
so geben 8/? derselben die Sekunde, */s die Terz, % die Quarte,
2/3 die Quinte, 3/s die Sexte, 8/ls die Septime, V2 die Octave
des Grundtones an. Macht der Grundton 24 Schwingungen,
so macht die Sekunde 27, die Terze 30, die Quarte 32, die
Quinte 36, die Sexte 40, die Septime 45 und die Octave 48.
Man unterscheidet consonirende und dissonirende Accorde, je nach-
dem Töne wohl oder übel zusammenklingen. Zwei Töne find
desto mehr consonirend. je mehr Schwingungen derselben zusam-
mentreffen. Am meisten consoniren mit dem Grundtone die Oc-
tave, Quinte und Terz, am wenigsten die Sekunde und Sep-
time. Mit der Octave hat der Grundton eine Schwingung um
die andere, mit der Quinte die dritte, mit der Terz die vierte
Schwingung gemein. — Eine Saite schwingt gewöhnlich ganz.
Durch eine leise Berührung auf der Hälfte, dem Drittel, Viertel
der Länge kann bewirkt werden, daß dieselbe in 2, 3, 4 rc. Thei-
len schwingt. Auf den Theilungspunkten entstehen dann soge-
nannte Schwingungsknoten, wo die Saite in Ruhe ist. Auf
diesen Theilschwingungen beruhen die sogenannten Flageolet- oder
Vogeltöne. — In Längsschwingungen wird eine Seite versetzt,
wenn man sie mittelst eines Bogens unter möglichst ungleichen
Winkeln streicht. Die Schwingungen bestehen in abwechselnden
Verdichtungen und Ausdehnungen, oder in Verkürzungen und
Verlängerungen der Saite in der Richtung ihrer Länge. Der
Ton ist meist scharf und unangenehm und desto tiefer, je länger
die Saite ist.
Die Längsschwingungen kommen vorzüglich an den Luft-
säulen in Blase-Instrumenten vor. Durch die Berührung eines
klingenden festen Körpers vermittelst der Hände wird der Ton
desselben sogleich verändert, ein Zeichen, daß er in seinen Schwin-
gungen gestört worden ist. Wird aber ein geblasenes Instrument
in noch so vielen Pnkten berührt, so bemerkt man in der Höhe
des Tones nicht die geringste Aenderung, und man schließt da-
raus mit Recht, daß nicht der Stoff, aus dem das Instrument
verfertigt ist, sondern die darin enthaltene Luft der klingende
Körper sek. Was bei den Saiten der Violinbogen, ist hier eine
dichte Luftschicht, welche so eingeblasen wird, daß sie, über die
Luftsäule hinweggehend, sie gleichsam streicht und so die Schwin-
gungen hervorbringt. Die Höhe des Tones hängt hier von der
Länge der Luftsäule, von ihrem Umfange und von der Stärke
des Anblasens ab. Je kürzer und dünner das Instrument ist,
und je stärker es angeblasen wird, desto höher ist der Ton. Auf
339
der Orgel werden die mannichfaltigen Töne hauptsächlich durch
verschieden lange und dicke Pfeifen, auf den Flöten, Klarinet-
ten rc. durch das Oeffnen und Schließen der Löcher und Klappen
und das verschiedene starke Anblasen, auf den Hörnern und Trom-
peten durch das verschiedene Anblasen, bei den neuern auch durch
Klappen und Ventile, bei den Posaunen durch das verschiedene
Ausstößen und Einziehen rc. hervorgebracht.
Die Rundschwingungen bei gläsernen und metallenen
Scheiben und bei gespannten Häuten, bei Glocken rc. sind den
Schwingungen klingender Saiten ähnlich. Je kleiner, dünner
und gespannter oder härter der schallende Körper, desto höher ist
der Ton. Sand auf eine Glasscheibe gestreut und diese mit
einem Bogen angestrichen, bildet bei jedem Tone eine besondere
Figur, einen Stern mit mehr oder weniger Strahlen, einen Kreis
mit oder ohne Durchmesser, Parallelen, geschnitten durch Paral-
lelen rc. Man nennt diese Figuren Klangfiguren, oder nach
Chladni, ihrem Erfinder, chladni'sche Figuren.
8- 48.
Dauer und Stärke des Schalles.
Die Dauer des Schalles hängt, wo nicht eine Art von
Echo denselben verlängert, von der Dauer der Schwingungen des
schallenden Körpers ab. So lange dieser bebt, so lange bebt
auch die Luft. An Hammer-Klaviren sind daher Tonfänger
(Dämpfer) angebracht, welche sogleich nach dem Anschlagen die
Saiten mit einem weichen Körper berühren, wodurch das Zittern
und Nachtönen verhindert wird. Selbst den Nachhall einer
großen Glocke kann man unterbrechen, wenn man sie mit der
flachen Hand . drückt. Bei dieser Berührung fühlt man aber
auch das Beben aller Theile der Glocke.
Die Stärke des Schalles und die davon abhängende
Verbreitung desselben ist nicht genau bestimmbar, da es hierbei
viele in einander greifende Bestimmungen giebt, hauptsächlich die
Größe der schwingenden Masse, die Weite und Geschwindigkeit
der Schwingungen, die Dichtigkeit der Luft, die Stille in der
Atmosphäre, welche alle in geraden Verhältnissen zur Stärke des
Schalles stehen. Auch auf die Beschaffenheit des Ortes, wo der
Schall erregt wird, kommt sehr viel an. Sind z. B. die Wände
mit Tuch beschlagen, wie bei Trauerfeierlichkeiten, so tönt die
Musik gedämpfter. In einer sehr gefüllten Kirche schallt die
Stimme des Predigers weniger stark, als in einer sparsam be-
suchten oder leeren. In kalten Zimmern klingt ein Instrument
lauter als in einem heißen. Tiefer Schnee dämpft den Ton der
Glocken, Trommeln, Trompeten rc. Die Feuchtigkeit vermindert
die Ausdehnsamkeit der Luft; daher wird bei feuchter Luft die
menschliche Stimme, das Glockengeläute, der Kanonendonner rc.
22*
340
weit weniger gehört als sonst. Eine Pistole knallt in einer Grube
sehr stark, auf hohen Bergen dagegen sehr schwach. Der Sardino
auf dem Stege schwächt den Schall der Violine. Elastische Kör-
per, welche mit schallenden verbunden sind oder sie umgeben, ver-
stärken den Schall, indem sie die Schwingungen annehmen und
mittönen. Eine Stimmgabel angeschlagen und mit dem Stiele
auf einen Resonanzboden gehalten, klingt laut, während man sie
' in der Luft schwach hört. Hinsichtlich der Abnahme der Stärke
des Schalles mit der Entfernung besteht das Gesetz: Die Stärke
des Schalles nimmt ab, wie die Quadrate der Ent-
fernungen zunehmen.
VII. Die vornehmsten Luft- oder Gasarten.
(Kdrft. I. Anh. V. §. 0.)
§. 49.
Die Lebenslust.
(Kdrft. I. Anh. V. 8.6» 1. und 2.)
Die Lebenslust macht einen Hauptbestandtheil der atmo-
sphärischen Luft aus. Sie ist ohne Geruch, Geschmack und Farbe,
aber zum Leben und Gedeihen der Menschen, Thiere und Pflan-
zen, so wie zum Verbrennen der Körper unumgänglich nothwen-
dig. Athmen und Verbrennen finden in reiner Lebenslust weit
lebhafter statt, als in der atmosphärischen Luft. Brennende
Körper, in Lebenslust gebracht, brennen rascher und mit größerer
Flamme fort, als in der atmosphärischen Luft, und Körper, die
in der atmosphärischen Luft nur glimmen, brennen in Lebens-
lust mit Flammen, z. B. glimmende Holzspäne, Wachslichte,
Zunder, Kohle; Phosphor verbrennt mit einem kaum zu etra-
genden Glanze, Stahlfedern schmilzen zu Kügelchen rc. Blase-
bälge, Zugöfen rc. verstärken daher das Feuer. Das Wasser
nimmt außerdem, daß einer seiner Bestandtheile Lebenslust ist,
auch noch welche aus der atmosphärischen Luft auf, der es zuzu-
schreiben ist, daß die Wasserthiere unter dem Wasser leben
können.
Die Lebenslust heißt auch Sauerstoff oder Sauerstoff-
gas (Oxygen), weil sie bei ihrer Verbindung mit vielen Stoffen
zusammengesetzte Körper von saurer Beschaffenheit erzeugt, z. B.
wenn sie sich mit Kohle verbindet, Kohlensäure, wenn sie sich
mit Schwefel vereinigt, Schwefelsäure rc. Die Vereinigung eines
Körpers mit Sauerstoff heißt im allgemeinen Oxydationspro-
zeß oder Oxydation und der daraus entstandene Körper ein
Oxyd oder eine Sauerstoffverbindung. Die Oxydation ist
in vielen Fällen von einer Licht- und Wärmeentwickelung beglei-
341
t«t, in vielen Fällen aber auch nicht; man unterscheidet daher
Verbrennung und dunkle Verbrennung. Brennbare
Körper sind hiernach alle Körper, welche sich mit dem Sauer-
stoff verbinden können, insbesondere alle einfache Stoffe, mit
Ausnahme des Sauerstoffes selbst. Derjenige Vorgang aber,
wobei dem oxydirten Körper der Sauerstoff entzogen wird, heißt
Desoxydation, bei den Metallen Reduction. Ein Körper
verbrennt, heißt also soviel, als er verbindet sich mit dem Sauer-
stoffgase; auch ist von selbst einleuchtend, daß das Produkt der
Verbrennung so viel wiegen muß, als der verbrannte Körper
und das verbrauchte Sauerstoffgas zusammen wiegen (das spec.
Gewicht des Sauerstoffes ist, das Gewicht der atmosphärischen
Luft als Einheit angenommen, — 1,1026). Ehe ein Körper zu
verbrennen, d. h. mit Sauerstoffgase sich zu verbinden anfangen
kann, muß er erst einen gewissen Grad von Wärme, den man
seine Entzündungs-Temperatur nennt, erreicht haben, und
damit er fortbrennen könne, ist natürlich die fernere Gegenwart
des Sauerstoffgases oder der dasselbe als Bestandtheil enthalten-
den atmosphärischen Luft nöthig. Um einen brennenden Körper
auszulöschen, muß man ihn daher entweder unter seine Entzün-
dungstemperatur bringen, oder das Sauerstoffgas von ihm ab-
halten. Hierauf gründen sich alle Mittel, Feuer auszulöschen.
Brennendes Oel kann durch Wasser nicht gelöscht werden, weil
1) das Wasser schwerer ist, also nicht auf der Oberfläche des
Oeles bleibt, 2) aber auch, da die Entzündungstemperatur des
Oeles bedeutend höher ist (als 80° R.), sofort verdampft. —
Weniges Wasser verstärkt das Feuer, denn es wird durch dieses
zersetzt in Sauerstoffgas und Wasserstoffgas, und es entstehen
zwei sehr brennbare Luftarten: Kohlenoxydgas und Kohlenwasser-
stoffgas; daher brennen befeuchtete Kohlen besser als trockene.
Entwickelt wird die Lebenslust von der Natur aus den
grünen Blättern und Zweigen der Pflanzen bei Sonnenschein.
Während der Nacht saugen nämlich diese Theile die Kohlensäure
ein, zersetzen dieselbe unter dem Einflüsse des Sonnenlichtes,
behalten den Kohlenstoff, der ja ihren Hauptbestandtheil aus-
macht, für sich und geben den freigewordenen Sauerstoff an die
Atmosphäre zurück. Künstlich wird die Lebenslust aus Braunstein,
Zinnober, Mennige, Salpeter und vielen andern Salzen entwik-
kelt, indem man diese Körper glüht.
§ 50.
Die Stickluft.
(Kdrfr. I. Anh. V. g.6. 1. und 3.)
Die Stickluft, auch Stickstoff, Stickgas, Stickstoff-
gas, Azotgas und Nitrogen genannt, ist ein Hauptdestand-
342
theil der atmosphärischen Lust, von der sie fast */4 ausmacht,
kommt selten im Mineralreiche, häufiger im Pflanzenreiche und
besonders reichlich im Thierreiche vor. Sie ist geschmack-, ge-
ruch- und farblos und leichter als die atmosphärische Luft (0,976).
Nur wenn gar kein Sauerstoff mehr mit ihr verbunden ist, er-
sticken Menschen und Thiere in derselben, und Lichter verlöschen.
Man kann diese Lustart entwickeln, wenn man in einer mit
Wasser abgesperrten, atmosphärischen Lust enthaltenden Glas-
glocke Körper verbrennt, wozu sich Phosphor und Weingeist am
besten eignen, oder durch einen Aufguß von Salpetersäure auf
fleisch. Unter gewissen Verhältnissen mit Sauerstoff, Wasser-
off und Kohlenstoff in Verbindung gebracht, bildet der Stickstoff
einige der wichtigsten Zusammensetzungen; so mit Sauerstoff die
Salpetersäure oder das Scheidewasser, die ätzendste aller
Flüssigkeiten; mit Wasserstoffgas das Amm on ia k, eine flüchtige,
höchst wirksame Lauge; mit Kohlenstoff und Wasserstoff die
Blausäure, das tödlichste Gift. Unmittelbar verbindet er sich
mit keinem der andern Grundstoffe.
Das Scheidewasser wird durch Destillation von 2 Theilen
Salpeter und 1 Theile Schwefelsäure in einer gläsernen Retorte
und durch Aufsammlunz der Flüssigkeit in einem besondern Re-
cipienten erhalten. Reine Salpetersäure ist gleich dem Wasser
klar und farblos; ihr Geruch ist stechend, ihr Geschmack aus-
nehmend sauer, und ihre Wirkung auf thierische Stoffe sehr
atzend. Die Haut färbt sie andauernd gelb. Ihre Zuneigung
zum Wasser ist sehr groß. Sie ist fähig, die meisten Metalle
zu oxydiren, und bildet mit verschiedenen Stoffen Salze, die man
Nitrate nennt. Man gebraucht sie zum Beizen des Holzes,
zur Reinigung des Goldes, in der Färberei, Medizin und in sehr
vielen Fabriken.
Das Ammoniakgas bildet mit Wasser den Salmiak-
geist, und mit der Salzsäure ein Salz, das salzsaure Am-
moniak oder den Salmiak. Jenen hält man wegen seines
starken Geruches den Ohnmächtigen unter die Nase, damit sie
wieder zu sich kommen. Das Ammoniak hat einen stechenden,
durchdringenden Geruch, der Nase (im Schnupftaback) und Augen
reizt. Es erzeugt sich, wo thierische Stoffe faulen, in Dung-
stätten, Abtritten rc.
Die Blausäure ist ein Bestandtheil aller Pflanzenstoffe,
die den Geruch und Geschmack bittrer Mandeln haben, wie der
Kirsch-, Pflaumen-, Aprikosen- und Psirsichkerne rc.
343
§• 51.
Die brennbare Luft.
(Äbrfr. I. Anh. V. §. 6. 4.)
Die brennbare Luft, auch Wasserstoff, Wasserstoff-
gas und Hydrogen genannt, ist ein Hauptbestandtheil des
Wassers, der Thiere und Pflanzen. Sie ist geruch-, geschmack-
und farblos, 14 mal leichter als die atmosphärische Luft (0,0öS8)
und der brennbarste Körper in Berührung mit derselben; sonst
ist sie unfähig, das Verbrennen zu unterhalten. Beim Verbren-
nen entwickelt sie viel Licht, aber wenig Hitze. Erzeugt wird
das Wasserstoffgas I) mittelst der galvanischen Säule (die wir
spater kennen lernen werden), wobei sich der Wasserstoff am ne-
gativen, der Sauerstoff am positiven Pole ansammelt; 2) indem
man Wasserdämpfe durch einen glühenden, mit Eisenfeilspänen
gefüllten Flintenlauf gehen läßt, wobei sich der Sauerstoff der
Wasserdämpfe mit dem Eisen verbindet und es orydirt, während
der Wasserstoff frei wird; 3) durch einen Aufguß von Schwefel-
säure auf im Wasser liegende Eisenfeile oder Zinkstücke, wobei
der Hergang der Sache so erklärt wird: durch die gemeinschaft-
liche Einwirkung der Schwefelsäure und des Zinkes auf das
Wasser, giebt dieses seinen Sauerstoff dem Zink ab und ver-
wandelt es in Zinkoxyd. Indem nun so der Wasserstoff des
Wassers frei wird, löst sich zugleich das Zinkoxyd in der Schwe-
felsäure auf und bildet ein Salz. Hierauf gründet sich die Ein-
richtung der Platina-Zündmaschine. — Wegen ihrer Leichtigkeit
wird die brennbare Luft, wie §. 40. angeführt wurde, zum Füllen
der Luftballons angewendet.
Zwei Volumen Wasserstoff und 1 Volumen Sauerstoff mit
einander vermengt, geben Knallgas, aus dessen von einem
Knalle begleiteten Entzündung mittelst eines elektrischen Funkens
Wasser entsteht. Diese wunderbare Entstehung des flüssigen
Wassers aus Luftarten ist aber sehr umständlich, und wir holen
daher unser Wasser lieber am Brunnen.
Die schlagenden Wetter in den Bergwerken und die
Sumpfluft, aus der wahrscheinlich die Irrlichter entstehen,
sind Kohlenwasserstoffgas. — Die Salzsäure besteht aus
Wasserstoff und Chlor.
§. 52.
Die fixe Luft.
lKdrft. I. Anh. V. §. 6. 5.)
Die fixe Luft heißt auch Kohlensäure oder kohlen-
saures Gas, weil sie eine Verbindung des Sauerstoffes mit
dem Kohlenstoffe ist. Der letztere kommt in der Natur ganz
844
rein nur als Diamant vor; sonst ist er ein Hauptbestandtheil
aller Arten von Kohlen (Graphit, Steinkohlen, Braunkohlen, Torf,
Pflanzen- und Tbierkohlen) und aller organischen Wesen. Ohne
Zutritt der atmosphärischen Luft verflüchtigt er sich selbst bei
Weißglühhitze nicht, was aber sogleich in der Luft geschieht. Die
gut ausgebrannte Kohle hat die Eigenschaft. Gasarten und Dampf
in ihre Poren aufzunehmen und zu verdichten — von der fixen
Luft das Vierfache ihres Volumens — ferner verschiedene Stoffe
aus dem Pflanzen- und Thierreiche anzuziehen und festzuhalten;
daher sie gebraucht wird, faulenden Stoffen Geruch und Ge-
schmack zu benehmen, faul gewordenes Wasser trinkbar zu machen,
Flüssigkeiten zu entfärben, den Zucker zu reinigen rc. Kohlen-
pulver macht die Lust trocken; Stahlwaaren, in Kohlenpulver
eingepackt, rosten nicht; Holzpfähle werden an dem untern Ende,
welches in die Erde kommt, verkohlt; eben so die Schiffstonnen
inwendig; Fleisch kann durch Kohlenpulver vor Fäulniß bewahrt
werden.
Die Kohlensäure besteht aus I Theil Kohlen- und 2 Theilen
Sauerstoff, ist über I^mal (>,524) so schwer, als die atmo-
sphärische Luft, sinkt daher in derselben nieder und läßt sich be-
quem aus einem Gefäße in das andere gießen. Entwickelt wird
sie, wenn man eine Säure (Essig, verdünnte Schwefelsäure rc.)
auf Kalk, Kreide rc. schüttet oder Kohlen verbrennt. Sie zeigt
sich beim Entkorken der Bier- und Ehampagnerflaschen und
giebt diesen Getränken den angenehmen Geschmack; ohne dieselbe
sind sie schal. Aus ihrer Verbindung mit Wasser bestehen die
verschiedenen Sauerbrunnen, der Selter-, Pyrmonter- u. a.
In Kellern, wo Biere oder Weine gähren, ist große Vorsicht
nöthig, weil die Kohlensäure den Lungen nachtheklig ist.
Eine andere Sauerstoffverbindung des Kohlenstoffes, das
Kohlenoxydgas, verbrennt, indem es sich in Kohlensäure ver-
wandelt, mit blauer Flamme; Kohlensäure dagegen laßt sich gar
nicht entzünden; in keinem von beiden brennt ein Licht und
beide sind lebensgefährlich. Die blauen Flämmchen über glühen-
den Kohlen sind Kohlenoxydgas. Oefen dürfen daher nicht eher
mittelst Klappen geschlossen werden, bis diese Flämmchen ver-
schwunden sind. Wie oft schon Personen vom Kohlendämpfe er-
stickt sind, so kommen doch immer noch Unglücksfälle der Art
fast in jedem Winter vor. In der Hundsgrotte bei Puzzuoli
unweit Neapel befindet sich eine Schicht Kohlenoxydgas, die am
vorder» Ende kaum einige Zoll, am entgegengesetzten aber zu I
bis 17z' emporsteigt.
Die zwei Wasserstoffverbindungen des Kohlenstoffes heißen
beide Kohlenwasserstoffgas, das eine das leichte, das an-
dere das schwere oder öibildende Gas. Beide sind der Gesund-
heit nachtheilig, beide brennbar, daher sie zur Gasbeleuchtung
gebraucht werden, besonders das letztere, welches durch trockene
345
Destillation aus organischen Körpern erhalten wird, besonders
aus Steinkohlen und Oel.
Andere Kohlenstoffverbindungen stnd: Kohlensaures Kali
(gereinigtePottasche), kohlensaures Natron (Soda), kvh len-
saurer Kalk (in Marmor, Kalk, Kreide, Muschel- und
schalen), kohlensaures Zinkoxyd (in Galmei).
VIII. Das Licht (Optik).
(Kdrft. I. Anh. V. tz. 7.)
§. 53.
Das Ficht im Allgemeinen.
(Kdrft. I. Anh. V. §. 7. 1. —4. Hdb. II. S. 37.)
Bei Tage werden uns die Gegenstände in unserer Umge-
bung sichtbar gemacht durch die Sonne, des Nachts durch den
Mond und die Sterne, das Feuer, brennende Kerzen oder Lam-
pen rc. Auch faules Holz, Johanniswürmchen, viele Fische,
Quallen und andere Seethiere, Irrlichter und Sternschnuppen
geben einen hellen Schein von sich und erleuchten mehr oder
weniger die sie umgebenden Dinge. Wollte man bloß dem Sinne
des Gesichtes trauen, so müßte man annehmen, daß von Allem,
was wir sehen, es mag selbst leuchten, oder nur beleuchtet sein,
Lichtstrahlen ausströmen, die sich bis in unser Auge erstrecken.
Man kann sich aber auch den ganzen Weltraum von einer un-
gemein feinen, elastischen, vollkommen durchsichtigen Lichtmate-
rie, dem sogenannten Aether, erfüllt denken. Die Theilchen eines
leuchtenden Körpers befinden sich im Zustande beständiger Schwin-
gungen und erregen dadurch die Lichtmaterie in ihrer nächsten
Umgebung. In unermeßlicher Geschwindigkeit berührt ein Licht-
punkt den andern; alle gerathen in eine leuchtende Bewegung,
und so kommen die letzten Punkte der Linie, welche man den
Lichtstrahl nennt, in unser Auge.
Sämmtliche Körper, welche die Eigenschaft besitzen, den
Aether fortwährend in schwingende Bewegungen zu versetzen,
nennen wir ursprünglich oder felbstleuchtende Körper, alle
andern aber, die für uns dadurch sichtbar werden, daß sie die
Lichtstrahlen irgend eines leuchtenden Körpers zurückwerfen, er-
leuchtete oder dunkele Körper. Zu jenen gehören die Sonne,
die Fixsterne, die Sternschnuppen rc.; zu diesen der Mond, die
Planeten, also auch unsere Erde mit unzähligen Gegenständen
auf derselben. Es giebt auch Körper, welche die Eigenschaft
haben, nach einer empfangenen, hinlänglich starken Erleuchtung
noch eine Zeit lang im Dunkeln fortzuleuchten. Man nennt sie
Lichtsauger, Lichtträger, weil sie eine Menge Lichtmaterie
346
gleichsam einschlucken und diese nach und nach wieder ausströmen
kaffen. Dahin gehört z. B. der im I. 1630 von einem Schuh-
macher in Bologna entdeckte bononische Stein, welcher gelinde
geglüht und nachher dem Sonnenlichte ausgesetzt, seine ihm mit-
getheilte Lichtmaterie im Dunkeln wieder ausstrahlt.
Das Erleuchten der Körper ist nicht die einzige Wirkung
des Lichtes; es äußert auch großen Einfluß auf das Gedeihen
vieler Geschöpfe. Schnell schießen in Wäldern und Gärten die
jungen Bäumchen und Kräuter hervor, um an das Licht zu
kommen; gern neigen sich die Pflanzen, selbst im Zimmer, gegen
die Sonnenseite, und alle Gewächse und Früchte, selbst diejenigen
Theile derselben gerathen am besten und werden auch der Farbe
nach am schönsten, welche nach dem Sonnenlichte gekehrt sind.
Die meisten Pflanzen arten im Finstern, z. B. im Keller, aus,
werden so gelb und bleich, daß sie fast gar nicht mehr zu er-
kennen sind; am Tageslichte erholen sie sich nach und nach
wieder. Wie wohlthätig das Licht auf den Menschen wirkt,
zeigt sich bei Greisen und Genesenden, die in der Sonnne ordent-
lich wieder aufleben.
Oft ist mit Licht Wärme verbunden, wie bei der Feuerflamme,
oft aber auch nicht, wie bei dem leuchtenden faulen Holze, den
Johanniswürmchen rc. Das Sonnenlicht kommt nicht warm
von der Sonne, sondern erregt nur in der Luft und den Körpern
der Erde die Wärme. Jedenfalls sind Licht und Wärme zwei
ganz verschiedene Dinge, die wohl oft beisammen sind, aber nicht
beisammen zu sein brauchen.
§- 54.
Die Verbreitung des Fichtes.
(Kdrsi. I. Anh. V. §. 7. 5. und 6.)
Fallen Sonnenstrahlen durch eine kleine Oeffnung eines
Fensterladens in ein dunkeles Zimmer, so bemerken wir, daß der
Staub in der Luft in gerader Linie erleuchtet ist. Bringen wir
ferner einen dunkeln, undurchsichtigen Körper zwischen eine Flamme
und unser Auge, so können wir die Flamme nicht sehen. Hieraus
folgt: das Licht verbreitet sich in geraden Linien. Des-
halb kann das Licht nicht zugleich die hintere Seite eines Kör-
pers erleuchten; sonst müßte es sich ja um ihn herum krümmen.
Es streift vielmehr an dem Umfange des Körpers geradlinig vor-
bei; daher bleibt hinter dem Körper ein nicht erhellter Raum,
den man Schatten nennt. Bei einem leuchtenden Punkte, wie
es in der Wirklichkeit keinen giebt, müßte der Schatten ein
völlig lichtloser Raum sein,und zwar ein mit der Entfernung sich
erweiternder abgekürzter Schattenkegel, oder eine solche Schatten-
pyramide, wenn es nicht auch eine Seitenbeleuchtung von andern
347
Lichtquellen gäbe. Bei einem leuchtenden Körper dagegen wird
die Gestalt des Schattens bedingt durch die Gestalt und Größe
des leuchtenden und des erleuchteten Körpers und durch ihre
Entfernung von einander. Denken wir uns z. B. Kugeln, so
tiebt es einen mit der Entfernung sich erweiternden, abgekürzten
?chattenkegel, oder einen unbegrenzten Schattencylinder, oder
endlich einen Schattenkegel, je nachdem die leuchtende Kugel
kleiner, oder eben so groß, oder endlich größer als die beleuchtete
ist. Im letzteren Falle hat man einen Kern und einen Halb-
schatten, d. h. einen vollkommenen und einen halbdunkelen
Schatten (Fig. 28). Es giebt nämlich hinter dem undurchsichti-
gen Körper einen Raum, wohin von gar keinem Theile des leuch-
tenden Körpers Lichtstrahlen gelangen, aber auch einen Raum,
wohin zwar von einigen Theilen desselben keine Lichtstrahlen ge-
langen, wohl aber von andern, und da dieser von dem Kern-
schatten nach dem vollkommenen Lichtraume immer mehr werden,
so muß ein allmäliger Uebergang vom Schatten zum Lichte statt-
finden.
Ein dunkler Körper wird desto stärker erleuchtet, je näher ec
sich dem leuchtenden befindet. Kann man 1' weit von dem
Lichte recht gut lesen, so muß man, um 2' weit davon eben so
gut lesen zu können, nicht 2, sondern 4 Lichter, 3' weit davon
9Lichter haben. Die Stärke des Lichtes nimmt ab, wie
die Quadrate der Entfernungen zunehmen — Von
einem leuchtendem Punkte verbreitet sich das Licht nach allen
Richtungen, so daß die Strahlen gleichsam eine große Strahlen-
kugel bilden, deren Mittelpunkt der leuchtende Punkt ist. Läßt
man die Lichtstrahlen auf eine Fläche fallen, so bilden sie von
dem Lichtpunkte aus bis zu dieser Fläche einen Strahlenkegel,
oder eine Strahlenpyramide. Je weiter von dem leuchtenden
Punkte ab, desto mehr fahren die Lichtstrahlen aus einander,
oder desto weniger dicht fallen sie auf eine Fläche und desto
schwächer erleuchten sie dieselbe.
