196 95. Vom Dienen. Der Meister, ein Bauer im Berner Oberland, der gerne seinen Knecht Uly auf bessere Wege geleitet hätte, sprach einst zu ihm also: Ich denke mein Lebtag daran, wie unser Pfarrer uns das Dienen ausgelegt hat in der Unterweisung, und wie er die Sache so deutlich gemacht hat; mau hat ihm müssen glauben, und es ist Mancher glücklich worden, der ihm geglaubt hat. Er hat gesagt: alle Menschen empfingen von Gott zwei große Kapitale, die man zinsbar zu machen habe, nemlich Kräfte und Zeit. Durch gute Anwendung derselben müßten wir das zeitliche und ewige Leben gewinnen. Nun hätte Mancher Nichts, woran er seine Kräfte üben, seine Zeit nützlich und abträglich gebrauchen könnte; er verleihe daher seine Kräfte, seine Zeit Jemanden, der zu viel Arbeit, aber zu wenig Zeit und Kräfte habe, um einen be¬ stimmten Lohn; das heiße dienen. Nun sei das eine gar unglückliche Sache, daß die meisten Dienstboten dieses Dienen als ein Unglück betrachteten, und ihre Meister¬ leute als ihre Feinde oder wenigstens als ihre Unterdrücker, daß sie cs als einen Vortheil betrachteten, im Dienst so wenig als möglich zu machen, so viel Zeit als möglich verklappern, verlaufen, verschlafen zu können, daß sie untreu würden; denn sie entzögen auf diese Weise dem Meister das, was sie verliehen, verkauft hätten, die Zeit. Wie aber jede Untreue sich selbst strafe, so führe auch diese Untreue gar fürchterliche Folgen mit sich; denn so wie man untreu sei gegen den Meister, so sei man auch untren an sich. Es gebe jede Ausübung unvermerkt eine Gewohnheit, welcher man nicht mehr los werde. Zu allen Meistern bringe so ein ungetreues Jungsräulein oder Knechtlein seine böse Gewohnheit mit, und wenn es am Ende für sich selbst sei, sich heirate, wer müsse d>ese Gewohnheiten, diese Trägheit, Schläfrigkeit, Unzufriedenheit haben, als es selbst? Es müsse sie tragen und alle ihre Folgen, Noth und Jammer bis ins Grab, durch das Grab bis vor Gottes Richter- stuhl. Mau soll doch nur sehen, wie viele lausend Menschen den Menschen zur Last seien und Gott zum Aergerniß, und sich als widerwärtige Geschöpfe herumschleppten, den Denkenden als sichtbare Zeugnisse, wie die Untreue sich selbst strafe. Aber so wie man durch sein Thun sich inwendig eine Gewohnheit bereite, so mache man sich auswendig einen Namen. An diesem Namen, an dem Ruf der Geltung unter den Menschen, arbeite ein Jeder von Kiudsbeiuen an bis zum Grab; jede kleine Aus¬ übung, ja jedes einzelne Wort trage zu diesem Namen bei. Dieser Name öffnet oder versperrt uns Herzen, macht uns werth oder unwerth, gesucht oder verstoßen. Wie gering ein Mensch sein mag, so hat er doch einen Namen; auch ihn betrachten die Augen seiner Mitmenschen und urtheilen, was er ihnen werth sei. So macht auch jedes Knechtlein und jedes Jungfräulein an seinem Namen unwillkürlich, und nach diesem Namen kriegen sie Lohn, dieser Name bricht ihnen Bahn oder verschließt sic ihnen. Da kann eines lange reden und über frühere Meisterleute schimpfen, es macht damit seinen Namen nicht gut; sein Thun hat ihn längst gemacht. Ein solcher Name werde Stunden weit bekannt, man könne nicht begreifen wie. Es sei eine wunderbare Sache um diesen Namen, und doch beachteten ihn die Menschen viel zu wenig, und namentlich die, welchen er das zweite Gut sei, mit dem sie, verbun¬ den mit der inwendigen Gewohnheit, ein drittes, ein gutes Auskommen in der Welt, Vermögen, ein viertes, den Himmel und seine Schätze, erwerben wollten. Er frage nun, wie ein elender Tropf einer sei, wenn er schlechte Gewohnheit habe, einen 1