104 50. Das Pferd. In vielen Theilen Asiens, Afrikas und Amerikas sieht man zahlreiche Heerden von Pferden. Eine jede wird von eiiwm Hengst geleitet, der ihren Weg ordnet und sie gehen oder halten läßt, wie es ihm gefällt. Seine Herrschaft zeigt sich als sehr bedeutend, obschon durch den Vortheil der ganzen Heerde beschränkt. Kommt cs zum Kampf, so ist er der erste, der sich den Gefahren preis gibt. Auch trifft er offenbar die nöthigen Anstalten, wenn Menschen oder Wölfe einen Angriff machen. Außer¬ dem ist er erstaunlich wachsam und thätig; er macht häufig die Runde um seine Heerde; entdeckt er ein Pferd außer der Reihe, eines, das hinten drein kommt, so gibt er ihm einen Stoß mit der Schulter und nöthigt es, seine gehörige Stelle ein¬ zunehmen. Der ganze Zug geht daher fast so regelmäßig, wie bei unseren abge¬ richteten Reitereipferdeu. Alle weiden reihenweise in Zügen, indem sie verschiedene Abtheilungen bilden, die sich nie vermischen, aber auch nicht von einander trennen. Es scheint, als sage ihnen ein geheimer Naturtrieb, daß ihre Kraft nur in der Vereinigung von Vielen liege. Wenn sie daher ein Wolf oder ein anderes Raub- thier bedroht, so stellen sie sich gleich im gedrängten Kreise ans, und wird eiues die Beute desselben, so ist es meistentheils das schwächste, das nicht Kraft genug hatte, zu entfliehen, das zu langsam fortkam, wo es nöthig war, sich zur gemeinsamen Vertheidigung aufzustellen. Jeder solche Hengst verdankt seine hohe Würde der eigenen Kühnheit und be¬ hauptet sie, wie man weiß, gegen vier oder fünf Jahre. Wird ein solches Thier schwach oder unthätig, so springt ein anderes, das nach der Herrschaft trachtet und sich seiner größeren Kraft bewußt ist, aus der Heerde heraus und greift ihn an. Wird er nicht besiegt, so bleibt er an seinem Posten; ist er gedemüthigt, so tritt er beschämt in die allgemeine Heerde zurück, und der Sieger übernimmt den Oberbefehl und wird als Herr anerkannt. Sie stammen wahrscheinlich von den großen Hochebenen Mittelasiens ab und haben sich mit den Menschen in alle Welttheile verbreitet. In Amerika und dem fünften Welttheile, Australien, gab es vor Entdeckung dieser Länder durch die Euro¬ päer keine Pferde. In den weiten Ebenen und Wüsten südlich vom La Plataftrom in Am erika findet man diese herrlichen Thiere im Ueberfluß. Alle stammen von den zahmen ab, welche durch die Spanier eingeführt wurden und sind jetzt völlig verwildert. Im wilden Zustand bekommen die Pferde einen dicken, unförmlichen Kopf, längere zottige Haare, dickere Füße, und werden kleiner und unansehnlicher. Fängt man sie ein, so bleiben sie lange Zeit wild und unbändig, tückisch und boshaft. Die wilden Pferde suchen die zahmen an sich zu ziehen; kaum werden sie dieselben gewahr, so springen sie im Galopp auf dieselben zu und wiehern ihnen entgegen. Gewöhnlich dauert es nicht lange, so reißen sich die zahmen los, vereinigen sich mit den wilden und denken nicht mehr an ihre Ställe. Greift man jedoch die wilden Pferde an, so sind sie keineswegs zu fürchten. Stärker als die meisten andern Wesen im Walde und auf der Ebeue, beginnen diese edeln Thiere dennoch nie Feindseligkeiten. Nur selbst be¬ leidigt, verachten sie entweder ihren Feind und eilen ihm aus dem Weg, oder schlagen ihn mit ihren Hufen nieder. Die Furcht ist ihnen fremd, aber aus Liebe zur Ge¬ selligkeit vereinigen sie sich in Heerden und gewinnen einander gegenseitig so lieb, daß, wenn sie in der Gefangenschaft auch noch so weit von einander verkauft werden,