Nichts gleicht der Schnelligkeit des Lichtes, als etwa
unsere Gedanken; jedoch sind diese nichts Körperliches. Von der
Sonne, die 21 Millionen Meilen entfernt ist, kommt das Licht
in etwa 8 Minuten; es legt also in einer Sekunde 42,000 Mei-
len zurück, d. h. einen Weg, den ein Reisender in 1>,OOO Jahren
vollenden würde. Die Fixsterne stehen in so ungeheuren Weiten
von der Erde ab, daß ihr Licht Hunderte, ja Tausende von Jah-
ren braucht, ehe es zu uns kommt; vom Sirius, dem nächsten
Nksterne, hat es schon 60 Jahre dazu nöthig. Daß wir die
Sterne aber sogleich sehen, wenn es dunkel wird, kommt daher,
weil die von den Fixsternen schon zu uns gelangten Lichtstrahlen
in einer ununterbrochenen Reihe beständig fortlaufen. Wenn
uns ein Stern aufgeht, so haben seine Strahlen keinen weitern
Weg mehr zu machen, als von dem Horizonte an, was in einer
348
unmerklichen Zeit geschieht. Der nämliche Fall ist, wenn ein
hinter einer Wolke versteckter Stern wieder sichtbar wird. Sollte
aber ein Stern augenblicklich verdunkelt werden, so würden wir
ihn noch eine Zeit lang sehen, auch wenn er nicht mehr leuchtet.
Hingegen würden wir ihn auch sehr lange nicht sehen, nachdem
er schon wieder zu leuchten angefangen hattte. Sollte die Sonne
einmal plötzlich verlöschen, so würden wir dies nicht augenblicklich
merken, sondern sie noch beinahe 8 Minuten am Himmel sehen.
Hatte Gott dem Lichte nicht die unbegreifliche Schnelligkeit ver-
liehen, so würden wir ein schnell laufendes Wild nicht mit dem
Feuergewehre treffen und einem auf uns zufliegenden Steine
nicht ausweichen können. Wird in einer bedeutenden Entfernung
auf der Erde plötzlich ein Licht sichtbar, wie z. B. beim Ab-
feuern einer Kanone, so erblicken wir das Feuer fast in demsel-
ben Augenblicke, in welchem es entsteht.
§. 55.
Der Sehwinkel oder die scheinbare Größe -er Gegenstände.
(Kdrsr. I. Anh. V. §.7. 7.)
Halten wir uns ein Lineal dicht vor das Auge, so erscheint
es uns so groß, daß wir seine Länge gar nicht übersehen können.
Je weiter es sich vom Auge entfernt, desto kleiner kommt es
uns vor, bis es in sehr großer Ferne endlich ganz verschwindet.
Dasselbe können wir an jedem andern Gegenstände wahrnehmen.
Wenn man von den äußersten Enden eines Gegenstands gerade
Linien nach der Mitte des Auges zieht, so heißt der Winkel, den
sie hier bilden, der Sehwinkel (Fig. 29. ACB). Er bestimmt
die scheinbare Größe des Gegenstandes; denn nachdem er groß
oder klein ist, sieht uns der Gegenstand auch groß oder klein
aus. Bei einerlei Gegenstand wird der Sehwinkel desto kleiner,
je weiter der Gegenstand vom Auge entfernt ist. AB, ab, cd
sind gleich große Gegenstände von verschiedenen Entfernungen,
und man sieht aus der Figur, daß der Sehwinkel von jedem
entfernteren Gegenstände kleiner ist, als von dem näheren. Da-
her hängt unser Urtheil über die Größe eines Gegenstandes auch
von der Entfernung desselben ab. Sonne und Mond sind sehr
verschieden an Größe; dennoch erscheinen sie uns beinahe gleich
groß, weil die Sehwinkel, unter denen wir beide wahrnehmen,
beinahe einerlei sind. Eine Allee scheint uns immer enger und
niedriger zu werden, weil die entfernteren Bäume, so wie ihre
Abstände von einander immer kleinere Sehwinkel haben. Wenn
der Sehwinkel eines bloß erleuchteten, nicht selbst leuchtenden
Gegenstandes bis auf 1/2° abnimmt, so verschwindet der Gegen-
stand gänzlich aus dem Gesichte; leuchtende Körper aber sind
349
uns in noch weiteren Entfernungen, bei noch weit kleinerem Seh-
winkel sichtbar, z. B. die Fixsterne.
Die wahre Größe eines Körpers laßt sich also aus der Größe
des Sehwinkels allein nicht gut beurtheilen; wir müssen auch
die Entfernung des gesehenen Körpers wissen und dann die
scheinbare Größe desselben mit der scheinbaren Größe anderer
näherer oder entfernterer Körper vergleichen, deren Größe bekannt
ist. Auch dient uns die stärkere oder schwächere Beleuchtung, in
der uns ein Körper erscheint, zur Beurtheilung seiner Größe.
Auf die Erfahrung, daß entferntere Gegenstände kleiner er-
scheinen, gründet sich das ganze^perspectivische Zeichnen. Mit
Hülfe der Perspective wird es den Malern möglich, sehr ange-
nehme Täuschungen hervorzuzaubern. So sehen wir z. B. auf
den Vorhängen und Coulissen in Schauspielhäusern auf einem
kleinen Raume nicht selten eine lange Allee oder Straße, einen
Säulengang u. dgl. Indem sie nämlich die Bäume, Häuser,
Säulen allmälig kleiner zeichnen, bewirken sie, daß das Auge
fast ganz denselben Eindruck empfängt, als ob die immer größer
werdende Entfernung von uns jene Gegenstände näher und
näher zusammengerückt hätte.
§. 56.
Die Zurückwerfung -er Lichtstrahlen (Katoptrik). Planspiegel.
(Kdrsi. I. Anh. V. Z. 7. 8.)
Die von den leuchtenden Körpern ausgehenden Lichtstrahlen
treffen andere Körper und prallen von diesen eben so zurück, wie
ein gegen die Wand geworfener Ball. Allein es findet dabei
doch ein Unterschied statt. Der Ball ist ein fester Körper; den
Lichtstrahl aber müssen wir uns als eine unendlich feine Flüssig-
keit vorstellen. Richtet man den Wasserstrahl aus einer Feuer-
spritze auf eine Wand, so prallt er auch zurück, aber nicht als
ein einfacher Strahl, sondern er spritzt nach allen Richtungen
aus einander und zerstiebt. Aehnliches geschieht auch mit dem
Lichtstrahle, wenn er einen undurchsichtigen Körper trifft; er zer-
theilt sich dann, während er von dem getroffenen Körper in allen
Richtungen zurückfliegt. Dadurch nimmt der an sich dunkele
Körper einigermaßen die Eigenschaft eines leuchtenden an, denn
auch er sendet jetzt nach allen Richtungen Lichtstrahlen aus.
Weil er den auf ihn fallenden Strahl nach allen Richtungen
hin vertheilt, so sind natürlich seine Strahlen schwächer, als die
des selbstleuchtenden Körpers; auch wirft er nicht alles empfan-
gene Licht zurück, sondern saugt gewöhnlich einen bedeutenden
Theil davon ein. Kommen nun von einem Gegenstände die zu-
rückgeworfenen Lichtstrahlen in unser Auge, so sehen wir densel-
ben. Stellten sich viele tausend Menschen um einen Thurm;
350
von allen Seiten würde ihn jeder eben so gut sehen können, wie
einen selbstleuchtenden Körper. Ohne diese Eigenschaft des Lichtes,
die unter dem Namen der Reflexion oder Zurüökwerfung be-
kannt ist, würden wir nur die leuchtenden, aber nicht die dunkeln
Körper sehen können, welche doch die größereAnzahl ausmachen.
Auf diese Weise erleuchtet der Mond unsere dunkeln Nächte;
denn er ist ein von Natur dunkler Körper, und das Licht, welches
er uns zuschickt, ist bloß ein Theil desjenigen, welches die Sonne
auf ihn wirft, und das hernach von seiner Oberfläche wieder zu-
rück gegen die Erde prallt. Ein hoher Berggipfel leuchtet nach
Sonnenuntergang wie der Mond, weil er noch von der Sonne
vergoldet ist, während das Thal schon im Schatten liegt.
Wenn die zurückwerfende Fläche polirt und undurchsichtig
ist, wie unsere Spiegel, so werden die Strahlen, welche auf sie
fallen, in eben der Ordnung zurückgeworfen, in der sie auf die
Fläche gefallen sind. Ein vollkommen ebener Spiegel muß da-
her die Gegenstände eben so abbilden, wie sie den bloßen Augen
erscheinen; denn er zertheit den Lichtstrahl nicht, sondern wirft
ihn so zurück, wie er ihn empfangen hat. Auch muß das Bild
eben so groß und eben so weit hinter dem Spiegel zu liegen
scheinen, als der Gegenstand davor steht. Dagegen sieht man
im Spiegel die rechte Seite seines Körpers links, und die linke
rechts. Schreiben wir z. B. vor dem Spiegel, wie gewöhnlich,
mit der rechten Hand, so geschieht dies im Spiegel mit der lin-
ken. Die vor dem Spiegel gehaltene Schrift erscheint in dem-
selben verkehrt, wie die zum Drucken auf den Stein gezeichnete.
Die Bäume und alle andern Gegenstände an den Ufern der
Flüsse erscheinen in diesen verkehrt. In einem unter einem
Winkel von 45Q gegen den Horizont geneigten Spiegel erscheinen
liegende Gegenstände aufrecht, aufrechte liegend. — Ein Spiegel,
in dem sich der Mensch ganz sehen soll, braucht nur halb so hoch
und halb so breit als er zu sein. — Winkelspiegel geben verviel-
fältigte Bilder, und zwar so viele, als so oft die Anzahl der Grade
des Winkels in 360 enthalten ist, weniger I. In zwei parallel auf-
gestellten Spiegeln entstehen unendlich viele immer weiter ent-
fernte Bilder, indem das in einem Spiegel entstandene Bild
immer wieder von dem andern zurückgeworfen wird.
Unsere gewöhnlichen Spiegel sind bekanntlich von Glas.
Da dieses aber durchsichtig ist und doch die Strahlen zurück-
werfen soll, so muß es im Hintergründe mit einem undurchsich-
tigen, ganz dunkelen Körper belegt sein. Stark geschwärzt wirft
es schon Bilder zurück; aber die beste Hinterlage ist eine dünne
Zinnplatte, auf welche man Quecksilber gießt, ehe man das
Spiegelglas darauf legt. Das Quecksilber löst das Zinn auf
und hängt sich an das darauf gelegte und beschwerte Spiegel-
glas binnen 24 Stunden fest an. — Die Wand, vor der wir
stehen, wirft unser Bild nicht zurück. Sie selbst sehen wir zwar
351
noch deutlicher als einen Spiegel; uns selbst aber sehen wir
nicht in ihr. Die Wandfläche ist nämlich viel zu rauh und un-
eben, als daß sie die schwachen Strahlen, welche von unserm
Gesichte auf sie fallen, so regelmäßig aufnehmen und zurückwerfen
könnte, wie es zu einem Bilde erforderlich ist. Wäre sie aber
ganz eben, blank geschliffen und mit einem dunkeln Lack über-
zogen, so würden wir uns auch (wenn gleich nicht so deutlich
wie im Spiegel), in der Wand sehen; denn es muß nicht jeder
Spiegel von Glas sein. Vor Alters hatte man bloß Metallspie-
gel, und noch gebraucht man dergleichen zu besondern Zwecken.
Das Wasser ist der allergemeinste und kunstloseste Spiegel, und
selbst Holz läßt sich so poliren, daß es Bilder zurückwirft, wie
man das an den Möbeln im Zimmer sehen kann.
Der auf den Spiegel fallende Strahl heißt der Einfalls-
strahl, und der von dem Spiegel zurückgeworfene der Zurück-
werfungsstrahl. Ein Loth, das man auf dem Spiegel in dem
Punkte errichtet, wo der Einfallsstrahl auflällt, heißt ein Ein-
fallsloth. Der Winkel, den der Einfallsstrahl mit dem Ein-
fallslothe bildet, heißt der Einfallswinkel, und der Winkel,
welchen das Loth mit dem Zurückwerfungsstrahle bildet, heißt der
Reflektions- oder Zurückwerfungswinkel AB Fig. 30.
ist der Durchschnitt eines ebenen Spiegels, LO das Einfallsloth,
CO der Einfallsstrahl, DO der Zurückwerfungsstrahl, COL der
Einfallswinkel, DOL der Zurückwerfungswinkel. — Durch viel-
fache Versuche hat man über die Zurückwerfung der Lichtstrahlen
folgende Hauptgesetze gefunden:
1. Der Zurückwerfungswinkel ist gleich dem Ein-
fallswinkel. Ein senkrecht auffallender Strahl wird also in
sich selbst zurückgeworfen.
2. Einfallsloth, Einfallsstrahl und Zurückwer-
fungsstrahl liegen immer in einerlei Ebene, welche die
Reflektionsebene heißt und auf der reflektirenden
Ebene senkrecht steht.
Aus diesen Gesetzen ergiebt sich für ebene Spiegel: Parallel
auffallende Strahlen bleiben auch nach der Zurückwerfung parallel,
wie die konvergenten konvergent, die divergenten divergent.*)
Alle Strahlen, die aus einem leuchtenden Punkte kommen, wer-
den so zurückgeworfen, daß es scheint, als kämen sie aus einem
Punkte hinter dem Spiegel, wohin auch ein Auge, welches die
zurückgeworfenen Strahlen treffen, den leuchtenden Punkt ver-
setzt.
*) Bergl. meine Raumlehre Thl. I. S. 70.
352
§■ 57.
Sphärische oder Kugelspiegel.
(Kdrfr. I. Anh. V. 8. 7. 9.)
Polirt man die innere Fläche des Abschnittes einer hohlen
Kugel, so hat man einen Konkav- oder Hohlspiegel, wird die
äußere polirt, einen Konvex- oder erhabenen Spiegel. Beide
Arten nennt man auch sphärische oder Kngelspiegel. Die
innere Fläche des Gehäuses einer silbernen Taschenuhr ist ein
Hohlspiegel, die äußere ein erhabener Spiegel. Diejenige gerade
Linie, welche durch den Mittelpunkt eines sphärischen Spiegels
— den optischen Mittelpunkt — und durch den Mittelpunkt der
Kugel — den geometrischen Mittelpunkt — geht, deren Abschnitt
der Spiegel ist, heißt die Achse des Spiegels. Das Einfalls-
loth ist hier immer der Kugelradius (Halbmesser der Kugel)*)
nach demjenigen Punkte, in welchem der Strahl den Spiegel
trifft. Der Einfallsstrabl ist ein Loth auf der die Kugel in sei-
nem Treffungspunkte berührenden Ebene, — Aus den katoptrischen
Hauptgesetzen (§ 56.) ergeben sich für die Hohlspiegel leicht fol-
gende Sätze: Strahlen, die parallel mit der Achse auf
den Spiegel fallen, werden so zurückgeworfen, baß sie
alle die Achse schneiden; liegen sie ihr nahe, so ge-
schieht dieses etwa in derMitte zwischen demoptischen
und geometrischen Mittelpunkte. Weil in diesem Punkte
die parallelen Strahlen — als welche man alle auf den Spiegel
fallende Sonnenstrahlen betrachten kann — gleichsam gesammelt
werden, so heißen die Hohlspiegel auch Sammelspiegel. Die
Sonnenstrahlen haben in diesem Punkte eine solche Kraft, daß
sie Schwefel, Papier und andere leicht zündbare Gegenstände in
Brand stecken, weshalb er auch der Brennpunkt, und der
Hohlspiegel ein Brennspiegel genannt wird. Al) ist der
Durchschnitt eines Hohlspiegels, 6 der geometrische, O der opti-
sche Mittelpunkt, B der Brennpunkt, CO die Achse, £E und TF
sind Einfalls-, EB und FB Zurückwerfungsstrahlen, CE und CF
Einfallslothe. Die Entfernung OB vom optischen Mittelpunkte
. bis zum Brennpunkte heißt die Brennweite.
Es giebt so große Brennspiegel, daß man vermittelst dersel-
ben bis auf 100' weit und darüber Gegenstände anzünden kann.
In dem Brennpunkte eines solchen Hohlspiegels verwandelt sich
sogar der Diamant in Kohle. Befindet sich in der Gegend des
Brennpunktes eine Lichtflamme, so werden die Lichtstrahlen ziem-
lich parallel nach einer Seite geworfen. Man bringt daher der-
gleichen Hohlspiegel häufig in Straßenlaternen, bei Lampen in
*) Bei gl. meine Raumlehre Th. I. S. 213.
353
Kaufmannsläden, Wandleucbtern rc. an. Das Bild eines Ge-
genstandes innerhalb der Brennweite erscheint im Hohlspiegel
großer und weiter hinter dem Spiegel, als der Gegenstand vor
dem Spiegel steht, in einem erhabenen Spiegel dagegen kleiner
und näher hinter der Spiegelfläche. — Von den erhabenen
Spiegeln fahren die Lichtstrahlen aus einander, und man nennt
sie daher auch Zerstreuungsspiegel. — Manche Spiegel, die
z. B. so geschliffen sind, wie die Oberfläche einer Bierflasche u. a.,
zeigen verzerrte Bilder. So z. B. sieht unser Gesicht, in einer
stehenden Flasche gesehen, sehr lang und schmal aus, in einer
liegenden sehr breit. In Lustgärten findet man zuweilen auf
besonderen Gestellen sehr große Vitriolöl-Flaschen, welche die Ge-
genstände in ihrer Umgebung verkleinert darstellen.
tz. 98.
Die Drechung der Lichtstrahlen (Dioptrik).
iKdrfr. l. Anh. V. 8. 7. 10. Hdb. II. S. 59.)
Läßt man einen Lichtstrahl, der durch eine kleine Oeffnung
des Fensterladens in ein dunkeles Zimmer dringt, in ein Gefäß
mit Wasser fallen, das man etwas getrübt hat, um den Strahl
darin sehen zu können; so wird man bemerken, daß derselbe
nicht in seiner Richtung bleibt, sondern an der Oberfläche des
Wassers sich bedeutend abwärts biegt und also mehr senkrecht
das Wasser durchdringt. Ein im Wasser schwimmender Fisch
scheint uns näher an der Oberfläche desselben, als er wirklich
ist. Ruhige Gewässer halten wir für weniger tief, als sie sind,
indem die auf dem Boden liegenden Gegenstände der Oberfläche
des Wassers genähert werden. Bei bewegter Wasseroberfläche
scheinen sich auch die Gegenstände auf dem Boden zu bewegen.
Eine mit Dinte oder Bleistift auf Papier gezogene Linie, oder
auch eine ganze Zeichnung, zum Theil mit einer Glasscheibe be-
deckt, erscheint am Rande der Scheibe wie aus ihrer Stelle ge-
rückt. Diese und ähnliche Erscheinungen haben darin ihren
Grund, daß Lichtstrahlen, wenn sie aus einem durchsichtigen Kör-
per in den andern übergehen, ihre Richtung verändern. Man
nennt dies die Brechung der Lichtstrahlen. Kommt ein Licht- *
strahl aus einem lockerern Körper in einen dichterecn, z. B. aus
der Luft ins Wasser, oder aus dem Wasser in Glas, so wird er
von dem dichteren Körper stärker angezogen; er verändert also
seine Richtung nach dem Innern des Körpers hin, wird nach
dem Einfallslothe zu gebrochen. Geht dagegen ein Lichtstrahl
aus einem dichteren Körper in einen weniger dichten, so wird die
Anziehung schwächer; er entfernt sich also in seiner Richtung
etwas von dem Innern des Körpers nach der Oberfläche zu,
wird vom Einfallslothe abwärts gebrochen. Senkrecht durchge-
Pechner. Handb. 3. Theil. 23
354
hende Strahlen werden gar nicht gebrochen. Nach der Brechung
fahrt der Lichtstrahl auch etwas aus einander, wird kegelförmig;
daher erscheinen Gegenstände, die man ins Wasser halt, in die-
sem größer. — Die Luftschichten werden nach der Erde zu immer
dichter, und die Sonnenstrahlen müssen deswegen allmälig immer
starker gebrochen werden; sie kommen demnach nicht in gerader
Linie zu uns, sondern etwas gekrümmt. Aus diesem Grunde
sehen wir die Sonne schon, ehe sie wirklich aufgegangen ist, und
noch etwas nach ihrem wirklichen Untergange. Vermöge der
Brechung der Lichtstrahlen wird gleichsam ein Theil des Himmels,
der noch unter der Erdscheibe unseres Horizontes liegt, über die-
selbe emporgehoben, und der Himmel scheint daher am Horizonte
entfernter, als über unserm Haupte, nicht wie der Halbkreis
ABD (Fig. 32.), sondern wie der Bogen EBF. Wegen des
Auseinanderfahrens der gebrochenen Lichtstrahlen sehen Sonne
und Mond beim Auf- und Untergange größer aus, als wenn
sie am höchsten stehen, wo die Lichtstrahlen sehr wenig gebrochen
werden. Auch scheinen Sonne und Mond beim Auf- und Un-
tergänge schneller zu kaufen, als in der Höhe. Sie durchlaufen
nämlich in der Wirklichkeit die gleiche!» Theile des Halbkreises
ABD, während sie durch starke Brechung der Lichtstrahlen beim
Auf- und Untergange die ungleich größeren Theile des Bogens
EBF durchlaufen müssen. — Die Hö.fe um Sonne und
Mond, Nebensonnen und Nebenmonde, Morgen- und
Abenddämmerung, haben auch ihren Grund in der Brechung
und Zurückwerfung der Lichtstrahlen, die in den Dünsten der
Atmosphäre vor sich geht sKdrfr. I. Anh. VI. tz. 3. 8. 10. und
11. Hdb. II. S. 54.).
Eine der merkwürdigsten Erscheinungen sind die sogenannten
Luftspiegelungen skat» morgana Kdrfr. IC. Nr. 106.). Man ver-
steht darunter das Doppelterscheinen entfernter Gegenstände, in-
dem man z. B. einen Baum sieht und zugleich auch ein Bild
desselben in der Luft, zuweilen aufrecht, zuweilen aber auch ver-
kehrt, je nachdem die Luftschichten über der Erde beschaffen sind.
An der Meerenge von Messina erblickt man im Frühlinge bei hei-
terem, stillen und warmen Wetter, besondes vor dem Aufgange
und gleich nach dem Untergange der Sonne, in der Luft an
* den gegenüber liegenden Küsten eine Menge Säulen, Schlösser,
Thürme, ganze Städte und Festungen, Wälder und Viehheerden
von seltsamen Gestalten, welche sich zu den seltsamsten Formen
verziehen und endlich ganz verschwinden. Niebuhr, ein berühm-
ter Reisender, sah einst bei Suez am rothen Meere einen Ara-
ber in der Ferne, der auf einem Kameele ritt, und zwar nicht
bloß auf der Erde, sondern zugleich auch in der Luft höher als
eine Kirche. An delt Meeresküsten kommen diese Luftspiegelungen
häufiger vor, als auf dem Binnenlande.
355
§. 39.
Geschlissene Gläser (Brillen u. ci.).
(Kdrfr. I. Arh. V. §.7. I I.)
Durch ein Glas, dessen beide Seiten gleichlaufend sind,
z. B. durch eine Fensterscheibe, sieht man die Gegenstände meist
da, wo sie wirklich sind, weil die durch die Brechung bewirkte
Ablenkung der Lichtstrahlen hier wegen der geringen Dicke des
Glases unbedeutend ist; bei dicken Scheiben jedoch kann die
Verrückung der Gegenstände, namentlich wenn man sehr schräg
durchsieht, bemerklich werden. Eine bedeutende Verrückung der
Gegenstände findet aber für das Auge statt, wenn man durch
Gläser mit ebenen, aber nicht parallelen Flächen, z. B durch
ein dreiseitiges Prisma, sieht. Dann erscheinen die Gegenstände
großer oder kleiner, als sie sind, oder auch verschieden gebogen.
Sind beide Seiten eines Glases erhaben geschliffen, so erscheinen
die Gegenstände, welche man durch dasselbe betrachtet, größer,
und man nennt solche Gläser daher auch Vergrößerungsglä-
ser. Die Sonnenstrahlen, welche durch dergleichen Gläser auf-
gefangen werden, laufen nach der Brechung fast alle in einen
Punkt hinter dem Glase zusammen, wo sie dann natürlich eine
sehr große Wärme erzeugen, ja sogar leicht entzündbare Gegen-
stände in Brand setzen. Jenen Punkt nennt man daher auch
Brennpunkt und die Gläser selbst Brenngläser. Aus der
Verbindung mehrerer solcher Gläser bestehen die Mikroskope,
welche ganz kleine Gegenstände oft vieltausendmal vergrößern,
und die Fernrohre (Perspektive und Teleskope), durch welche
man weit entfernte Gegenstände so deutlich sieht, als befänden
sie sich ganz in der Nähe. — Der Nutzen der Vergrößerungs-
gläser ist unaussprechlich. Wie viele alte Personen können nur
mittelst eines solchen Glases lesen! Ohne die Mikroskope würden
wir in den Naturwissenschaften noch nicht viel wissen. Durch
sie läßt sich ein Floh beinahe so groß wie ein Elephant dar-
stellen. Auch in den Gewerben sängt man an, sie zu benutzen,
indem man z. B. die Fäden der Gewebe durch sie betrachtet,
um zu erfahren, ob man Seide, Wolle, Baumwolle oder Flachs
vor sich hat. Spiegel- und Linsengläser sind die Haupttheile irr
dem Guckkasten, der Laterna magica, der Kammer«
obscura und Kammer« clara, der Maschine zum Daguer-
reotypiren (dem Anfertigen der Lichtbilder ic). Dir Fernrohre
werden gebraucht bei Beobachtungen auf dem Meere, im Kriege,
auf Reisen rc. Vorzüglich zahlreich und wichtig sind die Ent-
deckungen, welche man in neueren Zeiten mittelst derselben am
Himmel gemacht hat. — Die Brillengläser sind nach der Be-
schaffenheit des Auges eingerichtet. Bekanntlich giebt es weit-
23*
356
sichtige und kurzsichtige Menschen. Erstere gebrauchen erhaben
jLünetten), letztere hohl geschliffene Brillengläser (Lorgnetten).
Hohlgläser sind am Rande dick, in der Mitte aber dünner ge-
schliffen. Die Gegenstände erscheinen, durch dieselben gesehen,
kleiner, aber deutlicher. Wer sich einer Brille bedienen muß,
ist immer übel daran; denn ihr Gebrauch führt manche Unbe-
quemlichkeit mit sich, und junge Leute, die ihrer Kurzsichtigkeit
wegen beständig eine Brille tragen müssen, gerathen nur zu leicht
in den Verdacht, gelehrt oder vornehm scheinen zu wollen.
§- 60.
Die Entstehung -er Farben.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 7. 12.)
Laßt man durch ein kleines Loch einer Fensterlade einen
Lichtstrahl durch ein dreiseitiges Glasprisma fallen, so zeigen sich
auf einer dahinter befindlichen Fläche die sieben Grundfarben
sHdb II. @.54 ). Fängt man den Lichtstrahl mit einem Papier
auf, ehe er durch das Prisma geht, so bildet er einen weißen
Kreis. Man schließt daraus, daß das weiße Sonnenlicht aus
jenen sieben Grundfarben zusammengesetzt sei. Auch ein Glas
Wasser zertheilt auf diese 2lrt das Sonnenlicht, wenn es schief
von der Sonne bestrahlt wird. Eine vom Morgenthau bedeckte
Wiese blitzt im Frühlingssonnenlichte wie der reichste Iuwelen-
schmuck. In den herabfallenden Regentropfen entsteht auf gleiche
Weise der prächtige siebenfarbige Regenbogen (Kdrfr. I. An-
hang VI. §. 3. 9. Hdb. IF. S. 55.). Jeder plätschernde Spring-
brunnen spielt mit Regenbogenfarben, wenn die Sonnenstrahlen
schief in die Wassertropfen fallen. — Werden jene sieben Far-
benstrahlen durch ein zweites Prisma wieder vereinigt, so entsteht
die weiße Farbe, aus der alle übrigen entsprungen sind. Wird
aber ein einzelner farbiger Strahl durch ein zweites Prisma
aufgefangen, so läßt sich derselbe nicht weiter verändern. Füllt
man das verfinsterte Zimmer, in welchem diese Versuche ange-
stellt werden, mit etwas Rauch, so nehmen die Rauchtheilchen
die Farbe der gebrochenen Strahlen an; denn in dem rothen
Strahle sehen sie roth, in einem gelben gelb, in einem grünen
grün aus rc. Da alle Körper von dem Sonnenlichte erleuchtet
werden, und dieses, wie gesagt, seiner Mischung wegen weiß ist;
so würden auch alle weißes Licht in unser Auge zurückwerfen,
und folglich würde uns die ganze Welt weiß erscheinen, hätte
nicht der Schöpfer eine besondere Einrichtung getroffen. Um die
Welt durch die Verschiedenheit der der Farben schöner zu machen,
dadurch unser Auge zu ergötzen und uns das Unterscheiden der
Körper zu leichtern, hat er die Gegenstände so eingerichtet, daß
sie das meiste auf sie fallende Licht einsaugen und nur die eine
357
oder die andere Art der Lichtstrahlen zurückwerfen. Einige Körper
reflektiren bloß die rothen Lichtstrahlen und erscheinen daher roth;
andere werfen bloß die blauen zurück, wiederandere nur die grünen rc.
