431 andern verlangt; und hat auf dreißig Stunden Wegs ein Mensch ein Un¬ glück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rath, Hülfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld. Einem Gemüthe, wie dieses war, das nur in Liebe und Wohlthun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahrs 1812 eine schöne Freuden¬ ernte. So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platz, und: „Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes thun wollte, und liebte sie schon zum Voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. „Wenn sie nur so oder so aussähen", dachte er, „wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Fran¬ zosen vorlieb, und erleichterte ihnen, bis sie weiter geführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele Landsleute, auch Darmstädter und andere hineinries: „Sind keine Deutsche da?" — er mußte zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hörte: „Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er sei — er wäre mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte von Mannheim am Rheinstrom, als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo Mannheim liegt; der andere sagte von Bruchsal; der dritte von Heidelberg; der vierte von Gochsheim; da zog es wie ein warmes, auflösendes Thauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. „Und ich bin von Breiten", sagte das herrliche Gemüthe, „Franz Anton Egetmaier von Breiten"; wie Joseph in Egypten zu den Söhnen Israels sagte: ich bin Joseph, euer Bruder — und die Thränen der Freude, der Wehmuth und heiligen Heimatsliebe traten Allen in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob . sie einen freudigeren Fund an dem Schneider, oder der Schneider an seinen Landsleuten machte; und welcher Theil am gerührtesten war. Jetzt führte der gute Mensch seine theuren Landsleute im Triumph in seine Woh¬ nung und bewirthete sie mit einem erquicklichen Mahl, wie in der Ge¬ schwindigkeit es aufzutreiben war. Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. „Anton", sagte der Statthalter, „wenn hab ich euch Etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er in der Stadt herum und