So entsteht die Mannichfaltigkeit der Farben in der Schöpfung.
Die Ursache also, warum eine Rose roth, ein Veilchen blau, ein
Blatt grün erscheint, hat ihren Grund darin, daß sie alle Licht-
strahlen verschlucken und nur beziehungsweise die rothe, blaue,
grüne Farbe zurückstrahlen. Werden einige Strahlen verschlungen,
andere, verschiedentlich gemischt, zurückgeworfen, so giebt es ver-
mischte Farben. Manche Körper werfen auch das Licht mit zwei
oder mehreren Farben so zurück, daß das Auge von jeder Stelle
eine andere Farbe sieht, je nachdem die Richtung ist, unter wel-
cher es die Farben auffängt. So erklärt sich das Schillern
oder Ehangiren der Körper, z. B. der Taubenhälse, der Pfauen-
federn, der gewässerten Seidenzeuge, mancher Schmetterlings-
flügel rc. Weiß sieht ein Körper aus, wenn er alle Lichtstrahlen
zurückwirft; daher blendet auch die weiße Farbe und greift das
Auge stark an, weil sie noch ihre ganze Kraft hat. Schwarz iss
dagegen ein Körper, wenn er gar keine oder doch sehr wenige
Lichtstrahlen zurückwirft, weshalb die Abwesenheit alles Lichtes
auch die fvrbigen Körper verdunkelt und schwarz erscheinen läßt.
Schwarz ist also eigentlich gar keine Farbe; es beschäftigt das
Auge nicht und macht traurig.
Ohne Licht gäbe es keine Farben; die Dinge um uns her
würden ihres schönen Schmuckes entbehren, und unser Auge sich
nicht an denselben ergötzen. Wie herrlich und glänzend gefärbt
sind die Steine, vor allen die in der Tiefe der Erde verborgenen
Erze! Welche Mannichfaltigkeit von Farben bietet nicht das Pflan-
zenreich in Blättern, Blüthen und Früchten! Jedes lebende Wesen
st mit Farben bekleidet, das Schalthier des Meeres in seiner sein
gezeichneten Muschel, wie der Pfau mit seinen prangenden Federn.
IX* Die Wärme.
(Äbrfr.I. Anh. V. §.8. Hdb.II. S. 57.)
§. 61.
Die Wärme im Allgemeinen.
(Kdrfr.I Anh. V. §.8. 1.)
Im Sommer haben wir fast überall, im Winter in der ge-
heizten Stube eine gewisse, uns Allen bekannte Empfindung,
welche wir Wärme nennen. Ist der Ofen warm, und wir be-
rühren ihn, so erregt er » uns die Empfindung der Wärme,
und seine Wirksamkeit wird mit dem Ausdrucke Wärmethätig-
keit bezeichnet. Dabei spüren wir, daß aus dem warmen Ofen
358
Etwas in unsere Hand übergeht, und wir denken uns daher die
Wärme als einen sehr feinen Stoff, der von den Körpern ange-
zogen wird, und nennen ihn Wärmestoff. Unter Wärme ver-
steht man daher:
1) eine allbekannte Empfindung, die sich nicht näher be-
schreiben läßt (tue Wärme schlechtweg);
2) den Zustand eines Körpers, in welchem er diese Empsin-
dung erregt (Wärmethätigkeit), und
3) einen sehr feinen Stoff (Wärmematerie), den man sich
als die Ursache jenes Gefühles und dieses Zustandes denkt.
Stecken wir unsere Hand in kaltes Waffer oder Schnee,
halten wir sie zur Winterszeit an eine in freier Luft befindliche
Eisenstange, so fühlen wir, daß der Hand Wärme entzogen wird;
sie erkaltet allmälig, und wir haben die Empfindung der Kälte.
Kälte ist also Mangel an Wärme. Die Körper sind nicht
alle gleich warm, manche sogar kalt, z. B. Eis und Schnee.
Den Grad von Wärme oder Kälte, den man bei einem
Körper antrifft, nennt man seine Temperatinr.
Die Wärme ist durch alle Körper in der ganzen Natur wahr-
scheinlich nicht bloß auf unserer Erde, sondern durch den ganzen
Weltraum verbreitet; denn fast in allen Körpern k»nn durch
mancherlei Mittel Wärme erregt und fühlbar oder frei gemacht
werden. Man unterscheidet daher freie und gebundene Wärme
(Hdb. H. S. 60.). Die erstere findet sich in den Körpern der
Menschen, Säugethiere, Vögel, die letztere in Pflanzen und Mi-
neralien Die Wärme durchdringt alle Körper mehr oder weni-
ger, selbst Steine und Metalle; denn diese Körper können er-
wärmt und erhitzt werden. Sie strömt aus einem wärmeren so
lange in einen kälteren über, bis sie sich in beiden Körpern ins
Gleichgewicht gesetzt hat; daher ist sie flüssig. Erwärmt oder
erhitzt man einen Körper noch so sehr, oder theilt man ihm noch
so viel Wärmestoff mit, so nimmt dadurch sein Gewicht nicht im
mindesten zu; die Wärme läßt sich daher eben so wenig wägen
wie der Lichtstoff (und gehört daher zu den Imponderabilien oder
schwerlosen Stoffen).
Ohne den erregten Wärmestoff ist in dem Thier- und Pflanzen-
reiche alles öde und todt. Wenn in unsern Gegenden die Kälte,
d. i. die Abwesenheit des freien Wärmestoffes, eintritt, so hört
das meiste Leben im Thierreiche auf, und das Pflanzenreich er-
starrt Dagegen wird Alles neu belebt, wenn im Frühlinge die
Strahlen der Sonne wieder zu wirken beginnen.
359
§. 62.
Wärmeleiter.
(Kdrfr I. Anh. V. 8.8. 2.)
Legt man eine Scheere und ein hölzernes Lineal auf den
heißen Ofen und berührt sie nach einer Weile, so findet man die
Schere heiß, das Lineal nur warm. Bringt man diese erwärmten
Gegenstände auf das Fenster, so erkaltet die Schere schneller
als das Lineal. Manche Körper lassen den Wärmestoff leicht
durch ihre Materie dringen, nehmen ihn leicht an, geben ihn aber
auch leicht wieder von sich und heißen daher gute Wärmeleiter,
z. B. die Metalle, Steine, Ziegel, Glas rc.; andere nehmen den
Wärmestoff nicht so leicht an, halten ihn aber dann fester in
sich, leiten ihn nicht so leicht fort, und diese heißen schlechte
Wärmeleiter, z. B. Tuch, Leinwand, Stroh, Wolle, Baum-
wolle, Seide, Pelz, Haare, Federn, Papier, Kohle, Asche rc.
Die flüssigen Körper — Quecksilber ausgenommen — sind eher
zu den schlechten, als zu den guten Wärmeleitern zu rechnen, die
Luft im Zustande der Ruhe dagegen zu den schlechtesten. Die
Luft zwischen den Doppelfenstern und Doppelthüren hält daher
die Wärme im Zimmer zusammen. Gute Wärmeleiter sind
schlechte Wärmehalter, und schlechte Wärmeleiter gute
Wärmehalter. Einer der schlechtesten Wärmeleiter ist der
Schnee. Daß er als wohlthätige Decke die Gewächse, besonders
die junge Saat, vor den schädlichen Wirkungen des Frostes
schützt, ist allgemein bekannt. Ein Strohdach hält im Sommer
kühler und im Winter wärmer als ein Ziegeldach, Im Sommer
läßt es die äußere Wärme, von der es überhaupt nur wenig auf-
nimmt, nicht durch; es muß also im Gebäude kühl bleiben.
Während der Winters verhindert es auf gleiche Weise den Ab-
zug der Wärme aus dem Innern des Hauses. Bäume, Pum-
pen, Weinreben rc. werden im Winter mit Stroh umgeben, Kel-
lerlöcher mit Dünger verpackt, und Reiter umwickeln die Steig-
bügel mit Stroh, um die Wärme beisammen zu halten. Wenn
man im Winter mit dem nackten Fuße auf einen Nagel im Fuß-
boden tritt, so hat der Fuß eine starke und unangenehme Empfin-
dung von Kälte; die Diele dagegen verursacht uns diese Empfin-
dung nicht. Der Grund ist, weil der Nagel, als ein guter Wär-
meleiter, sehr schnell dem Fuße m-hr Wärme entzieht als die
Diele. Wird ein Draht an dem einen Ende ins Feuer gehalten,
so ist er «.bald so heiß, daß man ihn an dem andern Ende
nicht mehr mit der Hand halten kann; dagegen hält man ein
Stück Holz, einen Fidibus sehr gut in der Hand, wenn auch
bas andere Ende schon brennt. Eiserne Oefen haben vor Ziegel-
und Kachelöfen den Vorzug, wenn es sich um schnelle Heizung
handelt, diese aber vor jenen, wenn die Heizung lange aushalten
360
soll. Erfrorene bedeckt man mit Schnee, um die in ihrem Kör,
per noch vorhandene Wärme nicht entweichen zu lassen. Eben
so belebt man erfrorene Glieder mittelst Schnee. Ein Räucher-
kerzchen, auf Holz gelegt, brennt-ganz aus, nicht aber wenn es
aus Metall oder Stein liegt. Glühende Kohlen kann man in
der Hand auf untergelegter Asche tragen. Um ein auf einen
heißen Ofen gestelltes Glas vor dem Zerspringen, was eine Folge
der ungleichen Ausdehnung des oberen und des untern Theiles
ist, zu bewahren, legt man ein Blatt Papier unter. Aus dem-
selben Grunde hält man Punsch-, Thee-, und Kaffeegläser um-
gekehrt über die dampfende Flüssigkeit, ehe man dieselbe einzießt.
Eine bleierne Flintenkugel kann man in Papier über Licht schmel-
zen. Kohlpfannen, zinnerne Thee- und Kaffeekannen, kupferne
Leimtiegel, metallene Vorlegelöffel, Ofenschieber, Bügel- und
Plätteisen rc. haben einen hölzernen oder mit Strob, Lappen rc.
umwickelten Handgriff. Betten, Pelze, wollne Kleider k. halten
uns warm. Lehmhütten sind im Winter wärmer als gemauerte
Häuser. Eiskeller werden mit Holz auszeschlagen um die Wärme
der Erde abzuhalten. Gekochter Reiß, Hirse rc. erkalten, als
lockere Körper, nicht so leicht, als feste Körper von derselben Tem-
peratur. Waffer kann in einem hölzernen Gefäße nicht zum
Kochen gebracht werden. Glasur an einem thönernen Ofen hin-
dert das Ausströmen der Wärme, weil sie ein schlechter Leiter
ist. Reiche Leute lassen im Winter den Fußboden mit Stroh
bedecken, das mir Tapeten belegt wird, um die Wärme im Zim-
mer zu erhalten. Mäntel und andere warme Kleider halten
wärmer als enge, weil zwischen denselben und dem Körper eine
Luftschicht entsteht, welche die Wärme des Körpers nicht sehr aus-
strömen läßt. Die Luft muß jedoch trocken sein; denn ist sie
feucht und nebelig, so leitet sie die Wärme fort. Daher ist die
sogenannte nasse Kälte weit empfindlicher, als Kälte bei trockener
Luft, und nasse Kleider entziehen dem Körper wegen des bestän-
digen Verdunstens viel Wärme. Wenn man nach dem Baden
aus dem kälteren Wasser in die wärmere Luft sich begiebt, so
entsteht ein stärkeres Gefühl der Kälte, weil das wenige Wasser,
welches an unserm Körper hängen bleibt, verdunstet und demsel-
ben die nöthige Wärme raubt. Hieraus läßt sich auch erklären,
warum z. B. Pflanzen, Obst, Wein rc. des Winters in den
Kellern bei der strengsten Kälte oft nicht, sondern erst bei einfal-
lendem Thauwetter Schaden leiden. Die dabei gewöhnlich ent-
stehende feuchte Luft raubt nämlich dem Körper mehr und schnel-
ler Wärme, als selbst kältere, aber trockene Luft. Menschen,
die sehr schwere Handarbeiten verrichten, bekommen nach und
nach einen hornigen Ueberzug über die innere Fläche der Hand,
so daß sie sich dieselbe nicht leicht verbrennen, weil das Horn
ein schlechter Wärmeleiter ist. So find Schmiede oft im Stande,
sich glühende Kohlen in die Hand zu legen, und Arbeiter in
361
Kupferhütten können geschmolzenes Kupfer in der hohlen Hand
herumlaufen und erkalten lassen. Anstriche und Ueberzüge. mit
denen man Holz, Stroh und Papier gegen Feuer schützt, bestehen
aus Materien, welche schlechte Wärmeleiter sind. Auch gehören
die künstlichen Einreibungen der sogenannten Feuermenschen hier-
her, welche mit bloßen Füßen auf glühendem Eisen tanzen, glü-
hendes Eisen über die Zunge zie!>en, geschmolzenes Blei in die
hohle Hand nehmen, kochendes Oel verschlucken rc.
Einen merkwürdigen Einfluß auf das Vermögen der Körper,
die Wärme zu leiten und auszustrahlen, haben Farbe und der
Grad der Rauhigkeit und Politur ihrer Oberflächen. Die
Erfahrung lehrt, daß ein Körper die Wärme desto besser leitet
und ausstrahlt, je dunkler und rauher seine Oberfläche ist. Legt
man mehrere Streifen Tuch von verschiedener Farbe auf Schnee,
den die Sonne bescheint, so schmilzt der Schnee nicht gleich
schnell unter ihnen hinweg; unter dem schwarzen schmilzt er am
meisten, unter dem weißen am wenigsten. Ein schwarzer Acker
wird unter gleichen Umständen schneller erwärmt, als ein anderer
von heller Farbe. Schwarze Oesen wärmen schneller und besser
als weiße, halten aber die Wärme nicht so lange als diese.
Schwarzes Papier entzündet sich unter einem Brennglase eher
als jedes andere. Bekanntlich halten weiße Kleider im Sommer
kühler, im Winter wärmer, als Kleider von dunkeln Farben.
Es ist gut, die Mauern, an denen Wein, Pfirsiche und anderes
Obst gezogen wird, schwarz anzustreichen. In recht gut polirten
Metallgefäßen bleibt warmes Wasser länger warm, als wenn
die Oberfläche rauh ist. Röhren, die durch Wasserdampf oder
erwärmte Luft Zimmer heizen, sind an denjenigen Stellen, wo
die Mittheilung der Wärme statisinten soll, mit Lampenruß oder
Graphit überzogen, und wo sie vermieden werden soll, recht
glatt polirl.
8- 63.
Die Entstehung der Wärme.
tKdrfr. I. Anh. V. 8- 8. 3.)
In jedem Körper befindet sich Wärmestoff und Lichtstoff;
ihre Verbindung giebt das, was wir Feuer nennen. Wärme
und Feuer werden aber in den Körpern erregt:
1. Unmittelbar; dies geschieht:
». Durch Reiben, wenn nämlich Körper an einander ge-
rieben oder heftig geschlagen werden. Die Wilden reiben zwei
Hölzer, ein Stück weiches und ein Stück hartes an einander und
gewinnen so Feuer. Sagen, Bohrer, Feilen. Schleifsteine und
ähnliche Werkzeuge werden beim Gebrauche sehr heiß, eben so
Seile, welche schnell über Rollen laufen; daher müssen sie in
Wasser getaucht oder mit Wasser begossen werden.
36S
Wenn wir die Hände an einander reiben, so empfinden wir
eine merkliche Wärme. Je heftiger und schneller das Reiben ge-
schieht, desto stärker wird die Wärme. Man verbrennt sich die
Hände, wenn man an einem Seile schnell herunter rutscht. Wa-
gen- und Maschinenräder, Mühl- und Glockenpfannen müssen,
wenn ihre Bewegung bei großer Hitze schnell geschieht, fleißig ge-
schmiert werden; sonst können sie sich leicht selbst entzünden.
Läßt aus Versehen ein Müller die Mühle leer gehen, d. h. ohne
wieder aufzuschütten, nachdem sie abgelaufen ist; so reiben sich
die beiden Steine so gewaltig an einander, daß sie in kurzer Zeit
glühend werden und die Mühle anzünden. Der Drechsler dreht
in das Holz, indem er Stäbchen von härterem Holze daran hält,
verkohlte schwarze Ringe ein. Auch das Feueranschlagen mit
Stahl und Stein gehört hierher. .Durch das Anschlagen eines
Stahles an einen Kieselstein entstehen Funken, die nicht aus dem
dem Steine herausfahren, sondern kleine, durch die schnelle Rei-
bung erhitzte Theilchen des Stahles sind, welche abgetrennt wer-
den und durch das Vergrößerungsglas als Schlacken von man-
cherlei Gestalt erscheinen, wenn sie auf ein untergelegtes Papier
fallen. An den gewöhnlichen Streichhölzchen befindet sich etwas
Phosphor, der sich durch die Reibung entzündet. Wasser hat
man dadurch zum Kochen gebracht, daß man es in einem Gefäße
auf eine eiserne Platte stellte, die von unten durch eine schnell
herumgedrehte andere Platte vermittelst der heftigen Reibung er-
hitzt wurde. Ein Stück Eisen, das man auf einem Amboß an-
haltend kalt schmiedet, wird fast glühend heiß.
b. Durch das Einschlagen des Blitzes und durch elek-
trische Funken, welche gleichsam Blitze im Kleinen sind. Bei
einem Gewitter fährt zuweilen der Blitz in Bäume und Gebäude
und zündet sie an. Wir werden später weitläuftiger über das
Gewitter sprechen.
c Durch die Sonnenstrahlen. Die Hauptquelle der
Wärme auf Erden ist die Sonne, deren Strahlen Wärme erre-
gen, indem sie sich mit dem Wärmestoffe in der Luft und auf
der Erde verbinden. Je dichter die Sonnenstrahlen einen Körper
treffen, desto stärker wird die Wärme; daher ist die Luft auf
hohen Bergen kälter als die dichtere in den Thälern. Am kräf-
tigsten wirken die Sonnenstrahlen, wenn sie senkrecht auf einen
Körper fallen; je schiefer eine Fläche gegen die Sonne gestellt
ist, desto weniger wird sie erwärmt. Daher ist es im Sommer
wärmer als im Winter, obgleich wir im Winter der Sonne um
eine Million Meilen näher sind. Auf den Dächern und Berg-
gehängen, welche nach der Mittagsseite zu liegen, schmilzt der
Schnee leicht, während er auf dem freien, flachen Felde den
Sonnenstrahlen lange widersteht. Im Sommer werden Sand,
Steine und Metalle oftmals so heiß an der Sonne, daß man
sich beinahe die Finger verbrennt, wenn man sie berührt; ja
363
man hat Beispiele, daß in heißen Gegenden zuweilen wirklich
dürre Bäume und andere leicht entzündbare Sachen angebrannt
sind. Durch Verdichtung der Sonnenstrahlen mittelst Brenn-
spiegel und Brenngläser kann ein hoher Grad von Hitze hervor-
gebracht werden. Eine ähnliche Wirkung haben die Wasserflaschen
und die Wasserkugeln, durch welche manche Handwerker bei Licht
arbeiten.
6. Durch Gährung und Auflösung, oder durch Mi-
schung und Selbstentzündung. Gebrannter Kalk, mit kaltem
Wasser vermischt, erhitzt sich so stark, daß die ganze Masse in
heftiges Kochen geräth; man muß ihn daher nicht bei nasser
Witterung anfahren, auch nicht auf dem Wagen über Nacht
auf dem Hofe stehen lassen. Vitriolöl, welches häufig zum Fär-
ben gebraucht wird, entzündet sich sehr leicht, wenn man es ver-
schüttet oder mit Wasser vermischt. Dünger, Heu und Grummet,
Stroh, Hafer, Malz, Korn, Gerberlohe, Rübsamen, Kleie, Mehl,
Bohnen, Erbsen, Grütze, Reiß, gemahlener Kaffee und Eichorien,
Schießpulver, Hanf. Flachs, graue Leinwand, fettige Wolle, Tuche,
Steinkohlen u. a. Dinge entzünden sich leicht beim Hinzutritte
der Luft, besonders wenn sie feucht sind und fest auf einander
gepackt werden. Thut man Eisenfeile in ein Glas und gießt
Scheidewasser darauf, so entsteht augenblicklich ein Brausen mit
so starker Erhitzung, daß man das Glas nicht mehr anfassen
kann. Entzündungen, durch verschiedenartige, mit einander ver-
bundene Stoffe kommen auch in der Natur oft vor. So geben
Schwefel, Eisen und Feuchtigkeiten in der Erde den Grund zu
Erdbeben (Kdrfr. LI. Nr. 53.) und feuerspeienden Bergen. Selbst
im menschlichen Körper scheint Selbstentzündung erfolgen zu kön-
nen. So ist z. B. nach dem glaubwürdigen Zeugnisse eines
italienischen Arztes die 62 jährige Gräfin Kornelia Bandi
durch ein inneres Feuer zu Asche gebrannt worden. Zum Glück
kommen solche innere Selbstentzündungen nur selten vor. Fast
alle Menschen, die dieses fürchterliche Unglück traf, waren ältliche
Personen weiblichen Geschlechtes, die den übermäßigen Genuß
des Branntweins liebten oder ihn wenigstens äußerlich gebrauch-
ten. So soll jene Gräfin die Gewohnheit gehabt haben, sich
oft den ganzen Leib mit Kampher-Spiritus zu waschen.
2. Mittelbar durch Mittheilung, indem man einen
kälteren Körper einem wärmeren, einen brennbaren Körper einem
brennenden nähert. Dem wärmeren Körper wird durch die Mit-
theilung so viel Wärme entzogen, als der andere erhält, bis sie
beide gleiche Temperatur haben. Diese Mittheilung geschieht
zuweilen sehr geschwind, öfter aber nur nach und nach; denn
der eine Körper nimmt mehr und schneller, ein anderer weniger
und langsamer Wärmestoff auf, je nachdem er ein guter oder
schlechter Wärmeleiter ist. Ein heißer Körper erkaltet anfangs
sehr schnell, hernach immer langsamer, je näher seine Temperatur
364
derjenigen des andern Körpers kommt. Berühre ich einen andern
Körper mit der Hand, so theilt entweder derselbe meinem Körper,
oder der meinige jenem Warme mit, wenn nicht beide gleiche
Temperatur haben. Im ersteren Falle nenne ich den Körper
warm, im andern kalt. Diese Ausdrücke sind indesien sehr re-
lativ, d. h sie hangen von der jedesmaligen Temperatur meines
Körpers ab. Wer aus der kalten Luft in ein mäßig warmes
Zimmer kommt wird die Wärme desselben für weit größer hal-
ten, als andere Leute, die schon eine Zeit lang darin sind. Daher
klagen alte Leute öfters über Frost, wo junge Leute keinen em-
pfinden, und glauben, daß zur Zeit ihrer Jugend die Sommer
wärmer gewesen seien als jetzt, da sie alt geworden sind. Die
Luft eines Kellers scheint im Winter wärmer, im Sommer aber
sälter zu sein. Stecke ich im Sommer die Hand in fließendes
Wasser, so kommt letzteres mir oft gar nicht kalt vor; lege ich
mich aber mit andern, bedeckt gewesenen Theilen meines Körpers
hinein, so finde ich es zum Schaudern kalt. Die Ursache hiervon
ist, daß unbedeckte Theile des menschlichen Körpers eine härtere
Haut bekommen und unempfindlicher gegen die äußeren Einwir-
kungen der Wärme und Kälte werden. Eben so kann ich oft
meine Hand in heißem Wasser leiden; komme ich aber mit an-
dern, empfindlicheren Theilen meines Körpers hinein, so kann
ich die Hitze nicht ertragen und mir oft großen Schaden thun.
Die Verbreitung der Wärme in flüssigen und lustförmigen
Körpern unterscheidet sich von der in festen, wenn sie von unten
erwärmt werden, vornehmlich dadurch, daß jeder erwärmte Theil
nicht nur allen ihn berührenden Theilen Wärme auf gewöhnliche
Weise mittheilt, sondern daß auch die unteren Schichten, welche
zunächst erwärmt und dadurch specifisch leichter geworden find,
sich erheben und, indem sie die oberste Stelle zu gewinnen suchen,
die ganze Flüssigkeit erwärmen. Die hierdurch in der Flüssig-
keit entstandene Bewegung zeigt sich besonders beim Kochen.
Eine niedrige Stube heizc sich leichter als eine hohe. In jeder
geheizten Stube nimmt die Wärme mit der Höhe zu. Die Flamme
eines brennenden Lichtes in der geöffneten Thüre eines geheizten
Zimmers wird oben nach außen, unten nach innen geblasen.
Eine aus Kartenblatt geschnitzte Schlange windet sich auf dem
geheizten Ofen um einen Stab. Es ist vortheilbafter, in einem
Kessel, als in einem Topfe zu kochen, und Töpfe mit überall
gleicher Weite sind den bauchigen vorzuziehen.
365
§• 64.
Die ausdehnende Kraft der Wärme.
(Kdrfr. I. Anh. V. §.8. 4.)
Eine eiserne Kugel, welche kalt ohne Hinderniß in einen
Kanonenlauf fällt, geht nicht mehr hinein, wenn sie glühend ge-
macht ist; erst wieder erkaltet, fallt sie von selbst hinein. Eben
so ist es auch mit Bo'zen, die genau in ein Platteisen passen;
sie müssen daher immer bedeutend kleiner gemacht werden, als
der inner Raum des Plä'tteisens. Nicht bloß Eisen und über-
haupt Metalle, sondern auch alle übrigen Körper dehnen sich durch
die Warme aus, der eine mehr als der andere. Glas dehnt sich
am wenigsten aus; es kann auch wegen der großen Spannung
seiner Theilchen nur wenig Ausdehnung ertragen, besonders wenn
die Warme plötzlich auf dasselbe wirkt, und es springt dann sehr
leicht Gut anschließende Kleider namentlich Schuhe und Stiefel,
werden nicht so leicht an- und ausgezogen, wenn der Körper
sehr warm ist, als wenn der Körper kalt ist. — Die
Kenntniß von den verschiedenen Graden der Ausdehnungsfähigkeit
der Körper ist hauptsächlich bei den Metallen wichtig. Geome-
trische Messungen mit eisernen Stäben und Meßketten, müssen
bei gleicher Temperatur vorgenommen werden, wenn die Messung
genau sein soll. Das Perpendikel der Thurmuhren wird in der
Wärme länger, in der Kälte kürzer. Nun macht ein längeres
Perpendikel weniger Schwingungen in einerlei Zeit, ein kürzeres
mehr; die Uhr wird also bei großer Hitze langsamer, bei großer
Kälte schneller gehen. Flüssige Körper werden durch die Wärme
noch stärker ausgedehnt als feste, und unter denselben am stärk-
sten Luft, Quecksilber und Weingeist. Daher steigen solche Flüs-
sigkeiten in gläsernen Röhren, sobald sie erwärmt werden. Ver- '
stopft man in der Kälte ein volles Arzneiglas, eine Flasche mit
Wein, eine mit Wasser angefüllte Wärmflasche, oder ein ähnliches
Gefäß so fest als möglich und setzt es auf den warmen Ofen:
so wird die durch die Wärme ausgedehnte Flüssigkeit entweder
den Pfropf heraustreiben, oder wenn dieser zu fest eingedrückt
ist, mit fürchterlichem Knalle das Gefäß in tausend Stücke zer-
sprengen, denn die eingeschlossene, durch die Wärme ausgedehnte
Flüssigkeit sucht sich Raum zu verschaffen. So treibt eine aus
dem kühlen Keller in ein warmes Zimmer gebrachte, wohl ver-
korkte Flasche mit Bier nach einiger Zeit, wenn die Flüssigkeit
erwärmt wird, gleichfalls den Pfropf heraus, oder zerplatzt und
verschüttet das Bier. Luft in einer zusammengedrückten, aber
zugebundenen Blase dehnt sich erwärmt sichtbar aus und zersprengt
endlich mit einem Knalle die Blase. Eingeschlossener Dampf
von kochendem Wasser sucht sich mit solcher Gewalt in einen
366
großem Raum auszudehnen, daß er starke Gefäße sprengt. Hier-
auf gründet sich die Erfindung der Dampfmaschinen, der Dampf-
schiffe und Dampfwagen. Die Wärme dehnt alle Körper
aus, die Kälte zieht sie zusammen.
Eine scheinbare Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze
machen auf der einen Seite der Thon, das Holz, das Obst rc.,
welche sich durch die Wärme zusammenziehen, auf der andern
Seite das Wasser, welches, indem es gefriert, sich ausdehnt.
Jene Erscheinung beruht darauf, daß die Flüssigkeit aus den
Poren (beim Brennen der Ziegel, beim Trocknen des Holzes,
beim Dörren des Obstes) durch die Wärme weggetrieben wird,
und die Körpertheile sich in den leergewordenen Poren ausdehnen
und näher zusammenrücken; die letztere Erscheinung wird daraus
erklärt, daß die Wassertheile beim Gefrieren sich kristallinisch
ordnen, (die Eissplitterchen sich unter bestimmten Winkeln an-
setzen), wozu sie eines größeren Raumes bedürfen. Die ausdeh-
nende Kraft des gefrierenden Wassers ist oft sehr groß; Gefäße,
mit Wasser gefüllt, springen, wenn das Wasser gefriert; eiserne
Wasserleitungsröhren, Bomben, sogar Felsen, sind durch gefrie-
rendes Wasser gesprengt worden. Bäume bekommen im Winter
oft Risse. — Das Eis schwimmt auf derselben Flüssigkeit, aus
der es entstanden ist, weil es durch die Ausdehnung eigenthüm-
lich leichter geworden ist als das Wasser. Was man gewöhnlich
Grundeis nennt, ist keineswegs auf dem Grunde, sondern am
Rande des Wassers entstanden und vom Wasser losgerissen
worden. Auf dem Grunde kann kein Eis zuerst entstehen, weil
das Wasser dort wärmer ist als an der Oberfläche, und auch
weil jedes entstehende Eissplitterchen sogleich nach oben schwim-
men würde.
tz- 65.
Das Thermometer.
(Kdrfr. I. Anh. V. 8. 8. 5.)
Wir empfinden zwar Alle, daß die untere Luft, in der wir
leben, zuweilen kalt und ein andermal wieder wärmer ist; allein
wenn man fragt, was uns oft zu wissen nöthig ist, um wie viel
die Wärme oder Kälte des heutigen Tages bte des gestrigen über-
steigt, so läßt sich dieses aus dem bloßen Gefühle keineswegs ge-
nau bestimmen. Man mußte also ein besonderes Werkzeug
ausfindig zu machen suchen, um diese Absicht zu erreichen. Dieses
ist auch 1630 erfunden und nach und nach zu seiner jetzigen
Vollkommenheit gebracht worden. Es heißt Thermometer oder
Wärmemesser. Der Erfinder dieses nützlichen Werkzeuges war
ein gelehrter holländischer Bauer, Namens Kornelius Drebbel,
welcher zu Anfange des 17. Jahrhunderts in Alkmaar lebte. Es
ist eine -gläserne, etwa 10 bis 12" lange, dünne, unten in eine
367
Kugel auslaufende Glasröhre, welche bis auf eine gewisse Höhe
mit Quecksilber oder Weingeist gefüllt, oben und unten verschlos-
sen ist und über der Flüssigkeit einen luftleeren Raum hat. Je
wärmer die Luft oder das Wasser ist, worin sich das Thermo-
meter befindet, desto mehr wird das Quecksilber ausgedehnt: es
steigt also in der Röhre; je kälter dagegen die Luft rc., desto
mehr wird es zusammengezogen: es sinkt also in der Röhre.
Um nun bestimmt angeben zu können, wie kalt oder wie warm
es ist, befestigt man die Röhre an einem Brettchen (oder auch
in einer stärkeren Glasröhre) und theilt den Raum zwischen dem
Punkte, wo das Quecksilber steht, wenn man die Röhre in zer-
stoßenes, mit Wasser vermischtes Eis bringt, und zwischen dem,
wo es steht, wenn man sie in siedendes Wasser hält, in eine
bestimmte Anzahl gleicher Theile, die man Grade nennt. Jener
Punkt heißt der Gefrierpunkt (Eispunkt), dieser der Siede-
punkt, und die Entfernung zwischen beiden wird der Funda-
mental-Abstand genannt. Bei unfern gewöhnlichen Thermo-
metern ist derselbe nach Reaumur (spr. Reomür) in 80 Grade
getheilt, und die Theilung ist auch unter dem Gefrierpunkte bis
auf etwa 30 Grade fortgesetzt. Am Gefrierpunkte steht 0, am
Siedepunkte 80. Sagt man also: „Wir haben 15° Wärme
s-i- I5°R.) oder Kälte (—15° Öi.)" so heißt dies: das Queck-
silber im Thermometer steht 13° über 0, d. i. dem Gefrierpunkte,
oder 15° unterer demselben. Eine angenehme äußere Wärme
empfinden wir bei + 15 oder 10°. Bei —20° ist die Kälte
schon stark; die größte in unsern Gegenden ist bei — 24 bis 28°.
Daniel Gabriel Fahrenheit, ein Danziger, hat 1709 viel
für die Verbesserung des Thermometers gethan. Er nahm einen
andern (künstlichen) Gefrierpunkt an, bis zu welchem Quecksilber
in einer Mischung von Schnee, Salz und Salmiak sank, und
theilte den Fundmental-Abstand in 212 gleiche Theile (bei 600°
siedet das Quecksilber) oder Grade. Der natürliche (Reaumur'sche)
Eispunkt liegt 32 Fahrenheit'sche Grade höher als der künstliche,
so daß also 180° F. — 80° R. Die Thermometer sind sehr
nützlich, besonders in Krankenhäusern, Bädern, Seidenzüchter-
ftuben und Gewächshäusern, um die Luft stets in einer gewissen
Temperatur zu erhalten. Auch Bierbrauer benutzen dasselbe, um
bei einer gewissen Temperatur den Zuckergehalt des Bieres mit-
telst eines Saccharometers zu erforschen. Eben so wird es bei
Höhenmessungen mittelst des Barometers benutzt.
368
§. 66.
Die Dindung und das Freiwerden der Wärme.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 8. 0.)
Bringt man in die warme Stube eine Schüssel voll Schnee
und setzt in diesen ein Thermometer, so steigt dasselbe, wenn der
Schnee nickt etwa schon von der Temperatur 0 war, nach und
nach bis auf den Null- oder Gefrierpunkt. Hier bleibt es stehen,
nickt nur indem der Schnee zu schmilzen anfängt, sondern auch
während er sckmilzt, und zwar so lange als nur noch ein Stück-
chen Schnee vorhanden ist. So wie die Schüssel lauter Wasser
enthält, steigt auch bei fortgesetzter Erwärmung am Feuer das
Thermometer wieder, bis dieses Wasser bei 8o°9i. zu kochen
anfängt, wo es dann wieder bei 80° so lange stehen bleibt, als
noch nicht alles Wasser durch das Kochen in Dampf verwandelt
ist. Erwärmte man diesen Dampf für sich noch weiter, so würde
auck ein mit hinlänglich hoher Skala (Gradeeintheilung) versehe-
nes Thermometer sich über 80° erheben. Die von dem thauen-
den Schnee aufgenommene Wärme würde also, da sie auf das
Thermometer nicht wirkte, lediglich zur Verwandlung des Schnee's
in Wasser, so wie die vom kochenden Wasser aufgenommene
Wärme nur zur Verwandlung des Wassers in Dampf, also über-
haupt zur Verwandlung des Aggregat-Zustandes der Körper
Schnee und Wasser verwendet. Diejenige Wärme, welche erfor-
derlich ist, einen festen Körper flüssig, und einen flüssigen luft-
förmig zu erhalten, heißt gebundene (latente) Wärme, während
die auf das Thermometer wirkende freie Wärme heißt. Eine
solche Bindung von Wärme findet immer statt, so oft ein fester
Körper flüssig, ein flüssiger luftförmig wird.
Ein und derselbe Körper kann durch bloße Wärme alle drei
Aggregat-Formen annehmen (Vergl. Zweite Abth. Einleitung).
Eis, Wasser, Dampf ist immer derselbe Körper, aber mit ver-
schiedener Menge von Wärme: Eis mit der wenigsten, Wasser
mit mehr, Dampf mit der meisten Wärmemenge. Dampf wird
aber auch durch Erkaltung, d. i durch Entziehung von Warme
zu Wasser, und dieses auf demselben Wege zu Eis. Was hier
mit Wasser geschieht, widerfährt durch die Wärme sehr vielen
andern Körpern, so daß man angenommen hat, alle luftförmigen
würden flüssig, und diese wieder fest, wenn ihre Temperatur hin-
länglich erniedrigt oder ihnen gehörig Wärme entzogen werden
könnte; eben so würden alle festen Körper flüssig, alle flüssigen
luftförmig bei hinlänglich großer Erhöhung der Temperatur oder bei
gehöriger Mittheilung von Wärme. Ohne den Wärmestoff würden
wir keinen flüssigen — vielleicht auch keinen lustförmigen — Kör-
per haben; denn der in den Flüssigkeiten enthaltene Wärmestoff
369
ist es, welcher ihnen die Eigenschaft des Flüssigseins giebt. Es
ist daher in jeder Flüssigkeit eine Menge Wärmestoff vorhanden,
man sagt gebunden. Während der feste Körper flüssig, der
flüssige luftförmig wird, entzieht er seiner Umgebung diese Wärme,
oder er verursacht rings um sich Kälte. Sobald sich dagegen ein
luftförmiger Körper in einen flüssigen, ein flüssiger in einen festen
verwandelt, (gefriert), wird Wärmestoff entbunden, er wird
frei, geht in die Luft über, und es entsteht in der Umgegend
Wärme. Daher kann man bei Nachtfrösten im Frühling Pflan-
zen vor dem Erfrieren schützen, wenn man ein Gefäß mit Wasser
in ihre Nähe stellt. Das Wasser gefriert, und der daraus sich
. entbindende Wärmestoff hindert das Erfrieren der Pflanze, voraus-
gesetzt, daß stilles Wetter ist. Beim Schnulzen des Eises wird
der Luft und andern benachbarten Körpern Wärmestoff entzogen;
daher bildet sich am gefrornen Obste (Kartoffeln rc.), welches
man in kaltem Wasser aufthaut, während des Aufthauens eine
Eisrinde. Dem aus dem Bade steigenden Menschen ist kalt,
weil das an ihm haftende Wasser sich in Dampf verwandelt und
dabei seinem Körper Wärme entzieht. Wird die Thermometer-
kugel in einen feuchten Schwamm gesteckt, und hierauf das
Thermometer in der Luft bewegt, um einen Luftzug zu verur-
sachen, so sinkt das Quecksilber. Durch Wassersprengen werden
im Sommer die Zimmer abgekühlt. Nasse Kleider erkälten den
Körper sehr. Wasser, Wein und andere Getränke in Flaschen
können im Sommer merklich abgekühlt werden, wenn man sie
mit nassen Tüchern umwickelt und dann in die Sonne stellt.
Man kann Wasser über dem Feuer zum Gefrieren bringen, wenn
man über das Feuer ein Gefäß mit Schnee stellt, in welchem
sich ein Schälchen mit Wasser befindet. Heiße eiserne Töpfe
werden mit nassen Tüchern angefaßt. Wenn das Wasser gefriert,
steht unmittelbar über der Eisfläche das Thermometer höher als
in größerer Entfernung. Wasserdampf erhitzt den Deckel eines
Topfes, an welchem er sich zu Wasser ansetzt, sehr bedeutend.
Wird eine Flasche mit gefrornem Weine in kaltes Wasser gesetzt,
so thaut der Wein auf, und das Wasser gefriert an den Wän-
den der Flasche.
tz. 67.
Das Schmelzen und Sieden.
(Kdrfr. l. Anh. V. §. 8. 7.)
Die Wärme dehnt, wie wir geseben haben, alle Körper- aus.
Wird ein fester Körper so durch den Wärmestoff ausgedehnt, daß
seine Theilchen allen Zusammenhang unter einander verlieren, so
schmilzt er. — Einige feste Körper erfordern eine größere, an-
dere eine geringere Hitze zum Schmelzen. Jene heißen leicht-
flüssig, diese streng- oder schwerflüssig. Eis schmilzt schon
Pechner. Handb. 3.Thl. 24
4
370
bei 0° R. Butter bei 20", Rindstalg bei 33°, Wachs bei 48°,
Zinn bei 214°, Blei bei 260° R. Einige Körper sind so streng-
flüssig, daß menschliche Kunst noch nicht im Stande gewesen ist,
eine Hitze hervorzubringen, die sie zum Schmelzen bringen könnte,
und man nennt sie daher unschmelzbar. Dahin gehören ins-
besondere die reine Kalk-, Thon- und Kieselerde. Könnten wir
einen Hitzegrad bervorbringen, der im Stande wäre, den Zusam-
menhang ihrer Theile zu überwältigen, so würden auch sie flüssig
werden Merkwürdig ist es, daß zwei sonst unschmelzbare Körper
durch ihre Vermengung zum Schmelzen gebracht werden können,
z. B. reiner Kalk und reiner Thon.
So wie es Körper giebt, die sehr schwer, und andere, die •
gar nicht durch die Hitze zum Schmelzen gebracht werden können,
weil sie nur eine geringe Verwandtschaft zum Wärmestoffe haben:
so giebt es auch andere, deren Verwandtschaft zum Wärmestoffe
sehr groß ist, und die daher so leichtflüssig sind, daß sie in der ge-
wöhnlichen Temperatur unserer Atmosphäre flüssig bleiben. DaS
Quecksilber, welches einer der leichtflüssigsten Körper ist, hielt
man sonst für einen stets flüssigen Körper und glaubte, daß er
niemals fest werden könnte; neuere Versuche haben indeß gelehrt,
daß dies bei —32° R. dennoch geschehe.
Werden tropfbare Flüssigkeiten (auch feste Körper) starker
Hitze ausgesetzt, so verbinden sich Theilchen derselben mit dem
Wärmestoffe und fliegen in der Gestalt von Dämpfen davon.
Sind diese Dämpfe feucht, so heißen sie auch Dünste, wenn
sie aber trocken sind, Rauch. Beispiele hierzu geben die Dämpfe
des kochenden Waffers und Quecksilbers, der Rauch des vergla-
senden Bleies, des brennenden Holzes; rauchendes Vitriolöl,
rauchende Salpetersäure rc. Der Dampf ist anfangs, wenn er
frei aufsteigt, fast unsichtbar und so ausgedehnt, daß er nur halb
so leicht ist als die Luft; ec kann aber sichtbar werden, wenn
man ihn auffängt und in einen engen Raum leitet, wo ec sich
zusammenpreßt.
Setzt man Wasser in einem gläsernen Gefäße der Hitze
aus, so bemerken wir, wenn seine Temperatur einen gewissen
Grad erreicht hat, daß sich eine Menge von Bläschen allenthalben
an der Wand des Gesäßes ansetzen, die sich nach und nach ab-
lösen, emporsteigen und an der Oberfläche des Wassers zerplatzen.
Bei zunehmender Hitze nehmen auch die Bläschen an Menge
und Größe zu, so daß sie beim Emporsteigen endlich die Durch-
sichtigkeit des W.issers hindern. Zuletzt geräth die ganze Masse
des Wassers wegen der Größe und Menge der Blasen in Bewe-
gung, und das Wasser wallt nun hoch auf, kocht oder siedet.
Die Erfahrung lehrt, daß selbst einerlei Flüssigkeit nicht
immer bei einem und dem nämlichen Grade der Hitze siedet, in-
dem der Druck der atmosphärischen Luft darauf einen sehr großen
Einfluß hat. Je größer dieser Druck ist, desto später und bei
371
desto größerer Hitze, je geringer aber, desto eher und bei desto
geringerer Hitze kommt die Flüssigkeit zum Sieden. Der Grund
davon liegt in dem größeren oder geringeren Widerstände, welchen
der Druck der Luft der Bildung der Dämpfe entgegensetzt, indem
das Sieden nicht eher geschehen kann, als bis die Dämpfe in
einer hinreichenden Menge und mit einer gewissen Stärke der
Elasticität vorhanden sind, um den über ihnen befindlichen Druck
zu überwältigen und hervorzubrechen. Fe dünner daher die Luft,
desto schneller siedet das Wasser, auf hohen Bergen also leichter
als imThale, am leichtesten und schnellsten im luftleeren Raume,
wo schon die Wärme der menschlichen Hand das Sieden des
Wassers zu bewirken im Stande ist. Verhütet man beim Kochen
das Entfliegen der Dünste durch feste Deckel, so wirken die
Dämpfe auf die Flüssigkeit zurück, indem sie wegen ihrer Elasti-
cität einen großen Druck auf dieselbe äußern. Daher wird hier
ein weit größerer Grad der Hitze nöthig sein, um das Wasser
zum Sieden zu bringen. Auf diese Art läßt sich ein so hoher
Hitzegrad erzeugen, daß bei wenigem Feuer große Knochen zu
Brei gekocht werden können.
§- 68.
Das Feuer.
(Kdrfr. I. Anh. V. 8.8 8 )
Wärmestoff in Verbindung mit Lichtstoff nennen wir Feuer.
Ein sehr hoher Grad von Wärme wird Hitze genannt. Man
unterscheidet Roth- und Weißglühhitze; letztere ist die stär-
kere. Der Zustand eines bis zum Leuchten erhitzten Körpers
heißt Glühen. Manche Körper werden durch zu starke Hitze
zerstört: sie verbrennen. Kegelförmiger, glühender Dunst, der
sich dabei von dem Körper erhebt, heißt Flamme. Der nicht
leuchtende, aber sichtbare Dunst, welcher beim Erhitzen und Ver-
brennen in die Höhe steigt, ist der Rauch. Theile des verbren-
nenden Körpers, die mit der Flamme in die Höhe steigen, noch
bemerkbar sind und sich irgend wo an alte Körper anhängen, bil-
den den Ruß. Manche Körper, wie Holz, Knochen k verkoh-
len, wenn sie in einem zum Theil verschlossenen Raume zum
Glühen gebracht und dann ausgelöscht werden. Die Kohle bleibt
immer noch brennbar. Asche ist der übrige Staub eines ver-
brannten, Schlacke das verglaste Ueberbleibsel eines ausgebrann-
ten Körpers.
Beim Verbrennen eines Körpers verbindet sich der im Sau-
erstoffe der atmosphärischen Luft enthaltene Wärmestoff mit dem
Lichtstoffe des verbrennenden Körpers und bewirkt mit demselben
die Erscheinung, welche wir Feuer nennen. Zum Brennen des
Feuers gehört daher Luft, und zwar der Sauerstoff. Nicht alle
24*
372
Körper haben die Fähigkeit, die Wärme aus dem Sauerstoffgase
abzusondern. Hieraus gründet sich die Einteilung der Körper
in brennbare und nicht brennbare (§. 49.). Körper, welche
nämlich jene Eigenschaft besitzen, heißen brennbare Körper, wie
Holz, Papier rc.; nicht brennbar sind diejenigen, welche nicht
fähig sind, den Sauerstoff und den Wärmestoff zu entmischen
(zu zersetzen), wie Steine, Metalle jc. Außer dem Zutritte der
atmosphärischen Luft oder des in ihr enthaltenen Sauerstoffgases
erfordern brennbare Körper, wenn sie brennen sollen, auch noch
ihre bestimmte Entzündungs-Temperatur, einige eine niedere,
andere eine höhere. Phosphor brennt schon bei 20 bis 30° R.,
Schwefel entzündet sich bei 300 bis 312°.
Mittel, die den Zutritt der atmosphärischen Luft befördern,
begünstigen auch das Verbrennen, z. B. Zugluft, Blasebälge, das
Blasen ins Feuer rc. Mittel, welche die Bedingungen, unter
denen das Verbrennen stattfindet, aufheben, nämlich das Hinzu-
treten der Luft verhindern und die Temperatur des brennenden
Körpers mäßigen, sind feuerlöschende Mittel. So treten
wir auf brennendes Papier, brennenden Schwamm mit dem Fuße;
so bedeckt man brennende Schornsteine mit nassen Säcken. Das
durch Spritzen auf brennende Körper (nicht bloß in die Flamme)
gegossene Wasser umgiebt dieselbe schnell, hindert den Zutritt
der Luft, mindert die Temperatur und löscht so die Flamme.
X. Die Elektricität.
(Äbrfr. I. Anh. V. §. 9.)
§. 69.
Das Wesen der Elektricität.
(Kdrfr.I. Anh. V. 8.9. I.)
Hier habe ich einen Glascylinder, eine Stange Siegellack
und ein Stück Bernstein mitgebracht, ferner einige ganz kleine
Papierschnitzel, Blättchen Goldschaum, Eisenfeilspäne, Holzspänchen,
Strohhälmchen, Leinen- und Baumwollenfädchen, Hollundermark-
stückchcn, Korkstückchen und andere Körperchen. Ach reibe jetzt
die Glasröhre oder die Siegellackstange auf dem Aermel meines
Tuchrockes, oder mit einem flanellenen Lappen, halte sie dann
über jene kleinen Körperchen, und sehet! sie fliegen augenblicklich,
wie wenn sie lebendig wären, an die Siegellackstange. Könnte
ich einen größeren Glas- oder Siegellack-Körper noch stärker rei-
ben, so würden diese kleinen Körper nicht bloß angezogen, sondern
auch wieder abgestoßen werden, auf den Tisch zurückfallen, von
neuem angezogen werden, zurückfallen rc., bis endlich die durch
das Reiben erzeugte anziehende Kraft des geriebenen Körpers
373
erschöpft ist. Glas- oder Harzstückchen, Fädchen von reiner,
trockener Seide werden nicht angezogen. Nehme ich die Reibung
im Finstern vor, so zeigt sich um den geriebenen Körper ein
heller Schein. Kommt ihr mit dem Knöchel des Fingers nahe
an den geriebenen Körper, so bricht ein kleiner Feuerfunken her-
vor, ihr höret ein leises Knistern und fühlet ein schwaches Stechen
im Finger; auch spüret ihr einen eigenthümlichen, phosphorarti-
gen Geruch. Nahet ihr euch mit der Stirn dem geriebenen
Körper, so habt ihr eine Empfindung, als ob das Gesicht mit
Spinngewebe bedeckt würde. Halte ich den geriebenen Körper
über euren Kopf, so richten sich die Haare empor. Eben so
recken sich die Fadchen roher Baumwolle gerade aus, als wenn
sie erstarrten.
Fast alle diese Erscheinungen waren den Menschen schon
600 Jahre vor Christi Geburt bekannt; sie machten jedoch ihre
Versuche nur an dem Bernsteine tKdrfr. I. Nr. 160.), welcher
griechisch Elektron heißt, und nannten daher die Kraft, welche
jene Erscheinungen bewirkt, Elektricität. Daß diese Kraft die-
selbe ist, welche die Gewitter hervorruft, ahnten sic nicht im
entferntesten. So blieb die Welt einige Jahrtausende in Un-
kenntniß über eine der vornehmsten Kräfte der Natur. Erst zu
Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts wandten geistreiche
Männer ihre Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand und fanden,
daß nicht nur der Bernstein, sondern auch Glas, Schwefel, Edel-
steine u dgl. Elektricität zeigen, wenn sie stark gerieben werden.
Durch vielfache Beobachtungen und Versuche hat man gefunden,
daß die Ursache der elektrischen Erscheinungen nicht sowohl in
dem geriebenen Körper selbst liegt, als vielmehr in einer sehr
merkwürdigen, höchst feinen Flüssigkeit, welche durch das Reiben
erregt oder hervorgerufen wird und den geriebenen Körper un-
sichtbar umgiebt. Diese Flüssigkeit nennt man elektrische Ma-
terie. Sie ist, wie der Licht- und Wärmestoff, durch den gan-
zen Weltraum verbreitet und in allen Körpern in größerer oder
geringerer Menge vorhanden. Ihre Wirkungen, die besonders
beim Gewitter oft sehr fürchterlich sind, kennt man bester, als
das Wesen der Elektricität selbst.
tz. 70.
Feiler und Nichtleiter der Elektricität.
(Kdrft.!. Anh. V. §. 9. 3.)
Wenn ein Körper in den Zustand gebracht worden ist, daß
er andere leichte Körper anzieht und wieder abstößt, überhaupt
elektrische Erscheinungen zeigt, so nennt man ihn elektrisirt.
Diejenigen Körper, welche sich durch Reiben leicht elektrisiren
lassen, nennt man elektrische, die übrigen unelektrischeKör-
374
per. Die vorzüglichsten elektrischen Körper sind: Bernstein, Sie»
gellack, Glas, durchsichtige Edelsteine, Schwefel, Harz. Haare,
Federn, Seide, Eis, trockene, nicht verdünnte Lust, Zucker. Eho-
kolade, gedörrtes Holz rc. Da indessen, wie neuere Versuche
gelehrt haben, unter gewissen Umständen vielleicht alle Körper
durch Reiben des triftet werden können, so ist die Eintheilung der
Körper in elektrische und unelektrische in der Natur der Sache
nicht begründet.
Ein elektrisirter Körper wirkt durch Anziehen und Abstoßen
nur in einer gewissen Weite, die man den elektrischen Wir-
kungskreis nennt. Bringt man in denselben eine metallene
Röhre, die wohl abgerundet ist, an seidenen Schnüren hängt,
oder auf gläsernen Füßen ruht, so zeigt diese Röhre ebenfalls
elektrische Wirkungen, so lange sie sich in dem elektrischen Wir-
kungskreise befindet, oder den elektrischen Körper berührt- Man
sagt in diesem Falle, die Röhre sei durch Mittheilung elektri-
sirt. Faßt man aber die Röhre mit der Hand, oder bringt man
sie durch Metall mit der Erde in Verbindung, so zeigt sie die
elektrischen Erscheinungen nicht. Nehme ich dagegen eine Glas-
oder Siegellackstange in die Hand und halte sie mit dem andern
Ende an einen elektrischen Körper, so nimmt sie nur in der Be-
rührungsstelle Elektricität an, ohne daß die letztere in meine Hand
übergeht. Hieraus folgt, daß einige Körper die Eigenschaft haben,
von einem des trifteten Körper die Elektricität leicht aufzunehmen
und fortzuleiten, andere hingegen sie schwer aufnehmen und ihre
weitere Verbreitung hindern. Man theilt daher in dieser Be-
ziehung die Körper in Leiter und Nichtleiter. Die Unter-
schiede zwischen beiden Arten von Körpern sind folgende: >) In
den Nichtleitern wird leicht durch Reibung Elektricität erregt, in
den Leitern dagegen gar nicht, oder doch nur unter gewissen Be-
dingungen eine sehr schwache. 2) Theilt man einem Nichtleiter
an einer Stelle Elektricität mit, so hält diese Stelle die Elektri-
cität fest, theilt sie den benachbarten nicht mit. leitet sie nicht
weiter; wird dagegen einer Stelle eines Leiters Elektricität mit-
getheilt, so verbreitet sie sich augenblicklich über seine ganze Ober-
fläche. 3) Berührt man endlich mittelst eines Leiters einen elek-
trisirten Nichtleiter, so benimmt man nur der berührten Stelle
die Elektricität, die benachbarten bleiben noch elektrisch; ein elek-
trisirter Leiter auf diese Art berührt, verliert seine ganze Elektri-
cität. Die Nichtleiter können also am besten durch Reibung,
die Leiter durch Mittheilung elektrisirt werden. Die besten Leiter
sind: Metalle, Kohle, Graphit, Weingeist, Wasser und alle was-
serhaltigen Körper, daher auch feuchte Luft, Nebel, Rauch, ferner
die Körper der Menschen und Thiere, die Erde rc. Die besten
Nichtleiter sind die oben genannten elektrischen Körper. - Ganz
vollkommene Leiter giebt es aber eben so wenig als ganz voll-
kommene Nichtleiter. Körper, welche in Hinsicht des Leitungsver-
375
mögens zwischen den Leitern und Nichtleitern in der Mitte stehen,
heißen Halbleiter, wie Holz, Papier, Knochen, Elfenbein, Mar-
mor, Alabaster, Thon, Kreide rc.
Da ein Leiter die dargebotene Elektricität schnell annimmt,
sie aber eben so schnell einem andern genäherten Leiter abgiebt,
ein Nichtleiter dagegen die Elektricität sebr langsam annimmt,
so kann ein Leiter tie ihm mitgetheilte Elektricität nur dann
längere Zeit behalten, wenn er nur mit Nichtleitern in Verbin-
dung stebt. Einen Leiter mit lauter Nichtleitern umgeben, heißt,
ihn isoliren, weshalb man in dieser Beziehung die Nichtleiter
auch Isolatoren nennt. Die gewöhnlichste Art, einen Leiter
zu isoliren, besteht darin, daß man ihn auf eine Glas- oder
Harzunterlage legt, oder an seidenen Schnüren aufhängt, oder,
wenn er ein flüssiger ist, ihn in eine gläserne Flasche ein-
schließt. Soll Glas gut isoliren, so must es mit einem guten
Bernsteinsi'rnisse dünn überzogen werden, weil sich auf bloßem Glase
leicht Feuchtigkeiten ansetzen und es dadurch zum Leiter machen.
Stellt man sich auf eine hölzerne, mit Glasfüßen versehene
Rutsche (bitt sogenannten Jsolirschemmel» und schlägt mit einem
Katzenfelle oder mit dem Schoße des Tuchrockes gegen die Wand,
so wird man elektrisch. Berührt uns dann Jemand, so springen
Funken aus unserm Körper.
§. 43.
Die Elektrisrrmaschine.
(Kdrsr. l. Anh. V. §. 9. 2. u. 4.)
Die elektrischen Erscheinungen lassen sich am bequemsten
und in größerer Stärke an der sogenannten Elektrisirmascbine
sFig. 43 ) zeigen. Die drei wesentlichen Theile derselben sind:
l> der geriebene Körper oder der Reiber, ein Nichtleiter,
gewöhnlich Glas in der Form eines Cylinders oder einer Scheibe
<»c); 2) der reiben de Körper oder dasReibzeug, bei Glasma-
schinen gewöhnlich mit Haaren ausgestopfte und- auf der dem
Reiber zugewendeten Seite mit einem Amalgam« seiner Mischung
von Zinn, Zink und Quecksilber) bestrichene Lederkissen sb), die
mittelst einer metallenen Kttte sä) mit der Erde in leitende Ver-
bindung gesetzt sind; 3) derZuleiter oder Konductor sHaupt-
leiter, erster Leiter e), gewöhnlich ein hohler, auf Glasfüßen
ruhender Cylinder (oder eine Kugel) aus Metallblech, der die Be-
stimmung hat, die durch das Aneinanderreiben jener beiden ersten
Theile im Reiber entstandene Elektricität aufzunehmen. Jeder
isolirte Leiter, der mit dem Konduktor unmittelbar oder mittelbar
durch einen andern Leiter in Verbindung steht, vergrößert ihn
nur, so daß z. B. ein auf einen Harzkuchen oder Jsolirschemmel
376
stehender Mensch, welcher seine Hand auf den Konduktor gelegt
hat, als ein Theil desselben zu betrachten ist.
Die Wirksamkeit einer Elektrisirmaschine hängt vorzüglich
ab von der Größe der geriebenen Flache am Reiber, von der
Anzahl der Umdrehungen und von der Wärme des Reibers und
des Reibzeuges. Eine der größten Maschinen befindet sich im
Tayler'schen Museum zu Harlem. Sie hat zwei Glasscheiben,
jede von 65" engl, im Durchmesser, die 71/.," aus einander
stehen und von 8 Kissen, jedes 15^" lang, gerieben werden. Die
Wirkungen dieser Maschine sind erstaunlich. Bei trockener Wit-
terung schlägt der Zuleiter 24" lange Funken von der Dicke
eines Federkieles 3öo mal in einer Minute. Diese Funken
schlängeln sich wie Blitze und schießen aus ihren Krümmungen
6 bis 8" lange Strahlen. Die Lichtbüschel am Ende des Zu-
leiters verbreiten sich ringsum auf 16". Ein isolirter 207' lan-
ger Drath am Zuleiter wird bei jedem Funken in seiner ganzen
Länge erleuchtet und schießt überall Lichtbüschel von l" aus.
Schießpulver, Zunder, Schwamm, Terpentin- und Olivenöl wer-
den entzündet, und Streifen Goldblättchen, iy2//# breit und 20"
lang geschmolzen. Roch bequemer, besser und vortheilhafter, als
diese Kuthberson'sche, ist die Riesenmaschine des Herrn van Marum
in Hollands welche einem genährten Leiter auch 24" lange Funken
entgegensendet. Dergleichen Wirkungen brachte freilich Guerike's
einfache Schwefelkugel (>676), die mittelst einer Kurbel gedreht
und mit der bloßen Hand oder einem wollenen Lappen gerieben
wurde, nicht hervor. Dessen ungeachtet sind wir demselben auch
für die Erfindung dieser Maschine zu großem Danke verpflichtet.
§• 72.
Versuche mittelst der Elektrisirmaschine.
tKdrfr. I. Anh. V. §. 9. 4.)
Alle jene Versuche, die sich schon mit der Siegellackstange
und der Glasröhre anstellen ließen, gelingen weit besser mittelst
einer Elekrisi'rmaschine. Die gewöhnlichsten Versuche sind:
I) Anziehen und Abstoßen. Korkkügelchen an leinenen
(leitenden) Fäven werden von dem Zuleiter angezogen und nicht
wieder abgestoßen, was mit den seidenen (nichtleitenden) geschieht.
Dasselbe gilt von Strohhälmchen, Federn, Papierschnitzeln rc.
Watte streckt alle ihre Fädchen nach dem Zuleiter hin, und läßt
Man die Watte los, so fliegt sie ihm zu, wird aber auch wieder
zurückgeworfen. Hängt man mittelst einer messingenen Kette
einen metallenen Teller oder eine mit Staniol (dünngeschlagenem
Zinn) belegte Pappscheibe an den Zuleiter und hält dann eine
eben solche Scheibe, auf der einige aus Papier oder Hollunder-
mark geschnitzte Puppen liegen, etwa 4" darunter; so hüpfen
377
diese mit großer Geschwindigkeit von einer Scheibe zur andern,
was man den elektrischen Puppentanz nennt. Noch mehr
belustigt das elektrische Glockenspiel. An dem Zuleiter hän-
gen hierbei drei kleine Glocken von Metall, -ie mittlere an einer
seidenen Schnur, die beiden äußern an metallenen Drälhen oder
Ketten. Zwischen den Glocken hängen zwei messingene Klöppel,
und die mittlere steht durch eine metallene Kette mit der Erde
in Verbindung. Die Klöppel werden zuerst von den äußern
Glocken angezogen, dann abgestoßen und von der mittleren ange-
zogen, fallen hierauf, nachdem sie die von den ersteren erhaltene
Elektricität an die mittlere Glocke abgegeben haben, wieder zu-
rück, werden abermals von den äußern angezogen, abgestoßen rc.
Bedient man sich statt der messingenen Klhppel, kleiner, aus Kork
geschnitzter Spinnen und hängt die Glocken (statt deren auch
andere leitende Körper gebraucht werden können) etwas weiter
auseinander, so hat man die sogenannten elektrischen Spinnen,
welche sich immer hin und Herschwingen, mithin ihre Netze zu
spinnen scheinen. Schmelzt man in einem blechernen Löffel ein
Stück Siegellack und bringt ihn unter den Zuleiter, so bilden
sich eine Menge Spitzchen, die noch ftiner sind, wenn man statt
des Siegellacks Kampfer benutzt. Der Rauch eines ausgeblasenen
Lichtes wird von dem Zuleiter bald angezogen, bald abgestoßen.
Stellt sich Jemand, der mit der Hand den Zuleiter berührt, auf
den Jsolirschemmel, so sträuben sich seine Haare, wenn ein An-
derer die Hand über seinen Kopf hält.
2) Leuchtende Versuche. Im Finstern sieht man, wenn
die Maschine gedreht wird, das elektrische Licht in Büscheln aus
dem Reiber in den Zuleiter strömen. Auf jeden genäherten Leiter
springt aus dem Zuleiter ein Funken, so wie aus allen Theilen
eines ihn berührenden und auf dem Jsolirstuhle stehenden Men-
schen. Hält man ein Kartenblatt vor den Zuleiter und hinter
dasselbe eine Metallspitze, so schlägt der Funken ein Loch durch
das Kartenblatt. Aus sider am Zuleiter angebrachten Metall-
spitze strömt ein Strahlenkegel, so wie an jeder derselben genä-
herten nur ein leuchtender Punkt erscheint. Man kann einen
Menschen mit einem elektrischen Strahlenkränze umgeben. Auf
Glas, welches mit verschiedenen Metallstreifen belegt worden ist,
lassen sich leuchtende verschiedenfarbige Figuren hervorbringen rc.
Ein vorzüglich schöner und merkwürdiger Versuch ist das elek-
trische Rad, das aus zwei sich rechtwinklig kreuzenden Messing-
dräthen besteht. Ihr Durchschnittspunkt ruht auf einer metalle.
nen Spitze, welche auf den Zuleiter geschraubt werden kann.
Die Enden der Dräthe sind spitzig und alle nach einer Seite
rechtwinklig umgebogen. Sobald der Zuleiter elektrisirt wird,
fängt das Kreuz an umzulaufen, und zwar nach der Richtung,
welche derjenigen der umgebogenen Drathspitzen entgegengesetzt ist.
378
3) Zündende Versuche. Stellt man ein metallenes Ge-
fäß mit Spiritus, Schwefelä'her, brennbarer Luft rc. auf den
Zuleiter und hält einen leitenden Körper darüber, so fährt ein
Funken aus dem Gefäße, der bei seinem Durchgänge durch den
leicht entzündlichen Körper diesen in Flammen setzt. Baumwolle,
mit Kolophonium bestreut, geräth durch den elektrischen Funken
in Brand.
4) Chemische Versuche. Sauerstoff und Wasserstoff, in
ein Gefäß gebracht und mittelst eines elektrischen Funkens ange-
zündet. vereinigen sich zu Wasser.
Bemerkenswerth sind ferner das Gefühl bei Annäherung der
Hand an den Zuleiter, als griffe man in Spinngewebe; der
stechende Schmerz, wenn man einen Funken erbält; das Geräusch,
welches diesen begleitet; der phosphorartige Geruch während der
Thätigkeit der Maschine rc. Wie man die Kraft des Zuleiters
noch bedeutend verstärken kann, werden wir später vernehmen.
tz. 73.
Die beiden Arten der Elektricität.
(Kdifr. I. Anh. V. H.9. 5.)
Bringt man in die Nähe einer geriebenen Siegellackstange
ein Korkkügelchen, so wird es, wenn es an einem seidenen Faden
hängt, von dieser angezogen und wieder abgestoßen. Hält man
es 'darauf sogleich an eine andere geriebene Siegellackstange, so
wird es von derselben augenblicklich abgestoßen, ohne erst von
ihr angezogen worden zu sein. Nähert man es aber einer ge-
riebenen Glasröhre, so wird es sogleich von ihr angezogen. Auf
gleiche Art wird ein von der Glasröhre abgestoßenes Korkkügelchen
von der Siegellackstange angezogen. — Zwei Korkkügelchen, beide
an der Glasröhre, oder beide an der Siegellackstange elektrisirt,
stoßen einander ab; sie ziehen sich aber an. wenn das eine von
der Siegellackstange, das andere von der Glasröhre seine Elektri-
cität erhalten hat, und zeigen nach geschehener Berührung keine
Spur von Elektricität, wenn sie gleich stark elektrisirt waren.
Diese Erscheinungen veranlassen uns zwei einander entge-
gengesetzte Elektriciläten anzunehmen, von denen jede sich selbst
flieht, die andere aber anzieht. Man nannte diese beiden Arten
sonst allgemein Glas- und Harzelektricitat (die Frankijn'sche
Hypothese oder das System der Dualisten), weil erstere vorzüg-
lich bei glasartigen, letztere bei harzartigen Körpern vorkommt.
Später fand man jedoch, daß nicht bloß der geriebene, sondern
auch der reibende Körper die Art der Elektricität je nach der Be-
schaffenheit des Neibzeuges annehmen könne. Daher führte man,
weil sich die entgegengesetzten Elektriciläten, wenn sie gleich stark
sind, einander aufheben, die Benennungen positive und negative,
7
379
d. h. bejahende und verneinende, Elektricität ein (die Sym-
mer'sche Hypothese oder System der Unitarter), indem man die-
jenige Elektricität, welche in dem mit Wolle geriebenen Glase
entsteht, positiv, die in dem ebenfalls mit Wolle geriebenen Sie«
gellak entstandene aber negativ nannte. Diese Benennungen
gründen sich auf die Lehre von den entgegengesetzten Größen,
das sind solche, welche einander nicht vermehren, wenn man ste
zusammenzählt, sondern vermindern oder wohl gar ganz aufheben,
wenn beide gleich groß sind. Hat z. B Jemand 1000 Thlr.
Vermögen und 90oThlr. Schulden, und er will beide Zahlen
zusammenrechnen, so wird er finden, daß die Schulden sein Ver-
mögen um 500Thlr. mindern, und wenn er gar nur 500 Thlr.
Vermögen hat, ganz aufheben. Eben solche Bewandniß hat es
auch mit den beiden Arten der Elektricität. Man bezeichnet daher
auch die positive Elektricität mit -f- K (Iteö plus K) und die negative
mit — E (lies minus E). Ein Körper ist also hiernach dann
positiv elektrisch, wenn er solche Elektricität zeigt, wie das mit
Wolle geriebene Glas, negativ aber, wenn er solche Elektricität,
wie die mit Wolle geriebene Siegellackstange besitzt. — Glas
giebt, mit Katzenfell gerieben, + E, so wie Harz, mit einem
Amalgam« gerieben, — E.
Die Gesetze, welche sich aus dem Verhalten der entgegenge-
setzten Elektriciräten ergeben, sind: I) das Gesetz der An-
ziehung: + E und —E ziehen sich an; 2) das Gesetz der
Abstoßung: + E und 4-E, oder —E und —E stoßen sich
ab; 3) das Gesetz der Vertheilung: + E erzeugt in ihrem
Wirkungskreise — E, und — E erzeugt -f E. In Worten
heißen die beiden ersten Gesetze: Ungleichnamige Elektrici-
täten ziehen einander an, gleichnamige dagegen stoßen
einander ab. Das dritte Gesetz lautet: Jede Elektricität
erzeugt in ihrem Wirkungskreise die ihr entgegenge-
setzte. Auf das letztere Gesetz gründet sich folgende Erscheinung:
Nähert man einem elektrisirten Körper (z. B. dem Zuleiter einer
Elektrisirmaschine) einen isolirten Leiter (z. B. einen Metallcylin-
der auf Glasfüßen) so weit, daß er noch außerhalb der Schlag-
weite ist, so gehen die ihm mittelst leinener Fäden angehängten
Korkkügelchen auseinander — ein Beweis, daß er wirklich elek-
trisch geworden ist — und die Prüfung der Elektricität zeigt,
daß der isolirte Leiter überall dieselbe, und zwar die gleichnamige
Elektricität hat, doch so, daß sie von dem genäherten Ende nach dem
entfernteren an Stärke zunimmt. Wird nun der elektrische Leiter
aus dem Wirkungskreise des elektrisirten Körpers gezogen, so verliert
er alle Elektricität, denn die Korkkügelchen fallen zusammen.
Wird aber der Leiter, während er im Wirkungskreise steht, be-
rühr:, so erhält man einen Funken, und die Korkkügelchen fallen
auch zusammen, gehen jedoch gleich wieder auseinander, wenn
man den Leiter aus dem Wirkungskreise herauszieht, und die
380
Untersuchung des nun außerhalb des Wirkungskreises sich befin-
denden Leiters ergiebt, daß er die entgegengesetzte Elektricität von
der des auf ihn einwirkenden Körpers hat. Wenn in einem
Körper eben so viel -f E als — E sich befindet, so zeigt er gar
keine elektrischen Erscheinungen, weil die beiden Elektricitäten
dann einander aufheben, und man sagt nun, daß er gebundene
Elektricität habe. Jeder Körper im natürlichen Zustande hat
hiernach gebundene Elektricität oder gleich viel -s- E und — E.
Der elektrisirte Körper trennte die gebundene Elektricität des ge-
näherten Leiters, mit dessen angezogener entgegengesetzter Elektri-
cität die seinige eine wechselseitige Bindung einging, und durch
dessen freie gleichnamige Elektricität die Korkkügelchen, so lange
er im Wirkungskreise blieb, aus einander fuhren. Zieht man
den Leiter aus dem Wirkungskreise, so wird die Bindung zwischen
der Elektricität des ursprünglich elektrisirten Körpers und der
entgegengesetzten des isolirten Leiters aufgehoben, aber sogleich
wieder eine Bindung der beiden Elektricitäten des Leiters bewirkt,
weshalb die Korkkügelchen sinken müssen. Wird aber der Leiter
noch im Wirkungskreise berührt, so entzieht man ihm seine freie,
immer mit der Elektricität des elektrisirten Körpers gleichnamige
Elektricität, und die Korkkügelchen müssen deshalb, und weil seine
andere Elektricität im gebundenen Zustande sich befindet, zusam-
mensinken. Sie fahren jedoch gleich wieder auseinander, sobald
der Leiter aus dem Wirkungskreise gezogen ist, weil dadurch die
im Leiter zurückgebliebene, aber so lange er im Wirkungskreise
war, gebundene Elektricität frei wurde.
§- 7"-
Die verstärkte Elektricität.
Man überziehe ein Zucker-, Einmach- oder Bierglas inwen-
dig und auswendig mit Staniol, Tabacksblei, Gold- oder Silber-
papier — mit Gummiwasser oder Hausenblase angeklebt — doch
so, daß es einige Zoll unter seinem Rande ganz unbelegt bleibt,
lasse dann einen Metalldrath, oben mit einer Flintenkugel ver-
sehen, durch die Oeffnung des Glases bis auf den Boden des-
selben hinabgehen, oben aber 6 bis 8" herausragen, und ver-
binde den Drath durch eine Metallkette mit dem Zuleiter. Hier-
auf elektrisire man, berühre alsdann mit der einen Hand die
äußere Belegung des Glases und mit der andern Hand die Ku-
gel. Aus dieser wird ein lebhafter, knisternder Funken heraus-
fahren und zugleich wird man in den Gelenken beider Arme
einen Schlag fühlen, dessen Stärke von der Stärke der Elektri-
cität des Glases abhängt. Wollen sich mehrere Personen elek-
trisiren, so stellen sie sich in einen Kreis, fassen einander an,
der erste hält die Flasche bei der äußern Belegung, oder er er-
greift- eine der Flasche untergelegte Kette, und der letzte nähert
381
«inen Fingerknöchel oder auch einen Leiter dem Knopfe der Flasche,
worauf sie alle, so viele ihrer auch sein mögen, in demselben
Augenblicke den elektrischen Schlag fühlen. Dem Schlage einer
stark geladenen Flasche darf man sich aber nicht aussetzen, weil
er im Stande ist, Thiere zu tödten.
Dieser merkwürdige Versuch wurde zuerst 1745 von einem
deutschen Prälaten, dem Domdechanten von Kleist zu Kamin
in Pommern, gemacht, und gleichzeitig erfanden auch Eunäus
und Muschenbroek in Leiden diese elektrische Flasche. Sie
heißt auch die Leidener oder Kleist'sche Flasche, und die ihr
mitgetheilte Elektricität die verstärkte Elektricität. Anfangs
füllte man bei diesem Versuche eine gläserne Flasche etwa zur
Hälfte mit Wasser und brachte einen Metalldraht hinein, der
bis ins Wasser reichte. Während man elektrisirte, hielt man
entweder die Flasche in der Hand, oder setzte sie ins Wasser.
Endlich fand man, daß auch ein bloßer Ueberzug der äußern und
innern Fläche der Flasche mit einem gutleitenden Körper hinrei-
chend sei, und daß man nicht nur Flaschen, sondern auch Glas-
tafeln zu diesem Versuche einrichten könne.
Die Ladung der Flasche besteht darin, daß man der einen
Belegung -j- E, der andern — E mittheilt. Gewöhnlich elektri-
sirt man aber bloß die innere Belegung durch den Zuleiter einer
Maschine und verbindet die äußere durch Leiter mit der Erde,
oder nimmt die Flasche in die leitende Hand. Dann wird die
äußere Seite von selbst die negative Elektricität annehmen, wenn
die innere die positive hat, wie dies aus der Lehre vom elektri-
schen Wirkungskreise erhellet. Kommt nun beim Elektrisiren einer
oder mehrerer Personen -I- E der innern Belegung mit — E der
äußern in leitende Verbindung, so geschieht dies unter dem Her-
ausfahren eines Funkens aus der Kugel, und dann ist die Flasche
entladen. — Verbindet man die äußere Belegung mehrerer Flaschen
und auch die innere, so hat man eine elektrische Batterie,
deren Wirkungen natürlich bedeutend stärker sind, als die einer
einzelnen Flasche. Durch den Schlag einer starken Batterie
werden Dräthe von 2 bis 3" Dicke glühend gemacht, Dräthe
von yso" Dicke in Klümpchen geschmolzen und. zum Theil in
Dämpfe aufgelöst, durch Gewichte gespannte Dräthe verlängert,
durch ein Buch Papier oder ein Spiel Karten Löcher geschlagen
— wobei jedes Blatt wie von innen durchbohrt wird, so daß
die Löcher nach außen weiter sind — Thiere getödtet, kleine,
dazu eingerichtete Häuschen von Pappe angezündet, als wenn
der Blitz eingeschlagen hätte rc.
382
§. 75.
Der Elektrophor oder Elektricitäts-Träger.
Viel einfacher, aber fast eben so merkwürdig und nützlich,
als die Elektrisirmafchine, ist der Elektrophor oder Elektrici-
tätsträger. Seine drei Haupttheile sind: I) die Form oder
Schüssel, 2) der Kuchen, welche zwei Theile ein Ganzes, die
Basis, bilden, und 3) der Deckel oder die Trommel. Die
Form ist eine eckige oder runde Schüssel aus einem Leiter, etwa
Eisen- oder Zinkblech, oder Holz mit Zinkfolie sauch Tabacksblei)
oder Pappe, mit Gold- oder Silberpapier überzogen. Der Kuchen
ist ein Nichtleiter, welcher die Schüssel ausfüllt, meist geschmol-
zenes Harz oder Siegellack oder eine Mischung aus mehreren
nicht leitenden Stoffen, wie Pech, Wachs, Terpentin, Kolopho-
nium. Der Deckel endlich ist eine leitende Platte aus Eisen-
blech, Zink, eine mit Sraniol oder Goldpapier überzogene Papp-
oder Holzscheibe von etwas kleinerem Durchmesser als der Kuchen
und mit einem gläsernen Handgriffe oder seidenen Schnüren zum
Heben versehen.
Soll in dem Elektrophor Elektricität erregt werden, so nimmt
man den Deckel ab und swenn Basis und Deckel vorher erwärmt
worden sind, geht die Sache leichter) peitscht mit einem Fuchs-
schwänze oder Katzenfelle den Kuchen, worauf sich drei Haupter-
scheinungen beobachten lassen: 1) der Deckel, auf den Kuchen
gesetzt und wieder aufgehoben, zeigt keine Elektricität; 2) der
Deckel, auf den Kuchen gesetzt, mit dem Finger berührt, giebt
einen ^gewöhnlich sehr schwachen, oft gar keinen) Funken, und
darauf weggehoben, bei abermaliger Berührung einen zweiten
soft starken) Funken; 3) der Deckel endlich, wieder auf den Ku-
chen gesetzt und sowohl er als auch die Schüssel gleichzeitig, am
bequemsten mit den beiden äußersten Fingern der Hand berührt,
verursacht einen erschütternden saber oft sehr geringen) Schlag
und giebt bei hierauf erfolgtem Aufheben dem genäherten Finger
einen stärkeren Funken. Bei dem isolirten Elektrophor giebt
auch die Schüssel Funken.
Alle diese Erscheinungen beruhen auf der Vertheilung der
Elektricität. Die elektrisirte Oberfläche des Kuchens hat — E,
dadurch die untere + E, durch diese die obere Fläche der Schüssel
— E, und die untere Z- E, so wie durch die erregte — E deS
Kuchens die untere Fläche des darauf gelegten Deckels + E, die
obere — E erhält. Die oberen Flächen der Schüssel, des Ku-
chens und des Deckels haben also — E, die untern + E. Es
muß nun aber der Elektrophor im isolirten Zustande von dem
im nicht isolirten unterschieden werden. Das Gemeinschaftliche
bei beiden ist, indem die drei Theile über einander liegen, daß
sich die + E des Deckels mit der — E des Kuchens, und eben
383
so die 4- E des Kuchens mit der —E des Deckels binden; das
Unterscheidende dagegen, daß bei dem isolirten Elektrophor sowohl
die — E des Deckels, als auch die 4- E der Schüssel frei sind,
bei dem nicht isolirten aber nur die — E des Deckels frei wah-
rend die 4- E der Schüssel durch die —E des Erdbodens ge-
bunden ist.
Hiernach können nun die drei Haupterschrinungen so erklärt
werden: Hebt man den Deckel auf, ohne ihn berührt zu haben,
so wird seine 4- E aus der Bindung mit der —E des Kuchens
gezogen, bindet sich aber sofort mit seiner eigenen freien —E;
er tritt also in den natürlichen Zustand und kann mithin keine
Elektricität zeigen. Berührt man den Deckel, während er auf
dem Kuchen liegt, so nimmt man ihm seine freie —E, die sich
mit der 4- E des Fingers vereinigt, und er behält auf seiner
untern Fläche nur noch 4- E, aber so lange er auf dem Kuchen
liegt, von dessen —E gebunden; so wie man jedoch den Deckel
aufhebt, wird seine 4- E aus dieser Bindung gezogen, sie wird
frei, verbreitet sich auf dem ganzen Deckel und kann diesem durch
einen Leiter entzogen werden. Daß endlich, wenn Deckel und
Schüssel gleichzeitig berührt werden, eine förmliche Erschütterung
erfolgt, und nach der Aufhebung des Deckels ein stärkerer Funken
als im zweiten Falle erfolgt, erklärt sich daraus, daß freie ent-
gegengesetzte Elektricitäten sich aufs lebhafteste vereinigen und
einem Körper seine Elektricität durch die entgegengesetzte freie
Elektricität weit vollkommener entzogen wird, als durch einen
bloßen Leiter. Die freie —E des Deckels wird beim-isolirten
Elektrophor vollkommen durch die freie 4- E der Schüssel und
beim nicht isolirten durch die freie 4- E des Erdbodens, von
dessen — E ja ein Theil durch die 4- E der Schüssel gebunden
ist, aufgehoben, und von der darauf frei gewordenen 4- E des
Deckels wird Nichts von etwa am Deckel noch zurückgebliebener
— E aufgehoben. Da beim isolirten Elektrophor die 4- E der
Schüssel frei ist, so muß diese, durch einen Leiter berührt, Fun-
ken geben, während sie dies im nicht isolirten Zustande nicht
kann, indem ihre 4" E von der —E des Erdbodens gebunden ist.
Der Deckel ist, nachdem man ihn, während er auf dem
dem Kuchen lag, berührt hat, das, was der Zuleiter derElektri-
sirmaschine; woraus folgt, daß er bei vielen Versuchen statt des-
selben gebraucht werden kann, z. B. zum Füllen der Verstär-
kungsflasche, mit der sich dann ebenfalls eine ganze Gesellschaft
elektrisiren läßt. Ueberdies hat der Elektrophor noch den Vorzug,
daß er unter günstigen Umständen die erregte Elektricität Monate
lang behält, wenn der Deckel liegen bleibt, daher seine Benen-
nung Elektricitäts - Träger. Der Erfinder desselben ist
Volta 1775; den größten aber hat Lichtenberg verfertigt: die
Form hatte 7, der Deckel 6' im Durchmesser. Ein Glaselektro-
phor hat entgegengesetzte Elektricitätszustände, indem Glas, mit
384
Katzenfell gerieben, -j- E enthält. — Man benutzte sonst den
Elektrophor, um in den elektrischen Feuerzeugen Wasserstoffgas
mittelst eines Funkens aus demselben zu entzünden.
§. 76.
Das Gewitter.
(Äbrfr.l. Anh. VI. §.3. 1. Hdb. II. S. 32.)
Die elektrische Materie ist nicht bloß in festen und flüssigen
Körpern, sondern auch in der Luft enthalten. Hängt man daher
zur Zeit eines Gewitters eine Eisenstange an seidenen Schnüren
auf, oder errichtet eine solche in Harz, so giebt sie elektrische
Funken. Dies beweist augenscheinlich, daß die künstlich erregte
Elektricität die nämliche sei, welche sich im Gewitter zeigt. Zwar
geht, so lange die elektrische Materie gleich vertheilt ist, Alles
ruhig ab; sie fließt still mit dem Regen zur Erde und steigt mit
den Dünsten wieder empor; häuft sie sich aber in einzelnen
Wolken — wie in der elektrischen Flasche — und nähert sich
der elektrischen Wolke eine unelektrische, so strömt die Gewitterma-
terie entweder ohne Geräusch in letztere hinüber — wie aus dem
Harzkuchen in den Deckel — oder sie bricht, wenn trockene,
selbst elektrische Luft zwischen ihnen ist, mit Gewalt und starker
Entzündung los — wie aus der elektrischen Flasche Dann
kommt es nur darauf an, wohinwärts der elektrische Strahl die
meisten Leiter findet. Unzählige Blitze fahren daher bloß aus
einer Wolke in die andere, ohne auf die Erde zu kommen. Auf
hohen Bergen stehend, kann man Blitze sogar aufwärts fahren
sehen. Trifft aber der Blitz den besten Leiter abwärts an, so
stürzt er mit unbeschreiblicher Gewalt auf denselben herab. Aus
diesem Grunde ist man nirgends weniger vor dem Blitze sicher
als in Thürmen, wo die eiserne Helmstange, das viele Glocken-
metall, das Eisenwerk des Glockenstuhles und der Uhr rc. den
Blitz besonders anlocken. Man hat daher Beispiele, daß Blitze
ganze Reihen von Sensen und andere eiserne Gerätschaften zer-
schmettert und zerschmolzen haben, an Drathzügen der Klingeln
fortgelaufen sind rc. Das Feuer auf dem Heerde muß während
eines Gewitters ausgelöscht werden, weil der Rauch durch seine
Wärme die Luft verdünnt, ein guter Leiter ist und überdies dem
Gewitter in die Luft entgegensteigt. Ueberhaupt schlägt der Blitz
gern in hohe Gegenstände; man sollte sich daher nicht unter
einen Baum stellen, wenn es auch noch so sehr regnet. Am sel-
tensten schlägt ec in Nadelholz, weil dieses viel Harz enthält,
das ein Nichtleiter ist. Daraus folgt indeß nicht, .daß man in
einem wachstuchenen Mantel ganz sicher vor dem Blitze sein
würde; denn er geht auch durch Nichtleiter, um zu einem Leiter
zu gelangen. Ein besseres Mittel, den Blitz aufzufangen und
385
H
abzuleiten, hat der berühmte Amerikaner Franklin 1732 erfun-
den. Bei seinen vielfältigen elektrischen Versuchen bemerkte er,
daß Metallspitzen die Elektricität stärker und aus weiterer Ent-
fernung anziehen, als abgerundete Leiter. Das häufige Erschla-
gen des Blitzes in Thürme schien ihm daher von den hohen me-
tallenen Spitzen derselben herzurühren. Er machte auf diese
Beobachtung aufmerksam und schlug vor, durch eiserne Wetter-
stangen, welche mit der Erde durch dicke Dräthe in fortlaufender
Verbindung stehen, die elektrische Materie von den Gebäuden
abzuleiten, oder den wirklichen Blitz aufznfangen und außerhalb
des Hauses in die Erde zu führen. Ein französischer Naturfor-
scher, Namens Romas, wünschte das durch eine Probe bestätigt
zu sehen. Er fand es zu langweilig, erst abzuwarten, bis eine
Gewitterwolke in die Nähe einer solchen Stange käme und ver-
fiel darauf, einen Papierdrachen mit einer eisernen Spitze zu
versehen, die Schnur mit Metalldrath zu verflechten, das untere
Ende aber aus lauter Seide zu drehen, damit die Elektricität
nicht bis zur Hand fortliefe. Diesen Drachen ließ er der ersten
Gewitterwolke entgegensteigen, und siehe da, der Drachen wurde
so stark elektrisch, daß 10" lange Lichtftreifen aus ihm heraus-
fuhren. Während Romas in Frankreich diesen Versuch anstellte,
machte ihn auch Franklin in Nordamerika, und die Erscheinun-
gen waren die nämlichen. Allenthalben fanden sich nun Natur-
forscher, welche mit Wetterstangen Versuche machten. Professor
Nichmann in Petersburg ließ eine solche auf sein Haus setzen
und von ihr Dräthe ins Haus leiten, die er am Ende isolirte.
Bei einem heftigen Gewitter aber im I. 1753, als er eben die
Wirkungen der elektrischen Wolke auf diese Dräthe recht genau
beobachten wollte, kam er mit der Stirn einem derselben zu nahe:
es fuhr ein Funken heraus und tödtete den würdigen Mann.
Franklins Vermuthung, daß man mit metallenen Spitzen die
Elektricität aus der Luft an Dräthen ableiten könne, war also
erwiesen, zugleich aber auch, daß man mit dieser Ableitung vor-
sichtig zu Werke gehen müsse, wozu Franklin selbst schon Anlei-
tung gegeben hatte. — Die jetzige Einrichtung der Blitzableiter
ist folgende: Eine eiserne, etwa 1" im Durchmesser dicke Stange,
welche oben mit einer kupfernen, des Rostes wegen vergoldeten
Spitze versehen ist und mannshoch über die Schornsteine oder
die höchsten Theile des Gebäudes emporragt, wird auf der Firste
oder Thurmspitze befestigt. Von der Stange geht ein handbrei-
ter Metallstreifen an der Wand herab bis in die Erde. An dieser
Leitung fließt die elektrische Materie ruhig herab, und ein Blitz-
strahl, der das Haus etwa trifft, verläßt die ihm angewiesene
Metallbahn gleichfalls nicht.
Der Zickzack, in welchem der Blitz sich schlängelt, ist eigent-
lich nur ein starker elektrischer Funken, wie ec im Kleinen auch
mittelst der Elektrisirmaschine hervorgebracht wird; aber wegen
Pechner, Handb. 3. Theil. 25
386
der Schnelligkeit seines Fluges erscheint er als Feuerstreif, so wi-e
ein brennender Fidibus, den man schnell im Kreise herumschwingt,
uns wie ein feuriger Kreis vorkommt. Was aber diesem Feuer-
funken die unbeschreibliche Ausdehnungs- und Durchdringungs-
kraft giebt, ist noch nicht zureichend erklärt. Thierische Körper
durchbohrt der Blitz nicht, sondern versengt und verletzt sie nur
an ihrer Oberfläche; der von ihm bewirkte Tod ist also nur eine
elektrische Nervenerschütterung. Äuch bei recht saftvollen Bäumen
fährt er gewöhnlich nur zwischen dem Holze und der Rinde fort.
Der Donner, vor dem sich viele Menschen mehr fürchten
als vor dem Blitze, ist so unschädlich als der Knall einer Kanone,
ist bloß die durch den Blitz verursachte Erschütterung der Luft,
die durch den Wiederhall so schrecklich gemacht wird. Wenn
man zwischen Blitz und Donner 20 bis 25 gewöhnliche Puls-
schläge zählen kann, so ist das Gewitter noch über eine Meile
entfernt. Je schneller der Donner auf den Blitz folgt, desto
näher kommt dasselbe, und wenn Blitz und Schlag schnell auf
einander folgen, ist es nahe genug, um Vorsicht zu gebieten.
Im Ganzen genommen ist die Gefahr nicht so groß, denn unter
50,000 Todten ist nur ein vom Blitze Getödteter. Findet der Blitz
keinen Zündstoff, oder fährt er so schnell vorüber daß keine Ent-
zündung möglich ist, dann heißt er ein kalter Schlag, im Ge-
gentheil ein heißer. An Donnerkeile glaubt heut zu Tage
kein vernünftiger Mensch. Was man gewöhnlich so nennt, sind
versteinerte Thiere der Urwelt sBelemniten). Der Ton eines und
desselben Donners klingt bald höher, bald tiefer, was sonst bei
einem Echo nicht der Fall ist. Wahrscheinlich kommt dies daher,
weil er bald in dichteren, bald in dünneren Luftschichten wieder-
hallt. In Thälern tönt er stärker als auf Anhöhen, weil hier
die bebende Luft an mehreren näheren und festeren Gegenständen
zurückprallte
Gewöhnlich ist Regen mit den Gewittern verbunden. Wahr-
scheinlich hat die Elektricität auch Antheil an der Bildung der
Dunstbläschen, wenigstens sieht man zuweilen im Nebel kleine
Blitze dahinfahren. Entladet also der Blitz die Wolke, so fallen
die Bläschen zusammen und verwandeln sich in Tropfen, was
freilich auch bloß eine Folge der heftigen Lufterschütterung sein
kann. Der Blitz mag auch den in der Luft schwimmenden
Wasserstoff mit dem Sauerstoffe vereinigen und in Wasser ver-
wandeln, da es nach einem Blitze gewöhnlich stärker regnet. —
Eine eigene Art Gewitter ohne Donner ist das sogenannte Wet-
terleuchten. Zuweilen mag es wohl bloß der Wiederschein
eines entfernten Gewitters sein; meistentheils aber ist es eine
elektrische Entzündung ohne heftigen Ausbruch. Die durch sie
erregte Lufterschütterung ist daher so unbeträchtlich, daß sie unser
Ohr gar nicht erreicht. — Die Elektricität thut übrigens dem
menschlichen Körper wohl. Wird sie durch tiefstehende Wolken
387
unserer Umgebung entzogen, so wird uns bange und wir empfin-
den oft eine Schwere in allen Gliedern. Sinkt sie in Gewitter-
regen wieder herab, so wird uns wohl.
tz. 77.
Die galvanische Elektricität oder der Galvanismus.
An einem Abende des Jahres 1789 stellte Aloysius Gal-
vani, Professor der Arzneikunde zu Bologna, in seinem Zimmer
verschiedene Versuche an. Zufällig befanden sich mehrere enthäu-
tete Frösche, die zu Brühen für seine kranke Gattin bestimmt
waren, mit einer Elektrisirmaschine auf einem und demselben
Tische. Ganz absichtslos berührte einer seiner Gehülfen mit der
Spitze eines feinen Messers die Schenkelnerven eines solchen
Thieres und sah mit Erstaunen, daß sich dessen Muskeln krampf-
haft zusammenzogen. Man bemerkte, daß die Zusammenziehun-
gen nur dann eintraten, wenn in dem Augenblicke, wo die Mes-
serspitze mit den Nerven in Berührung stand, aus dem entfern-
ten Konduktor ein Funken gezogen wurde. Galvani war eifrig
bemüht, die Ursache dieser neuen Erscheinung kennen zu lernen
und stellte daher täglich mit unbeschreiblicher Geduld Versuche
an. Als er einmal abgezogene Froschschenkel mittelst kleiner
kupferner Haken an einem eisernen Geländer aufgehängt hatte,
genoß er endlich die Freude, die genannten Leibestheile, wenn sie
mit dem Geländer in Berührung kamen, in Zuckungen gerathen
zu sehen. — Alexander Volta in Kümo suchte die neue Er-
scheinung auf die gewöhnliche Elektricität zurückzuführen, und es
gelang ihm endlich auch, die wunderbare Materie bei der Be-
rührung zweier Metalle wahrzunehmen. Bringt man nämlich
eine Zinkplatte auf eine Kupferplatte, die mit gläsernen Stielen
oder angekitteten Siegellackstangen versehen sind, und trennt sie
alsdann, so zeigt die Zinkplatte + E, die Kupferplatte — E.
Alle durch BerührungSelektricität erzeugten Erscheinungen heißen
nach ihrem Entdecker galvanische; der Inbegriff aller galva-
nischen Erscheinungen wird Galvanismus genannt. Dergleichen
sind: Ein Kupfer- und ein Zinkplättchen, oder ein Bleistreifen
und ein silberner Kaffeelöffel bewirken, wenn man an dem einen
Ende die Zunge zwischen sie hält, und sie sich an den freien
Enden berühren, im Augenblicke der Berührung am Zink oder
Blei einen säuerlichen, am Kupfer oder Silber aber einen laugenhaf-
ten Geschmack Ein Zinkstäbchen auf das linke Zahnfleisch der
obern Zahnreihe, und ein Kupferstäbchen auf das rechte auch
oben gelegt und äußerlich in Berührung gebracht, oder auch ein
Bleistreifen und ein silberner Kaffeelöffel auf diese Art benutzt,
bewirken im Augenblicke der Berührung eine Lichterscheinnng.
Ein Kupferstäbchen und ein Zinkstäbchen, in Wasser gestellt, daß
sie sich von außen berühren, bewirken eine Gasentwickelung.
25*
388
Wird auf den Boden eines Salzsaure enthaltenden Glases ein
Goldstück gelegt und dieses mit einem Zinkstäbchen berührt, so steigt
Wasserstoff in großen Luftblasen in die Höhe Wenn an den Nerven
eines entblößten Froschschenkels ein Zinkstabchen, an den Muskel
ein Silberstäbchen angelegt wird, so entstehen im Augenblicke der
Berührung der andern Stäbchenenden Zuckungen im Froschschenkel.
Die Galvanische oder Volta'sche Säule, durch welche
die Berührungselektricität bedeutend verstärkt wird, besteht aus
20 bis I0O Plattenpaaren, meist aus Zink und Kupfer, etwa
von der Größe der Thalerstücke, die immer in einer und dersel-
ben Ordnung über einander gelegt und durch in eine Flüssigkeit
(gewöhnlich Salzwasser) getauchte Tuchscheiben (also Kupfer, Zink,
Tuch, Kupfer^Zink, Tuch rc. bis Kupfer, Zink) getrennt werden.
Damit die Säule nicht umfällt, werden sie zwischen drei auf
einer hölzernen Scheibe angebrachte Glasröhren gelegt, deren
andere Enden in Oeffnungen einer zweiten Holzscheibe passen.
Die Endplatten der Säulen heißen Pole, und zwar der eine
der Zinkpol, der andere der Kupferpol, oder auch jener der
positive, dieser der negative Pol. Die Metalldräthe an den
Polplatten heißen P old räth e.
Die gewöhnlichsten Versuche mit der galvanischen Säule
sind:
1. Anziehen und Abstoßen isolirter Korkkügelchen, dünner
Metallstreisen rc.. je nachdem sie sich an den Enden beider Pol-
dräthe, die gehörig einander genähert werden müssen, oder an
einem und demselben Drathe befinden.
2. Laden einer Verstärkungsflasche, indem die innere Bele-
gung mit dem einen, die äußere mit dem andern Pole leitend
verbunden wird.
3. Berührt man den einen Pol mit der einen, den andern
mit der andern Hand, so empfindet man im Augenblicke der
Berührung eine elektrische Erschütterung, ein Ziehen, welches so
lange dauert, als die Verbindung statlfindet, und stärker ist, wenn
man die Dräthe zuerst mit trockenen, dann mit befeuchteten und
endlich mit in den befeuchten Händen befindlichen Metallstücken
bewirkt.
4. Berührt man den einen Pol mit der Zunge, den andern
mit der Hand, so hat man am positiven Pole eine säuerliche,
am negativen eine laugenhafte Geschmacksempfindung.
5. Hält man den einen Drakh in der Hand und berührt mit
dem andern einen benetzten Theil der Stirn, so hat man eine
augenblickliche Ljchterscheinung.
0. Man empfindet auch ein Geräusch, wenn man in jedes
Ohr einen Drath leitet.
7. Die Säule entwickelt Wärme, die so groß werden kann,
daß durch sie die Poldräthe zum Glühen, ja zum Schmelzen
389
gebracht werden können, und daß sie das Wasser erwärmen, durch
welches sie gezogen sind.
8. Berührt man mit einem isolirt gehaltenen Drathe den
andern, so sieht man einen Funken, der bei größeren Säulen
leicht brennbare Körper, wie Phosphor, Schwefel :c. entzündet.
Schöner sind die Funken, wenn der eine Poldratb in Quecksilber
gesteckt und mit dem andern die Oberfläche des Quecksilbers be-
rührt wird.
6. Die wichtigste Wirksamkeit der galvanischen Säule ist
die Zersetzung des Wassers, der Erden, Alkalien, Säuren und
Salze. Werden die Poldräthe in Wasser geleitet, so scheidet sich
dasselbe in seine beiden Bestandtheile Sauerstoff und Wasserstoff,
und zwar so, daß sich jenes am Drathe des Zinkpoles, dieses am
Drathe des Kupserpoles ansetzt.
10. Der positive Poldcath wirkt wie eine Säure, z. B. er
färbt die Lackmustinktur roth; der negative dagegen wirkt wie
ein Alkali, z. B. er färbt Veilchensaft grün, und stellt die von
jenem geröihete blaue Farbe wieder her.
11 - Auch die Flüssigkeit zwischen den einzelnen Plattenpaaren
erleidet eine Zersetzung; die Zinkplatten oxydiren daher und
nehmen eine weiße Rinde an, während die Kupferplatten durch
Schwefelwasserstoffgas geschwärzt werden, weshalb man sie nach
dem Gebrauch sogleich mit nassem Sande reinigen muß. Dach-
platten von Zink werden, wenn sie mit eisernen oder kupfernen
Nägeln angeschlagen sind, leicht zerstört; besser sind Nägel aus
einer Mischung von Zink, Blei und Spreßglanz.
12. Die schönste Anwendung der galvanischen Wirksamkeit
ist die Galvanoplastik oder die Kunst, mittelst des Galvanis-
mus das Metall aus einer Metallauflösung jz. B. das Kupier
aus aufgelöstem Kupfervitriol) auf eine bestimmte Form nieder-
zuschlagen und so Medaillen, Münzen rc. nachzubilden, zu ver-
golden rc.
X.I. Der Magnetismus.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 10.)
§ 78.
Die Anziehungskraft des Magnets.
(Kdrft. I. Anh. V. §.10. 1.)
Än reichhaltigen Eisenbergwerken, wie in Schweden, Nor-
wegen, Steiermark, Schlesien, Sachsen, Ungarn rc. auch in Meriko,
Sibirien, Ostindien rc. findet man ein Eisenerz, das den Namen
Magnet führt, weil es bei Magnesia in Kleinasien zuerst ge-
funden worden ist. Es hat eine schwärzlich graue Farbe und
390
besitzt die merkwürdige Eigenschaft, ohne vorhergegangene Reibung
Eisen und eisenhaltige Körper, wie Röthel, Bolus, Blutstein,
Wasserblei, Basalt, Tripel, Messing, gefeilten Zink, rohe Platina,
einige Edelsteine, ja sogar manche der klarsten Diamanten, anzu-
ziehen und mit ziemlicher Kraft festzuhalten. Schon in einiger
Entfernung äußert sich die Anziehungskraft, so daß sich das Eisen,
wenn es leicht und beweglich genug ist, nach dem Magnet hin,
oder auch umgekehrt, dieser gegen das Eisen bewegt, wenn er
beweglicher ist als dieses. Hält man z. B. den Magnet über
Eisenfeile, so fliegen sie an den Magnet und bleiben daran sitzen.
Eine Nähnadel, an einem Faden hängend, wird vom Magnet
angezogen. Eisenfeile, die aufQuecksilder oder in einem Papier-
chen auf Wasser schwimmen, bewegen sich gegen den Magnet.
Läßt man umgekehrt einen Magnet auf Quecksilber oder auf
einem Brettchen auf Wasser schwimmen, so bewegt er sich gegen
das Eisen. Jedoch wird nicht alles Eisen gleich stark vom Mag-
net angezogen; weiches und reines Eisen am stärksten, Stahl,
hartes Eisen und Eisenerze schwächer, noch schwächer die Auf-
lösungen des Eisens in Säuren. Auch wird das Eisen um so
schwächer angezogen, je mehr es verrostet ist; ganz vollkommener
Eisenkalk wird gar nicht mehr angezogen.
Die magnetische Kraft wirkt ungehindert, selbst im luftleeren
Raume, durch jeden Körper, der nur nicht eisenhaltig ist, z. V.
durch Holz, Glas u. dgl., und man kann sich daher des Mag-
nets zu einer Menge belustigender Täuschungen und Taschen-
spielerkünste bedienen, weil man ihn so leicht verbergen kann.
So scheinen sich z. B. Nähnadeln auf einem Tische von selbst
zu bewegen, wenn man einen in der Hand verborgenen Magnet
unter der Tischplatte herumführt. Mit einem Magnet, der in
einem hölzernen Stabe versteckt ist, kann man Körper, die etwas
Eisen enthalten und auf dem Wasser schwimmen, nach Gefallen
lenken, wie mit einem Zauberstabe. Durch Eisen wird die mag-
netische Kraft bald gehindert, bald wieder befördert. Wenn man
ein eisernes Lineal, wie eine Scheidewand zwischen einen Magnet
und eine Nadel hält, so wird der Magnet fast gar nicht auf
die Nadel wirken. Bringt man es aber der Länge nach, oder
mit den scharfen Kanten dazwischen, so wird die magnetische
Kraft nicht allein nicht gehindert, sondern sogar auf größere
Weiten fortgepflanzt, und man kann sie auf diese Weise mittelst
an einander gelegter Eisenstäbe bis an 10' weit verlängern. Auch
trägt ein Magnet mehr, wenn man ihn bloß mit Eisen beschwert
als wenn man ihn andere Körper, die man vermitteltst Eisen
daran bringt, tragen läßt.
Je weiter ein Eisenstab von einem Magnet entfernt ist,
desto schwächer wird er angezogen, und die Erfahrung hat gelehrt,
daß ein und derselbe Magnet ein Stück Eisen, das zweimal so
weit von ihm entfernt ist, als ein anderes gleich großes, mit
391
einer viermal schwächeren Kraft anzieht. Die Anziehungs-
kräfte des Magnets und des Eisens verhalten sich
umgekehrt wie die Quadrate ihrer Entfernungen.
Man findet einige, die nicht über 20 bis 30 Gran (Vzss bis
Vi92 Pfd) wiegen und doch ein 40 bis 50 mal stärkeres Gewicht
tragen. Große Magnete von 10 Pfd. ziehen selten mehr als ihr
zehnfaches Gewicht. Im Schlosse zu Florenz ist ein Magnet-
stein von 5000 Pfd-, und im Museum zu Hartem einer von
307 Pfd. Gewicht. Merkwürdig ist es, daß oft ein kleines Stück,
aus einem großen Magnet herausgeschnitten, mehr als der große
Stein zieht. Vermuthlich rührt dies daher, daß in dem großen
Steine viele fremde Theile sind, welche die Kraft des Magnets
schwächen. — Die magnetische Kraft kann auch beträchtlich ge-
stärkt werden, wenn man ihm allmälig mehr zu tragen giebt; doch
hat diese Verstärkung natürlich ihre Grenzen. Läßt man den Mag-
net müßig liegen, so nimmt seine Kraft ab, oder er verliert sie
ganz. Dasselbe geschieht, wenn man ihn erhitzt, fallen läßt rc.
Durch Glühen, Verkalken, Pulvern wird sie ganz zerstört, des-
gleichen durch den Rost, starke elektrische Schläge rc.
tz. 79.
Die Polarität des Mlagnets.
<Kdrfr. I. Anh. V. §. 10. 2.)
Außer der Anziehungskraft gegen das Eisen besitzt der Mag-
net noch eine andere merkwürdige Eigenschaft, daß er sich näm-
lich, wenn er sich frei genug bewegen kann, mit dem einen Ende
allemal gegen Norden, mit dem andern gegen Süden wendet und
immer wieder in diese Richtung zurückkehrt, wenn er auch eine
andere erhalten hat- Man nennt diese beiden Enden die Pole
des Magnets, und zwar das nach Norden gerichtete den Nord-
pol, das andere den Südpol. Es giebt auch Magnete mit
drei und mehreren Polen, welche zusammengesetzte Magnete
heißen und aus mehreren einzelnen, verwachsenen Magneten zu
bestehen scheinen. Die gerade Linie von einem Pole des Mag-
nets zum andern heißt die Achse, und der Durchschnitt mitten
zwischen beiden Polen, welcher durch die Achse senkrecht geht, der
Aequator desselben.
Um die Pole des Magnets zu finden, hängt man ihn in
seinem Schwerpunkte an einem Faden auf, oder läßt ihn auf
Quecksilber schwimmen, oder vermittelst eines Brettchens auf
Wasser. Immer wird er sich dann mit dem einen Ende nach
Norden, mit dem andern nach Süden drehen. An den Polen
ist auch die Anziehungskraft am stärksten, was man dadurch
wahrnimmt, daß sich hier die Eisenfeile am stärksten anhängen,
und eine Nähnadel sich senkrecht an den Magnet hängt, während
392
sie sich zwischen den Polen wagrecht anlegt. Streut man Eisen-
feile auf Papier oder auf eine Glastafel, klopft etwa mit einem
Schlüssel daran, damit sich die Eisenkheilchen losmachen können,
und hält dann einen Magnet darunter; so ordnen sich die Eisen-
theilchen in Bozen, die von den Polen ausgehen, und richten sich
auch über den Polen senkrecht auf. Die Eigenschaft des Mag-
nets, die Richtung von Norden nach Süden anzunehmen, nennt
man die magnetische Polarität Die Anziehungskraft des
Magnets kannten schon die Alten; die Polarität kennt man
erst seit dem >2. oder 14. Jahrhundert. Magnetismus bezeich-
net entweder den Inbegriff aller magnetischen Erscheinungen,
oder den Zustand der Körper, in welchem sie jene Erscheinungen
zeigen, oder endlich die Kraft des Magnets, welche die Erschei-
nungen bewirkt; man nimmt aber auch eine befondere Materie
als Urfache derselben an.
Durch zwei Magnete, von denen einer eine freie Bewegung
hat, während man den andern in der Hand hält, entdeckt man
leicht das Verhalten zweier Magnete überhaupt zu einander.
Zwei Nordpole oder zwei Südpole stoßen sich ab; der Südpol
des einen und der Norpol des andern ziehen einander an. Hier-
aus ergiebt sich das Gesetz: Gleichnamige Pole stoßen ein-
ander ab; ungleichnamige ziehen einander an.
§. 80.
Die künstlichen «Magnete.
lKdrft. I. Anh. V. §. 10. 3.)
Eisen, besonders Stahl, ist fähig, magnetisch zu werden, d. h.
anderes Eisen anzuziehen und Polarität zu zeigen. Man nennt
magnetisch gemachtes Eisen einen künstlichen Magnet im Gegen-
satze zu dem natürlichen. Ein solcher übertrifft oft an Wirkung
den natürlichen. Läßt man ein Stück Eisen oder Stahl eine
Zeit lang an einem Magnet hängen, oder bestreicht es mit dem-
selben, so erhält es jene Eigenschaft. Man nennt dies die
Mittheilung, richtiger Erregung des Magnetismus, indem
der Magnet dabei nichts von seiner Kraft verliert, sondern die
im Eisen gleichsam ruhende nur erregt. Auch zeigt das Eisen
gerade den entgegengesetzten Magnetismus; das mit dem Nord-
pol gestrichene Ende des Eisens ist der Südpol, so wie das mit
dem Südpol gestrichene der Nordpol des künstlichen Magnets.
Da die Anziehungskraft eines Magnets an den Polen am
stärksten ist, so kann man seine Kraft bedeutend erhöhen, wenn man
beide Pole zugleich wirken läßt; daher giebt man den künstlichen
Magneten gewöhnlich die Form eines Hufeisens. Aber auch an
den natürlichen Magneten weiß man beide Pole zugleich zu be-
schäftigen. Man schleift nämlich beide Pole ganz eben und legt
393
dann an jeden Pol eine dünne Eisenplatte, welche sich unten in
einen stärkeren Fuß mit glatter Sohle endigt. Aufwärts ver-
bindet man die Eisenplatten durch einen Messingstreifen mit einem
Oehr, an welchem der Magnet aufgehängt werden kann. Hier-
auf überzieht man ihn ganz mit Leder oder Messingblech, so daß
nichts, als oben das messingene Oehr und unten auf jedem Ende
der Fuß unbedeckt bleibt. Ein so zugerichteter Magnetstein wird
armirt oder bewaffnet genannt, Damit nun beide Füße zu-
gleich die an sie zu hängende Last fassen können, legt man an
sie einen Eisenstab, welcher in der Mitte einen abwärts gerichte-
ten Haken hat und der Anker heißt. An den Haken hängt man
die Gewichte, welche nicht gerade von Eisen zu sein brauchen; besser
ist es aber immer, wenn die ganze Last aus Eisen besteht, weil
dann der Magnet auf das ganze Gewicht wirkt. Armirt trägt
ein Magnet ein 10 bis -10 mal, die kleinen sogar oft ein 2 bis
300 mal so großes Gewicht als ein unarmirter. Der armirte
Magnetstein in Harlem von 370 Pfd. Schwere trägt 230 Pfd.
Einen so armirten Magnetstein gebraucht man auch gewöhn-
lich, um künstliche Magnete zu bereiten. Man legt den zu mag-
netisirevden Elsenstab auf den Tisch, setzt den nördlichen Fuß des
des armirten Magnets gerade in der Mitte fest auf und streicht
dann bis ans Ende. Hierauf fährt man auf einem Umwege
rückwärts, setzt auf dem nämlichen Punkte wieder mit einem
Drucke auf und wiederholt das 15 bis 20 mal. Alsdann dreht
man den Stab um und streicht eben so oft und auf die näm-
liche Weise mit dem südlichen Fuße des Magnets gegen das
andere Ende des Stabes. Auf diese Art wird das eine Ende des-
selben, nach welchem man mit dem Nordpole strich, zum Süd-
pol, und das Ende, nach welchem man mit dem Südpole strich *
zum Nordpol. Dieses Verfahren nennt man den einfachen
Strich. Beim Doppelstrich setzt man die beiden Füße des
Magnets zugleich auf die Mitte des Stabes, oder vielmehr so,
daß die Mitte gerade zwischen beide Füße zu liegen kommt, und
reibt dann hin^und her. Am Ende hebt man den Magnet an
der nämlichen Stelle, wo man ihn aufgesetzt hat, wieder ab.
Die Seite, auf welcher der Fuß des Nordpoles hin und her
Mt, hat nun den Südpol, so wie umgekehrt, die mit dem
Südpole bestrichene den Nordpol. Verbindet man mehrere künst-
liche Magnete von gleicher Stärke mit den gleichnamigen Polen
in so unmitelbarer Berührung, daß sie nur als ein einziger star-
ker Magnet zu betrachten sind, so hat man eine magnetische
Batterie, die sowohl eine Stab-, als eine Hufeisenbatterie
sein kann. Bei einfachen und zusammengesetzten Hufeisenmagne-
ten wendet man den oben erwähnten Anker an. — Uebrigens
bewahrt man Magnete so auf, daß man zwischen sie Eisenstreifen
legt, oder ohne diese, daß sie parallel, aber mit entgegengesetzten
394
Polen an einander zu liegen kommen; auch legt man sie in
Eisenfeile, damit sich ihre Kraft nicht mindere.
8- 81.
Die Mlagnetnadel.
(Kdrfr. I. Anh. V. §. 10. 4.)
Der Magnet kann in Nadelfabriken gebraucht werden, um
den feinen Stahlstaub, welcher beim Spitzen der Nahnadeln ent-
steht, von den Augen der Arbeiter abzuhalten. Der größte
Nutzen aber, den er uns gewährt, ist, der, daß man durch ihn
die Richtung nach dem Nordpole der Erde finden kann. Man
macht nämlich eine große Nadel von Stahl und in die Mitte
ein Grübchen von Messing, oder Achat, auf welchem sie, wenn
sie auf einen Stift gelegt wird, im Gleichgewichte schwebt.
Diese Nadel bestreicht man stark mit Magnet und legt sie dann
auf den Stift Nach einigen Schwingungen, die aber wegen der
Reibung und des Widerstandes der Luft immer kleiner werden,
bleibt die Nadel stehen, zeigt mit dem einen Ende nach Norden,
mit dem andern nach Süden und heißt nun eine Magnetnadel.
Sie hat die Gestalt eines Pfeiles oder zweier langgestreckter gleich-
schenkeliger Dreiecke, welche mit den kürzeren, dritten Seiten an
einander liegen; bei jener ist die Spitze, bei dieser das gewöhn-
lich blau angelaufene Ende der Nordpol. Eine Magnetnadel in
einer hölzernen oder messingenen Kapsel, auf deren Boden sich
eine Windrose befindet, und die durch ein Glas verschlossen ist,
heißt ein Kompaß. Durch die bestimmte Lage, welche die
Magnetnadel annimmt, ist sie ein unentbehrliches Werkzeug für
den Schiffer auf dem Meere, den Bergmann, Meßkünstler und
Naturforscher geworden.
Jedoch nur an wenigen Stellen der Erde zeigt der
Nordpol der Magnetnadel genau nach dem wahren Norden, an
den meisten nach Punkten, die östlich oder westlich davon liegen.
Man nennt dies die Abweichung oder Deklination der
Magnetnadel. Nur in zwei Linien fällt ihre Richtung mit dem
Meridian zusammen: die eine durchschneidet Nordamerika und
den atlantischen Ocean in nordwestlicher Richiung, die andere
Asiens Ostküste und Neuholland. Diese Linien verändern aber
allmälig ihre Lage und wandern in Jahrhunderten um die ganze
Erde. Bei uns weicht sie etwa 18° westlich ab; vor 1665 war
ihre Abweichung östlich. Das Pfeilbild in den Kompassen giebt
den magnetischen Meridian an. Außer dieser großen Aenderung
in der Abweichung eines Ortes giebt es auch noch eine stündliche,
tägliche und eine an die Jahreszeit geknüpfte.
Wird eine im Schwerpunkte unterstützte unmagnetische Na-
del abgenommen, magnetisirt und wieder auf den Stift gelegt,
395
so schwebt sie an den meisten Orten nicht mehr horizontal, son-
dern neigt bei uns (ungefähr 70°) in der Nordhälfce der Erde
den Nordpol, in der Südhälfte den Südpol herunter. Diese
Abweichung der Magnetnadel von der horizontalen Lage heißt
die magnetische Neigung oder Inklination. Man hat be-
sondere Deklinations- und Jnklinationsnadeln, auch Karten auf
denen diese Abweichungen verzeichnet sind. Es giebt um die Erde
eine Linie ohne Neigung, auf welcher die Jnklinakionsnadel über-
all horizontal liegt. Sie ist ungefähr ein Kreis, welcher den
Erdäquator in einem Winkel von > 2° schneidet, und der magne-
tische Aequator genannt wird. Mit der Entfernung von dem-
selben nimmt die Inklination zu. Die Punkte der Erde, über
welchen die Jnklinakionsnadel völlig senkrecht stehen würde, heißen
die magnetischen Pole der Erde; ihre Lage trifft nicht mit den
Drehpunkten der Erde zusammen, ist jedoch noch nicht völlig
bestimmt. Auch die Inklination eines und desselben Ortes ändert
sich, doch langsamer und weniger bedeutend als die Deklination.
Die Abirrung oder Ablenkung der Magnetnadel muß
nicht verwechselt werden mit der oben erklärten Abweichung oder
Deklination derselben. Unter Abirrung versteht man die Ent-
fernung derselben vom magnetischen Meridian durch örtliche An-
ziehung von Eisen und eisenhaltigen Körpern, z. B. durch vor-
gehaltenes Eisen, durch Eisenerze in Berzwerken, durch eisenhal-
tige Felsenmassen im Meere, durch eisenhaltige Gebirge rc.
Auf die Erscheinungen der Jnklinakionsnadel und darauf,
daß Eisenstäbe schon durch eine besiimmte Lage Magnetismus
annehmen, gründet sich die Meinung, daß die Erde selbst ein
Magnet sei und als solcher wirke, und daß es also einen
Erdmagnetismus gebe. Da wir übrigens den nach Norden
zeigenden Pol eines Magnets den Nordpol, den andern den Süd-
pol nennen, so müssen wir der Nordhälfte der Erde Südmagne-
tismus, und der Südhälfte Nordmagnetismus zuschr. iben, indem
ja nur ungleichnamige Pole einander anziehen. Daß man in
der neueren Zeit einen Zusammenhang zwischen der Elektricität
und dem Magnetismus, den sogenannten Elektromagnetis-
mus, entdeckt hat, kann hier nur erwähnt werden, eben so daß
man mit den Eisenbahnen elektromagnetische Telegraphen ver-
bindet.
XU. Der Chemismus.
§. 82.
Die Auflösung zusammengesetzter Stosse.
Aus dem Kupfervitriol kann, wie wir bei der Unterredung
über chemische Anziehung oder Wahlverwandtschaft stz. II.) ge-
sehen haben, das Kupfer, aus der Kreide die Kohlensäure, aus
396
einer Auflösung des Schellacks oder Kampfers in Weingeist der
Schellack oder Kampfer wieder ausscheiden. Das Salzwasser
oder die Sole wird so lange gekocht, bis das Wasser verdampft
ist, und das Salz zurückbleibt. Aus den Kartoffeln, dem Roggen rc.
wird durch die Destillation der Spiritus gewonnen. Aus dem
Zinnober seiner rothen Farbe, die man in der Apotheke erhält)
kann man den Schwefel und das Quecksilber abscheiden, aus
dem Schwefelkies den Schwefel forttreiben. Das Wasser kann
mittelst der galvanischen Säule in Wasser- und Sauerstoff zer-
legt werden (§. 77.) rc. So lassen sich, wie wir sehen, die
meisten Körper in zwei oder mehrere Körper abscheiden, aus denen
sie zusammengesetzt sind. Aus manchen Körpern aber, wie z. B.
aus den reinen Metallen und Erden, dem Schwefel rc. läßt sich
auf keine Weise mehr ein neuer Körper abscheiden. Solche Kör-
per nennt man einfache Körper. — Umgekehrt lassen sich
die einfachen Körper wieder zu zusammengesetzten Körpern
mit einander verbinden, wie wir tz. II. und 49. bis 52. gesehen
haben, so daß ganz neue Körper mit anderer Materie entstehen
(Seife, Zinnober, Messing rc. §. 11.). Derjenige Theil der
Naturlehre, welcher die zusammengesetzten Körper in
einfache auflösen, namentlich aber ihre Verhalten
gegen einander bei gegenseitiger Berührung und die
daraus entstehenden neuenKörper kennen lehrt, heißt
die Chemie oder Scheidekunst. Alle Erscheinungen der Kör-
per, die eine Veränderung ihrer Materie zur Folge haben, heißen
chemische Erscheinungen (f. Einleitung), und Chemismus
ist der Inbegriff derselben.
Die beiden Hauptgeschäfte der Chemiker sind dem oben Ge-
sagten zufolge die Scheidung und die Mischung. Die Schei-
dung wird bewirkt:
1. durch die Wahlverwandtschaft oder die chemische
Anziehung (§. >1.)
2. durch Wärme, und zwar
a. durch die Verdampfung oder Abdampfung, wie beim
Salzsieden; blasse Dinte setzt man in dem geöffneten Din-
tenfasse auf den warmen Ofen, um das Wasser daraus
verdunsten zu lassen;
b. durch die Destillation, wie bei der Branntweinbrennerei
und Spiritusfabrikation;
6. durch die Sublimation, wie bei der Gewinnung des
Schwefels aus Schwefelkies.
Bei dem ersten Vorgänge werden mittelst Feuer die flüchti-
gen Theile eines Körpers aus offenen Gefäßen als Dämpfe fort-
getrieben; bei den beiden letzteren aber werden in abgeschlossenen
Gefäßen die flüchtigen Theile der Körper in Dämpfe verwandelt,
welche durch Röhren in kühlere Gefäße geben und sich dort bei
der Destillation als flüssiger (Destillat), bei der Sublimation als
397
fester Körper (Sublimat, Blume) niederlassen. Bei der Abdam-
pfung wird das Zurückgebliebene, bei der Destillation und Subli-
mation aber das Fortgetriebene benutzt. Rectification bezeich-
net die Destillation eines Destillats, z. B. des Spiritus, bis er
möglichst wasserfrei oder zu Alkohol wird.
3. Durch die galvanische Säule, mittelst deren man in
neuerer Zeit die merkwürdigsten chemijchen Zersetzungen bewirkt
hat, z. B. des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff, der
Metalloxyde, Erden rc.
tz- 83.
Die einfachen Körper.
Einfache Körper, Grund- oder Urstoffe, (chemische)
Elemente sind solche Körper, welche man bei Zerlegung der zu-
sammengesetzten Körper immer als ihre Bestandtheile erhält, und
die bis jetzt noch nicht zerlegt worden sind. Damit ist aber nicht
gesagt, daß sie absolut einfach sind. Bestehen sie aus noch ein-
facheren Grundmaterien, so sind uns diese wahrscheinlich noch un-
bekannt, und die Kräfte, welche sie zusammenhalten, zu groß, als
daß wir sie durch irgend ein Mittel, welches uns zu Gebote steht,
überwinden könnten; daher erscheinen sie uns als einfache Körper.
Sonst nannte man (und im gemeinen Leben noch jetzt) Feuer,
Wasser, Luft und Erde die 4 Elemente, um damit anzudeuten,
daß alle Dinge entweder fest wie Erde, oder flüssig wie Wasser,
oder luftförmig, oder brennbar sind. Jetzt kennt man bereits
55 einfache Körper, aus deren Verbindung alle die mannichfalti-
gen Dinge umher bestehen, sie mögen nun heißen und aussehen,
wie sie wollen, und zwar enthält ein Körper nur 2, 3, oder
höchst selten 5 verschiedene Elemente. Es scheint unglaublich,
baß so viele Millionen der verschiedensten Gegenstände nur aus
55 Grundstoffen bestehen; allein Alles kommt darauf an, wie
und welche einfachen Körper mit einander vereinigt sind. Kann
man doch mit >0Zeichen mehr als Billionen verschiedene Zahlen
schreiben, nur dadurch, daß man den Ziffern verschiedene Stellen
anweist. So giebt es in der Musik nur wenige verschiedene
Töne, in der Malerei nur 7 verschiedene Farben, und welche
Menge von verschiedenen Melodien und Bildern!
Von den 55 Elementen zeichnet sich ein Theil durch
Glanz, Schwere, Schmelzbarkeit rc. aus, und wir nennen diese
Metalle; andere dagegen besitzen diese Merkmale nicht, und
wir nennen sie deshalb nichtmetallische Grundstoffe oder
Metalloide. Die Metalloide unterscheiden sich im Allgemei-
nen von den Metallen durch das Vermögen, die Elektricität und
die Wärme zu leiten und haben ein geringes specifisches Gewicht,
welches nicht dreimal so groß als dasjenige des Wassers ist. Es
sind ihrer 13, nämlich Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlen-
stoff, Schwefel, Phosphor, Kiesel, Chlor, Jod, Fluor, Selen, Bor,
398
Brom. Von diesen zeichnen sich die 3 ersten dadurch aus, daß
sie nicht anders als in Gasgestalt dargestellt werden können und
nur in Verbindung mit andern Stoffen in flüssiger oder fester
Gestalt auftreten. Die zuletzt genannten kommen selten vor.
Metalle sind mit Sauerstoff vereinbare (brennbare) undurch-
sichtige, schmelz-, dehn- und streckbare Stoffe, welche die Warme
und die Elektricität leiten, durch das Poliren einen eigenthüm-
lichen Glanz annehmen und meist mehrmal schwerer sind als
das Wasser. Es giebt ihrer 42 und sie zerfallen in folgende
Gruppen:
1. Metalle, deren Oxyde Alkalien (Laugensalze) und Erden
bilden: Kalium, Natrium, Lithium, Baryum. Strontium, Cal-
cium, Magnesium, Aluminium, Beryllium, Pttrium, Zinconium
und Thorium.
2. Metalle, die vorzugsweise Säuren bilden: Gold, An-
timon oder Spießglanz, Molybdän oder Wasserblei, Arsenik, Chrom,
Wolfram, Tantal, Tellur, Titan, Vanadium, Osmium.
3. Metalle, welche besonders Salze bilden: Platin, Silber,
Zinn, Zink, Eisen, Kupfer, Blei, Quecksilber, Wismuth, Nickel,
Kobalt, Mangan, Cerium, Uran, Rhodium, Iridium, Palladium.
In der Natur kommen die Metalle vor:
1. gediegen, d. h. rein metallisch, entweder für sich, oder
mit andern Metallen verbunden, z. B. Gold, Silber, Kupfer,
Quecksilber, Eisen, Platina, Arsenik, Arsenikspießglanz, Spieß-
glanzstlber rc.;
2. als Erze, d. h. in Verbindung mit Sauerstoff, Schwe-
fel, Arsenik;
3. als Säuren, wie Arseniksäure;
4. als Salze, z. B. Eisenvitriol, Kupfervitriol, Zinkvi-
triol rc.
Hieraus gebt hervor, daß sich die Metalle verbinden können
mit Sauerstoff, mit andern brennbaren, unmetallischen Körpern,
mit einander und mit oxydirten Körpern, letzteres aber nur dann,
wenn sie vorher Sauerstoff angenommen haben.
Von den Verbindungen der Metalle mit andern brennbaren,
unmetalllschen Körpern sind vorzüglich merkwürdig die Verbin-
dungen mit Schwefel und Kohlenstoff oder die Schwefelmetalle
und die Kohlenstoffmetalle. Die Schwefelmetalle theilt
man ein in Kiese und Blenden, je nachdem sie Metallglanz
haben (wie Kupferkies, Eisenkies, Kobaltkies, Spießgtanzkies,
Nickelkies rc.) oder nicht (wie Ouecksilberblende, Silberblende,
Spießglanzblende. Arsenikblende, Zinkblende). Von den Kohlen-
stoffmeta'llen sind besonders die Verbindungen des Eisens mit
Kohlenstoff merkwürdig; WeichesEisen ist reines Eisen ohne Koh-
lenstoff. Stahl ist Eisen mit Kohlenstoff, und Gußeisen ist Eisen
mit mehr Kohlenstoff als im Stahl. Weiches Eisen, z. B. ein
399
Drath, im Feuer glühend gemacht und im Wasser schnell abge-
kühlt, federt nicht, Stahl aber federt.
Die Verbindungen der Metalle mit einander heißen Legi-
rungen, die Ouecksilberverbindungen insbesondere Amalgame.
Unsere Gold- und Silbermünzen sind Legirungen; Gold wird
mit Kupfer (rothe Legirung), oder mit Silber (weiße Legirung).
oder mit Kupfer und Silber zugleich (gemischte Legirung) legirt.
Messing ist eine Metall-Legirung aus Kupfer und Zink.
Die wichtigsten der 55 Elemente sind §. 4i). bis 52. und in
der Mineralogie beschrieben; die übrigen werden so selten ange-
troffen, daß selbst mancher Naturforscher einige derselben noch
nicht einmal gesehen hat.
§. 84.
Die Säuren.
Von den unzähligen zusammengesetzten Körpern sind vorzüg-
lich die Säuren, Basen, (d. i. Alkalien, Erden und Merall-
oxyde) und Salze wichtig, von denen in diesem und den beiden
folgenden Paragraphen gehandelt werden soll.
Wenn sich der Sauerstoff mit den Nichtmetallen verbindet
(§. 49.), so entstehen daraus die Säuren, etwa 30 an der Zahl
und mit folgenden Eigenschaften begabt.
I. Die meisten haben einen sauren Geschmack; nur die
Blausäure schmeckt nach bitteren Mandeln, die Hydrothionsäure
(Schwefel-Wasserstoffgas) nach faulen Eiern. Einige sind mild,
andere ätzend, einige stechend und flüchtig, andere geruchlos.
2 Die meisten sind im Wasser löslich, nur nicht die Zinn-
säure, Goldsäure und andere Metallsäuren.
3. Sie rothen blaue, grüne und purpurfarbene Pflanzen-
säfte und stellen die durch Alkalien veränderten wieder her.
Hält man z. B. ein mit Rhabarber gelb gefärbtes Papier in
eine Pottaschenlauge, so wird es braun, in Essig getaucht, aber
wieder gelb. Lackmuspapier, in eine Säure, wie Essig, verdünnte
Schwefelsäure rc. gehalten, wird röthlich. Indigo aber behält
auch in concentrirtec Schwefelsäure seine blaue Farbe. Die im
Wasser unauflöslichen Säuren wirken nicht auf die Farben.
4. Sie bilden mit den Basen eigene Salze, wie die
Schwefelsäure mit Kupfer den Kupfervitriol.
5- Sie sind alle negativ elektrisch, d. h. sie scheiden sich
am positiven Pole der galvanischen Säule aus ihren Verbin-
dungen mit Basen ab (§. 77.).
Nur einige Säuren enthalten keinen Sauerstoff, z. B. die
Salzsäure (Ehlor und Wasserstoff), die Blausäure (Stickstoff,
Wasserstoff und Kohlenstoff), die Hydrothionsäure (Schwefel und
Wasserstoff».
Die Säuren kommen in dreiAggregatzuständen vor; sie
sind nämlich entweder
400
1. luftförmig, wie die Kohlensäure (fixe Lust — tz. 52.),
Salzsäure, Flußspathsäure rc.;
2. flüssig, wie die Schwefelsäure, Essigsäure, Salpetersäure,
Blausäure rc.;
2. fest, wie die Weinsteinsäure, Apfelsäure, Gallussäure,
Sauerkleesäure, Borarsäure, Phosphorsäure, Arseniksäure, Wol-
sramsäure, Molybdänsäure, Chromsäure, Schleimsäure, Benzoe-
säure, Bernsteinsäure, Kamphersäure.
Nach den drei Naturreichen unterscheidet man:
1. mineralische Säuren und zwar
a. unmetallische: Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure,
Phosphorsäure;
b. metallische: Arseniksäure, Zinnsäure rc.
2. vegetabilische (Pflanzen-) Säuren: Essigsäure, Zitro-
nensäure rc.
3. animalische (Thier-) Säuren: Fettsäure, Milchsäure,
Wurstsäure rc.
Die Mineralsäuren sind gewöhnlich aus einer besonderen
Basis und aus Sauerstoff gebildet, die Pflanzensäuren aus
Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, und die Thiersäuren
aus denselben Stoffen in Verbindung mit Salpeterstoff.
Der Nutzen der Säuren ist sehr mannichfaltig. Bei ver-
schiedenen Künsten und Gewerben (Färberei, Gerberei rc.) sind sie
unentbehrlich. Man gebraucht sie beim Kochen und in der Me-
dizin; sie spielen eine wichtige Rolle in der großen Werkstätte
der Natur; sie bringen die zahlreiche Klasse von Körpern hervor,
welche Salze heißen, und haben einen großen Antheil an der
Berg- und Felsenbildung unsers Erdkörpers.
tz. 85.
Die Jasen oder die Alkalien, Lcrdrn und Mletalloryde.
Verbindungen des Sauerstoffes mit den Metallen nennt
man Basen oder Salzbasen, weil sie die Basis (den Grund-
oder Hauptbestandtheil) der Salze ausmachen. Es gehören hier-
her die Alkalien, Erden und Metalloxyde.
I. Die Alkalien (Alkali ist ein arabisches Wort und bedeu-
tet Hefen von Bitterkeit) oder Laugensalze haben folgende
Eigenschaften:
1. Sie schmecken urinartig, brennend oder ätzend.
2. Sie sind im Wasser leicht auflöslich und ziehen
stark aus der Luft Wasser an sich. Das Natron zerfällt bald in
ein weißes Pulver.
3. Sie sind unverbrennlich, können aber (Ammoniak
ausgenommen) geschmolzen und durch große Hitze verdampft
oder verflüchtigt werden.
401
4. Sie färben blaue Pflanzenfarben (Indigo, Lackmustinktuc
und Lackmuspapier werden noch stärker blau) grüne, gelbe aber
braun B. Kurkume, Rhabarber) und stellen das durch eine
Säure veränderte Lackmus wieder her. Wenn man z B. aus
dem Roth- oder Blaukohl den Saft in 2 Gläser preßt, dann in
das eine Schwefelsäure und in das andere in Wasser aufgelöste
Pottasche tröpfelt, so lange bis jener roth, dieser grün wird, und
dann die beiden Flüssigkeiten vermischt, so erhalten beide Theile
ihre ursprüngliche blaue Farbe wieder, vorausgesetzt, daß man
nicht zu viel Säure, oder zu viel Pottasche eingetröpfelt hat.
5. Sie bilden mit Sauren Salze, und
6. mit Oelen grüne, mit Fetten (Talg) weiße, im Wasser
auflösliche Seife.
7. Sie wirken als starke Aetzmittel, wenn sie auf Fleisch'
gebracht werden.
8. Sie sind positiv elektrisch, d. h. sie scheiden sich am
negativen Pole der galvanischen Säule aus ihren Verbindungen
mit den Säuren ab.
Die vier Alkalien heißen: Kali (Gewächsalkali, Pflanzen-
alkali, Pottasche, eine Verbindung des Sauerstoffes mit Kalium,
wird aus der Asche gebrannter Seepflanzen bereitet), Natron
(§. 134. in der Naturgeschichte). Lithion (aus Lithium, das in
einem schwedischen Erze gefunden wird und wenig bekannt ist)
und Ammoniak (flüchtiges Laugensalz). Die drei ersten sind
Verbindungen des Sauerstoffes mit den ähnlich benannten Me-
tallen und dabei fest; das letztere, eine Verbindung des Stick-
stoffes mit dem Wasserstoffe, ist gasförmig. Mit Salzsäure ver-
bunden, heißt. das Ammoniak Salmiak (tz >34.). Die festen
Alkalien werden in der Chirurgie und Medizin gebraucht,
genießen eine ausgedehnte Anwendung in den Künsten und
Gewerben und sind für die chemische Auflösung von großer
Wichtigkeit. Man benutzt sie z. B. zur Glas- und Seifenfa-
brikation, in der Färberei, zur Alaunfabrikation, zum Bleichen
der Leinwand, zum Reinigen der Wolle, als Hefen beim Bak-
ken rc. Im Handel kommen sie nur unrein vor, nämlich mit
Kohlensäure und Wasser vermischt, und enthalten öfters Erde,
Schwefel und andere Unreinigkeiten, von denen sie hauptsächlich
durch ungelöschten Kalk gereinigt werden.
II. Erden (nämlich die zusammengesetzten; Silicium oder
Kieselerde gehört nicht hierher), die in alkalische und eigentliche
eingetheilt werden.
a. AlkalischeErden sind: Baryt (Schwererde), Strontian,
Kalk und Magnesia (Talkerde — §. 131. in der Naturgeschichte).
Sie heißen alkalische Erden, weil sie folgende Eigenschaften mit-
den Alkalien gemein haben:
1. Sie- schmecken alkalisch, Magnesia ausgenommen.
2. Sie sind im Wasser löslich, wenn auch sehr schwer.
Pech»er, Handb. 3. Theil. 26
402
. 3. Sie wirken alkalisch auf die Pflanzenfarben.
4. Sie bilden mit Säuren Salze.
5. Endlich sind sie auch positiv elektrisch.
Aber dadurch unterscheiden sie sich von jenen, daß sie
1. mit Oelen und Fetten im Wasser unauflösliche Seife
geben,
2. nicht schmelzbar sind, wenn nicht etwa mehrere zugleich
der Hitze ausgesetzt werben.
b. Die eigentlichen Erden Thonerde, Beryllerde, Ptter-
erde, Zirkonerde und Thorerde sind zwar, wie die Alkalien und
alkalischen Erden, positiv elektrisch und bilden mit Sauren Salze;
sie sind aber geschmacklos, im Wasser nicht löslich, wirken nicht
auf Pflanzenfarben, sind gar nicht schmelzbar und bilden keine
Seife. Alle neun Erden sind Verbindungen des Sauerstoffes
mit den ähnlich benannten Metallen.
UL Oxyde heißen im Allgemeinen alle Sauerstoffverbin-
dungen. Hiernach wären alfo die meisten Säuren und Alkalien,
so wie alle Erden, Oxyde. Man versteht jedoch unter Oxyden
im engern Sinne diejenigen brennbaren Körper, welche mit we-
niger Sauerstoff verbunden sind als dazu gehört, sie in Säuren
zu verwandeln, die also keine Säureeigenschaften haben, auch
nicht Alkalien oder Erden sind. Von diesen Oxyden gehören
nur Metalloxyde, und zwar nur gewisse Metalloxyde zu den
Basen. Uebrigens haben die Metalloxyde keinen Metallglanz,
sondern ein erdiges Aussehen (Metallkalkej, sind also zerreiblich
und pulverartig, besitzen ein größeres absolutes Gewicht, als die
ursprünglichen Metalle hatten, und bilden mit den verschiedenen
Säuren metallische Salze Entweder entstehen sie auftrockenem
Wege durch den Sauerstoff der Luft, oder auf nassem durch
Zersetzung einer Sauerstoffsäure, wodurch oft MetaUauflöfungen
hervorgebracht werden, indem sich das entstandene Metallvxyd
mit der unzersetzt gebliebenen Säure verbindet. So werden z.B.
in Salpetersäure aufgelöst: Silber, Eisen, Wismuth, Blei,
Quecksilber; in Schwefelsäure: Eisen, Zink, Kupfer, Silber;
in Salzsäure: Eisen, Zinn; in Königswasser: Gold, Platina,
Eisen, Zinn. Wird in eine solche Auflösung eine Basis gebracht,
die zur Säure eine größere Verwandtschaft hat als das Metall-
oxyd, so wird dieses ausgeschieden, so wie das Metall, wenn in
die Auflösung ein anderes Metall von größerer Verwandtschaft
zum Sauerstoffe gelegt wird. Ein und dasselbe Metall kann
sich mit verschiedenen Mengen von Sauerstoff verbinden oder
mehrere Oxydationsstufen haben, welche mit den Namen Sub-
oxyde, Oxydule, Oxyde, Superoxyde bezeichnet werden,
indem Suboxyd die niedrigste, Superoxyd die höchste Oxydations-
stufe angiebt. Eisen hat nur zwei, Zink drei, Blei vier Oxyda-
tionsstufen. Die Zinkblumen oder das weiße Nichts sind ein
Zinksuperoxyd, und rothe Mennige ist ein rothes Bleisuperoxyd.
403
Einige Metalle werden weder bei niedriger, noch bei hoher Tem-
peratur merklich oxydirt, und ihre Oxyde werden durch Warme
leicht desoxydirt (von Sauerstoff befreit); bei den übrigen Me-
tallen findet das Gegentheil statt. Jene nennt man edle, diese
unedle Metalle.
tz. 80.
Die Salze.
Salze sind Verbindungen der Säuren mir den Alkalien,
Erden und Metalloxyden; daher giebt es alkalische (Kalisalze,
Natronsalze, Ammoniaksalze), Erdsalze (Kalksalze, Barylsalze,
Strontiansalze rc.) und Metallsalze (Kupfersalze, Zinksalze rc.).
Die Benennung der Salze richtet sich nach den in ihnen enthal-
tenen Körpern; man gebraucht die Basis als Hauptwort, die
Säure als Beifügung, z. B. schwefelsaures Natron (Glaubersalz),
salzsaures Ammoniak (Salmiak) rc. Alle Stoffe, welche aus
Alkalien, Erden oder Metalloxyden mit Schwefelsäure zusammen-
gesetzt sind, heißen Sulfate schwefelsauer), mit der Salzsäure
Muriate (salzsauer), mit der Salpetersäure Nitrate (salpeter-
sauer), mit der Kohlensäure Carbonate rc. Wenn sich eine
Säure mit einer Basis verbindet, so nennt man die Verbindung
ein basisches Salz. Verbindet sich eine Säure mit zwei Ba-
sen, oder eine Basis mit zwei Säuren, so heißt diese Verbindung
ein Doppelsalz, z B. der Alaun ist schwefelsaure Kali-Thon-
erde. Wenn eine Säure mit so viel Alkali, Erde oder Metall-
oxyd verbunden ist, daß das Salz weder die blauen Pflanzen-
säfte roth, noch den Veilchensaft grün färbt, also weder wie eine
Säure noch wie ein Alkali wirkt; so nennt man es ein voll-
kommenes, gesättigtes oder neutrales Salz: findet
aber das Gegentheil statt, so heißt es ein unvollkommenes
Salz, und wenn es auf die Pflanzensäfte wie eine Säure wirkt,
so sagt man die Säure herrscht vor; wirkt es aber wie ein Al-
kali, so sagt man das Alkali herrscht vor oder hat die Vorhand.
Die meisten Salze sind im Wasser lösbar, und nur einige
wenige lassen sich gar nicht lösen; die Lösbarkeit ist aber bei den
verschiedenen Salzen sehr verschieden, einige erfordern viel, andere
wenig Wasser, ja einige sind dem Wasser so nahe verwandt, daß
sie es aus der Atmosphäre in sich nehmen, sich darin lösen oder
zerfließen. Alle Salze lassen sich in trockener Gestalt darstellen,
und wenn sie im Wasser gelöst sind, so darf man dasselbe nur
verdunsten lassen, um das gelöste Salz in trockener Gestalt zu
erhalten; denn die meisten Salze sind feuerbeständiger als das
Wasser. Indessen verflüchtigt sich während dieses Verdunstens
auch etwas Salz, und einige Salze sind so flüchtig, haß sie sich
mit dem Wasser zugleich verflüchtigen; diese erfordern dann na-
türlich eine andere Behandlung, um in trockener Gestalt darge-
stellt zu werden.
26*
404
Die meisten Salze scheiden sich bei der Verminderung ihres
Lösungsmittels in regelmäßiger Form, als Kristalle, ab und
lassen sich krystallisiren oder schießen an, und die Kristalli-
sation kann entweder durch das Abdampfen oder Abkühlen
verrichtet werden. Die Kristallisation der Salze ist von überaus
großem Nutzen; sie setzt uns nicht nur in den Stand, die Salze
von Unreinigkeiten und fremden Theilen zu befreien, sondern
stellt auch die Salze in ihren ursprünglichen Gestalten her, die
mit zu ihren Unterscheidungszeichen gehören. Durch die Kristalli-
sation scheiden wir ferner mehrere Salze von einander ab, die
nach ihrer verschiedenen Lösbarkeit im Wasser auch in verschiede-
nen Zeiten aus demselben anschießen; oder wir verbinden auch
wohl dadurch verschiedene Salze mit einander zu neuen Körpern.
Die Salzkristalle verlieren in der Hitze, und manche schon in
trockener oder warmer Lust ihre Durchsichtigkeit und ihren Zu-
sammenhang und zerfallen in ein weißes Pulver, das weniger
am Gewicht beträgt als zuvor die Kristalle. Diese zerfallenen
Salze lassen sich aber wieder im Wasser lösen und erhalten durch
eine neue Kristallisation ihre vorige Gestalt, Durchsichtigkeit und
Schwere wieder. Daraus schließen wir denn, daß ein Theil
Wasser mit in die Mischung eingehe und sich darin im Zustande
der Festigkeit befinde. Man nennt diesen Antheil Wasser, der
zur Bildung, zum Zusammenhange nnd zur^ Durchsichtigkeit der
Kristalle nöthig ist, das Kristallisationswasser, oder weil es
sich im Zustande der Festigkeit befindet, das Kristallisations-
eis. In den verschiedenen Salzkristallen ist dieses Kristallisa-
tionswasser bald in größerer, bald in geringerer Menge vorhanden
und läßt sich bald leichter bald schwerer abscheiden.
Im Feuer zeigen die mannichfaltigen Salze ein sehr ver-
schiedenes Verhalten: viele sind feuerbeständig und erleiden außer
dem Verluste des Kristallisationswassers keine wesentliche Ver-
änderung; andere gehen dabei in einen glasähnlichen Zustand
über. Manche Salze verflüchtigen sich, einige in einer geringen
Hitze, andere aber erst in der Glühhitze, wieder andere werden
im Feuer zersetzt. Die meisten Salze sind ungefärbt und weiß
(wie Kochsalz, Natron, Borax rc.), mehrere Metallsalze aber sind
gefärbt (Kupfervitriol blau, Eisenvitriol grün, Ehromkali roth rc.).
Einige sind ganz durchsichtig, andere durchscheinend, und manche
undurchsichtig. Der Geschmack der Salze ist sehr verschieden:
einige sind ganz unschmackhaft, andere schmecken scharf ssalzig), -
wieder andere ätzend, oder auch zusammenziehend; und mehrere
sind bitter.
405
§• 87.
Einige Verbindungen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff
und Stickstoff.
Aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff be-
steht eine große Anzahl der verschiedensten Stoffe aus dem
Thier- und Pflanzenreiche. Manche von ihnen sind so wichtig
für den Menschen, daß sie verdienen, näher gekannt zu werden.
Eine Haupteigenschaft dieser Verbindungen ist, daß man sie voll-
ständig verbrennen kann, und sich das Verhältniß ihrer Bestand-
theile theils durch die Natur selbst, theils auf künstliche Weise
ändert, wodurch neue Verbindungen aus denselben entstehen.
Stärke kann man z. B. in Zucker, diesen in Weingeist und den
Weingeist in Essigsäure verwandeln. Im allgemeinen nennt
man sie organische Verbindungen und theilt sie in stick-
stoff-freie, die bloß aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauer-
stoff bestehen, und in stickstoffhaltige, die außer den drei ge-
mannten Körpern auch noch Stickstoff enthalten.
Die wichtigsten stickstoff-freien organischen Körper
sind:
1. Die Holzfaser, aus der die Masse des Holzes, so wie
die biegsame Faser von Hanf, Flachs und Baumwolle besteht.
2. Das Stärkemehl, welches sich in den Wurzelknollen
vieler Pflanzen, als Kartoffeln, Orchis, in allen Getreidearten,
im Mais, in allen Hülsenfrüchten, im Sago, Reiß:c. findet und
dieselben so nahrhaft macht. Die Stärke läßt sich künstlich in
Zucker (Stärkezucker) verwandeln. Die gekeimte Gerste, Malz
genannt, enthält Srärkezucker statt Stärkemehl
3. Der Zucker kommt in allen süßen Früchten und Wur-
zeln, in Trauben, Mohrrüben, Runkelrüben, im Safte vieler
Bäume, der Birke, des Ahorns, besonders jedoch im Zuckerrohre
vor. Der gereinigte Zucker heißt raffinirter Zucker oder Raf-
finade. Der Zucker aus Stärke, Obst und Honig läßt sich
nicht raffmiren und kristallisiren. Mit Hefe vermischt, verwandelt
sich der Zucker in Weingeist und Kohlensäure (§. 52.). Dieser
Vorgang heißt die Gährung (s. den folgenden Paragraphen).
4. Der Weingeist (Spiritus) entsteht auf die so eben an-
geführte Weise und wird durch Destillation (§. 82.) gewonnen.
Man kann daher aus allen stärke- und zuckerhaltigen Stoffen
Weingeist bereiten. Je süßer also die Trauben, desto stärker ist
der Wein. Der Weingeist ist flüchtiger und leichter als Wasser;
er ist brennbar und wird daher häufig als Brennmittel benutzt;
als gewöhnliches Getränk aber ist er schädlich, im Uebermaße
genossen bewirkt er Schwindel, Verstandeslosigkeit und den Tod.
5. Die Essigsäure stellt mit Wasser verdünnt, den Essig
dar und entsteht nur, wenn Weingeist längere Zeit mit Luft in
406
Berührung ist und oxydirt. Läßt man z. B. Branntwein, mit
Wasser vermischt, langsam durch ein mit Hobelspänen gefülltes
Faß laufen, so kommt Essig heraus sSchnellessigbereitung). Man
kann daher Essig nur aus weingeisthaltigen Stoffen machen, oder
aus solchen, die Stärke enthalten, da aus diesen der Weingeist
entsteht Saure Trauben liefern schlechten Essig.
6. Der Gerbestoff ist in vielen Rinden, besonders in der
Eichenrinde und in den Galläpfeln enthalten. Er verbindet sich
innig mit der Thierhaut, benimmt ihr die Fähigkeit zu verfaulen
und bildet mit ihr das nützliche Leder. Mit Eisensalzen bildet
der Gerbestoff schwarzblau und schwarz gefärbte Verbindungen,
die als Dinte und in der Färberei sehr häufig Anwendung
finden.
7. Die flüchtigen Oele werden aus vielen Blumen und
Pflanzentheilen durch Destillation gewonnen. Sie sind die Ur-
sache des Geruches derselben, wie das Rosenöl, Lavendelöl, Küm-
melöl, Anisöl, Terpentinöl k.
8. Die fetten Oele aus Pflanzensamen sind entweder
austrocknend, wie Mohnöl und Leinöl, und werden zu Firniß
und Oelfarbe gebraucht, oder sie sind schmierig, wie Rüböl,
Baumöl, Mandelöl rc. Man benutzt die Oele zu Speisen, zum
Brennen, zur Seifebercitung rc.
9. Das Fett der Thiere dient zur Speise, zum Einschmie-
ren rc. Das flüssige Fett der im Meere lebenden Säugethiere
wird Thran genannt und wie Oel, auch als Arznei benutzt.
10. Die Harze, wie Pech, Theer, Terpentin, Kolopho-
nium rc.
Die stickstoffhaltigen organischen Körper kennt man gleich
daran, daß sie angezündet einen sehr unangenehmen Geruch nach
Ammoniak verbreiten (§. 50. und Naturgeschichte §. 154.), wie
dies z B. bei Federn, Haaren, Horn rc. der Fall ist. Die wich-
tigsten sind:
1. Die Fleischfaser, welche das Fleisch der Thiere bildet,
enthält sehr viel Stickstoff, daher der Mensch, wenn er körperlich
gedeihen soll, auch Fleischspeisen genießen muß.
2. Das Eiweiß ist in den Eiern und im Blute enthalten
und gerinnt in der H.tze. Das Pflanzeneiweiß ist ein ähnlicher
Stoff.
3. Gallerte und Leim sind vorzüglich in den Knorpeln
und Knochen enthalten, aus denen der Tischlerleim gesotten wird.
4. Der Kleber bildet mit der Stärke die Getreidekörner
und die Samen der Hülsenfrüchte. Wenn in den Stärkefabriken
aus dem Weizenmehl die Stärke mit Wasser ausgewaschen wird,
so bleibt er als Rückstand und ist eine klebrige, zähe Masse.
Für sich allein ist der Kleber unverdaulich und daher ungenieß-
bar; allein mit Stärkemehl vermischt, wie jm Weizen-, Roggen-
oder Bohnenmehl, giebt ec das kräftigste Nahrungsmittel, das
407
Brot. Der Kleber macht das Brot schwammig und locker, daher
man aus demjenigen Getreide, das viel Kleber enthält, wie der
Weizen, das wohlschmeckendste, gesündeste und nahrhafteste Brot
bereitet. Nach diesem kommt der Spelt oder Dinkel, dann der
Roggen oder das Korn, die Gerste und endlich der Hafer. Die
Kartoffeln enthalten fast gar keinen Kleber und sind daher
nicht sehr nahrhaft. Weit nährender sind die Hülsenfrüchte, und
ein Zusatz von Bohnenmehl macht das Kartoffelbroc lockerer,
wohlschmeckender und nahrhafter.
§. 88.
Die Gährung.
In dem todten organischen Körper geht beim Zutritt der
atmosphärischen Luft, hinlänglicher Wärme und Feuchtigkeit eine
Veränderung der Grundmischung vor sich, welcher chemische Vor-
gang die Gährung heißt. Man unterscheidet in derselben drei
Stufen: die geistige (Wein-), saure (Essig-) und faule Gäh-
rung (Fäulniß oder Verwesung).
Wenn bei gehöriger Wärme gewisse Pflanzenkörper (Getrei-
dekörner, Obst, Kartoffeln, Zuckerrohr rc.) mit Wasser übergössen
werden, so gerathen sie in die geistige Gährung. indem sich die
Flüssigkeit trübt, eine Luftentwickelung (kohlensaures Gas) statt-
findet, und darauf ein Schaum auf der Oberfläche sich sammelt.
So wie die Luftentwickelung aufhört, und der Schaum sich ver-
liert, wird die Flüssigkeit klar. erhält einen weinartigen Geschmack
und Geruch und außerdem eine berauschende Kraft. Dann heißt
die Flüssigkeit Wein im chemischen Sinne (Wein, Obstwein,
Bier, Branntwein).
Der Wein wird bei freiem Zutritte der Luft und größerer
Wärme zur Säure, d. h. er verliert die vorhin angeführten Ei-
genschaften, überzieht sich mit einer weißen Haut (Lchimmel)
und erhält einen sauren Geschmack. Nun heißt er Essig (Wein-
essig, Obstessi'g, Malzessig k.), der sich vom Weine durch einen
größeren Gehalt an Sauerstoff unterscheidet.
In dem so veränderten Körper beginnt wiederum bei freiem
Zutritte der Luft eine neue Gährung; es entwickeln sich aus
ihm verschiedene Luftarten (Stickgas, Ammoniakgas, kohlensaures
Gas, Kohlen-, Schwefel- und Phosphorwasserstoffgas), er be-
kommt einen ekelhaften Geschmack und Geruch, und zuletzt bleibt
nur eine Art Erde (Damm- oder Gartenerde) zurück. Mit die-
ser dritten Stufe von Gährung, der Fäulniß oder Verwesung
fangen an und enden zugleich die Thierkörper, indem sie die bei-
den ersten überspringen.
Gährende Körper, oder solche, die leicht gähren, werden als
Gärungsmittel (Fermente» gebraucht, z. B. Hefen und Sauer-
teig. Der Gährung unfähige Körper, z. B. Weingeist, Wachs,
408
Kampher, Säuren, wie Schwefesäure und Essigsaure, Salze wie
Salpeter, Kochsalz rc. verhindern die Gä'hrung anderer Körper,
wenn sie dieselben umgeben. Außerdem müssen auch, da zur
Gährung durchaus Zutritt der Luft, Wärme und Feuchtigkeit
nöthig sind, das Abhalten von Lust, die Kälte und Trockenheit
gute Mittel gegen die Gährung sein. Daher werden Wein und
Bier in Flaschen gefüllt und diese zuqepropft, Fleisch eingesalzen
und geräuchert, todte Thierkörper in Spiritus aufbewahrt, Weine
abgeschwefelt; daher die Eigenschaft des trockenen und kalten
Bleikellers in Bremen, Leichname lange vor der Verwesung zu
schützen.
XIII. Die Lufterscheinungen oder Meteore.
§• 89.
Der Fu ft kreis oder die Atmosphäre.
(Hdb. II. S. 164, 46. und 68.)
Zu unserer Erde gehört auch der Luftkreis, Dunstkreis
oder die Atmosphäre, d. i. das um den Erdball herum verbrei-
tete flüssige und elastische Wesen, dessen Hauptbestandtheil^die
atmosphärische Luft ist, das aber außerdem noch eine unzählbare
Menge fremder Stoffe, als Dünste, Gasarten, Licht- und Wär-
mestoff, elektrische und magnetische Materie rc. enthält, und in
welchem die sogenannten Lufterscheinnngen oder Meteore von
der Natur bereitet werden. Bei der Beschreibung des Luftkreifes
und der Lufterscheinungen können wir uns hier kurz fassen, da
bereits bei verschiedenen Gelegenheiten von diesen Gegenständen
die Rede gewesen ist.
Die Schichten der Atmosphäre nehmen an Dichtigkeit und
Elasticität ab, je höher sie über der Erde liegen. Wäre der Luft-
kreis durchaus gleich dicht, so ließe sich sich seine Höhe aus der
Höhe einer Quecksilbersäule berechnen, der er das Gleichgewicht
hält; so aber muß er weit höher sein, wohl 8 bis 10 geogra-
phische Meilen.
Die Atmosphäre ist sehr durchsichtig (Hdb. II. S. 44.); den-
noch werden eine Menge Lichtstrahlen von ihr zurückgeworfen,
vorzüglich die blauen, woraus man sich die blaue Farbe des
Himmels erklären kann.
Der Barometerstand (§. 39.) an einem Orte zeigt die je-
desmalige Stärke der Elasticität des Luftkreises an und ist daher,
wie diese, veränderlich. Gewöhnlich ist mit der Aenderung des
Barometerstandes auch eine Aenderung der Witterung verknüpft;
sicher läßt sich indessen niemals eine solche Wetterveränderung
daraus vorhersagen sHdb. II. S. 71.). Welche Ursachen alle da-
409
zu beitragen mögen, um den Druck des Luftkreises und den
Stand des Barometers zu verändern, ist uns noch nicht hinläng-
lich bekannt. Vermuthlich sind sie sehr mannichfaltig, und Dünste,
Abwechselung der Temperatur, Winde und die Anziehung des
Mondes gegen die obern Luftregionen, wo er eine ähnliche Er-
scheinung, wie die Ebbe und Fluch auf dem Meere, veranlassen
muß, sind wahrscheinlich die hauptsächlichsten.
tz- 90.
Die luftigen Fufterscheinungen.
lKdrft.I. Anh. VI. Hdb. II. (5.47. 145 und 104.)
Bei der täglichen Umdrehung und bei der jährlichen Bewegung
der Erde um die Sonne ist immer bald dieser, bald jener Theil der At-
mosphäre der Sonne zugewendet, so daß also die Sonne hier mehr
als in andern Theilen mit ihren Strahlen wirken kann. Da-
durch wird nun dieser Theil der Atmosphäre verdünnt, ausge-
dehnt und seine Elasticität geändert, wogegen die von der Sonne
ganz abgewendeten oder schief ihr zugekehrten Theile dichter blei-
ben. Hieraus entstehen verschiedene Bewegungen in der Atmo-
späre, indem die wärmeren, leichteren und elastischeren Luftschich-
ten sich erheben und über die andern hin ergießen, dahingegen
diese die verlassene Stelle der ersteren wieder anfüllen, um eben-
falls erwärmt zu werden. Diese Bewegung der Lufttheilchen
bringt den Wind hervor.
Im heißen Erdstriche, über dem die Sonne fast beständig
senkrecht steht, sind die Winde sehr regelmäßig sPassatwinde)
und richten sich genau nach dem Laufe der Sonne. Denn da
die Luft in den östlichen Theilen der Atmosphäre immer eher
erwärmt wird, als in den westlichen, so muß die Bewegung der
Lustströme immer ihre Richtung von Osten nach Westen nehmen.
An den Küsten der Länder dieses Erdstriches strömt der Wind
Nachts nach der See zu, bei Tage weht er von der See her
nach dem Lande. Die Luft wird nämlich Nachts über dem
Lande schneller abgekühlt und verdichtet, am Tage hingegen schnel-
ler erwärmt und verdünnt als über dem Meere.
In den gemäßigten und kalten Erdstrichen sind die Winde
ganz unregelmäßig und unbeständig, was von den vielen und
mannichfaltigen Ursachen herrührt, die hier noch außer der Sonne
auf den Luftkreis wirken, als Ausdünstung, Regen, Schmilzen
des Schnees, Wasserfluthen, Gewitter, Wärme und Kälte, Wol-
ken, deren Schatten die unter ihr befindliche Läft erkältet, hef-
tige Auswürfe der Vulkane rc. Auch haben der Mond und die
' Sonne durch ihre anziehende Kraft gegen die Luft einen beträcht-
lichen Einfluß auf die Winde, desgleichen die Lage und Beschaf-
fenheit der Gebirge und Wälder eines Landes.
410
Die Winde sind trocken, feucht, warm oder kalt, je nachdem
die Gegenden, aus welchen sie blasen, eine von diesen Beschaffenheiten
haben. Die Südwinde sind bei uns gewöhnlich warm, die West-
winde feucht, die Nord- und Ostwinde kalt und trocken. Warum? —
In den höheren Gegenden der Atmosphäre hat der Wind
oft eine ganz andere Richtung, als in der unteren, was man
deutlich an den Wolken bemerken kann, indem die niederen den
unteren, die höheren den oberen Luftströmungen folgen.
Die Geschwindigkeit und Gewalt der Winde ist sehr ver-
schieden. Die beständigen Winde des heißen Erdstriches wehen
ganz sanft und gelinde und durchlaufen in jeder Sekunde nur
10 bis 10'. In den gemäßigten Zonen, wo die Winde unbe-
ständig sind, gehen sie gewöhnlich geschwinder. Nach Maßgabe
ihrer Geschwindigkeit erhalten sie auch verschiedene Namen. Der
Wind macht in jeder Sekunde 25 bis 35', ein mäßiger Sturm
40 bis 50', ein starker Sturm 00 bis 70', und ein Orkan
100 und mehrere Fuß in einer Sekunde, so daß ec Bäume ent-
wurzelt und Häuser niederreißt.
Die Wirbelwinde, Luftsäulen, die sich gewaltsam um
sich selbst drehen und zugleich fortrücken, entstehen, wenn starke
Winde einander entgegen blasen, an der Stelle, wo sie zusam-
mentreffen. Ihre Wirkung ist oft furchtbar, sie reißen Bäume
und Häuser nieder, führen Vieh, Menschen, auch andere Gegen-
stände, auf die sie treffen, mit sich fort, indem sie dieselben oft
hoch in die Höhe heben.
§. 91.
Die wässerigen Lufterscheinungen.
(Kdrfr. I. Aich. VI. H. 2. Hdb.II. S.-18.)
Das Wasser der Meere, See'n, Flüsse und der feuchten
festen Oberfläche der Erde verdunstet beständig, und zwar desto
stärker, je höher die Temperatur und je größer der Luftzug ist.
Dieses verdunstete und zuerst als Wassergas in der Atmosphäre
enthaltene Wasser ist an sich durchsichtig, wird bei abnehmender
Wärme zu Dunst, welcher, aus Wasserbläschen bestehend, die
Atmosphäre weniger durchsichtig macht, durch ferneres Erdkalten
die Gasform verliert, flüssig oder fest wird, nun in mancherlei
Formen, als Thau. Reif, Nebel, Wolken, Regen, Schnee,
Schloßen, Hagel erscheint und so zur Erde zurückkehrt, wenn'
auch nicht immer an die Orte, wo es verdunstete.
Eine besondere Art des Thaues ist der Honig- oder Mehl-
thau, eine klebrige Feuchtigkeit, die auf den Pflanzen erscheint
und einen schädlichen Einfluß auf ihr Wachsthum und Gedeihen
hat. Diese Feuchtigkeit ist theils ein schleimiger Saßt der Pflan-
zen, den sie ausschwitzen, und der von einer gewissen Krankheit
oder Verderbniß derselben herrührt; theils ist sie der Unrarh ge-
411
wisser Insekten, der Blattläuse. Die Landleute sagen bei dieser
Erscheinung: „Es ist Gift gefallen." Das Manna <S. Natur-
geschichte tz. 117.) ist ein süßer Saft, der aus den Blättern der
Mannaesche dringt, wenn sie von Insekten gestochen werden, und
der sich nachher zu Körnern verhärtet.
Oft schwimmen viele fremdartige Stoffe im Luftkreise, in-
dem auch selbst kleine Körper, wie Sand, Blumenstaub, Samen
von Pflanzen rc., die specifisch schwerer aiö die Luft sind, vom
Winde in die Höhe geführt werden können. Solche fremde
Körper fallen mit dem Regen wieder herab auf die Erde, und
dieser erhält dann verschiedene Namen, als: Schwefelregen,
wenn er den gelben Vlüthenstaub der Tannen rc. enthält; Blut-
regen, wenn eine gewisse Art röthlicher Insekten in den Re-
gentropfen schwimmen, oder diese sonst aus andern Ursachen
roth gefärbt sind; Getreideregen, wenn Taxussamen und
Wespenlarven mit den Tropfen vermischt sind, oder der Regen
die Wurzelknollen des Scharbockskrautes herausgespült hat;
Feuerregen, wenn die Tropfen im Dunkeln leuchten, was
von angehäufter Elektricität herzurühren scheint.
Die Wasserhosen oder Tromben sind Gewitterwolken,
die sich in Gestalt eines umgekehrten Kegels wirbelnd auf das
Meer herabsenken, das Wasser in hohen Säulen heraufziehen,
sich mit Schrecken erregendem Zischen und Brausen fortbewegen
und Alles, was sie antreffen, vernichten. Diese Erscheinung
zeigt sich auch zuweilen auf dem festen Lande, wo sie den Namen
Land Hose oder Wetterwirbel führt und dem Wirbelwinde ähn-
lich ist. Daß hierbei die Elektricität mit im Spiele sein muß, ist
unleugbar; indessen sind unstreitig noch andere, uns unbekannte
Ursachen dabei wirksam, so daß die vollständige Erklärung dieses
Meteors uns bis jetzt noch unmöglich ist (Kdrsr. II. Nro. 104.).
§. 92.
Die leuchtenden oder die feurigen und die glänzenden Aufter-
scheinungen.
(Kdrft. I. Anh. VI. §. 3. Hdb. 1!. S. 32.)
1. Das Gewitter (§. 76. und Hdb. II. S. 52.).
2. Das St. Elmsfeuer oder die Wetterlichter zeigen
sich bei Gewitterluft an den Spitzen der Thurmkreuze, der Mast-
bäume, der Blitzableiter, an den Lanzenspitzen der Soldaten, an
den Ohren der Pferde rc. und sind wahrscheinlich ein langsames Aus-
strömen der Erdelektriciiät nach der entgegengesetzten Luftelektricität.
3. Die Sternschnuppen zeigen sich in einer Höhe von
l bis 50 Meilen und bewegen sich mit der Geschwindigkeit von
4 bis 8 Meilen meist herabwärts, aber auch horizontal und sogar
auswärts. Ihre Natur ist uns noch unbekannt.
412
4. Die Feuerkugeln (Bathylien, Meteorsteine) sind leuch-
tende, außerordentlich schnell sich bewegende Kugeln, die einen
glänzenden Schweif von Funken hinter sich lassen, oft die schein-
bare Größe des Mondes haben und wirklich zur Erde fallen.
Anfangs scheinen sie horizontal fortzugehen, dann neigen sie sich
zur Erde zuerst sehr wenig, in der untern Luft dagegen schnell.
Sie zerspringen oft vor dem Niederfallen mit einem furchtbaren
Getöse und geben einen Steinregen. Ihre Bestandtheile sind:
Kieselerde, Talkerde, Eisen, Nickel, Schwefel, auch Mangan,
Chrom und Kohle. Wahrscheinlich wird durch die schnelle Be-
wegung einer Feuerkugel die Luft vor ihr her sehr verdichtet und
dadurch so viel Wärme erzeugt, daß die Masse sich entzündet, der
inwendig sich befindende Schwefel Gasform annimmt und die
Kugel sprengt. Wo die Meteorsteine entstehen, weiß man noch
nicht. Einige (bie Kosmisten) meinen, die Meteorsteine seien
außerordentlich kleine Planeten, die auf ihrer Bahn um die
Sonne der Erde so nahe kommen, daß diese sie an sich zieht;
Andere (die Lunaristen) halten sie für Auswürfe der Mondvulkane,
welche ebenfalls in die Anziehungssphäre der Erde gekommen
sind; noch Andere (die Telluristen) halten sie für Auswürfe der
Erdvulkane, wiewohl sie da eine andere Bahn (bie der ballistischen
Kurve) haben müßten; noch Andere «die Atmofphäristen) endlich
halten die Atmosphäre für ihre Bildungsstätte, wo sie etwa durch
einen Niederschlag ihrer von der Erde verflüchtigten Bestandtheile,
die aber alle, Schwefel ausgenommen, feuerbeständig sind, ent-
standen sein können. Die Sternschnuppen sind vielleicht kleine
Feuerkugeln.
5. Feurige Drachen sind geschweifte Feuerkugeln, die nach
der Meinung abergläubischer Leute in die Schornsteine fahren
und dem Eigenthümer des Hauses Geld, Speck, Eier rc. zuführen.
6. Die Irrlichter oder Irrwische (Hdb. II. S. 53.).
7. Die Polarlichter (Nordlicht und Südlicht) kommen in
Polargegenden häufig, in geringeren Breiten seltener und nur
in der höchsten, also sehr verdünnten Luft vor, nehmen zuweilen
den halben Himmel ein und sind wahrscheinlich elektromagneti-
scher Natur.
, 8. Die Morgen- und Abendröthe, so wie die Däm-
merung (Hdb. II S- 54.).
9. Der Regenbogen (§. 60. Hdb. II. S. 54. Kdrfr. II.
Nr. 101.) ^
10 Die H ö fe um Sonne und Mond (tz. 58. Hdb 11. S. 51.).
11. Die Nebensonnen und Nebenmonde (Ebendaselbst).
Die Heiligenscheine, lichte Kreise um den Schatten des
Kopfes, wenn der Schatten auf Nebel fällt, können als Höfe
betrachtet werden-